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Diese Werke sind ihren Autoren besonders wichtig Eine Bestandsaufnahme ("Was bleibt?")


 
 
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Almuth Wessel
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
A

Alter: 69
Beiträge: 20
Wohnort: Gütersloh


A
Beitrag25.08.2019 09:00
Eine Bestandsaufnahme ("Was bleibt?")
von Almuth Wessel
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

31.Oktober 2016, mittags um halb zwölf
"Ach du lieber Himmel - schon wieder so spät! Und ich muss doch um zwölf beim Orthopäden sein!" - "Kein Problem - ich fahr Dich hin."  - "Na, dann komm! Wir müssen los!"
Die Haustür fällt ins Schloss, eilige Schritte entfernen sich, kurz darauf springt draußen der Motor eines kleinen roten Citroen an. Das Motorengeräusch verklingt und in dem schönen Haus mit dem liebevoll gepflegten Garten wird es still.
Der kleine rote Wagen schnurrt über schmale Nebenstraßen. Es ist ein schöner, sonniger Spätherbsttag, der Himmel fast wolkenlos. Die Beiden im Auto unterhalten sich lebhaft mit einander. In wenigen Tagen ist Allerheiligenkirmes, und sie freuen sich auf den Besucher ihrer Kinder und Enkelkinder.
zehn vor zwölf
Der rote Citroen flitzt eine Hügelkuppe hinauf - auf die Kreuzung mit der Hauptstraße zu. ER  fährt - wie immer - ein klein wenig zu schnell... "Ziemlich viel Verkehr" denkt die Frau auf dem Beifahrerseitz. "Du" wendet sie sich an ihren Mann, will ihn bitten, etwas vorsichtiger zu fahren. Er schaut lächelnd zu ihr hin. Plötzlich ein dumpfes Krachen. Sie spürt einen harten Aufprall, dann verschwimmt die Welt vor ihren Augen zu einem wirren Kaleidoskop: der kleine rote Wagen überschlägt sich. Die Polizei wird später feststellen, dass ihn zwei andere Autos fast gleichzeitig von beiden Seiten gerammt haben.
Als sie wieder zu sich kommt, liegt sie quer über den zerstörten Vordersitzen, eingeklemmt von den ausgefahrenen Airbags, unfähig, sich zu bewegen. Wie durch Watte hört sie eine Männerstimmte:"Hallo! Hallo! Hören Sie mich? Halten Sie durch! Es kommt sofort Hilfe!" Sie spürt den Griff einer fremden Hand, die sich ihr aus dem Nirgendwo entgegenzustrecken scheint. Mühsam erwiedert sie den Händedruck, will fragen: "was ist passiert?" Aber die Kraft verlässt sie und die fremde Hand entgleitet ihr.
Erst nachdem der Bergungstrupp ihre Leiche aus dem Wrack heraus geholt hat, wird ihr Mann entdeckt. Er ist in den Fußraum gerutscht und liegt besinnungslos und wie eingesargt zwischen den Trümmern des zerborstenen Armaturenbretts und dem verformten Blech der zerstörten Karosserie. Noch während die Retter versuchen, ihn aus diesem Chaos herauszuschälen, stirbt er, ohne noch einmal zu Bewusstsein zu kommen.
Mittags, halb eins
Auf der Kreuzung sichern Polizeibeamte die Spuren des Unfalls. Die Leichen das Paares aus dem roten Citroen werden in die Pathologie überführt, die Autowracks von der Staatsanwaltschaft sichergestellt. Nach ein paar Stunden sind auf der Kreuzung nur noch die Kreidemarkierungen zu sehen, die die Polizisten auf die Fahrbahn gezeichnet hatten.
Abends, halb sechs
Ein schöner, sonniger Spätherbsttag geht zu ende. Der Himmel ist immer noch fast wolkenlos und die untergehende Sonne taucht die Soester Börde in ein warmes, goldenes Licht. Die Kreidestriche auf dem Asphalt verwischen unter den Rädern des Feierabendverkehrs. Die Schatten werden tiefer, das Tageslicht schwindet, und in die Zimmer des schönen Hauses mit dem liebevoll gepflegten Garten kriecht die Dunkelheit.
Wenige Tage später
