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Jens Erklärbär
J Alter: 37 Beiträge: 2 Wohnort: nicht ganz im Norden
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J 30.06.2021 22:12 Heimat von Jens
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Ununterbrochen prasselte der Regen auf den Schirm, rann in kleinen Bächen über die Strukturen herab, bis das Wasser am Rand in einen unendlichen Abgrund fiel und unermüdlich den Rasen tränkte. Alles war nass, alles triefte und selbst alles vom Schirm Geschützte war zumindest klamm von der Feuchtigkeit. Tiefgraue Wolken verhängten diesen Septembertag, verwandelten ihn in eine unendliche Dämmerung die ihre kalten, abgemagerten Krallen nach allem Lebendigen ausstreckte, es zu packen und hinab in die graue Einsamkeit zu ziehen versuchte. Verzweifelt griffen die Gedanken nach jedem Lichtblick, nach jedem Anschein von Leben in dieser leblosen Einöde. Doch sie scheiterten.
Kraftlos hingen die Äste und noch übrigen, sterbenden Blätter von den Bäumen, wogen sich schwach und traurig in dem leichten Wind und begleiteten die Melodie des Sterbens mit einem seltsamen, morbiden Tanz, beinahe voller Häme vor allem Lebenden, das sich so verzweifelt an dem kleinen Faden hielt der doch jederzeit reißen konnte. Wie schwach, wie vergänglich war alles im Angesichte solcher Trostlosigkeit, im Angesicht dieses grauen Nichts, welches sich über der Welt ausbreitete und sie für immer umklammern wollte.
Er stand mitten im Regen auf dem Rasen, die schwarzen Lederschuhe nass und kalt, genauso wie sein neuer, teurer Anzug, den er sich extra für diesen Anlass gekauft hatte. Und nun? Alles klamm, alles kalt und voller Traurigkeit ob dieser Wolkenwand, die nicht wieder gehen wollte. Vor wenigen Tagen noch war es ein schöner, warmer September gewesen, doch der Herbst, das Sterben hatte alle Kraft geraubt.
Er hasste es hier stehen zu müssen, eine stechende Flamme die sich in sein Herz bohrte und alles einzunehmen versuchte. Sie verdrängte Kälte und Feuchtigkeit mit flammender Kraft, ließ ihn stehen, wo andere in ekstatischer Verzweiflung zusammensackten und sich zu verstecken versuchten. Er verabscheute das was er hier tat, das was ihn dazu gebracht hatte und all jene die gekommen waren. Ein kräftiger Wind ließ ihn schaudern, spülte das Schluchzen des Herbstes für einen Moment hinfort. Er packte den Griff seines Schirmes fester, verengte die Augen und ließ seinen Blick für einen Moment schweifen. Warum waren sie hier? Warum waren sie alle hier?
War nicht der Anlass die Liebe gewesen? War es nicht dieses warme Gefühl der ersten Sonnenstrahlen eines Frühlingsmorgens, die den Tau auf der Wiese glitzern ließ? Er erinnerte sich an die warmen Strahlen der Sonne. So lange war es noch gar nicht her, da spazierte er über dasselbe Gras, hörte dem Zwitschern der Vögel zu, atmete tief ein und ließ das Leben durch seine Adern pulsieren. Er schloss die Augen, spürte noch einmal diesen warmen Griff, der sich um sein Herz legte, der seinen Körper erfüllte und in eine selige Wohligkeit eintauchen ließ. Dieses Gefühl, das sich bereits bei dem Gedanken an sie breit machte, seine ganze Existenz einnahm und alles andere unwichtig erscheinen ließ. Sie war da, war neben ihm, streichelte seine Haut und ließ ihn Lächeln, einfach nur so, selig und zufrieden.
Jemand berührte seinen Arm und zerrte ihn zurück in die unbequeme Welt, zerriss den Schleier der Glückseligkeit, die ihre Anwesenheit gewesen war, zerstörte seine Welt. Und die warme, mitfühlende Hand, die sein Herz umschloss wurde eiskalt, packte mit unbändiger Kraft zu, riss es heraus und schleuderte es in diesen nasskalten Septembertag, ließ für einen Moment seine Knie schwach werden, als sein Blick ihren Grabstein fand und den Sarg, in dem ihr Leichnam lag.
