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Diese Werke sind ihren Autoren besonders wichtig Opa, ich will dein Erbe nicht


 
 
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Tschik
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
T

Alter: 65
Beiträge: 19
Wohnort: Bayern


T
Beitrag09.06.2019 15:32
Opa, ich will dein Erbe nicht
von Tschik
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Demütig stelle ich eine weitere Kurzgeschichte "aus dem Baum" zur Begutachtung rein.
Ziert euch nicht, wetzt die Messer und schneidet tief in den Text rein Smile

IV.
Heute war einer der Wochentage, an denen sich kaum Leute unter dem Baum versammelten. Zu dem Umstand, dass es ein Werktag war kam hinzu, dass kaum ein Sonnenstrahl die Wolkendecke durchbrach. Daher konnte sich der alte Mann verstärkt seiner Hauptaufgabe widmen: Die Geschichten von den Baumblättern mittels seines Diktiergerätes für die Nachwelt zu erhalten. Nach einiger Zeit stellte er fest, dass sich einige ältere Menschen eingefunden hatten.
Er überflog die noch nicht gelesenen Blätter und fand ein seiner Meinung nach passendes. Dies las er nun vor:


 
Opa, ich will dein Erbe nicht!

Ludwig war ein zufriedener Rentner. Er hatte eine sehr gute Rente und auch sonst einiges an materiellem Wohlstand. Seine Kinder waren beide glücklich verheiratet und hatten ihm die Sonne seines Lebens beschert: Drei Enkelkinder. Die älteste war Julia. Sie war mittlerweile 14 und besuchte ihn ziemlich oft. Sie hörte gern Geschichten aus seiner Jugendzeit und sog diese förmlich in sich auf.

Doch heute war das anders. Sie kam rein, setzte sich zu ihm, nahm seine Hand und schaute ihn voller Ernst an.
„Opa, ich habe dich sehr lieb. Aber andererseits gibt es auch Tage, wo ich dich verachte. Und davon werden es immer mehr.“ Sie sah ihn mit traurigen Augen an.
Er erschauerte. War es so weit? War der Unterschied zwischen der Gebrechlichkeit des Alters und der Frische und Unbefangenheit der Jugend inzwischen so deutlich, dass sie die Unzulänglichkeiten seiner Erscheinung als Maßstab setzte?

 Bevor er darauf eingehen konnte, fuhr sie fort.
„Du hast mir so viele schöne Geschichten aus deiner Zeit erzählt: Von Zeiten ohne Telefon, PC und sonstigen neuen Erfindungen. Von Zeiten, in denen Menschen viel Zeit miteinander verbrachten, in denen Entbehrungen an der Tagesordnung waren und man trotzdem unbeschwert lachen, leben, lieben konnte. Von der Neugier auf all das Neue, das im Laufe der Jahrzehnte aufkam. Von den Veränderungen, die all das Neue mit sich brachte.“ Sie machte eine Pause, legte sich die Worte für die nächsten Äußerungen zurecht.

Er schweifte in Gedanken ab. Es stimmte. Er war immer schon neugierig gewesen. Hatte alles in sich aufgesogen und mitgemacht. Vom Wählscheibentelefon zum frei tragbaren Tastentelefon und dann zum Handy und Smartphone, von der Lohntüte bis zur Kreditkarte, vom Taschenrechner zum PC.
Voller Enthusiasmus hatte er die technologischen Errungenschaften gefeiert und im Rahmen seiner Möglichkeiten mitgemacht. Er konnte heute noch besser mit PC und Internet umgehen als seine Kinder und Enkelkinder. Glaubte er zumindest. Gleichzeitig beklagte er die damit zunehmende Gefühlskälte und die mangelnde menschliche Kommunikation. Ein Paradox in seinem Leben wie so viele andere.