Ein Schlüssel dreht sich im Schloss der Haustür, einige Menschen betreten die Diele und halten einen Augenblick inne. Eine junge Frau sieht sich ratlos um. "Wo soll ich hier anfangen? All das ordnen -wie soll ich das bewältigen?" Ihr Mann legt den Arm um sie: "Wir schaffen dass. Wir stehen ja nicht unter Druck."
In den kommenden Wochen und Monaten wird es geschäftig in dem verwaisten Haus. Die HInterbliebenen sichten das Inventar und beginnen auszumustern. Es sind schöne Möbel da, teure Teppiche, kostbares Porzellan, im Arbeitszimmer des Hausherrn viele Bücher zu spirituellen Themen. In der Diele hängt ein großes Famliienbild, das eine heimische Künstlerin gemalt hat.
Nach und nach wird das verwaiste Haus leer - wandelt sich von einem liebevoll gepflegten Zuhause zu einer leeren, erstorbenen Hülle.
Jemand vernagelt die Fenster - das Haus erstarrt.
Februar 2017
Eine fremde Frau geht rasch und mit suchendem Blick die Straße entlang. Vor dem verwaisten Haus hält sie an und sieht sich vorsichtig um. Dann betritt sie das Grundstück. Niemand bemerkt sie, als sie verstohlen dem schmalen Pfad folgt, der um das Haus herum in den Garten führt.
Der Garten ist winterlich kahl - nur an einer geschützten, sonnigen Stelle blühen ein paar leuchtend gelbe Winterlinge. Auf einer Mauer entdeckt sie Reste von heruntergebrannten Kerzen - letzte Erinnerung an einen schönen Sommerabend.
Die Frau setzt sich auf die Gartenmauer und starrt auf das leere Haus. Ab und zu schluchzt sie leise auf. Ihre Augen sind trocken, ihr Gesicht ausdruckslos und wie leer geweint. Sie hat jegliches Zeitgefühl verloren.
Plötzlich schreckt sie auf. Etwas leuchtet ihr ins Gesicht  und streichelt es: ein Sonnenstrahl hat sich in einer massiven, durchsichtigen Glaskugel verfangen, die in einem schmiedeeisernen Halter ein Beet schmückt. Sie erhebt sich schwerfällig, geht zu dem Beet und steckt die Glaskugel ein. Dann verlässt sie den Garten. Zuhause wird sie diese Glaskugel in eine Schale legen, die sie mit Erde vom Grab der Verstorbenen gefüllt hat.
Mai 2017
Das Haus ist leer geräumt, das Inventar verkauft, verschenkt, oder unter den Erben verteilt. Auf der Straße steht jetzt nur noch das, was keiner haben wollte: ein paar Stühle, etwas Hausrat.
Wieder kommt die Fremde Frau die Straße entlang - betrachtet verstört den Haufen Sperrmüll. Eine Nachbarin spricht sie an: das Haus sei verkauft. "Es sind nette Leute aus der Nachbarschaft - Freunde der Famllie." - Die beiden Frauen wechseln ein paar belangelose Worte, dann verabschiedet sich die Nachbarin.
Die Fremde nimmt, bevor sie ebenfalls geht,einige Gegenstände vom Sperrmüll an sich: Gläser, die in der Spülmaschine blind geworden sind, ein zerborstenes kleines Windlicht mit Bronzeumhüllung. Sie wird diese scheinbar wertlosen Gegenstände, die keiner der Erben für gut genug erachtete, liebevoll aufbewahren, und ihnen in ihrem Haushalt einen Platz geben.
Juni 2017
Vor der Tür des verwalsten Hauses steht eine Kippe mit Holzabfällen, aus den weit geöffneten Fenstern klingt Radiomusik. Ein Handwerker streicht die Wände mit weißer Farbe.
Es klingelt. Die Fremde Frau steht draußen und fragt, ob sie eintreten darf. Der Handwerker erlaubt es. Sie setzt sich in einen kleinen Erker im Wohnzimmer, erzählt, dass sie den früheren Besitzer gut gekannt habe. Die Beiden plaudern ein weinig, sie wandert durch die leeren Räume, verharrt einen Augenblick im Arbeitszimmer des Hausherrn, betritt kurz den Garten - und geht wieder.
September 2017
Die neuen Besitzer sind eingezogen. Sie haben beschlossen, den Garten vorerst so zu belassen, wie ihn ihre Vorgänger angelegt hatten.
