Irgendein Abend

[Elena]

Bilder, Schmerzen,
wir holen sie aus den Katakomben
unserer Erinnerung. Es gibt keine Gegenwart.
Was geschieht, geschah.

Unser zerbrochenes Dasein weist
auf die Unschuld der Kindheit. Wir sprechen
mit unseren toten Träumen, und Schlaf
ist Schlaf erloschener Sterne.

Wir vergessen sogar das Vergessen,
so allein unter den Vielen, den Übergangenen,
den Zerrütteten, wir suhlen uns im
Selbstmitleid der Mitläufer.

Aber:
Immer noch der Mond.
Und warm in unserer Brust pulst, tobt
das Herz der Erde.

[Nina]

liebe elena,

dies mal keine genaue analyse, sondern die beschreibung dessen,
was ich beim lesen erfuhr.  
während ich dein gedicht lese, synchronisiert sich etwas im innern
mit den gelesenen worten. erinnerungen, in sekundenschnelle das
auftauchen bestimmter bilder, worte, erfahrungen ...
der bewusste oder unbewusste sprung aus der gegenwart in etwas
vergangenes, das noch nicht verwunden ist, noch wunde ist. der
bruch, eine erschütterung, vielleicht eine trennung, oder das zerstörte
weltbild, jedenfalls erfahrungen, die unvorstellbar waren, traumatisch
waren, wurden wahr und rüttelten am menschen.

einzig die mitläufer kann ich nicht überein bringen mit dem, was im
zwiegespräch ist zwischen dem gedicht und mir. ein gedicht kann
eben auf unterschiedliche weise wirken und sprechen. mich hat es
jedenfalls, wie vor beschrieben, berührt und angesprochen. vermutlich
ist es politisch gemeint, doch im moment spricht es nur so wie genannt
zu mir.
der mond ist da, er steht über uns, auch die sonne ist da und unter
uns das herz der erde. daraus spricht hoffnung.

ich wünsche dir eine gute woche, liebe elena,
beste grüße,
nina

[Elena]

Liebe Nina,

ja, es ist ein Gedicht trauriger Erinnerungen. Wie gut du dich einfühlen kannst. Sicher, es ist auch politisch gemeint. Aber sieh mal, Lyriker sind auch Menschen wie du und ich, gerade wir sollten Zeitzeugen sein, die Dinge beim Namen nennen, ich bin der Ansicht, das ist der Sinn von Lyrik, wenn sie dem Leser auch etwas mitgeben will. Du weißt doch: Wer schreibt, der bleibt. Der Leser soll verstehen, mit wem er es beim Autor zu tun hat, das ist meine Vorstellung. Was natürlich nicht heißt, dass Lyrik ohne politischen Bezug keine Lyrik ist.

Nina, mach dir keinen Kopf, du musst nicht jedes Gedicht so gründlich analysieren, wie du es so oft getan hast. Was du geschrieben hast, zeigt mir, ich wurde verstanden, und zwar richtig. Und das freut mich.

Liebe Grüße, Elena