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Vom Berg und von der Freiheit


 
 
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F.J.G.
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Alter: 33
Beiträge: 1955
Wohnort: Wurde erfragt


Beitrag29.10.2020 22:05

von F.J.G.
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CIPO86 hat Folgendes geschrieben:

Dabei will ich es bewenden lassen.


Das wäre dir so recht!

Nein, wir werden es garantiert nicht dabei bewenden lassen.

Deine böswilligen Anschuldigungen, hier öffentlich vorgetragen, grenzen an Rufmord. Das kann und werde ich nicht auf mir sitzen lassen. Hier so eine unhaltbare Tirade gegen mich aufzufahren und dich dann so billig davonzustehlen sagt mehr über dich als über mich.

Nachdem du hier abermals schmutzige Wäsche öffentlich wäschst, sehe ich auch keine weitere Vertrauensbasis, eine Diskussion auf normaler Ebene mit dir fortzuführen.

Deswegen werde ich zur Mediation die Moderation dieses Forums um ein Eingreifen bitten.

Sollte sich im Rahmen dessen nachweislich herausstellen, dass ich mich in diesem Forum dermaßen daneben benommen habe, wie du es behauptest, werde ich dieses Forum gern dauerhaft verlassen.


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Phenolphthalein
Geschlecht:männlichKlammeraffe


Beiträge: 838

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Beitrag30.10.2020 20:27

von Phenolphthalein
Antworten mit Zitat

Hallo Leute,

als jemand, der selbst (früher deutlich mehr), einige Texte mit Ellen langen Kritiken auseinandergenommen hat. (vgl. Kojote) und gleichzeitig teilweise recht derbe – ich sag mal. Kritiken verpasst hat (ja verpasst hat) (vgl. Kojote), nehme jetzt mal eine Vermittlerrolle ein.

Mein persönliches Verhältnis zu Kojote spielt dabei keine Rolle, noch kann ich mir anmaßen, ihn einschätzen zukönnen, daher verwende ich jetzt mal die „ich-Form“

Wenn ich einige sicherlich auch hilfreiche Kritiken verfasse, damit den Nagel auf den Kopf treffe und/oder sie nicht zuletzt auch deswegen als konstruktiv empfunden werden, entschuldigt das noch lange nicht jedes Fehlverhalten, dass mir dann auch unterlaufen ist. Punkt.

Das eine hat mit dem anderen nämlich nichts zu tun.
Es ist meine Entscheidung oder vielmehr sollte es sein, den Text/ die Kritik so zu verfassen, dass sie alle Regeln der [gesitteten] Gesprächsführung bedient.
Ich für meinen Teil muss da auch einwerfen, dass nicht jede bissigere Kritik auch angreifend gedacht war, aber teilweise eben schon.

So. Aber es wäre meine Pflicht gewesen, ALLE Texte so zu verfassen, dass sie nicht als Angriff gewertet werden. Sie können trotzdem so ausgelegt werden, das hängt schließlich auch von der Empfängerseite ab.
Doch bin ich sehrwohl in der Lage:
A) zu prüfen, ob das witzig, belehrend, oder sogar arrogant bis hinzu provokant ist.
Gab es hier Stellen/Beiträge, die in diese Richtung hätten gehen können?
B) zu entscheiden, ob und wie ich reagiere.

Das Tolle ist ja, ich whatsappe nicht, ich telefoniere nicht, ich bin in keinem Gespräch „face to face“, ich kann meine Worte wählen und wenn ich vielleicht angesäuert bin oder mich der Text auf welche Weise auch immer herausfordert, kann ich ihn sogar liegen lasen, überdenken, überarbeiten, ja sogar verwerfen.

Eine Lektion, die ich lernen musste (mit Hilfe anderer im Forum, ohne dass ich deren Namen nennen werde, aber Danke dafür) und bisweilen auch noch lernen darf.

Ribanna: Du warst wohl ein wenig verstimmt, oder?
Ehrlich?
Ich wäre es auch gewesen.
Deine Kritik ist ehrlich und direkt, aber nicht angreifend. Wenn sie so ausgelegt wird, dann kannst du gut damit leben (solltest du jedenfalls). Der Autor hat sich (aus welchen Gründen auch immer, ob vorgeschoben oder nicht, ob durchdacht oder nicht ob ...)  dagegen entschieden seinen Text so zu präsentieren, wie man es als Leser und Kritiker gerne hätte. Er hat sich nicht einmal die Mühe gemacht „Gerold“ zu nutzen.
Ich kann mir vorstellen, dass mich das aufgeregt hätte, schließlich soll ich mich dann damit ernsthaft beschäftigen?
Das „Bild“ des Textes lässt aber diese Ernsthaftigkeit vermissen.
Ich hätte mich damit nicht mehr beschäftigt und gut ist. Keine Kritik ist auch eine Kritik.
Dir war es aber wichtig, deinen Unmut kundzutun, oder?
Okay, das hast du getan. DAS muss keine weitere Hilfestellung beinhalten. Hilfe ist es allein zu sagen, dass man seinen Text bitte so präsentieren soll, wie man es kann.
Man soll sein Bestes geben, nichts weiter. Das ist auch Respekt dem Publikum gegenüber. Dann kommen bestimmt auch „konstruktivere“ Reaktionen.

Jetzt bitte nicht direkt an die Decke gehen, Kojote.

Deine erste „Kritik“ widerlegte die Antwort, dass „Word“ oder das Fehlen dieses Programmes Schuld an der Groß- und Kleinschreibung sei.
Kann vielleicht witzig sein, aber wirklich nur das?

Deine Antwort auf Ribannas Reaktion. Ist das wirklich nur die reine Zustimmung gewesen?

Ich denke, das kann man u.U. auch eine Portion Provokation drin sehen. Und die habe wohl nicht nur ich daraus lesen können.  

Deine durchaus auch als konstruktiv empfundenen Kritiken, entschuldigen dann aber noch lange nicht, die – sagen wir – weniger konstruktiven.
A hat nicht zwangsläufig mit B zu tun.

Also: In diesem Faden lief sicherlich vieles nicht so ganz sauber. Doch den EINEN Schuldigen dafür zu suchen, oder ihn klar zu benennen, fällt mir persönlich schwer.
Und das als jemand, der selbst schon an den Pranger gehörte.

Euch allen einen schönen Abend und einen entspannten Start ins Wochenende.
Bleibt gesund!

Pheno


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Nichts ist leichter, als so zu schreiben, dass kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, dass jeder sie verstehen muss.

-Arthur Schopenhauer
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Benedict
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Beiträge: 22



B
Beitrag31.10.2020 13:00

von Benedict
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@All

Ich will mich nochmal entschuldigen. Ich habe mir vor dem Post weder die Foren-Regeln durchgelesen, noch ist mir in den Sinn gekommen, dass es so etwas wie einen Lesefluss gibt, der durch die Form des Textes, dem Leser zugute kommt. Ich würde mich freuen, wenn ihr dem Text, wenn er überarbeitet ist, nochmal eine Chance zu gebt. Lg
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F.J.G.
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Alter: 33
Beiträge: 1955
Wohnort: Wurde erfragt


Beitrag31.10.2020 13:10

von F.J.G.
Antworten mit Zitat

Aber Benedict,

das habe ich von meiner Stelle doch längst bestätigt:

Zitat:
Ich bin sehr zufrieden, dass Benedict so zurückgerudert ist und auch ich nehme seine Entschuldigung gern an und freue mich auf gute Zusammenarbeit in der Zukunft.


Ich bin nach wie vor der Ansicht, dass du ein Ehrenmann bist. Den Sinn eines Forums misszuverstehen bzw. gegen nicht gelesene Regeln zu verstoßen ist kein Weltuntergang.


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Benedict
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Alter: 38
Beiträge: 22



B
Beitrag10.11.2020 12:05
Vom Berg und von der Freiheit (Überarbeitet)
von Benedict
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Hier nochmal mein Einstandstext. Ich habe das Gefühl, dass dieser Text noch einige Baustellen hat, ich aber damit im Moment nicht weiter komme. Mich würde aber interresieren was ihr davon haltet. Es ist die erste längere Geschichte die ich geschrieben habe. Vielleicht schaffe ich es irgendwann diesen Text noch abzurunden, dafür fehlt es mir aber im Moment an Kapazität. Laufe etwas aufm Zahnfleisch.... Dennoch, viel Spaß beim Lesen. Freue mich auf eure Kritik.


Vom Berg und von der Freiheit

1


Er saß in der kleinen Pause für seinen täglichen Burger mit Bier. Er war diesmal etwas früher da als sonst. Gleich nach dem Aufwachen trieb es ihn aus raus. Seine Einzimmerwohnung, mit nur einem Fenster, war dunkel. Einen Ausblick hatte er nicht. Die Sicht aus dem Fenster fiel direkt auf das Nachbarhaus und sein Zimmer, das in der Mitte der engen Gasse war, die zwischen den beiden Häusern lag, bekam tagsüber kaum Licht. Am Tag zuvor hatte er es wieder übertrieben und zu viel getrunken. Dreimal war er beim Kiosk gewesen. Der Verkäufer hatte beim letzten Mal nicht mehr mit mehr mit ihm gesprochen. Er hatte nur seine 3 Bier auf den Tresen gestellt und so als ob er es missbilligte, dass er so viel trank, sagte der Verkäufer:
"1,80."

Die Frührente, die er bekam, reichte kaum aus und das er jeden Tag Burger essen konnte verdankte er nur dem Erbe seiner Mutter. Sie war vor 2 Monaten von einem Bus überfahren worden als sie, wie immer, unachtsam über die Straße ging.
"Ampeln würden nur Zeit stehlen.", sagte sie immer.
Er trauerte zwar um seine Mutter, doch in seiner Jugend hatte er sich von seiner Familie entfernt und seit dem sein Leben alleine gelebt. Als seine Mutter starb, hatten sie schon ein halbes Jahr nicht gesprochen. Sein Vater hatte die Familie verlassen als er 3 Jahre alt war und er hatte nie wieder Kontakt zu ihm gehabt. Er wusste nur, dass er nach Holland auswanderte und dort in einer Fabrik angestellt war, die Fisch verarbeitete. Zu seinem 12 Geburtstag bekam er eine Postkarte von ihm. Es waren Tulpen drauf. Hinten stand nur "Alles gute zum 10. Geburtstag." Dass sein Vater sein Alter nicht kannte und das er, seit er sie verlassen hatte, nichts mehr von ihm gehört hatte, berührte ihn kaum. Seine Mutter gab ihm die Karte mit einem gequältem Gesichtsausdruck.
"Dein Vater hat dir geschrieben.", sagte sie und ließ ihn mit der Karte alleine in seinem Zimmer.
Sie hatten nie wieder darüber gesprochen.

Er aß relativ lustlos seinen Burger und war in Gedanken. Er wusste nichts anzufangen mit seinem Leben. Seit dem Arbeitsunfall vor 3 Jahren waren die Tage eintönig. Spät aufstehen. Einkaufen. Eventuell zu den Landungsbrücken runter und einmal über den Pier gehen. Einen Schlenker zur U-bahn St. Pauli und dann wieder runter zum Edeka in der Paul-Rosen-Strasse, wo er wohnte. Dann Bier. Fernsehen. YouTube. Dokus. Katzenvideos. Tutorials wie man Schuppen oder ähnliches zusammenbaut. Er hatte bei OBI gearbeitet und musste dort auch Schuppen zusammen bauen. Das Arbeiten mit Holz und das Schrauben hatte ihm immer Spaß gemacht. Seit dem Unfall mit seiner Schulter und dem späteren Bandscheibenvorfall konnte er aber nicht mehr schwer arbeiten.

Sein PC hatte noch immer einen Röhrenmonitor der ziemlich klein war. Wenn er Videos guckte, saß er auf den Ellenbogen gestützt, direkt vor dem Monitor und guckte hin. Bier neben sich stehen. Aschenbecher auf der anderen Seite. Ab und zu kaufte er sich ein wenig Grass am Hamburger Berg. Er vertrug es nicht besonders gut und rauchte es eigentlich nur aus Langeweile und um schlafen zu können. Er drehte sich alles, was er für 10 EUR bekam, in ein gewöhnliches Blättchen und rauchte es so schnell er konnte. Danach fühlte er sich meistens noch schlechter und legte sich ins Bett. Alles drehte sich und er ließ sich einfach vom Rausch einfangen bis er einschlief.

