18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Feedback
Benzin


 
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
Wolfgang Rill
Geschlecht:männlichGänsefüßchen


Beiträge: 33
Wohnort: Fulda


Beitrag02.12.2019 02:44
Benzin
von Wolfgang Rill
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Benzin

Vor langer Zeit, um die Jahre, als man bei Volkswagen noch den Käfer baute und Deutschland zum zweiten Mal Fußballweltmeister wurde, gab es eine alte, schmuddelige Tankstelle an einer zugigen Kreuzung in der Leipziger Straße in Fulda. Der Asphalt verölt, einige der ehemals weißen Fliesen um die Podeste der Zapfsäulen weg gebrochen, ein Haufen rostiger Kotflügel, Motoren und Getriebe hinter der Waschhalle.
Wenn ein Fremder tanken wollte, kam er raus. Untersetzt war er, bullig, mit einer Stoppelfrisur, die ihn aussehen ließ, als wäre er noch dreißig. Er humpelte und das linke Auge war starr. Mit dem einen Arm, den er noch hatte, zapfte er das Benzin und manchmal saugte er tief die Luft ein und den Duft aus dem Tank. Motorradweltmeister Willi Faust, das stand in kleinen Buchstaben an der Krempe des Regendaches; davor in noch kleineren Buchstaben: Inhaber.
Willi hatte sich einmal auf die Seite gelegt. War es 1955 auf dem Nürburg-ring oder Hockenheimring? Schottenring oder Monza? Man wußte es nicht mehr genau und Willi redete nicht darüber. Aber seit dem Tag fehlten ihm auf der Seite, auf die er sich gelegt hatte, der Arm und das Auge. Und das Bein auf dieser Seite war steif.
Er hätte vorher absteigen sollen vom Bock, vorher, als das mit Remmert pas-siert war. Remmert war sein Schmiermaxe und hatte sich auch auf die Seite gelegt:
Rechtskurve, Willi, drück drauf! Fahr zu, Willi, ich halt sie unten, fahr zu! Nimm sie enger! Nimm sie so eng, daß sie pfeift, daß sie quietscht! Wir sind die Meister! Willi, denk dran! Fahr auf dem Randstreifen, fahr auf dem Acker meinetwegen, gib Gummi! Gib volle Kanne! Schenk ein! Willi, schenk uns ein – Weltmeister, wir! Und Remmert hängte sein schweres Kreuz weit über. Er kniete auf dem Beiwägelchen bei neunzig, bei hundertzwanzig, bei hun-dertneunzig und hängte sein Kreuz so weit raus und so tief runter wie keiner sonst. Keine Bibel hätte mehr zwischen seine Schulter und die Grasnarbe am Straßenrand gepaßt. So fegten sie durch lange Biegen und durch Haarnadel-kurven in Deutschland, Frankreich, USA, dem Weltmeistertitel zu.
Eben noch kalt und heiß die Rollbahn entlanggeritten, in Schlamm und Staub und Eis, viel Eis, bis kurz vor Moskau, brav bis zurück. Nachts die Maschine durchtuckern lassen, weil sie nicht mehr angesprungen wäre bei minus zweiunddreißig Grad. Remmert hatte immer auf Maschinen gesessen, immer drauf gewohnt, den ganzen Krieg lang, vorher schon. Faust kam aus dem Heeresbeschaffungsamt erst spät nach Rußland, als alle mußten. Aber er kam auf einem Motorrad. Auf einer der letzten, neuen, schwerfälligen BMW mit Beikradantrieb kam er, und im Kopf hatte er. Konstruktionspläne und technische Daten aller Mühlen der Wehrmacht. Wie lang war das her? Fünfhundert Jahre. Faust war der Kopf und Remmert war die Schulter, das war klar von Anfang an und blieb so bei den ersten kleinen Rennen in Hessen, schon im Frühjahr 47, bis zum Titel 1952.
Hol über, Remmert, häng dich über, Linkskurve. Sie schmiert ab, Remmert, sie schmiert mächtig, aber wir drücken sie rum, Mann, wir pressen sie rum. Keinen Zehntelmillimeter zuviel ließ Faust am Gas nach, wenn‘s um Linkskurven ging, und beide hängten sich tief raus. Remmert an Faust geklammert wie eine Geliebte. Beide ein Klumpen wie zwei Kröten beim Kopulieren bei Tempo hundertsechzig. Die Maschine schüttelte und wollte fliegen, aber Faust preßte sie auf den Asphalt, hielt sie unten. So kreisten sie auf der Avus und in Monaco und später auf den berühmten amerikanischen Pisten. Die Luft war voll verbranntem Äther und Alkohol und auch einem bißchen Benzin, voll Gummiqualm und dem Parfüm durchgeschwitzter Lederkombis, aber vorn, vor dem Feld, war sie frisch, und Faust und Remmert waren immer vorn. Kein Iwan holte sie ein, kein Tommy und kein Ami. Sie waren die Besten. Sie waren wieder wer. Ganz Deutschland hörte ihren Motor im Radio fauchen.
Rechtskurve, Remmert, wir nehmen sie eng, wie im Trainig besprochen, spürst du das, wie eng wir sie nehmen, wie sie an uns reißt, wie sie uns rausdrücken will? Häng dich raus, Remmert, wir sind die Besten. Remmert hängte sich raus, hängte sich tief, so daß keine Bibel zwischen die Schulter und die Gras-narbe gepaßt hätte. Die Kurve zog sich, aber man konnte sie mit hundertzehn nehmen, sagte der Trainer, also hundertfünfzehn, hundertachtzehn. Die Geschwindigkeit hatte Faust im Ohr. Zu gefährlich jetzt ein Blick auf den Drehzahlmesser. Die Kurve hatte verloren, lief aus. Die Gerade.
Komm hoch, Remmert.
Komm hoch!
Aber Remmert kam nicht hoch. Er hielt die Fäuste um das Halterohr des Beiwagens geklammert und hing rechts weit raus.
Komm endlich hoch!
Faust nahm Gas weg, zog die Bremsen, rollte auf der Wiese aus, hielt neben den Strohballen. Jetzt erst sackte Remmerts Schulter langsam, millimeterweise auf das Gras.. Er hatte keinen Kopf mehr. Der Kopf hing abrasiert und blutig an einem Kilometerstein in der zurückliegenden Kurve. Der Kilometerstein stand weit vom Asphaltrand neben der Straße. Niemand hatte geglaubt, daß jemand die Kurve so eng nehmen könnte und daß es einen Schmiermaxe geben könnte, der so weit heraushängen kann!
Halb Deutschland war auf dem Friedhof, halb Deutschland hörte im Radio die Glocken, als Remmert beerdigt wurde. Faust schwor, daß er nie mehr an einem Gashebel drehen, nie mehr die Beine über einem Tank breitmachen würde und heulte, heulte.
Und fünf Monate später fuhr er wieder. Er fuhr Solorennen, noch mehr als ein  Jahr. Dann legte er sich auf die Seite und verlor Arm und Auge. Es war die Seite, auf der Remmert immer gekauert hatte.
Heute gibt es andere Maschinen. Die blitzen und haben ganz andere Dreh-momente. Manchmal tuckert eine davon auf Willis Tankstelle. Willi kommt dann aus seinem Kassenhäuschen mit den verschmierten Glasfenstern gehumpelt und faßt versonnen den Gasgriff an. Hör mal rein, Willi, sagen die Fahrer und treten für ihn den Motor an. Dann dreht Willi auf, gibt volle Kanne, daß die Kolben fliegen und es heult und faucht und das eine Auge zuckt, als suche es etwas, und das andere, das Glasauge, sieht starr nirgendwo hin.


