Tretbootliteratur

[hobbes]

[Gast]

[hobbes]

Oh, der Comer See! Hach. Jetzt bin ich ein klein wenig neidisch.

[hobbes]

Immer sind zwei Tretboote unter seinen Ballons. Alle anderen - Glitzereinhörner, Mickey-Mäuse, Minions, Raketen, Herzen, Feuerwehrautos, Delphine, Schlümpfe, Schmetterlinge – die gehen weg wie nix, die verkauft er immer. Die zwei Tretboot-Ballons bleiben zuverlässig übrig, niemand kauft Tretboot-Ballons.
Jeder andere hätte sie längst aus dem Sortiment genommen.
Aber Adrian ist vor vielen Jahren mit seiner großen Liebe über den Dithmarscher See gefahren. Im Tretboot. Die ganze Zeit hat er darüber nachgedacht, wie es sein wird, sie zu küssen.
Die Liebe war leider einseitig, sie hat dann doch lieber Erik geküsst.

Seither ist Adrian nie mehr Tretboot gefahren. Doch schon an seinem ersten Tag als Ballonverkäufer hatte er zwei Tretboot-Ballons im Angebot, dabei ist es geblieben. Seither wartet er darauf, dass endlich die eine kommen wird. Die alle Ballons ganz genau betrachtet, sich lange nicht entscheiden kann: lieber das grüne oder doch eher das blaue Tretboot? Adrian wird alle anderen Ballons fliegen lassen, in einen blauen Himmel werden sie hinaufsteigen und er wird mit ihr an seiner Seite zum nächstgelegenen See gehen, sie werden die Ballons am Lenkrad des Tretboots festbinden, in die untergehende Sonne hineinfahren und er wird sie küssen, mitten auf dem See, unter dem blauen und dem grünen Ballon, die über ihren Köpfen durch die Luft tanzen.

Aber die eine, sie lässt auf sich warten. Und so fliegen am Ende des Ballonverkäufer-Tages die Tretboot-Ballons hinauf in den Himmel. Zeigt ihr den Weg zu mir, flüstert er ihnen zu. Und ist überzeugt, es wird funktionieren, irgendwann wird sie zu ihm kommen.
Er sieht nicht, wie die Ballons in Bäumen stecken bleiben, sich im Hochspannungsmast verheddern oder in den Dornen der Schlehen platzen. Wie sie ihre Reise auf einem abgeernteten Maisfeld beenden, wo sie knapp über dem Boden herumdümpeln, ab und an den vergeblichen Versuch starten, noch einmal abzuheben.

Bis der Bauer kommt, auf seinem Traktor. Traktoren werden heutzutage größer und größer, der Bauer hat keine Chance, das verhutzelte blaue Ding auch nur zu entdecken. Er pflügt es unter, im nächsten Jahr wächst Weizen darauf.
Aber vielleicht kommt ihm die Frau mit dem Dackel zuvor. Der Dackel frisst alles, was ihm vor die Nase kommt, er würde auch verhutzelte blaue Ballons fressen, allein die Frau ist auf der Hut, ist schneller als der Dackel, sie streicht das Ding glatt, betrachtet es und als sie das nächste Mal auf den Jahrmarkt geht, erinnert sie sich und bleibt beim Ballonverkäufer stehen.

Wer weiß schon, wie Geschichten ausgehen.

[nebenfluss]

Ach, warum nur muss ich jetzt an Petra denken ...

EDIT: Sorry, hatte erst nur die Geschichte gelesen, du hattest Petra in den Antworten selbst schon erwähnt

[hobbes]

Ja, und auch, dass meine Petra-Geschichte eine ganz andere wäre Aber die habe ich ja jetzt schon erzählt, die schreibe ich also nicht mehr. Schade eigentlich.

[nebenfluss]

Du meinst eine Geschichte aus der Ich-Perspektive des Trettboots, in der es der verschwundenen Petra hinterherschmachtet?

[V.K.B.]

