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Auf Umwegen - drei Reiseimpressionen


 
 
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Federfuchser
Leseratte
F


Beiträge: 147



F
Beitrag01.10.2020 19:18
Auf Umwegen - drei Reiseimpressionen
von Federfuchser
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

1. Schweinrich


    Es gibt Umwege im Leben, die man machen muss, um ans Ziel zu gelangen. Es gibt aber auch Umwege, die man geht, obwohl das Ziel klar vor Augen liegt.
    Solch ein Umweg war der nach Schweinrich.
    Es begab sich auf einer Radtour zur heiteren Stadt Wittstock/Dosse.
    Da war zunächst das Straßenschild

                                                     Berlinchen.
  
   Auf der Welt gibt es annähernd hundertzwanzig Orte mit dem Namen Berlin, davon allein in den USA sechsundzwanzig. Ein Berlinchen war mir allerdings nicht bekannt. Sofort begann ich zu grübeln. Kann man aus einem Elefanten eine Mücke machen, und wie sähe diese Mücke dann aus? Möglicherweise wie ein winziger Elefant mit Flügeln? Ich war gespannt, was ich da vorfinden würde. Um es ohne Umschweife zu sagen: Ich fand nichts, was mich an das große Berlin erinnerte, es war ein Dorf wie hunderte, ja tausende im schönen Lande Brandenburg auch. Eine laute, vielbefahrene Straße, ein heruntergekommener Gasthof, niedrige, eingeschossige Häuser, eine Kirche mit dickem Wehrturm und uralten Linden, also nichts Erwähnenswertes.
   In einer Kurve ein Hinweis:

                                                                      Schweinrich 6 km.

   Schweinrich und Berlinchen, Romeo und Julia, Daphnis und Chloé, Samson und Dalilah...
   Stoff zum Träumen oder Titel für einen Liebesroman oder eine Tragödie.
   Sofort warf ich mein Fahrrad herum und schlug den bezeichneten Weg ein. Diesen Ort musste ich einfach sehen, obwohl er mich eine halbe Stunde Fahrtzeit kosten würde und gerade ein Gewitter aufzog. Der Name war einfach zu verlockend.
   Natürlich erwartete ich keinen Ort reich an Schweinen, weder in der direkten noch in der indirekten Bedeutung. Wie ja auch Schweinfurt nicht von Schwein kommt, sondern von zwin, will heißen: schwinden, versanden. Vielleicht waren ja Wildschweine gemeint, die dort früher die umliegenden Wälder bevölkerten (und heute wieder oder immer noch). Doch dann die Überraschung: Ich fuhr in einen schmucken Ort ein, mit schön restaurierten Häusern und blühenden Vorgärten, mit einer sauber gepflasterten Straße und einer neugotischen Kirche. Hinter dem Dorf dann der obligatorische See, an dem sich Touristen tummelten.
    Welch ein Unterschied zu dem armen Berlinchen! Hier beschauliche Ruhe und gepflegte Bürgerlichkeit, dort der Lärm der Straße und der Anblick von Bedürftigkeit und Verfall – zumindest auf den ersten Blick. Zwei Geschwister, so unterschiedlich wie Tag und Nacht. Doch wie´s im Leben so geht: Der eine erreicht sein Ziel sofort, der andere erst über Umwege, ein dritter nie.

                                                                         2. Die Türen

   Auf einem Streifzug durch Potsdam, nachmittags um halb vier, zog mich eine dieser pompösen Villen, die diese Stadt für mich zu einem einzigartigen Ort auf der Welt machen, auf einen anderen Umweg. Ich bog in die Straße ein, deren Namen ich vergessen habe, und ging auf die Villa zu. Davor, auf dem Hof, lag ein Stapel ausgebauter Türen, zur Entsorgung bestimmt.
   Ich trat näher. Oben auf eine schmale, kurze Tür, aus massivem Holz gefügt, mit noch gut erhaltenem, altweißem Lack, offensichtlich die Tür zu einer Speisekammer. Sofort schmeckte ich den Geruch überreifem Harzer Käses, denn in der Wohnung meiner Großmutter war eine ähnliche Speisekammertür gewesen, hinter der unter anderem ein Glas mit eben diesem Milchprodukt stand, das an heißen Tagen und in Ermangelung eines Kühlschranks seine geballte olfaktorische Kraft entwickelte.
   Die Tür darunter war besonders groß und massiv, in den Maßen, wie sie in Berliner Altbauwohnungen zu finden sind, mit alten Drückern samt Beschlägen. Auch sie war noch gut erhalten, wiewohl von rauen Handwerkerhänden etwas ramponiert. Ihre Lackierung war von einer Art brauner Patina überzogen, die sich mit angefeuchtetem Finger wegwischen ließ: Der Niederschlag jahrzehntelangem Rauchertums. Doch welcher Rauch war es, der sich an dieser Tür niedergeschlagen hatte wie ein luftiges Gedächtnis? Der von Zigaretten? Der von Zigarillos? War es Pfeifen- oder Zigarrenrauch? Ich entschied mich für letzteres, denn einen Zigaretten, Pfeifen, Zigarillos rauchenden Mieter oder gar Besitzer dieser Prachtvilla konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Ich sah einen würdigen, eisgrauen Aficionado, nicht unbedingt mit einer Churchill, aber auch keineswegs mit einer Panateta, doch mindestens mit einer Robusto im Mund, möglicherweise war´s sogar ein Krummer Hund – wie er den Rauch genüsslich zur Decke blies und das Glas Rotwein, das ihm der Butler kredenzte, mit verhaltenem Dank annahm.  
   Ein Hirngespinst! In diesem Haus war schon seit Jahrzehnten nicht mehr geraucht und getrunken worden.
   Ich blickte hoch. Die Villa, mit wuchtigem Basement aus Naturgestein und gebogenen Balken im Dachgeschoss, mit Rundbogenfenstern, Treppen, Treppchen und Türmchen, efeuumrankt, lag da wie ein Patient, der weder leben noch sterben kann. Doch der Arzt war schon bei der Arbeit, wie heftiges Sägen, Hämmern und Bohren bewies. Dass dieser Arzt angeblich aus Russland kam und Mafia hieß, interessierte mich nicht. Wichtig war mir, er kurierte den Patienten.
   Wieder glitt mein Blick über die Türen.
   Tür, lateinisch janus, Tor zu einem neuen Jahr mit allen guten und bösen Überraschungen, die das Leben zu bieten hat. Tür, nicht nur selbst oft bewegt, sondern oft Zeuge bewegten Lebens. Tür, mystisches Rätsel aus Holz, Leim und Lack. Tür, Schranke zwischen Gefangenschaft und Freiheit. Tür, Barriere gegen ungebetene Gäste, Lärm und Staub. Und solch emotionsbeladene Dinge sollten schnöde entsorgt werden? (Entsorgt, o du verlogenste aller Euphemismen!)
   Mein Entschluss stand fest: Zumindest die beiden oberen Türen wollte ich retten. Ich fragte einen vorbeikommenden Handwerker, ob ich sie mitnehmen dürfe. Der nickte und ging weiter.
   Doch wie? Mein Kombi war bis unter die Decke beladen, mit all den Sachen, die ein Mensch so braucht, wenn er eine Reise tut, da passte kein Schuhkarton mehr hinein. Doch Platz ist nicht nur eine Sache des Volumens, sondern öfter noch eine der Ordnung. Also wurde ausgepackt und wieder eingepackt – und siehe da, die beiden Türen passten hinein!
    Und ich fand auch Möglichkeiten für ihren Gebrauch. Um die kleine Tür herum baute ich einen netten Schrank, die andere verschloss eine Nische mit Schuhen und allerlei nützlichem und nutzlosem Kram – zugegeben, ein kümmerliches Dasein für ein hochherrschaftliche Tür, doch ich denke, kümmerlich ist allemal besser als tot.

