Tretbootliteratur

[yoshii]

Ich kannte deine vorherigen Texte nicht, aber der jetzt hat mir so gut gefallen, dass ich mir die anderen auch noch durchlesen werde.

[hobbes]

Oh, das freut mich. Ich hoffe, die anderen können mithalten

[yoshii]

Ja, ich wurde nicht enttäuscht.

[psi]

:)

Weil ich hinter den Text keine belanglosen Wörter klatschen will, aber auch nicht gar nichts sagen, also bleibt nur die Internetversion der niemals stillen Körpersprache, und welche Körpersprache haben eigentlich die Toten, haben sie überhaupt eine und wenn ja, für wen?

[hobbes]

Danke fürs nicht nichts sagen

[hobbes]

Frühling, Sommer, Herbst und Winter

Im Park fangen die Toten goldene Blätter, die der Herbstwind zu Boden wirft.
Sie sitzt auf einer Bank in der Sonne und betrachtet das Treiben. Wie leicht es den Toten fällt, die Blätter zu fangen.
Einmal hat sie sich dazugesellt, die Arme ausgestreckt und es ebenfalls versucht. Es ist viel schwerer als es aussieht. Immer kommt das Blatt aus dem Nichts und schlägt kurz vor ihrer Hand doch noch einen anderen Weg ein. Nur ein einziges Mal hat sie es geschafft, eins der Blätter im Flug zu fangen. Sie hat sich eingebildet, bei den Toten ein anerkennendes Nicken zu sehen.
Die Toten müssen sich nicht anstrengen, es ist, als suchten die Blätter den Weg zu ihnen, als wollten sie nichts anderes, als in der Hand eines Toten zu landen. Eine kurze Verschnaufpause auf dem Weg zu Boden einlegen, denn sie bleiben ja nicht dort, es ist nur ein Innehalten, ein kurzer Moment, bevor der Wind sie wieder weiter trägt.

Ihr Blick wandert von den Toten zu den Menschen. Wieder einmal wundert sie sich, wie sie alle vorüber laufen und keinen Blick für nichts und niemanden haben, nichts zu bemerken scheinen, schon gar nicht die Blätter, die mitten in der Luft einfach stehen bleiben.
Wie kann es nur sein?, fragt sie sich. Was muss man tun, damit sie endlich sehen?
Ihr Blick wandert zu einem der Hochzeitspaare, das mit einem Fotografen durch den Park zieht, hier und dort stehen bleibt, um Momente in Bilder zu bannen.
Alle bemerken die Hochzeitspaare, vor allem die Braut im weißen Kleid, bei ihr landen alle Blicke.

„Ich glaube nicht, dass ich einmal heiraten werde“, hat sie zur Therapeutin gesagt. „Schon gar nicht in einem weißen Kleid.“
„Ah ja?“

Noch nie hat sie eine Tote im weißen Kleid gesehen. Stirbt denn keine an ihrem Hochzeitstag? Oder kommt es vielmehr darauf an, in welchen Kleidern sie beerdigt werden? Sie hat noch nie davon gehört, dass eine im Hochzeitskleid beerdigt worden wäre. Aber wo sollte das auch publik gemacht werden, in der Tageszeitung? Hubert Schmidt wird am Samstag, den 12. November, um 14:00 Uhr auf dem Zentralfriedhof in seinem Hochzeitsanzug beerdigt? Um 15:00 Uhr begleiten wir Leonore Kaufmann in ihrem Silberhochzeitskleid zur letzten Ruhe.

