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Stille - Kurzgeschichte


 
 
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Hypatia88
Gänsefüßchen
H


Beiträge: 26
Wohnort: Offenbach am Main


H
Beitrag05.01.2021 16:01
Stille - Kurzgeschichte
von Hypatia88
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Soo, meine zweite Geschichte hier. Ich muss sagen, dass ich sie im Vegleich zur letzten, die ich hier gepostet habe, noch nicht so ganz rund finde, besonders das Ende.

Es geht zum Teil um das historische Schlachterhandwerk, von dem ich natürlich nicht viel weiß und mich aus einer Mischung aus Corona und Faulheit auf Online-Recherche beschränkt habe. Wenn jemand sich da auskennt bin ich froh über Anmerkungen Laughing

Ansonsten ist sie leider immer noch etwas über 2000 Wörtern, ich arbeite noch daran, mich kürzer zu fassen. Ich hoffe jemand nimmt sich trotzdem die Zeit.





Stille

Jeden Morgen bei Sonnenaufgang ging Albrecht gemeinsam mit seinem Sohn Anton zu dem Schlachthof, auf dem sie beide arbeiteten. Es war ein kurzer Weg, die kleine Wohnung seiner Familie befand sich am Rand des Viertels, das wiederum am äußersten Rand der Stadt, außerhalb der Mauern lag. Es war das Viertel der Gerber und Fleischer, der Knochenhauer, flussabwärts gelegen, nah am Wasser, in das sie die stinkenden Abfälle warfen. Es roch eigentlich immer abscheulich in diesem Viertel. Immerhin war es am frühen Morgen noch still. Es war Albrechts liebste Tageszeit. Sie trafen ein, zusammen mit den anderen Knechten, und hatten noch eine Weile Zeit, um ein paar Worte zu wechseln, bevor die Arbeit begann. Diese wurde hier fast ausschließlich von einfachen Handlangern erledigt. Der Meister, ein wohlhabender, angesehener Handwerker, der zur Gilde gehörte, machte sich beim Schlachten nicht die Hände schmutzig. Er kaufte das Vieh auf dem umliegenden Land an, verarbeitete mit seinen Gesellen das Fleisch und verkaufte es.
Albrecht übernahm mit drei anderen Männern das Schlachten und Zerteilen. Sein Sohn, der erst Zwölf war, ging ihnen nur zur Hand und war ansonsten dafür verantwortlich, zumindest den übelsten Schmutz zu beseitigen und ein Auge auf die zu schlachtenden Tiere zu haben.
Allzu viele schafften sie nicht am Tag. Wenn sie Schweine hatten, begannen sie mit diesen, denn Angst und Aufregung des Tiers schadeten der Qualität des Fleisches. Die Schweine waren schlauer als die anderen Tiere. Wenn es nur eines gab, ging alles noch halbwegs gut, sie betäubten es mit einem Schlag auf den Kopf, bevor ihm die Kehle durchgeschnitten wurde, damit es ausblutete. Für gewöhnlich starb es ruhig, außer in den Fällen, in denen die Betäubung zu leicht gewesen war. Von diesen gab es leider recht viele, denn Veit, der dafür zuständig war, war ein grober Mann, der sich weder besonders um das Weh und Wohl der Tiere, noch um gute Arbeit scherte.
Wenn es mehrere Schweine gab, wenn das Zweite das Blut roch, den Kot und den Urin, den das andere vor dem Tod abgegeben hatte, verstand es seine Situation schon gut genug.  Dann brauchte es manchmal drei Männer, um es zu halten und sein schrilles Quieken hallte durch das Viertel. Rinder, Ziegen und Schafe wurden bald von der Unruhe angesteckt und begannen ebenfalls Lärm zu machen. Die von anderen Höfen stimmten ein. Manchmal war es ohrenbetäubend.
Es war selbst für einen großen, kräftigen Mann wie Albrecht eine knochenharte Arbeit, tote Tiere in Tröge zu wuchten, kochend heißes Wasser heran zu schleppen, mit dem sie überbrüht wurden, um danach Fell oder Borsten zu entfernen, bevor es ans Ausweiden und Zerteilen ging. Auch das brauchte Kraft, erst recht, halbe Schweine oder Rinder aufzuhängen, bevor sie weiter verarbeitet wurden. Alles wurde verwertet, selbst das Blut, das Anton auffing und rührte, dass es nicht geronn, damit man Blutwurst damit machen konnte, auch die Eingeweide, wobei man die Gedärme noch von ihrem Inhalt reinigen musste. Am Ende des Tages waren alle schmutzig, blutig und erschöpft. Albrecht sprach nicht darüber, aber er hasste diese Arbeit.

