Kaugummi [Drabble]

[Sue Rovia]

[nebenfluss]

Verstehe. Dann bricht also das Zeitalter des Post-IDKOKDW?ismus an, der SDKWUMDW?ismus.
Denn die entscheidende Frage zum Verhältnis zwischen Müll und Kunst lautet nicht mehr:
Ist das Kunst oder kann das weg?
sondern:
Soll das Kunst werden und muss deshalb weg?

Klingt erstmal wie eine dieser Ideen, die aus gutem Grund beim Versuch, den Berliner Ring zu überqueren, am Desinteresse der Restrepublik abprallen.
Aber wenn ein Herr Fitte dahintersteckt, ist die Lage wahrscheinlich ernst und Trendsetting vom Feinsten.

[Klemens_Fitte]

Hufgetrappel

»Kannst du mal aufhören, mit der Zunge zu schnalzen?!«
»Ich ahme nur die Pferde nach.«
»Ich weiß. Die Pferde sind uns übrigens vor ner halben Stunde begegnet.«
»Und? Würdest du auf nem Pferd sitzen, würd’s dich auch nicht stören.«
»Säße ich auf nem Pferd, wär ich so ne gestörte Pferdefrau, und keiner weiß, was in denen vorgeht.«
»Du könntest auch n Ritter sein. Oder Cowboy.«
»Nee, du, Reiten ist von Frauen okkupiert, da gibt’s keine Männer mehr.«
»Dressurreiter? Jockeys?«
»Ha, klar, die männlichsten aller Männer.«
»Du solltest mal deine Geschlechterbilder überdenken.«
»Und du solltest aufhören, mit der Zunge zu schnalzen.«

[nebenfluss]

Das hat etwas von gewissen Nebentisch-Gesprächen, die ich manchmal aus Versehen abhöre, in mich reingrinse und nur hoffen kann, dass es nicht noch absurder wird, weil ich dann entweder ersticke oder auf andere Art auf mich aufmerksam mache.
Hier wäre es bereits bei diesem Argument

[Klemens_Fitte]

"Aus Versehen abhören" hat was, finde ich

[Globo85]

[nebenfluss]

Unfreiwillig abgehört

Als die Bruderfaust in der Magengrube des Mädchens landete, ließen Mama und Papa ihre Teetassen sinken.
„Könntet ihr bitte mit der Prügelei aufhören?“, empfahlen sie synchron.
„Wärt ihr auf nem Boxkampf, würd’s euch auch nicht stören.“
Helge Bratschinger, keineswegs für investigative Neigungen bekannt, hörte auf zu kauen. Hilflos spürte er sie heranrollen, diese seltene, aber um so fassungslosere Gier nach jenen Überraschungsmomenten, die nur die Verfolgung eines komplett unvorhersehbaren Nebentisch-Gesprächs zu bieten hatte. Seine Autonomie beschränkte sich darauf, hastig den verbliebenen Zucchini-Omelette-Matsch hinunterzuschlucken - Schadensbegrenzung, falls er beim Vernehmen der elterlichen Antwort auch noch die Kontrolle über seine Mundmuskeln einbüßte.

[Klemens_Fitte]

[Klemens_Fitte]

Der Lichtfleck

Der Lichtfleck befand sich auf dem Teppich im Wohnzimmer. Er war dunkelviolett, bierdeckelgroß und wurde weder von einer Lampe erzeugt noch schien er die Reflexion einer Spiegelfläche im Zimmer zu sein. Hielt sie ihre Hand darüber, verschattete sich der Lichtfleck nicht, änderte aber kaum merklich die Farbe; die deutlichste Veränderung zeigte er, wenn sie ihn längere Zeit nicht beachtete. Als er zu flimmern und zu verblassen begann, stellte sie ihren Schreibtisch ins Wohnzimmer und schlief auf der Couch. Soweit möglich, verkürzte sie ihre Aufenthalte außerhalb des Zimmers oder gar der Wohnung. Zunächst erholte sich der Lichtfleck. Inzwischen war er blassblau.

[Lorraine]

Hallo Klemens,

Der Lichtfleck, eine Flamme, die nicht erlöschen soll. Die Flamme als Symbol des Lebendig-seins und jemand ist dort, der trotz des Auffahrens schwerer Geschütze nicht verhindern kann, dass das Licht schwächer wird. Der Lichtfleck, so lese ich, muss sich aus sich selbst nähren, wie vom Anfang des Textes her verstanden werden kann, wird aber mit der Einflussnahme blasser. Was also ist zu tun? Bleibt er allein, sieht ihn niemand. Wird er bewacht, schwächelt er. Das scheint ausweglos.

Ich mag ihn sehr, diesen kleinen, poetischen Text – der mir heute morgen aus der Ferne vorgelesen wurde!

Grüße von hier,
L.

[Gast]

Moin Klemens,

sehr schön!