Ein Windstoß, wieder geht ihr Blick zu den Bäumen und dem Tanz der Toten darunter. Einmal hat sie eins der goldenen Blätter mit zur Therapeutin genommen, es sicher in ihrer Tasche verwahrt, immer wieder die Hand in die Tasche gesteckt, ja, es ist noch da.
„Es kommt mir so vor“, hat sie gesagt, „als warte ich auf etwas. Als bestünde mein Leben aus nichts anderem als Warten.“
„Ah ja?“

Sie fragt sich, was die Toten tun, wenn alle Blätter zu Boden gefallen sind. Als hätte er ihre unausgesprochene Frage gehört, dreht sich einer von ihnen zu ihr um. Er streckt ihr lächelnd die Hand mit dem Blatt  entgegen, pustet sacht. Hält ihren Blick, als das Blatt davonsegelt.
Ist das eine Antwort?, fragt sie sich.

„Auf was warten Sie denn?“, hat die Therapeutin gefragt.
Aufs Frühjahr?, hat sie gedacht.

[FaithinClouds]

Sehr schöne Fortsetzung der bisherigen Texte. 😄 Ich lese das echt gerne. The Sixth Sense in "lonely-hearted".

Ich hoffe, die Protagonistin trifft irgendwann auf jemanden, der/die die Toten auch sehen kann (ob jetzt als wirkliche Gabe oder weil diejenige Person ähnlich lonely ist, sei mal dahingestellt😅).

[hobbes]

[nebenfluss]

Ich mag das auch, es setzt dieses Thema von der Prota, die "ihre" Toten sieht, schön fort.
Ich muss aber doch kurz in die Textarbeit, denn das "Werfen" im ersten Satz

[wohe]

Hi hobbes,

auch von mir ein Lob.
Stilistisch einwandfrei (mich irritieren die "geworfenen" Blätter nicht - ein plötzlicher Windstoß kann das sonst ruhige Segeln unterbrechen, ohne den Gesamteindruck zu stören), etwas traurig, ruhig, insgesamt berührend --> gekonnt stimmungerzeugend.
Bin gespannt, wie es weiter geht.

MfG Wohe

[hobbes]

Ups, ich habe gerade festgestellt, dass ich euch noch gar nicht geantwortet hatte. Verzeihung.

Werfen, hm. Zu martialisch in dem Fall? Da mir gerade auch nichts besseres, passenderes einfällt, wende ich vielleicht einfach mein bewährtes Konzept des "wenn es nicht passt, kann es vielleicht auch ganz weg?" an. Dann bliebe:
Im Park fangen die Toten goldene Blätter.
Und in der Tat, den Rest braucht es eigentlich gar nicht.

Die Jahreszeiten - da war der Gedanke dahinter, dass sie diesen Rhythmus mit hineinbringen, also etwas kommt, etwas geht, immer wieder von neuem.
Aber eventuell mache ich auch einfach vier Texte daraus?
Die Idee gefällt mir spontan auch. Muss ich mal noch sacken lassen.

[wohe]

Hi hobbes,

ich will ja nicht nerven, aber wann gibt es mal wieder einen Tretboot-Text?
Warum?
Weil die Texte mich durch die Art, wie sie geschrieben sind, in erstaunlichem Maße berühren (kann ich nicht anders ausdrücken).

MfG Wohe

[hobbes]

Tja, wohe. Vieleicht habe ich deine Frage nicht beantwortet, weil ich auch keine Antwort wusste. Wie kann das sein, dass seit dem letzten Teil fast ein Jahr vergangen ist? Merkwürdig. Zwischenzeitlich sind noch mehr Toten-Texte entstanden, zwischenzeitlich dachte ich auch mal, ich könnte die mit einer anderen Geschichte verknüpfen. Daran zweifle ich schon wieder, aber vielleicht auch deshalb, weil ich in letzter Zeit quasi nur noch über eigene Befindlichkeiten schreibe und gar kein Raum zu sein scheint für die ausgedachter Leute.