An einem sonnigen Freitag nachmittag klingelt es an der Haustür. Als der Mann öffnet, steht vor ihm eine fremde Frau, neben sich einen Blumentopf mit einem Gingkobäumchen, das ihr bis zu den Knien reicht. Sie nennt ihren Namen. Dann versagt ihre Stimme, weil ihr plötzlich die Tränen kommen. Der neue Besitzer will Aufsehen vermeiden und bittet sie herein.
Sie setzt sich mit ihm an den Tisch in der Diele, erzählt, dass sie mit dem früheren Besitzer eng befreundet war, und dass sie ihm den kleine Gingko zum Geburtstag hätte schenken wollen. Und ob sie, die neuen Besitzer, dem Bäumchen nicht Asyl gewähren möchten. Die neuen Eigentümer hören ihr höflich zu. Gemeinsam gehen sie schliesslich in den Garten und beratschlagen, wo der Gingko stehen könnte.
Als sich die Besucherin verabschiedet, versprechen sie ihr "das Bäumchen in Ehren zu halten".
Sie glaubt ihnen. Sie wird dieses Haus und diesen Garten niemals wieder betreten. Darum kann sie auch in Zukunft glauben, dass das Ehepaar Wort gehalten und der kleine Gingko tatsächlich seinen Platz gefunden hat.
Intermezzo
Wie eine große Wanderdüne gleitet die Zeit über das Haus hinweg. In ihrem Treibsand versinken die letzten Erinnerungen an die zwei Menschen, die es gebaut und dort für sich und ihre Kinder ein Zuhause geschaffen hatten. Das letzte Echo ihrer Stimmen - der letzte Nachhall von Kinderlachen, fröhlichen Familienfeiern - aber auch von verhaltenem Zwist der Eheleute und verstohlenen Telefongesprächen des Hausherrn - sind verweht.
Die neuen Bewohner sind nicht mehr nur die Nachfolger des tödlich verunglückten Ehepaares. Dieses Haus ist jetzt ihr Haus.
Auf einem kleinen Friedhof ganz in der Nähe ruht die Asche der beiden Toten zu Füßen eines weißen Marmorsteins. Ab und zu bringt jemand Blumen dorthin und harkt ein wenig die Erde auf den Grabhügeln. Ende Mai kommt eine Blumenhändlerin und bringt ein Gesteck mit einer großen Schleife. Manchmal kommt die Fremde Frau, pflanzt Frühlingsblumen und Rittersporn, steckt Blumenzwiebeln von Schneeglöckchen in die Erde, zündet Kerzen an.
Ein Jahr nach dem Unfall -1. November 2017
In der Pfarrkirche wird das Jahresseelenamt für das Ehepaar begangen - die Fremde Frau ist nicht dabei.
Im Anschluss an den Gottesdienst besuchen die Hinterbliebenen das Grab und sehen peinlich berührt das Aufgebot brennender Kerzen und den opulenten Kranz mit der großen Schleife. Lesen mit verständnislosen Gesichtern die Aufschrift: "Ihr verglühtet wie zwei Meteoriten. Jetzt seid Ihr die schönsten Sterne im Universum."
Achselzucken bei den Hinterbliebenen. Sie alle wissen, wer diesen Kranz bestellt hat. Sie kennen diese Person nur flüchtig, haben sie nur zweimal gesehen -  bei der Beisetzung vor einem Jahr und beim Sechswochen-Seelenamt, aber nie  wirklich mit ihr gesprochen. Diese Frau hat verzweifelte Briefe geschrieben, Trost gesucht, auf ein mitfühlendes Wort gehofft. Man will nicht mit ihr reden. Sie stört mit ihrer exzessiven Trauer. Einer Trauer, die laut schreit und sich wundschlägt an den Gitterstäben der Konvention, so wie ein gefangener Vogel sich wundschlägt an den Käfigstangen seines Gefängnisses. Die Hinterbliebenen versuchen, diese Trauer, die so gar nicht in ihr wohltemperiertes und saturiertes Weltbild passt, zu ignorieren. Und die Frau, die von dieser Trauer besessen ist, meldet sich nur noch selten und zaghaft zu Wort.
"Ich kann das ja verstehen, dass man mal was loswerden will - aber irgendwann isses auch jut", kommentiert ein junger Mann aus der Gruppe der Hinterbliebenen den Anblick des Grabes - dann bückt er sich und reisst die Schleife des Kranzes ab.
