Abgesang

[Zettel]

Abgesang
Michael Myers wurde der Nächte müde, in denen er nach Hause kam. Es fiel ihm immer schwerer, unter der Latexmaske zu atmen, und seine zahlreichen Wunden verheilten kaum noch. So konnte es nicht weiter gehen. Deshalb entschloss er sich zu einer Therapie. Ein sensibler Psychologe wirkte wahre Wunder. Nur die Familienaufstellung scheiterte an mangelndem Personal. Heute arbeitet Michael als Event-Gastronom, und wenn er beim Barbecue ein Spanferkel zerlegt, ist er ganz der Alte. Aktuell kandidiert er für das Amt des Bürgermeisters. Sein Slogan lautet „Mach Deinen Schnitt in Haddonfield“.
Freddy Kruger benötigte sechzehn Sequels, bis er die Schnauze voll hatte.  Er machte Kassensturz und stellte sich dem Leben außerhalb der Elm Street. Sein erster Weg führte ihn zur Maniküre. Seither rühmt man ihn für seine heilenden Hände. Und nachdem ihm Haut vom Gesäß ins Gesicht transplantiert worden ist, betreibt er als Prince Charming ein Massage-Studio.
Jason hatte es da schon schwerer. Durch die permanente Kino-Propaganda wurden die potentiellen Opfer immer vorsichtiger, mieden Lost Places wie verfallene Ferienheime und praktizierten Safer Sex daheim. Es blieb ihm nur die innere Emigration. Er fand einen Job als Manager eines Campingplatzes. Scharfe Werkzeuge, die größer sind als ein Besteckmesser, hat er dort verboten. In der Abendschule holt er sein Examen nach, doch die vielen Vorstrafen werden wohl eine große Karriere verhindern.
Regan ist aus der katholischen Kirche ausgetreten. Ihre Klage vor dem Gerichtshof für Menschenrechte läuft - ein weiterer Fall wegen sexuellen Missbrauchs, der den Vatikan erschüttert. Sie ist jetzt eine junge gesunde Frau, die in einem Frauenhaus arbeitet und Ihre Vergangenheit hinter sich gelassen hat. Aber der coole Student, der gegenüber wohnt, verdreht ihr doch schon den Kopf.
Jigsaw fiel dem Immobilien-Boom zum Opfer. Heute wird jede Industriebrache zum Loft-Paradies für Yuppies gemacht. Es gibt keine Plätze mehr, an denen er Versuchsobjekten mit seinen Apparaturen den Sinn des Lebens näherbringen kann. Ihm blieb nur das Los, den Feind zu umarmen. Er ist ein gefragter Makler für High-Price-Objekte geworden. Und nur in seiner spärlichen Freizeit baut er im Keller noch Miniatur-Guillotinen, die er im Internet zu Fantasiepreisen vertickt.
Unser Weltbild ist erschüttert. Die Trennschärfe zwischen Gut und Böse ist dahin. Wir wissen nicht mehr, worauf wir noch vertrauen können, dürfen unsere Albträume nicht mehr selber wählen, müssen das wahre Grauen in unseren Alltag lassen. Was passiert als nächstes? Werden Nazis zu Menschenrechtlern? Notzüchtigen Christsoziale Bäume? Wird Waterboarding olympische Disziplin? Jeder Anker, den wir jemals warfen, schneidet uns jetzt ins eigene Fleisch, denn unser kindischer Horror wurde längst von der Realität überholt, und ganz da unten, wo wir am Haken zappeln, formieren sich ungeahnte Monster.

[Roman Ramon]

Die Grundidee find ich gut, das weckt mein Interesse.

Die Ausführung liest sich dann flüssig, ist zwar nicht ganz mein Humor, aber das ist bei jedem anders.
Auf jedenfall schaffst du es den Ton zu halten den du angeschlagen hast und für jeden ein paar Punchlines zu finden.

Mir wird nicht ganz klar, warum in der Darstellung am Ende die heutige Zeit als soviel schlimmer dargestellt wird als die in der diese Streifen entstanden sind, aber auch da haben andere Leute sicherlich einen direkteren Zugang zu.

Auf jedenfall macht es neugiereig darauf, was der Autor sonst so für Ideen/Themen anpackt.

[wohe]

Hallo Zettel,

Der Text ist prinzipiell gut und als Denkanstoß auch wichtig.
Die Art zu schreiben ist ebenfall ok.

