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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Postkartenprosa 04/2020
Das Experiment

 
 
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Missing Tales
Gänsefüßchen


Beiträge: 49
Wohnort: Zwischen den Zeilen, Deutschland


Beitrag03.04.2020 19:00
Das Experiment
von Missing Tales
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Das Experiment

Lärmend und hupend kehrte das Leben zurück in die Städte. Endlich war der Wahnsinn vorbei, endlich konnte Corinna ihr Homeoffice verlassen, ihr Gefängnis, ihr persönliches Symbol vergangener Unterdrückung. Endlich wieder zwanglose Begegnungen! So schlimm war ja alles gar nicht geworden. Die größte Krise seit hundert Jahren? Wohl nur, weil die Politik sie dazu gemacht hatte.
Corinna wusste das alles, auch von Youtube und Twitter. Wo waren denn die prophezeiten Tausenden an Toten? Sie kannte keinen einzigen. Angst hatte Corinna nicht. Wenn überhaupt, wäre es ja nur wie eine Grippe. Alle sagten das. Corinna hatte schon mal eine Erkältung gehabt, sowas ging vorüber. Wozu das Drama?
Summend zog Corinna ihren Lidstrich nach. Der süße Kollege vom Schreibtisch gegenüber sollte sofort sehen, dass sie sich im Homeoffice nicht eine Minute hatte gehen lassen! Oh nein, sie war ein wertvoller Teil der Firma geblieben, fleißig, gutaussehend, und eines Tages würde er das auch noch erkennen. Die alberne Laura würde heute bestimmt nicht so hübsch aussehen.
Es war ja nicht so, dass Corinna den Shutdown nicht verstanden hätte. Keinesfalls. Natürlich mussten die Alten geschützt werden. Verstand sie ja. Aber wieso sollte dann sie selbst nicht arbeiten können.? Sollten diese Leute doch zuhause bleiben, bis alles vorbei war. Waren doch Rentner, die hatten doch Zeit. Wer rausging und sich ansteckte, war eben selber schuld. Es würde schon klappen. Es musste schließlich weitergehen. Das Leben war halt ein Risiko.
Corinna warf ihrem Spiegelbild einen Kussmund zu.
Perfekt.

***


Lärmend und hupend kehrte das Leben zurück in die Städte. Mit klopfendem Herzen stand Laura am Fenster und beobachtete, wie sich ihre Nachbarn für die Arbeit bereit machten. Wie sie wieder losfuhren zu stickigen Großraumbüros, zu vollen Läden, zu neuen Begegnungen. Zu Menschen, die sie seit Wochen nicht gesehen hatten, Menschen, die sich austauschen würden, in der Mittagspause in Cafés und Kantinen sitzen würden, fitte, gesunde, wertvolle Menschen. Alles zurück auf Normal, weil man Normalität beschlossen hatte.
Und plötzlich war Laura nicht mehr normal. Ihre roten, tränenden Augen waren plötzlich mehr als nur ein persönliches Ärgernis. Sie hatte sich immer für gesund gehalten, hatte nie erwartet, ihre Allergien würden sie einmal mit dem Leben bedrohen, würden sie einmal im Haus einsperren. Es waren ja nur ein paar Pollen, doch ihr Körper reagierte auf sie wie auf einen bösartigen Anschlag. Wenn sie ihr Spray nicht nahm, begannen ihre Lungen zu pfeifen und zu keuchen. Ansonsten aber ging es ihr gut. Sie fühlte sich nicht krank. Doch die Anweisungen waren klar.
Den Lidstrich konnte sie sich heute abschminken. Und den süßen Jonas ebenso. Weil sie nun nicht auf der Arbeit sein würde, diese grässliche Corinna aber schon. Corinna mit ihren perfekten Locken und ihrem perfekten Kostüm: ihre Krallen würde sie in den wehrlosen Mann schlagen und sie würden gemeinsam über Laura lachen, weil Laura weiter faul auf dem Sofa sitzen bliebe, während die Wertvollen der Gesellschaft arbeiten würden.
Klar.
Doch ginge sie grundlos, fahrlässig nach draußen, drohten ihr Bußgelder, ihr, nicht aber Corinna. Zu ihrem Schutz, hatte man gesagt. Zum Schutz der Konzerngewinne, glaubte Laura. Ein soziales Experiment, das glücken oder schiefgehen könnte. Ein Pokerspiel mit ihr als Einsatz. Die Viren stellte sie sich vor wie ein Meer, ein unsichtbares Meer, das langsam und ungebremst um sie herum anflutete und sie zu ertränken drohte und Laura fürchtete sich.
Man müsse doch nur die Risikogruppen isolieren, hatte man gesagt. Wer hätte gedacht, dass die Risikogruppen mitten unter uns leben, dachte Laura. Einsame Inseln im anrollenden Meer. Wie viele dieser Inseln würden untergehen?
Die gequollenen Augen in der Fensterspiegelung warfen ihren starren Blick zurück.
Hoffentlich würde alles gut gehen.
Vielleicht.

