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Katinka2.0
Eselsohr

Beiträge: 362
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Verfasst am: 29.04.2021 19:00 Titel: Die Gleichgültigkeit allen Seins
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Es ist seltsam. So oft bin ich durch diese Straße gelaufen und erst jetzt fällt mir auf, wie trist das Bild wirkt. Sechsgeschossige Einheitsplattenbauten aus den 1970er-Jahren mit Blick auf ein Stück Endlichkeit säumen meinen Weg. Eine Geräuschkulisse aus blasebalgartigem Rauschen erinnert mich an das schwerfällige Leben in dem einstigen Arbeiterviertel, geschaffen aus Betonbauten, denen man nach der Wende Stück für Stück ein neues Gesicht gegeben hatte – nur das jeweilige Erdgeschoss wurde wohl absichtlich bei der Renovierung außer Acht gelassen. Vielleicht als Erinnerung, überlege ich und denke weiter darüber nach, weshalb mir das nicht schon früher aufgefallen ist. Die Fassadenplatten machen einen maroden Eindruck. Die Risse, die sich darauf abzeichnen, malen ein Muster aus Wunden und Narben an die Wand, als wollten sie diesen Teil vom sterilen Rest abspalten. Das hält nicht mehr lang, sage ich zu mir selbst.
Ich scheine der Einzige zu sein, der um diese Zeit durch die Straße läuft. Irritiert bleibe ich stehen, da mir bei dem Gedanken an die Uhrzeit nicht automatisch bewusst ist, wie spät es tatsächlich ist. Ich schiebe den Ärmel meiner Jacke hoch und stutze erneut, als ich das Ziffernblatt meiner Uhr betrachte. Die Zeiger stehen bei 22:48 Uhr, der Sekundenzeiger bewegt sich nicht. Sie muss stehen geblieben sein, anders kann ich mir nicht erklären, weshalb ich eine Stunde vor Mitternacht durch die Gegend spazieren sollte. Mein Blick schweift an den Häusern vorbei, ich lege den Kopf in den Nacken, um wenigstens den Sonnenstand und die ungefähre Uhrzeit zu bestimmen. So sehr ich mich auch anstrenge, die Sonne kann ich nirgends ausmachen, obwohl das Licht da ist. Wieder suche ich die Häuserfronten ab, als könnten sie mir einen Hinweis darauf geben, was war, als könnten sie sagen, was mein Ziel ist. So ein Blödsinn, tue ich den Gedanken ab. Ich laufe weiter. Fast in jedem Stockwerk sehe ich geöffnete Fenster, bei manchen flattert ein Vorhang durch die Öffnung, bei anderen wiederum kann ich nur ein schwarzes Loch dahinter erahnen.
Aus dem Augenwinkel registriere ich eine Bewegung. Ich schaue in die Richtung und erkenne einen älteren Herrn, der sich aus dem Fenster seiner Erdgeschosswohnung lehnt und mir zuwinkt. Nein, er winkt mich zu sich, will anscheinend, dass ich zu ihm komme. Kurz überlege ich, ob mir für so etwas überhaupt Zeit bleibt, doch als mir nichts einfällt, was dagegen spräche, laufe ich an sein Fenster.
»Guten Tag«, sage ich aufs Geratewohl.
»Hallo, junger Mann!«, begrüßt er mich. Ob ich ihn aufklären sollte, dass ich nicht mehr ganz so jung bin? »Erkunden Sie die Gegend?«
»Nein, ich komme immer hier vorbei, kenne mich also bestens aus.«
Der ältere Herr runzelt die Stirn. »Ach so, ich dachte bloß, weil sie mit diesem prüfenden Blick umherschauen, als sähen sie die Straße zum ersten Mal.«
»Ja, das ist nämlich so«, erkläre ich etwas verlegen und weiß gar nicht, weshalb mich diese Antwort in Verlegenheit bringen sollte, »mir ist tatsächlich erst heute aufgefallen, dass die untersten Stockwerke bei der Renovierung ausgelassen wurden.«
Er blickt an mir vorbei, offenbar begutachtet er die Fassaden auf der gegenüberliegenden Straßenseite.
»Potz Blitz! Sie haben recht.« Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, scheint er wohl genau so erstaunt wie ich. »Jetzt lebe ich hier schon 20 Jahre und habe noch nie bemerkt, dass die untersten Platten in ihrem Ursprungszustand belassen wurden. Das sieht gefährlich aus«, bestätigt er meine eigenen Befürchtungen. »Das müsste jemand dem Amt melden, bevor es zu spät ist.« Ich horche auf.
»Ja, ich bin ganz Ihrer Meinung. Apropos ›zu spät‹, können Sie mir sagen, wie viel Uhr es ist?« Er schüttelt den Kopf und winkt ab. »Seit ich in Rente bin, spielt die Zeit für mich keine große Rolle mehr.« Sein Blick wirkt auf einmal trüb. »Wissen Sie«, sagt er, »ich hatte für ein Flugticket nach Argentinien gespart und wollte meine Schwester dort besuchen. Sie war vor Jahrzehnten dorthin ausgewandert, der Liebe wegen.« Er sieht mich kurz an, mit einem leichten Lächeln, dann schweift sein Blick erneut ab. »Es sollte eine Überraschung werden, wir hatten uns seit über 20 Jahren nicht mehr gesehen, standen aber in engem Kontakt. Mindestens einmal in der Woche haben wir miteinander telefoniert und als es die Technik später möglich machte, geskypt.« Eine wachsende Unruhe macht sich in mir breit. Wie er davon erzählt, in der Vergangenheitsform. Ich bin sicher, dass er nie dort war. Dass etwas geschehen ist, ein Ereignis, das seinen Plan verhindert hat. Ach, solche Geschichten machen mich nervös. Wie kommt er überhaupt darauf, dass mich das Schicksal seiner Schwester interessierte? Ich will davon nichts hören, andererseits aber auch nicht unhöflich sein. »Was ist daraus geworden?«
»Der Flug wurde ersatzlos gestrichen. Ich hatte geplant, Weihnachten mit ihr zu feiern.«
»Dann holen Sie das Fest eben nach«, erwidere ich, nur um etwas zu sagen.