Aber meiner Meinung widersprichst Du Dir in Folgendem:
Einerseits sagst Du:

[Gast]

Hallo Zettel,

Du bist nicht zufällig der Erfinder des Traumes? *

Dein Thema ist die Erkenntnis, dass die Realität alle Phantasie in den Schatten stellt; deine Perspektive die von Horrorfiguren, die angesichts des unerreichbaren realen Horrors ihre jobs frustriert aufgeben und Normalos werden (da sind Parallelen zum großen Bagarozy und den Watchmen zu erahnen). Am Schluß drehst Du das um, indem Du fragst, ob auch der schlimmste reale Horror zum fiktiven Guten gedreht werden kann und damit Phantasie und Realität letztendlich zu einer Kakophonie verschmilzt, in der Realität und Tatsachen keine Bedeutung mehr haben.

Das ist ein interessanter und zeitgemäßer Ansatz, der (z.B. in Anbetracht der Aluhut"bewegung," die tatsächlich glaubt, ihre Realität ungeachtet der wahren Welt um sie herum selber definieren zu können) Beachtung verdient und in sehr viele Richtungen weitergetragen werden kann.  

In der Ausgestaltung sehe ich allerdings Probleme. Mir ist z.B. die Liste deiner Protas zu lang; 5 Beispiele sind zu viel, um deinen Punkt zu machen. Spätestens nach dem 3. kommt nichts Neues mehr, insbesonders keine Schnittstellen zwischen deinen Gestalten und der viel grausameren Realität zu finden sind. Es wäre zum Beispiel ein neuer Aspekt, wenn Anton Chigurh ein Herrenfriseur geworden wäre (das würde deinen Insiderhumor auch noch weiter führen), nachdem er von einem durchgeknallten Afghanistanveteranen in einer Mall angeschossen wurde.

Im Großen und Ganzen aber durchaus lesenswert und angenehm kurz und en point!


* Grottenschlechter pun, ich weiß, da ich aber selber gebranntes Kind bin (DER is richtig unfreiwillig gut), was die Verballhornung meines Namens angeht, kann ich mir das leisten...

[Gast]

Hallo Zettel,

Ich mag den Text. Ich finde die Schilderung der (mehr oder weniger erfolgreichen) Re-Sozialisierung ehemaliger Horror- und Slasher-Film-Helden gelungen. Man kriegt fast Mitleid mit diesen Schlachtern, die ihre grausigen Obsessionen aus verschiedenen Gründen nicht mehr ausleben können oder wollen.
Und auch den Hinweis darauf, dass eine ungleich banalere, aber nicht weniger grausame Wirklichkeit unser voyeuristisch-kindisches Bedürfnis nach blutigem Thrill irgendwie obsolet macht, finde ich schlüssig.

Macht neugierig auf mehr!

LG
DLurie

[Zettel]

Habt Dank für die Rückmeldungen! Ich hätte so schnell nicht mit sovielen dezidierten Stellungnahmen gerechnet.
Sicher ist die Realität mehr zum Gruseln als ein Slasher-Film, und ich dachte mir, es schadet nichts, mit etwas schrägem Humor wieder einmal daran zu erinnern.
DLurie hat die Intention schön zusammengefasst.

[agto]

Hallo Zettel!

Mir sagen die Namen nichts. Erst aus den Kommentaren habe ich erfahren, daß es sich um filmische Berühmtheiten handelt und habe versucht herauszufinden, in welchen Filmen sie mitwirkten, und habe festgestellt, daß ich einige Filme gesehen habe, irgendwie, irgendwann bei einer Freundin, die Fan war.

Hilfreich, wenn du "Jason Voorheers" und "Regan MacNeil" und ... schreibst. Vereinfacht die Suche. Vielleicht eine Anspielung auf den Filmtitel.

Zwischen den einzelnen Figuren würde ich eine Leerzeile setzten, damit die Struktur deutlicher wird, um es für jemand wie mich, der von der Materie keine Ahnung hat, leichter zu machen.

Wobei ich ohne Internet nicht herausfinden könnte, daß es Helden aus Filmen sind.

Jetzt – ich weiß, auf welche Filme die anspielst – bin ich also bereit für deine Weisheit: "Unser Weltbild ist erschüttert." – Tut mir leid, meins ist und wird wegen dieser Sätze/Filme nicht ins Wanken geraten.

Bevor ich deine Vorstellung las "ein Mann in den späten Fünfzigern", hätte ich wetten können, ein Mann in den Zwanzigern hat der Text verfaßt. Student, der einen Text für die nächste Party geschrieben hat, um herauszufinden, welche Frau auf seiner Wellenlänge liegen könnte.

[Seth Gecko]

Moin Zettel,

da ich großer Filmfan bin, konnte ich mit jedem der Namen sofort etwas anfangen und hatte die Bilder von Michael, Freddy, Jason usw. sogleich vor Augen.
Was soll ich sagen, ich mag deinen Humor und die kreative Idee dahinter. Mehrmals habe ich laut gelacht, wobei mir das Lachen am Ende des Textes ein wenig im Halse stecken blieb.

Ich halte deinen Text daher für sehr gelungen und habe ihn gern gelesen.

Beste Grüße
Seth