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Lapidar
Geschlecht:weiblichExposéadler

Alter: 61
Beiträge: 2701
Wohnort: in der Diaspora


Beitrag11.04.2020 09:38

von Lapidar
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Hmm... ist der Name Corinna mit Absicht auf Corona abgestimmt? Wenn Laura denkt, dass C ihre Klauen in den wehrlosen Mann schlägt... spannende Idee.

Spiegelung finde ich auch umgesetzt.


_________________
"Dem Bruder des Schwagers seine Schwester und von der der Onkel dessen Nichte Bogenschützin Lapidar" Kiara
If you can't say something nice... don't say anything at all. Anonym.
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Ribanna
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 61
Beiträge: 772
Wohnort: am schönen Rhein...


Beitrag11.04.2020 14:00

von Ribanna
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Das Thema Corona gut umgesetzt.
Die Sprache passt, allerdings ist sie in beiden Texten sehr ähnlich, was mich ein wenig stört.
Ob beide 'Mädels' unbedingt an ein und den selben Kollegen denken müssen? Na ja, kann natürlich passieren, hat mich aber gestört, die größeren Probleme hätten ausgereicht.
Die Figur Laura ist m.M.n. inkonsistent, denn ihr Problem - allergisches Asthma - müsste sie eigentlich aus Selbstschutz davon abhalten, wieder nach draußen zu gehen, da braucht es keine angedrohten Bußgelder.


_________________
Wenn Du einen Garten hast und eine Bibliothek wird es Dir an nichts fehlen.
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Xeomer
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 36
Beiträge: 135
Wohnort: Xeothon


Beitrag11.04.2020 22:03

von Xeomer
Antworten mit Zitat

Brandaktuell mit dem Blick fürs Detail.

Viele Grüße,
Xeomer


_________________
"Zone 84" Buchtrailer: youtube.com/watch?v=ZygK3Te0jV8
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V.K.B.
Geschlecht:männlich[Error C7: not in list]

Alter: 51
Beiträge: 6155
Wohnort: Nullraum
Das goldene Rampenlicht Das silberne Boot
Goldenes Licht Weltrettung in Silber