Sie fuhr mit trauriger Stimme fort. „Opa, ich glaube du hast uns nicht richtig lieb. Mich, deine anderen Enkel und deine Kinder. Zumindest scherst du dich einen Dreck um unsere Zukunft.“
Erschrocken sah er sie an. Er liebte sie doch mehr als alles andere. Seine Kinder und Enkelkinder! Sollten sie an eine eventuelle Erbschaft denken? War das alles, was sie noch von ihm erwarteten?
„Das stimmt doch wirklich nicht. Ihr seid doch alles in meinem Leben. Was soll denn sonst für mich zählen? Weißt du, wenn...“
Sie unterbrach ihn. Sprach mit derselben Bitterkeit in ihrer Stimme weiter.
„Nein, nicht diese Art von Liebe ist es, die ich meine. Die hast du und die nehme ich dir ab. Die Verantwortung meine ich. Die schmerzende Ignoranz ob unserer Zukunft. Du sagst selber immer öfter, dass du zum Glück nicht mehr erleben wirst wie unsere Welt sich verändert. Aber wir, Opa, wir werden es erleben müssen. Und wir können nichts dafür. Wir haben diese Veränderung nicht herbeigeführt. Wir müssen lernen, arbeiten, funktionieren. Aber du hast Zeit, du musst all dies nicht mehr tun. Du könntest den Rest deines Lebens damit verbringen, einiges davon wieder geradezubiegen, was deine Generation verbockt hat.“

Schweigen! Sie sah ihn mit ihrem zornigen Kindesblick an. Sie war doch erst 14! Konnten solch junge Menschen schon derartige Schlussfolgerungen ziehen? War das der Grund, warum sie ihm so anders vorkamen? Anders als seine Erinnerungen an dieses Alter? War das der tatsächliche Generationen Unterschied? Sahen die Enkelkinder schon in jungen Jahren nur noch die Entwicklung in eine düstere Zukunft? War das der Grund des Schweigens der Jugend?
Dutzende solcher Fragen drängten sich ihm auf. Und dann kam eine Erkenntnis nach der anderen.

Sie waren zu jung, um selber Veränderungen herbeizuführen. Andererseits waren sie Dank den zur Verfügung stehenden Mittel wie Internet und dergleichen durchaus in der Lage, zu begreifen wohin die Reise führte. Diejenigen, die heute noch den Lauf der Welt bestimmten, waren aber überwiegend aus seiner Generation. Mit derselben Unbeschwertheit, mit der sie die Erfindungen der letzten Jahrzehnte gefeiert und genossen hatten, führten sie die Menschen immer weiter ins Verderben. Trotz geförderter wissenschaftlicher Tätigkeit hörten sie immer seltener auf diejenigen, die ihre Lebenszeit damit verbracht hatten zu studieren, zu analysieren und zu warnen. Sie wollten ihre kindliche Welt erhalten! Diese Welt, in der beinah täglich ein Wunder geschah. In der Wissenschaft, in der Technik und in so vielen anderen Bereichen. Sie wollten immer weiter nach oben, ohne zu sehen wie tief es nach unten ging.
Sie waren selber wie Kinder. Immer noch, trotz zunehmenden Alters! Und es hatte niemand gegeben, der sie vor bestimmten gefährlichen Spielzeugen gewarnt oder geschützt hätte. Außer den eigenen Kindern und Enkelkindern!

Er schluckte schwer. Tränen traten ihm in die Augen. Sein Atem wurde immer schwerer. Er fühlte sich wie ein Verbrecher, der erst nach der Tat die Schwere seiner Schuld einsah. Und wie ein solcher versuchte er, mildernde Umstände für diese Tat zu finden.
„Ich gebe dir ja Recht. Aber was kann ich als Einzelner schon tun? Ich war nie politisch aktiv und hatte auch sonst keine Entscheidungsvollmachten. Ich würde ja…“
„Hör auf“, schrie sie ihn mit gequälter Stimme an. „du hast als Einzelner diesen Unsinn mitgemacht. Voller Enthusiasmus! Du hast davon profitiert und dich einen Dreck darum geschert, wenn andere mit lauter Stimme warnten. Du erzählst mir jedes Mal von einer Welt, die du noch erleben durftest. Ich aber nicht!“