Sein Sohn und er hatten nicht immer auf dem Schlachthof gearbeitet, tatsächlich waren sie erst seit einigen Monaten dabei. Vorher hatten Albrecht, seine Frau Agnes und ihre drei Kinder in einem kleinen Dorf gelebt. Sie bestellten Land, das sie gepachtet hatten. Die Erträge waren nicht hoch und wenn sie die Pacht bezahlt hatten, reichte es oft nicht zum Leben. Seine Frau und Tochter flochten Körbe, wenn sie die Zeit hatten, aber auch das brachte nicht viel ein. Sie hatten jahrelang nur überlebt, weil Albrecht das Gesetz brach. Er wilderte nachts im Wald, der dem Herzog gehörte. Er war sehr gut darin. Doch er war nicht der einzige, der auf diese Art sein Einkommen aufbesserte. Irgendwann reizte das den adligen Herren so sehr, dass er ein größeres Aufgebot von Männern einsetzte, um die Wilddiebe zu erwischen. Alle Wilderer, die sie in die Hände bekamen, wurden zur Abschreckung ihrer Genossen öffentlich  hingerichtet. Agnes flehte ihren Mann an, sich und seine Familie nicht dieser Gefahr auszusetzen.
So hatte Albrecht das Wildern aufgegeben. Daraufhin konnten sie sich aber nicht mehr auf dem Land halten. Um dem Hungertod zu entgehen, waren sie in die Stadt gegangen. Hier lebten sie in einer kleinen, schäbigen Unterkunft. Außer der jüngsten Tochter, Eva, die erst vier war, arbeiteten alle. Agnes und die dreizehnjährige Marie spannen und webten zuhause. Albrecht, der kein Handwerk gelernt hatte, fand keine andere Anstellung für sich und Anton als die auf dem Schlachthof. Wie man ein Tier zerteilte, das wusste er immerhin.

„Wenigstens musst du nun keine Furcht vor dem Förster mehr haben“, hatte seine Frau ihn getröstet. „Du musst nicht mehr Nachts in den Wald, wo es Wölfe oder Bären geben könnte und musst nicht am Tage schuften, nachdem du in der Nacht schon gearbeitet hast“.
Er hatte zustimmend gebrummt, doch eigentlich entsprach das nicht seinem Gefühl. Die Wahrheit war, dass ihm das Wildern fehlte.

