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Ironisch, gruselige Vampirgeschichte ... teuflisch oder nicht?


 
 
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Schreiberlingin
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Beiträge: 12



Beitrag09.05.2020 13:43
Ironisch, gruselige Vampirgeschichte ... teuflisch oder nicht?
von Schreiberlingin
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Kein Ausweg!

Es war kalt, und der Schnee fiel weich und leise, in dichten Flocken. Doch er fror nicht. In seinen Adern brannte ein Feuer, das nie kalt werden würde. Haus und Garten lagen fast vollkommen im Dunkeln. Doch er sah die Umrisse so scharf wie auf einer Infrarot Aufnahme. Seine Schritte machten kaum ein Geräusch, der Schnee fing sie auf wie ein weicher Teppich. Er machte sich nicht die Mühe die niedrige Gartenpforte aufzuklinken, er stieg einfach hinüber und ging den kurzen Weg zur Haustür mit energischen kraftvollen Schritten. Aus einer der Frontfenster fiel ein matter Lichtschein, das musste die Küche sein. Seine blauen Augen funkelten wie Eiskristalle. Er konnte durch den schmalen Spalt einer Gardine eine kleine Deckenleuchte sehen und einen Ausschnitt des Küchenmobiliars. Er sah die Umrisse einer schmalen Frauengestalt mit langen schwarzen Haaren. Automatisch befeuchtete er die spröden, kalten Lippen. Bevor sie sich umdrehte, trat er an die Haustüre und klingelte zweimal kurz hintereinander. Seine Ohren hörten einen überraschten Ausruf. Kam vielleicht noch eine andere Stimme dazu? - Nein, er wusste, dass sie allein war. Er hatte sie lückenlos beobachtet, dann hörte er leichte Schritte auf dem Flur, wie sie nur Hausschuhe verursachen konnten. Ob sie ihre unvergleichlichen Nachthemden trug? Sekunden später öffnete Sie die Haustüre.
»Martin«, rief sie und starrte ihn verblüfft an! Er spürte geradezu ihren sezierenden, spöttischen Blick, als sie seine spindeldürre Gestalt musterte, die in den Schultern viel zu große schwarze Lederjacke seines Vaters. Die Euphorie, die eben noch durch seinen Körper pulste, war wie weggeblasen. Erinnerungen stiegen wie scharfkantige Scherben in seinem Geist empor. Sein Vater groß, gut aussehend, breitschultrig, knallte das Garagentor zu. Er warf seinen prall gefüllten Koffer auf den Rücksitz seines Mercedes. Bevor er aber in den Wagen einstieg, um für immer aus seinem Leben, und dem Leben seiner Mutter zu verschwinden, wandte er sich noch einmal dem kleinen Jungen zu, der da verloren, frierend im Schnee stand. Generös, überlegen lächelnd, griff der Mann, der sein Vater war, nach hinten, ins Innere des Wagens riss eine dicke schwere Lederjacke vom Haken und warf sie Martin zu. »Da Kleiner fang, die vermache, ich dir! Vielleicht wächst du ja noch rein!«
Martin verspürte heute noch den Schlag, den das harte, schwere Leder ihm versetzte, der ihn ins Taumeln brachte, und ihn hilflos nach hinten in den nassen Schnee drückte.
Erneut stiegen die Angst und die Scham in ihm auf, als sein Vater ihn verächtlich angrinste. »Nein«, sagte er damals kopfschüttelnd, »Nein – wohl eher nicht!«
Dann stieg er in seinen Wagen und brauste davon, einem anderen Leben entgegen, mit einer schöneren Frau, die ihm vielleicht einen netteren kleinen Jungen gebären würde.
Die Bilder seiner Erinnerungen zerfielen. Wie ein Messer drang die helle Stimme Julias in seine Wahrnehmungen.
»Ich habe dir doch vor ein paar Tagen unmissverständlich gesagt …«
Ganz kurz schloss er die Augen, schienen seine schmalen Lippen zu beben, doch dann erinnerte er sich wieder, wer er war. Er schloss den Zorn in seinem Inneren ein, er verzog sein Gesicht zu einem verhaltenen Lächeln und strich linkisch eine blonde Haarsträhne aus der Stirn.
»Ich weiß! Und ich wollte mich entschuldigen. Es war wirklich blöd, wie ich mich benommen habe! Hier für dich!«
Unversehens zauberte er einen dicken Strauß Rosen hinter seinem Rücken hervor.
»Jetzt bist du sprachlos was? Hier, nimm schon! Und lass mich endlich rein. Es ist ganz schön kalt hier draußen!«
Julia seufzte.
»Du kapierst es wirklich nicht was? Ich muss wohl tatsächlich unfreundlich werden! Wenn dir kalt ist, dann geh nach Hause und dreh die Heizung auf. Verschwinde endlich und lass mich in Ruhe, ist das jetzt klar?"«
Sie machte Anstalten, ihm die Türe vor der Nase zu, zu werfen. Doch dann schaute er ihr flehend wie ein kleiner Junge in die Augen.
»Bitte Julia! Du meinst das doch gar nicht so oder? Ich weiß, ich war wirklich- ekelhaft! Aber ich verspreche mich zu benehmen - ehrlich!«
Sie lachte verzweifelt!
»Ich weiß nicht warum, aber deinem Kleinen-Jungen-Blick, kann ich nicht widerstehen. Komm rein! Aber nur für ein paar Minuten!«
»Danke Julia!« Er trat ein und schloss die Türe hinter sich.
»Deine Entscheidung war richtig.«
Er nahm seine dicke schwarze Brille ab und lächelte strahlend, seine Zähne blitzten im hellen Licht der Flurlampe. In diesem Augenblick schien sie alles zu wissen. Er sah, wie sich ihr Gesicht verzerrte, himmlisch sie kämpfte! Aber letztendlich würde sie ihm unterliegen. Julia schrie laut und wich zurück.
»Das wird dir nichts nützen,« sagte er freundlich.
»Damit lockst du keinen Nachbarn hinterm Ofen hervor! Die sind alle viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.«
Sie fing an zu zittern. Ihr Blick fiel auf eine gefüllte, bauchige Flasche Rotwein, die neben dem Telefon stand. Er grinste mitleidig.
»Aber Julia! Deine Absicht ist viel zu offensichtlich. Ich würde dich stoppen, bevor du auch nur die Hand erheben könntest. Außerdem bin ich jetzt so stark wie zwanzig Männer auf einen Haufen. Bleib stehen Julia! Du wirst es mögen. Ich werde dich nicht töten. Im Gegenteil, ich werde dir erst zu ewigem Leben verhelfen. Wir werden das Paar des Jahrhunderts werden!«
Er lachte kehlig.
Angewidert, voller Entsetzen, verzog sie das Gesicht und wich zurück.
Die Freude, die Kraft, der Triumph, kamen zurück und überschwemmten seine Sinne. Es stimmte also, alles was er jemals darüber gehört, gelesen hatte, war eingetroffen!
»Das ist der Ausweg Julia, das Ende der Angst. Du weißt nicht, was dir bisher entgangen ist. Glaubst du übrigens, es nützt dir etwas, wenn du dich in eine dunkle Ecke verkriechst? Schluss mit den Spielchen!«
Mit großen Schritten kam er auf sie zu. Grenzenlose Euphorie erfüllte ihn, wischte jede Vorsicht zur Seite. Er lächelte siegesgewiss, sein Atem strich schon über ihr angstvoll aufgerissenes Gesicht und dann, stolperte er in eine bodenlose Leere.