                                                               3. Meine neue Freundin

   In der Nähe von Bad Wilsnack entdeckte es ein Herrenhaus, halb von hohen Bäumen verdeckt, das mich wegen seiner märchenhaften Architektur zu einem Abstecher verleitete. Hinter dem Haus war ein kleiner Privatzoo, unter anderen mit Alpakas, diesen seltsamen Kleinkamelen aus Südamerika. Eines dieser Tiere faszinierte mich besonders; ich blieb stehen und blickte es an. Sein Kopf über dem langen schlanken Hals war von einem wüsten, rostbraunen Haarschopf gekrönt, in der Art, wie ihn manche Frauen tragen. Sein Gesicht war hellbraun, die Nüstern schwarz. Nun wendete es den Kopf und blickte zurück. Die Augen waren groß, gewölbt und so gestellt, dass das Tier damit nach vorne und zur Seite blicken kann. In dem Blick lag etwas Rührendes, etwas Zutrauliches, wie ich es noch bei keinem Tier erlebt habe.
   Indem wir uns beide ansahen, kam das Alpaka langsam näher, und jetzt sah ich, welche Schönheit es war. Auch ich näherte mich dem Zaun, langsam, behutsam, leise, beruhigende Worte flüsternd, irgend einen Unsinn, den man bei solchen Gelegenheiten von sich gibt. Jetzt waren unsere Gesichter auf gleicher Höhe, ich beugte mich weiter vor, auch das Tier näherte sich weiter, unsere Münder waren vielleicht noch zwei Zentimeter voneinander entfernt, ich sah seine wunderbaren, großen Augen – da rollte es seine Zunge heraus und berührte damit meine Lippen. Dann trabte es davon.
   Ja, es war ein Kuss, auch wenn ihr behauptet, das Tier habe nur Salz lecken wollen.  
   Eine Weile stand ich wie benommen. Im Grunde mag ich es nicht, wenn mich Tiere belecken. Doch diesmal war die Empfindung nicht Ablehnung, sondern Verbundenheit. Ich verspürte wie niemals zuvor, dass wir alle, Menschen, Tiere, Pflanzen, die wir diesen Globus besiedeln, zu einer großen, allumfassenden Familie gehören, in der Zuneigung das Gebot der Stunde ist.
   Beim Weggehen blickte ich noch einmal zurück. Das schöne Tier äste friedlich, sein Haarschopf glänzte in der Sonne.
   Ihr könnt mich einen Narren schimpfen, aber ich hatte das Gefühl, eine Freundin zu verlassen.

12Wie es weitergeht »




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wohe
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W
Beitrag02.10.2020 20:17

von wohe
Antworten mit Zitat

Hallo Federfuchser,

die 3 Texte sind (unabhängig von einander) genau das, was im Titel angesagt wurde:
Impressionen.
Nix zu bemängeln (Aufbau, Stil, Lebendigkeit ok), nett zu lesen, insofern perfekt - muss ich am Wo-Ende mal hin (gucken halt).

Fein das
Wohe
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Federfuchser
Leseratte
F


Beiträge: 147



F
Beitrag02.10.2020 20:42

von Federfuchser
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Hallo wohe,
ha, hätt ich nicht gedacht, dass ich hier noch mal als Reiseanimateur auftrete! Wenn du da bist, grüß Schweinrich von mir!  Darüberhinaus: Danke für dein Feeback.

« Was vorher geschah12



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