[hobbes]

[hobbes]

[hobbes]

„Du“, sagt Jannis zu Susanne und setzt sich auf. „Da ist gerade eine Kuh über uns drübergeflogen.“
„Sicher“, sagt Susanne, ohne die Augen zu öffnen.
„Ehrlich!“ Jannis rüttelt an ihrem Arm. „Jetzt schau doch mal!“
Seufzend setzt sich Susanne auf. „Und wo soll sie sein, deine Kuh?“
„Jetzt ist sie weg.“
Susanne verdreht die Augen und lässt sich wieder auf den Rücken fallen.
„Ehrlich wahr!“, beteuert Jannis erneut.
„Vielleicht war es ein Storch?“, fragt Susanne. „Die sind auch ziemlich groß.“
„Klar, ein Storch“, sagt Jannis. „Den kann man leicht mal mit einer Kuh verwechseln.“ Er schüttelt den Kopf. „Hör mal, ich bin doch nicht blöd.“
Noch einmal setzt sich Susanne auf, legt die Hand auf seine Stirn. „Hast du vielleicht zu viel Sonne abbekommen? Wir sollten lieber in den Schatten-“
„Es stimmt!“ Jannis steht auf und sieht sich um, als müsse er jemanden herbeizaubern, der ihm beipflichtet. Aber außer ihnen ist nur ein älterer Herr da, Zeitung lesend. „Hallo!“, ruft er laut. Gleich noch einmal: „Hallo!“
„Jannis“, sagt Susanne.
„Haben Sie die Kuh auch gesehen?“, ruft Jannis.
Der ältere Herr hebt indigniert die Augenbrauen, schüttelt leicht den Kopf und senkt den Blick wieder auf seine Zeitung.
„Da flog wirklich eine Kuh“, murmelt Jannis leise.

[Gast]

Schöner kleiner Dialog, der die ‚Kein-Mensch-will-mir-glauben-Erfahrung‘ präzise auf den Punkt bringt.  

LG
DLurie

[hobbes]

Danke. Ich habe ja den Eindruck, es fehlt eigentlich noch etwas, es hört zu früh auf. Aber wer weiß, vielleicht kommt ja noch was nach.

[nebenfluss]

[hobbes]

[hobbes]

„Was ist?“, fragt Susanne später, als sie sich auf dem Heimweg machen. „Denkst du etwa immer noch an diese Kuh?“
Jannis hält inne und sieht Susanne an. Auch Susanne sieht ihn an.
„Lass uns Schluss machen“, sagt Jannis.
Sie lacht. Dann merkt sie, er meint es ernst. „Spinnst du?“, fragt sie. „Wegen einer Kuh?“
Nein, denkt er. Weil du mich nicht ernst nimmst. Weil du mich noch nie ernst genommen hast.
„Ja“, sagt er. „Wegen einer Kuh.“
Immer noch starrt sie ihn an. „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“
Jannis denkt nach. „Doch“, sagt er schließlich.
„Du machst mit mir Schluss, weil ich dir nicht glaube, dass du eine fliegende Kuh gesehen hast?“
„Ja“, sagt Jannis. „Nein“, schiebt er hinterher. „Wegen-“
„Ja?“, fragt sie.
Sie sehen sich an.
„Wegen allem anderen“, sagt er schließlich.
„Allem anderen“, wiederholt sie. „Und was soll das sein?“
„Tobi“, sagt Jannis. „Zum Beispiel.“
„Tobi?“
„Ja, Tobi“, wiederholt Jannis. „Mit dem du geschlafen hast, auf Ivankas Party. Hast du wirklich geglaubt-, ach, egal.“
„Du spinnst doch“, sagt sie noch einmal.
„Ja, vielleicht“, sagt er. Sieht ein letztes Mal in ihre Augen. Blau, so blau. Wie der Himmel hinter einer fliegenden Kuh.
Dann lässt er sie stehen.

[nebenfluss]

Ist Tretbootliteratur vielleicht nur ein lustiger Aufkleber für Prosa mit unzuverlässigem Erzähler ...
Prota sieht fliegende Kühe, bildet sich (möglicherweise) ein, seine Freundin hätte mit einem anderen geschlafen ... und wenn ich jetzt frage, wann ich erfahre, wie es wirklich war, kommt bestimmt wieder so eine "Wer weiß"-Antwort

[hobbes]

Vielleicht aber auch nicht

[Gast]

Huch! Da war die kleine Episode mit der fliegenden Kuh nur die Spitze des Eisbergs…
Jetzt könntest du Schluss machen, und es wäre schon rund.
Andererseits wäre das schade, denn es macht richtig Spaß, deine ausgesprochen lebensnahen Dialoge zu lesen.

LG
DLurie

[holg]

Wow, Hobbes. Das ist ganz großes Kino.
Wollte ich nur sagen. Auch, damit ich mitkriege, wenn es hier weiter geht.

[Gast]

Ach verdammt, ich dachte die Kuh hängt in 'nem Traktorstrahl. Beim nächsten Mal dann.

[nebenfluss]

Vielliecht tritt sie auch nur schnell genug, um in der Luft zu bleben. In Tretbootliteratur ist so einiges möglich.