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Taifan oder Liebe im Zeichen des silbernen Schwertes (1)


 
 
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nicolailevin
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag17.04.2019 22:55

von nicolailevin
Antworten mit Zitat

Nabend.

Du bist zu schnell für mich ... Shocked

Das y in der vorangegangenen Lieferung spende ich dem awfull: awfullY sorry.

Zitat:
Schönberg biss die Zähne zusammen. Was er jetzt machte, war Fahnenflucht und widersprach seiner inneren Überzeugung.


Zitat:
Das Risiko war unendlich hoch,


Risiko ist eine Wahrscheinlichkeit, und die ist maximal bei eins.

  
Zitat:
Als Marjam unten ankam, schrie sie auf. Sie hatte sich den linken Knöchel verstaucht. Schönberg fluchte leise.


Das erkennt man am Schrei? Irgendeine Form der Schnelldiagnose solltest du uns da schon gönnen ...

Zitat:
Sie hob das Gesicht, Schönberg senkte das seine, ihre Münder waren sich so nahe, dass sich ihr Atem vermengte. Ihre Lippen trafen sich, und im nächsten Moment spürte er ihre Zunge. Ihre Finger drückten seinen Nacken und glitten tiefer über seine Schultern. Erregungsschauer liefen über seinen Rücken. Begierig presste er sie enger an sich. Plötzlich schrie sie auf und stieß sich mit beiden Händen von ihm ab.


Das ist für meine Begriffe deutlich flüssiger und besser als die früheren Liebesszenen.

Zitat:
„Wir sind gerettet!“ rief er,  „das ist ein Qanatstein! Natürlich, die Kanäle sind ausgemauert!“


Ich musste Qanat nachschlagen, und mir erschließt sich die räumliche Logik nicht anhand der hier folgenden Beschreibung. Sie graben ein Loch in den Boden, aber der Kanal verläuft doch horizontal, wenn auch leicht abschüssig. Liegt der einfach flach da und ist nur vom Schutt verdeckt - oder ist er auch oben gemauert und quasi ein Gewölbe? Wie kommen sie dann rein ins Gewölbe? Und außerdem müssten sie die gesamte Verschüttung des Gewölbeinneren wegräumen? Das dauert doch ohne Werkzeug Wochen ...

                                                                33

 
Zitat:
„Vielleicht kann ich da weiterhelfen!“ Einer von Rawshad Khans Leibgardisten wühlte in einem Stapel Papieren herum und zog zwei Fotografien heraus, von denen er eine weiterreichte. „Dies ist eine Luftaufnahme des Gebirgszuges, in dem wir uns befinden“, erklärte er.


Das ist jetzt schon ein bisschen viel an Zufällen: Die haben also passgenaue Luftaufnahmen von ihrem Versteck. Mit Vergrößerungen. Da fragt man sich schon, woher die kommen sollen? Und der kluge Leibgardist langt in den Stapel und weiß genau, dass da diese Unterlagen liegen, von denen ich erwarten würde, dass sie geheime Kommandosache sind, und wie er sie zu lesen hat und was genau drauf zu erkennen ist ...

Viele Grüße
Nico
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wunderkerze
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Beitrag19.04.2019 14:10
Antweort
von wunderkerze
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Hallo Nico,
 
die indizierten Stellen werden verbessert.

Zu dem

„Wir sind gerettet!“ rief er, „das ist ein Qanatstein! Natürlich, die Kanäle sind ausgemauert!“

Mit 'Loch' meinte ich eine Öffnung in der Höhlenwand, die sich allmählich als der Beginn eines ausgemauerten Kanals entpuppt. Der Kanal ist noch relativ gut erhalten, nur die Decke hat an einigen Stellen nachgegeben. Außerdem kommen sie wg. Miriams Verletzung nicht weit. Ich habe die Stelle dementspr. gändert. I´m awfully sorry, dich verwirrt zu haben.

LG
wunderkerze

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wunderkerze
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Beitrag22.04.2019 10:18
Fortsetzung
von wunderkerze
Antworten mit Zitat

*

   Den Oberst hatte die Entdeckung des hot spots in eine Art euphorischer Siegerlaune versetzt. Obwohl er den Bären noch nicht hatte, begann er schon im Geiste, ihm dass Fell abzuziehen. Hochgestimmt rief er bei Erwin Müller an und sagte seine Teilnahme an der abendlichen Tanzveranstaltung zu. Denn wenn es jemals etwas zu feiern gegeben hätte, dann jetzt. Glücklicherweise hatte General Macron wegen einer heftigen Magenverstimmung abgesagt, sodass wieder ein Platz frei geworden war.
  Das Hotel war ein unschöner Prunkbau im Las-Vegas-Stil. Der Kontrast zu den öden Wohnverhältnissen in der Umgebung konnte nicht größer sein. Alles war vom Feinsten und Teuersten. Wände und Böden waren mit Carrara-Marmor ausgelegt. Goldgerahmte bodentiefe Spiegel, Vorhänge aus Seide, Porzellan aus Frankreich, Stilmöbel aus Italien fügten sich zu einem absurden Sammelsurium grandiosen Kitsches zusammen. Der Bauherr, ein mit iranischen Billigfliegern reich gewordener Oligarch, hatte keine Kosten gescheut, um ein Exempel beeindruckender Unrentabilität zu statuieren. Da wegen der terroristischen Bedrohung kaum mehr Touristen in Ghazani anlandeten, waren die Prachtsuiten kaum belegt, und im Spielkasino im Keller gähnte eine Leere wie in einer Bahnhofshalle kurz nach Mitternacht. Die paar Spieler waren hauptsächlich Mitglieder der Botschaft und des Militärs – einem Moslem sind Glücksspiele ja bekanntlich verboten. Die Groupiers an den Roulettetischen traten gelangweilt von einem Bein aufs andere, und die Animierdamen – in Miniröcken uns stark geschminkt und bewacht von zwei Typen mit Killervisagen – starrten ausdruckslos auf ein monströses Schlachtengemälde an der gegenüberliegenden Wand.
  Vor dem säulengeschmückte Eingang stand ein halbes Dutzend schwer bewaffneter Bodyguards. Da der Oberst stadtbekannt war wie ein bunter Hund mit blauen Augen, wurde er ohne weiteres durchgelassen. Die meisten Gäste jedoch wurden sorgfältig durchsucht; zu lebhaft war noch die Erinnerung an das Bombenattentat in Meshed. Dort war der Sprengsatz in einer Damenhandtasche verborgen gewesen, die über einer Stuhllehne hing. Wie die Bombe die Tasche hineingekommen war, blieb ein Rätsel. Die Dame jedenfalls, die Gattin eines englischen Geschäftsmannes, konnte keine Auskunft mehr erteilen. Sie wäre auch die Letzte gewesen, der man eine solche Grausamkeit zugetraut hätte.
  Das Gelände um das Hotel war weiträumig abgesperrt. Aus Sicherheitsgründen wurden außer den Fahrzeugen der Botschaft und des Militärs keine Autos in die Nähe des Hotels gelassen, nicht einmal Taxis. Sogar die Fahrradrikschas waren verboten, denn auch dort konnte eine Bombe versteckt sein. Die Wachmannschaft hatte Befehl, auf jedes verdächtige Fahrzeug, das sich auf weniger als fünfzig Meter dem Hotel näherte, sofort das Feuer zu eröffnen. Einzig Fahrräder waren erlaubt. Die Besucher, die weder zur Botschaft noch zum Stützpunkt gehörten, kamen deshalb zu Fuß oder mit dem Fahrrad.
   Der Botschafter stand in der Lobby und unterhielt sich mit einer gut aussehenden und etwas fülligen Blondine in einem elegant geschnittenen europäischen Kleid mit einem für seinen Geschmack und die hiesigen Verhältnisse ein klein wenig zu freizügigen Dekolletee.
   Müller, von Natur aus einem guten Bonmot nicht abgeneigt, drehte den Kopf, denn er musste grinsen. Gerade fiel ihm ein Witz ein, den ihm ein Kollege aus Saudi-Arabien erzählt hatte, der diesen Witz aber angeblich auch nur von dritter Seite kannte. Die Gattin eines Botschafters hatte es gewagt, bei einem Essen mit einem Vertreter des Königshauses unverschleiert und mit gewagt tiefem Dekolletee zu erscheinen. Der Vertreter des Königshauses habe die Dame abschätzig angesehen und gemeint: Herr Botschafter, ich nehme doch an, dass sich eure gut aussehenden Frauen dezenter kleiden...
   Der Herr neben der Dame, groß, schlank und auf seine Weise nicht weniger gut aussehend, nickte ab und zu bedächtig mit dem hoch getürmten Kopf. Zwei junge Mädchen – besser: Zwei junge Damen, die eine in einem knielangen schwarzem Rock und schwarzen Strümpfen, die andere mit knallgelbem und knielangem Pullover über den verwaschenen Leggins, standen gelangweilt daneben. Als Müller den Oberst entdeckte, winkte er ihm energisch zu.
   „Darf ich vorstellen?“, sagte er, als der Oberst zu dem Familienidyll getreten war, „mein Freund Friedrich von Weizenkorn, Herr Hakam Pachlevi, der iranische Handelsattaché, seine Gattin, seine beiden Töchter!“ Die Herren verbeugten sich gemessen, und Frau Pachlevi reichte dem Oberst die Hand.
   Zunächst wurde kräftig Smalltalk geübt. Man sprach Englisch. Dabei drehte sich das Gespräch bald um die Situation der Jugend im Lande. Die beiden Töchter erzählten unbekümmert von den Zuständen auf ihrer Universität. Die beiden Deutschen sollten ruhig hören, was da los war. Die Geschlechter wurden in streng getrennten Hörsälen unterrichtet und auch noch zu verschiedenen Tageszeiten, damit sie bloß keinen Kontakt untereinander aufnehmen konnten. Die Ältere nahm kein Blatt vor den Mund. „Diese staatlich verordnete Prüderie ist absolut lächerlich!“ rief sie laut und enthusiastisch, „und außerdem, wo steht in den koranischen Vorschriften, dass sich junge Leute nicht ab und küssen dürfen?“
   „Beim Küssen bleibt´s eben nicht“, wandte ihr Vater ein.
   „O god! Dad, wenn ich das schon höre! 'Die Bevölkerungslawine frisst jeden wirtschaftlichen Fortschritt auf'! Das meinst du doch, oder? Dann hört ihr erst mal mit eurer Vielweiberei auf! Aber da wollt ihr nicht ran, obwohl es ein Brauch aus der Steinzeit ist! Eure Mullahkratie geht mir gewaltig auf den Keks!“
   „Mich kannst du nicht meinen! Ich hab nur eine Frau, und die reicht mir schon!“
   Frau Pachlevi drohte gut gelaunt mit dem Zeigefinger. „Hakam, ich warne dich!“ Die rubinrote Brosche an ihrem üppigen Hals bebte.
 Obwohl der Disput ziemlich laut geführt wurde, nahm keiner der Gäste an den Nachbartischen Anstoß.
   „Sag mal, Hakam, wo wir gerade bei dem Thema sind“, mischte sich Müller ein, „stimmt es, dass die Oberschicht im Iran immer mehr die Ehe auf Zeit eingeht, nach dem Motto 'ex und hopp'? Widerspricht das nicht nun wirklich den Vorschriften des Koran? Ihr seid doch sonst so sittenstreng!“
   „Der Iran besteht nicht nur aus Mullahs, mein Lieber! Sieh´s doch mal so: Wer es sich nicht leisten kann, vier Frauen und die entsprechende Kinderschar gleichzeitig und bis an sein Lebensende zu ernähren, wählt eben diesen Weg. Außerdem: Eure Politiker und Schauspieler machen es doch genau so! Da werden zwei, drei, vier Ehen geschlossen und wieder aufgelöst. Wo ist denn da der große Unterschied?“
 Müller wollte etwas sagen, doch Frau Pachlevi kam ihm zuvor. „Der große Unterschied besteht darin, dass die Exfrauen in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch auf Versorgung haben, während sie hier meist völlig mittellos dastehen.“
   „Mann, was ist das langweilig!“, stöhnte die jüngere Tochter, „könnt ihr nicht mal über was anderes reden?“
   Man nahm Platz und studierte die Speisekarten.
   „Wer ist denn das?“, raunte der Oberst dem Botschafter zu. Er wies mit seiner Nase  auf den Eingang, „kennst du den?“
   Ein hübscher junger Mann in einer Art Kosakenuniform stand in der Tür des Speisesaals und blickte sich suchend um. In der Hand hielt er eine Fahrradluftpumpe.
   Müller gab die Frage an die Mädel weiter. „Kennt ihr den?“
 „Den? Nie gesehen!“, beteuerten beide einstimmig. Ihre Blicke ruhten mit ausgesprochener Neugier auf seiner schlanken Gestalt. „Wahrscheinlich einer der Tänzer“, meinte die Ältere.
   „Was will er denn hier mit einer Luftpumpe?“, fragte ihre Schwester.
   „Man, bist du blöd? Wenn er sie am Fahrrad lässt, ist sie in nullkommanix weg!“
  Der Oberst dachte: Der Tonfall klingt fast echt, und die Komödie ist gut gespielt.
   Der junge Mann ging in den Hintergrund des Saales, wo eine kleine Bühne aufgebaut war, blickte sich suchend um, und versenkte die Pumpe in einer der bombastischen Bodenvasen, die hinter der Bühne an der Wand standen.
   Die Bedienung kam, um die Bestellungen aufzunehmen.