Die anderen aus der Gruppe nicken beifällig - diese Schleife ist eine Provokation - auffällig und aufdringlich. Es ist besser, wenn sie verschwindet.
Die große Wanderdüne Zeit verschüttet auch dieses Zeichen der Erinnerung. Der Kranz verwelkt, die Normalität kehrt zurück, die Friedhofsgärtnerei hat die Grabplfege übernommen, die Angehörigen gehen zur Tagesordenung über, die Toten versinken langsam in die Vergessenheit.
Epilog
In einer anderen Stadt trauert eine fremde Frau. Sie denkt voller zärtlicher Dankbarkeit an den Verstorbenen und schwört sich, niemals zu vergessen, wie er war - dieser schöne, sinnliche und lebensfrohe Freibeuter mit dem hinreißenden Lächeln und den zärtlichen Händen, dessen Asche jetzt fünfzig Zentimeter tief begraben  ist im harten und zähen Lehmboden eines Dorffriedhofs in der westfälischen Provinz. Fest gebannt und eingekerkert zu Füßen eines protzigen Grabsteins aus weißem Marmor - anstatt aufzugehen  in der Weite des Atlantik von Kap Fisterra bei Santiago de Compostela.
Er wollte mit seinem ältesten Sohn dorthin pilgern - und er hatte sich gewünscht, dass seine Asche dort ins Meer gestreut wird. Aber seine Familie hatte ihm schon zu Lebzeiten die Erfüllung dieses Wunsches verweigert.
Ist es denn jemals nach seinen Wünschen gegangen? fragt sich die Fremde Frau.
Was war seiner Begegnung mit ihr, aus der eine jahrzehntelange, innige und zärtliche Freundschaft wurde, voraus gegangen? Was hatte ihn zu ihr hingezogen? Was habe ich, das seine schöne Frau nicht hatte?
Ist das familiäre Idyll, das er ihr immer wieder in leuchtenden Farben beschrieben hat, nur eine Chimäre? Die Kopfgeburt eines Mannes, der sein Leben erfolgreich gemeistert hat, und es nicht ertragen könnte, wenn seine Familie keine Musterfamilie wäre?
Oder war er in seiner Familie zum Fremdliing geworden? Hatten sie Angst bekommen um ihren Lebensstandard, als er seine spirituellen Neigungen entdeckte und begann, ihnen nachzugehen?
Hatte er sich auch in seinen Söhnen getäuscht, auf die er so stolz war?
Sie hat mit diesen Söhnen nur flüchtig Kontakt gehabt. Der eine hatte sie am Rande des Sechswochen-Seelenamtes verscheucht wie einen streunenden Hund .
Der andere - Überbringer der Todesnachricht - distanziert sich panisch von ihrer obsessiven und leidenschaftlichen Trauer um seinen Vater, hat Angst vor ihrer Leidenschaft, ihrer Direktheit und ihrer Präsenz.
Ist es denn wirklich möglich, dass ein so warmherziger, offener und frei denkender Mann wie ihr verstorbener Freund solche Söhne haben kann?
Sie mag die Antwort, die ihr von ihrer Erfahrung diktiert wird, nicht akzeptieren, aber sie muss erkennen, dass Warmherzigkeit, Offenheit, fröhliche Menschenliebe und ein klarer und vorurteilsfreier Blick sich nicht vererben lassen wie materieller Besitz.
Konventionell denkende Menschen können mit der Leidenschaft, dem Schmerz und der Trauer, die sie durchlebt und durchleidet, nichts anfangen. Sie fühlen sich dadurch belästigt.
Aber was hat sie denn erwartet? Dass man sie aufnimmt in die Gemeinschaft der Trauernden, ihr gar einen Platz zuweist? Ihr, die sie dieser gut situierten, wohlanständigen bürgerlichen Familie allein durch ihr Dasein den Spiegel vorhält, die Wohlfeilheit bürgerlicher Tugenden demonstriert?
Es tut weh - sehr weh. Die einzigen Menschen, mit denen sie ihre Trauer teilen könnte, verweigern ihr den Zutritt in ihr Leben. Diese Tür ist nun zu. Von beiden Seiten. Für immer.
Was ihr bleibt, sind die Erinnerungen - und die zynische Erkenntnis, dass in dieser Welt alles seinen Preis hat. Auch die Liebe.[



