Stricken ist so ein schönes Hobby

[Inkognito]

Dieser Beitrag wurde auf Wunsch des Autors inkognito eingestellt.

Stricken ist so ein schönes Hobby


Die Ladenglocke über der Tür bimmelt schadenfroh, als ich eintrete. Der Raum ist dunkel, riecht muffig nach altem Holz und Druckerschwärze. Trotzdem gehe ich zum Tresen, wo ein Mann mittleren Alters steht, Kneifer auf der Nase und die blanke Verachtung im Blick.
„Schönen guten Tag, ich bin Autor und …“, beginne ich freundlich und lege meinen Papierstapel auf den Tisch.  
„Oh Gott, noch so einer!“, murmelt mein Gegenüber.
„Dies ist doch ein Verlag und da wundert es Sie, wenn ein Autor Ihnen ein Manuskript anbieten möchte?“
„Nein, aber ich wünsche mir seit langem, dass mal einer durch die Tür kommt, der mir Hosenknöpfe verkaufen will“, meint er schwermütig. „Hosenknöpfe sind nützlich!“
„Und mein Roman ist das nicht? Ich habe mir viel Mühe beim Schreiben gegeben, habe jahrelang auf meiner Gänsefeder herumgekaut und …“
„Sie hätten stricken sollen! Das ist ein produktives Hobby, finden Sie nicht?“
„Weiß ich nicht! Ich kann nicht stricken, aber Bücher schreiben und ich habe da …“
„… sagen Sie es nicht, Sie haben einen Roman geschrieben, der sich wie geschnitten Brot verkaufen wird.“ Er grinst falsch und winkt mir mit einem Finger zu, ihm zu folgen. Wir betreten einen Raum, in dem bergeweise Papierstapel liegen, verstaubt, vergilbt, manche zerlesen und andere blütenweiß und unberührt.
„Hier lagern wir alle potenziellen Bestseller.“
„Und was machen Sie damit?“
„Ich persönlich? Ich hoffe, dass der ganze Laden abfackelt und der Brand in diesem Raum beginnt“, entgegnet er trocken.
„Aber in diesen Seiten steckt so viel Arbeit drin!“
„Das wiederum kann ich nicht glauben! Haben Sie die mal gelesen?“
„Nein.“
„Clever, ich tue so etwas auch nicht mehr!“
„Aber Sie arbeiten in einem Verlag und diese Manuskripte könnten …“
„Genau, wir sind ein Verlag und daher verstehen wir etwas von Verkaufszahlen, Marktanalysen, Zielgruppen, Verkaufsrechten und Marketing. Wir können praktisch aus jedem Buch einen Bestseller machen.“
„Dann nehmen Sie meines dafür!“
„Warum? Ich kenne Sie nicht!“
„Lernen Sie mich kennen. Ich erzähle Ihnen alles über mich, was Sie wissen wollen.“
„Bedaure, aber wir wurden uns nicht offiziell vorgestellt. Ich akzeptiere neue Bekanntschaften nur, wenn sie mir von einer Person meines persönlichen Vertrauens empfohlen werden.“
„Sie meinen einen Literaturagenten?“
„Genau, denen vertraue ich, weil ich Sie nicht kenne, aber ihn und er würde mir kein Manuskript empfehlen, dass nicht gut ist.“
„Warum werfen Sie kein Blick darauf?“
„Dafür bin ich zu beschäftigt, denn ich muss mich um die Verkaufszahlen, die Zielgruppenanalysen, das Marketing und so viel anderes kümmern, da bleibt keine Zeit zum Lesen.“
„Wenn Sie also ein Buch von einem Agenten empfohlen bekommen, sie den Markt genau analysiert und ein gezieltes Marketing platziert haben, wird das Buch ein Bestseller?“
„Manchmal ja, manchmal nein, das weiß niemand im Voraus.“ Ich halte inne und überlege kurz, worauf ich vermute: „Wenn ich Ihnen mein Manuskript gebe, legen Sie es auf diesen Stapel und hoffen, dass ein Feuer ausbricht?“
„Genau!“
„Warum habe ich mir die Mühe gemacht, allein in meinem finsteren Kämmerlein zu hocken, diese Seiten mit einer Geschichte zu füllen, bis meine Hände davon steif wurden?“
„Stricken ist so ein schönes Hobby und davon haben Sie am Ende einen Schal oder einen Pullover.“ Er seufzt gequält und meint: „Also gut, geben Sie mir Ihren Pitch, damit ich sehen kann, ob die Geschichte was taugt.“
„Was ist ein Pitch?“
„Eine Zusammenfassung ihres Werkes in zwei Sätzen, aber diese Sätze müssen Sie so wählen, dass die ganze Welt denkt, sie muss ihr Buch kaufen.“ Ich blicke ihn entgeistert an.
„Wie soll ich die 500 Seiten meines Romans in zwei faszinierend verkaufsträchtige Sätze fassen?“
„Wenn Sie das nicht können, sind Sie auch kein Autor und sollten das Stricken in Erwägung ziehen.“