»Leider geht das nicht mehr. Sie ist am 23. Januar gestorben. An einer harmlosen Myokarditis, die die Ärzte partout nicht in den Griff bekamen. Es sei das Alter, haben sie gesagt.«
»Oh. Mein Beileid.« Manchmal ertappe ich mich bei der Erkenntnis, dass sich die Dinge so entwickeln, wie ich denke, dass sie geschehen. Hätte ich in meiner Vorstellung bewusst daran gedacht, die Schwester wartete heute immer noch auf seinen Besuch, existierte vielleicht gar keine andere Realität, in der sie verstorben war. Nun habe ich aber im Vorfeld bereits angenommen, also den Gedanken zugelassen, dass etwas Unerfreuliches vorgefallen sein musste und es nie zu einem Wiedersehen gekommen war. Ich habe ihren Tod schon akzeptiert, bevor er mir von dem Unglück erzählte. Selbsterfüllende Prophezeiung – verhält es sich nicht so ähnlich damit? Wenn ich etwas als nicht wirklich bewerte, dann resultiert auch keine reale Konsequenz daraus. Das würde womöglich erklären, weshalb in meinem Bewusstsein eine andere Realität als gestern oder vorgestern zu existieren scheint.
Es kann doch nicht sein, dass mir der Zustand der untersten Stockwerke erst heute auffällt?
»Danke.« Ich zucke zusammen, den Mann hätte ich über meine Gedanken beinahe vergessen. »Es sollte wohl nicht sein«, lamentiert er weiter. »Das Schicksal hat uns einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Ich habe ihren Tod akzeptiert und die Gewissheit, damit bestraft worden zu sein.«
Erstaunt hebe ich den Blick. »Weshalb sollten Sie den Tod als Strafe sehen?«
»Wissen Sie, ich habe mir seither oft die Frage gestellt, warum ich 20 Jahre gewartet habe. Ich hätte durchaus früher die Möglichkeit wahrnehmen und sie besuchen können. Natürlich hätte ich mir dann in diesem Jahr nicht den neuen Fernsehapparat oder irgendeine vergleichbare Anschaffung erlauben können. Ich habe es Jahr für Jahr verschoben, weil immer etwas anstand, das ich für notwendiger hielt. Dabei habe ich die Zeit aus den Augen verloren, wir waren ja auch in ständigem Kontakt – jetzt ist es zu spät.« Er klingt müde.
»Hallo!« Bei der Nachbarwohnung streckt ein Kind seinen Kopf aus dem Fenster und winkt uns zu. Es ist ein Junge von vielleicht sechs Jahren mit kurz geschorenen Haaren und dunklen Rändern unter den Augen. Er erinnert mich eklatant an die verstörenden Bilder dieser gequälten Seelen in Geschichtsbüchern, bei denen ich mich immer frage, ob es tatsächlich im Bereich des Möglichen liegt, dass sich niemand der Schuld bewusst war, die er auf sich lud. Vielleicht verhält es sich aber schon immer so, dass die Realität der Außenwelt nur Schein ist und man wahrhaftig nur das wahrnimmt, was sein eigenes Bewusstsein hervorbringt. Oder zulässt.
»Hallo, junger Mann!«, erwidert mein Gegenüber in bekannter Manier. Ich komme mir vor wie in einem Déjà-vu, nur bin ich in dieser Erinnerung das Kind. Ab wann, frage ich mich, stuft man die Dinge nicht mehr als angebracht oder notwendig ein? Und wenn dieser Zeitpunkt eine rote Linie darstellte, stünde sie in Zusammenhang mit einer Wertung? Ich habe Kopfschmerzen.
»Mir ist langweilig.« Der Junge hat seinen Ellenbogen auf dem Fensterbrett aufgesetzt und stützt seinen Kopf in der Hand, als wäre die Last viel zu schwer, um von seinen Schultern getragen zu werden.
»Hast wohl in letzter Zeit nicht so viel frische Luft bekommen?«, frage ich aus heiterem Himmel und wundere mich augenblicklich, weshalb ich das tue. Als ob es mich interessierte.
»Nee, ich darf doch nicht raus.« Sein fahles Gesicht spricht Bände.
»Die Jugend von heute«. Der ältere Herr schüttelt den Kopf, als wäre damit bereits alles gesagt. Wir nicken uns stumm zu, dann schlurft er davon, auf den scheinbar endlosen Flur, bis ich seine Silhouette nicht mehr ausmachen kann. Sie haben vergessen, das Fenster zu schließen!, will ich ihm hinterherrufen, lasse es dann aber sein, weil der Junge aus der Nachbarwohnung gerade auf das Fensterbrett steigt und herunterklettert. Er kommt auf dem Asphalt auf und streckt die Hände nach einem Ball aus, der auf dem Sims in der Stube gelegen haben muss.