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Schreiberin ist journalistisch vorbelastet und hat einen Heidenbammel vor Gefühlsdurselei. Daher versucht sie, auch Geschichten über emotional einschneidende Geschehnisse möglichst sachlich zu präsentieren.
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Soleatus
Klammeraffe


Beiträge: 998



Beitrag25.08.2019 10:45

von Soleatus
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Hallo Almuth!

Das liest sich gut; ich für mich finde es schade, dass durch die eigentliche Geschichte immer eine Art "erzählerischer Erklär- und Belehrungswille" schimmert, der, ganz am Schluss, dann sogar unverhüllt zu Tage tritt; ich denke, wenn eine Geschichte gut geschrieben ist, finde ich als Leser selbst, was in ihr angelegt ist, und derlei ...

Sie mag die Antwort, die ihr von ihrer Erfahrung diktiert wird, nicht akzeptieren, aber sie muss erkennen, dass Warmherzigkeit, Offenheit, fröhliche Menschenliebe und ein klarer und vorurteilsfreier Blick sich nicht vererben lassen wie materieller Besitz.
Konventionell denkende Menschen können mit der Leidenschaft, dem Schmerz und der Trauer, die sie durchlebt und durchleidet, nichts anfangen. Sie fühlen sich dadurch belästigt.


... nimmt mir nur die Möglichkeit, selbst beizutragen; es zwingt mich in eine rein passive Rolle.

Mir trübt dieses Vorgehen den Gesameindruck - und auch vorher schon das Lesevergnügen, denn ich hatte schon früh den Eindruck, die Handelnden wären nicht um ihrer selbst willen da, sondern im Dienste einer Aussageabsicht.

(Ein paar Vertipper sind drin - schau dahingehend doch noch mal drüber, das muss ja nicht sein: "Famliienbild", "Tagesordenung", Grabplfege" ...)

Gruß,

Soleatus
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Almuth Wessel
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A
Beitrag25.08.2019 16:56
Danke für das Feedback...
von Almuth Wessel
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das mit den Tippies ist echt blöd - halte mir zugute, dass ich den Text in schwärzester Mitternacht am Wickel hatte.
"erzählerischer Erklär- und Belehrungswille"...hmm... es geht mir darum, deutlich zu machen, dass es hier nicht nur um einen herben Verlust geht, sondern auch um ein Missverständnis.
Denn wenn die Akteurin nicht das Märchen von der Musterfamilie geglaubt hätte, hätte sie sich wahrscheinlich einiges ersparen können.
Frage: Wo witterst Du diesen "Erklär- und Belehrungswillen" NOCH?