Beitrag12.04.2020 15:52

von V.K.B.
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Hallo Inko,
Vorgaben sehe ich umgesetzt, wenn auch nicht alle Fassetten von BeGegnerIn. Aber das ist höllisch schwierig und hätte mich selbst fast davon abgehalten, überhaupt am Wettbewerb teilzunehmen. Noch nie kam mir eine Themenvorgabe so restriktiv vor, wenn man alles berücksichtigen will, was in diesem Wörtchen mit dieser Schreibweise drinsteckt. Eigentlich ist das Themenwort schon eine Kurzprosa für sich.
Deine Geschichte regt auf jeden Fall zum nachdenken an. Was ist normal, was ist Risikogruppe und wie geht man damit um? Irgendeine Lösung muss bald her, aber es gibt keine für alle vertretbare. Ist man mit Allergien sonderlich gefährdet? Verdammt, ich habe auch Heuschnupfen. Sowie ein Bein mit beschädigten Venen, dass was manchmal zu Hautentzündungen und Antibiotikabenötigung führt. Trotzdem sehe ich mich nicht als Risikogruppe. Ich kriege einen Schnupfen, mehr nicht. Wenn überhaupt. So, wie ich lebend und unversehrt mein Ziel erreiche, wenn ich mich ins Auto setzte. Wenn es mal anders sein sollte – Pech gehabt. Da kann ich mir Sorgen drum machen, wenn es so weit ist. Warum sollte ich das anders sehen, wenn es meine Eltern, beide Rentner und schon Schlaganfall bzw Herzoperationen überlebt, auch nicht tun und sich weigern, mich für sie einkaufen zu lassen. Weil, hey, wir leben noch, und Sterberisiko ist in unserem Alter sowieso immer dabei. Eine Ansicht, die ich eigentlich nicht schlecht finde. Was wäre aber, wenn man uns alle jetzt zur Risikogruppe erklären und einsperren würde?
Krank und nutzlos durch Apellomantie, die Magie der Benennung. Ich hab auch schon mal überlegt: Fange ich mir Corona ein und merke es nicht, kriege ich wahrscheinlich nur einen Schnupfen. Testet mich ein Arzt positiv, werde ich wahrscheinlich wirklich krank. Wann wird der Nocebo-Effekt durch die feste Erwartungshaltung, dass etwas schlimm wird, gefährlicher als das Virus selbst?

Schöne Geschichte, die –wie du siehst – sehr zum Nachdenken einlädt.

beste Grüße,
Veith

Edit: Gerade noch entdeckt, geht sehr direkt auf dieses Experiment-Szenario ein (und bezeichnet es als "grob fahrlässig"): https://www.youtube.com/watch?v=qWslmhvzf_U
Ändert an der Bewertung der Geschichte natürlich nichts, nur als Ergänzung.


_________________
Hang the cosmic muse!

Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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a.no-nym
Klammeraffe
A


Beiträge: 699



A
Beitrag12.04.2020 21:39

von a.no-nym
Antworten mit Zitat

Hallo Inko,

dies ist ein neutraler Kommentar, um später ggf. eine Bewertung vornehmen zu können.

Freundliche Grüße
a.
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holg
Geschlecht:männlichExposéadler

Moderator

Beiträge: 2396
Wohnort: knapp rechts von links
Bronzenes Licht Der bronzene Roboter


Beitrag12.04.2020 23:45

von holg
Antworten mit Zitat

Eigentlich fängt der Text ganz clever an:
stellt Corinna vor, die COVID-19-Leugnerin, die (sehr wahrscheinlich neben dem Klimawandel und der Nützlichkeit von Impfungen halt auch) die Gefahr der Pandemie nicht versteht. Corinna, die sich sicher fühlt, die ein bisschen hohl in der Birne ist und der nichts wichtiger ist, als besser auszusehen, als die Kollegin, um das Leckerchen von Kollegen abzukriegen.

Dem wird im zweiten teil Laura gegenüber gestellt, die ein bisschen sehr dramatisch, aber leider wegen ihrem Asthma und der Allergien zurecht Furcht empfindet.

Dann ist es halt auch ein Bisschen schade, dass die Problematik zu sehr mit einer klischeehaften nichtigen Kolleginnenkonkurrenz um den süßen Wieauchimmer zugekleistert und damit bagatellisiert wird. Ist das nicht langsam ein bisschen zu doof, dass Frauen* immer noch nur auf Liebeskonkurrentinnen reduziert werden?
Selbst für den Spiegeltrick ist sich der Text nicht zu Schade.
Damit ist er für mich leider aus der Wertung raus.

Die Gegenüberstellung der beiden Positionen als Protagonistinnen der beiden Hauptstrategien zum Umgang mit dem Virus fände ich sonst beachtenswert.