*

© Wolfgang Rill

Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
wunderkerze
Eselsohr
W


Beiträge: 381



W
Beitrag03.12.2019 19:03

von wunderkerze
Antworten mit Zitat

Hallo Wolfgang Rill,

habe deine kl. Geschichte mit Vergnügen gelesen. Da steckt nicht nur Tempo, sondern auch das Herzblut eines leidenschaftlichen Motorradfahrers (?)drin.
 
Einige kleine Anmerkungen. Schreib doch demnächst linksbündig, dann hast du nicht so viele lästige Trennungszeichen mitten drin, und achte auf die Zeichensetzung.
 
Zitat:
 bis kurz vor Moskau, brav bis zurück. Nachts die Maschine durchtuckern lassen, weil sie nicht mehr angesprungen wäre bei minus zweiunddreißig Grad.

Wo zurück? In D, bei minus 32 Grad? Würd ich umstellen: erst den Frost, dann das zurück.

Zitat:
Komm hoch!
Aber Remmert kam nicht hoch. Er hielt die Fäuste um das Halterohr des Beiwagens geklammert und hing rechts weit raus.

Das und das Folgende würde ich im Präsens schreiben. Dadurch gewinnen die Vorgänge mehr Erlebnischarakter.

Zitat:
 Der Kilometerstein stand weit vom Asphaltrand neben der...

Stand er nun weit von oder neben der Straße?

Zitat:
 Niemand hatte geglaubt, daß jemand die Kurve so eng nehmen könnte und daß es einen Schmiermaxe geben könnte...

Unschön, 3x hintereinander Formen von könnnen. Dann: Der abrasierte Kopf... ziemlich unwahrscheinlich, denke ich, wenn der KM-Stein so weit weg stand. Und dann: so leicht köpft sich´s nicht. Ich hätte geschrieben: mit zerschmettertem Schädel... Aber das ist nun meine Ansicht, und du wirst schon wissen, warum du diese Pointe so gewählt hast.

LG
wunderkerze


_________________
wunderkerze
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Wolfgang Rill
Geschlecht:männlichGänsefüßchen


Beiträge: 33
Wohnort: Fulda


Beitrag04.12.2019 04:39

von Wolfgang Rill
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Wunderkerze,
danke für Dein Lob und Deine Anmerkungen. Besonders das mit dem zerschmetterten Schädel werde ich wahrscheinlich berücksichtigen.
Gruß Wolfgang
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 1

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Feedback
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du keine Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  

EmpfehlungEmpfehlungBuchBuchEmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungBuch

von madrilena

von Ralphie

von Fistandantilus

von DasProjekt

von versbrecher

von Pütchen

von Rike

von Mercedes de Bonaventura

von Nina

von Leveret Pale

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!