                                                                      *

  Auf der Bühne im hinteren Bereich der Speisesaals wurde es lebhaft. Bunt gekleidete Knaben hängten bunte Lampions auf, schafften Stühle herbei. Eine Gruppe von Männern mit Astrachanmützen auf dem Kopf und Musikinstrumenten in der Hand erschien und nahm Platz. Sie setzten sich nach alter orientalischer Art in zwei Reihen hintereinander, mit dem Gesicht zum Publikum. Der Schönling von vorhin erschien und stellte die große Vase neben eine der Säulen im Saal.
   „Bin gespannt, was das wird“, grunzte der Oberst. Da er weder musikalisch noch ein guter Tänzer war, erfüllte ihn die Aussicht auf jede Art von Tanzveranstaltungen mit Skepsis.
   Nun erschienen die Tänzer, hübsche Knaben in bunten Gewändern und glänzenden Gesichtern. Ein älterer Mann trat vor und hielt eine Ansprache auf Englisch, von der allerdings nur die Hälfte zu verstehen war. Er versicherte, er habe die besten Tänzer im Lande hergebracht, die sogar schon mit großem Erfolg vor dem Staatspräsidenten getanzt hätten. Dann stellte er jeden einzelnen der Tänzer vor, nannte Namen, Herkunft und so weiter und so fort.
  „Unsinn“, raunte der Botschafter unterdessen dem Oberst zu, „der Kerl übertreibt mal wieder gewaltig. Die Knaben sind Mitglieder der hiesigen Ballettschule, die sich hier ein ordentliches Zubrot erhoffen.“
   „Trotzdem können sie doch gut sein“, meinte die Kleine.
   Der Alte nutzte die Vorfreude des Publikums und ging mit einem Hut herum.
   „Wie viel gibt man denn?“, fragte der Handelsattaché.
   „Möglichst wenig“, sagte der Oberst. „Es sind kleine parfümierte Ferkel!“
   „Herr Oberst, wie kommen sie denn darauf`“, fragte Frau Pahlevi einigermaßen erstaunt.
   Der Oberst grunzte nur, worauf Frau Pachlevi pikiert den Kopf schüttelte.
   „Sie sehen doch ganz lecker aus, diese Knaben“, sagte Shaila versonnen, „sauber gewaschen, westlicher Haarschnitt, gute Manieren. Herr Müller, wie alt mögen sie sein?“
   „Schwer zu sagen. Die eigenen Angaben dieser Knaben richten sich nach dem, was gerade anliegt. Die bei mir in der Botschaft Schutz suchen sind nie älter als sechzehn, wenn man sie fragt, obwohl manche schon einzelne graue Haare haben, hahaha!“ Müller lachte unbeschwert.
  Weizenkorn stellte sein Bierglas hart ab. „Ich kenne diese Sorte!“, platzte er böse heraus. „Sie treiben sich manchmal auch in der Nähe der Garnison herum! Es sind niederträchtige Strichjungen, käufliche Päderasten!“
   Alle am Tisch blickten erstaunt auf.
 Frau Pachlevi ließ die Gelegenheit für eine Retourkutsche nicht ungenutzt verstreichen. „Sehen Sie, Herr Oberst! Das kommt davon, wenn man die Frauen aus der Gesellschaft ausschließt“, sagte sie mit spitzen Lippen. „Dann nehmen eben Männer ihre Rolle ein.“
  Der Oberst wollte etwas entgegnen, doch plötzlich setzte das Orchester ein.  Allmählich wurde der Rhythmus wilder, erregender, die Modulation deutlicher – eine Musik, wie sie auf den asiatischen Hochflächen anzutreffen ist – das unwiderstehliche Gemisch aus griechischen, mongolischen und indischen Elementen.
   „Sie spielen ausgezeichnet“, sagte Müller mit Kennermiene, „das muss ihnen der Neid lassen. Da hab´ ich hier schon ganz andere Darbietungen erlebt!“
   Der Oberst sagte nichts. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten. Aber er wollte Frau Pachlevi, die ihn seit einiger Zeit irgendwie komisch angrinste, nicht noch mehr reizen.
   Die Gruppe auf der Bühne begannen, sich rhythmisch hin und her zu wiegen. Nach einer Weile sprangen zwei Tänzer mit wildem Schrei hinzu. Mit elastischen Bewegungen und sich gegenseitig umkreisend führten sie so etwas wie eine Pantomime auf, wohl eine Szene aus der glorreichen, das heißt blutigen Vergangenheit des Landes. Ihre kunstvoll geflochtenen schwarzen Zöpfe wirbelten wie Schlangenleiber durch die Luft.
   Inzwischen war die Unterhaltung im Saal verstummt, und alle starrten gebannt auf die Bühne. Das Tempo der Musik beschleunigte sich jetzt immer mehr, und die Vortänzer fingen an, Beine, Arme und den Kopf immer schneller zu bewegen, während ihre Oberkörper inmitten des rasenden Gehüpfes und Gestampfes fast erstarrt schienen. Immer wieder stießen sie spitze Schreie aus, um ihre Mittänzer anzufeuern. Blausilberne Blitze umzuckten ihre schlanken Körper, hervorgerufen durch blau schimmernde Seide und silberne Knöpfe.
   Ein dumpfer Trommelwirbel – auf einmal verstummte die Musik, und die Gruppe erstarrte. Aus einer Seitentür trat ein Jüngling, mit langsamen, wiegenden Bewegungen. Er trug eine Tunika mit eingewebten Goldfäden, die weite Hose war weiß, das Hemd aus hellblauer Seide. Das lange, geflochtene Haar hing ihm über die Schultern und glänzte im Schein der Lampions. Der junge Mann war von ungewöhnlicher, etwas morbider Schönheit. Nun schickte er sich an, diese Schönheit gewinnbringend einzusetzen.
   „Das ist er nicht“, flüsterte Shaila enttäuscht.
   In der Tat, es war nicht der junge Mann mit der Luftpumpe.
   Die Musik setzte wieder ein, stärker, wilder als vorhin, die Tänzer wirbelten in wilden, ekstatischen Kreisen über die Bühne, und der Schönling begann, ein Kleidungsstück nach dem anderen abzuwerfen.
   Der Oberst lief rot an und schnaufte. Seine Geduld war am Ende. Diese Darbietung beleidigte sein Schicklichkeitsgefühl. Für parfümierte Ferkel hatte er nichts übrig. „Please, excuse me a moment“, sagte er kurz angebunden, stand auf und verließ den Saal.