Er kollerte im Dunkeln etwas hinunter, was sich wie eine Treppe anfühlte. Er fühlte keinen Schmerz, außer als sein Oberschenkelknochen mit einem scharfen Laut zerbrach. Er brüllte wie ein verwundeter Wolf und blieb keuchend am Fuß der Treppe liegen. Dann sah er nach oben und bemerkte gerade noch, wie der Lichtspalt verschwand, hörte das scharfe Klicken der Türe und das Geräusch eines Schlüssels, der sich im Schloss drehte. Sie hatte ihn eingesperrt!
Gegen eine Eisentüre kam selbst er nicht an, der so stark wie zwanzig Männer war! Sie hatte ihn hereingelegt. Wieder einmal. In Bruchteilen von Sekunden war sie zur Seite gesprungen! Der Schwung, mit dem er sich über sie gebeugt hatte, ließ ihn stolpern. In seiner Wut und seiner Gier hatte er die nur angelehnte Kellertüre übersehen, vor der sie stand. Er musste ein komisches Bild abgegeben haben, als er mit den Armen rudernd, die schummrig beleuchtete Kellertreppe hinuntergestürzt war. Sie hatte es natürlich von Anfang an gewusst und war im letzten Augenblick zur Seite gesprungen! Sein logisches Denken war ausgeschaltet, sein Jagdinstinkt hatte übernommen. Anfängerpech. Aber noch war ja nicht alles vorbei. Er unterdrückte den Schmerz und schaute sich um. Er sah einen kleinen viereckigen Keller. An der linken Wand stand ein Fahrrad, lagen ein paar schmutzige Lappen, daneben war ein kleines Weinregal, die rechte Seite wurde von einer Heizanlage eingenommen.
Er stieß einen enttäuschten Laut aus. Keine Türe! Es gab keinen zweiten Ausgang! Nur ein breites aber niedriges Fenster beherrschte die Außenwand. Da würde er nie im Leben durchkommen! Dann zuckte ein Gedanke durch sein Hirn, der ihn ein Grauen spüren ließ, das er längst glaubte, besiegt zu haben! Durch dieses niedrige, aber breite Fenster würde gegen Morgen mit voller Kraft die Sonne scheinen. Mit dem gebrochenen Oberschenkel würde er es nicht schaffen hier weg zu kommen. Er war verloren. Er war es schon immer gewesen.....................................................................................................