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Kiara
Geschlecht:männlichReißwolf

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Beiträge: 1404
Wohnort: bayerisch-Schwaben


Beitrag25.08.2019 19:03
Re: Danke für das Feedback...
von Kiara
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Almuth Wessel hat Folgendes geschrieben:
Frage: Wo witterst Du diesen "Erklär- und Belehrungswillen" NOCH?

Für meinen Teil schwingt das im Epilog mit, falls ich das anmerken darf. Ein-zwei Sätze davon in die "normale" Geschichte eingearbeitet und den Epilog gestrichen wäre - auf die Schnelle - eine Bereicherung.

Danke für die Geschichte!
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silke-k-weiler
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 49
Beiträge: 748

Das goldene Schiff Der goldene Eisbecher mit Sahne


Beitrag25.08.2019 19:30

von silke-k-weiler
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Soleatus hat Folgendes geschrieben:

Mir trübt dieses Vorgehen den Gesameindruck - und auch vorher schon das Lesevergnügen, denn ich hatte schon früh den Eindruck, die Handelnden wären nicht um ihrer selbst willen da, sondern im Dienste einer Aussageabsicht.


Hallo Almuth,

mir geht es ähnlich, allerdings kann ich es nicht so gut ausdrücken. Zunächst habe ich die Geschichte sehr gerne gelesen. Manche Stellen wie: "Die Kreidestriche auf dem Asphalt verwischen unter den Rädern des Feierabendverkehrs. Die Schatten werden tiefer, das Tageslicht schwindet, und in die Zimmer des schönen Hauses mit dem liebevoll gepflegten Garten kriecht die Dunkelheit." haben mir persönlich sehr gut gefallen.
Die Art und Weise aber wie z.B. die Hinterbliebenen den Haushalt auflösen, den Handlungen der fremden Frau gegenübergestellt, geben mir zum ersten Mal das Gefühl, dass ich etwas Bestimmtes sehen SOLL. Aber das ist noch ok, vielleicht bilde ich es mir auch nur ein. (Schön erzählt finde ich auch, wie sich der Eindruck des Hauses nach und nach verändert. Die neuen Besitzer es schließlich zu ihrem Haus machen und mit eigenem Leben füllen. Wie die "fremde Frau" immer wieder zurückkehrt in ihrer Trauerbewältigung.)

Allerdings lokalisiere auch ich dieses Gefühl primär im Epilog. Vielleicht ist er auch gar nicht notwendig? Mich irritieren ihre Gedanken auch, zumal angedeutet wird (so habe ich es zumindest verstanden), dass der Vater und die fremde Frau in einer Beziehung zueinander gestanden haben, die die Angehörigen sicher nicht gutgeheißen hätten, hätten sie davon gewusst. Insofern wäre eine gewisse Distanz verständlich. Eine spirituelle Neigung des Vaters oder überhaupt der Wunsch nach einem neuen Lebensentwurf, der sich von dem bisherigen unterscheidet, wird m.E. zuvor auch nur an ein zwei Stellen angedeutet. Es weist auch kaum etwas darauf hin, dass innerhalb der Familie Zerwürfnisse geherrscht hätten, von den angedeuteten Heimlichkeiten und dem Sommerabend im Garten mal abgesehen.

Ich hoffe, du kannst damit etwas anfangen.

Viele Grüße und weiter gutes Schaffen
Silke
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Almuth Wessel
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
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Alter: 69
Beiträge: 20
Wohnort: Gütersloh


A
Beitrag25.08.2019 22:51
Epilog nötig?
von Almuth Wessel
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Mir ging es bei der Erstellung dieses Textes auch ein bisschen um die Kontrastwirkung: einerseits die Rückkehr der "Normalität" - andererseits die Fremde, die nach wie vor in ihrer Trauer verharrt  - sie vielleicht auch dazu verpfllichtet fühlt, weil sie den Eindruck hat, dass SIE die einzige ist, die sich noch erinnert..
Ich wollte auch versuchen, eine Person zu beschreiben, die in dieser Familie "eigentlich" außen vor ist - aber dadurch, dass ihr Geliebter sie immer hat teilhaben lassen, durch seine Erzählungen über sein fantastisches Familienleben auch IHR die Illusion von der perfekten Familie vermittelt hat...