»Ich dachte, du darfst nicht raus?«, frage ich verwundert. Der Blick des Jungen scheint verunsichert. Offensichtlich überlegt er, was er mir antworten soll. Er zuckt einmal mit den Achseln, dreht sich auf dem Absatz um und rennt mit dem Ball die Straße hinunter. Ist es nicht viel zu spät, um jetzt noch auf den Spielplatz zu gehen? Automatisch kontrolliere ich die Uhrzeit auf meiner Armbanduhr. Sie zeigt 22:48 Uhr. Und auf einmal weiß ich, was los ist.
Auf einmal reiße ich die Augen auf und schnappe nach Luft, hole Atem, ziehe tief den Sauerstoff in meine Lungen und fühle dabei das heftige Pochen in meiner Brust, wie es gegen meine Rippen drückt. Ich wirble herum, drehe mich im Kreis, sehe all die Fenster, suche hektisch und laufe weiter, renne, stolpere beinahe, bis ich es vier Häuser weiter auf der gegenüberliegenden Straßenseite gefunden habe. Außer Atem starre ich auf das Windspiel, dessen Metallstäbe sanft gegeneinander schlagen und ihre Melodie aus meinem Fenster hinaustragen.
Weitere Werke von Katinka2.0:
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Stefanie Reißwolf

Beiträge: 1724
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Verfasst am: 09.05.2021 21:39 Titel:
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Geöffnete Fenster als Chancen, an denen man vorbeigeht.
Ich mag besonders den Jungen, der sich nicht aufhalten lässt, und seine Chance zu spielen ergreift, auch wenn es Ärger bedeuten könnte.
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d.frank
Reißwolf
Alter: 43 Beiträge: 1150 Wohnort: berlin
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Verfasst am: 10.05.2021 19:06 Titel:
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Seltsam. Jetzt musste ich alles weglöschen und bin überlegt, stattdessen 12 Punkte hier hinsetzen.
Das hat dieser Text einem anderen zu verdanken. Zuerst war ich echt auf einem Auge blind.
Aber klar, die unteren Etagen, die Wurzel allen Übels, die Geschichte einer ganzen Nation und wie sie sich bis heute auswirkt.
Inhaltlich ist das, wenn ich es richtig interpretiere, definitiv 12 Punkte wert, sprachlich leider nicht.
Und wenn man bedenkt, dass ich nur wegen eines anderen Textes in diesen hineingefunden habe, fehlt da am Ende etwas.
Mein erster Eindruck war deshalb auch eher nichtssagend. Aber das liegt vielleicht vornehmlich am Ton. Sprachlich geht das eher ausgetretene Pfade, inhaltlich, und auch wenn es, wie viele andere Beiträge, mit dem Surrealismus arbeitet, hallt es aber nach und steht für mich deshalb im Ranking auf dem vierten Platz.
_________________ Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer |
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hobbes
Tretbootliteratin
 Moderatorin
Beiträge: 4456
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Verfasst am: 10.05.2021 20:38 Titel:
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Schön, dass Prota jetzt voll den Durchblick hat. Ich kann da leider nicht mithalten. Oder, um es auch bei diesem Wettbewerb wenigstens einmal kommentiert zu haben: Hä?
Davon abgesehen schafft es der Text leider auch nicht, mich zu begeistern. Wie die Figuren reden, das hat etwas aufgesetztes, finde ich. Vor allem den älteren Herrn nehme ich dir nicht ab. Tatsächlich frage ich mich zwischendurch, ob die überhaupt "echt" sein sollen. Oder ob das halt tatsächlich künstliche Figuren sind, aus Gründen, die leider an mir vorbeigehen.
Was macht er überhaupt im Text, dieser alte Mann? Ist er nur dazu da, damit du das hier
Zitat: | Nun habe ich aber im Vorfeld bereits angenommen, also den Gedanken zugelassen, dass etwas Unerfreuliches vorgefallen sein musste und es nie zu einem Wiedersehen gekommen war. Ich habe ihren Tod schon akzeptiert, bevor er mir von dem Unglück erzählte. Selbsterfüllende Prophezeiung – verhält es sich nicht so ähnlich damit? |
an die Leserin bekommst?
Nein, die Geschichte erschließt sich mir leider nicht. Und natürlich muss sich nicht jede Geschichte erschließen, aber ich sollte zumindest nicht andauernd denken: Wozu? Warum? Wieso steht das da?
_________________ Don't play what's there, play what's not there.
Miles Davis |
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nebenfluss
Show-don't-Tellefant

Beiträge: 5177 Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
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Verfasst am: 11.05.2021 11:10 Titel:
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Die Überschrift verspricht, mir die Gleichgültigkeit des Seins näher zu bringen, was mich schon mal grübeln lässt - Menschen können gleichgültig sein, im Sinne einer Alles-pupsegal-Haltung, aber das Sein an sich? Oder ist das im Wortsinn gemeint, alles Sein gelte gleichermaßen? Instinktiv vergleiche ich mit Kundera, bei dem es statt Gleichgültigkeit unerträgliche Leichtigkeit hieß, ein genial spannungsreicher Titel und zugleich eine interessante Interpretation der Erzählung. Keine Ahnung, ob das etwas mit dieser Geschichte zu tun hat, die mir leider unbegreiflich geblieben ist.
Der Text liefert dann bald den nächsten großen Begriff, der vielleicht der E-Anforderung geschuldet ist: Plattenbauten mit Blick auf ein Stück Endlichkeit. Im nächsten Satz frage ich mich, ob ein Blasebalg wirklich rauscht ... wie das halt so ist (jedenfalls bei mir), wenn der Skeptiker einmal geweckt ist.