Er hatte seinen Burger aufgegessen und das Bier war leer.
"Vielen Dank.", sagte er zu der kleinen mit den Locken und der Brille. Sie hatte etwas Ehrliches, das er sehr an ihr mochte. Er ging raus und stand auf der Straße. Wohin? Links die Schanze, rechts St. Pauli. Freunde hatte er keine mehr. Einer war vor 10 Jahren an Leberzirrhose gestorben und ein Freund aus seiner Jugend hatte früh geheiratet und war nach Niendorf gezogen. Danach hatte er nichts mehr von ihm gehört.

Er lief in Richtung St. Pauli. Kurz zum Kiosk und noch 2 Bier für den Weg. Alle liefen an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Schicke Hipster, die alle gleich aussahen. Eingefleischtes St. Pauli Volk. Man sah sich, erkannte sich, lief aneinander vorbei. St. Pauli hatte einen Flair, den man wohl nur kannte, wenn man dort wohnte und es unter der Woche erlebte, wenn keine Leute zum Feiern da waren. Die Leute die dort zuhause waren schätzten genau das an dem Viertel. Er genoß die Herzlichkeit die er dort beim einkaufen erlebte oder in Gesprächen aufschnappte, wenn er an Leuten vorbei ging die sich unterhielten. Dass er dort niemand kannte, war eben einfach so. Er war eben ein Einzelgänger.

Als er an der Ampel, die über die Reeperbahn führte halt machte, stand eine Frau dort und telefonierte. So um die 40. Er hatte sie schon öfters gesehen. Sie wohnte wohl auch im Viertel.
"... Ja total lustig. Nee du kennst doch Jens. Der war doch schon immer so... Ja, sobald es irgendwo was zu trinken und Titten gibt ist er da.... Ja stimmt.", sie lachte.
Sie telefonierte wohl mit einem Freund. „Was die wohl erlebt hatten?“, fragte er sich. Wie lange kannte sie wohl diesen Jens? Wie lange kannte sie den oder die mit der sie telefonierte?
"Ja bin grad' an der S-Bahn. Bin in fünf Minuten da."

Die Ampel wurde grün. Er ging auf die andere Seite und in die Silbersackstrasse. Dann bei der Kneipe "Onkel Otto" die Hafentreppen runter und rüber zum Wasser. Jens war bestimmt ein lustiger Typ. Einer der immer einen lustigen Spruch auf den Lippen hat und gerne mal einen trinkt. Vielleicht kannten die sich ja seit der Schule. Vielleicht war sie Teil einer Clique von Freunden, die ihr ganzes Leben schon befreundet waren. Sie gingen Abends in Kneipen oder gingen Tanzen. Oder trafen sich bei jemand zuhause. Einfach nur um zu Quatschen. Vielleicht ein bisschen wie eine kleine Familie. Er setzte sich auf einen Stein und machte sich ein Bier auf. Die Möwen schriehen. Das Wasser rauschte. Wie die kleine aus der kleinen Pause wohl hieß? Hatte sie Familie? Arbeitete sie schon immer da? Warum machte er sich heute so viele Gedanken? Er nahm einen Schluck aus der Flasche und schaute aufs Wasser hinaus. Der Tag heute war irgendwie anders. Er dachte es sei vielleicht der Kater, den er hatte aber auf einmal kam ein Gefühl in ihm auf, das er so eigentlich noch nie empfunden hatte. Er fühlte sich einsam. Alleine. Auf einem Abstellgleis. Nie was gewollt. Sich nie um was gekümmert. In einem Leben gefangen, in dem er eigentlich nur auf den Tod wartete. Er nahm noch einen Schluck Bier. Er kam sich auf einmal so nutzlos vor und die Tränen stiegen ihm in die Augen. Er unterdrückte sie. Er vermisste seine Mutter, obwohl sie nie für ihn da war. Er war wütend auf seinen Vater und auf die Karte vom Kiosk mit den Tulpen. Er war 57. Nie verheiratet gewesen. Immer irgendwie funktioniert und sich nie gefragt, ob er so glücklich war. Das Leben war halt so wie es war. Arbeit. Essen. Schlafen.

Er stürzte das Bier herunter, stellte die leere Flasche neben sich und erbrach es gleich wieder. Benommen stand er auf, um nachhause zu gehen. Das zweite Bier vergaß er und ließ es dort stehen. Ihm war übel. Er ging langsam den gleichen Weg zurück. Treppen. Onkel Otto. Silbersackstrasse. Kiez. Paul-Rosen-Strasse. Tür. Treppenhaus. Als er die Haustür schloß, fing er an zu weinen. Er ging in die Hocke, lehnte sich an die Wand und schluchzte. Niemand war da. Er war komplett alleine. In ihm stieg wieder die Erinnerung an seinen 12. Geburtstag und die Postkarte auf. Er wischte sich die Tränen weg und stand auf. Er wollte nach oben in seine Wohnung gehen, doch in dem Moment wo er die Treppe ansah und die erste Stufe nehmen wollte, kamen wieder die Tränen. Er kannte St. Pauli. Er mochte die Menschen dort. Warum hatte er nie nach Kontakt gesucht? Warum war er nie in eine Kneipe gegangen? Warum hatte er nie ein Gespräch mit der kleinen aus der kleinen Pause angefangen? Wieso lebte er an einem Ort, an dem er sich zuhause fühlte, ohne wirklich da zu sein. Er war im Inneren auf einmal ganz klein. Er hatte zwar immer das Gefühl irgendwie glücklicher sein zu können aber das war nun mal einfach so. Es war nichts, wofür man sich hätte schämen brauchen. Jeder hat Probleme.

Die Tür ging auf. Seine Nachbarin kam herein. Sie war ungefähr so alt wie er und wohnte auch alleine. Sie hatten sich, als sie eingezogen war, mal vorgestellt.
"Hallo. Ich bin Ute."
"Hallo. Ich bin Ulli.". Man grüßte sich, wenn man sich sah aber sie hatten nie wirklich miteinander gesprochen. Sie sah ihn an und er blickte zurück.
"Mein Gott Ulli! Was ist denn mit dir?". Die Fürsorge in ihrer Stimme tat ihm gut und er freute sich das jemand da war.
"Komm mal mit. Du kannst doch nicht hier auf der Treppe sitzen wie ein Häuflein Elend. Komm steh auf."
Sie nahm ihm beim Arm und half ihm auf die Füße.
"Sieh dich nur an... Was ist denn passiert?"
Ulli brachte keinen Ton heraus. Er schluchzte nur noch ein wenig.
"Komm mal mit. Du kannst mir alles erzählen. Wir sind doch Nachbarn. Und wir alten Hasen hier im Viertel sind doch Familie."
Sie gingen gemeinsam die Treppe hoch. Noch immer konnte Ulli keinen Ton von sich geben.
"Ich war beim Bäcker und hab Berliner besorgt. Komm mit zu mir. Wir trinken einen Kaffee. Das wird dir guttun. Und wenn du magst erzählst du einfach, ja?"
Sie lächelte ihn an als sie die Wohnungstür aufschloss und er fühlte eine Art von Geborgenheit, die er schon fast vergessen hatte.

2

An diesem Nachmittag konnte er es Ute nicht beschreiben was passiert war. Er wollte es auch nicht. Es tat ihm gut einfach bei ihr zu sein, Kaffee zu trinken und Berliner zu essen. Sie fragte nicht nach. Sie war einfach da. Sie schwiegen eine Weile. Dann fing sie an zu erzählen.
"Du Ulli, weißt du eigentlich, dass ich schon immer auf St. Pauli gewohnt habe? Geboren und aufgewachsen.", sagte sie stolz. "Hast du auch schon immer hier gelebt?". Ulli nickte. "Und dann sind wir uns noch nie begegnet? Seltsam. St. Pauli ist doch ein Dorf. Hier kennt doch jeder jeden."
"Ich bin nicht viel draussen.", sagte Ulli. "Als ich noch gearbeitet hab, war das das einzige, was mich raustrieb. Ich geh manchmal spazieren aber ansonsten bin ich immer nur zuhause."
"Das geht doch nicht.", sagte Ute. "Du bist auf der Meile, Mensch. Hier tobt das Leben! Warst du nie mal unterwegs? Mit Freunden die Nacht durchmachen?"
"Doch schon.", sagte Ulli. "Aber das ist lange her. Und sonst war ich eigentlich immer nur für mich."
"Ulli, Ulli, Ulli". Sie ächelte ihn an. Er spürte ihr Wohlwollen, doch guckte nur scheu zu Boden. Für ihr Alter sah sie noch sehr gut aus. Sie musste in ihrer Jugend eine Schönheit gewesen sein, dachte er. "Ich war immer viel unterwegs.", sagte Ute. "Früher kannte mich jeder Türsteher und die meisten ließen mich umsonst rein, wenn ich alleine war.". Sie grinste ihn an. "Vielleicht auch, weil sie dachten, dass sie dann bei mir landen könnten. Ich wusste, wenn ich ihnen ein bisschen schöne Augen mache und sie mir warm halte, dann lassen sie mich immer durch. Einer hat es mal versucht als seine Schicht zu Ende war und kam in den Club. Mann hat der versucht mich abzufüllen. Riesig einen auf Macker gemacht der Bursche. Am Ende war er so betrunken, das er auf einem Sofa eingeschlafen ist und ich hatte eine Nacht für lau.". Ulli mochte ihre freche Art. Sie war wohl eine Frau, die es verstand zu Leben und er fragte sich, warum sie alleine lebte.
"Trinkst du gerne Bier?", fragte sie ihn.
"Ja schon. Nur ab und an zuviel."
"Das ist doch super! Weißt du was? Ich glaub, du brauchst mal frischen Wind um die Ohren. Ich war selber schon ewig nicht mehr weg, aber wenn du möchtest dann gehen wir zwei mal auf Tour!"
Er war schon so lange nicht mehr wirklich in Gesellschaft gewesen. Eigentlich war ihm das immer zu viel. Er wurde immer sehr still, wenn viele Menschen um ihn herum waren und einen Abend auf dem Kiez mit den ganzen jungen Leuten? Aber etwas, an dem was Ute erzählt hatte, gefiel ihm und weil er so etwas nie erlebt hatte, wurde er neugierig.
"Komm schon..." Ute lächelte ihn an.
"Ja ok. Das können wir gerne irgendwann mal machen aber..."
"Super! Samstag dann! Wie ist 8 für dich? Um 8 bei mir? Das nennt sich Vorglühen, weißt du? Man trinkt zuerst was bei jemandem bevor man losgeht."
Das ging Ulli etwas zu schnell. Er wurde unsicher. Der Kiez. Die vielen Leute. Das Laute. Die vielen Betrunkenen. Irgendwie machte ihm das Angst. Ute bemerkte das und sagte:
"Keine Widerrede! So ein alter Stubenhocker, wie du, muss mindestens einmal in seinem Leben eine Kieznacht erlebt haben. Und wenn man hier sein ganzes Leben gewohnt hat und sowas so gut wie nie gemacht hat, wird es höchste Zeit! Du hast ja mich als Führerin." Ute zwinkerte. "Was soll da schiefgehen? Ich wette, es wird dir gefallen."
Ulli guckte wieder zu Boden. Sein ganzes Leben wohnte er hier und er war nie raus gegangen. Er hatte das pralle Leben quasi vor der Haustür und hatte nie den Drang gehabt, daran Teil zu haben. Vielleicht war es zu spät für ihn. Das machten doch nur junge Kids und es würde ihm bestimmt keinen Spaß machen, dachte er. Aber was hatte er zu verlieren?
"Aber keinen Club. Vielleicht gehen wir an die Landungsbrücken und..."
"Ach!", unterbrach ihn Ute." Hopp oder Top!". Sie lächelte ihn an.
"Nagut.", sagte Ulli nach einer Weile und etwas in ihm war froh darüber, das er diese Verabredung annahm. "Yippie!", schrie Ute und klatschte in die Hände.
"Das wird super!"
Sie saßen noch ein wenig beieinander und tranken ihren Kaffee aus. Ulli merke aber bald, das er nachhause wollte und verabschiedete sich von Ute.
"Nicht vergessen. Wir haben ein Date!", sagte sie beim Abschied.
"Nein, tu ich nicht."
Sie gab ihm noch einen Berliner mit und er ging rüber, in seine Wohnung. Als er die Tür zu seiner Wohnung aufmachte, kam ihm eine Wand aus kaltem Rauch und abgestandenem Bier entgegen. Er öffnete sein Fenster, nahm die leeren Bierflaschen vom Schreibtisch, stellte sie zur Eingangstür und leerte die Aschenbecher aus. Seine Wohnung war schmutzig. Das fiel ihm jetzt erst so richtig auf. Er ging in die Küche und machte den Abwasch. Er wischte den Schreibtisch ab. Er machte sein Bett und putzte das Klo. Als er fertig war, war es schon spät und er war müde.