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Soleatus
Klammeraffe


Beiträge: 998



Beitrag26.08.2019 11:50

von Soleatus
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Hallo Almuth!

Das, was du nun zum "Was" geschrieben hast, leuchtet mir ein - und ich denke, das hast du umgesetzt und erreicht: Der Text trägt und liest sich rund. Mein "vermindertes Lesevergnügen" speist sich aus dem "Wie", und inwieweit das überhaupt eine allgemeine Aussage über den Text ermöglicht, bliebe zu fragen; vielleicht mögen andere Leser ja gerade diese Art des Aufbaus.
Zitat:
Frage: Wo witterst Du diesen "Erklär- und Belehrungswillen" NOCH?

Du gibst den Menschen keine Namen, sondern rufst sie stets über ihre Funktion oder ihre Beziehung auf. Eine derartige "Gesichtslosigkeit" sagt an sich noch nichts aus, aber mir ist sie häufiger in Texten begegnet, die ein Allgemeines bebildern und verdeutlichen wollen; und von daher wäre schon das eine "Witterung".

Zitat:
Ist es denn jemals nach seinen Wünschen gegangen? fragt sich die Fremde Frau.
Was war seiner Begegnung mit ihr, aus der eine jahrzehntelange, innige und zärtliche Freundschaft wurde, voraus gegangen? Was hatte ihn zu ihr hingezogen? Was habe ich, das seine schöne Frau nicht hatte?

Hier behauptet der Text ein "fragt sich die Fremde Frau", aber was ich höre / wahrnehme, ist die Erklärstimme der Erzählerin. (Wieso eigentlich der Wechsel zwischen "ihr" und "ich"? Da bin ich gestolpert.)

Gruß,

Soleatus
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Dinshi
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Beitrag27.08.2019 11:13

von Dinshi
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Hallo Almuth, Tipps habe ich wohl keine, daher lasse ich Dir nur meinen Eindruck da. Ich habe Deine Geschichte sehr gerne gelesen. Die geschilderten Bilder haben in mir Emotionen ausgelöst und ich wollte weiterlesen. Auch um hinter das Geheimnis der fremden Frau zu kommen.
Ich war ein kleines Bisschen enttäuscht, dass sie "nur" die Geliebte war. Aber das schmälerte mein Lesevergnügen nicht wirklich. Ich wäre allerdings auch sehr gut ohne den Epilog ausgekommen. Ohne die Schlussfolgerungen würde der Text mehr zum Nachdenken anregen.
Wirklich toll geschrieben!
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Almuth Wessel
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Alter: 69
Beiträge: 20
Wohnort: Gütersloh


A
Beitrag29.08.2019 10:49
Das Dilemma der Distanz
von Almuth Wessel
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Du gibst den Menschen keine Namen, sondern rufst sie stets über ihre Funktion oder ihre Beziehung auf. Eine derartige "Gesichtslosigkeit" sagt an sich noch nichts aus, aber mir ist sie häufiger in Texten begegnet, die ein Allgemeines bebildern und verdeutlichen wollen; und von daher wäre schon das eine "Witterung".