Es stimmte. Er hatte schon vor 30 Jahren seine Einstellung kundgetan „wir kommen aus dem Industriezeitalter ins Kommunikationszeitalter“ und sein Leben entsprechend gestaltet. Hatte von dieser Einsicht profitiert und als Folge einiges an materiellen Gütern sowie einer exzellenten Altersversorgung sein Eigen nennen können. Bis heute war er sogar Stolz darauf gewesen.
Die Tränen in seinen Augen mehrten sich und verschleierten seinen Blick.
Sie fuhr unerbittlich fort. „Das wenige, das du als Einzelner verbockt hast, kannst du vielleicht wieder gut machen. Selbst wenn du dich täglich ein paar Stunden irgendwo mit einem Plakat hinstellst und damit deine Meinung zu einem Thema kund tust. Damit könntest du andere deines Alters motivieren, ihren Lebensabend sinnvoll zu gestalten. Es könnten immer mehr werden. Man würde beginnen zu fragen und zu reagieren.“
Sie machte eine Pause. Mit viel milderer Stimme fuhr sie fort.
„Opa, als Erstes würden auch wir Enkelkinder uns dazu stellen. Wir würden euch beistehen und helfen.“

Er begann zu zittern. Seine Tränen wurden zu Bächen, die an seinen Wangen herunter liefen. Heiß und brennend. So heiß und brennend wie sein Verlangen, sein Enkelkind glücklich zu machen.
Er weinte hemmungslos. Sie nahm ihn in die Arme und schmiegte sich an ihn.
„Opa, das wäre es, was ich von dir erben möchte. Das, was du mir momentan vererben könntest, möchte ich am liebsten ablehnen. Geht aber leider nicht.“
Sie schmiegte sich an ihn, so wie sie es als kleines Kind so oft getan hatte und weinte leise mit.



Der alte Mann wartete, bis alle gegangen waren. Dann erst schlich er sich vom Baum und ging gebeugt heim. Er wusste, er war auch einer der Schuldigen!



_________________
Was macht den Musiker, den Maler, den Schriftsteller aus ?
Die Leidenschaft für seinen Bereich, aber auch die Freude daran, diese mit anderen zu teilen.
Singen kann ich nur in der Badewanne, malen nur auf meine Texte.
Kann ich schreiben ? Zumindest habe ich viel Phantasie. Ob ich diese auch mittels Text zu Lesers Freude rüberbringen kann, würde ich gerne von jedem Leser meiner Texte wissen.
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silke-k-weiler
Geschlecht:weiblichKlammeraffe

Alter: 49
Beiträge: 750

Das goldene Schiff Der goldene Eisbecher mit Sahne


Beitrag13.06.2019 12:54

von silke-k-weiler
Antworten mit Zitat

Hallo Tschik,

ich möchte gerne ein kleines Feedback hinterlassen, das meine persönliche Meinung widerspiegelt. Dabei beginne ich bei dem Prolog, der mir sehr gut gefallen hat. Das Bild des Baumes, der mit seinen Geschichten die Menschen dieser Wohnhaussiedlung verbindet, ist sehr interessant. Der Einstieg ist leise, daher bin ich aufmerksam und lausche.

Aber dann wird es leider zu laut. Die nachfolgenden Geschichten überfallen mich regelrecht und lösen einen Fluchtreflex in mir aus. Natürlich sprichst Du enorm wichtige Themen an, gar keine Frage, aber nach dem Einstieg mit dem Baum werden sie mir wie mit dem Holzhammer eingebläut. Wobei mir Ahmuds Schicksal mit dem Bild des gemeinsamen Weinens noch sehr nahe geht. Auch das Ende mit dem Plakat ist durchaus stimmig. Allerdings muss ich sagen, dass ich es nicht gut finde, wie nebenbei die traumatischen Erlebnisse auf seiner Reise (der Missbrauch und der Tod seines Onkels) in ein, zwei kurzen Sätzen abgehandelt werden.

"Opa, ich will dein Erbe nicht" ist eigentlich ein sauguter Titel, der neugierig macht, aber dann renne ich vor dem Holzhammer weg.

Ich würde mir Geschichten wünschen, die leise wie der Einstieg sind und so verbindend wie der Baum. Damit ich lausche und nahe herangehe. Wichtige Themen wie Krieg, Flucht, Entwurzelung, Einsamkeit, Klima- Umwelt- oder Naturschutz lassen sich dadurch trotzdem transportieren. Wenn ich jedoch gleich verprellt werde, kann ich nicht zuhören.

Viele Grüße
Silke
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