Albrecht war kein Faulpelz gewesen, der Schlingen auslegte, sondern ein ernsthafter Jäger mit großem Respekt vor seiner Tätigkeit.
Er kannte viele Wildwechsel im Wald, Lichtungen, zu denen die Rehe, seine hauptsächliche Beute, zum Äsen kamen. Er jagte gern in mondhellen Nächten, in denen die Tiere besonders aktiv waren. Dann suchte er sich an einer vielversprechenden Stelle einen Baum, in dessen Geäst er sich versteckte und mit seiner Armbrust geduldig wartete, wenn nötig für Stunden. Das war oft schon recht ermüdend, es wurde kalt, so ohne Bewegung, der Rücken und die Beine schmerzten in der unbequemen Haltung.
Aber Albrecht genoss diese Zeit. Es war still im Wald, bis auf die Geräusche von Eulen und anderen Nachtvögeln, vielleicht ein paar Insekten und dem kaum hörbaren Zirpen von Fledermäusen. Er versank in einen Zustand tiefer Entspannung, er fühlte sich, obwohl ja wirklich immer eine gewisse Gefahr bestand, seltsam sicher und geborgen im Herzen des Waldes. Er war verbunden mit all dem Leben um ihn herum, all den Wesen, die, genau wie er, die meiste Zeit versuchten, so wenig Lärm wie möglich zu machen, um ihre Beute nicht zu verschrecken oder ihre Jäger aufmerksam zu machen. Dabei war es gar nicht so sehr die äußere Ruhe. Auch in seiner Hütte war es nachts still, mehr vielleicht als hier, doch diese Stille konnte bedrückend sein, sie war oft erfüllt von Schlaflosigkeit und quälenden Sorgen. Im Wald war es, als ob seine Seele schwieg, sein ganzes Wesen aufging in dieser Umgebung, einer einfachen Welt von Leben und Tod, die sich irgendwie richtiger anfühlte, als die der Menschen mit ihrer Plackerei.
Wenn schließlich ein Reh auftauchte, liebte er es, es noch einen Moment zu beobachten, seine zarte Anmut und Sanftheit, die scheue, vorsichtige Art, mit der es sich bewegte, fast ohne einen Laut zu verursachen mit seinen kleinen, leichtfüßigen Hufen. Er erlegte es auf die freundlichste Art, die möglich war, mit einem Schuss ins Herz, der es für gewöhnlich schnell tötete. So ein Schuss war  schwierig, doch er verfehlte sehr selten. Manchmal machte es ihn etwas traurig, dass seine Begegnungen mit den Tieren in deren Tod enden mussten. Dann erinnerte er sich an die Hetzjagden, die der Herzog veranstaltete, mit Hunden und dröhnenden Hörnern, die die Rehe in Panik versetzten, um sie dann in Netze zu treiben, wo sie gefesselt und verängstigt starben. Albrecht tötete die Rehe so, dass sie kaum wussten, was geschah. Sie starben so, wie es seiner Meinung nach jedes Wesen verdient hätte, ohne große Schmerzen, Angst, Verzweiflung. Nicht wie in der Hetzjagd. Und nicht wie die Tiere im Schlachthof. Er wusste, dass die Priester sagten, Tiere hätten keine Seele. Das mochte wahr sein. Doch dass auch sie fühlten und litten konnte eigentlich niemand, der seinen Beruf ausübte, übersehen.

Ihm fehlten die Worte, um Agnes zu erklären, was ihm am Wildern gefallen hatte. Aber er glaubte auch, dass sie ihn nicht verstanden hätte, selbst wenn er sie gehabt hätte. Es war etwas an dieser Zeit im Wald, etwas geradezu Mystisches, Heiliges, über das man schwer sprechen konnte und das die meisten Menschen wahrscheinlich nie empfinden würden.

Es machte ihn traurig, dass er diese Momente verloren hatte. Noch mehr aber bekümmerte ihn, dass sein Sohn sie wohl nie erfahren würde. Inmitten von Lärm, Schmutz und Gestank konnte Albrecht sich erinnern an diese Zeiten des Friedens. Anton, das war sein fester Entschluss, sollte sein Leben nicht mit dieser Arbeit verbringen. Der Junge beklagte sich nicht darüber, doch er schlief schlecht, hatte Albträume, seit sie in der Stadt wohnten. Gerade am Anfang war es ihm ständig übel gewesen. Er hatte den großen Wunsch, eine Lehre zu machen, ein richtiges Handwerk zu lernen. Seine Eltern sparten von dem Wenigen, was sie hatten, um ihm das zu ermöglichen und das Lehrgeld zahlen zu können. Die ganze Familie hatte sich diesem Ziel verschrieben. Marie, die ihren Bruder innig liebte, war sogar bereit, unverheiratet zu bleiben, da eine Mitgift für sie in dieser Lage nicht aufzubringen sein würde. Dies war der bescheidene Traum, den sie alle teilten und der ihnen half, die tägliche Mühsal zu ertragen. Zumindest bis zu jenem Tag, der ihnen fortan als Tag des Unglücks in Erinnerung bleiben sollte.