_________________
Why so testerical?
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Gast







Beitrag13.04.2020 10:10

von Gast
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Liebe/r Autor/in,

Deine Texte erfüllen die Aufgabenstellung Nr. 2 – dasselbe Ereignis aus unterschiedlichen Perspektiven zeigen – und geben einen Einblick, wie es nach Aufhebung bzw. Lockerung der Corona-Regelungen weitergehen könnte. Interessant.
Was das Thema BeGegnerIn betrifft, so bin ich mir nicht ganz sicher, auf welche Weise Du es in Deinen Texten einbezogen hast. Das Virus als Gegner?
Sprachlich gibt es aus meiner Sicht noch etwas Luft nach oben, schon beim ersten Text fällt auf, dass Du ziemlich oft Hilfsverben (war/waren) verwendest.

LG Katinka
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Amarenakirsche
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 30
Beiträge: 394
Wohnort: tief im Westen


Beitrag13.04.2020 10:36

von Amarenakirsche
Antworten mit Zitat

Mein zweitliebster Corona-Text. Sprachlich sauber und die beiden Perspektiven ergänzen sich gut. Manchmal hatte ich das Gefühl, du wiederholst dich ein bisschen. Insgesamt aber gut gelungen.
6 Punkte von mir.
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Susanne2
Geschlecht:weiblichKlammeraffe


Beiträge: 503
NaNoWriMo: 53854



Beitrag13.04.2020 14:42

von Susanne2
Antworten mit Zitat

Liebe(r) AutorIn,

Der Exit aus dem Corona-Lockdown – ein wenig eigenwillig interpretiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es von null auf hundert zurückgeht, schon gar nicht als Experiment.
Die Vorstellung, allein zu Hause in Quarantäne zu bleiben, weil man gefährdet ist, stellt zwar keinen wünschenswerten Zustand her, aber ich bezweifele, dass dies für immer und ewig sein muss. Auch wenn es nicht schön wäre, so doch immer noch besser, als daran zu sterben, weil kein Beatmungsgerät mehr zur Verfügung steht?
Corinna verschwendet keine echten Gedanken an die Gefahr, Laura versinkt in einer Mitleidskrise, die sie so nicht in den Griff bekommen kann. Zwei Arten von Persönlichkeiten, denen ich nicht nacheifern würde.
Die Situation aus zwei Perspektiven ist nachvollziehbar dargestellt, Vorgabe erfüllt. Die Motivation beider Personen sehe ich für mich leider als sehr oberflächlich an. Wenn Du allerdings die beiden nicht empfehlenswerten Extreme darstellen wolltest, ist das durchaus gelungen.

 Wegen sehr vieler guter Einsendungen, kann ich erst am Ende entscheiden, ob und wenn ja, wie viele Federn ich vergebe.

Freundliche Grüße
Sanne


_________________
Das Leben geht immer weiter - bis zum Tod.
(Aniella Benu - BJ 1959)

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Gebt dem Y eine Chance - jeder könnte zufrieden sein! Nach Hermes Phettberg ...
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d.frank
Geschlecht:weiblichReißwolf
D

Alter: 44
Beiträge: 1125
Wohnort: berlin


D
Beitrag13.04.2020 22:33

von d.frank
Antworten mit Zitat

Das ist schon sehr naheliegend, auf genau diese Art von Geschichte hat man jetzt wahrscheinlich gewartet und dann ist sie entstanden. Klar, das ist erwähnenswert, versucht auch etwas Moralisches, aber am Ende ist das zu offensichtlich verpackt, die Figuren bleiben wie Abziehbilder. Der Autor möchte seine Moral an den Leser richten, nicht mehr und nicht weniger.

_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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Gast







Beitrag14.04.2020 09:50
Re: Das Experiment
von Gast
Antworten mit Zitat

Hallo Inko,

noch eine interessante Pandemie-Geschichte – Corona wirft lange Schatten. Diesmal mit der bitteren Erkenntnis, dass man bei entsprechenden Vorerkrankungen selbst als junger Mensch von längerer Isolation betroffen ist und damit abgehängt werden könnte.