 
                                                              *

   An den zwanzig oder dreißig Tischen im Spielkasino des Hotels, die von neun Uhr morgens bis Mitternacht zur Verfügung standen, saßen nur wenige Spieler. Wegen der terroristischen Bedrohung kamen nur noch wenige zahlungskräftige Besucher ins Land. Es wurde gepokert, gewürfelt und Roulette gespielt. Der Oberst lehnte sich an eine Säule und tat so, als beobachte er interessiert die kreisende Roulettkugel am Tisch vor ihm. In Wirklichkeit war er an dem Spiel überhaupt nicht interessiert. Er wollte nur dem ekelhaften Treiben dort oben entkommen.
  Über die Köpfe der Spieler hinweg  glitt sein Blick an die Bar im Hintergrund, an der zwei Animierdamen gelangweilt an ihren Cocktails nippten. Noch vor vier Wochen hätte der Anblick der beiden hübschen Mädchen seine erotische Fantasie beflügelt. Doch seit Taifan verschwunden und möglicherweise sogar tot war, hatten frivole Gedanken in seinem Kopf keinen Platz mehr. Mit Bestürzung stellte er jetzt fest, dass ihn Taifans Abwesenheit mit tiefer Niedergeschlagenheit erfüllte.
   Die eine der beiden jungen Frauen hatte seinen Blick gesehen und missverstanden. Ohne Eile löste sie sich von der Bar und ging mit wiegenden Hüften auf Weizenkorn zu. Sie war ein zierliches Persönchen mit listigen Augen und Taifan von Gestalt und Bewegungen nicht unähnlich.
   „Kommst du mit an die Bar?“, fragte sie ungezwungen und hakte sich bei ihm ein.
   „Heute nicht, mein Täubchen, vielleicht ein andermal!“
   Sie ließ nicht locker. „Ach, Sahib, nur auf einen Drink!“
   Weizenkorn löste behutsam ihren Arm von dem Seinen und wollte weggehen.  Da sprang die Roulettkugel, die schon zur Ruhe gekommen war, plötzlich hoch und rollte auf den Tisch. Gleich darauf rieselte Putz von der Decke. Die Erschütterung, die durch das Kellergeschoss lief, bewirkte, dass sich die Kleine schreiend in seine Arme warf. Sein erster Gedanke: Ein Erdbeben. Sein zweiter: Eine Bombe. Jetzt erklang von oben entsetztes Geschrei und wildes Gerenne. Weizenkorn stieß das Mädchen von sich und rannte nach oben. Der Anblick, der sich ihm bot, war fürchterlich...                                                               

   Allmählich legte sich der Staub, und es stellte sich heraus, dass Frau Pachlevi von einem der schweren Kronleuchter erschlagen worden war. Die Spitze des Leuchters war ihr in den Schädel gedrungen und hatte sie geradezu aufgespießt. Müller lebte noch, als ihn der Oberst in die Arme nahm, aber der Blutverlust war schon so groß, dass er noch vor dem Eintreffen der Ambulanz starb. Eine Scherbe, die sich später als Teil der Bodenvase entpuppte, hatte ihm die Halsschlagader durchgetrennt. Der Handelsattache´ und seine Töchter waren durch die Wucht der Detonation von ihren Stühlen gerissen worden und lagen betäubt zwischen den Trümmern der Einrichtung. Wie durch ein Wunder blieben sie glücklicherweise bis auf ein paar Schürfwunden äußerlich nahezu unverletzt.
  Die meiste Verheerung hatte die Bombe unter den Tänzern und Musikanten angerichtet. Der schöne Vortänzer, vier seiner Kollegen, der Trommler, der Okarinaspieler und der mit der Fidel lagen tot zwischen den Brettern der Bühne, etliche andere, vor Schreck stumm, krümmten sich schwer verletzt am Boden. Die Vase war verschwunden, und von dem Mauerwerk der Säule, vor der sie gestanden hatte, hingen nur noch Reste in der Stahlarmierung.
   Zwei Tage darauf bekannte sich die Terrormiliz Seif al-Islam über Twitter zu dem Attentat.

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nicolailevin
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Beitrag25.04.2019 15:29

von nicolailevin
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Zitat:
„Ich frage mich die ganze Zeit“, sagte Weber ziemlich laut, „warum in diesem Kanal hier kein Wasser ist.



Zitat:

   „Was ist das?“, fragte Marjam.
   „Ein Aufklärungshubschrauber der alliierten Streitkräfte“, erklärte Schönberg.


Er kann doch nur hören, dass es ein Hubschrauber ist ... Wenn er kein aufschneiderischer Alleswisser sein soll, könntest du seiner Diktion ein bisschen Eingeständnis gönnen, dass er hier mutmaßt.

Zitat:
Das hoffnungslose Häufchen Elend setzte sich behutsam in Bewegung.


Klingt jetzt für mich zu pessimistisch. Es steht Spitz auf Knopf, aber wir befinden uns doch in einem altmodischen Abenteuerroman ...

Zitat:
In seinen Augen lag die gesamte Verachtung konzentriert, zu der seine verkümmerte Seele fähig war. Vielleicht waren ja Wut, Hass und Verachtung die einzigen Emotionen, die ihm zu Gebote standen.


Wenn du schon den allwissenden Auktor auspackst, darfst du ihn nicht an der Psychologie seiner Figur rätseln lassen!

Zitat:

   Plötzlich ging ihm ein Licht auf. Natürlich! Ahmed Schah-Mashaud, der Löwe von Pashtun! Eine lebende Legende! Bestürzt erinnerte er sich wieder: Der Löwe war seinerzeit mit seiner Freischärlertruppe und dem Schlachtruf: Hupp el-watam min el-Iman – die Liebe zum rechten Glauben ist die Liebe zum Vaterland – zum Gaila-Pass gezogen und hatte dort unter den sowjetischen Söldnern des Generals Makarow ein entsetzliches Gemetzel angerichtet, wobei der General gefallen war. Seitdem war sein Clan einer der einflussreichsten und mächtigsten im Lande.
  Whali Khan biss sich auf die wulstigen Lippen. Das könnte gefährlich werden, dachte er, auch wenn dieser Abdul nur um zehn Ecken mit der Familie des 'Löwen' verwandt ist keineswegs wie ein Löwe aussieht.  


Das ist hier wieder eine ganze Latte wenig relevanter Information, die ziemlich unelegant auf den Leser geschüttet wird.

Zitat:
Sofort machte er eine Kehrtwende um dreihundertsechzig Grad.


Bei 360° steht er genau wieder da wie zuvor!

Zitat:
Whali Khan saß noch eine Weile da, und seine schlaffen Züge verfielen immer mehr.


Können Züge so einfach verfallen? Das ist für mein Gefühl der Prozess, den Alterung, Drogen, Gewichtszu-/abnahme über Wochen und Monate einem Gesicht antun können, aber nicht die Entspannung oder Enttäuschung weniger Minuten ...

                                                            *

Zitat:

   „Wie weit ist es denn noch?“
   „Frag mich nicht, dann lüg ich nicht.“  
    Eine Weile herrschte betretenes Schweigen.


Bravo zu dem gelungenen Dialog, aber schieb doch dann nicht so einen banalen Gemeinplatz hinterher!

VG
Nico
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wunderkerze
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W
Beitrag27.04.2019 10:14
Antwort
von wunderkerze
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Hallo Nico,

danke.
LG
wunderkerze

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Beitrag27.04.2019 10:19
Fortsetzung
von wunderkerze
Antworten mit Zitat

*
   
   Den Oberst hatte der Tod des Botschafters schwer getroffen. Müller war der einzige wirkliche Freund hier gewesen, dem er sich bedingungslos anvertrauen konnte. Erst Taifan, jetzt Emil... Wer bleibt mir eigentlich noch?, dachte er bitter. Mathilde? Nun ja, Mathilde von Weizenkorn, geborene Niedergesäß. Die ist weit weg und hat jetzt wahrscheinlich ganz andere Sorgen. Außerdem hat sie sich für meinen Beruf noch nie sonderlich interessiert. Warum auch! Sie ist jetzt eine 'Von' und hat, was sie wollte... Die Kleine von der Bar? Hmm... Kein Vergleich zu Taifan! Und so, wie sie sich im Keller aufgeführt hat, ist sie eher ein Klotz am Bein als eine Stütze. Wahrscheinlich ist sie sowieso nur hinterm Geld her. Und die Kollegen? Pah! Eitel, selbstverliebt und karrieregeil...
   Doch noch verheerender wirkte sich ein anderer Umstand auf sein Gemüt aus. Es verdichteten sich nämlich die Hinweise, die Bombe habe ihm gegolten. Dann waren die vielen Toten und Verletzten seinetwegen in Kauf genommen worden – ein entsetzlicher Gedanke.
   Natürlich steckt mal wieder der SaI dahinter, dachte der Oberst und schlug die Zeitung auf, um sich etwas abzulenken. Inmitten des täglichen Politikklimbims, den der Ghazani Daily Mirror seinen Lesern wie immer zum besten gab, stand folgende Meldung:

       Schwere Kämpfe in Ostafghanistan   
         
     Nach vier Tagen schwerer Gefechte zwischen afghanischen Regierungstruppen und radikal-islamischen Talebankämpfern um die östliche Provinzhauptstadt Herat ist die Zahl der Toten auf 130 gestiegen...

 Weizenkorn schloss für einen Moment die Augen. Die Grenze zu Afghanistan ist keine zweihundert Kilometer entfernt, dachte er, und dieses trotz aller Schwierigkeiten immer wieder betörende Land hier wird allmählich zum Rückzugsgebiet des internationalen Terrorismus.
  Es war für ihn kaum erträglich. Diese Verbrecher verübten ihre Attentate sozusagen vor seinen Augen. Ihn erbitterte besonders, dass ihm die Hände gebunden waren. Die Bundeswehr hatte immer noch kein Kampfmandat – ihr fehlte sozusagen die Lizenz zum Töten – er durfte mit seinen Hubschraubern lediglich aufklären und ausspähen, sonst nichts.
   Und dann war da noch der Ober-Ober-Oberkommandierende, dieser Zauderer Macron, der nicht wusste, wo sich seine Leute aufhielten. Wie peinlich! Wie absolut unprofessionell! Und dann diese ständigen Bedenken!
  
  'Weizenkorn, nun halten Sie mal die Beine still! So schnell geht das nicht! Wir müssen erst einen Kampfauftrag aus Brüssel haben, sonst komme ich in Teufels Küche! Bisher wusste ja niemand, dass es diese Gruppe, diesen SaI, überhaupt gibt! Und außerdem, sind Sie sicher, dass sich die Terroristen überhaupt in diesen Höhlen verschanzt haben? Ein heller Fleck auf einem Wärmebild kann alles Mögliche bedeuten'.
   Sein Credo: 'Bloß nichts auf eigene Faust unternehmen! Sonst kommen wir in Teufels Küche!
   Wir sind schon in Teufel Küche, Herr General, Sir!, hatte er geantwortet. Nein, hatte er nicht. Aber gedacht. Stattdessen hatte er gesäuselt: „Natürlich, so schnell geht das nicht, Sir!“
   Und jetzt haben wir den Salat, Sir! Ein Haufen Tote und eine Unzahl Verletzte, Sir, und das alles meinetwegen, Sir!

