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Ralfchen Eselsohr
Alter: 76 Beiträge: 371
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23.04.2019 13:11 Wenn der Kirschbaum wieder blüht von Ralfchen
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Wenn der Kirschbaum wieder blüht
Und wieder kauere ich gichtgepeinigt mit einem Kissen auf der Bank unter dem Kirschbaum im Garten. Ich starre auf das Gurkenglas in meinen Händen worin das Einzige liegt, was mir von dir blieb: Deine letzte Gebissprothese. Sie liegt da drin - in mehreren Einzelteilen. Du hattest sie an einem kleinen Holzscheit zerbissen und zerbrochen, als man dir damals das rechte Raucher-Bein unterhalb vom Knie absägte. Ohne Narkose. Ich sehe noch heute die Tränen über deine verschwollenen Augensäcke sprudeln.
Erinnerungen an unsere ersten Wochen steigen auch wieder in meinen Gedanken auf, wie die Luftblasen meiner Furze in der Badewanne.
Ich denke an jenen wolkigen Tag im Frühling, als wir händchenhaltend die Kirschbaumallee nahe der Irrenanstalt Steinhof auf und ab marschierten. Deine Stimme hatte einen eigenartigen Unterton angenommen, deine Zunge schnalzte und deine Zähne klapperten, während du von den Kirschblüten schwärmtest. Deine Augen leuchteten wie 25-Watt Lampen, als du dich mir zuwandtest: „Vögelchen wir werden unseren eigenen Kleingarten haben und ein Baum wird in der Mitte stehen: Ein riesiger Kirschbaum. Wir werden jedes Jahr darunter sitzen und den Regen der Kirschblüten auf uns rieseln lassen!“
Wo zum Henker nehmen wir einen riesigen Kirschbaum her? Mitten im Kleingarten soll der gepflanzt werden? Wo sollte das geplante Häuschen stehen? Ich schüttelte innerlich den Kopf und ließ dich meine Zweifel nicht spüren.
Kurz nachdem wir geheiratet hatten, schlepptest du mich in diese Großgärtnerei in der Nähe von Krems: Dort stand er, der Kirschbaum in einem riesigen schwarzen Plastiktopf.
„Der Baum ist 25 Jahre alt!“ Versicherte uns der Besitzer der Pflanzerei.“
Wir kauften den Baum für 65.000 Schillinge. Ich hatte kalte Schweissperlen am ganzen Körper. 50 Jahre lange verzichteten wir deswegen auf das Haus im Kleingarten, den wir damals als Hochzeitsgeschenk von meinen Eltern bekommen hatten. Das einzige Möbelstück war eine alte Heurigenbank ohne Rückenlehne unter dem Baum. Ich war von der mehrmals betrunken nach hinten gefallen. Ja - und unser altes Campingzelt mit den zwei Schlafsäcken stand links hinten am Zaun.
Man konnte tatsächlich nur einige Tage im Frühling unter dem Baum sitzen. Dann lagen die Blüten alle im Gras. Die Kirschen waren schwarz, klein und zuckersüß. Wir stapften immer wieder darauf herum. Die meisten fraßen die Vögel auf. Einen Teil ernteten wir. Noch heute denke ich mit Schadenfreude daran zurück, als du mal beim Äste absägen vom Baum gefallen bist und Splitterbrüche an beiden Beinen davontrugst. Es war mir eine Genugtuung für die Scheiße die du jahrelang mit dieser Maria Kali getrieben hattest. Die Zeit hat auch das aus meinem Hirn gefegt. Aber nur fast.
Seitdem sind fünfzig Frühlinge gekommen und gegangen. Du hattest dich im vorigen Jahr etwa um die Zeit an dem Kirschbaum erhängt. Mensch war das ein Aufruhr rundherum. Sogar die Kriminalpolizei und ein Forensiker schnüffelten drei Tage lang herum.
Ich blicke zum Himmel empor. Er ist nicht blau, sondern rötlich von der absaufenden Abendsonne. Wirkt irgendwie als wären Himmel und Hölle verschmolzen.
Ich frage mich ob es tatsächlich ein Leben nach dem Tod gibt, wie uns die Religionen einreden. Ich hoffe nur eines: Dass ich nicht dort – wo immer das ist – in dich hineinlaufe und womöglich derselbe Scheiß nochmal von vorne beginnt.
Ich ertappe mich bei einem leisen Selbstgespräch: „Fünfzig Jahre waren fünfzig Jahre zu viel. Ich hätte damals doch diesen Ralfchen heiraten sollen. Der Typ sah aus wie ein junger Gott!“
Jetzt würde der garantiert auch schon lange auf mich gepfiffen haben. Der tummelt sich seit Jahren mit jungen Huren im Bett rum.
Ja - es war damals ziemlich schwer für mich, dich bewußtlos mit der Schlinge um den Hals an diesem Ast hochzuziehen. Na ja die Nacht ist die Verbündete der finsteren Taten.
Eine weiße Blüte fällt auf das Gurkenglas mit deiner Gebissprothese.
Frühling.
https://up.picr.de/35584908gg.jpg
Weitere Werke von Ralfchen:
_________________ Alles, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen. (L. Wittgenstein) |
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Bea H2O Leseratte
Beiträge: 180
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25.04.2019 22:17
von Bea H2O
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Hallo Ralfchen,
möglicherweise kenne ich mich zu wenig mit den Ansprüchen an Satiren aus, um dir da ein fundiertes Feedback geben zu können, ich denke aber, dass hier doch ein bisschen der Witz/Spott und insbesondere eine klare Botschaft fehlt? Mir wird weder richtig klar, ob es der Mann oder die Frau ist, die hier "verspottet" wird, noch was denn genau kritisiert wird? Bei mir kommt die Botschaft einfach nicht an.
