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Kullervo
Wortedrechsler
 Alter: 29 Beiträge: 63
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 21.04.2021 14:51 David Kappus von Kullervo
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Ich war immer der Überzeugung, dass der Mensch viel simpler ist, als er sich selbst eingestehen möchte. Dass seine Launen nicht von großen Seelenbewegungen ausgelöst werden, sondern davon, ob er ordentlich gegessen, etwas Sonne abbekommen und sich ausreichend bewegt hat.
Das empfand ich immer als deprimierend. Denn wenn ich wirklich einmal traurig war, dann wusste ich während dieser Empfindung schon, dass es am nächsten Tag besser sein würde, nach einer Mütze Schlaf und ein paar sozialen Kontakten. Dieses Wissen davon, dass es besser werden würden, war für mich das Gegenteil von Trost, denn es bestätigte mir, dass alles so schrecklich banal war, mich selbst eingeschlossen. Und an nächsten Tagen ging es mir stets tatsächlich besser. Ich hatte Abstand zur Traurigkeit gewonnen, ein paar Menschen angelächelt, mein Bett gemacht und Gemüse gegessen. Es war alles so leicht. Und selbst in meinem zufriedenen Zustand hielt sich dieses Wissen von der Banalität doch hartnäckig in meinem Hinterkopf, wie ein Steinchen im Schuh.
„Ja ja“, mögen Sie jetzt sagen. „Dieser Kerl will sich mit der Behauptung nur selbst wichtig machen.“ Und ich würde Ihnen nicht wiedersprechen. Eine solche Aussage impliziert auch immer, dass man selbst etwas Besseres ist. Und macht mich das Wissen davon, dass ich ein simples Zahnrad bin, wieder zu etwas Komplexerem? Möglich, doch es fühlt sich nicht so an. Denn wie gesagt, mein Lebensgefühl und auch meine Tagesverfassung hängt einerseits von genetischen Faktoren als auch von kurzfristigen Umständen ab. Das ist wissenschaftlich bewiesen.
Wenn Sie mir nun ankreiden möchten, dass ich dies erwähne, dann können Sie das gerne tun. Sie können auch widersprechen und von Dingen wie der Liebe oder der Kunst sprechen, die - unabhängig von diesem Kohlenofen, der unsere Existenz ist - tiefe Regungen auslösen. Und Sie haben ja Recht. Und wenn Sie dieser Überzeugung sind, dann segne Sie der liebe Gott. Ich aber war immer der Überzeugung, dass der Mensch viel simpler ist, als er sich eingestehen möchte.
Und ich war auch dieser Meinung, als ich am Grabloch meines Vaters stand und dabei nicht traurig
war.
Mein Name ist David Kappus. Kappus kommt vom Wort Kohlkopf und ist wohl eine alte Bezeichnung für einen Kohlbauer. Irgendeiner meiner Vorfahren hat demnach Kohl angebaut. Ich selbst bearbeite zwar nicht das Land, doch führe einen ähnlich weltlichen Beruf aus. Ich habe Wirtschaftswissenschaften studiert und bin heute damit beschäftigt, die Analysen unseres betriebsinternen Financial Controllers zu kontrollieren. Das Kontrollierte kontrollieren. Die Zahlen und abstrakten Wertanlagen, die heute in unserem System hin- und hergeschoben werden, sind so etwas wie der Kohl des 21. Jahrhunderts und ich bin einer von Millionen Bauern, die sich um das Wohlergehen dieses ausgedachten Gemüses kümmern.
Das soll nun nicht bedeuten, dass ich meinen Job nicht mag. Ich bin gut darin, meine Kompetenz wird geschätzt und ich habe nette Kollegen. Ich habe nur keine besondere Leidenschaft dafür. Wüsste jedoch nicht, was schlimm daran ist. Ich weiß nicht, ob mein Kohlbauer-Vorfahre im 18. Jahrhundert eine Leidenschaft für Kohlanbau hatte. Bestimmt war er gut darin, führte es gewissenhaft aus und trug somit auf seine Art zur Gesellschaft bei. Aber seine Leidenschaft hob er sicher für andere Dinge als seine Arbeit auf. Lieber Vorfahre Kappus, ich verstehe dich. Lass dir nicht einreden, dass du irgendetwas für deinen Beruf empfinden musst, was dir nicht von alleine einfällt. Ziehe weiter stolz deinen Kohl.
Wie dem auch sei, mein Vater starb an Prostatakrebs. Als er diagnostiziert wurde, war es schon zu spät. Nach einem kurzen, halben Jahr der Chemotherapie und des Leids war es vorbei. Er wurde 65.
Natürlich traf mich das. Es ging alles so schnell und selbst, wenn ich in den letzten Jahren nicht viel Kontakt mit ihm gehabt hatte, war das doch alles eine große Scheiße. Einfach so, Krebs, Chemo, Hospiz, tot.
Ich war zwar schon irgendwie darauf vorbereitet gewesen, dass er bald sterben würde, so wie er die letzten Jahre gesoffen hatte, aber Krebs war dann doch ein Schlag ins Gesicht. Nun ja, ich bin darüber hinweg. Oder vielleicht nicht ganz, und deswegen schreibe ich das hier auf. Ich scheine Dinge sowieso seltsam zu verarbeiten. Denn eine Sache hatte ich nicht erwartet. Nämlich, dass ich bei der Beerdigung nicht traurig war. Eigentlich hatte ich mich vor diesem Tag gefürchtet, dieser Beerdigung meines Vaters. Ich denke, niemand freut sich auf so einen Tag. Bei mir kam noch dazu, dass ich eine Grabrede halten sollte und ich hatte nicht die geringste Ahnung, was zur Hölle ich über meinen Vater sagen kann. Es lag mir aber auch fern, irgendwelche Floskeln davon, was für ein lieber Mensch er gewesen sei und wasweißich zu erzählen. So musste ich hart an einer Lösung dieses Problems arbeiten. Letzten Endes hatte dies einige interessante Folgen. Und davon möchte ich berichten.
