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abc.lampe Schneckenpost
Beiträge: 14
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22.03.2019 18:03 Landeilegebatterie von abc.lampe
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Landeilegebatterie,
eine kleine Selbstkritik
Langsam kommt der Tag heran. Lange schon ist der Himmel blau, doch mein Tag, der kommt langsam heran.
Zumindest kann ich den Morgen sehen, oder das, was vom Morgen vor dem Fenster steht. Langsam, bloß nichts übereilen, sagt mir mein Verstand.
Auf die Frage wieso mein Verstand mit mir redet, keine brauchbare Antwort.
Der Verstand guckt mir blöd aus der Wäsche heraus und zuckt mit den Schultern, mit der Ersten, der Zweiten, der Dritten und Vierten, ich komme mit dem Zählen seiner Schultern nicht nach. Die Verzweiflung. Gottheit der vielen Schultern.
Als ich in diese Stadt gezogen war, war es mir gut gegangen. Ich wollte hierher, war angekommen und gleich darauf wollte ich auch schon nie wieder weg.
Froh, und ja, aus dem Häuschen war ich, als hätte ich nicht eine altbekannte Stadt, sondern eine Insel entdeckt, auf der die schönsten Betonmuscheln in den anthrazitfarbenen Sand eingelassen sind.
Eine Insel inmitten von Einkaufszentren zum Eintauchen, riffartigen Kletterhallen, schlosseigenen Grünanlagen. Ein rauschender Wasserstrom im Osten.
Nur die Sprache hier habe ich nie erlernt.
Es war, als sprächen die Menschen mit mir, über mich. Sie schauten mir in die Augen. Sie umarmten mich und berührten mich sanft an der Schulter und doch sprachen sie mit mir über mich, nicht mit mir über sich oder uns. Als wäre ich krank, oder schrecklich unglücklich oder einfach noch dazu unermesslich dumm.
„Wie geht es dir, du schaust müde aus?“, wurde ich gefragt.
„Ich koche für dich, das tut uns gut“, wurde ich eingeladen.
„Deine Nachbarn schauen ja ganz anders aus als du, schau mal“, wurde ich verglichen.
„Wenn ich du wäre“, wurde mit mir angefangen.
Ich hielt diese Sprache nicht aus.
Ich wollte von der Liebe reden und von dieser Insel, wie ich sie sah. Hier, in dieser Stadt, die mir so gut gefiel, wollte niemand nur leben.
Die Menschen, die ich hier traf, wollten hier arbeiten und sich austoben, wollten Schatten haben, wie von einem Wunderbaum, wollten Gefahr erleben, wie sie der Schaum von peitschenden Wellen verspricht, wollten den unaufhörlichen Sand auf die Berge tragen, und mit den zurückgelassenen Betonmuscheln grelle Fische fangen.
Einen unvergesslich langen Urlaub haben.
Wohnen wollte hier keiner. Ich ärgerte mich und noch immer ärgere ich mich, so laut, dass ich die anderen Menschen hier nicht verstehen kann, weil ich sie mit meinem Ärger überhöre. So wurde ich selbst zum Teil dieser Stadt mit dem wiederkehrenden Morgen.
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Calvin Hobbs Klammeraffe
Alter: 55 Beiträge: 564 Wohnort: Deutschland
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23.03.2019 19:58
von Calvin Hobbs
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I like Deinen Text empfinde ich als flüssig geschrieben, poetisch und philosophisch, allerdings auf eine angenehme und nicht aufdringliche Art. Darf man zwei, drei Mal lesen, ist nachdenkenswert, ohne zu verkopft zu sein
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abc.lampe Schneckenpost
Beiträge: 14
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25.03.2019 21:53
von abc.lampe
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Freut mich . Danke für's Mut machen.
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reißwolf Leseratte
Beiträge: 138
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26.03.2019 14:53 Re: Landeilegebatterie von reißwolf
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Vielversprechende Skizze. Ein Stil, bei dem ich die Redundanzen nicht als Fehler, sondern als Bereicherung empfinde. Du schreibst überraschend und nicht in ausgetretenen Pfaden. Abgenudelte Sprachbilder ("aus der Wäsche schauen") verwendest du, wenn überhaupt, nur auf die einzig legitime Art: In unerwarteten Kontexten und mit ironischer Brechung. Auch deine Verwendung von Inquitformeln ist originell (normalerweise mag ich ja nichts außer "sagte er" und "fragte sie"):
Zitat: |
„Wie geht es dir, du schaust müde aus?“, wurde ich gefragt.
„Ich koche für dich, das tut uns gut“, wurde ich eingeladen.
„Deine Nachbarn schauen ja ganz anders aus als du, schau mal“, wurde ich verglichen.
„Wenn ich du wäre“, wurde mit mir angefangen.
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Kritik gibt es auch: Für meinen Geschmack steckt in deinem Text ein bisschen zu viel des Nabelschau-haften, etwas zu dick aufgetragene Melancholie. Aber sowas unterliegt bei mir den wilden Schwankungen der Tagesstimmungen. Denkbar, dass ich heute abend genau diesen etwas lamoyanten Ton für das Beste an deinem Text halten werde - aber noch haben wir Tageslicht, und im Moment klingt es mir eine Spur zu aufgesetzt.
Viel Spaß beim Umsetzen oder Verwerfen!
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abc.lampe Schneckenpost
Beiträge: 14
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28.03.2019 09:15
von abc.lampe
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Danke für deine inspirierende Kritik.
Ist wohl wie an den Zitzen eines Reißwolfes zu saugen, metaphorisch.
Ich empfinde den Text selbst auch als nicht sicher am Kitsch vorbei schiffend. Allerdings hoffte ich bisher, das sei eine Phase, die wieder vorbeigeht, die ich aber auch voll auskosten will, da überladene Bilder so tröstend sind, für ein Selbst.
Deine Bezeichnung dafür als Stimmung oder Ton und nicht als Phase, eröffnet mir eine neue musikalische Perspektive, und ich hoffe ich klettere bald aus meinem Schreiberloch heraus, das wirklich überladen ist, und setze mich ans weiter Üben.
Vielen, vielen Dank
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