Dann noch zwei konkrete Punkte, die mir aufgefallen sind:
Dass jemandem ein Bein ohne Narkose abgesägt wird, macht für mich auch in einer Satire keinen Sinn
Genau kann ich nicht sagen, woran es liegt, aber ich dachte zunächst, dass die tote Person die Frau war. Dann störte es mich, dass ich mir mein Bild neu bauen musste.
Witzig fand ich: "Ich hätte damals doch diesen Ralfchen heiraten sollen"
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V.K.B. [Error C7: not in list]
Alter: 51 Beiträge: 6122 Wohnort: Nullraum
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25.04.2019 23:26
von V.K.B.
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Hallo Ralfchen,
Ich fand das Ende witzig, besonders die letzte Zeile.
Das Interessante an dem Text ist für mich, wie er unbewusst-verinnerlichte Rollenbilder entlarvt. Wie Bea H2O hatte auch ich zuerst gedacht, der Erzähler müsse der Mann sein. Warum eigentlich? Traut man einer Frau nicht zu, so verbittert-zynisch zu denken, in der Badewanne zu furzen oder besoffen von einer Bank zu fallen? Doch, rational eigentlich schon, warum nicht? Aber warum liest man zuerst einen männlichen Erzähler? (Mag aber vielleicht auch am Geschlecht des Autors liegen?)
Soweit erstmal meine Gedanken dazu.
Beste Grüße,
Veith
_________________ Let the cosmic muse I summoned forth inspire thee …
Warning: Cthulhu may still occasionally jumpscare people … |
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firstoffertio Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5854 Wohnort: Irland
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26.04.2019 21:19
von firstoffertio
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Schwarz, klein und ziemlich sauer, dieser Text.
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Ralfchen Eselsohr
Alter: 76 Beiträge: 371
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27.04.2019 21:40
von Ralfchen
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HALLO IHR LIEBEN - DANKE FÜR DAS LESEN UND KOMMENTIEREN:
Ich dachte dass die beschreibung des amputees schon ziemlich eng eine feminine rolle des toten menschen ausschloß. ich habe aber natürlich bewusst darauf verzichtet das zu outen. dachte das gäbe der pointe ein wenig mehr saft. aber wer sagt zu einem mann vögelchen? natürlich kann ich mich auch irren. mein geliebte frau nannte mich BÄRLI und danach anderes und am ende BABY. vögelchen sollte etwas zartes von der angerdeten person vermittel. ohne ins detail zu gehen.
Zitat: | Vögelchen wir werden unseren eigenen Kleingarten haben und ein Baum wird in der Mitte stehen: Ein riesiger Kirschbaum. Wir werden jedes Jahr darunter sitzen und den Regen der Kirschblüten auf uns rieseln lassen!“ |
vlg
r
_________________ Alles, was überhaupt gedacht werden kann, kann klar gedacht werden. Alles, was sich aussprechen lässt, lässt sich klar aussprechen. (L. Wittgenstein) |
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Ralfchen Eselsohr
Alter: 76 Beiträge: 371
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28.04.2019 13:38
von Ralfchen
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Bea H2O hat Folgendes geschrieben: |
Witzig fand ich: "Ich hätte damals doch diesen Ralfchen heiraten sollen" |
ja liebe Bea -
zumindestens ab dann hätte die gender-frage sich aufgetan.
vlg
r
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Isa Leseratte
Beiträge: 153 Wohnort: München
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29.04.2019 10:08
von Isa
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Hallo Ralfchen,
schon gut geschrieben und sehr schwarz genau, und ich pendele ununterbrochen zwischen der Annahme doch männlicher Schreiber oder eher weiblich.
„Ich“ nehme immer alles ernst und frage mich, warum das Raucherbein ohne Narkose abgesägt wurde.
Die zentrale Frage ist aber für mich, warum haben die beiden es 50 Jahre miteinander ausgehalten und was war so schlimm daran? Gut, diese Affäre mit der Maria,.. und dann als Kontrast dieses idyllische Bild des Kirschbaumes. Aber ist ja so gewollt.
Habs gerne gelesen, auch wenn ich mir unter fünzig Jahren Kirschbaum etwas anderes wünschen würde…
Isa
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Ralfchen Eselsohr
Alter: 76 Beiträge: 371
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01.05.2019 00:43
von Ralfchen
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servus -
dass die prot weiblich ist geht in einem der letzten absätze klar hervor:
Zitat: | Ich ertappe mich bei einem leisen Selbstgespräch: „Fünfzig Jahre waren fünfzig Jahre zu viel. Ich hätte damals doch diesen Ralfchen heiraten sollen. Der Typ sah aus wie ein junger Gott!“ |
ich denke dass die details der beziehung - und dass dies höllisch bzw schwer war schon aus der erzählung hervorgeht. darüber aufschlüssiger zu berichten hätte m.m.n. den umfang gesprengt und das wollte ich vermeiden. danke für das lesen und deine kritik.
vlg
rchen
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Der_Meister Gänsefüßchen
D Alter: 40 Beiträge: 24 Wohnort: The big city
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D 16.05.2019 07:15
von Der_Meister
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Super geschrieben. Kurz und pfiffig, ein wenig wie Bukowski.
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Ralfchen Eselsohr
Alter: 76 Beiträge: 371
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15.05.2021 23:58
von Ralfchen
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Der_Meister hat Folgendes geschrieben: | Super geschrieben. Kurz und pfiffig, ein wenig wie Bukowski. |
danke erst jetzt gesehen. hoffe es waren nicht Zuviel Rechtschreibfehler drin über die sich andere Mitglieder zu recht extrem echauffieren.
Viele liebe Grüße!
ralfchen
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