Geschildert wird ein Wirklichkeitsverlust: Unentwegt zweifelt das Ich an seinen Sinnen. In traumartiger Manier wirken Dinge irgendwie oder scheinen soundso. Prota ist sich nicht einmal sicher, alleine in der Straße unterwegs zu sein - es scheint zwar so, aber er will sich lieber nicht festlegen. Außerdem ist eventuell die Zeit stehengeblieben oder nur die Uhr oder beides gleichgültig. Der Mangel an belastbarer Wahrnehmungskraft zieht sich durch die Erzählung mitsamt ihrem Personal: Neben dem Erzählenden bemerkt auch ein seit zwanzig Jahren Vorortwohnender erst jetzt plötzlich und in geradezu kindischem Erstaunen, dass die Erdgeschosse nicht aufgehübscht wurden, und hält das für äußerst gefährlich - möglicherweise ist man gemeinsam in einer Indifferenz über das Wesen einer Fassadenerneuerung im Gegensatz zu einer Kernsanierung gefangen. Jedenfalls soll die Behörde, die das verschlafmützt hat (kennt man ja), zügig informiert werden, was man sich um diese Uhrzeit (wenn sie denn stimmt) aber sparen kann. Der Gedanke "zu spät" dient als Übergang zu einer hölzernen Plauderei über nicht realisierte Reisepläne, die das Schicksal einer verstorbenen Ehefrau heraufbeschwört (oder heraufzubeschwören scheint, da bin ich mir unsicher). Als nächstes klettert nebenan ein Junge, der nicht raus darf, aus seinem Fenster, um mit einen Ball zu spielen.
Am Ende gelingt es Prota wohl, das Trugbild zu entschlüssel - mir allerdings nicht.
Entschuldige bitte den etwas satirischen Unterton. Ich versuche lediglich, mein Lesen zu verworten, und nur "Hä?" hinzuschreiben, ist erst recht keine elegante Lösung. Es hätte mich nicht überrascht, wenn Prota am Ende aufwacht, weil eine solch beliebige Reihung von Ereignissen eigentlich nur durch einen Traum erklärbar ist.
Vielleicht liege ich aber in voller Länge auf dem Schlauch oder bin intellektuell überfordert. Um so gespannter harre ich der Aufdeckung der anderen Kommentare. Ansonsten ist meine Meinung über den Text einfach gleichgültig gegenüber den anderen.
_________________ fehlende Quellenangabe: mein Kopf. |
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marinaheartsnyc
Leseratte
 Alter: 29 Beiträge: 149
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Verfasst am: 11.05.2021 18:05 Titel:
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Sprachlich und bei der Umsetzung des Themas ginge es ein bisschen ausgefallener, aber trotzdem mag ich den Text - vor allem wegen den philosophischen Einlassungen und den vielen Interpretationsmöglichkeiten. Ist für mich auf jeden Fall gute und klassische E-Literatur
_________________ Yesterday I was clever, so I wanted to change the world. Today I am wise, so I am changing myself.
- Rumi |
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Nihil { }
 Moderator Alter: 32 Beiträge: 7628
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Verfasst am: 13.05.2021 00:11 Titel:
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Ein Abendspaziergang durch ein Stadtgebiet aus alten Plattenbauten, die nur notdürftig saniert und renoviert wurden, ist Anlass für eigenartige, aus der Zeit gefallene Begegnungen mit Dialogen, die darüber hinaus noch aus dem Leben gefallen zu sein scheinen; so ist noch nie miteinander gesprochen worden. Nach einer kurzen Vertigo schwindelt sich der Erzähler zurück in die eigene Bude, denn alles war nur ein kurzes Gedankenspiel. Kein Wunder, dass keine Zeit vergangen ist. Da kann der Stadtteil dann auch nichts für.
Leider spiegelt sich die Unbeweglichkeit, die Zeitlosigkeit, die Starre, die der Text uns vermitteln möchte, nicht auf reflektierte und verstärkende Weise in seinem Diskurs wider. Für mich ist es immer noch 22:48, denn die Zeit ist für mich leider genau so schwerfällig verstrichen beim Lesen. Als Kritik an der Politik, Gesellschaft, Kultur (wenn man solches hineinlesen möchte, von Corona-Maßnahmen zu Gentrifizierung ließe er viele Deutungen zu) taugt er mir leider ebenfalls nicht, weil an allen möglichen Anschlusspunkten zu unkonkret. Was ich mitnehmen kann, ist leider nicht viel. 1:Die da oben haben uns vergessen. 2:Je älter man wird, desto schwerer wirds auch. 3: Was man tun kann, wenn einem die Decke auf den Kopf fällt. Insgesamt ist mir das leider nicht genug, um deinem Text Punkte geben zu können.
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V.K.B.
[Error C7: not in list]
 Alter: 49 Beiträge: 4967 Wohnort: Nullraum
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Verfasst am: 13.05.2021 15:22 Titel:
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Hallo unbekanntes Wesen, das das geschrieben hat,
Eine sehr interessante Geschichte mit interessanten Gedanken. Was ist Realität? Gibt es eine solche, oder ist sie nur ein Wahrnehmungskonsens? Gibt es Objektpermanenz wirklich? Existieren Dinge noch, wenn sie kleiner wahrnimmt? Sind Häuser nur dann renovierungsbedürftig, wenn sie jemand so wahrnimmt?