Er schaute zu dem Vernichter seiner Welt, der ihn herausgerissen hatte aus seinem Leben, doch die Kraft für einen vernichtenden Blick hatte er nicht mehr. Er wollte ihn packen, wollte ihn schütteln, wollte ihn zerreißen, so wie er die Welt seiner Gedanken gerade zerrissen hatte. Doch von diesem Wunsch, dieser Wut blieb nichts übrig. Nicht derjenige der ihn berührte, war es den er hasste. Er hasste sich selbst, gar verabscheute sich. Warum lebte er noch? Warum durfte er noch atmen, während sie bereits zu zerfallen begann, während sie bereits heimgekehrt war in eine Welt abseits allen Schmerzes, abseits der Zeit und abseits aller Gier.
Die Welt rann an ihm vorüber. Keiner vermochte zu sagen, wie lange es dauerte, Sekunden, Minuten, Stunden, Tage, Jahre? Was machte das schon für einen Unterschied, wenn man nur noch lebte, weil der Körper nicht sterben wollte. So oft er konnte, versuchte er sich an die einzige Zeit in seinem Leben zu erinnern die nicht grau, sondern voller Farbe gewesen war, doch auch diese Farbe verblich mit der Zeit und ließ nichts zurück als den fahlen Schleier der Wirklichkeit, die uns bis zuletzt gefangen hält, uns frieren lässt, wenn nicht einmal mehr der Hass einen wärmen konnte. Sein Leben begann mit der Liebe, war erfüllt mit der Liebe und wuchs mit ihr. Seine Liebe schenkte ihm so viel, seine Frau, seine Kinder, Enkel, doch als seine Liebe ging, blieb nur der blinde Hass übrig. Brennend erinnerte er ihn daran, was er verloren hatte. Alles verschlingend legte er sich um seine Existenz und beschützte ihn vor all dem Leid, vor all dem Schmerz den seine Liebe zurück gelassen hatte. Doch irgendwann begann dieses Feuer zu verlöschen, es wurde schwächer, züngelte nur noch vorsichtig umher, bis es schließlich einging, wie die Blumen auf dem Grab seiner Liebe.
Zurück blieb er. Einsam, grau und matt. Er existierte nur noch, Tag ein, Tag aus. Er atmete und sein Herz schlug, aber das Feuer war verloschen, bis er sich in sein Bett legte.
Er schloss die Augen, atmete tief ein und dort war sie wieder die Wärme die ihn umfing. Das Kribbeln in seinem Bauch, seinen Fingern, sein Herz machte Freudensprünge, es stolperte, fing sich wieder auf und fühlte sich an, als würde es in seiner Brust tanzen. Er atmete aus. Und sank tiefer in dieses Gefühl ein, genoss die Berührungen, das Streicheln seiner Liebe, wie sie es immer getan hatte. So warm und weich fühlte sich sein Bett wieder an, wie an dem Tag, als er sie kennen lernte. Sonnenstrahlen umspielten seine Züge, ließen ihn Lächeln wie am ersten Tag, wärmten seine kalte Haut und noch einmal vermochte er die Kraft spüren die seinen Körper durchzog.
Er atmete ein. Und noch tiefer, noch wohliger kuschelte er sich in seine Decke, er rührte sich nicht mehr, welchen Grund hätte er gehabt, diesem warmen Gefühl zu entrinnen, dass ihn umfing? Wo war es nur so lange geblieben, die Liebe, das Leben, dass er so vermisst hatte. Es war Zeit geworden es wieder zu umarmen, einzukehren in eine Welt, in der es keinen Hass, keinen Schmerz und kein Leid mehr gab. In dem Zeit und Raum keine Bedeutung hatten und es nichts gab, außer der Liebe. Er erinnerte sich zurück, er war hier einmal gewesen und nun sollte er zurückkehren. Er erinnerte sich an seine Gedanken, was würde die Welt wohl sein, ohne Leid, ohne Hass? Doch diese Gedanken waren bedeutungslos geworden. Er hatte sie wieder gefunden, die Liebe, die Wärme, die Nähe. Er hatte die Welt wieder gefunden, die er so lange verloren hatte, die er bereits begraben hatte. Er hatte seine Welt wieder gefunden.
Dann atmete er langsam und entspannt aus, glücklich und zufrieden und verließ seinen Körper, um heim zu kehren.