In dieser Nacht hatte er einen seltsamen Traum. Er träumte von Ute, die ihm eine Postkarte mit Tulpen darauf gab, auf der stand "Nicht vergessen. Wir haben ein Date!". Er träumte auch von der kleinen aus der kleinen Pause, die ihm einen Teller mit Berlinern servierte. Er wachte früh am Morgen auf, konnte sich an den Traum aber nicht erinnern.

Es war Freitag. Die Sonne schien. Es war Anfang September und der Spätsommer war noch in vollem Gang. Er ging ins Bad, wusch sich und zog sich an. Dann machte er einen langen Spaziergang. Erst zum Altonaer Balkon, dann runter zum Elbstrand und mit der Fähre wieder zurück zu den Landungsbrücken und von dort in die kleine Pause.
"Einen Bruce Bacon Burger, bitte."
"Kommt sofort."
Sie schien zu bemerken, dass er heute ein wenig verändert schien und lächelte ihn an. Das Bier ließ er diesmal weg.

3

Es war Samstag und Ulli erwachte mit gemischten Gefühlen. Einerseits freute er sich auf den Abend, andrerseits war ihm mulmig und er hatte ein wenig angst. Er wollte es einfach auf sich zukommen lassen und beschloss sich nicht zu viele Gedanken zu machen. Der Tag wie üblich. Spazieren gehen an den Landungsbrücken. Burger in der kleinen pause. Als er wieder nachhause kam, betrachtete er sich im spiegel. Er sah müde aus, wie immer. Seine Klamotten waren abgetragen. Er ging zum Schrank und guckte, ob er irgendetwas hatte was nicht total runter war. Aus Klamotten machte er sich wenig. Er trug immer das, was grade da war. Seine alte Lederjacke hatte viele Risse. Er überlegte, ob er den Anzug tragen sollte den er zur Beerdigung seiner Mutter getragen hatte aber verwarf diese Idee wieder. Er beschloss einfach die sauberste Jeans und ein Hemd anzuziehen, dass er bisher nur selten getragen hatte und noch fast neu war. Es war relativ warm und er glaubte, dass er die Jacke nicht brauchen würde. Es war jetzt 5 Uhr nachmittags. Mit Ute war er erst um 8 verabredet. Er beschloss sich nochmal hinzulegen und dann gut zu Abend zu essen, um nicht auf nüchternen Magen die Nacht zu beginnen.

Er konnte nicht gut schlafen und wälzte sich nur hin und her. Die Aufregung auf den bevor stehenden Abend ließ ihn nicht zu Ruhe kommen. Nach kurzer Zeit stand er wieder auf und beschloss sich anzuziehen. Vor dem Schrank hielt er kurz inne. Vielleicht sollte er doch absagen aber der reiz etwas Neues zu erleben war da. Was sollte schon passieren und wollte er wirklich so weiter leben? Nie wirklich etwas erlebt zu haben? Einfach weiter alleine bleiben? Nein. Er würde sich auf diesen Abend einlassen und versuchen es zu genießen.

Er holte die Klamotten aus dem Schrank und zog sich um. Dann aß er zu Abend. Grillfleisch von Penny. Dazu Knoblauch Baguette. Als er fertig war, war es kurz vor 8 und er betrachtete sich nochmal im spiegel. Er war aufgeregt. Er hatte ein wenig angst. Er ging ins Bad und holte eine verstaubte Dose Haarwachs hervor und schmierte sich viel zu viel davon in die Haare. Prüfend sah er in den spiegel, um sich nochmal zu betrachten. Auf einmal fühlte er sich wie ein kleiner Junge. Verloren stand er da und blickte in den spiegel. Sein Spiegelbild blickte verloren zurück. Er entschied sich doch seine Jacke anzuziehen, steckte seinen Tabak und den Schlüssel ein und verließ die Wohnung.

"Hallo Ulli." Ute öffnete die tür. Sie hatte ein kurzes schwarzes Kleid und Netzstrümpfe an. Sie hatte nicht verlernt sich zu schminken. Obwohl nur dezent, brachte es ihr Gesicht zur Geltung und Ulli war kurz in ihren Bann gezogen.
"Komm rein." Ulli gehorchte und folgte ihr in die Küche.
"Bier? Wein? Wodka?" Sie lächelte. "Ich habe etwas vorgesorgt und ein wenig von allem besorgt damit wir gut vorbereitet sind für heute Abend."
"Ich glaube, ich nehme erstmal ein Bier." Er war nervös. Etwas Alkohol würde bestimmt helfen sich zu entspannen. Ute setzte sich an den Tisch und zündete sich eine Zigarette an. Es lief Musik die er nicht kannte. Etwas rockiges. Er hatte nie viel Musik gehört.
"Also. Mein Plan ist: Wir lassen es uns hier erstmal gut gehen. Dann könnten wir auf den Hamburger Berg gehen und Mexikaner trinken. Später dann rüber auf den Hans-Albers-Platz und dann noch auf die Große Freiheit. Das Standard Programm für Anfänger sozusagen." Sie zwinkerte ihm zu.
"Was sind Mexikaner?", fragte Ulli.
"Du hast noch nie Mexikaner getrunken?", fragte Ute entsetzt. "Die sind super. Es sei denn du hast was gegen Chilis oder Ketchup." Sie lächelte. Ulli konnte ihr nicht folgen und dachte sich nichts weiter dabei. "Mexikaner ist quasi eine Bloody Mary in Schnaps Form. So ähnlich jedenfalls."
Ulli nickte und öffnete sein Bier. Er stand ein bisschen hilflos da und wusste nicht was er sagen sollte.
"Setz dich.", sagte Ute.
Er zog seine Jacke aus, legte sie über den Stuhl und nahm Platz.
"Ich bin nervös.", sagte er.
"Na dann sie zu, dass du das Bier da runter kriegst. Was glaubst du wozu Alkohol gut ist."

Sie saßen in der Küche und tranken Bier. Zuerst waren sie relativ still.
"Was hast du so gemacht gestern?"
"Ach, nichts Besonderes."
Später erzählte sie ihm von Nächten die sie erlebt hatte. Sie erzählte Geschichten von Jungs die sich um sie prügelten. Sie erzählte von Partys die sie gefeiert hatte. Von Gesprächen die man auf Toilette führte während man wartete. Von Bekanntschaften die man machte während einer Nacht auf St. Pauli. Bekanntschaften die sich einfach so ergaben. Man feierte die Nacht zusammen durch und sah sich danach nie wieder. Sie erzählte von frischen Franzbrötchen die man sich am morgen beim Kiezbäcker kaufte.
„Wenn die frisch aus dem Ofen kommen sind sie am besten.“, sagte sie.
Sie erzählte von einem letzten bier, an den landungsbrücken in der morgensonne und von den strassenkehrern, die am morgen die überreste der nacht beseitigten, wenn die meisten schon nachhause gegangen waren.
"Das Beste am Feiern, wenn man auf dem Kiez wohnt, ist das, wenn man jemand abschleppt, man keine Bahnfahrt vor sich hat, während der man vielleicht merkt was für ein Dämlack diejenige ist, den man sich da ausgesucht hat. Hattest du mal eine Freundin, Ulli?"
"Nein, nie."
Er war ein paar mal im Eros Center gewesen und hatte sich dort einen blasen lassen, nachdem ihm Sex versprochen worden war. Die Frauen dort begründeten das so, dass das auch Sex sei und für richtigen Sex müsste er mehr als 50 EUR zahlen. Diese Erfahrungen waren alle sehr ernüchternd gewesen und er hatte nach ein paar mal nicht den Wunsch es zu wiederholen.
"Macht ja nichts. Dann haben wir ein weiteres Projekt das wir nach unserer Kieznacht angehen können.", scherzte Ute. Ulli musste lächeln. Die drei Bier die er getrunken hatte zeigten ihre Wirkung und er entspannte sich allmählich.
"Hey, ein Lächeln! Hinter diesem H&M Hemd und der Pomade im Haar steckt ja ein Mensch.", neckte sie ihn. Das erschreckte ihn allerdings wieder und er guckte scheu zu Boden.
"Hey, nimm mich nicht so ernst Ulli. Ich versuch doch nur dich ein bisschen aufzulockern. Die alte Ute hat ne riesen Schnauze aber glaub mir, auch wenn ich es sein kann würde ich nie ernsthaft gemein zu dir werden. Du bist ein gestrandeter. Einer der in der letzten Bahn eingepennt ist und drei Stationen zu weit gefahren ist. Du hast jetzt einen kleinen Fußweg vor dir. Aber, weißt du, auf so einem weg kann man der Nacht einen bestimmten Charm abgewinnen und ich bin hier um dir die Augen zu öffnen, dass du auf diesem nachhause weg nicht daran vorbeiläufst."
Etwas von dem, was sie gesagt hatte sprach zu ihm. Es kamen bilder in ihm auf, die er früher wahrnahm, ohne sie zu beachten. Er dachte an seine Jugend und wie er einmal mit freunden am Elbstrand zum Osterfeuer saß. An die schatten, die Strassenschilder im Licht von strassenlaternen warfen und wie es sich änhört, wenn man alleine durch einen U-Bahnhof läuft.
"Weisst du was Ute? Ich freue mich auf heute Abend."
"Das wollte ich hören!" Sie lachte. "Gut, eigentlich sind wir so gut startklar. Jetzt gibts noch zwei Kurze und dann gehts los!"

4

"So, da wären wir.", sagte Ute als sie die Haustür schloss. "Los gehts."
Sie nahm Ulli beim Arm und gemeinsam machten sie sich auf den weg. Es war dunkel und auf den Straßen waren schon einige Menschen unterwegs. Sie schlenderten den Bürgersteig entlang auf dem Weg zum Hamburger Berg. Ute plapperte fröhlich vor sich hin doch Ulli hörte ihr kaum zu. Er schaute in der Gegend herum. Als sie am Budnikowsky in der Talstraße vorbei kamen, gingen sie an einer Gruppe jugendlicher vorbei die dort standen und tranken. Musik tönte aus einem Handy.
"Ja Digga, heute ist Abriss!", sagte einer von ihnen. Eine Flasche Wodka in der einen Hand, mit der anderen schubste er einen seiner Freunde. Ein anderer saß in der Hocke, an die Wand gelehnt und drehte einen Joint. Ulli guckte ein bisschen verstört. Etwas an der Art dieser Gruppe schüchterte ihn ein.
"Mach dir nichts aus denen.", sagte Ute. "Die sind jung. Die sind laut. Lass sie ihren Spaß haben."
Er fühlte sich wohl bei Ute.

Es war 10:30 und die Nacht begann grade erst auf St. Pauli. Die Bars am Berg waren noch nicht voll. Sie gingen gleich in die erste. Ute sagte, sie würden jetzt in jede reingehen und zwei Mexikaner trinken. Drinnen angekommen war es laut. Einige Leute saßen am Tresen und tranken Bier. Hinten spielten welche Kicker. Es lief Musik.
"Mögen die Spiele beginnen.", sagte Ute als sie auf einem Hocker Platz nahm. "Wilkommen auf St. Pauli."

Die Bedienung kam und Ute bestellte vier Mexikaner.
"Hier zahl ich. In der nächsten zahlst du."
Die Drinks wurden serviert.
"Cheers!"
Mexikaner schmeckten gar nicht so schlecht, dachte sich Ulli.
"Ist das Wodka?"
"Nee, Korn und Sangrita."
"Was ist Sangrita?"
"So ein Tomatenzeugs."
"Achso."
Die Musik war so laut, dass sie während sie sich unterhielten sich gegenseitig ins Ohr sprechen mussten.
"In dieser bar, hab ich mal morgens um 5, einen total betrunken Jungen kennengelernt. Ende 20. Student. Wahnsinnig süß, aber kein Gespür für ältere Frauen. Das ich ihn mitnehmen wollte hat er gar nicht gemerkt."