Der Schluss ist mir nicht ganz klar. Der Beobachter sieht seine einen Wohnung und starrt auf das Windspiel, dass "seine" Gedanken hinausträgt? Ist er gestorben und das waren seinen letzten Gedanken zum Leben? Hatte ich zuerst gedacht, aber "hole Atem, ziehe tief den Sauerstoff in meine Lungen und fühle dabei das heftige Pochen in meiner Brust" passt nicht dazu. Oder "rettet" er sich hier, indem er sich wieder als körperlich lebendig wahrnimmt? Vieles ist möglich, und schön, dass der Text nicht alles eindeutig klärt und Fragen hinterlässt.
Gefällt mir sehr gut, Aufgabenstellung ganz klar erfüllt (metaphorisch wie wörtliche Themenumsetzung) und E ist es auch. Teilweise liest es sich etwas holperig, aber das hat mich nicht wirklich gestört. Könnte bei den Punkten dabeisein, aber die verteile ich erst, wenn ich alles gelesen habe.
Edit: Zur Endwertung: Ich habe die Texte in die Kategorien grün (genau wie ein Zehntausendertext mMn sein sollte, also definitiv E-Lit, aber auch besonders geschrieben und neue Wege beschreitend, oder das zumindest versuchend), gelb (ernsthafte Themen, aber realtiv traditionell geschrieben) und rot (Text, der mMn nicht in diesen Wettbewerb passt, auch nicht teilweise) eingeteilt. Die Rangfolge für die Punkte erfolgt dann nicht größtenteils nach persönlichem Gefallen, sondern erstmal innerhalb der Gruppen.
Diesen Text habe ich in den grünen Bereich eingeteilt, er erfüllt die Vorgaben dieses Wettbewerbs vollständig, landet auf Platz 2 und erhält damit 10 Punkte.
_________________ Warning: Cthulhu may occasionally jumpscare people … |
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Kojote
ACME Buchstabenfabrikant
 Alter: 32 Beiträge: 1295 Wohnort: Wurde erfragt
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Verfasst am: 13.05.2021 16:10 Titel:
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Da schließe ich mich vollumfänglich an!
Ein wirklich, wirklich starker Text, muss ich sagen.
Die Rechtschreibung ist close to perfect, die Erzählweise professionell, damit habe ich mich für hervorragende 10 Punkte entschieden.
Einziger Wermutstropfen: Die Ausdrucksweise des alten Mannes ist doch sehr … "unalltäglich". Da hätte man etwas an der Wortwahl und am Satzbau feilen können, damit das Ganze realistischer wird.
Vielen Dank, gern gelesen.
Lieben Gruß
Der Kojote
_________________ Trust ██ ██. ██ your ███ government!
"To be, or not to be." (William Shakespeare)
"Doobedoobedoo." (Frank Sinatra) |
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holg
Exposéadler
 Moderator
Beiträge: 2070 Wohnort: knapp rechts von links
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Verfasst am: 13.05.2021 17:37 Titel:
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Die Story spricht mich an.
Die Allegorie, dass viel erneuert und verschönert wurde, aber das Fundament und mit ihm das Erdgeschoss genau so marode ist, wie immer schon. Und selbst die Bewohner merken es nicht.
Das Thema ist einerseits konkret umgesetzt, andererseits in der Selbsterkenntnis.
Zitat: | Vielleicht verhält es sich aber schon immer so, dass die Realität der Außenwelt nur Schein ist und man wahrhaftig nur das wahrnimmt, was sein eigenes Bewusstsein hervorbringt. |
Und der Text ist in diesem Sinne das Fenster in das eigene Bewusstsein, auch wenn es neben der Blindheit für den maroden Unterbau auch Realitätsverleugnung sichtbar macht, wenn auch nur in fein versteckten Details. Klar, da ist die Nachwendeproblematik, das abgehängt sein, die nur oberflächliche Veränderung der Verhältnisse, aber da ist auch die Covid19-Pandemie zu finden. Ich kann mich natürlich täuschen, aber in Argentinien, wo die Seuche gerne verharmlost wird, sterben die Menschen natürlich nicht an COVID, sondern an einer der häufigsten von der Krankheit hervorgerufenen Komplikationen: Myokarditis. harmloser Myokarditis. Und der Junge war nicht umsonst in letzter Zeit kaum draußen.
Scheinbar sehr konventionell erzählt, ist das doch ein aktueller Text, voller Anspielungen auf den realen Scheiß.
Was mich ein bisschen ärgert, ist, dass die 22:48 so tut, als würde sie etwas bedeuten, ich aber nicht dahinter komme.
_________________ Why so testerical? |
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Constantine
Bücherwurm

Beiträge: 3300
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Verfasst am: 14.05.2021 19:25 Titel:
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Wer hat an der Uhr gedreht oder ist es denn schon so spät?
Bonjour Inko,
ich gebe es zu, das Ende des Textes habe ich nicht verstanden:
Zitat: | [...]
»Ich dachte, du darfst nicht raus?«, frage ich verwundert. Der Blick des Jungen scheint verunsichert. Offensichtlich überlegt er, was er mir antworten soll. Er zuckt einmal mit den Achseln, dreht sich auf dem Absatz um und rennt mit dem Ball die Straße hinunter. Ist es nicht viel zu spät, um jetzt noch auf den Spielplatz zu gehen? Automatisch kontrolliere ich die Uhrzeit auf meiner Armbanduhr. Sie zeigt 22:48 Uhr. Und auf einmal weiß ich, was los ist.