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WSK Reißwolf
Alter: 34 Beiträge: 1761 Wohnort: Rinteln
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01.07.2021 09:38
von WSK
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Soweit ich das verstanden habe, steht ein alter Mann im Regen, ist einsam, macht sich viele philosophische Gedanken, liegt dann im Bett und stirbt (?).
Der Anfang liest sich gar nicht so schlecht, ist durchaus bildhaft, weckt viele Gefühle. Man kann sich den Moment im Regen gut vorstellen. Man könnte ein paar Adjektive streichen, in den ersten zwei Absätzen nicht immer Worte wie "unendlich" und "unermüdlich" wiederholen.
Solche lyrischen Sätze können eine große Wirkung entfalten. Aber in diesem Fall besteht irgendwie 80% des Textes aus Metaphern und Bildern und Gedankenkonstrukten, und sehr poetischer Umgebungsbeschreibung, die alle irgendwelche Gefühle wecken und etwas veranschaulichen sollen.
Und insgesamt ist mir das viel zu abgespaced und unkonkret. Wenn du nur ein paar dieser lyrischen Sätze einstreuen würdest - z.B. den ersten Satz für sich genommen - wäre das perfekt. Wenn es der Rahmen für eine konkretere Handlung wäre.
Zitat: | Jemand berührte seinen Arm und zerrte ihn zurück in die unbequeme Welt, zerriss den Schleier der Glückseligkeit, die ihre Anwesenheit gewesen war, zerstörte seine Welt. |
Da hast du mich dann komplett verloren und ich denke mir nur: WTF? Wer soll da jetzt an ihm reißen? Warum ist seine Welt nun "zerstört"?
Mir wäre es lieber, wenn hier z.B. einfach mal ein realer Gärtner an seinem Arm gerissen hätte und sagt: "Josef, du bist 80, es ist 5 Uhr morgens, komm aus dem Regen raus und leg dich ins Bett."
Anstatt noch einen abgefahrenen Vergleich, noch ein abgefahrenes Wortbild, von denen wir schon so viele hatten.
Von mir aus ist es auch okay, wenn mal ein krasser, wirrer Gedanke auftaucht, der den Zustand des Protagonisten verdeutlichen soll. Aber hier besteht irgendwie der ganze Text nur aus solchen wirren Gedanken, und dadurch verliert sich der poetische Effekt der Sätze, die allein stehend schön wären und man liest irgendwann nur noch blabla. Zumindest ging es mir so.
Den reinen Schreibstil finde ich gut. Für den Gesamttext würde es mir besser gefallen, wenn auch mal ein Dialog vorkäme und mehr passieren würde als NUR im Regen stehen und im Bett liegen. Oder zumindest ein paar konkretere Infos auftauchen. Wie alt ist der Mann? Warum ist er so einsam? Wann ist seine Frau gestorben? Wen hat er noch verloren? ...
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Elisa Eselsohr
E
Beiträge: 272
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E 01.07.2021 13:43 Re: Heimat von Elisa
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Hallo Jens,
herzlich willkommen! Ich habe Deine Geschichte gern gelesen. Ich mag, wie Du den Regen beschreibst, die Gedanken und Gefühle des alten Mannes, und viele der Bilder, die Du in meinem Kopf hast entstehen lassen.
Hier noch ein paar Anmerkungen:
An manchen Stellen sind es auch zu viele Bilder auf einmal, die mich fast erschlagen, und es mir schwer machen, weiter zu lesen.
Manche Textstellen finde ich auch übertrieben ausformuliert und dadurch nicht mehr so ansprechend (will sagen: manchmal ist weniger mehr)
Jens hat Folgendes geschrieben: | Ununterbrochen prasselte der Regen auf den (seinen?) Schirm, rann in kleinen Bächen über die Strukturen (? Ausdruck) herab, bis das Wasser am Rand in einen unendlichen Abgrund (übertrieben, ist doch nur ein Schirm) fiel und unermüdlich den Rasen tränkte. Alles war nass, alles triefte und selbst alles vom Schirm Geschützte war zumindest klamm von der Feuchtigkeit. |
Spätestens hier möchte ich diesen Mann vor mir sehen, wie er auf dem Friedhof im Regen steht, in seinem dunklen Anzug.