Er begann wie andere Tage auch, vielleicht sogar etwas heiterer, weil es Frühsommer war, die Sonne schien und die Schwalben schon am frühen Morgen übermütig durch den blanken Himmel jagten. Auch die Arbeit  ließ sich nicht so übel an. Keine Schweine an diesem Tag, nur Schafe und Rinder. Ihr erstes Schlachttier war ein Ochse, der sich sanft und ruhig verhielt. Vielleicht lag es daran, dass Veit, der am vorherigen Abend zu viel getrunken hatte und nicht ganz wach war, den Betäubungsschlag besonders lasch ausführte. Dies fiel niemandem auf – das Rind sackte zusammen und hing schlaff und schwer in ihrem Griff. Der Schnitt wurde gesetzt, das Blut strömte und Anton fing es wie immer in einem Eimer. Da zuckte der Bulle plötzlich, riss die Augen auf, warf den mächtigen Kopf hin und her, dumpfe, panische Laute ausstoßend, und schlug mit den Hufen nach vorn aus. Ein Hufschlag traf Anton an der Schläfe, der rückwärts umfiel und liegen blieb. Albrecht stürzte mit einem Schrei des Entsetzens zu seinem Sohn und zog ihn außer Reichweite, während die anderen Männer das Tier hielten, bis es, geschwächt durch den Blutverlust, endgültig zu Boden sank.
Er kniete neben dem Kind am Boden, seinen Kopf auf dem Schoß. Es war für den Moment nur eine relativ kleine, wenn auch stark blutende Platzwunde zu sehen. Das Gesicht des Jungens war weiß wie Kalk.
„Anton, komm, wach auf, wach auf!“, wiederholte Albrecht hektisch, beinah gelähmt vor Schreck. Die Knechte sammelten um sie, sobald der Bulle still lag. Keiner sprach ein Wort. Da blinzelte Anton und schlug die Augen auf. Seinem Vater kamen vor Erleichterung die Tränen.
Der Junge griff sich langsam, benommen an den Kopf und begann leise zu Wimmern.
„Vater, was ist geschehen?“, fragte er. „Mein Kopf tut so weh. Wo sind wir hier? Es stinkt so. Ich will nach Hause gehen“. Er weinte jetzt lauter. Albrecht, eben noch überglücklich, spürte eine neue Beklemmung aufsteigen. So sprach Anton sonst nicht. Er blickte auf in die besorgten Gesichter der anderen.
„Bring den Knaben heim“, sagte Michael, der älteste von ihnen, in beschwichtigendem Ton.
„Er braucht etwas Ruhe, dann wird er schon wieder. Aber heute Nacht muss jemand bei ihm wachen, wenn er schläft, vergiss das nicht“.
„Braucht er nicht einen Arzt?“, fragte Albrecht.
„Kannst du einen Arzt bezahlen?“ Der ältere Mann sah ihn mitfühlend an. Es war keine Antwort nötig. „In solchen Fällen können die Ärzte ohnehin nichts ausrichten. Betet und stiftet eine Kerze an den Heiligen Dionysius. Und vertraut auf Gottes Gnade“.
Michael legte Albrecht eine Hand auf die Schulter. Der stand auf, nahm seinen Sohn auf den Rücken und machte sich langsam auf den kurzen Heimweg. Nach Hause. Intuitiv war ihm klar, dass Anton ein anderes Zuhause gemeint hatte.
Der Junge erholte sich von der Verletzung, doch sein Wesen war und blieb verändert. Sein Verhalten, seine Sprache waren seltsam kindlich geworden, gleichzeitig war er oft unruhig und neigte zu jähen Gefühlsausbrüchen. Daran änderten auch die Kerzen nichts, die sie gestiftet hatten. Eigentlich hatten sie es auch nicht wirklich erwartet. Die Heiligen mussten sich sicher um wichtigere Leute kümmern. Anton konnte jetzt nicht mehr auf dem Schlachthof arbeiten, er blieb bei den anderen im Haus und flocht Körbe, aber meist fehlte ihm die Geduld, um länger daran zu arbeiten.
Eines Abends beschlossen Albrecht, Agnes und Marie gemeinsam, dass sie aufs Land zurückkehren wollten, egal wie schwer es sein würde. Ohne Hoffnung, ohne ein Ziel war dieses Leben nicht zu ertragen.