Einige Anmerkungen:

Postkartenprosa hat Folgendes geschrieben:

Sie hatte sich immer für gesund gehalten, hatte nie erwartet, ihre Allergien würden sie einmal mit dem Leben bedrohen,

Das musst du wohl umformulieren..

Postkartenprosa hat Folgendes geschrieben:

...: ihre Krallen würde sie in den wehrlosen Mann schlagen und sie würden gemeinsam über Laura lachen, weil Laura weiter faul auf dem Sofa sitzen bliebe, während die Wertvollen der Gesellschaft arbeiten würden.

Okays, die Gute ist eifersüchtig. Trotzdem ist das ein bisschen too much für meinen Geschmack.   

Postkartenprosa hat Folgendes geschrieben:

Zu ihrem Schutz, hatte man gesagt. Zum Schutz der Konzerngewinne, glaubte Laura.

Die Konzerngewinne tauchen hier doch recht unvermittelt auf. Ich finde, irgendwie passt die Überlegung nicht so recht zu Laura.


Meine Wertung: 5 Punkte

LG
DLurie
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Gast







Beitrag15.04.2020 12:28
Re: Das Experiment
von Gast
Antworten mit Zitat

Postkartenprosa hat Folgendes geschrieben:
...


Zwei strunzdumme und selbstverliebte Frauen, die an ihrem Arbeitsplatz in zickenhafter Konkurrenz zueinander stehen, erleben das Ende einer auf Grund einer Pandemie (offensichtlich bezieht sich das auf die Coronakrise) verordneten Arbeitsplatzbesuchssperre. Die Eine - Corinna, der Name eine schon fast schmerzende Holzhammerreferenz auf Corona - sieht die Krise als nichts als eine lästige Pause ihrer ständigen Suche nach Bestätigung ihrer Attraktivität an. Die Andere - Laura - darf den Arbeitsplatz noch nicht wieder betreten, da sie auf Grund einer die Atemwege beeinträchtigenden Allergie zur Risikogruppe gehört. Laura reagiert darauf mit Verbitterung, da sie sich als Opfer eines Experimentes sieht, das sie davon abhält, in Konkurrenz mit Corinna um die Anerkennung in der Firma zu buhlen.

Vorgabentreue: Keine Vorgabe ausser einer Gegnerschaft erfüllt. Es ist weder eine Begegnung enthalten noch eine aus zwei Perspektiven geschilderte Situation noch ein Ort in zwei Zuständen noch ein zwei Mal unterschiedlich benutzter physisch identischer Gegenstand.

Ausgestaltung: Abgesehen vom Wiederkäuen gängiger Verschwörungstheorien i.Z. mit der Coronabekämpfung (z.B. durch die im Titel angedeutete Interpretation der Massnahmen als "soziales Experiment") empfinde ich dieses Textpaar als extrem stereotyp und frauenfeindlich. Beide Protagonistinnen definieren sich ausschliesslich über ihre Attraktivität und sind geistig nicht in der Lage, die hinter der Pandemie und deren Bekämpfung steckende Logik auch nur ansatzweise zu begreifen.

Die Motivation hinter einem solchen Textpaar entgeht mir total. Soll damit impliziert sein, dass alle Frauen so flach ticken? Wenn der zweite Teil eine wirkliche Antithese zum ersten gewesen wäre (also z.B. die Perspektive einer engagierten Ärztin - bitte keinen männlichen Arzt in dieser Konstellation -, die in der Klinik tatsächlich mit der Realität der Pandemie konfrontiert ist), könnte man daraus ein Universum von interessanten Textpaaren entwickeln. So aber hinterlässt das Lesen des Textpaares den Eindruck von Jemandem, der einen undifferenzierten Frauenhass in den Coronatopf rührt, das Ergebnis über LeserIn ausschüttet und sich dabei zufrieden denkt "jetzt habe ich's den Weibern aber mal richtig gezeigt."

Falls mir dabei eine Betrachtungsebene komplett entgegangen sein sollte, bitte ich um Vergebung. Ich bin sehr gespannt, ob die Rezensionen der Anderen LeserInnen mir da die Augen öffnen.