Lieber Soleatus - mein ursprünglicher Gedanke war es, das Geschehen aus der Perspektive des HAUSES darzustellen. Also aus einem überpersönlichen Blickwinkel heraus. So gesehen, wöre es m.E. verfehlt, den Personen die in der Geschichte vorkommen, einen Namen zu geben. Denn sowohl für das Haus - wenn es denn eine Wahrnehmungsfähigkeit hätte - , als auch für die Nachbarn ist die "Fremde Frau" eine unbekannte Person, die einige Male in der Siedlung auftaucht, VIELLEICHT für Irritationen sorgt, aber vielleicht auch nicht.
Was nun den Epilog angeht... ich hatte diese Geschichte schon mal einer Künstlerkollegin aus meinem Bekanntenkreis zu lesen gegeben. Mir liegt viel daran, die Verheerungen, die der Unfall und das Folgegeschehen im Gefühlshaushalt der "Fremden Frau" angerichtet haben, zu referieren. Aber ich möchte auf gar keinen Fall sentimental werden. Die Fragen, die sie sich stellt, sind die Ergebnisse eines länger währenden Denkprozesses, der sich über Monate hinzieht. So lange, wie es eben dauert, bis man merkt, dass man selber einer Fiktion aufgesessen ist. Von daher liegt mir dieser Epilog auch am Herzen...


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Almuth Wessel
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A
Beitrag29.08.2019 10:54

von Almuth Wessel
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Dinshi hat Folgendes geschrieben:

Ich war ein kleines Bisschen enttäuscht, dass sie "nur" die Geliebte war.
!

Was heißt hier "nur"? Letzten Endes geht es doch in dieser Geschichte um die Frage, ob es einer Geliebten erlaubt ist, in einem solchen Fall zu trauern.
Oder ist die Geliebte ein verworfenes Luder, das sich unverschämter Weise in eine Ehe hineingedrängt hat und als solche nicht weiter beachtenswert?
Ich frage bewusst so überspitzt, denn nach meinen subjektiven Erfahrungen ist es tatsächlich in der so genannten bürgerlichen Gesellschaft immer noch so: die Geliebte ist der Schwarze Fleck auf Papis weißer Weste und deshalb wird sie ignoriert.
Andererseits lehrt uns aber die Erfahrung, dass das, was wir in der bourgeoisen Gesellschaft mit dem Begriff "Seitensprung" umschreiben, nicht der BEGINN, sondern der ENDPUNKT, manchmal auch der WENDEPUNKT einer Entwicklung ist, die sich manchmal schon über Jahre hingezogen hat. ich habe versucht, das im Epilog zu formulieren.


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Dinshi
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Beiträge: 51
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Beitrag31.08.2019 22:01

von Dinshi
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Hallo Almuth,
ich habe ein paar Tage über Deine Antwort nachdenken müssen. Ich habe das "nur" ja bewusst in Anführungszeichen gesetzt. Die Kritik sollte die Rolle der Geliebten nicht abwerten. Ich persönlich finde aber, dass sie sich manchmal nicht verhält wie "die Geliebte", zumindest nicht so, wie ich das erwarten würde. Sie trauert auch im Haus/Garten des Geliebten, bringt einen Baum, der dort wachsen soll. Müsste es nicht einen Ort/ Orte für sie geben, die sie spezifischer auf ihn und sich als Paar beziehen würde? Was ist mit ihrer Wohnung? Oder vielleicht hatten sie ein anderes Liebesnest? Sollte sie nicht ihre eigenen Erinnerungen als Basis für die Trauer nehmen? Du schreibst, ihr käme es so vor, als hätte sie am Familienleben teilgenommen, weil ihr der Mann davon erzählt hat. Das ist ja aber, was die Familie betrifft, ein einseitiges empfinden. Die Familie hat ja an ihrem Leben nicht teilgehabt. Insofern kann ich schon verstehen, wieso sie aus der Trauergemeinschaft ausgeschlossen wird.
Wenn das natürlich eine offene Beziehung war, von Frau und Familie akzeptiert, dann sähe die Dache anders aus. Aber das geht aus Deinem Text nicht hervor.
Kannst Du meine Sicht auf die Dinge in etwa nachvollziehen? Ich hoffe Du wertest das nicht als Kritik an Deinem Text, es ist nur die Sicht, die sich nach dem Lesen bei mir eingestellt hat.
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