Jens hat Folgendes geschrieben: | Tiefgraue Wolken verhängten diesen Septembertag, verwandelten ihn in eine unendliche Dämmerung (Komma) die ihre kalten, abgemagerten Krallen nach allem Lebendigen ausstreckte, es zu packen und hinab in die graue Einsamkeit zu ziehen versuchte. Verzweifelt griffen die (seine ?) Gedanken nach jedem Lichtblick, nach jedem Anschein von Leben in dieser leblosen Einöde. Doch sie scheiterten.
Kraftlos hingen die Äste und noch übrigen, sterbenden (? Ausdruck) Blätter von den Bäumen, wogen sich schwach und traurig in dem leichten Wind und begleiteten die Melodie des Sterbens mit einem seltsamen, morbiden Tanz, beinahe voller Häme vor allem Lebenden, das sich so verzweifelt an dem kleinen Faden hielt (Komma) der doch jederzeit reißen konnte. |
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Jens hat Folgendes geschrieben: | Er schloss die Augen, spürte noch einmal diesen warmen Griff, der sich um sein Herz legte, der seinen Körper erfüllte und in eine selige Wohligkeit eintauchen ließ. |
"Griff" passt für mich hier nicht. Dabei denke ich eher an etwas Drückendes, Negatives. Aber das ist nur mein persönliches Empfinden!
Jens hat Folgendes geschrieben: | Sein Leben begann mit der Liebe, war erfüllt mit der Liebe und wuchs mit ihr. Seine Liebe schenkte ihm so viel, seine Frau, seine Kinder, Enkel, doch als seine Liebe ging, blieb nur der blinde Hass übrig. |
Seine tote Frau ist doch seine Liebe. Vielleicht besser: Seine Frau schenkte ihm so viel ...
Warum Hass? Nicht nur Traurigkeit und Schmerz? Woher kommt dieser Hass? Dieses Gefühl kann ich nicht nachvollziehen.
Ich habe bis zum Schluss gelesen.
Jens, dies ist nur meine persönliche Meinung, bin gespannt, was die anderen schreiben.
Lg Elisa
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wohe Klammeraffe
W Alter: 71 Beiträge: 628 Wohnort: Berlin
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W 01.07.2021 14:41
von wohe
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Hallo Jens,
Du verstehst es, mit Wörtern umzugehen. Deine Beschreibungen sind eindrucksvoll und hinterlassen Bilder (für mich ist das wichtig).
Allerdings übertreibst Du bei der Beschreibung von Einsamkeit und Düsternis. Um das zu vermittelnde Gefühl zu verdeutlichen, reihst Du zu viele (im Einzelnen wirklich gelungene) Wortkombinationen an einander.
Was dem Übergang von Liebe zu Hass betrifft, schließe ich mich Elisa an.
Also:
ein gelungener Einstand, aber m.E. wäre weniger noch besser (bitte beachte: dies ist meine persönliche Auffassung. Andere können gerade gerade dies besonders gut finden).
MfG Wohe
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Jens Erklärbär
J Alter: 37 Beiträge: 2 Wohnort: nicht ganz im Norden
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Nimmermehr Schneckenpost
Alter: 52 Beiträge: 7 Wohnort: Großraum Nürnberg Regensburg
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10.07.2021 13:22
von Nimmermehr
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Schöner Text und ich mag die Bilder und die Melancholie.
Manchmal verselbstständigen sich Geschichten und wollen raus. Wir beabsichtigen am Anfang ein anderes Thema zu fokussieren... und plötzlich wird eine (aus meiner Sicht) gelungene Geschichte über den "Abschied" daraus.
Ich finde es nicht überladen.
Ich habe schon sehr viele Menschen auf dem Ende ihres Weges begleitet - von Berufs wegen. Da sind Erinnerungen, Bilder oder Symbole alles - nur keine Seltenheit.
Sofern noch halbwegs klar in Denken und Gedanken, möchten die meisten ihren Weg in Würde abschließen.
Deswegen sind beispielweise schöne Kleidung (Schuhe), schön- oder zurechtmachen und so weiter... einfach wichtige Elemente.
Mir hat es so gefallen.
Vielleicht hätte ich die Geschichte optisch etwas auseinandergezogen (Absätze, Leerzeilen), um zentralen Wörtern oder Sätzen "genug Raum" zu geben, um zu wirken.
_________________ Und also sprach der Rabe... Nimmermehr |
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