Sie unterhielten sich eine weile und Ulli vergaß dabei seine Unsicherheit. Sie fragte ihn, was er früher gearbeitet hatte. Er erzählte ihr von seiner Zeit bei OBI und das ihm, im Lager, ein großer Terrakotta Blumentopf auf die Schulter gefallen sei, weswegen er seinen linken arm nicht mehr gut bewegen konnte und aufhören musste dort zu arbeiten.
"Dann warst du doch bestimmt mal ein starker Mann, wenn du soviel schleppen musstest?"
Sie guckte ihn frech an.
"Naja. Vielleicht etwas kräftiger aber nicht unbedingt stark, würd ich sagen."
"Ich muss mal auf Klo."
Sie stand auf und ging nach hinten zu den Toiletten. Auf einmal war er allein. Allein in einer Bar, die er nicht kannte. Die Musik war laut. Er guckte verlegen um sich und zu den Leuten die hinten Kicker spielten. Sie schienen Spaß zu haben. Neben ihm saßen zwei Jungs so um die 30 und unterhielten sich. Die Bedienung hatte grade nichts zu tun und rauchte. Er kramte nervös in seiner Jacke herum, holte seinen Tabak raus, drehte sich eine Zigarette und rauchte ebenfalls. Der Geruch in der bar war irgendwie angenehm. Er konnte es nicht ganz ausmachen was es war. Zwischen dem Geruch von Zigaretten und Bier lag noch etwas anderes in der Luft. Es war wohl der Geruch den eine bar hat, wenn dort Jahre lang geraucht, getrunken, getanzt, geschwitzt, gekotzt, dann wieder sauber gemacht wurde und es am nächsten Wochenende wieder von neuem begann. Es war allerdings ein angenehmer Geruch. Ute kam zurück.
"Na, Ulli? Auch noch hier?"
Sie lächelten sich an.
"So. Mexikaner Nummer 2."
Sie stießen an und tranken.
„So. Die erste Bar hätten wir geschafft. Weiter gehts.“

In dieser Nacht schafften sie es nicht ganz den Hamburger Berg abzuarbeiten. Sie gingen immer im zickzack über die Straße von Bar zu Bar. Jeh später der Abend wurde desto mehr Leute waren unterwegs. Viele standen einfach nur vor den Bars und tranken. Nach 5 Bars waren beide schon relativ angetrunken und Ulli war entspannt. Er hätte nicht gedacht das ihm der Abend so viel Spaß machen würde. Er war zwar die meiste Zeit relativ still, genoss es aber Ute zuzuhören wie sie Anekdoten erzählte oder einfach nur Blödschnack hielt. Als sie etwas mehr als die Hälfte vom Berg geschafft hatten, waren sie so betrunken das sie beschlossen es für heute sein zu lassen und nachhause zu gehen.

Sie verließen die Bar und machten sich auf den Rückweg. Vor einem Kiosk stand die Gruppe jugendlicher die sie vorher beim Budnikowsky gesehen hatten. Aus einer Laune heraus, stolperte Ulli, mit einem blöden Lächeln auf den einen zu, schlug ihm auf die schulter und schrie:
"Heute ist Abriss!"
Der Junge guckte ihn an. Zuerst überrascht, dann aggressiv.
"Was Abriss, Opa?", schrie er und schubste ihn. Ulli stolperte zwei schritte zurück. Was hatte er denn getan? Der junge kam auf ihn zu und schlug ihm so heftig ins Gesicht, das Ulli umfiel. Als sein Kopf auf die Straße aufschlug, verlor er das Bewusstsein.

"Ulli, Ulli, komm zu dir!"
Er machte die Augen auf und sah Ute, wie sie ihn besorgt ansah. Die Gruppe von Jungs war verschwunden und um ihn herum standen einige Leute und schauten ihn an.
"Sollen wir einen Krankenwagen rufen?", fragte einer der beistehenden Leute.
Ulli rappelte sich auf und sah etwas verdutzt um sich. Der schlag, hatte ihn genau an der Schläfe getroffen. Er betastete die stelle und merkte, dass er blutete.
"Los Ulli, steh auf.", sagte Ute.
Er blickte nochmal um sich und kam auf die Füße.
"Was für Arschlöcher. Sind sofort abgezischt."
"Polizei ist schon auf dem Weg.", sagte eine Frau die neben ihm stand.
"Was?.. Nein.", stotterte Ulli.
"Los, wir verschwinden.", sagte ute und sie machten sich unter heftigen Protesten der beistehenden auf den weg.

Als sie zu Hause ankamen, sagte Ute er sollte noch mit zu ihr kommen und sich was auf sein auge legen, damit es nicht zu dick wird. Er nahm in der Küche Platz. Ute kramte eine Packung gefrorene Erbsen aus der Tiefkühltruhe und gab sie ihm.
"Hier. Leg die auf dein Auge."
Ulli war etwas verwirrt. Er war wieder komplett nüchtern, nur der Kopf dröhnte ihm.
"Klasse. Da nehm ich dich mit und dann passiert sowas. Keine Ahnung was in den gefahren ist. Du hast doch nichts gemacht. Was für Dreckskerle."
"Ich wollte doch nur einen Spaß machen. Ich dachte, er würde das lustig finden.", sagte ulli.
Die Kühlung von den Erbsen tat ihm gut.
"Ach, Ulli. Du bist aber auch ein Pechvogel."
Sie schwiegen eine weile. Draussen war es noch relativ laut. Menschen unterhielten sich, es wurde gelacht. Normalerweise überhörte er diesen Lärm aber in dieser Nacht wusste er, woher er kam und nahm ihn anders war.
"Weisst du was? Zu Hölle mit dem. Ich hoffe, er hat sich seinen kleinen Finger gebrochen!", sagte Ulli.
Ute lächelte ihn an.
"So gefällst du mir schon besser.", sagte sie.

Er blieb noch eine weile aber sie sprachen kaum noch miteinander. Er wurde langsam müde und beschloss nachhause zu gehen. Als Ute ihn zu Tür brachte, umarmte sie ihn und sagte:
"Lass dich nicht unterkriegen Ulli. Aus dir machen wir wieder einen ganzen Kerl. Wenn du magst machen wir da weiter wo wir heute aufgehört haben, nächstes Wochenende."
Sie streichelte ihm über die aufgeplatzte Schläfe.
"Gute nacht, Ulli."

5

Als er am nächsten Tag aufwachte, hatte er einen kleinen Kater. Sein Auge war ein bisschen dick und hinten am Kopf hatte er eine Beule. Die Erbsen hatten ihren teil getan und eine Schwellung verhindert. Er kochte sich einen Kaffee, machte sein Fenster auf und stellte sich einen Stuhl davor. Die Sonne schien und er genoss die Morgenluft während er seinen Kaffee trank und rauchte. Er dachte an den gestrigen Abend. In einer bar in der sie waren, lief Highway to Hell von ACDC. Das war eines der Lieder die er kannte. Es lief manchmal im Radio als er noch bei OBI gearbeitet hatte. Er erinnerte sich wie Ute es mitsang und dazu tanzte. Er musste lächeln. Auch wenn er eine aufs Auge gekriegt hatte, hatte er den Abend genossen. Die vielen Menschen. Die laute Musik. Die Mexikaner. Lachen. Scherze. Das alles hatte ihm Spaß gemacht und er hatte Lust auf die nächste Nacht mit Ute. Ob sie wohl auch verkatert war? er ging rüber zum pc, schaltete ihn ein und öffnete youtbe. acdc. Highway to Hell. Seine kleinen PC Boxen klangen furchtbar und sie waren zu leise. Wenn er sie ganz aufdrehte, schepperte es nur noch. Er tippte mit dem Fuß im Takt während Brian Johnson sang und zog an seiner Zigarette. Musik machte ihm Spaß. Nur der Klang, war miserabel. Ihm fiel ein, dass verkaufsoffener Sonntag war. Er schaltete den PC aus und ging ins Bad, duschte, zog sich an und verließ die Wohnung.

"Hallo. Kann ich ihnen behilflich sein?"
Der MediaMarkt Mitarbeiter sah ihn freundlich an und Ulli blickte gedankenverloren zu ihm auf. Er stand vor einem Regal mit MP3 Playern.
"Ja. Ich bin auf der Suche nach einer Stereoanlage. Sie sollte schon laut sein können und einen guten klang haben."
"Ja, da kann ich ihnen dieses Modell empfehlen."
Er nahm ihn mit zu einer Kompaktanlage die wohl grade im Angebot war. Ein kleines silbernes Gerät. Radio. Cd Spieler. Boxen links und rechts.
"Für den täglichen gebrauch, sollte die völlig ausreichen."
Ulli betrachtete die Anlage. Ein unscheinbares gerät.
"Kann ich mal hören, wie sie klingt?"
"Natürlich.", antwortete der Mitarbeiter. Er schaltete das Radio ein.
"...die Hits der 80er. 90er. 2000er. Und das beste von heute. Radio Hamburg."
Ein Lied erklang das er nicht kannte. Die Anlage hörte sich besser an als seine Boxen zu Hause. Aber irgendwie fehlte ihm da etwas.
"Haben sie nicht etwas mit mehr Wumps?"
"Na klar. Folgen sie mir."
Er nahm Ulli mit um die Ecke wo die teuren Geräte standen. Er stelle sich neben ein System aus CD Spieler, Verstärker und Boxen und schaltete es ein. Klassische Musik ertönte. Der klang, war erstklassig.
"Ich drehe sie mal ein bisschen auf, damit sie besser hören können."
Die boxen verbreiteten einen glasklaren Ton.
"Wow. Klasse.", sagte ulli.
Er sah auf das Preisschild. 2999 EUR. Theoretisch konnte er sich das leisten. Das erbe von seiner Mutter war noch nicht aufgebraucht. Er betrachtete die Anlage. Sie sah gut aus. Sehr schick. Edel. Beide Gehäuse aus Metall. Die Boxen groß und schwarz. Er überlegte, wo er sie hinstellen sollte. In seinem Zimmer war kaum Platz dafür. Er könnte sie zwischen Fenster und Schreibtisch stellen. Aber was sollte er mit so einem teuren Ding? In einer total runter gekommenen Wohnung, in der alles so aussieht als käme es vom Sperrmüll. Dies war eine Anlage, die sich wohl reiche Ehepaare in ihr Kaminzimmer stellten und am Abend, bei Rotwein, Musik hörten und Zeitung lasen.
"Ich glaube, ich nehme doch lieber ihr gerät im Angebot“, sagte Ulli.
Sie gingen wieder zurück und der Verkäufer überreichte ihm den Karton mit dem gerät.
"Viel Spaß damit."
"Danke."
Der Verkäufer lächelte nochmal gezwungen, dann drehte er sich um und ging.

Als er in der Schlange vor der Kasse stand, blickte er sich um. Vor ihm war ein junges Pärchen. Beide nicht älter als 20. er hielt eine Packung Kopfhörer in der Hand und sie starrte auf ihr Handy. Die Beine verkreuzt. Er blickte durch den laden. Familien mit Kindern. Ehepaare. Männer die alleine durch den laden gingen. Dieser laden hatte etwas steriles. Alles war irgendwie sauber und aus Plastik. Er blickte auf die großen roten schilder, auf denen Sachen wie "Jetzt im Angebot!" oder "20% weniger." standen. Links von ihm die PC Zubehör Abteilung, rechts ein Regal mit Handy Utensilien. Er blickte auf die Anlage die er sich ausgesucht hatte. Ein kleines Stück Plastik das vielleicht seinen Zweck erfüllen würde. Er würde es auf seinen Schreibtisch stellen. Da würde es dann stehen. Und er würde sich CDs kaufen und ab und zu Musik hören. Er blickte auf den großen Aufkleber auf dem Karton. "79,99 EUR". Aus irgend einem Grund wollte er dieses Ding nicht haben. Er blickte auf die Bilder auf dem Karton. Er betrachtete die Rädchen und Knöpfe die so aussahen als würden sie nach kurzer Zeit kaputtgehen. Er sah das Gehäuse das aus Plastik war und bestimmt leicht Kratzer bekommen würde. Es sah billig aus. Das Ende einer Durchsage holte ihn aus seinen Gedanken.
"...MediaMarkt. Ich bin doch nicht blöd."
Er stellte den Karton neben sich auf einen Tisch mit Ladekabeln und verließ, mit schnellen Schritten, den Laden.
Als er die S-bahn Station an der Reeperbahn verließ, war er irgendwie enttäuscht. Er entschied sich den Kiez runter zu laufen und einen kleinen Umweg zu machen. Vorbei am Eros Center. Vorbei an der großen Freiheit. Vielleicht hatte Ute ja eine Idee, was er machen könnte. Sie hatte vielleicht einen alten CD Spieler den sie nicht mehr brauchte.