Eigentlich sollte er sich ja freuen! Immerhin hatte er die Prüfung bestanden! Martin verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Sogar mit Auszeichnung! »Scheiße verdammte!«  
»Na schlechte Nachrichten?« Martin schaute den Meister an, der ihm den Brief gegeben hatte. Ein Kraftpaket von einem Kerl.
»Nein Herr Eder! Das ist die Prüfungskommission, ich habe die Prüfung mit Auszeichnung bestanden!«
»Na dann herzlichen Glückwunsch Junge! Dann musst du ja bald deinen Einstand hier geben!«
Arschloch, der wusste doch ganz genau, was los war!
»Sicher, in den nächsten Tagen Herr Eder! Ich bin mal kurz austreten!«
Er konnte geradezu fühlen, wie ihm der grinsende Blick des Meisters hinterher lief! Er verließ die Werkstatt, ging aber nicht zur Toilette, sondern ging ruhigen Schritts Richtung Ausgang! Was sollte er noch hier. Sie hatten ihn mit Bestehen der Prüfung rausgeschmissen! Auf die paar Tage kam es also auch nicht mehr an oder?
»He, Martin«, riefen ihn unterwegs Stimmen an,
»Prüfung bestanden?« Dumpfköpfe! Er beachtete sie nicht! Er wollte nur raus hier!
»Hoppla, hoppla! Warum hast du's so eilig Martin? Prüfung versägt?«
Ein kräftiger Arm packte ihn und stoppte ihn abrupt! Martin schaute wütend auf! Leon Kaminski! Ausgerechnet der musste auf ihn treffen! Dumm wie Bohnenstroh, aber überall beliebt, weil er so ein großes Maul hatte! Er war wie Martin 22 Jahre, aber Leon trug seinen Blaumann wie einen Designeranzug. Er war groß und durchtrainiert, die dunklen lockigen Haare hatte er zu einem Zopf gebunden. Die blauen Augen musterten ihn spöttisch. Martin atmete tief durch. Leon konnte von Glück sagen, dass Julia neben ihm stand, sonst hätte er den Schönling zur Schnecke gemacht. Aber er wollte sie nicht kränken!
Julia - seine Madonna mit den schwarzen Engelslocken. Er konnte sich beim besten Willen nicht denken, was dieses sanfte, intelligente Mädchen von Leon wollte. Sie war doch- so rein, so strahlend. Was wollte sie mit so einem schmierigen, arroganten Typen? Er verlor sich in ihren seegrünen Augen!
»Ich hab die Prüfung mit Auszeichnung bestanden Leon«, sagte er schließlich herausfordernd und warf einen Blick auf Julia. Verlegen lächelte sie zurück und Martins Herz klopfte hoffnungsvoll.
»Da kann ich natürlich nicht mithalten!«, antwortete Leon!
»Aber ich wette du Streber bist auch nicht übernommen worden. Ab nächsten Monat arbeite ich im Betrieb von meinem Alten! Was sagste ´te nun?«
Martin verzog keine Miene und wollte wortlos an ihm vorbei gehen, da hielt Leon ihn an der Schulter fest. Sein Griff war hart und schmerzend.
»Noch was Streber! Hör auf mein Mädel so anzuschauen! Wenn du sie übrigens, in der Kantine noch einmal, so dumm anquatschtst, wie letzten Freitag, dann könnte ich ganz schön ungemütlich werden! Kapiert?«
»Au«, schrie Martin! »Lass mich los!«
»Ich will wissen, ob du’s kapiert hast?« Martin wurde knallrot im Gesicht.
»Ich - ja ich hab´s kapiert!«
»Ich sehe schon wir verstehen uns. Mit so einem Feigling wie dir könnte Julia so wie so nichts anfangen. Komm Süße, der Typ verdient keine weitere Aufmerksamkeit!«
Julia drehte sich noch einmal zu ihm um, bevor sie Leon folgte.
»Selber Schuld Martin! Ich hab dir gesagt, lass mich in Ruhe! Du hast mich ja nicht ernst genommen!«
Mit brennenden Augen schaute er dem Pärchen nach. Hand in Hand gingen sie davon!
»Lad den Typ bloß nicht aus lauter Mitleid zu deiner Geburtstagsfete ein«, hörte er Leon noch sagen. Schmerzhaft klang Julias Lachen in seinen Ohren. »Den nie im Leben! So viel Mitleid kann man gar nicht haben, wie der braucht!«