*
 

Drei Jahre später saß Albrecht mit Anton und Marie auf einem Baumstamm am Rande einer kleinen Lichtung im Wald. Es war eine milde Sommernacht, ein voller Mond stand am Himmel. Marie hielt die Hand ihres Bruders gedrückt, der ungewöhnlich ruhig und entspannt war. Seit sie zurück in ihr Dorf gezogen waren, ging es ihm etwas besser. Sie hatten in der Stadt Geld gespart, dennoch waren die letzten Jahre hart gewesen. Albrecht hatte das Wildern sein lassen, so mussten er, Agnes und Marie noch auf den Höfen anderer Bauern arbeiten, um über die Runden zu kommen. Albrecht ging  jetzt abends, wenn er die Zeit fand, oft nur zum Vergnügen in den Wald, auch wenn ihn die Nachbarn deshalb für wunderlich hielten. Es erfrischte ihn. Heute hatte er zum ersten Mal seine Kinder mitgenommen.
„Wie friedlich es ist“, sagte Marie leise. „Nun verstehe ich, warum du hier her kommst“.
Sie wandte den Kopf, als sie ein leises Rascheln zu ihrer Linken hörte. Auf die Lichtung vor ihnen trat ein Rehbock. Die Nacht war windstill und das Tier schien sie im Schatten nicht wahrzunehmen. Albrecht hatte Anton eine Hand auf die Schulter gelegt und hielt einen Finger vor den Mund, doch das war gar nicht nötig. Der Junge saß ganz still, ein erstauntes, beglücktes Lächeln lag auf seinem Gesicht.
Der Bock äste ein wenig, hob aber immer wieder wachsam den Kopf, witterte, und seine großen, beweglichen Ohren drehten sich nach hier und da. Der Körper war selbst in Ruhe von gespannter Energie erfüllt. Irgendwo knackte etwas und mit einem Sprung war er im Gebüsch verschwunden.
Sie saßen in glücklichem Staunen. Und für eine kleine Weile fühlten sie alle diesen Frieden, der alles Schwere zumindest für den Moment verblassen ließ.

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silke-k-weiler
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Beiträge: 750