Am Ende der Reeperbahn ging er nach rechts und in Richtung Paul-Rosen-Strasse. In der kleinen Freiheit kam er an einem Plattenladen vorbei. Hafenschlamm Rekords. "Die kennen sich doch bestimmt aus.", dachte er und betrat den Laden.
"Hey.", begrüßte ihn der Verkäufer. Er saß hinterm Tresen und hatte eine Zeitschrift vor sich aufgeschlagen. Ein junger Mann. Vielleicht ende 30. Im Laden war sonst keiner.
"Schau dich um, wenn du magst. Hinten sind Plattenspieler falls du was anhören willst."
Ulli guckte sich um. Überall Kisten mit platten.
"Ich hab mal ne Frage.", sagte Ulli schüchtern.
"Klar. Schiess los."
"Weisst du wo man hier irgendwo was zum Musik hören bekommen kann? Also ne Stereoanlage oder sowas?"
"Geh doch zu MediaMarkt.", sagte der Verkäufer.
"Da war ich grad'. Die hatten nur so sauteure nobel Geräte, oder so ne billige Kompaktanlage. Und ich hätte gerne was Vernünftiges, was einfach gut klingt."
"Mmh. Weiß nicht genau. Hinten aufm Kiez gibts nochn Musik laden. Vielleicht haben die ja was."
"Ok."

Ulli blickte auf die platten. Er sah, dass sie alle nach Genre sortiert waren und bemerkte eine Kiste wo "Rock" drauf stand.
"Darf ich mal ein bisschen gucken? Also die platten mein ich."
"Klar. Wie gesagt. Fühl dich wie zu Hause."
Er ging rüber zu den Kisten und fing an durch die Platten zu blättern. Er hatte von all diesen Bands noch nie etwas gehört. Er erinnerte sich an Highway to Hell und hatte Lust auf etwas Hartes. So richtig rockig. Sowas wie er bei Ute oder in der Nacht auf dem Berg gehört hatte. Da er die Bands nicht kannte, griff er sich wahllos platten heraus und schaute hinten, ob ihn ein Titel vielleicht ansprach. Eine schlicht aussehende Platte fiel ihm in die Hände. Neil Young. Zuma. Mit nicht viel Erwartung sah er hinten auf die Titelliste. Cortez the killer. Er wurde neugierig.
"Kann ich die mal anhören?"
"Plattenspieler sind dahinten."

Ulli ging zu den tischen, wo die Plattenspieler standen. Das man die platte auflegen und die Nadel aufsetzen musste wusste er. Mehr aber nicht.
"Ich weiß nicht wie die funktionieren. Kannst du mir das vielleicht zeigen?"
Der Verkäufer bemerkte, wie Ulli etwas verloren da stand und kam zu ihm rüber.
"Klar."
Ulli gab ihm die platte. Er nahm sie aus dem Cover und legte sie auf.
"Hier das ist die Nadel. Du setzt sie einfach an dem Lied an, das du hören willst. Siehst du die Linien auf der platte. Das sind die Unterbrechungen zwischen den Liedern. Musst nur gucken welche Seite du grade aufgelegt hast. A oder B. Außen ist das erste Lied und die Nadel läuft dann immer mehr zur Mitte. Welches Lied willst du denn hören?"
"Hier. Lied 8. Cortez the killer."
Ulli zeigte auf das Cover.
"Alles klar. Setz die Kopfhörer auf."
Er legte gekonnt die Nadel auf die Platte, drückte auf Play und ging wieder zum Tresen.

Als es in Ullis Ohren anfing zu knistern, wurde es ganz still in ihm. Die Gitarren fingen an zu spielen und ohne es zu bemerken, ließ Ulli los. Es gab in diesem Moment nichts anderes mehr, außer ihn und die Musik. Das Cortez the killer kein rockiges Lied, sondern eher wie eine Balade ist, war nicht mehr wichtig. Die Musik berührte ihn und die Melancholie die in ihm aufkam, empfand er als angenehm. Ulli nahm dies alles nicht bewusst wahr. Er fühlte sich vom Klang der Gitarren behütet. Sie erzählten Geschichten, aber Ulli hätte nicht sagen können, wovon sie handelten. Als Neil Young anfing zu singen, hatte er das Gefühl einem Freund zuzuhören, aber da er kaum Englisch sprach konnte er ihn nicht verstehen. Als das Lied zu Ende war, war Ulli eines klar. Er musste diese platte haben! Er nahm die Kopfhörer ab.
"Wo bekomme ich einen Plattenspieler her?", rief Ulli.
Der Verkäufer sah ihn verdutzt an. Dann musste er lachen.
"War gut?".

Als Ulli, voller Freude den laden verließ, die Platten von Neil Young und ACDC stolz im arm, erschien ihm die Welt in einem neuen Licht. Er freute sich über jeden Menschen der ihm begegnete. Das Leben konnte schön sein. Vergessen die Postkarte mit den Tulpen. Vergessen das er vor zwei Tagen sich fast aufgegeben hatte. Er hatte jetzt Ute. Er hatte jetzt den Kiez. Er hatte die zwei platten und wusste, wo man sich einen Plattenspieler besorgen konnte. Die Welt stand ihm offen und er würde sie erobern. Vergessen die angst. Vergessen das klein sein. Als er vor seiner Haustür ankam, blickte er nochmal um sich.
„Wie schön ist es genau hier zu sein.", dachte er sich. "Wie schön, dass ich nicht bei MediaMarkt arbeite. Wie schön, dass ich nicht in Niendorf wohne."
Als er seine Wohnungstür aufschloss, lächelte er und sagte leise zu sich:
"Heute ist Abriss."

6

Die nächste Woche verging wie im Flug. Der Verkäufer von Hafenschlamm Rekords hatte ihm einen Secondhand Laden empfohlen, wo er sich günstig einen Plattenspieler zulegte. Die boxen klangen gut und machten ihm Freude. Midestens einmal am Tag hörte er Cortez the killer. Mindestens einmal am Tag hörte er Highway to hell. Er lud Ute zu sich ein, um ihr sein neues Lieblingsgerät zu zeigen und voller Stolz drehte er die boxen auf.
"Cool, Ulli!", sagte Ute. "Wirst ja n richtiger Rocker."
Sie tranken Bier und hörten gemeinsam das Album von Neil Young. Es war schon etwas kälter geworden doch die Tage waren sonnig. An einem dieser Abende sagte Ute:
"Nächstes Wochenende gehts auf die Große Freiheit. Vielleicht zu Olivia Jones oder so. Müssen wir gucken. Uns wird schon was einfallen. Ist anders als der Berg aber ich will dir ja alles zeigen."
Es ging ihm gut in den vergangenen tagen. Er war zufrieden mit sich. Er wollte sich jetzt nicht mehr klein fühlen, obwohl dieses Gefühl noch nicht verschwunden war. Lässig auf seinem Stuhl, Bier in der einen, Zigarette in der anderen Hand sagte Ulli:
"OK. Wird bestimmt lustig."
Ute sah ihn prüfend an.
"Wieder Samstag um 8?"

Als er am nächsten Tag erwachte war er voller Zuversicht und freute sich auf den Abend. Er duschte und rasierte sich. Als er sich im spiegel betrachtete, gefiel er sich. Er hatte sich extra für heute Abend ein neues T Shirt besorgt. Schwarz mit einem ACDC Logo. Er hatte sich auch ein neues Aftershave zugelegt das er auftrug. Er kaufte bei Penny ein. Grillfleisch und Knoblauch Baguette. Später aß er Burger in den kleinen pause. Spaziergang auf den Landungsbrücken. Neil Young. ACDC. Mittagsschlaf. Abendessen. Etwas Haarwachs. Diesmal nicht zu viel. Jacke. Schlüssel. Tabak. Rüber zu Ute.

"Einen schönen Abend. Kommen sie rein."
Ulli lächelte und nahm in der Küche Platz. Ute war an diesem Abend etwas aufgebracht.
"Boah ich hab ne Saulaune, dass kann ich dir sagen. Aber wird schon."

Sie erzählte ihm von Freundinnen und wie sie sich gestritten hatten. Von betrunkenen, die sie in der Bahn voll quatschten und wie ihr mal ein Fahrrad geklaut wurde. Ulli hörte ihr zwar zu, doch ab und an versank er in Gedanken und betrachtete sie. Er fand sie schön. Sie roch gut. Sie war wieder leicht geschminkt aber hatte diesmal Jeans und Bluse an. Sie tranken Bier. Ute erzählte. Er hörte zu.
"... und dann will der mir tatsächlich an die Hüfte grapschen, da hab ich ihm eine geknallt."
Sie schwieg auf einmal. Ulli war irgendwie ein bisschen müde. Er hielt sich an seinem Bier fest und leerte den Rest auf ex. Ute rauchte und wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger, während sie nachdenklich in die Ecke starrte. Dann blickte sie ihn an.
"Du Ulli, ich hab was für dich."
Sie lächelte, stand auf und verließ die Küche. Ulli war ein bisschen überrascht. Er machte sich ein neues Bier auf und drehte sich eine Zigarette. Sie kam bald zurück mit einer Lederjacke im arm. Schwarz. Unten mit einem Gürtel. Einem weiten kragen mit nieten und Taschen mit silbernen Reißverschlüssen.
"Die gehörte mal einem Ex von mir. Als wir uns trennten haben wir uns tierisch gezofft und er hat sie hier vergessen. Hab nie wieder was von dem gehört. Arschloch! Wenn du willst schenk ich sie dir."
Sie hielt die Jacke hoch das Ulli sie sehen konnte.
"Wow, die ist ja toll."
Er nahm Ute die Jacke ab und befühlte das Leder. Es war weich und kalt. Ihm gefiel die Jacke. Er probierte sie an und ging ins Bad um sich im spiegel zu betrachten. Sie stand ihm. Sie hatte etwas Gewicht das ihm beim Tragen ein gutes Gefühl gab.
"Das ja n ganz anderer Ulli.", dachte er sich.
Er stellte den kragen ein wenig hoch und griff mit den Händen in die Taschen.
"Viel besser als meine alte."

Er kam in die Küche zurück.
"Und die willst du mir wirklich schenken?"
"Klar. Was soll ich damit?"
Ute schwieg einen Moment. Dann ging sie zu ihm rüber und rückte die Jacke an ihm grade.
"Steht dir wirklich gut."
Sie lächelte ihn an.
"Ich hab noch was für dich."
Sie verließ wieder die Küche, kam aber sofort zurück mit einer Platte im Arm. Helge schneider. "Es gibt Reis Baby".
"Für deine Sammlung."

Sie verließen gegen 11:00 Uhr Utes Wohnung und machten sich auf den weg. Durch die Schmucktrasse rüber zur Großen Freiheit.
"Zuerst gehts in die Tai Oase. Mal hören was es da heute zu hören gibt.", sagte Ute. "Allerdings trinken wir hier keine Mexikaner. Auf der Freiheit gibts Wodka Redbull.

Die bar war schon relativ voll. Hauptsächlich junge Leute. Studenten. Azubis. An der Karaoke Maschine stand ein kleines, etwas dickes Mädchen und sang "Sailing" von Rod Steward. Sie war nicht schlecht aber auch nicht wirklich gut. Ute ging an die bar und kam mit 2 gläsern zurück.
"Cheers!"
Ulli trank.
"Bah! Das ist ja widerlich!"
"Nach drei Stück wirst du dich bei mir bedanken.", sagte Ute.