Nach Luft schnappend stand Martin auf der Straße vor dem Firmengelände. Im Betrieb hatte er es nicht mehr ausgehalten. Er wollte nur noch raus aus diesem Saftladen. Ende des Monats war für ihn ja so wie so Feierabend! Dann konnte er auch jetzt gleich gehen. Was nun? Wohin jetzt? Automatisch lenkte er seine Schritte Richtung Einkaufszentrum. Nach Hause wollte er nicht. Seit seine Mutter gestorben war, wirkte die Wohnung so leer und still!- Das Einkaufszentrum war voll und laut, trotz der Kälte. Klar es ging auf Weihnachten zu und es war Mittagszeit. Er kaufte sich einen Hamburger an einem der zahlreichen Imbissstände auf dem Weihnachtsmarkt. Er war fettig und schmeckte nach Pappe. Angewidert warf er ihn weg.
Seine Mutter hatte ihn immer vor Julia gewarnt, wenn er von ihr schwärmte!
»Sie ist falsch! So einen wie dich nutzt die doch nur aus. Sie versteht dich nicht. Du bist viel zu intelligent für sie.«
»Oh Mutter«, murmelte er, »wie recht hast du gehabt! Es tut mir so leid!«
Eines Tages war er nach Hause gekommen. Eigentlich war alles wie immer gewesen! Die Wohnung - blitzsauber! Jedes Ding penibel an seinem Platz. Aber es war so ruhig gewesen, so unheimlich ruhig.
»Mutter«, hatte er gerufen, »bist du da?« Keine Antwort. Dann sah er die offenstehende Schlafzimmertüre, die ungemachten Betten und als er näher trat, von einer unheimlichen Ahnung getrieben, hatte er sie gefunden! Erst dachte er sie schliefe. Die grauen Haare sorgfältig nach hinten gekämmt, die Augen geschlossen, das Gesicht bleich und still, kein Muskel zuckte. Der Brustkorb hob - und senkte - sich- nicht! Dann sah er das leere Tablettenröhrchen und den Brief auf dem Nachttisch.
»Mein lieber Junge! Ich will nicht mehr! Und wenn ich mich noch so sehr anstrenge, du wirst mich eines Tages verlassen, wie dein Vater! Das liegt in der Natur der Sache! Männer sind so! Ich kann die Einsamkeit nicht ertragen!
 Werde glücklich mit Julia! DEINE UNGLÜCKLICHE MUTTER!«