   Der Oberst stand auf, schloss den Blechschrank auf und goss sich einen Whisky ein, den er in einem Zug herunterkippte.
   Doch anstatt sich zu beruhigen, regte er sich weiter auf. Verschiedene Gedanken stürmten auf ihn ein. Zum Beispiel, dass in knapp zwei Jahren seine Pensionierung anstand. Sie würden ihn noch schnell zum General befördern und nach Hause schicken. Dann würde ihn in 'Pa-da-boon' die Langeweile erschlagen wie eine Dachlawine. Da er weder Kinder noch Enkelkinder hatte noch ein tragfähiges Hobby, würden seine Frau und der Fernseher seine einzigen Freizeitbeschäftigungen sein. Gut, vielleicht würde er ab und zu an Marathonläufen in der Seniorenklasse teilnehmen. Wenn alles gut ging! Wenn er Pech hatte, würden sie ihm irgendeine alliierte Schweinerei in die Schuhe schieben und ihm seinen Lebensabend zur Hölle machen...
   Dem Oberst fiel ein, dass er überhaupt noch nichts geleistet hatte. Zumindest nichts, was die Welt auch nur ein klein wenig besser gemacht hätte. Im Gegenteil, sie war in den Letzten Jahren immer unübersichtlicher geworden, diese Welt, und damit immer schlechter. Und seinetwegen hatte es jetzt sogar Tote gegeben!
   Eine Art metaphysischer Schauer ergriff ihn, gepaart mit Ekel vor sich selbst,  und er schenkte sich erneut ein.
   Weizenkorn befand sich jetzt in einer eigenartigen Geistesverfassung, die noch vor einem halben Jahr undenkbar gewesen wäre. Nun war er damit einverstanden, einige Regeln, an die er sich bisher akribisch gehalten hatte, über Bord zu werfen. Er beschloss, auf eigene Faust zu handeln und Taifans und Müllers Tod und den Tot der anderen unschuldigen Opfer zu rächen. Zur Not mit unerlaubten Mitteln. Mit etwas Geschick könnte er es so aussehen lassen, als steckten Regierungstruppen hinter dem Angriff. Wenn es nicht allzu schief liefe, würde keiner ahnen, dass in Wirklichkeit er der treibende Keil war.
   Und dann wäre die Welt endlich um ein Winziges besser geworden, dachte er.
  Er schraubte die Whiskyflasche wieder zu und stellte sie weg. Zum ersten mal hatte ihm der Whisky nicht geschmeckt. Dann rief er Omar an und bestellte ihn in sein Büro. Jovial bot er ihm eine Zigarette an und  unterhielt sich lange mit ihm.
 
  Es lässt sich nicht mehr leugnen, dachte Omar, als er wieder ging, der Oberst verliert allmählich die Bodenhaftung.

                                                                *
                                    
   „Was machen wir nun?“, fragte Whali Khan ziemlich ratlos. „Der Christenhund ist uns wieder einmal entwischt! Manchmal könnte man fast glauben, dieser Jesus ist stärker als unser Prophet!“
   „Rede keinen Schwachsinn!“, fuhr ihn der Kommandant an, „er hat einfach nur Glück gehabt! Dass er sich zufälligerweise gerade im Keller aufhielt, als die Bombe hochging, konnte doch nun wirklich niemand voraussehen! Beim nächsten Mal werden wir den Zufall ausschalten!“
   „Du willst den Zufall ausschalten? Wie denn?“
   „Indem wir ihm eine todsichere Falle stellen mit einem todsicheren Köder als totsicheren Lockvogel!“
   „Rawshad, rede nicht in Rätseln! Was hast du vor?“
   „Ich sage nur: Taifan!“
   Whali Khan dachte eine Weile nach. Dann verzog sich sein Gesicht zu einem widerlichen Grinsen. „Du willst sie wirklich – “
   „Ja. Anders kriegen wir ihn nicht. Und ich weiß auch schon, wer ihn dahin bringt.“
   
                                                               *

   „Können Sie liefern?“
   „Ich glaube schon! Aber es wird nicht so einfach sein!“
   „Was heißt das? Ja oder nein?“
   Der Mann schwieg.
   Weizenkorn zog ein Bündel neuer Banknoten hervor und legte es auf den Tisch. „Tausend US-Dollar.“
   „Hatten wir nicht mehr ausgemacht, Sir?“   
   „Mann, nun werden Sie nicht unverschämt! Den Rest gibt es, wenn ich das Material habe.“
   Der Kerl griff hastig zu und ließ das Bündel in einer Tasche seiner weiten Hose verschwinden. Er war ein schlanker, fast asketisch wirkender Mann mittleren Alters, mit glatt rasierten Wangen und den tiefen Furchen eines Magenkranken um den Mund. Auf den ersten Blick wirkte er nicht unsympathisch, doch seine stechenden  Augen empfand der Oberst als äußerst unangenehm. Er war groß und von dunkler Hautfarbe. Seine semitische Nase gab seinem Gesicht ein unverkennbares Profil.
  Weizenkorn kannte diesen Menschenschlag. Diese Leute behaupteten, ihre ursprüngliche Heimat sei ein Land namens Aryana gewesen – von dem sich der Begriff 'Arier' ableitet – und dementsprechend eingebildet. Im Zweiten Weltkrieg waren sie Hitlers Lieblinge gewesen und immer noch mächtig stolz darauf.
  Obwohl er nicht wie ein Ganove aussieht, ist er einer, dachte der Oberst angewidert, einer von der Sorte, die man ein paarmal benutzt und dann möglichst schnell wieder vergisst.
    „Das Material –“
  Weizenkorn hob abwehrend die Hand. „Einen Augenblick!“ Er blickte sich um. Die schlecht gelüftete Opiumhöhle war wegen der frühen Tageszeit noch kaum besucht. An einem entfernten Tisch hockten zwei Gestalten, die den Eindruck absoluter Weltvergessenheit erweckten. Der schwammig aufgetriebene Barmann, offenbar ein Chinese, saß zurückgelehnt hinter dem Tresen und drohte jeden Moment vom Stuhl zu kippen. Im Hintergrund dudelte ein Kassettenrecorder die landesüblichen Klänge. „So, nun können Sie reden! Aber nicht so laut!“
   „Das Material liegt in einem Verlies unter der Freitagsmoschee“, tuschelte der Mann.
   „Wie?“ Der Oberst blickte erstaunt auf. „Unter der Freitagsmoschee? Seit wann beschäftigen sich denn die hohe Geistlichkeit mit dergleichen hochbrisanten Angelegenheiten?“
   „Weiß ich nicht, ist mir auch egal! Wenn ich jedesmal –“
   „Schon gut! Und wie kommen wir unbemerkt dahin? Doch wohl nicht durch die Moschee als Gläubige!“
   „Natürlich nicht! Wir nehmen den zentralen Abwasserkanal.“
   „Wie das?“
   „Das erkläre ich Ihnen, wenn wir unten sind.“
   „Na schön. Und wann?“
   „Wie Sie wünschen!“
   „Nun, ich denke, am besten gleich heute und nach Einbruch der Dunkelheit... Sagen wir heute Abend nach dem Elf-Uhr-Gebet.“
   „Das halte ich für ziemlich unklug. Das Tageslicht macht weniger verdächtig als die Dunkelheit. Ich schlage sechzehn Uhr vor.“
   „Mann! Sind Sie noch bei Trost? Beim dichtesten Marktgetümmel?“
   „Der Einstieg liegt etwas abseits hinter der Moschee. Die Menge wird uns aufnehmen, wir werden in ihr schwimmen, und wir werden in ihr untergehen wie Kieselsteine, die man ins Wasser wirft. Außerdem erscheinen Sie ja nicht in Uniform und Lametta, sondern verkleidet. Am besten als Installateur im blauen Overall und einer Rohrzange in der Hand. Lässt sich das einrichten?“
   „Natürlich!“
  Der Strolch richtete seine Teleskopaugen auf den Oberst, dessen Blick er bisher ausgewichen war. „Und mit verspiegelter Sonnenbrille! Ihre blauen Augen sind stadtbekannt und würden Sie sofort verraten!“
    Der Oberst zog unwillig die Stirn kraus. Ganz schön frech der Kerl, dachte er. Aber Recht hat er. Er schluckte seinen Ärger herunter und fragte: „Na schön. Und woran erkenne ich Sie?“
   „Ich werde ebenfalls einen blauen Overall anhaben und mich irgendwo in der Nähe des Kaserneneingangs aufhalten. Wir bilden dann ein Handwerkerpaar und ziehen, ohne dass sich jemand nach uns umdreht, los. In dieser Stadt gibt es eine Menge zu reparieren!“

   Der Oberst erkannte zwar den Overall, aber nicht den Mann, der da drinnen steckte. Auch nach dem zweiten Mal Hinsehen noch nicht. Die Schultern des Kerls waren schief, sein Gesicht, soweit es die riesige Sonnenbrille frei ließ, war von einem struppigen Bart überwuchert. Schon glaubte Weizenkorn, sein Führer habe ihn versetzt. Doch als der Oberst näher kam, nickte der Mann im Overall ihm zu und setzte er sich in Bewegung. Bald gingen die blauen Gesellen im Gleichschritt nebeneinander her.
 Auf dem Platz vor der Freitagsmoschee, von dem man auch den Bazar erreichte  war großer Betrieb. Unablässig wälzte sich der Strom der Schaulustigen und Kaufwilligen zwischen den Buden und Ständen, gleichmäßig und ohne Hast, wie sich der Strom der Zeit in die Ewigkeit wälzt. Es war ein buntes Völkergemisch, das Seinesgleichen suchte. Männer, Frauen, Kinder, Afghanen, Tschetschenen, Usbeken, Turkmenen, Armenier, Georgier, Soldaten, Esel, Ziegen, Hunde – all das war zu einer unbeschreiblichen Einheit verschmolzen.
 Plötzlich ein blecherner Ruf, der an den Hauswänden zersplittert und vielfach gebrochen durch die Luft schallt: „La illaha illa Allah...“ Der Muezzin ruft vom nahen Minarett, das blendend weiß in den azurblauen Himmel ragt, über Lautsprecher zum Gebet auf. Doch kaum einer in dieser Menschenmenge nimmt Notiz. Dass es keinen Gott gibt außer Allah, steht außer Frage, also warum immer wieder davon reden?

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wunderkerze
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nicolailevin
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag01.05.2019 18:28

von nicolailevin
Antworten mit Zitat

So, hier ist die nächste Ladung ...