Schlussbemerkung: Selbstverständlich GIBT es (leider) Frauen, die diesem Stereotyp entsprechen, genau wie es natürlich auch unter Männern hohle und strunzdumme Bratzbirnen gibt. Selbstverständlich DARF man/frau das auch thematisieren (Anke Engelke macht das z.B. göttlich gut in einigen ihrer Ladykracher Folgen). Aber dann bitte nicht so, dass keinerlei Gegenmodell dazu auch nur im Raum steht.
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Jenni
Geschlecht:weiblichBücherwurm


Beiträge: 3310

Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag17.04.2020 11:01

von Jenni
Antworten mit Zitat

Coronakrise. Alle dürfen wieder raus, Leben zurück auf 100% von einem Tag auf den anderen, nur die Risikogruppen bleiben isoliert. Das wird aus zwei Perspektiven erzählt (check): Corinna, die Ignorante, und Laura die verängstigte und abgehängte Vorerkrankte. Das Setting ist halt ebenso unrealistisch wie die ignoranten Ansichten Corinnas, und damit polemisiert der Text auf, wie ich finde, ungute Weise. Denn dahinter steckt ja ein reales Problem, das im Raum steht, und stecken reale und berechtigte Ängste potentiell betroffener Menschen, beides eine differenziertere Auseinandersetzung wert.
BeGegnerIn, das Thema … die beiden Frauen sind Gegnerinnen auf eine Art, begegnen sich jedoch nicht. Begegnungen generell finden schon statt. Kann man schon als erfüllt betrachten, aber nicht auf besonders elegante Weise.
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Phenolphthalein
Geschlecht:männlichKlammeraffe


Beiträge: 838

DSFo-Sponsor


Beitrag17.04.2020 15:50

von Phenolphthalein
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Hallo Inkognito,

Routiniert geschrieben, aber ohne wirkliche Besonderheiten [vor allem der erste Text. Im zweiten gibt es wenigstens ein verwendetes Stilmittel, dafür jedoch mehrfach].
Ich denke, du identifizierst dich mehr mit dem Zweiten und konntst daher auch dann etwas mehr in die Gefühlsebene eintauchen. [Explizit: Autor und handlungstragende Person sind nicht eins und das habe ich auch nicht geschrieben!]
Der erste Text liest sich deutlich oberflächlicher, wobei die handlungstragende Person auch oberflächlicher sein soll, doch selbst solche Menschen haben mehr zu bieten. Etwas schade. Der egoistische (narzistische) Ansatz ist dir jedoch gut gelungen.
Im zweiten Text bin ich als Leser nur in einer kurzen Sequenz, daher darf mich der erkennbare Minderwertigkeitskomplex nicht stören. Ja, ich glaube, die Angst ist lediglich ein sekundäres Problem, denn handelt es sich nicht um einem Komplex, müsstest du entweder mit mehr Sarkasmus einarbeiten oder stärker in den Vordergrund stellen, was der handlungstragenden Person grundsätzlich stinkt.

Aber es  geht dir mehr um das Szenario der ‚Gleichbehandlung‘. Soweit auch in Ordnung, wobei die Person in Text zwei, letztlich auch nur ihre Situation bedenkt, nicht aber einen weitreichenden Blick in die Zukunft und den damit verbundenen Konsequenzen erlaubt. Doch aus das ist vollkommen legitim und schlichtweg nicht wichtig für den Text.

Eventuell gibt es dafür Punkte in Abhängigkeit zu anderen Texten [logisch].
[Edit: 3 Punkte sind es gworden]

Viele Grüße,

Pheno


_________________
Nichts ist leichter, als so zu schreiben, dass kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, dass jeder sie verstehen muss.