Nachts hatte er sie dann in den Stadtpark geschafft, mit einem Stein beschwert und in den Weiher geworfen. Man würde sie nicht vermissen. Mutter war Frührentnerin gewesen. Sie litt schon seit Jahrzehnten an multipler Sklerose. Deswegen und weil Martin kein Sohn nach seinem Geschmack war, hatte sein Vater sie beide ja verlassen. Danach hatte Mutter sich angefangen abzukapseln. Sie misstraute jedem Arzt. Sie gab ihnen die Schuld am Scheitern ihrer Ehe und Martin. Doch sie klammerte sich an ihn. Denn sie hatte keine Freunde, keine Familie außer ihn. Er war ihr Tor zur Außenwelt. Als er sich in Julia verliebte, hatte seine Mutter Angst ihn zu verlieren. Martin fühlte sich wichtiger denn je. Doch jetzt war auch das vorbei! Er war ein Nullpunkt geworden. Er hatte versagt! Schon deswegen hatte er seine Mutter nicht offiziell beerdigen lassen. Er hätte es nicht ertragen. Die Fragen, das Mitleid! Seine Schuldgefühle - auch jetzt übermannten sie ihn wieder! Es fing an dunkel zu werden, vereinzelt, begann es zu schneien. Er war fast am Ende der Einkaufsmeile angekommen, die Menge zerstreute sich hier. Unter dem Licht einer Laterne stand eine hübsche Blondine und verteilte Zettel. Sie hatte nicht viele und nur widerwillige Abnehmer. Weil sie so hübsch war, und sie ihm leidtat, nahm er ihr einen Zettel ab.
»Danke schön«, sagte sie leise, als er nach dem Flugblatt griff. Ihre Augen waren intensiv und brennend! Und kurz, nur ganz kurz schienen sie vor Begehren zu flackern! Aber das bildete er sich wahrscheinlich nur ein!

Seine Lederjacke war schmutzig vom aufspritzenden Schnee, vage erinnerte er sich, dass er den Zettel in seine Jackentasche gesteckt und einfach weiter gestapft war, ziellos - immer weiter! Irgendwann mal rutschte er aus und fiel aufs Knie. Seine Jeans war zerrissen! Julia - seine Madonna! Alles war ein abgekartetes Spiel gewesen. Sie hing sich diesem schmierigen Leon an den Hals und dann hatten sie beschlossen, ihn zu demütigen. Ein durchdringendes Geräusch, fast wie ein Kichern drang an seine Ohren!
»Du hast recht gehabt! Bist du jetzt zufrieden? Aber das du tot bist, hast du dir selber zu zuschreiben. Ich bin nicht schuld daran. Du kannst mich nicht mehr fertigmachen«, schrie er!
Plötzlich blieb er stehen, als sei er vor eine Wand gelaufen! Wo war er? Du lieber Himmel! Die Gegend kannte er ja gar nicht. Er musste gelaufen sein wie im Tran. Er schaute sich in wilder Panik um. Er stand in einer Nebenstraße, hinter sich das Einkaufszentrum, vollkommen leer! Nur die Straßenlaternen strahlten noch in ihrem grellen Licht.
»Wie lange habe ich hier bloß gestanden?«, murmelte er verwirrt. Die Kälte und der Schock über die Ereignisse der letzten Wochen hatten ihm doch wohl mehr zu schaffen gemacht, als er glaubte. Es war bitterkalt, er steckte seine rot gefrorenen Hände in die Jackentaschen. Was war das? In der linken Tasche fühlte er einen zerknüllten, knisternden Papierballen. Verwundert zog er ihn heraus und glättete das Stück Papier sorgfältig. Plötzlich erinnerte er sich wieder, das war das Flugblatt von diesem blonden Mädchen! »Spendet Blut! Blut ist Lebenskraft!« Neugierig fing er an zu lesen.