Könnte man vielleicht lesen als Nachlassen der Liebe in einer längeren Beziehung. Liebe zunächst als intensives (dunkelviolett) und nicht manipulatives Gefühl (keine Verschattung), das über die Zeit nachlässt. Der verzweifelte Versuch, die Liebe  durch Intensivierung des Kontaktes neu zu beleben. Vorübergehende Erholung, dann aber weiteres (endgültiges?) Verblassen der Liebe.

Oder so ähnlich.

LG
DLurie

[FaithinClouds]

Ich fand das Drabble auch gut!
Aber für mich ging's eher um eine Obsession. Dass die Hauptfigur ihr Leben letztlich an was anpasst, was niemand verstehen würde, wenn man es ihm erzähle, das war für mich eher die Quintessenz 😄

Vielleicht kommt der Lichtfleck aber ja auch aus dem Weltall 😳

[Klemens_Fitte]

Hallo ihr drei

Und insbesondere: Hallo Lorraine!

Ich war heute Morgen, als ich das Drabble geschrieben hatte, auch recht zufrieden, aber zu sehen, was es so auslöst, an Reaktionen, Empfindungen, Gedankengängen, ist natürlich noch mal besonders schön.

Das mag jetzt etwas wischiwaschi und unverbindlich klingen, aber ich kann tatsächlich mit all euren Lesarten sehr gut mitgehen; es ist ja selten so, dass man als Autor mit einem Text nur eine Idee, eine Aussage oder eine Intention umzusetzen versucht, und mir macht es grade ziemlichen Spaß, das Bild des Lichtflecks um immer neue Facetten zu erweitern oder es aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten.

Vielen Dank dafür.

[a.no-nym]

Ich lese da (neben der menschlichen) auch noch eine gesellschaftliche bzw. politische Dimension hinein:
Was unter den Teppich gekehrt wird, fängt nach einer Weile an, ein Eigenleben zu führen – der Druck steigt, es wird warm, wärmer, glühend. Durch Hinschauen wird eine Aufarbeitung möglich – und die hinterlässt Spuren. Ignorieren und Wegschauen führt dazu, dass irgendwann die Hütte brennt.

[Klemens_Fitte]

Auch interessant.¹






¹ Kennt ihr dieses Interessant, das man lediglich verwendet, damit sich das Gegenüber in seinen Ausführungen einigermaßen gewürdigt fühlt und man schnellstmöglich zu was anderem überleiten kann? Das Obige ist nicht dieses Interessant, oder zumindest nicht ganz – puh, ich merke, ich muss ein bisschen weiter ausholen: Ich finde diese Lesart tatsächlich interessant, insofern, dass man sie zweifelsohne als Folie über den Text legen kann, ohne dass er dadurch verfälscht würde, aber gleichzeitig spüre ich eine (persönliche) Abwehr- oder Überleitungsreaktion, was nicht heißt, ich würde mir diese Lesart verbitten oder hielte sie für verfehlt; ich kann sie nur für mich nicht übernehmen, da ich momentan das starke Bedürfnis habe, meinen persönlichen "Schreibraum" frei zu halten von allem, was unmittelbar auf die gesellschaftlich-politische Ebene führt.

[FaithinClouds]

[Klemens_Fitte]

[Klemens_Fitte]

Blattschuss 2

Er visierte das passende Wort an, als er eine Bewegung im Augenwinkel wahrnahm. Kurz verlor er die Konzentration, hob den Blick. Zwischen den Stämmen der Bäume regte sich etwas – riesenhaft, monströs, und von einer Schönheit, die mit keinem Synonym zu treffen war. Sein Atem stockte. Was er erblickte, war nicht das passende, es war das perfekte Wort.

Später versuchte er, den Anblick zu deuten, in seine Bestandteile zu zerlegen. Dunstabzugshaube. Seine Lippen formten es, lautlos. Dunst. Geheimnisvoll. Faszinierend. Abzug. Hart, klar, von finaler Aussagekraft. Haube. Der vollendete Ausdruck der Behaglichkeit.

Er stand auf, und blickte aus dem Schlafzimmerfenster Richtung Wald.

[hobbes]

Immer wieder schön, hier des Morgens mit einem Drabble empfangen zu werden

Dieses hier passt prima zu dem "Autory, nun schreib doch endlich!"-Video, das ich gestern gesehen habe und in dem es unter anderem darum ging, ein Lieblingswort aufzuschreiben, irgendeins, es dürfe auch gern banal sein. Eins der Beispielworte der Videdofrau war "Wow", womit sie gleich die innere Kritikerstimme ins Spiel brachte, die in ihrem Fall so etwas sagte wie: Ernsthaft? Jetzt schreibst du schon x Jahre und dein Lieblingswort ist "Wow"? Willst du mich verarschen?

Ein Glück hatte ich vorher einen ganz bestimmten Text gelesen, deshalb fiel mir spontan "Forelle" ein. Damit lässt sich doch ganz gut leben schreiben.

Jetzt habe ich natürlich viel mehr zu mir als zu deinem Drabble gesagt. Tja nun. Immerhin überhaupt mal wieder was gesagt.

[Globo85]

[Constantine]

[Klemens_Fitte]