Das goldene Schiff Der goldene Eisbecher mit Sahne


Beitrag08.01.2021 12:17

von silke-k-weiler
Antworten mit Zitat

Guten Morgen smile

ich finde, Du hast einen sehr flüssigen Schreibstil, ich konnte der Geschichte sehr gut bis zum Ende folgen, wie einem ruhigen Fluss.
Ohne jetzt an einzelnen Stellen feilen zu wollen, fehlt mir aber komplett der Spannungsbogen für eine abgeschlossene Kurzgeschichte. Die Szenen im Schlachthaus lesen sich für mich wie eine Nacherzählung Deiner Recherchen. Da würde mir noch ein wenig das Eindringliche fehlen, auch wenn ich mir die Atmosphäre grundsätzlich vorstellen kann. Albrechts Gedanken zur Jagd, seinem Einswerden mit der Natur und der Mystik des nächtlichen Waldes fand ich ganz spannend. Witzigerweise erinnert es mich an eine meiner Romanfiguren, die ganz ähnliche Gedanken hat, als sie zur Jagd geht. Der Kontrast zu seinem jetzigen Leben in der Stadt kommt gut heraus.
Insgesamt will ich nicht unbedingt sagen, dass die Geschichte langweilig ist, langweilig wäre als Begriff zur Umschreibung auch etwas inhaltslos, aber ich betrachte diesen Text nicht als abgeschlossene Geschichte, dafür passiert mir zu wenig, dafür wird zu viel und zu ruhig erzählt, sondern mehr als breit ausformulierte Skizze für etwas Größeres. Einen Ausriss aus einem historischen Roman, in dem Albrecht mit seiner Familie eine Rolle spielt, zum Beispiel.
Trotzdem gerne gelesen.

VG
Silke
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Sören
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
S


Beiträge: 48
Wohnort: Saarland


S
Beitrag09.01.2021 22:50

von Sören
Antworten mit Zitat

Moin Hypatia 88!

Du schreibst gut, es hat Spaß gemacht diese Zeilen zu lesen.

Du könntest aus der Geschichte mehr raus holen, denke ich, wenn du den Aufbau änderst, das Gerüst anders machst.
Der folge Satz sollte ganz weit oben am Anfang stehen:
Zitat:
Zumindest bis zu jenem Tag, der ihnen fortan als Tag des Unglücks in Erinnerung bleiben sollte.

Alles andere für die Mitte anpassen, und mit solch einem Satz aufhören.
Zitat:
Ein Hufschlag traf Anton an der Schläfe, der rückwärts umfiel und liegen blieb.
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Hypatia88
Gänsefüßchen
H


Beiträge: 26
Wohnort: Offenbach am Main


H
Beitrag12.01.2021 16:58

von Hypatia88
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Erst mal danke für das Feedback Smile

Silke, du beschreibst so ziemlich mein Empfinden - ich hatte eine Idee für die Geschichte, wusste aber nicht wirklich, wo ich damit hin will. Ein bisschen war auch die Länge das Problem, ich wollte atmosphärische Beschreibung, aber dnn fehlte etwas der Platz für das Ende da ich nicht so weit über 2000 Worte wollte Laughing

Aber ich habe das Ende auch eher als Verlegenheits Lösung gesehen, es hat mich nicht wirklich befriedigt.

Sören, du meintest, ich soll mit dem Tritt enden? Gute Idee eigentlich. Ich wollte ein etwas versönlicheres Ende, weil schon die letzte Geschichte die ich hier hatte sehr düster ausging, aber ja, wie gesagt, wie es jetzt ist gefällt es mir auch nicht.

Das finde ich aber auch gut, ich will vor allem am Erzählerischen arbeiten und ohne Trial and Error wird man nicht besser. Very Happy

Danke für eure Komplimente zum Schreibstil. Ich lese viel, durch verschiedenste Genres und Epochen und habe manchmal Sorge, ob ich zu altmodisch schreibe, freut mich dass das bisher keinen stört.
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Selanna
Geschlecht:weiblichReißwolf


Beiträge: 1146
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag14.01.2021 17:59

von Selanna
Antworten mit Zitat

Hallo Hypatia,

da ist Dir eine ruhige, nachdenkliche Geschichte gelungen, die einiges an Atmosphäre mitbringt. Am Anfang habe ich einige ins Detail gehende Anmerkungen, ab der Verletzung des Jungen habe ich den Text nur noch quer gelesen:

Zitat:
Es war ein kurzer Weg, die kleine Wohnung seiner Familie befand sich am Rand des Viertels, das wiederum am äußersten Rand der Stadt, außerhalb der Mauern lag. Es war das Viertel der Gerber und Fleischer, der Knochenhauer, flussabwärts gelegen, nah am Wasser, in das sie die stinkenden Abfälle warfen.