„Aber der Pitch für ‚Herr der Ringe‘ würde lauten: Neun Leute laufen mit einem Schmuckstück in der Tasche durch Mittelerde“, überlege ich vorlaut. „Und bei Harry Potter wäre es: Ein junger Zauberlehrling hat eine Narbe unter dem Pony.“
„Der Pitch ist essenziell“, beharrt der Mann und nimmt mich wieder mit nach vorn zum Tresen. „Wenn Sie wollen, dass sich irgendjemand irgendwann mal dazu aufrafft, Ihr Werk anzuschauen, nachdem ihm Ihr Pitch zugesagt hat, dann brauchen Sie ein Exposee, eine Leseprobe von 20 Seiten und Ihre Autorenvita, wo alle die Bücher drin stehen, die Sie schon veröffentlicht haben.“
„Die wird aber kurz ausfallen, denn dies ist mein erstes Buch.“ Er lacht mich aus.
„Und dann soll ich mir ihr Manuskript anschauen? Niemand kennt sie! Wer soll denn Ihr Buch kaufen wollen?“
„Jemand, den meine Geschichte interessiert?“
„Kein Leser interessiert sich für Geschichten. Ihr Manuskript muss in das richtige Genre passen, und das Genre muss dem Trend entsprechen, denn sonst ist es auf dem Markt chancenlos, weil die Zielgruppe der Leser es nicht kauft.“
„Ich weiß gar nicht in welches Genre meine Geschichte passt, weil ich einfach drauflos geschrieben habe.“
„Das ist ganz schlecht! Wenn Ihr Manuskript kein Genre hat, weiß der Buchhändler doch nicht, in welches Regal er es räumen muss, und dann findet kein potenzieller Leser Ihr Buch.“
„Dann laufen also nur Bücher, die ein bestimmtes Genre haben?“
„Nein, es gibt auch Cross-over-Bücher, die gut laufen. Die werden einfach gekauft.“
„Und welche Bücher verkaufen sich gut?“
„Alle Werke von ausländischen Bestsellerautoren, irgendwelche Schinken von Halbpromis und dann noch ein Haufen keine Ahnung“, erklärt er geduldig.
„Weil die Werke von ausländischen Bestsellerautoren oder den Halbpromis besser sind?“
„Nein, weil wir sie teuer einkaufen und viel Werbung schalten, damit wir unsere Investition wieder rauskriegen.“
„Finden Sie nicht, dass darunter die Qualität der angebotenen Lektüre leidet?“
„Wie bitte?“
„Was mache ich mit meinem Manuskript, wenn Sie es nicht wollen, weil ich keinen Agenten habe, den ich nicht bekomme, weil ich noch keine Bücher verkauft habe, weil sich niemand mein Manuskript ansieht?“
„Da gibt es verschiedene Optionen. Wenn Sie das Papier nur vorderseitig beschrieben haben, schreiben Sie die Fortsetzung auf die Rückseiten. So haben Sie schon zwei Romane, die niemand lesen will. Andererseits soll man mit Pappmaché viele tolle Dinge zaubern können. Sie brauchen nur Kleister. Papier haben Sie genug.“
„Gibt es denn überhaupt niemand, der mein Buch veröffentlichen würde?“
„Doch, Sie selbst! Gründen Sie einfach einen eigenen Verlag und drucken Sie das Buch. Danach müssen Sie es nur noch im ganzen Land verkaufen.“
„Und bei einem Verlag bin ich als neuer Autor chancenlos?“
„Nicht ganz! Bei kleineren Verlagen haben Sie zumindest eine winzige Chance, dass jemand von Ihrer Schmonzette angetan ist und sie rausbringt.“
„Aber bei kleinen Verlagen ist die Chance darauf gering, dass mein Buch sich verkauft, nicht wahr?“
„Ja, genau! Es sei denn, Sie haben einen Bestseller geschrieben. Manche Bücher kann rein gar nichts am Erfolg hindern.“
„Aber auf mein Buch trifft das nicht zu?“
„Warum sollte es das? Niemand kennt Sie und einen unbekannten Autor aufzubauen ist viel Arbeit und Mühe, wobei niemand weiß, ob es sich lohnt. Darum kaufen wir die Bücher von Bestsellerautoren. Da wissen wir, was wir haben.“ Ich blicke ihn traurig an und klemme mir mein Manuskript unter den Arm.
„Wollen Sie Ihr Manuskript nicht hierlassen? Wir nehmen immer neue Manuskripte an, denn wir wollen ja nicht den nächsten Harry Potter verpassen, nicht wahr?“ Ich zögere und gebe ihm mein Manuskript: „Muss ich wohl! Eine andere Wahl habe ich nicht, als es auf den Stapel im Hinterzimmer zu legen.“
„Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen.“
„Danke, den werde ich haben, denn ich besuche gleich meine Oma, damit sie mir das Stricken beibringt. Stricken ist so ein schönes Hobby!“