»Sieht die Welt für sie oft grau in grau aus? Fühlen sie sich oft abgeschlafft und lustlos? Wir haben ein Mittel dagegen, das ohne Chemie funktioniert, auf völlig natürlicher Basis! Der bekannte Heilpraktiker Dr. med. La Durca erforschte die uralte Methode des Schröpfens und erzielte damit nur gute Ergebnisse! Depressionen, körperliche und geistige Schlaffheit verschwanden auf Anhieb! Kommen sie zu uns und lassen sie sich behandeln! Unsere Klinik finden sie auf der Friedhofsstr. »Kraft und Vitalität?«, sagte Martin laut. »Durch einen Aderlass? Das ist höchstens die uralte Methode, Patienten das Geld aus der Tasche zu schröpfen! Allerdings wenn das stimmt«, redete er weiter vor sich hin, »wenn das stimmt, dann werden sich noch alle wundern!« Er glaubte jetzt schon seine Ausstrahlung, seine Muskeln wachsen zu sehen. Er fühlte Julias bewundernde Blicke auf sich ruhen, hörte Leons neiderfüllte Kommentare. Was hatte er zu verlieren? Ohne noch weiter darüber nachzudenken, wandte er sich von dem verlassenen Einkaufszentrum ab und bog in die kleine Nebenstraße ein. Die klirrende Kälte kroch immer tiefer in seine Glieder. Martin spürte es nicht. Der Mond schien ihm irgendwie vergrößert er konnte mit bloßem Auge die Umrisse der Krater sehen! Eine große, gelbe, pockennarbige Kugel! Das war ihm noch nie aufgefallen. Seine Schritte knirschten laut auf dem gefrorenen Schnee, als er die dunklen Häuserreihen entlang ging. Eine seltsame Stille lastete über allem!

Endlich, als er schon glaubte sich verirrt zu haben, brachen die Häuserreihen ab, beiderseitig nahm Martin eine Reihe großer dunkler Bäume wahr, die sich ein Stückchen weiter zu einem kleinen Wäldchen zusammenschlossen. Links, eingebettet zwischen Bäumen war ein uralter verwitterter Friedhof, rechts stand ein strahlend hell erleuchtetes hypermodernes Gebäude, das so gar nicht in diese trostlose Umgebung passen wollte. Schon von Weitem sah Martin das leuchtende Hinweisschild "Privates Rehabilitationszentrum, Dr. med. La Durca!" Er beschleunigte seine Schritte, auf dem Vorplatz standen eine Reihe von Wagen auf vorgezeichneten Parkplätzen. Der untere Teil des Gebäudes bestand fast vollständig aus Glas. Geschäftige Gestalten in weißen Kitteln huschten umher. Alles ganz normal - und doch - als er vor dem Haupteingang stand, beschlich ihn plötzlich ein ungutes Gefühl. Sein Herz klopfte heftig und auf einmal schien das Bild vor seinen Augen zu flackern, als ob er auf eine Leinwand schauen würde. Dahinter tauchte eine graue verfallene Ruine auf. Er sah einen noch leidlich intakten Kirchturm, auf dessen Spitze ein seltsames Kreuz steckte. Es stand auf der Spitze. "Einbildung," murmelte er und trat schließlich durch das Hauptportal der Klinik. Er fand sich in einer großen, marmornen Vorhalle wieder. »Willkommen in unserer Klinik«, der schmale, blasse Portier hinter der Information lächelte ihn breit an. Martin trug sich in eine Liste ein. »Gehen sie bitte rechts, durch diese Glastüre, unsere Ärzte und Schwestern werden sie umgehend betreuen!«