Auf einmal reiße ich die Augen auf und schnappe nach Luft, hole Atem, ziehe tief den Sauerstoff in meine Lungen und fühle dabei das heftige Pochen in meiner Brust, wie es gegen meine Rippen drückt. Ich wirble herum, drehe mich im Kreis, sehe all die Fenster, suche hektisch und laufe weiter, renne, stolpere beinahe, bis ich es vier Häuser weiter auf der gegenüberliegenden Straßenseite gefunden habe. Außer Atem starre ich auf das Windspiel, dessen Metallstäbe sanft gegeneinander schlagen und ihre Melodie aus meinem Fenster hinaustragen. |
Was es mit der Uhrzeit auf sich hat, weiß ich nicht, auch nicht, warum der Protagonist wie von Sinnen umherläuft und nach seinem Fenster sucht, durch das er wohl rausgefallen scheint. Na, zum Glück hat er am Ende sein Fenster und somit sein Zuhause wieder gefunden, kann erleichtert der Melodie seines Windspiels lauschen und irgendwann wieder zurückklettern/heim gehen. Soweit so gut.
Alles davor ist munteres Geplauder zwischen Vergangenheit und Gegenwart, vertanen Chancen und des Müßiggangs in der Rentenzeit. Das Thema ist klar umgesetzt und der Text in meiner Top Ten: quatre points.
Merci beaucoup
Constantine
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Raven1303
Klammeraffe
 Alter: 39 Beiträge: 562 Wohnort: NRW
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Verfasst am: 14.05.2021 22:50 Titel:
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Liebe/r Unbekannte/r,
herrlich surreal! Gefällt mir sehr gut deine Geschichte. Sehr stimmig und Anforderungen sind auch alle erfüllt.
Sechs Punkte von mir.
LG Raven
_________________ Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen, die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den Nächsten vielleicht nicht vollbringen, aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm und ich kreise Jahrtausende lang.
Und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm? Oder ein großer Gesang... (R.M. Rilke) |
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RAc Klammeraffe

Beiträge: 640
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Verfasst am: 16.05.2021 12:25 Titel:
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Ein möglicherweise in einem Tagtraum gefangener Mann. In dem Traum läuft er an verschiedenen geöffneten Fenstern vorüber.
Vorgaben: Vermutlich erfüllt (s.u.)
Ausgestaltung:
Ein Aquarell aus sehr blassen Farben, aus denen sich kaum ein klares Bild rekonstruieren lässt. Der Prota hat möglicherweise einen Herzinfarkt oder eine ähnliche Krankheit (wie aus dem niemals aufgelösten Absatz "auf einmal weiß ich, was los ist..." zu erahnen ist). Er sucht dann panisch seine Wohnung, obwohl ein Hilferuf zum Notarzt die logischere Variante wäre. Möglicherweise hat er zu Hause Zugriff zu Medikamenten, aber wie sehr Vieles in dem Text lassen sich unter den Vielen Interpretationsmöglichkeiten keine zusammenhängend erschließen.
Es sind recht schwerwiegende handwerkliche Fehler im Text, wie z.B. die undifferenzierte Verwendung des Wortes "laufen" an Stellen, wo ein Laufen mit dem Tempo der Handlung unvereinbar ist. Auch die Funktion des Jungen am zweiten Fenster ist unklar. Die Wiederholung der Phrase "auf einmal" an der einzig spannenden Stelle in zwei Aufeinanderfolgenden Sätzen ist ein komplett unnötiger Stilfehler.
Insgesamt recht unrund. Schade, denn eigentlich mag ich ruhige und dahinplätschernde Erzählungen.
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silke-k-weiler
Klammeraffe
 Alter: 47 Beiträge: 684
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Verfasst am: 16.05.2021 19:24 Titel: Re: Die Gleichgültigkeit allen Seins
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Lieber Text,
Señora Incógnita hat Folgendes geschrieben: | Automatisch kontrolliere ich die Uhrzeit auf meiner Armbanduhr. Sie zeigt 22:48 Uhr. Und auf einmal weiß ich, was los ist. |
ich weiß noch nicht, was los ist, habe Dich dennoch gerne gelesen. Da steckt etwas Surreales in diesem Spaziergang durch das Wohnviertel, mit der Uhr, die stehen geblieben ist und den Gedanken, der Figur, die immer wieder in Richtung Realitätsbegriff und Wahrnehmung zucken. Und ich frage mich, ob der alte Mann und der Junge existieren. Oder ob die Ich-Figur tot ist. Auch geht es um Zeitfenster, die man verpasst, die das Leben irgendwann zuschlägt. So ganz kriege ich Dich nicht zu packen. Aber irgendwie gefällt mir das. Ich denke, ich nehme Dich mit in die nächste Runde.
Herzlichst
Silke
******************
Edit: Am Ende hat es leider nicht für Punkte gereicht. Tut mir leid.
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Katinka2.0
Eselsohr

Beiträge: 362
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Verfasst am: 17.05.2021 18:14 Titel:
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Watt? 🧐
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Jenni
Papiertiger

Beiträge: 4197
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Verfasst am: 17.05.2021 22:22 Titel:
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Handelt das vom Sterben? Ist der Erzähler um 22:48 Uhr gestorben und sein „Geist“ wandert durch die Straßen und nimmt alles verändert wahr? Er selbst ist das Kind und der alte Mann? Oder ein dementer Spaziergänger und ich verstehe die Pointe nicht.
Ich weiß dazu partout nicht mehr zu bemerken. Ist da mehr? Erzählt ist es schön.