Sie tranken und hörten den Karaoke Sängern zu. "Wonderwall" von Oasis. "König von Deutschland" von Rio Reiser. Zwei Mädchen, um die 20, sangen "Er gehört zu mir von" Marianne Rosenberg, im Duett.
"Los Ulli, jetzt du.", neckte sie ihn. "Highway to hell!"
"Da an das Mikro kriegen mich keine 10 Pferde.", protestierte Ulli.
"Nagut, dann ich.", sagte Ute.
Sie ging hinüber zu dem Mann der die Lieder in die Maschine eingab und sprach mit ihm. Er nickte, tippte etwas in den Computer und gab ihr das Mikrofon. Das Stück begann und Ute fing an zu singen.
"Hoch stand der Sanddorn am Strand von Hiddensee. Micha, mein Micha und alles tat so weh. Dass die Kaninchen scheu schauten aus dem Bau. So laut entlud sich mein Leid in's Himmelblau, ha!"
Sie konnte singen. Ulli war fasziniert. Mit einem arm auf die bar gestützt, in seiner neuen Jacke und seinem neuen T Shirt, trank er seinen Wodka Redbull und schaute ihr zu. Sie hing sich rein und sang noch lauter.
"So böse stampfte mein nackter Fuß den Sand. Und schlug ich von meiner Schulter deine Hand. Micha, mein Micha und alles tat so weh. Tu' das noch einmal, Micha, und ich geh."
Ulli war hingerissen. Er musste an ihren Duft denken, den er verspührte, wenn sie sich zur Begrüßung umarmten. Sie stand vor dem Bildschirm auf dem der Text zu sehen war und sang. Dann drehte sie sich um, zeigte auf ihn und sang:
"Du hast den Farbfilm vergessen, mein Michael. Nun glaubt uns kein Mensch, wie schön's hier war, ha-ha, ha-ha. Du hast den Farbfilm vergessen, bei meiner Seel'. Alles blau und weiß und grün und später nicht mehr wahr."
Sie blieben noch eine weile in der Tai Oase und tranken noch einen Wodka Redbull. Das Koffein im Redbull ließ den Alkohol schneller zu Kopf steigen und relativ angeheitert verließen sie die Bar.

Sie zogen weiter. Zur 99 Cent Bar für ein paar kurze. Ins Dollhouse für mehr Wodka Redbull. Später als sie wieder auf der Straße standen war Ulli betrunken. Er beobachte das Publikum auf der Freiheit.
"Guck dir diese Waschlappen an.", sagte er zu Ute.
"Kaum Haare am Sack, aber durchtrainiert und gestriegelt und gebügelt."
"Na, na, na.", sagte Ute. "Herr Kiez König von Ulli sollte es lieber mal ein bisschen gut sein lassen."
"Aaach.", lallte Ulli.
"Los, weiter gehts.", sagte Ute. "Willst dir die jungen Leute angucken? Komm, wir gehn' ins Superfly."

Die Musik in diesem Club war Ulli völlig fremd. Mit Hip Hop oder RnB konnte er nicht viel anfangen. Der Club war voll und auf dem Weg zur Bar schaute er den jungen Mädchen beim Tanzen zu.
"Sexy.", schmunzelte Ulli in sich hinein.
Ute bestellte Drinks. Er kam viel zu nah an sie heran und brüllte:
"Weißt du wegen solchen Leuten war ich immer Einzelgänger."
"Hier, dein Drink."
Ute gab ihm sein Glas.
"Ute du bist toll. Sammelst mich auf und zeigst mir den Kiez. Ich mag dich Ute. Prost."
Er stieß mit ihrem Glas an, das auf dem Tresen stand, während sie ihre Zigaretten aus der Handtasche kramte. Er musste pinkeln.
"Ich geh mal pissen.", schrie er Ute zu.

Auf dem Weg zur Toilette, guckte er weiter im Club herum. Er hatte das Gefühl das ihn alle komisch anschauten.
"Bin hier wohl fehl am Platz.", dachte er sich.
Er ging durch eine Tür und den Gang hinab, der zu den Toiletten führte. Eine Gruppe Mädchen lachte, als er vorbeiging. Ausversehen rempelte er einen jungen an, der ihm entgegenkam, ging aber einfach weiter, ohne sich zu entschuldigen.

Als er sich am Pissoir erleichterte schaute er nach oben zur Decke und auf die Schwarzlichtlampe, die dort leuchtete. Irgendwie war Ute seit dem Dollhouse relativ still. Sie schwazte doch sonst so viel. Er wollte sie gleich aufmuntern. Irgendwas würde ihm schon einfallen. Vielleicht mochte sie die Leute hier auch nicht. Vielleicht könnten sie ja nochmal auf den Berg? Das war irgendwie netter als die Freiheit. Er machte sich auf den Rückweg. Den Gang wieder hinauf und zurück in den Club. Die Leute waren alle nicht älter als Mitte zwanzig und Ulli kam sich etwas seltsam vor. Er kämpfte sich durch zum Tresen und sah Ute wie sie auf einem Barhocker saß. Sie knutschte mit einem Jungen. Enge Jeans, ein kariertes Hemd, dass er in die Hose gesteckt hatte, Haare nach hinten gegelt, durchtrainiert. Er hatte die Hände auf ihren Hüften und sie fuhr ihm hinten durchs Haar, während sie sich küssten. Ein schock fuhr Ulli durch den Körper. Direkt in seinen Magen und er fühlte sich schlagartig leer. Ein Mädchen das neben ihm tanzte, rempelte ihn an und er fiel einen schritt zur Seite. Überrascht schaute er das Mädchen an aber sie schien es nicht einmal gemerkt zu haben, dass sie ihn berührt hatte. Der Junge zog Ute an sich und sie streckte sich ihm lächelnd und genussvoll entgegen. Ullis Kopf war leer. Er ging schnell zum Ausgang und musste dabei direkt an Ute und ihrem Lover vorbei. Sie nahmen ihn nicht wahr.

Er ging durch die Schmucktstrasse nach Hause. Der weg durch die Freiheit war die reinste Qual. Schrilles lachen. Kaum jemand über 30. Überall roch es nach Parfum. Geräusche von Gläsern die zu Bruch gingen. Er kam an einem Kiosk vorbei und holte sich noch drei Bier. Dann ging er so schnell es ging nachhause. Als er in seiner Wohnung ankam und das Licht einschalten wollte, brannte die Glühbirne durch und er stand im Dunkeln.
"Scheisse!", fuhr es aus ihm heraus.
So laut das Ute es gehört hätte, wäre sie zu Hause gewesen.
"Verdammt! Verdammt! Verdammt!"
er hatte noch Kerzen irgendwo. Mit einem Feuerzeug leuchtend, durchsuchte er die Schubladen einer Kommode und wurde fündig. Er steckte die Kerze in eine leere Bierflasche, stellte sie auf die Fensterbank und zündete sie an. Er zog die Jacke aus, warf sie in eine ecke, nahm auf dem Bett Platz und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. War er verliebt in Ute? Er wusste es nicht aber der Anblick wie sie diesen jungen Möchtegern küsste, rief tiefes Unbehagen in ihm hervor. Er machte sich ein Bier auf und drehte sich eine Zigarette.
"Was für ein Scheiß.", dachte er sich. "Was für ein Scheiß...."
Er trank und rauchte. Das erste Bier war leer.
"Soll sie doch jemand küssen. Was ist denn dabei?"
Er stand auf und lief im Zimmer umher, wusste aber nicht was er fühlen sollte. Dann blieb er stehen. Er ging zum Fenster, machte es auf und atmete die Nachtluft ein. Das rauschende Stimmengewirr, tausender Partygänger, drang vom Kiez herüber.
"Was für ein Scheiß.", dachte Ulli sich wieder und ging zum Schreibtisch herüber wo sein Plattenspieler stand. Er wollte jetzt etwas hören. Ganz egal was. Er nahm irgendeine Platte, zog sie aus ihrem Cover, legte sie auf und setzte die Nadel wahllos in die Mitte der platte an. Helge Schneiders stimme ertönte:
"... Wat soll man machen, ne? Is' aber albern, ne? Ja albern. Sas ganz schön albern, der Helge, das doch n alberner. Alberner Helge. Das doch n albernes Arschloch! Das doch ne alberne Sau, du! Du stinke Sau! Albernes Arschloch, du, Sau du! Da kommt er wieder, der Schneider, der alberne Schweine Sau! Sack duuuuu... du Pillermann, du. Alberner Sau-Pillermann-Arschloch, du blöde Kuh! Du Schneider, du Mistfink!"
Ulli machte keine Anstalten die Nadel woanders hinzuschieben und nahm wieder auf seinem Bett Platz. Während Helge seinen Sketch vollendete, war Ulli fassungslos und dachte sich:
"Was mach ich bloß mit mir?"
Er blickte in die dunkle ecke des Zimmers und sah die Konturen der Lederjacke. Wem machte er was vor? Er war kein Rocker. Er war doch nur Ulli. Ulli, der gerne Burger aß und ab und an mal zu viel trank. Ulli, der an den Landungsbrücken spazieren geht. Einfach nur Ulli.
Das nächste Lied fing an mit Helges höhnischen lachen. Dann ein sanftes Jazz Piano. Er nahm einen großen Schluck Bier. Die Musik tat ihm gut und unterbrach seinen Gedankenstrom. Helge fing an zu singen:
"My name is Peter. I'm a Drummer in a band. And I'm old."
Er konnte nicht viel Englisch, doch diese Sätze verstand er. Die Art wie Helge sang, beruhigte ihn und begleitet vom Klang des Klaviers rollte ihm eine träne über die Wange.

Es klingelte. Ulli wischte die tränen weg und machte auf. Ute stand mit glasigen Augen vor ihm.
"Kann ich heute bei dir schlafen?"

Sie schliefen nicht miteinander in dieser Nacht. Sie redeten auch nicht viel. Gemeinsam legten sie sich in Ullis schmales Bett. Sie zogen sich nicht aus. Sie lagen einfach nur nebeneinander da, bis sie einschliefen.
Als Ulli am nächsten Morgen erwachte, war Ute fort. Die Kerze war heruntergebrannt und an der Flasche runtergeflossen. Ein kleiner See aus Wachs hatte sich auf der Fensterbank gebildet. Die Jacke lag noch immer da, wo er sie hingeworfen hatte. Er hob sie auf und legte sie über einen Stuhl, dort wo seine alte Jacke sonst immer hing.

7

Ulli suchte keinen Kontakt zu Ute in den nächsten Tagen. Er hatte nicht das Bedürfnisse, über die Nacht auf der Freiheit zu sprechen, da er selbst noch nicht einmal wusste, was er davon halten sollte. Er spazierte in diesen Tagen oft alleine durch St. Pauli. Es wurde langsam Herbst und die Tage wurden grauer. Seine Furcht und das Gefühl des klein seins, waren einer Zuversicht gewichen, die ihn nach vorne blicken ließ. Allerdings konnte er in den Nächten auf dem Berg und in der Freiheit das Gefühl nicht loswerden, ein Außenseiter zu sein. Auch nicht mit der Lederjacke oder dem ACDC Shirt. Er hatte die Jacke zwar lieb gewonnen und trug sie jetzt anstatt seiner alten, aber das anfängliche Gefühl, dass sie einen neuen Menschen aus ihm machte, war verflogen und auch nicht weiter wichtig. Er spürte sein Alter in diesen Tagen. Auf dem Kiez waren viele junge Leute. Er war alt und das fiel ihm auf. Er fühlte sich nicht schwach oder zerbrechlich, er merkte nur, dass das was er versuchte nachzuhohlen, eigentlich in einer anderen Zeit hätte geschehen müssen. Doch das was er erlebt hatte, gab ihm einen kleinen Einblick, in das was es heissen kann, frei zu sein und sein Leben zu genießen.

An einem dieser Abende, unter der Woche, als wenig los war, trieb ihn sein Streifzug durch die Freiheit und über den Hans-Albers-Platz. Er dachte an Ute. Gestritten hatten sie nicht. Es war auch sonst nichts passiert, aber seit sie sich nicht mehr gesehen hatten, fühlte Ulli eine stille Distanz die er sich nicht erklären konnte. Er spazierte weiter. Über den Berg. Hoch zur U-Bahn St. Pauli und dann zum Hafen hinunter.

Es war Mittwoch, es nieselte und war windig. Ulli hatte den Kragen seiner Jacke hochgeschlagen. Mit den Händen in den Taschen schlenderte er gedankenverloren durch die Strassen. Er dachte über nichts Besonderes nach, sondern war einfach in Gedanken, summte Cortez the killer und wanderte ziellos durch St. Pauli. Er kam grade von den Landungsbrücken und ging durch die Bernhard-Nocht-Strasse in Richtung seiner Wohnung. Das Wochenende rückte näher. Er hatte noch immer Lust auf die nächste Nacht mit Ute. Vielleicht würde er später bei ihr klingeln und fragen, ob alles Ok sei und sie ihr Abenteuer fortsetzen wollten. Es trieb ihn nicht wirklich nachhause und er beschloss, noch etwas weiter zu spazieren und einen Schlenker zu machen. Die Hafentreppen runter und dann am Park Fiction vorbei, nach rechts und über den Hein-Köllisch-Platz, langsam in Richtung Paul-Rosen-Strasse.