Weitere Werke von Kullervo:
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Hypatia88 Gänsefüßchen
H
Beiträge: 27 Wohnort: Offenbach am Main
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H 02.05.2021 18:09
von Hypatia88
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Hallo Kullervo!
Ich wundere mich, dass dieser Text bisher gar kein Feedback bekommen hat. Ich finde so etwas immer schade und bin deswegen gern die erste, die etwas schreibt, manchmal kommen danach noch andere.
Und ich muss sagen, dass mir der Text gut gefallen hat. Als jemand, der selbst mit Depressionen zu tun hat, kann ich zwar sagen, ich bin froh, wenn es mir nach einem schlechten Tag besser geht, ganz egal, woran das liegt - aber das ist nur ein persönlicher Kommentar.
Ich fand den Text intelligent, ein wenig philosophisch. Mir gefällt so etwas. Und da es ja der Anfang von etwas Längerem zu sein scheint, kann ich sagen, meine Neugier wurde geweckt. Ich habe auch eigentlich nichts groß zu kritisieren, sprachlich ist mir nichts negatives aufgefallen.
Vielleicht finden manche Leser diese Art von Text trocken weil zu Beginn nicht viel passiert, aber ich finde ja, dass die innere Realität oft wichtiger für uns ist als die äußere.
Insofern von meiner Seite Daumen hoch.
LG
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Sören
Gänsefüßchen
S
Beiträge: 48 Wohnort: Saarland
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S 04.05.2021 18:00
von Sören
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Moin Kullervo!
Ich schließe mich Hypatia88 an.
Auch mir gefällt der Text.
Manchmal lese ich einen Beitrag, der keine Rückmeldungen bekommt, und denke mir, was habe ich übersehen? Warum gibt hier niemand seinen Senf dazu? Dann scrolle ich hin und her und suche die Stelle an der geschrieben steht: bitte nichts dazu sagen!
Gut, so weit.
Ich denke, der Einstieg ist in Ordnung so. Mehr zum Thema oder eventuell zur Schreibtechnik lässt sich wahrscheinlich erst sagen, wenn man mehr Text sieht.
Zwei Kleinigkeiten:
Zitat: | Das Kontrollierte kontrollieren. |
Das kontrollierte Kontrollieren.
Zitat: | Lieber Vorfahre Kappus, ich verstehe dich. Lass dir nicht einreden, dass du irgendetwas für deinen Beruf empfinden musst, was dir nicht von alleine einfällt. Ziehe weiter stolz deinen Kohl.
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Ja – lebt er denn noch?
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Abby Overdevest
Schneckenpost
A Alter: 28 Beiträge: 9
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A 04.05.2021 19:44
von Abby Overdevest
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Moin Kullervo!
Ich kann mich den vorherigen Beiträgen nur anschließen.
Was ich an deinem Schreibstil sehr mag, ist die Abwechslung - mal kurze, mal lange Sätze, gut durchmischt, auf den Punkt. Das bringt eine gewisse Melodie in den Text, die aber gerade an den richtigen (traurigen) bzw. den Stellen gestoppt wird, an denen z.B. der Tod oder die Trauer thematisiert wird.
Ich wäre auf jeden Fall gespannt, was noch passiert. Der Anfang hat bei mir eine seltsam bedrückte Stimmung ausgelöst, die ab und an von der etwas sachlichen Sichtweise des Protagonisten unterbrochen wurde. Alles in allem, wie schon angedeutet, macht der Einstieg Lust, weiterzulesen.
LG Abby
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Rodge
Klammeraffe

Beiträge: 860 Wohnort: Hamburg
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 05.05.2021 10:07
von Rodge
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Moin Kullervo,
so ein bisschen bin ich hin- und hergerissen von deinem Text. Er ist gut erzählt, hat noch einige wenige Fehler (da hoffe ich allerdings auf Anmerkungen von anderen, die das besser bewerten können als ich). Auch schafft der Text es, Aufmerksamkeit bei mir zu erzeugen.
Allerdings stört mich die Erzählform. Die direkte Ansprache des Lesers versucht eine Art Vertrautheit, die mich irritiert. Ich kann dir gar nicht genau sagen, worin dieses Störgefühl liegt, vielleicht einfach daran, dass ich die Figur noch nicht so gut kenne und mich deshalb die Ansprache stört. Keinesfalls will ich dir von der Erzählform abraten, möglicherweise passt das sehr gut zu dem Text, ich gebe nur zu bedenken, dass es sein kann, dass sie Leser (so wie mich) eher abschreckt.
Grüße
Rodge
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Kullervo
Wortedrechsler
 Alter: 29 Beiträge: 63
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 05.05.2021 20:05
von Kullervo
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Moin ihr,
das hatte ich ja gar nicht erwartet, dass doch noch Antworten aufploppen. Dafür zuvorderst danke an Hypatia.
Tja, das ist ja vor allem nur Lob. Und der andere Input regt mich auch zum Denken an. Auch dein Beitrag, Rodge, dass dich die direkte Ansprache stört. Interessant. Schätze aber ihr habt alle Recht damit, dass noch mehr vom Text hermüsste, um es wirklich einschätzen zu können.
Es hat mich doch sehr gefreut, eure Meinungen zu lesen und sie haben mich im "David Kappus"-Projekt bestärkt.
Grüße
Kullervo
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