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DLurie
Klammeraffe

Beiträge: 728 Wohnort: Zwischen den Stühlen
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Verfasst am: 18.05.2021 11:25 Titel:
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Aus Zeitgründen muss ich mich auf das Kommentieren meiner zehn Favoriten beschränken, und unter der Vielzahl der Texte hat es dieser nicht in meine (höchst subjektiven) Top Ten geschafft.
Dennoch vielen Dank fürs Lesendürfen!
LG
DLurie
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Kiara
Reißwolf
 Alter: 42 Beiträge: 1641 Wohnort: bayerisch-Schwaben
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Verfasst am: 18.05.2021 13:48 Titel:
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Hallo,
wie bei vielen anderen Geschichten gefällt mir hier das Ende besonders gut. Ein schöner Text. Doch das Niveau ist hoch und für Punkte reicht es dieses Mal leider nicht.
Trotzdem liebe Grüße und danke für deine Geschichte.
_________________ Zum Schweigen fehlen mir die Worte.
- Düstere Lande: Das Mahnmal (2018)
- Düstere Lande: Schatten des Zorns (2020) |
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Selanna
Reißwolf

Beiträge: 1167 Wohnort: Süddeutschland
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Verfasst am: 18.05.2021 15:24 Titel:
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In Bezug auf den Anfang habe ich mich gefragt, ob es nicht noch stimmiger wäre, erst mit dem zweiten Satz zu beginnen.
Die Atmosphäre ist gut, ich kann mich in den Ich-Erzähler einfühlen und flüssig durchlesen bis zu „Irritiert bleibe ich stehen, da mir bei dem Gedanken an die Uhrzeit nicht automatisch bewusst ist, wie spät es tatsächlich ist“. Da habe ich mich gefragt, ob einen das irritiert, den meisten ist die Uhrzeit nicht automatisch bewusst, wenn sie gerade an die Zeit denken. Die nächsten Sätze sind sehr, sehr kleinschrittig erzählt. Auch dass man schätzt, dass die Uhr stehen blieb, wenn der Sekundenzeiger sich nicht bewegt, verstehe ich nicht. Das ist doch ein ganz eindeutiges Indiz, dass sie definitiv stehengeblieben ist. – Im Nachhinein denke ich, verstehe ich, warum Du hier schwammig formuliert hast, ich würde es trotzdem nicht tun. In dem Moment, in dem der Ich-Erzähler auf die Uhr schaut, muss er mE denken, sie sei stehengeblieben.
Ich bin immer wieder gestolpert, zB auch bei „Wieder suche ich die Häuserfronten ab, als könnten sie mir einen Hinweis darauf geben, was war, als könnten sie sagen, was mein Ziel ist“. Gerade war er noch dabei, die Uhrzeit herauszufinden, jetzt sucht er übergangslos nach seinem Ziel. Vielleicht würde hier aber auch schon ein Absatz reichen, um den Themenwechsel zu verdeutlichen.
Was mir leider nicht so gefiel, war der Dialog. Es wird sehr viel gesprochen, erklärt, angefügt; er wirkt insgesamt nicht so natürlich auf mich.
Diese Sätze würde ich streichen: „Ich bin sicher, dass er nie dort war. Dass etwas geschehen ist, ein Ereignis, das seinen Plan verhindert hat“, denn das denke ich mir als Leser selbst. Hingegen der folgende Satz bzw. seine Aussage gefällt mir besonders: „Hätte ich in meiner Vorstellung bewusst daran gedacht, die Schwester wartete heute immer noch auf seinen Besuch, existierte vielleicht gar keine andere Realität, in der sie verstorben war“. Nur fügst Du dann wieder eine Erklärung nach, die es mMn eigentlich nicht braucht, zumindest nicht in der Ausführlichkeit.
Wie der Junge beschrieben ist, finde ich krass. Er erinnert an „eklatante Bilder“. Das Déjà-vu-Erlebnis und die Überlegungen im Folgenden gefallen mir wieder richtig gut, das hat was.
Leider habe ich die Auflösung am Schluss nicht verstanden. Er reißt die Augen auf … weil er die Augen vorher geschlossen hatte? War er bewusstlos? Hat das mit den gefährlichen, unrenovierten Erdgeschossen zu tun, die immer wieder erwähnt werden? Ist etwas eingestürzt? Ist das Unglück um 22.48 Uhr passiert? Ist der Junge er selbst in einer Erinnerung und der alte Mann er selbst in einer Zukunftsversion? Was hat es mit dem Windspiel und der Melodie auf sich?
Da ich den Text leider nicht ganz begriffen habe, was ganz allein an mir liegen kann, erfasse ich das Thema auch nicht. Es geht um Zeit, um drei Generationen (Junge, „Mittelalter“, alter Mann), es geht um sanierte Plattenbauten mit Renovierungslücken, also Stadtbildveränderung und, mir fällt gerade das Wort nicht ein, Standortwandel/Strukturwandel? Aber das zentrale Thema, das, worauf der Text hinauswill, das kann ich leider nicht sagen.
Die Themenvorgabe ist mE ausreichend umgesetzt, wobei er an den Fenstern weniger vorbeigeht als davor stehenbleibt. Die Sprache ist solide, flüssig, aber nicht außergewöhnlich, mir (imho) wird vereinzelt zu viel erklärt, an den Dialogen hätte man noch etwas feilen können, aber etliche Ideen waren auch gut, die Atmosphäre war stimmig. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das für mich E-Literatur ist, aber das zu bewerten fällt ohnehin am schwersten.
Die Wendung "mit den Achseln zucken" hatte ich erst vor Kurzem in einem Text im Forum gelesen und ich frage mich gerade, welcher das war bzw. von welchem Mitglied Ich weiß es leider nicht mehr.