*
Zitat:
Marjam ließ sich erschöpft zu Boden gleiten.


Zitat:
Mit der Gelassenheit ihrer Rasse sah sie ihrem Ende entgegen.


Rasse scheint mir als Begriff heutzutage problematisch für die ethnische Bezeichnung eines Menschen. Und Ethnien Eigenschaften zuzuordnen desgleichen. Wir wäre es mit Kulturkreis?

Zitat:
Wie alle hellhörigen Frauen erkannte sie eine Lüge auch, wenn sie unausgesprochen blieb.


Hellhörig? Kenn ich nur bei Wohnungswänden.

Zitat:
Sein Gesicht wurde hart, und er schluckte eine sarkastische Bemerkung hinunter. Sollte er ihr erklären, dass er ein Frauenheld und Sexist war, der immer nur auf Abenteuer aus gewesen war? Dass er nie wirkliche, echte Liebe gesucht hatte? Dass er in dieser Beziehung ein unordentliches Leben geführt hatte? Dass sie die Frau war, nach der er sich, ohne es zu ahnen, immer gesehnt, die er aber nie gefunden hatte? Etwas zu viele Erklärungen und zu wenig Überzeugungskraft. Deshalb sagte er einfach: „Ja.“


Diese Erklärung ist mir zu neutral und aus der Perspektive eines Betrachters von außen geschildert. Da geht mehr, wenn du das konsequent aus seiner Sicht beschreibst - was er an den Frauen immer gesucht und nie gefunden hat usw.


Zitat:

 Dieser Mensch war ein verdeckter Agent des pakistanischen Geheimdienstes und spielte gleichzeitig auf mehreren Klavieren. Seine offizielle Mission bestand darin, den örtlichen Sicherheitsorganen, der Local Police, Informationen über die verschiedenen Terrormilizen des Verwaltungsbezirks zukommen zu lassen. Bisher hatte er allerdings noch nicht viel geliefert. Die Angaben, die er der Behörde gelegentlich übermittelte, waren ungenau und kamen immer etwas zu spät. Er hatte auch nicht vor, präziser zu werden. Sonst hätten ja Schönberg, Weber und Marjam in dem Kanal nicht jämmerlich verrecken müssen. Die eigentliche Aufgabe dieser zwielichtigen Figur nämlich bestand darin, pakistanische Terroristen ins Land zu schleusen, um das Straßenbauprojekt einer Indischen Firma zu sabotieren. In dem unterirdischen Labyrinth des SaI hatte er ein passendes Versteck gefunden. Seit einer Woche stand er in Verhandlung mit dem Kommandanten, der sich die Unterbringung natürlich teuer bezahlen lassen wollte. Doch der hatte aus ihm, was die Bezahlung betraf, auch nach einer Woche zähen Gefeilsches noch keine nennenswerte Summe herausquetschen können.


Das ist wieder so ein ganzer Schwall mit Infodump, den kein Mensch so richtig braucht.

      
                                                                2

Zitat:

   „Vorsicht, Vorsicht, meine Tochter! Nicht nur Grips, sondern sogar eine Idee. Hätt´ste nicht gedacht, was?“
   „Nee!“


Da die Unterhaltung im Original nicht auf Deutsch stattfindet, würde ich diese spezifisch deutschen Wendungen sein lassen.

VG
Nico.
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wunderkerze
Eselsohr
W


Beiträge: 378



W
Beitrag05.05.2019 13:58
Fortsetzung
von wunderkerze
Antworten mit Zitat

Hallo Nico,

herzlichen Dank! Ich hoffe, du hast noch die Kraft für weitere Bemerkungen.





*

   Der Oberst war froh, als sie diesen Hexenkessel endlich hinter sich hatten. Sie bogen in einen Hof ein, in dem die verschiedensten Baumaterialien gelagert waren. Manches, wie die gelben Ziegelsteine abgerissener Häuser, war ordentlich aufgestapelt, vieles andere lag wild herum.
   Weizenkorns Führer schob mit dem Fuß einen Haufen Bauschutt beiseite und legte eine eiserne Platte frei, die er mit einiger Anstrengung hochklappte. Sichtbar wurde ein enger viereckiger Schacht mit einer verrosteten Eisenleiter.
 Der Oberst stieg zuerst ein. „Geben Sie acht!“, mahnte der Mann, „die untersten zwei Sprossen fehlen!“ Er stieg ebenfalls ein, schloss die Öffnung, und zugleich blitzte seine Taschenlampe auf.
  Der Gang war schmal und niedrig. Nach etwa dreißig Schritten mündete er in einen Kanal, in dem eine stinkende Brühe floss, in dem sie aber bequemer gehen konnten.  Und überall Ratten, die bei ihrem Näherkommen weghuschten. Weizenkorn stolperte fluchend über etwas Weiches: Ein toter Hund.
 „Manchmal kommen sie herein, aber sie kommen nicht mehr hinaus“, sagte der Mann, „die Ratten haben es da besser.“
   „Verdammt unappetitlich!“
   Der Mann lachte kurz auf. „Immerhin signalisiert der tote Hund da eben einen gewissen Fortschritt! Ich habe als Kind noch gesehen, wie es in der Stadt zuging, bevor es den Kanal gab. Die toten Hunde lagen in den Gossen, daneben urinierten Männlein und Weiblein, zwei Meter weiter wuschen Frauen die Nahrungsmittel, ein Bauer aus dem Gebirge entleerte sich in aller Ruhe neben einem Metzger, der gerade Fleisch für die Botschaft –“
   Der Oberst schüttelte sich. „Hören Sie auf! Das ist ja widerlich!“
 „Was wollen Sie? Euren Experten macht die Bevölkerungsexplosion hier im Lande Sorgen. Nun, zumindest dieses Problem hatten wir früher nicht.“
 Bald erreichten sie eine runden, tonnenförmigen und sorgfältig ausgemauerten Raum, von dem eine Anzahl niedriger Seitengänge abzweigte. Der Führer leuchtete mit seiner Lampe das Mauerwerk über einem dieser Gänge sorgfältig ab und nickte mit dem Kopf. „Hier geht´s lang“, sagte er. Das Gleiche wiederholte sich noch zwei Mal. Wieder dieser runde Raum, die vielen Seitengänge, das sorgfältige Ableuchten des Mauerwerks, das Kopfnicken, nur dass der Mann beim letzten Mal unsicher schien. Es dauerte eine Weile, bis er den richtigen Gang gefunden hatte.
   Mittlerweile waren sie gefühlt schon eine kleine Ewigkeit unterwegs, und der Oberst wurde langsam ungeduldig. „Was ist“, fragte er, „haben Sie die Orientierung verloren?“ Denn er hatte den Eindruck, dass sie eine Weile sogar wieder zurück in Richtung Einstieg gegangen waren.
   Der Mann lachte hohl. „Bei Allah, das wäre unser Todesurteil“, sagte er und ging in den Gang hinein. Nach einigen Schritten fuhr er fort: „Gegen dieses Stollensystem hier unten sind die römischen Katakomben ein Kindergarten. Dort gibt es neuerdings wenigsten Karten, nach denen man sich bei einiger Übung orientieren könnte. Doch wenn Sie hier unten in den falschen Gang geraten, sind Sie rettungslos verloren!“
   „Was macht Sie so sicher, dass dies der richtige ist?“
   „Die Tatsache, dass ich diesen Weg schon hundertmal genommen habe und immer wieder Allahs Sonne erblicken konnte.“
   „Hmm... Viel Aufwand für wenig Abwasser“, scherzte der Oberst.
   „Dies sind alte Flucht- und Verwirrtunnel. Sie stammen aus der Zeit, als die Tataren Zentralasien verwüsteten. Wenn Sie einmal den falschen Abzweig erwischen, kommen Sie hier nie wieder heraus, es sei denn, Sie haben unverschämtes Glück.“ Jetzt blieb der Mann stehen und leuchtete einen gemauerten Bogen ab.
   „Was suchen Sie?“, fragte der Oberst interessiert.
   Zunächst schien es, als habe der Mann nicht vor, zu antworten. Doch schließlich sagte er: „Haben Sie eigentlich schon bemerkt, dass die Eingänge zu den jeweiligen Abzweigungen in den Kesseln völlig symmetrisch angeordnet und nicht voneinander zu unterscheiden sind? Ich suche nach dem Zeichen, das mir sagt, welchen der sieben Abzweige ich im nächsten Kessel nehmen muss.“
   „Haben Sie es gefunden?“
   „Ich denke, ja.“
   Sie setzten sich wieder in Bewegung.
   „Nehmen wir an, Sie hätten das Zeichen nicht gefunden“, sagte Weizenkorn, der an diesem Verwirrspiel allmählich Gefallen fand. „Dann müssten wir doch sicherlich jetzt umkehren.“    
   „Noch besser wäre es, Sie erschießen erst mich und dann sich. Ich würde nämlich den Einstieg nicht mehr finden.“
   „Tatsächlich?“
   „Ja. Die Zeichen weisen nur den Hinweg, zurück fehlen sie.“
   „Wie kommen wir dann wieder heraus?“
   „Indem wir den nächsten Einstieg finden.“
   "Und wenn nicht?"
   "Tja..."
   „Donnerwetter! Wer denkt sich denn so etwas aus!“
   „Die Moschee steht auf den Mauerresten einer alten Schutz- und Trutzburg, die noch vor hundertfünfzig Jahren ihren Dienst gegen die Türken getan hat. Die Einstiegsschächte sind sichtbar über das ganze Stadtgebiet verteilt. Man wollte die Feinde dazu verleiten, sich in das Tunnelsystem zu begeben, um von unten her die Burg zu erobern. Doch nicht ein einziger von denen, die darauf hereinfielen, erreichte das Ziel. Die meisten verreckten in den kilometerlangen Blindgängen, nur ganz wenige führte der Zufall wieder heraus. Als man vor dreißig Jahren begann, einige dieser Tunnel für die Abwasserentsorgung wieder flott zu machen, wurden haufenweise mumifizierte Leichen entdeckt, manche bis auf die Knochen abgefressen.“
   „Eigentlich ein ideales Gelände für subversive Umtriebe“, sagte der Oberst fast bewundernd, „kein Wunder, dass wir die Burschen nicht fassen können.“
   „Welche Burschen meinen Sie?“
   Der Oberst schwieg.
   Der Mann grinste ungesehen. „So, da wären wir“, sagte er nach einer Weile. „Wir befinden uns jetzt unter dem Ostminarett der Moschee.“
   Der deutlich über mannshohe Raum ohne erkennbare weiterführende Öffnungen maß etwa vier Meter im Quadrat. Die Decke des Tonnengewölbes war sauber ausgemauert und sorgfältig verfugt – so schien es zumindest im schwachen Schein der Lampe.
   Der Mann sagte: „Herr Oberst, verschränken Sie bitte Ihre Hände.“ Er stieg auf, wuchtete sich hoch und drückte mehrmals sehr kräftig gegen einen der Ziegelsteine über sich. Eine Klappe öffnete sich und fiel herunter. Das Mauerwerk war nur aufgemalt. Der Mann löste eine Aluminiumleiter, die herabrutschte und hart neben dem Oberst auf dem Boden aufschlug. „Sehen Sie“, sagte er, als er wieder unten stand, „mit einem weniger kräftigen Mann hätte ich das nicht geschafft!“