-Arthur Schopenhauer
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Eliane
Geschlecht:weiblichKlammeraffe


Beiträge: 824



Beitrag18.04.2020 01:18

von Eliane
Antworten mit Zitat

Vorgaben:

Begegnung: Wer begegnet hier wem? Kann ich leider nicht finden.
Gegner: Das schon. Definitiv.
In: Das "In" drückt für mich eine Dualität der Geschlechter aus, die ich hier auch nicht entdecke.

Ort/Ereignis/Objekt: Selbes Ereignis aus zwei Perspektiven.

Ich mag den Text, ich mag die Prämisse und die Darstellung. Obwohl ich mich erstmal erschrocken habe beim Lesen. Hat da jemand dieselbe Idee für die Umsetzung gehabt wie ich? Aber das hat sich dann nicht bewahrheitet, hier ist es nur die Rahmenstruktur und die Parellelität der Handlung. Was mir gut gefällt.

Ich würde definitiv Punkte vergeben, wenn mir nicht zwei der Vorgaben fehlen würden. Vielleicht gibt's trotzdem noch welche, denn der Text an sich hätte sie verdient.
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Malaga
Geschlecht:weiblichKlammeraffe


Beiträge: 826



Beitrag18.04.2020 11:33

von Malaga
Antworten mit Zitat

"Corinna hat kein Corona" hätte ich wahrscheinlich diese Geschichte genannt. Smile
Die Zeit legt es natürlich nahe, das Pandemie-Problem aus der Perspektive eines Menschen der "Risikogruppe" und eines "Gesunden" zu behandeln, eine neue Form der Segregation und Abgrenzung, die gerade entsteht.
Wie etliche Beiträge hier im Wettbewerb damit nicht nur unterhaltend, sondern auch lehrreich.
Bewertung am Ende im Gesamtkontext.
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hobbes
Geschlecht:weiblichTretbootliteratin & Verkaufsgenie

Moderatorin

Beiträge: 4292

Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
Podcast-Sonderpreis


Beitrag18.04.2020 18:57

von hobbes
Antworten mit Zitat

Noch mehr Figuren. Also greifbare, was gut ist. Was schlecht ist: mir sind sie zu stereotyp (Corinna) bzw. zu rührselig (Laura).
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lilli.vostry
Wortschmiedin


Beiträge: 1219
Wohnort: Dresden


Beitrag19.04.2020 01:30
aw:
von lilli.vostry
Antworten mit Zitat

Hallo,

der Titel Das Experiment hat mich neugierig gemacht. Ein Text zum Leben in Corona-Zeiten, ohne dass das Reizwort fällt. Eine Frau ähnlichen Namens, Corinna will mit alldem nichts zu tun haben, sondern ihren gewohnten Alltag wieder haben.

Das will auch ihre Arbeitskollegin Laura, die aber als Allergikerin zur Risikogruppe gehört und weiter isoliert zuhause bleiben muss.

Was die eine hat und die andere nicht, ist ziemlich trivial, naiv komisch (Absicht?!) und widersinnig erzählt - ihre Gedanken kreisen um Äußerlichkeiten wie den perfekten Lidstrich, den süßen Kollegen und arbeitend wertvoll zu sein.

Die Aussagen von Corinna sind auch recht oberflächliche Plattitüden aus der allgemeinen Corona-Diskussion, wenig aussagekräftig auch die vielen "mans" und sprachliche Wiederholungen: "Wer hätte gedacht... dachte..." kurz hintereinander.
Es ist mir auch zu viel indirekte Rede in beiden Texten.

Sprachlich nicht korrekt ist der Satz: Ihre Allergien würden sie einmal mit dem Leben bedrohen. Sondern:  ... ihr Leben bedrohen.

Schön das Bild mit den Viren als unsichtbares Meer, das Laura zu ertränken droht und den einsamen Inseln im anrollenden Meer.

Ich bin unsicher, ob diese Kontraste in den zwei Text-Perspektiven beabsichtigt sind. Die beiden Teile nehmen so nicht wirklich Bezug aufeinander, wirken eher gegensätzlich.

Dennoch ein Text, den es zu lesen lohnt und der zum Nachdenken anregt.

Frohe Schreibgrüße,
Lilli


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