Es musste so gegen 9:00 Uhr gewesen sein und da das Hamburger Wetter sich alle Ehre machte, waren noch weniger Menschen unterwegs als sonst. Er kam grade vom Hein-Köllisch-Platz, als er an einer kleinen Kneipe vorbeikam. "Zum Anker". Die Tür stand offen. Drinnen lief angenehme Musik. Etwas nach seinem Geschmack und er hörte wie drinnen gelacht wurde. Der Regen hatte grade zugenommen und er hatte ein wenig Durst. Durch die Tür konnte er erkennen das drei Männer am Tresen saßen und eine Frau bediente. Alle ungefähr in seinem Alter. Schüchtern betrat er die Bar und blickte sich um. Ein Tresen mit fünf Barhockern. Zwei Tische mit jeweils vier Stühlen. Zigarettenautomat.

"Guten Abend, mein Hübscher.", begrüßte ihn die Frau. "Was darfs' sein?"
"Kann ich ein Bier bekommen?", fragte Ulli.
"Aber sicher doch. Willst es warm bei diesem Wetter oder gehts auch kalt?", scherzte sie.
Sie hatte kurze Haare, war dünn und trug einen roten Wollpullover.
"Kalt bitte."
Sie lächelte ihn an und machte ihm ein Astra auf.
"Danke."
"Aber gerne doch."

Ulli nahm an einem der Tische Platz und kramte seinen Tabak aus der Jacke.
"Mensch Eva. Zu mir biste' nie so lieb. Hast dich verguckt in unsere Freund dahinten?", sagte einer der Männer.
"Weisst du Conrad, wenn du einmal in den zwölf Jahren die wir uns kennen bitte gesagt hättest, wenn du etwas von mir wolltest, wäre ich vielleicht auch lieb zu dir.", sagte Eva.
"Ich sag immer bitte.", erwiderte Conrad.
Conrad war ein relativ stattlicher Mann in einem kurzärmligem Hemd. Einer wie man ihn zu Hauf auf St. Pauli findet. Haare gescheitelt. Goldketchen. Brusthaare.
"Komisch ich hör immer nur: Eva! Komm mal rüber. Eva! Hast du mal, kannst du mal?"
"Aber immer mit Charm.", entgegnete Conrad.
"Du weißt doch, dass wir eines Tages heiraten Eva. Ich will nur vorzeitig die rollen schonmal verteilen. Hier bist du der Chef, aber wenn wir in unserer Finca auf Mallorca wohnen wär es schön, wenn ich auch mal was sagen dürfte. Krieg ich noch n Bier?"
Ein kurzes schweigen dann fügte er hinzu:
"Bitte?"
"Aber sicher mein Hübscher." ein Astra wurde aufgemacht und Conrad nahm es dankend entgegen.

"Sowas muss ich mir jeden Tag anhören."
Einer der anderen drehte sich zu Ulli um. Ein dicker Mann mit Halbglatze und Schnurrbart in einer Lederjacke. Er drehte sich zu Eva und Conrad um.
"Ihr Kratzbürsten."
Dann sah er wieder Ulli an und fragte:
"wie heißt du, großer?"
"Ulli."
"Ulli wie?"
"Einfach nur Ulli."
"Ok. Ulli. Das ist der Anker. Ich bin Roland. Der Tankstellenwart hier neben mir ist Conrad und das ist Fred."
Fred, ein sehr dünner Mann mit einer Motorradweste und Ziegenbart, hob sein Bier und prostete ihm zu.
"Fred ist immer sehr still aber ne liebe Seele. Stimmt doch Fred, oder?"
Fred nickte.
"Und die bezaubernde Dame da hinterm Tresen, die Gebieterin, unsere heilige Königin vom Zapfhahn, das ist Eva."
"Hallo.", sagte Eva.
"Also. Willst du da alleine am Tisch versauern und dein Bier schlürfen, oder kommst du zu uns rüber und erzählst uns was?"

Ulli verbrachte noch zwei Stunden im Anker. Er unterhielt sich mit Roland und erzählte ihm ein bisschen von sich. Er lachte über Conrads und Evas Scherze und trank noch drei Bier. Er fühlte sich wohl. Roland war älter als er und in Rente. Geschieden. Zwei Töchter. 27 und 32. Er wohnte in Altona und war mal Lastkraftfahrer gewesen.

"Als die alte mich rausgeschmissen hat gings mir ein bisschen wie dir. Dachte mein leben wäre vorbei. Hab drei Monate in meinem Laster gepennt und dann ne Zeit lang im Hotel Alt Hamburg am Hans-Albers-Platz. Hab dann, zum Glück, die Wohnung in Altona gefunden. Aufm Hans-Albers-Platz zu wohnen war nervtötend. Immer laut und am Wochenende kein Auge zu zukriegen. Aber zum Glück gibts ja den Anker. Eva hat mich ganz schön aufgepäppelt in der Zeit."
Ulli musste an Ute denken. Er wurde langsam müde.
"Du Roland, ich glaub, ich will los."
Er trank sein Bier aus.
"Klar. Komm gut Heim. War n netter Abend mit dir. Weisst du, wir sind immer hier. Fred, Conrad, Eva und ich. Am Wochenende verirrt sich schonmal jemand anders hier her, aber meistens ist es relativ still. Kannst dich ja nochmal blicken lassen."
"Klar. Wieso nicht."
Er bezahlte und bedankte sich.
"Machts gut. Bis bald."
"Tschüss Ulli."

Der Regen hatte aufgehört und Ulli machte sich auf den Weg zu seiner Wohnung. Silbersackstrasse. Über die Reeperbahn. Talstrasse. Budnikowsky. Edeka. Zu Hause. Als er seine Wohnungstür aufschloss, lag ein zettel in seiner Wohnung. Ute musste ihn unter der Tür durchgeschoben haben.
"Hey Ulli. Hast du noch Lust am Wochenende auf den Hans-Albers-Platz? Unser Anfängerprogramm ist noch nicht abgeschlossen. Lass es mich wissen und wenn du magst, kannst du diesmal eine Stunde früher kommen und ich koch uns was Schönes. Ich mach ne super Roulade und wenn du lieb bist, mach ich selber Kartoffelbrei à la Ute. Nur Erbsen gibts aus der Tiefkühltruhe. Ich hoffe, es geht dir gut. Ute."

8

"Guten Abend, Ulli."
Sie umarmten sich.
"Komm rein, machs' dir bequem."
Die Rouladen kochten in der Küche und es roch nach Fleisch und Butter.
"Das Geheimnis für n' guten Kartoffelbrei ist, dass man mit dem Salz nicht spart. Und Butter. Viel Butter. Willst du n' Bier?"
Sie rührte den Kartoffelbrei.
"Lass ruhig. Ich weiß doch wo es ist."
Er ging zum Kühlschrank.
"Willst du auch eins?"
"Klar."
Ulli nahm zwei Bier aus dem Kühlschrank, öffnete sie und gab Ute eins.
"Prost."

Die Rouladen waren wirklich gut. Nicht zu zäh. Mit brauner Soße. Und der Kartoffelbrei war auch nicht schlecht. Ute schien einen sehr zufriedenen Eindruck zu machen. Sie lächelte viel. Ulli erzählte ihr vom Anker während sie aßen.
"Ach... die Kneipe kenn ich gar nicht."
"Ist ganz klein, hinterm Hein-Köllisch-Platz."
"Lustig. Wohn hier mein ganzes leben. Wir sind uns nie über den Weg gelaufen und den Anker kenne ich auch nicht. Scheint so als hätten sich da zwei gefunden."
Sie lächelte.
Sie trug diesmal einen schwarzen Jeansrock und eine weiße Bluse mit Spaghettiträgern, die vielleicht etwas zu kalt war für diesen Abend. Unterm Rock eine Strumpfhose. Auch in Schwarz. Die Fenster waren geöffnet. Es war einer der letzten Spätsommertage und relativ warm. Aber je d
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Benedict
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Beitrag10.11.2020 12:06

von Benedict
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"Tja, Ulli. Heute ist der letzte Abend unseres Experiments. Danach hast du deinen Kiez Haupt so zusagen. Aufgeregt?", fragte Ute.
"Sollte ich? Berg und Freiheit hab ich ja auch geschafft."
"Naja vielleicht wirds ja heute ein bisschen anders."
Sie grinste wieder ihr Ute grinsen.
"Ja. Diesmal lass ich mir keine reinhauen."
Sie lächelte und zog seinen Arm fester an sich.
"Nein, Ulli. Diesmal nicht."

Sie redeten über dies und das. Machten Scherze zusammen und genossen des anderen Gesellschaft. Der Hans-Albers-Platz war relativ voll. Gemischtes Volk. Hsv Fans. Touristen. Jüngere Leute. Alte Hasen. Bier im Frieda B. Bier im Peggy Sue. Bier in der Roten Laterne.
"Von Bier krieg ich immer hunger.", sagte Ute als sie grade auf dem Weg in die nächste bar waren.
"Ich könnte auch noch was essen.", sagte Ulli.
"Dann lass mich dir die beste Pizza Hamburgs zeigen."

Sie gingen den Hans-Alber-Platz hinunter und machten vor einem kleinem Laden mit Fensterausgabe halt.
"Eine Handpizza bitte. Salami, Schinken und Pilze.", bestellte Ute.
"Für mich das Gleiche.", fügte Ulli hinzu.
Während sie warteten, fing es an zu Regnen und der Platz leerte sich. Unter den Vordächern der Bars und Kneipen bildeten sich Menschen Trauben. Die Pizza kam und Ulli und Ute suchten Schutz unter einem Sonnenschirm, in der Mitte des Platzes. Sie aßen ihre Pizza und obwohl der Teig vielleicht etwas dünn war, musste Ulli zugeben, dass es die beste Pizza war die er je gegessen hatte.

"Also, da wären wir. Sie haben bestanden und ich darf ihnen, kraft meines Amtes, den titel Mensch aus St. Pauli verleihen.", verkündete Ute.
"Danke.", sagte Ulli während er die letzten bissen seiner Pizza zu sich nahm.
Sie schwiegen eine Weile. Ulli hörte dem regen zu wie er auf den Sonnenschirm prasselte.
"Du, Ulli. Wenn du willst zeig ich dir noch was."
"Was denn?", fragte Ulli.
Ute nahm ihn bei der Hand.
"Folgen sie mir."
Sie verließen den Platz und überquerten die Reeperbahn.
"Gehn wir zum Berg?", fragte Ulli.
"Fast.", sagte Ute.
Am Ende angekommen gingen sie rüber in die Talstraße.
"Runter vom Kiez? Wo gehts denn hin?"
Ulli war verwirrt.
"Stellen sie nicht so viele fragen, sondern folgen sie mir einfach.“
Ute schloss die Haustür auf.
„Willst du mir noch ne' Platte schenken?"
Ute sagte nichts, sondern führte ihn die Treppe hinauf zu ihrer Wohnung.

Drinnen angekommen setzte sie Ulli auf einen Stuhl in der Küche. Sie half ihm aus der nassen Jacke.
"Ist dir kalt?", fragte sie ihn.
"Nein. Warum sind wir wieder bei dir?"
"War ich wirklich die erste? Die erste mit der du den Kiez erkunden konntest?"
Sie stand vor ihm.
"Ja, aber das weißt du doch."
"Hats dir gefallen?"
Sie zog ihren Pullover aus. Eine Strähne ihres Haares ließ einen tropfen Wasser über ihre Schulter laufen.
"Es freut mich, das ich die erste sein durfte."

Sie weckte ihn, als es noch dunkel war und flüsterte ihm zu. "Ulli, der Kiezbäcker macht gleich auf. Komm, hohlen wir uns ein Franzbrötchen.“

9

Ute und Ulli verbrachten viel Zeit miteinander, in den nächsten Monaten. Sie gingen spazieren. Gingen in die kleine Pause. Ulli nahm Ute auch mit in den Anker und stellte sie dort vor, aber meistens ging er alleine hin und verbrachte dort viele Abende.