                                                              *

  Die Kammer war vollgestopft mit Kisten aller Art und Form. Es roch muffig nach feuchtem Holz, geöltem Metall, gewachstem Papier und Benzin. An einer Wand stapelten sich Blechkanister bis zur niedrigen Decke. Der Oberst wusste sofort Bescheid: Ein Waffenlager. Da lagen Gewehre, Handgranaten, Sprengstoff, Dynamit, Treibstoff, und noch einiges mehr.
   „Wem gehört das alles?“, fragte er.
   Der Mann schüttelte den Kopf. „Herr Oberst, stellen Sie bitte keine Fragen dieser Art!“ Sein Schatten an der Wand knickte in Deckenhöhe scharf ab. Es sah aus, als würde die obere Hälfte im nächsten Moment herunterfallen.
   „Na gut. Also, wo ist das Material?“
   „In dieser Kiste!“
   „Leuchten Sie!“
   Der Oberst öffnete die Kiste und starrte verblüfft hinein. Dann nahm er eine dieser Figuren heraus, noch ehe der Mann Einspruch erheben konnte. „Kerl!“ schrie Weizenkorn und drehte sich um, „willst du mich auf den Arm nehmen? Was soll ich denn mit Schokoladenosterhasen?“  
   Der Angebrüllte trat einen Schritt zurück. „Bei Allah, nicht so laut! Sie brüllen ja die gesamte Wachmannschaft zusammen! Holen sie einen Hasen aus der untersten Lage hervor! – So, und jetzt wickeln Sie an einer Stelle vorsichtig das Silberpapier ab, am besten am Kopf.“
   Wütend zog der Oberst die Luft durch die Nase ein, denn schon wieder schimmerte es schokobraun.
   „Nun drücken Sie! – Fester! – Noch fester – Zufrieden?“
   Die Täuschung war fast perfekt. Es sah wie Schokolade aus, war aber keine. „Was ist das?“, fragte der Oberst verblüfft. „Es fühlt sich an wie Holz.“
    „Ist aber keins. Es ist eines dieser neuartigen Verpackungen. Mehr weiß ich auch nicht.“
   „Wie viele Hasen sind da drin?“
   „Sechzehn.“
   „Und in der anderen Kiste auch?“
   „Ja.“
   „Wie viel Kampfstoff enthält jede Figur?“
   „Dreihundertfünfzig Gramm.“
   „Hmm...“ Der Oberst dachte kurz nach. „Dann reichen fürs erste drei Figuren. Wie wird der Kampfstoff freigesetzt?“
   „Sie werfen die Figuren einfach ins Feuer oder in kochendes Wasser. Das Material löst sich dann in kurzer Zeit buchstäblich in Luft auf.“
   „Was geschieht, wenn es jemand vorzeitig herausnimmt?“
  „Das würde nichts nutzen. Sowie es mit starker Hitze in Berührung kommt, beginnt der Zersetzungsprozess.“
   Gut, dachte der Oberst, sehr gut. Ich lasse die Hasen einfach ins Feuer oder in den Suppenkessel fallen, und das war´s dann. Er nahm zwei weitere Figuren heraus und steckte alle drei ein. „Was haben wir denn hier?“, fragte er überrascht. „Was zum Teufel hat eine Fahrradluftpumpe in einem geheimen Waffenversteck zu suchen?“
   Schweigen.
   Weizenkorn zog seine Pistole und entsicherte sie.
   „Wer sind Sie?“
   „Herr Oberst, bitte, machen Sie keinen Unsinn! Ohne mich finden Sie doch nicht mehr hinaus! Durch den Knall würden die Wächter dort oben alarmiert, und Sie wären kurz darauf genau so tot wie ich. Außerdem ziehen wir beide am gleichen Strang.“
   „Wie soll ich das verstehen?“
   „Mein Name ist Nur. Ich bin einer von Taifans Brüdern.“
   „Ach!“
  Der Oberst war so überrascht, dass er vergaß, die Pistole wieder einzustecken. „Sie sind Taifans Bruder! Was wissen Sie von ihr? Wie hat sie sich umgebracht?“, fragte er atemlos.
   „Wer sagt denn, dass sie sich umgebracht hat?“
   Weizenkorn blickte überrascht auf. „Ich erhielt eine entsprechende Nachricht.“
   „Taifan hat sich nicht umgebracht. Sie hat versucht, sich mit einer Schneiderschere die Pulsadern aufzuschneiden. Doch der Versuch missglückte. Ein Sanitäter konnte die Wunde abbinden.“
   „Das heißt, sie lebt?“
   „Ja“
   „Woher wissen Sie das so genau? Sind Sie etwa ein Kämpfer des SaI?“
   „Herr Oberst, wenn Sie wollen, dass ich Sie weiter mit Informationen versorge, dann stellen Sie bitte keine Fragen.“
   „Schon gut, verstehe... Sie glauben ja nicht, wie froh ich bin, dass sie noch lebt! Da fällt mir ein Riesenstein vom Herzen!“
   Nur schüttelte betrübt den Kopf. „Sie lebt, aber wahrscheinlich nicht mehr lange.  Sie hat mit Ungläubigen sexuell verkehrt und sich als Agentin der Amerikaner betätigt. Einige islamistische Hardliner wollen jetzt, wo der Islamische Staat ein Gebiet nach dem anderen aufgeben muss, ein Exempel statuieren und ihre Macht beweisen.“
   „Ein Exempel statuieren? Ich verstehe nicht...“
   „Man wird sie möglicherweise steinigen.“
  „Wie?“ Weizenkorn begriff jetzt erst, was Nur da sagte. „Was sagen Sie? Steinigen? Mann, was reden Sie da! Steinigen wie im Mittelalter? Unfassbar!“
   „In diesem Lande ist alles möglich, sogar die Steinzeit.“
   „Wo ist Taifan jetzt?“
 „Weit weg von hier. Irgendwo in der Nähe von Ghundum in einem der Rückzugsgebiete des IS. Ich nehme an, dass dort die Richtstätte sein wird. Das Dorf ist fest im Griff der Fundamentalisten, die dort vor einiger Zeit das Kalifat ausgerufen haben sollen. Wenn sich diese Informationen bestätigen, sieht es nicht gut für Taifan aus.“
   „Verdammt, dagegen müssen wir sofort etwas tun!“  
  „Natürlich müssen wir etwas unternehmen! Aber vor allem müssen wir kühlen Kopf bewahren. Bitte keine unbedachten Schritte, Sir! Dann besteht sogar eine geringe Hoffnung, ihr den Tod zu ersparen. Auf jeden Fall werde ich versuchen, mit den Mullahs dort Kontakt aufzunehmen. Und mit Allahs Hilfe –“
   „Glauben Sie denn, dass diese Henker mit sich reden lassen?“
   „Das kommt auf das Angebot an, das meine Familie und Sie ihnen machen werden. Wir könnten versuchen, Taifan gegen Geld und Waffen einzutauschen. Dabei stehen die Chancen nicht schlecht, wie die Vergangenheit gezeigt hat.“
  „Warten Sie! Da kommt mir eine bessere Idee! Was halten Sie von einem Gefangenenaustausch? Wir bieten ihnen ein oder zwei gefangene Kämpfer als Gegenleistung an! Ich könnte –“
   Nur lachte dumpf. „Herr Oberst! Ihnen ist anscheinend nicht klar, mit welchen Leuten wir es hier zu tun haben! Ein überzeugter Kämpfer lässt sich eher gegen ein lahmes Pferd als gegen eine Frau austauschen, und schon gar nicht gegen eine, die in Schande lebt! Seine Familie würde ihm die Hölle heiß machen!“
   „Hmm... Seltsames Land hier.“
   „Das mag schon sein! Aber trotzdem liebe ich es... Also es bleibt dabei: Geld und Waffen! Das Geld besorgen Sie, ich kümmere mich um die Waffen. Wie Sie hier sehen, dürfte das nicht allzu schwer sein. Und dann werden wir weitersehen.“
   „Bleibt uns denn überhaupt genug Zeit? Wenn ich richtig rechne, ist Ihre Schwester doch schon sein vierzehn Tagen in der Gewalt der Entführer.“
   „Doch, ich denke, schon. Ohne Fatwa gibt es auch im Kalifat keine Hinrichtung. Es müssen Zeugen gefunden und befragt werden, die gegen sie, und welche, die für sie sprechen, das Gutachten muss erstellt werden und so weiter und so fort, und das kann dauern.“
   „Nehmen wir einmal an, wir können Taifan loskaufen. Was geschieht dann mit ihr?“
   „Wir werden sie irgendwo verstecken, und dann werden wir weitersehen.“
  Weizenkorn überlegte einen kurzen Augenblick. „Nur, ich mache Ihnen diesen Vorschlag: Wir beide machen uns gemeinsam auf den Weg, um Taifan da herauszuhauen. Was halten Sie davon? An Geld und Material soll´s nicht scheitern.“
  Nur winkte ab. „Ehrlich gesagt, gar nichts, Sir! Der Oberst Weizenkorn ist sogar bis ins wilde Yaghestan bekannt wie ein bunter Hund. In dem Moment, wo Sie das Gebiet des IS betreten, haben Sie eine Kugel im Kopf.“
   Hmm... Der Mann hat nicht ganz unrecht, dachte der Oberst. Da gibt es gewisse Vorkommnisse, die mir die Terroristen nicht verzeihen werden. Zum Beispiel das mit den Nackttänzern. Wenn es auch in meiner Abwesenheit geschah – es geschah in meiner Abteilung.
   Er sagte: „Ich weiß, wie gefährlich diese Mission ist. Ich bin doch kein Greenhorn. Trotzdem, ich will nach Ghundum. Natürlich nicht als Oberst Weizenkorn, ich bin doch nicht blöd. Ich gedenke da eher als enger Familienangehöriger, sagen wir als Onkel, aufzutreten. Lässt sich das machen?“
   „Und wer soll mit den Leuten reden? Sprechen Sie Pashto?“
   „Sie haben Recht! Verdammt, daran habe ich nicht gedacht!“ Der Oberst biss sich auf die Lippen. Wieder einmal Schwierigkeiten über Schwierigkeiten.
 „Hören Sie, Nur!“, sagte er bestimmt, „Schwierigkeiten sind dazu da, um überwunden zu werden! Sie werden mit den Leuten verhandeln! Ja, Sie. Lassen Sie mich ausreden! Sie werden den Leuten erzählen, ich sei mit einer schweren Missbildung des Kehlkopfs geboren worden und könne nicht sprechen. So etwas gibt es. Sie wollen doch noch die zweite Rate, oder? Na sehen Sie! Alles geht, wenn man es nur will! Und mein Aussehen dürfte keine Schwierigkeiten machen. Ich lasse mein Gesicht zuwachsen und rasiere mir die Augenbrauen ab. Dann erkennt mich meine Frau nicht mehr, hahaha!“
   „Ihre Augen!“
   „Was ist mit meinen Augen?“
   „Ihre blauen Augen werden Sie verraten.“
  „Quatsch! Dann dichten Sie mir auch noch eine Augenkrankheit an, die mich zwingt, ständig eine Sonnenbrille zu tragen.“ Der Oberst blickte Nur scharf an. „Ich gewinne langsam den Eindruck, sie wollen gar nicht mehr.“
   „Doch, doch, wie kommen Sie darauf? Also gut, abgemacht. Wann könnten Sie das Geld locker machen?“
   „Wie viel?“
   „Sagen wir... Zehntausend?“
   „Hmm... Sobald ich es habe!“
   Der Oberst sah den Mann nachdenklich an. Irgendwo in seiner Magengegend breitete sich ein mulmiges Gefühl aus. Dieser Mann wirkte nicht ganz echt. Doch als Soldat gehorchte er nicht Gefühlen, sondern Befehlen, auch eigenen. Und der Befehl jetzt lautete: Rette Taifan um alles in der Welt!
   „Nur, warum tun Sie das? Warum setzen Sie sich so für ihre Schwester ein? Taifan ist doch in Ihren Augen eine Verräterin an Gott und der Welt!“
   „Darauf kommt es jetzt nicht an. Nach unseren Gesetzen ist ein Bruder für das Leben einer Schwester verantwortlich. Aber auch das ist jetzt zweitrangig. Wenn sie Taifan umbringen, ist unser Dorf für Generationen zur Blutrache verdammt. Und das wollen wir unter allen Umständen vermeiden.“
   „Wer ist wir?“
   „Unsere Familie, unser Dorf.“
   Weizenkorn starrte Nur plötzlich an und sagte mit belegter Stimme: „Nur, ich frage Sie jetzt, und Sie antworten bitte ohne Umschweife: Hat Taifan den Einsatz des Spähtrupps verraten?“
   „Bei Allah, nein! Ich schwöre!“
   „Wer dann? War es eines der Mädchen?“
   „Herr Oberst, woher soll ich das wissen? Also bitte keine weiteren Fragen!“
    Der Oberst blickte sich noch einmal um, und plötzlich war ihm einiges klar. „Nur, Sie arbeiten für die Regierung!“
   „Ja.“
   „Und das Arsenal hier gehört der Armee.“
   „Ja.“
   Weizenkorns Miene verfinsterte sich. Dacht´ ich´s mir doch! Das wird den General nicht erfreuen! Die Regierungstruppen bereiten anscheinend einen Giftgasangriff vor.
   „Gehen wir!“, befahl er barsch.
   Doch ihm war nicht entgangen, dass Nurs „Jas“ verdächtig schnell gekommen waren.