Das sind recht zerstückelte Sätze. Das ist keine direkte Kritik, fiel mir nur auf. In zwei aufeinanderfolgenden Sätzen verwendest Du „Viertel“

Zitat:
es roch eigentlich immer abscheulich in diesem Viertel. Immerhin

Zweimal hintereinander Wortstamm „immer“.

Zitat:
Sie trafen ein,

Der Bezug von „Sie“ kann ich zwar als Leser herstellen, aber wenn ich mich an meine Seminare in Textgrammatik erinnere, würde ich sagen, der Bezug fehlt.

Zitat:
Knechten

Das ist meines Erachtens die falsche Bezeichnung. Knechte gibt es in der Landwirtschaft, bei Gerbern und Fleischern dürfte es sich um Gesellen handeln. Oder Tagelöhner...

Zitat:
hatten

Schöner: ihnen blieb noch eine Weile Zeit

Zitat:
einfachen Handlangern

Dass ein Handlanger kein Meister oder Geselle ist, impliziert das Wort „Handlanger“, der somit zwangsläufig „einfach“ ist – nur meine Meinung.

Zitat:
der Meister, ein wohlhabender, angesehener Handwerker, der zur Gilde gehörte,

Handwerker waren, soweit ich mich erinnere, in Zünften organisiert, Gilden waren eher die Zusammenschlüsse von gehobenen Berufen im Handel – ich erhebe hier keinen Anspruch auf Korrektheit, aber es würde mich wundern, wenn Schlachtermeister eine Gilde gehabt hätten

Zitat:
verarbeitete mit seinen Gesellen das Fleisch

wenn der Meister wurstet, macht er sich ja doch die Hände schmutzig Wink

Zitat:
Zwölf

klein

Zitat:
ging ihnen nur zur Hand und war ansonsten dafür verantwortlich

Zitat:
zumindest den übelsten Schmutz zu beseitigen

Schmutz auf den Tieren oder das Blut/Gekröse nach der Schlachtung? Das habe ich mich wirklich gefragt, aber vllt bin ich da auch die Einzige

Zitat:
Allzu viele schafften sie nicht am Tag. Wenn sie Schweine hatten, begannen sie mit diesen, denn Angst und Aufregung des Tiers schadeten der Qualität des Fleisches. Die Schweine waren schlauer als die anderen Tiere. Wenn es nur eines gab, ging alles noch halbwegs gut, sie betäubten es mit einem Schlag auf den Kopf, bevor ihm die Kehle durchgeschnitten wurde, damit es ausblutete. Für gewöhnlich starb es ruhig, außer in den Fällen, in denen die Betäubung zu leicht gewesen war. Von diesen gab es leider recht viele, denn Veit, der dafür zuständig war, war ein grober Mann, der sich weder besonders um das Weh und Wohl der Tiere, noch um gute Arbeit scherte.
Wenn es mehrere Schweine gab, wenn das Zweite das Blut roch, den Kot und den Urin, den das andere vor dem Tod abgegeben hatte, verstand es seine Situation schon gut genug.  Dann brauchte es manchmal drei Männer, um es zu halten und sein schrilles Quieken hallte durch das Viertel. Rinder, Ziegen und Schafe wurden bald von der Unruhe angesteckt und begannen ebenfalls Lärm zu machen. Die von anderen Höfen stimmten ein. Manchmal war es ohrenbetäubend.

Das ist zu detailliert, fast wie eine Anleitung, hier würde ich kürzen.

Zitat:
„Du musst nicht mehr Nachts in den Wald, wo es Wölfe oder Bären geben könnte

War das größte Problem nicht, dass Wilderer demjenigen und seinen Gehilfen in die Hände fallen könnte, die das Jagdrecht innehatten? Bei Wildtieren würde mir außerdem gerade der Keiler fehlen.