Mittlerweile sind ein paar auch hier im Faden zu findender Texte in ein Zweifelheft gewandert. Danke Forum, dass es dich gibt, ich habe Zweifel daran, dass dieses Zweifelheft auch ohne Forum entstanden wäre. Sicher nicht, denn ohne Forum würde ich Herrn Fitte gar nicht kennen.
Vielen Dank auch an alle, die sich in diesem Faden zu Wort gemeldet haben, für euch gilt das gleiche, auch ihr seid in gewisser Weise an diesem Heft beteiligt.

Dass es dieses Heft gibt, soll natürlich nicht heißen, dass der Faden versandet, zumindest ist das nicht mein Plan. Aber der Plan sah ja auch nicht so aus, dass ich hier Ewigkeiten lang gar nichts mehr schreibe.
Eventuell gibt es gar keinen Plan, das könnte auch sein.

[wohe]

Hi hobbes,

es war zwar ein ziemlicher Kampf, bis die arme Buchhändlerin die Order rausschicken konnte. aber letztlich besteht auch für nicht-Internetkäufer wie mich (bin halt ein alter Knacker) die Möglichkeit, Dein Buch/Heft zu bekommen. Bin gespannt.

MfG Wohe

[hobbes]

Oh, ich hätte gedacht, das ginge eigentlich ganz einfach. Außerdem habe ich vergessen, dazuzuschreiben, dass man natürlich auch einfach mich anschreiben kann, ich hätte ein paar Exemplare vorrätig

Davon abgesehen: ein Leser! Ich freu mich.

[hobbes]

Sie fragt sich, ob es eine Art Hauptversammlung gibt, ein Treffen aller Toten. Oder regelmäßige Einberufungen, den Toten-TÜV.
Ob man erst eine Prüfung bestehen, einen Stapel Checklisten abarbeiten und die wichtigsten Dienstanweisungen gegenzeichnen muss. Wie beim Arbeitsschutz.
Niemals über einen Regenbogen gehen! Halten Sie sich fern von Tomatensauce! Belästigen Sie die Lebenden nicht!
Und wer sich nicht daran hält, der … der …
Ihr fällt nichts ein. Wie kann man einem Toten Angst machen? Bei fünfzig Strafpunkten machen wir dich wieder lebendig?

[Sue Rovia]

Oha, hobbes. Nach so einer langen Tretbootpause so ein schöner Text. I like.
Besonders das Ende.

[Globo85]

Gefällt mir auch.

[Bananenfischin]

Hm, ich mochte alles Bisherige, aber bei diesem Textstück kommt ein wenig Zweifel in mir auf. Es mag an der Kürze der Passage liegen, aber das ist mir zu witzig und dabei zu gewöhnlich in den Bildern, gleichzeitig zu dick aufgetragen, zu unhobbesig, kann ich wohl sagen. Die letzten beiden Sätze, da steckt wirklich etwas mit Mehrwert für mich drin, etwas, worüber ich nachdenken kann und das mir auch etwas über die Figur mitteilt.

[nebenfluss]

Zweifel auch bei mir.
Ehrlich gesagt lese ich das eher wie ein Nachdenken der Autorin über eine mögliche Fortführung des Themas.
Ich glaube, mir fehlt hier - wie es in anderen Passagen ja durchaus der Fall ist - ein konkreter Anlass, eine "Begegnung" mit den Toten, der/die diese Gedanken nach sich zieht. Damit würde es sich für mich wieder in die Erzählfigur integrieren und nicht wie Fragen aus dem Off wirken, die sich die Autorin ja doch selbst beantworten muss.
Also Zustimmung hierzu:

[d.frank]

Würde das auch als einen "Wiedereinstieg" sehen.
Aber das ist ja nicht schlecht.

[hobbes]

Dankeschön.

Nun sitze ich vor der Tastatur und habe ich noch mehr Verständnis als eh schon für Herrn Fitte, wenn er (sinngemäß) schreibt, er würde ja gern mehr und ausführlicher antworten/auf Kommentare eingehen, aber ach.

Ich freue mich daher einfach mal, dass der Text hier stehen kann und gelesen wird.