                                                             *

   „La illaha illa Allah...“
 Die Stimme des Vorbeters, lautsprecherverstärkt, erfüllte dröhnend die große Moschee. Hundert gläubige Männer, Schulter an Schulter, wie es der Koran vorschreibt, in der Brüderlichkeit des Islam, berührten mit der Stirn den mit Teppichen ausgelegten Boden, die Hinterteile in die Höhe gestreckt wie die Bürzel   gründelnder Erpel.
   Zwei Männer in der letzten Reihe der Betenden, die der Zufall anscheinend dort zusammengeführt hat, raunten sich etwas zu.
   „Hat er angebissen?“
  „Ja. Er ist ahnungslos wie ein Haufen Eselsmist und verliebt wie eine läufige Hündin!“
   „Wenn du dich da mal nicht täuschst! Wie viel?“
  „Vorerst zehntausend. Die nächsten zehn verlange ich am Freitag. Die zwanzig Riesen sind uns so gut wie sicher.“
   „Fein! Was hat er für die Osterhasen gegeben?“
   „Zwei. Mehr war nicht drin.“
   „Na ja, immerhin – für drei harmlose Kampfgasbehälter!“
   Man richtete sich wieder auf und verharrte andächtig im Gebet.
    „La illaha illa Allah...“
   Wieder berührten die Stirnen den Boden, und die Hinterteile hoben sich. Das Geflüster ging weiter.
   „Wie hat er denn den 'Bruder' aufgenommen?“
   „Da wurde es für einen Moment brenzlich. Er stutzte und wollte es zunächst nicht recht glauben, bis ich ihm etwas von Blutrache und Familienehre vorschwatzte. Aber das ist nicht der springende Punkt.“
   „Sondern?“
   „Er will unbedingt mit nach Ghundum!“
   „Oha! Und wie hast du ihn davon abgebracht?“
   „Überhaupt nicht! Was der sich in den Kopf gesetzt hat, zieht er anscheinend gnadenlos durch.“
  „Ich sag es ja! Sei vorsichtig, Omar! Noch vertraut er dir, aber das kann sich schnell ändern. Er ist zwar gutgläubig, aber nicht dumm!“
   „Aber anscheinend bis über beide Ohren verliebt, und das kommt aufs Gleiche hinaus. Diese Taifan muss ihm total den Kopf verdreht haben! Stell dir vor: Ein deutscher Oberst versorgt eine Terroristenorganisation mit Waffen und Munition! Allah ist groß, aber mein Einfallsreichtum ist größer!“
   Wieder wurde das Gespräch unterbrochen.
   „La illaha illa Allah...“
   „Wie geht es nun weiter? Willst du wirklich mit ihm nach Ghundum fahren?“
  „Mensch, ich bin doch nicht lebensmüde! Er fährt natürlich ohne mich! Die Gefahr, dass die Sache schief geht, ist einfach zu groß! Und ich will nicht unversehens eine Kugel im Kopf haben. Nein, vorher mache ich mich rechtzeitig aus dem Staub!“
    „Weißt du schon, wann deine so genannte Schwester hingerichtet werden soll?“
   „Ja. Am zwölften dieses Monats.“
   „Aha! Zum Geburtstag des Propheten. Gute Arbeit, Nur, gute Arbeit!“
   „Psst! Der Imam guckt schon!“

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wunderkerze
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nicolailevin
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag09.05.2019 20:32

von nicolailevin
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Guten Abend!

hier die nächste Lieferung zurück.

Zitat:
Den Oberst hatte die Entdeckung des hot spots in eine Art euphorischer Siegerlaune versetzt.


Zitat:
Das Hotel war ein unschöner Prunkbau im Las-Vegas-Stil.


Ich kann nachvollziehen, was du meinst, aber Las Vegas ist trotz allem kein Baustil so wie Renaissance oder Art Deco.

Zitat:
und im Spielkasino im Keller gähnte eine Leere wie in einer Bahnhofshalle kurz nach Mitternacht.


Das Bild passt nicht. Es müssen ja die Kartengeber und Croupiers da sein. Und die Spieltische und -stühle füllen den Raum. Für mich kann ein schlecht besuchtes Kasino nie so aussehen wie eine leere Bahnhofshalle.

Zitat:
einem Moslem sind Glücksspiele ja bekanntlich verboten.


Da schlaubergerst du wieder. Mir war das nicht bekannt.

Zitat:
Die Groupiers an den Roulettetischen


Croupiers (mit c und 2 r) sind die Typen, die im Casino die Roulettekugel anstoßen und die Einsätze verwalten.
Groupies (mit g und 1 r) sind die, die sich den Rockstars ins Bett werfen.


Zitat:

   „Sag mal, Hakam, wo wir gerade bei dem Thema sind“, mischte sich Müller ein, „stimmt es, dass die Oberschicht im Iran immer mehr die Ehe auf Zeit eingeht, nach dem Motto 'ex und hopp'? Widerspricht das nicht nun wirklich den Vorschriften des Koran? Ihr seid doch sonst so sittenstreng!“
   „Der Iran besteht nicht nur aus Mullahs, mein Lieber! Sieh´s doch mal so: Wer es sich nicht leisten kann, vier Frauen und die entsprechende Kinderschar gleichzeitig und bis an sein Lebensende zu ernähren, wählt eben diesen Weg. Außerdem: Eure Politiker und Schauspieler machen es doch genau so! Da werden zwei, drei, vier Ehen geschlossen und wieder aufgelöst. Wo ist denn da der große Unterschied?“
 Müller wollte etwas sagen, doch Frau Pachlevi kam ihm zuvor. „Der große Unterschied besteht darin, dass die Exfrauen in Deutschland einen gesetzlichen Anspruch auf Versorgung haben, während sie hier meist völlig mittellos dastehen.“


Das riecht mir wieder gewaltig nach Infodump, den die Geschichte eigentlich nicht braucht.

   
Zitat:

  Der Oberst dachte: Der Tonfall klingt fast echt, und die Komödie ist gut gespielt.


Diese Wendung hab ich - bei meinem Lesetempo und den Pausen in der Lektüre - nicht mehr präsent, dass der Oberst weiß, was im Folgenden gespielt wird ... Da solltest du dem doofen Leser deutlicher auf die Sprünge helfen.

  
Zitat:
Eine Gruppe von Männern mit Astrachanmützen auf dem Kopf


Auch Astrachanmützen dürften dem deutschen Durchschnittsleser nicht vertraut sein ...

Zitat:

   „Bin gespannt, was das wird“, grunzte der Oberst. Da er weder musikalisch noch ein guter Tänzer war, erfüllte ihn die Aussicht auf jede Art von Tanzveranstaltungen mit Skepsis.