Wenn ich es schaffe, ausreichend Texte zu lesen, schaue ich noch einmal hier vorbei, um zu bepunkten.
Liebe Grüße
Selanna
_________________ Nur ein mittelmäßiger Mensch ist immer in Hochform. - William Somerset Maugham |
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psi Leseratte

Beiträge: 128
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Verfasst am: 19.05.2021 00:11 Titel:
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Hallo, Text, schön, dass du da bist! :)
Dein Name ist ja schon eine Herausforderung an dich selbst – unterstellst allem Sein eine Gleichgültigkeit und hoffst gleichzeitig, dass deine Leser*innen dir gegenüber nicht gleichgültig sind … oder?
In deinem Satzblock sehe ich ganz viele Fenster, hinter denen sich Raum unendlich auszudehnen scheint. Aus einem schaut ein alter Mann, der das Ich mit "Hallo, junger Mann!" begrüßt, das wiederum einen kleinen Jungen mit "Hallo, junger Mann!" begrüßt, während die Zeit still steht; wohingegen vorher die Zeit gleichgültig weitergelaufen ist, während die Alter-Ego-Junger-Mann-Trinität still stand.
Am interessantesten finde ich die Fassadenplatten, die das Erdgeschoss nackt lassen.
Was ich nicht verstehe, ist die geschichtliche Ebene, zu der du immer wieder zurückkehrst. Anspielungen auf 70er Jahre und Wende; der Junge, der mit schuldbeladenen Abbildungen in Geschichtsbüchern verglichen wird; Corona-Pandemie, die sich einreiht in Momente für Geschichtsbücher, in denen Nicht-Gleichgültigkeit eine Veränderung bewirkt hat, Gleichgültigkeit Wegsehen und Schuld bedeutet hat, Gleichgültigkeit erzeugt wurde?
Sprachlich bist du mir zu sehr zugebaut, da hätte ich mir eine klarere Architektur gewünscht, die mehr Raum zum Atmen und eine Aussicht gewährt, die weiter reicht als bis zum nächsten Bausatz.
Am Ende gerätst du noch einmal in Bewegung, ein Wettlauf an all den offenen Fenstern vorbei zurück (oder nach vorn?) zum Uhrsprung, wo die Luft ins Windspiel dringt aber nicht mehr in die Lunge.
So ganz bin ich meiner Gleichgültigkeit mit dir nicht davongelaufen, aber vielleicht lande ich da auch nur wieder beim Ursprung deines Namens und frage mich, wie gleichgültig wir geworden sind gegenüber der Gleichgültigkeit.
Liebe Grüße,
Ψ
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Ribanna
Klammeraffe
 Alter: 59 Beiträge: 763 Wohnort: am schönen Rhein...
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Verfasst am: 20.05.2021 10:40 Titel:
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Kommentar um zu punkten. Sorry, hab nicht viel Zeit.
_________________ Wenn Du einen Garten hast und eine Bibliothek wird es Dir an nichts fehlen. |
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Globo85
Klammeraffe
 Alter: 37 Beiträge: 593 Wohnort: Südwesten
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Verfasst am: 20.05.2021 13:38 Titel:
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Die Fenster sind offen, einfach mit der Maus vorübergehen.
Disclaimer
Die folgende Bewertung stellt nur meine persönlichen Leseeindrücke dar. Wertende Aussagen beziehen sich lediglich auf den gelesenen Text, nie auf die Verfasser:innen. Die Punktevergabe und meine persönliche Rangliste ist natürlich vollkommen subjektiv, insbesondere die Bewertung unter dem Gesichtspunkt E-Literatur.
Ersteindruck
Schöner Twist und ein bisschen was zum Nachdenken.
E-Lit-Zugehörigkeit
Inhaltlicher Anspruch/etwas zu sagen/tiefer gründender Inhalt
Man sollte die Gelegenheiten nutzen, bevor es zu spät ist?
Stilistischer Anspruch
Ruhige unaufgeregte Sprache, aber es werden bedeutungsvolle Bilder gezeichnet.
Ungefügigkeit und Mehrschichtigkeit
Ungefügig? Eher nein. Mehrschichtig? Definitiv. Die unrenovierten Erdgeschosse, die Fragen der Realität, die Schicksale des alten Mannes und des Jungen.
Für mich: E-Literatur.
Umsetzung des Themas
Fenster
Fenster zurück in die eigene Wohnung (das eigene Leben?)
offen
Check.
Vorübergehen
Kann ich nicht so richtig erkennen.
Für mich: Thema teilweise umgesetzt.
Was mir gefällt
Dass ich beim zweiten Lesen viel mehr entdeckt habe, als beim ersten Mal. Dass da wirklich noch etwas unter der Oberfläche lauert an Bedeutung.
Was mir nicht gefällt
Ein, zwei Stellen zu Beginn, die für mich zu distanziert formuliert sind, daher wirkt der Beginn für mich nicht richtig ausgereift.
Lieblingsstelle/Lieblingssatz
„Vielleicht verhält es sich aber schon immer so, dass die Realität der Außenwelt nur Schein ist und man wahrhaftig nur das wahrnimmt, was sein eigenes Bewusstsein hervorbringt.“
Fazit und Punkte
Das Ende war beim ersten Lesen das Highlight, beim zweiten Lesen fielen mir dann die Stellen auf, wo man nachdenken, interpretieren kann. Wegen der starken Konkurrenz hat es leider ganz knapp nicht für meine Top Ten gereicht.
Keine Punkte.
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