Stimmengewirr schlug ihm entgegen, als er den Saal betrat. Auf schmalen Ruhebetten lagen Menschen aller Altersstufen und bekamen Blut abgezapft. Ein Mann im weißen Kittel und schwarzen, glatt zurückgekämmten Haaren, saß an einem Tisch in der Nähe des Eingangs. Sein breites Lächeln erinnerte Martin an den Portier in der Vorhalle. Seine blauen Augen strahlten ein intensives kaltes Feuer aus. Übergangslos fühlte er sich benommen, seine Lebensenergie schien in diese Augen zu fließen. "Guten Abend! Treten sie näher. Mein Name ist Dr. La Durca!" Die Formalitäten waren schnell erledigt. »Krankheiten, Medikamente, Drogen?«
»Nein«, log er. Natürlich hatte er auf dem Weihnachtsmarkt einen Glühwein getrunken! Aber er wollte diese Behandlung unbedingt!" Dr. La Durca führte ihn zu einem leeren Ruhebett. »Nora«, sagte er zu einer blonden schlanken Krankenschwester, »bereiten sie diesen jungen Mann vor. Bald werden sie sich wieder voll vitaler Lebensenergie fühlen Martin!«
Martin sah die kalten Augen glitzern, dann wandte sich der Dr. ab. Martin legte sich auf das Bett. Die blonde Schwester – war sie nicht das Mädchen mit den Flugblättern?
Sie reichte ihm freundlich ein Glas mit einem dicken roten Saft. "Vitamine und Eisen," sagte sie leise. "Trinken sie!" Martin trank in großen, gierigen Schlucken. Angewidert verzog er das Gesicht. Pfui! Das Zeugs schmeckte rostig und ekelhaft süß. Die schöne blonde Nora beugte sich über ihn, er roch ein betörendes, blumiges Parfüm, ihr tiefer Ausschnitt brachte ihn zum Schwitzen. »Komm«, sagte sie mit ihrer leisen süßen Stimme. »Ich werde dir helfen!«
Erregt sah er ihren Mund sich dem seinen nähern. Sie öffnete ihre feuchten Lippen nadelspitze Zähne näherten sich seinem Hals, in den schönen braunen Augen loderte Gier! Sein Körper bestand nur noch aus Eiswasser. Er wollte schreien - doch kein Laut verließ seine Kehle. Er wollte sie wegstoßen! Doch er konnte kein Glied rühren! Ihre Zähne ritzten schon seine Haut! Die ersten kleinen Blutstropfen benetzten schon ihre Lippen. Tränen der Angst liefen aus seinen geweiteten Augen! Plötzlich verzerrten sich ihre Züge zu einer Grimasse des Hasses. Etwas ausgesprochen Kraftvolles riss sie zurück. Dr. La Durca stand breitbeinig im Raum. Er fletschte wütend sein Raubtiergebiss. Der weiße Kittel blähte sich um ihn wie ein Umhang.
»Du solltest ihn nur vorbereiten Nora! Ich bin euer Urahne! Mir - gebührt die erste Mahlzeit!« Nora lag zusammengekrümmt auf den Boden! Die beiden Wesen starrten sich hasserfüllt an. Martin fühlte plötzlich seinen Kopf freier und seinen Körper leichter werden. Hastig sprang er auf. Der Saal hatte sich verändert, er floh über einen moosbewachsenen Steinfußboden, vorbei an steinernen Särgen auf denen grinsende, Skelette lagen, die nach ihm griffen. Benommen vor Angst, beschleunigte er sein Tempo. Er floh durch eine schwere, knarrende Holztüre, vor dieser verfallenden, grauen Ruine ohne Dach, erwartete ihn der dürre Portier. Mit ungeheurer Kraft, die er sich nie zugetraut hätte, stieß er dieses grinsende Ungeheuer beiseite. Er holte alles aus sich heraus, keuchend rannte er vorbei an dem Wäldchen, den ersten Häuserreihen entgegen, das schreckliche Lachen des Portiers im Ohr. »Das wird dir nichts nützen, merkst du es nicht? Du bist schon längst einer von uns! Willkommen im Reich der Untoten!«

Das Sonnenlicht würde ihn verbrennen! Es mussten höllische Schmerzen sein. Er wusste das! Er hatte gehört, dass es wehtat. Was für eine Ironie, für ein Geschöpf aus der Hölle! Aber sein Körper würde nicht wie bei den uralten Vampiren, die einstmals den Teufel beschworen hatten, zu Staub zerfallen. Nein- er war ein Mensch gewesen und würde im Tode wieder ein Mensch sein. Frieden und Ruhe würden einkehren. Das tröstete ihn. Mit weit aufgerissenen Augen sah er, wie sich das Sonnenlicht in dem dunklen Keller ausbreitete. So golden, so gleißend hell, so tödlich! Als es ihn erreichte, und schließlich seinen ganzen Körper übergoss, fing er an zu schreien. Es brannte - oh Gott! Es verbrannte ihn! Mutter! Julia! Es tut mir so leid! Es tut mir alles so leid! Tränen liefen ihm über das Gesicht. Und endlich ebbte der Schmerz ab. Es wurde dunkel um ihn - und er wurde, na ganz einfach, wie alle, zu Staub! Wieder einmal!
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Beitrag09.05.2020 13:55

von Ralphie
Antworten mit Zitat

Es war kalt, und der Schnee fiel weich und leise, in dichten Flocken.

Toller Anfang.
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Schreiberlingin
Schneckenpost


Beiträge: 12



Beitrag10.05.2020 17:30

von Schreiberlingin
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Smile Na immerhin, der erste Satz ist mir gelungen!

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