You asked me if your talent is being cursed? If you have a knack for ruining things? Hear me when I tell you this: you are not a curse on anyone, Morrigan Crow. You never have been. And I think you’ve known that all along. - JUPITER NORTH
Nevermoor: The Trials of Morrigan Crow (Nevermoor: Fluch und Wunder) von Jessica Townsend (2017) ist zweifelsohne eine der charmantesten, warmherzigsten, lustigsten und spannendsten Neuerscheinungen der letzten Jahre – auf erfrischende Weise von der alten Schule, dabei behaglich aktuell.
Ich habe das Buch auf Englisch gelesen, kann also nichts zur deutschen Übersetzung von Franca Fritz und Heinrich Koop sagen. Den deutschen Klappentext kann ich hier dennoch zeigen:
Willkommen in der Welt grenzenloser Magie! Morrigan Crow ist verflucht, an ihrem 11. Geburtstag zu sterben. Doch als die Zeiger auf Mitternacht zulaufen, wird sie vom wunderbar seltsamen Jupiter North gerettet und in sein Hotel in der geheimen Stadt Nevermoor gebracht. Dort gibt es riesenhafte, sprechende Katzen, Vampirzwerge und echte Freunde für Morrigan. Doch sie muss schwierige Prüfungen bestehen, um in ihrem neuen Zuhause bleiben zu dürfen, und außer ihr scheint hier jeder ein besonderes Talent zu haben. Oder kann Morrigan vielleicht mehr, als sie ahnt? (Dressler Verlag GmbH, 2018)
Zunächst erscheint das Buch viel ernsthafter, viel düsterer, als es tatsächlich ist – Morrigan Crows Leben ist trist, einsam und lieblos, und es verspricht in den ersten Kapiteln auch nicht, besser zu werden. Dass sie, im Alter von elf Jahren, zum ersten Mal wirklich Freude empfindet, liegt ausgerechnet daran, dass ihr vermeintlich unausweichliches Schicksal einzutreffen droht, und sie, mithilfe eines neuen Freundes, seinem Arachnipod und der Zeitverschiebung, es schafft, den Tod (oder das, was sie zunächst dafür hält) zu überlisten.
Obwohl Morrigan selbst in einer anderen Welt groß geworden ist, reist auch sie nach alter Tradition in eine noch magischere, und auch ihr fremde Welt – nach Nevermoor, der Hauptstadt des Freien Staats. Die Stadt ist wie das Buch: freudig und gefährlich, altmodisch und modern, lebhaft und gemütlich. Eine Welt die offensichtlich von altbekannten und geliebten Fantasiewelten geprägt, jedoch originell und neu ist. Man merkt durchaus an, welche Bücher sie gelesen hat, doch anders als manch andere Rezensenten ist das für mich kein Nachteil – tatsächlich ist es bei den häufig genannten, früheren Büchern nicht anders, und auch in ihnen erkennt man den Einfluss ihrer Vorgänger. Es ist ein natürlicher Lauf in der Literatur und als Leser sollte man zwischen Plagiat und Inspiration, Klischee und Tropus unterscheiden können.
Morrigan Crow ist eine wunderbare Hauptfigur – sie ist liebenswürdig und sehr menschlich, und sie steht für sich selbst, anstatt als überdeutliches Vorbild oder (schlimmer noch!) als leere Identifikationsfigur dargestellt zu werden. Morrigans Persönlichkeit ist klar durch ihre Vergangenheit geprägt, und stetig vom Gefühl verfolgt, nicht etwa verflucht, sondern selbst ein Fluch zu sein. Das oben gewählte Zitat von Jupiter North, ihrem Retter, Mentor und gewissermaßen auch Adoptivvater, ist für mich das Wichtigste im ganzen Buch, denn es trifft ihre tatsächlichen Ängste genau auf den Punkt: Morrigan wuchs in der Annahme auf, verflucht zu sein, doch worunter sie tatsächlich litt, war, dass sie als Fluch wahrgenommen, und für alles Schlechte in ihrer Umgebung verantwortlich gemacht wurde. Sie selbst konnte es nicht so ausdrücken, doch Jupiter kann auf besondere Art in andere hineinsehen, weshalb seine Antwort auf ihre Frage, ob ihre wahre Begabung darin lag, verflucht zu sein, ein ganz besonders wertvoller Moment in diesem Buch war – und keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Es ist ein feinfühliges Detail und zeigt, dass Jessica Townsend ihre Figuren sehr gut versteht und ihnen viel mehr Beachtung schenkt, als die Grundhandlung und das übliche Prozedere vom Schreiben über verfluchte (oder auch nicht verfluchte) Figuren verlangt.
Auch die anderen Figuren sind brillant – der schon genannte Jupiter North, die Bewohner des Hotel Deucalions (eine Magnifikatze, ein Vampirzwerg, und zahlreiche extravagante Leute, die der Wundersamen Gesellschaft angehören), Jupiters unnahbarer Neffe Jack, Morrigans Freund Hawthorne, der Drachenreiter, Cadence, ein Mädchen, an das sich nur Morrigan erinnern kann, und natürlich der Wunderschmied. Jeder einzelne von ihnen sticht heraus, hat einen Wiedererkennungswert und ist auf seine Art sympathisch – oder eben nicht. Sie sind lebendig, nicht immer einfach, und sie alle machen ihre eigenen Fehler, erleben ihre eigenen Abenteuer.
Trotz der ernstlichen Handlung – schließlich hängt Morrigans Leben von ihren Prüfungen ab! – enthält das Buch viel Humor und lustige Details, wie der Kesselladen Cauldrons“R”Us, die Rivalitäten der Anhänger die Julkönigin und des Heiligen Nikolaus, und die zahlreichen Eigenheiten des Hotel Deucalion.
Der Schreibstil ist auf kurzweilig, jedoch gemütlich, der Ton humor- und liebevoll. Alles in allem ist es ein hervorragend spannendes Buch, dabei jedoch beruhigend und detailverliebt. Wie alle guten Kinderbücher, ist es ein wunderbares Abenteuer für Leser jeden Alters.