Ich habe den Rest nur überflogen. Du schreibst flüssig und gut, romanhaft, aber für eine Kurzgeschichte müsste mE die Verletzung des Jungen früher erfolgen. Du erzählst die Lebensgeschichte und das  Gefühlsleben Albrechts in Rückblenden, fast umfassend, das gehört – wieder mE – nicht in eine Kurzgeschichte. Ich habe selbst ein paar Kurzgeschichten, die aufeinander aufbauen, da muss ich in der zweiten, dritten und vierten Folge auf die Vorgeschichte kurz eingehen, um sie ohne die erste Episode der Reihe verständlich zu machen. Da habe ich jedes Mal Bauchschmerzen, weil das eigentlich nicht zur Kurzgeschichte passt. Natürlich kann man von solchen Regeln immer abweichen, aber sei Dir dieses Aspekts bewusst: es ist eine Abweichung. Deshalb würde ich die Rückblenden zum Vorleben so kurz wie möglich halten, darüber hinaus ist Deine Botschaft wirklich sehr, sehr breit ausgeführt, da schaden ein paar (massive?) Kürzungen nicht. Und: lass sie nicht am Ende händchenhaltend im Wald sitzen und die Natur genießen. Sie haben in der Stadt auch kein Geld sparen können. Sie haben jetzt einen Esser, der selbst nichts mehr zum Unterhalt beitragen kann, es geht ihnen, egal wo, schlechter als vorher. Vielleicht sitzt der Vater am Schluss alleine im Wald und kann vor Sorge nicht einmal die Stille mehr genießen? Fände ich realistischer, aber ich habe einen Hang zu düsteren Enden.

Insgesamt ist Dein Stil schön, aber für eine Kurzgeschichte ist mir die Erzählun zu langatmig, zu wenig pointiert, es fehlt eine Wendung, sie plätschert ruhig dahin. – Das ist allerdings nur mein Eindruck, eine ganz subjektive Stellungnahme, eine Stimme unter vielen, die Du bitte nicht überbewerten solltest. Falls in meinen Anmerkungen was Hilfreiches für Dich dabei war, freut es mich, wenn nicht, dann vergiss sie einfach.

Liebe Grüße
Selanna


_________________
Nur ein mittelmäßiger Mensch ist immer in Hochform. - William Somerset Maugham
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Coel
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Beiträge: 26



C
Beitrag14.01.2021 19:12

von Coel
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Hallo Hypatia88

Ich habe deinen Text nicht zu ende lesen können.
Grund dafür waren die ellenlangen Bandwurmsätze. Und der Lesefluss stockte ständig.

So wie diesen hier.

Er war verbunden mit all dem Leben um ihn herum, all den Wesen, die, genau wie er, die meiste Zeit versuchten, so wenig Lärm wie möglich zu machen, um ihre Beute nicht zu verschrecken oder ihre Jäger aufmerksam zu machen.

Besser wäre es vielleicht so:

Er war verbunden mit all dem Leben und all den Geschöpfen. Wie er, versuchten diese Wesen, so wenig Lärm wie möglich zu machen. Die Beute sollte nicht verschreckt werden.

In dieser Art könntest du eventuell versuchen die Bandwurmsätze zu vermeiden und den Lesefluss zu erhöhen.

Zum anderen stockte immer wieder der besagte Lesefluss, da die »Satzmelodien« nicht stimmten.

Ein Beispiel:

Albrecht tötete die Rehe so, dass sie kaum wussten, was geschah.

Eine bessere »Satzmelodie« ergibt sich für mich so.

Albrecht tötete die Rehe unmittelbar. Sie mussten nicht leiden.

Beste grüße

Coel
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Hypatia88
Gänsefüßchen
H


Beiträge: 26
Wohnort: Offenbach am Main


H
Beitrag17.01.2021 15:22

von Hypatia88
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hui, danke Selanna für die Mühe so vieler Anmerkungen. Die muss ich noch in Ruhe durchgehen.
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