Die Monate vergingen und es wurde Winter. Es wurde kalt aber im Anker war es warm und gemütlich. Ulli, Roland, Conrad, Fred und Eva waren meistens die einzigen im Anker und das war für alle anwesenden kein Problem. Ulli und Roland wurden gute Freunde. Er hatte bei ihm das Gefühl, dass er ihm alles erzählen konnte und im Gegenzug erzählte er ihm viel von sich. Er war nie ein großer Kiez Mensch gewesen. Für ihn gab es immer nur seinen Laster und seine Töchter.
"Die sind ja jetzt erwachsen, also darf ich mich jetzt auch mal um mich kümmern.", sagte er einmal.
"Und das machst du im Anker?", fragte Ulli.
"Genau."

An einem mittwochabend im Dezember, kurz vor Weihnachten, machte er sich auf den weg zum Anker. Es hatte stark geschneit und war ziemlich kalt. Er und Ute hatten vorher zu Abend gegessen. Sie hatte keine Lust mitzukommen und wollte es sich in der Badewanne gemütlich machen.

Es war ungefähr 21:30 Uhr als er durch die Talstraße ging. Kaum jemand war unterwegs und während er ging, hörte er den Streusand unter seinen Schuhen knirschen. Als er im Anker ankam, war alles so wie immer. Conrad war gerade dabei, Fred zu erklären, warum die jungen Leute immer soviel auf ihr Handy starrten. Fred hörte wie immer aufmerksam zu. Roland saß daneben und studierte das Etikett seiner Astra Flasche, während Eva, hinterm Tresen den Kühlschrank nachfüllte.

"Hey Roland."
"Hey Ulli. Alles im Lot?"
"Na klar. Schönen Gruß von Ute."
"Danke."
Er begrüßte auch Eva die ihm wie immer ein Astra hinstellte.
"Heiligabend steht vor der Tür.", sagte Ulli zu Roland.
"Irgendwelche Pläne?"
"Eva hat mich gefragt, ob ich zu ihr kommen möchte. Der Anker macht auf, aber erst ein wenig später als sonst. Sie sagt, sie will ne' Gänsebrust machen. Da bin ich mal gespannt.", sagte Roland, halb zu Ulli, halb zu Eva. Sie hatte ihnen den Rücken zu gekehrt, hatte aber wohl verstanden.
"Sie lieber zu, dass du es dir mit mir nicht verscherzt, mein Freund. Sonst lad ich dich einfach wieder aus und futter meine Gans alleine.", schrie sie ohne sich umzudrehen, während sie weiter Bier einräumte.
"Was machst du?", fragte Roland.
"Keine Ahnung. Hoffentlich gut essen mit Ute. Ich dachte, ich überrasch' sie und lad sie ins Hotel Atlantik ein. Hab ja noch was übrig vom erbe. Ansonsten komme ich, oder wir, bestimmt abends nochmal hier rum."
"Ja, würd mich freuen. Denke mal Fred ist auch hier. Keine Ahnung was Conrad macht."
"Zuerst Ente vom Chinamann und dann gehts ins Eros Center!", rief Conrad über seine schulter. "Vielleicht komm ich danach auch noch aufn Absacker."
Es lief wie immer Musik und ein neues Lied fing an. Ulli kannte das Lied nicht, aber es gefiel ihm.
"Du, Eva. Wie heißt denn das Lied?"
"Dont stop believing von Journey.", sagte Eva.
Sie war grade fertig mit einräumen. Als sie zum Tresen rüberkam, fing sie an mitzusingen.
"Just a small town girl. Livin' in a lonely world. She took the midnight train goin' anywhere"
"Geil. Die Platte brauch ich.", sagte Ulli.
"Kennst das nicht, Ulli?", fragte Roland.
"Du hast echt hinterm Mond gelebt, wa?"
Ulli guckte runter auf sein Bier.
"Weisst du Roland, es ist seltsam. Mein ganzes leben war ich hier. Und war nie wirklich hier. Weisst du was ich mein? Ist doch verrückt. Ich bin hier geboren. Bin hier zu Schule gegangen. Habe zwar woanders gearbeitet, aber mein Zuhause war immer St. Pauli. Ich kannte sowas wie den Anker nicht. Ich wusste nicht wie es sich anfühlen kann freunde zu haben oder jemandem nahe zu sein. Das alles habe ich Ute zu verdanken. Hätte sie mich nicht gefunden an diesem Tag. Meine Güte, ich will mir gar nicht ausmalen was passiert wäre. Aber ich bin glücklich, so wie es jetzt ist. Es hört sich vielleicht seltsam an, aber ihr, hier im Anker und Ute. Ihr seit sowas wie eine Familie für mich geworden. Ich weiß zwar nicht wie das ist Familie zu haben, aber wenn ich mir vorstellen müsste, was eine Familie ist, dann würde ich sagen, dass es sowas ist, wie das was ich bei euch erlebe. Und aufm Kiez natürlich. Das wäre dann sowas wie die Großfamilie vielleicht. Besoffene Stiefväter und nervtötende Cousins inklusive. Aber ich bin froh, dass es euch gibt."
Roland sagte nichts und nach einer kurzen Pause fügte Ulli hinzu:
"Danke."
"Ach, schon gut. Jetzt werd mal nicht sentimental, mein großer." Roland klopfte ihm auf die schulter. "Eva. Machst du uns zwei Korn?"
"Aber sicher, mein Hübscher."
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Benedict
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Beitrag10.11.2020 12:07

von Benedict
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Liebe Leute,

habe das Ganze etwas überarbeitet und in der Werkstatt geposted. Würde mich freuen, wenn ihr dem Text nochmal eine Chance gebt.

Lg
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sleepless_lives
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Pokapro VI Weltrettung in Gold


Beitrag10.11.2020 14:04

von sleepless_lives
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Und ich habe ihn wieder mit dem Originalbeitrag zusammengeführt und als neue Version markiert. Bitte Regeln beachten.

_________________
Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)

If you had a million Shakespeares, could they write like a monkey? (Steven Wright)
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Benedict
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Beiträge: 22



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Beitrag10.11.2020 15:05

von Benedict
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Entschuldige bitte Sleepless. Werd mich bestimmt noch einfinden, was die Foren Regeln angeht.
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agto
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Wohnort: Utvik


Beitrag11.11.2020 13:04

von agto
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Benedict, die Absätze und Leerzeilen geben dem Text Struktur, bevor man ihn liest, und schmeicheln des Lesers Augen. Daumen hoch²

Bestimmt werden sich jetzt auch alle zu Wort melden, die deinen Text und dich kritisierten, weil sie ihn wegen seiner Gestaltung bisher nicht lesen konnten.
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Ribanna
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Beitrag11.11.2020 18:25
Re: Vom Berg und von der Freiheit (Überarbeitet)
von Ribanna
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Benedict hat Folgendes geschrieben:


Vom Berg und von der Freiheit

1


Er saß in der kleinen Pause für seinen täglichen Burger mit Bier. Er saß wo? Schon der erste Satz ist unvollständig und klingt falsch, niemand sitzt "für seinen Burger".

Er war diesmal etwas früher da als sonst.

Schon wieder "Er" schon wieder die Frage, wo? Ist die Info, dass es etwas früher geschah als sonst, wichtig?

Gleich nach dem Aufwachen trieb es ihn aus raus. Seine Einzimmerwohnung, mit nur einem Fenster, war dunkel. Einen Ausblick hatte er nicht. Die Sicht aus dem Fenster fiel direkt auf das Nachbarhaus und sein Zimmer, das in der Mitte der engen Gasse war, die zwischen den beiden Häusern lag, bekam tagsüber kaum Licht.
Okay, das ist eine stimmige Beschreibung. Zeigt sein trauriges Dasein auf. Darum würde ich hier einen Absatz machen, denn danach geht es ja mit etwas anderem weiter.

Am Tag zuvor hatte er es wieder übertrieben und zu viel getrunken. Dreimal war er beim Kiosk gewesen. Der Verkäufer hatte beim letzten Mal nicht mehr mit mehr mit ihm gesprochen. Er hatte nur seine 3 Bier auf den Tresen gestellt und so als ob er es missbilligte, dass er so viel trank, sagte der Verkäufer:
"1,80."
hatte der Verkäufer 1,80 gesagt. Warum nicht: hatte er missbilligend gesagt? Warum, so, als ob?
Okay, 1,80 für drei Bier, da kauf ich auch demnächst ein.



Die Frührente, die er bekam, reichte kaum aus und dass er jeden Tag Burger essen konnte verdankte er nur dem Erbe seiner Mutter. Sie war vor 2 Monaten von einem Bus überfahren worden als sie, wie immer, unachtsam über die Straße ging.
"Ampeln würden nur Zeit stehlen.", sagte sie immer.
Er trauerte zwar um seine Mutter, doch in seiner Jugend hatte er sich von seiner Familie entfernt und seit dem sein Leben alleine gelebt. Als seine Mutter starb, hatten sie schon ein halbes Jahr nicht gesprochen. Sein Vater hatte die Familie verlassen als er 3 drei Jahre alt war und er hatte nie wieder Kontakt zu ihm gehabt. Er wusste nur, dass er nach Holland auswanderte und dort in einer Fabrik angestellt war, die Fisch verarbeitete. Zu seinem 12 Geburtstag bekam er eine Postkarte von ihm. Es waren Tulpen drauf. Hinten stand nur "Alles gute zum 10. Geburtstag." Dass sein Vater sein Alter nicht kannte und das er, seit er sie verlassen hatte, nichts mehr von ihm gehört hatte, berührte ihn kaum. Seine Mutter gab ihm die Karte mit einem gequältem Gesichtsausdruck.
"Dein Vater hat dir geschrieben.", sagte sie und ließ ihn mit der Karte alleine in seinem Zimmer.
Sie hatten nie wieder darüber gesprochen.



Du erklärst sehr viel, mir fehlt, dass du die Dinge in deine Geschichte einbaust.  DAs alles ist gar kein schlechter Ansatz, ich seh die Trübsinnigkeit vor mir und seine Stimmung ist spürbar - aber irgendwie flach.

Für weitere Kritik fehlt mir gerade die zeit, nimm dir, was du brauchen kannst.


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Beitrag11.11.2020 23:37

von Benedict
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@Ribanna

Die "Kleine Pause" ist ein Imbissladen, in Hamburg, der kult Status hat. Wird dir evtl öfters begegnen, in der Geschichte, dass ich zb mit Srassen Namen und Plätzen um mich werfe. "Kleine Pause" hätte ich vielleicht in Anführingszeichen setzen können. Werde ich gleich korrigieren. Ich muss gestehen, dass, wenn man St. Pauli nicht kennt, man sich vielleicht etwas verloren fühlt, beim lesen. Das Schreiben dieser Geschichte hatte auch einen leicht therapeutischen Ansatz für mich, da ich mal in St. Pauli gelebt habe und mir das Gefühl von damals in Erinnerung rufen wollte. Wenn man allerdings aus Hamburg kommt und sich ein wenig in St. Pauli auskennt, sollten die Strassen einem geläufig sein. Ich hoffe trotzdem, dass du nicht die Lust verloren hast, die Geschichte zu lesen und würde mich auf weitere Kritik von dir freuen.

P.S. 60 cent für ein Oettinger ist schon eher günstig, aber keine Seltenheit wink

Lg
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Ribanna
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Beitrag12.11.2020 09:02

von Ribanna
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Nun, wenn du nicht veröffentlichen willst, ist das okay. Ansonsten solltest du auch Leser "mitnehmen", die mit den Verhältnissen nicht so vertraut sind. Warum schreibst du nicht von "der kleinen urigen Imbissbude" oder dem "winzigen Kiosk, dass im ganzen Stadtteil bekannt ist"? Nur Namen sind langweilig, gerade, wenn man eben keine konkrete Vorstellung hat.

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Beitrag12.11.2020 18:22

von Benedict
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Es sollte ja eine St. Pauli Geschichte werden. Deswegen die Namen der Läden usw.
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Ribanna
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Beitrag13.11.2020 08:56

von Ribanna
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Benedict hat Folgendes geschrieben:
Es sollte ja eine St. Pauli Geschichte werden. Deswegen die Namen der Läden usw.


Das ist ja auch in Ordnung.
Aber soll es eine Geschichte werden, die nur von denen verstanden wird, die St. Pauli gut kennen?
Erzähl ein bisschen von der Gegend, lass den Leser sehen, riechen, schmecken und fühlen, was St. Pauli ist.

Wie riecht es an den Landungsbrücken? Wie sieht das Mobiliar in der Kleinen Pause aus? usw. Der Leser sollte das Gefühl bekommen, das alles zu kennen - ohne je da gewesen zu sein.


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