Ich denke, der schnappt über vor Begeisterung, weil er was zu feiern hat?! Und ist heilfroh, dass der französische Kollege mit Durchfall zu Hause hängt ...

Zitat:

  „Unsinn“, raunte der Botschafter unterdessen dem Oberst zu, „der Kerl übertreibt mal wieder gewaltig. Die Knaben sind Mitglieder der hiesigen Ballettschule, die sich hier ein ordentliches Zubrot erhoffen.“


Da schlägt mein innerer Plausi-Checker an. Ballett im Mittleren Osten? Für Mädels eh pfui und für Jungs zu schwul, oder? Jaja, komm mir jetzt nur nicht wieder mit dem alten Sack Scholl-Latour ... Wink

Zitat:

  Weizenkorn stellte sein Bierglas hart ab. „Ich kenne diese Sorte!“, platzte er böse heraus. „Sie treiben sich manchmal auch in der Nähe der Garnison herum! Es sind niederträchtige Strichjungen, käufliche Päderasten!“


Päderasten sind doch eher diejenigen, die auf die jungen Knaben abfahren?!


 
Zitat:
Die Musik setzte wieder ein, stärker, wilder als vorhin, die Tänzer wirbelten in wilden, ekstatischen Kreisen über die Bühne, und der Schönling begann, ein Kleidungsstück nach dem anderen abzuwerfen.


"Schönling" ist für meine Begriffe stark abwertend und widerspricht dem Tonfall, den du zuvor verwendest, der wirkte auf mich eher positiv fasziniert.

 
Zitat:
Der Oberst lief rot an und schnaufte. Seine Geduld war am Ende. Diese Darbietung beleidigte sein Schicklichkeitsgefühl. Für parfümierte Ferkel hatte er nichts übrig. „Please, excuse me a moment“, sagte er kurz angebunden, stand auf und verließ den Saal.


Mit diesem Oberst werde ich nicht recht warm, dieser Charakter wirkt auf mich unrund. Einerseits liebesdurstig und gamsig, von Fetisch und Fantasien getrieben; andererseits zeigt er hier so eine vehemente Ablehnung, die mir in diesem Zusammenhang völlig unplausibel erscheint und die ich eher von jemandem erwartet hätte, der generell verklemmt und körperfeindlich ist, so ein religiös getriebener, jungfräulichkeitsfixierter Typ.
 
                                                              *

Zitat:
Mit Bestürzung stellte er jetzt fest, dass ihn Taifans Abwesenheit mit tiefer Niedergeschlagenheit erfüllte.


Das wäre mal ein klassischer Anlass für "Show, don't tell!"

Zitat:
Da sprang die Roulettkugel, die schon zur Ruhe gekommen war, plötzlich hoch und rollte auf den Tisch. Gleich darauf rieselte Putz von der Decke. Die Erschütterung, die durch das Kellergeschoss lief,


Bis hierhin super. Die fokussierte Beschreibung der Explosion gefällt mir sehr gut!
                                                               

Zitat:
Müller lebte noch, als ihn der Oberst in die Arme nahm, aber der Blutverlust war schon so groß, dass er noch vor dem Eintreffen der Ambulanz starb.


Der Oberst ist kein Mediziner, ich wäre vorsichtig mit Todesursachen.

Zitat:
Wie durch ein Wunder blieben sie glücklicherweise bis auf ein paar Schürfwunden äußerlich nahezu unverletzt.


Glücklicherweise? Für wen? Würd ich lassen.
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wunderkerze
Eselsohr
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W
Beitrag10.05.2019 14:11
Fortsetzung
von wunderkerze
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hallo Nico, hab Dank!

Warum soll ich, wenn überall auf der Welt solche Bauten herumstehen, es nicht Stil nennen?

Komödie bezieht sich nicht auf die Zukunft, sondern auf das, was die beiden Mädels da gerade abziehen.

Wenn sie keine Astr.Mützen kennen, sollen sie googeln.

Schönling, ja, ist so abwertend wie Gutmensch. Ist aber aus der Sicht des Obersten.

Dessen Charakter. Da verwechselst du was. Der Hallodri war der Doktor. Der Ob. ist eindeutig feminophil. Außerdem hat er, seit Taifan verschwunden ist, keinen Sinn mehr für frivole Spielchen.






                                                                    *

   Etwa einen Kilometer vor dem Dorf Aun liegen die Ruinen des antiken Ghundum, der alten Landeshauptstadt. Obwohl die Ruinenstadt Jahrhunderte als Steinbruch für die umliegenden Dörfer gedient hat, sind ihre Reste immer noch beeindruckend.
  Der staubige Boden ist wild übersät von mächtigen Quadern, angeschlagenen Säulenbruchstücken, abgebrochenen Kapitellen, stark verwitterten Architraven und allerlei jetzt nutzlosem steinernem Zierrat. Die majestätischen Rundbögen der römischen Wasserleitung überragen die noch erhaltenen Pilaster und Mauern des ehemaligen Königspalastes. Eine schmale Straße windet sich träge entlang des ausgetrockneten Flussbettes durch diese in Stein gehauene Hybris. Sie verengt sich allmählich zu einem kümmerlichen Pfad, der irgendwo vor dem alten Amphitheater endet. Dahinter erhebt sich im staubigen Dunst eines der ungezählten Bergmassive Zentralasiens.

   Es war der zwölfte Tag des Monats Rabi´al-awwal, der Geburtstag des Propheten, zur Stunde des Abendgebetes.
  Die Nachmittagssonne warf ihre Strahlen auf das tief in den Felsrücken geschnittene antike Amphitheater. Auf dem Platz vor dem steinernen Halbrund war  eine Grube ausgehoben, daneben lag ein Haufen runder Steine von Kinderkopfgröße. Ein schwerer, etwa zwei Meter hoher Pfahl war neben dem Steinhaufen in den Boden gerammt. Vier Männer mit sonnengebräunten Gesichtern und starken Bärten, in alttestamentarisch anmutende Gewänder gehüllt, standen schweigend und fast unbeweglich daneben. Hätte nicht die eine oder andere dieser archaischen Gestalten eine Hand gehoben, um eine Fliege zu verscheuchen oder das Standbein gewechselt, man hätte annehmen können, sie seien genau so versteinert wie die Trümmer ringsum.
  Schon seit über einer Stunde harrte die Menschenmenge in der brütenden Nachmittagshitze aus. Auf den noch brauchbaren Steinbänken des Theaters saßen dicht gedrängt annähernd zweihundert Personen, die Bewohner des Dorfes Aun, ausgenommen Kinder und Greise. Die Männer mit Turbanen, die Frauen verschleiert, die Geschlechter durch den breiten Mittelgang getrennt. Alle blickten gespannt auf einen völlig kahlen Hügel in etwa dreihundert Meter Entfernung, hinter dem bald die Sonne untergehen würde.
   Über dieser kargen Bodenerhebung wurde jetzt eine Staubfahne sichtbar. Kurz darauf erschien ein seltsames Fuhrwerk. Es war ein Eselskarren, geführt von einem Mann mit einem mächtigen Turban. Auf dem Karren wurde allmählich ein hölzernes Kreuz sichtbar, an das eine Gestalt angebunden war. Die Gestalt war in einen schwarzen Hijab gehüllt und stand aufrecht, ja fast starr, nur durch die Stöße des Karrens bewegt. Hinter diesem bizarrem Gefährt schritten zwei ebenfalls bis an die Zähne bewaffnete Männer.  
   Jetzt hielt der Karren, etwa fünfzig Schritt von dem Pfahl entfernt. Der Wagenführer sprang auf, band die Frau los und stellten sie zwischen die beiden Kämpfer auf den Boden.
   Langsam bewegte sich die Gruppe auf die Mitte des Platzes zu. Die Frau strauchelte jeden Augenblick, stieß gegen Steine, stolperte, drohte zu stürzen und musste wieder aufgerichtet werden. Schließlich erreichte sie den Pfahl und wurde dort wieder angebunden, offensichtlich, weil sie frei nicht mehr stehen konnte.
   Nun traten die vier schwarz vermummte Gestalten näher an den Pfahl heran.
     „Hier steht Taifan, die jüngste Schwester unseres tapferen Kämpfers Gilgit“, rief der größte der Männer mit weit hallender Stimme. „Die Untersuchungen haben ergeben, dass sie sich schwerer Verbrechen schuldig gemacht hat. Wir haben, wie es das Gesetz des islamischen Gottesstaates verlangt, drei Zeugen befragt, die für sie, und weitere drei, die gegen sie aussagen konnten. Es hat Allah gefallen, dass die  Aussagen der Belastungszeugen schwerer wiegen als die der Fürsprecher.“
   Er machte eine Kunstpause, bevor er weitersprach. „Also ist sie schuldig, und zwar in folgenden Punkten. Erstens: Sie hat dem Oberst Weizenkorn, einem der sieben Teufel, ins Angesicht geschaut und damit die Aufnahme in den Himmel verwirkt. Zweitens: Sie hat die Reinheit der Umma befleckt, indem sie ihren Körper einem Christen verkaufte. Dieses Verbrechen ist noch schlimmer als Ehebruch, denn damit hat sie sich selbst aus der Gemeinschaft der Gläubigen, ausgeschlossen. Drittens: Wir wissen aus sicherer Quelle, dass sie einen unserer Brüder an diesen Christenhund verraten wollte. Erschwerend kommt hinzu, dass es einer ihrer leiblichen Brüder war, den sie verraten wollte. Die Tatsache, dass sie den Verrat nicht ausführen konnte, beruht auf reinem Zufall, entlastet sie also nicht. Die Strafe, die auf  alle diese Verbrechen steht, ist vom Koran vorgeschrieben.“
   Er räusperte sich und spuckte vor Taifan aus.
   „Diese Frau gehört zu den Tighuti!“ schrie er mit sich überschlagener Stimme, „zu den Verworfenen, zu denen, die des Teufels sind! Diese Frau ist die leibhaftige Beschimpfung aller Menschen, die an Allah glauben!“
   Der Schreihals blickte einen nach dem anderen seiner unheimlichen Genossen an. „Also, worauf plädiert ihr?“ rief er, „welche Strafe schlagt ihr vor? Abdullah? Ich höre!“
   „Tod durch Steinigung!“
    „Hussein?“
   „Tod durch Steinigung!“
   „Muhammed?“
   „Tod durch Steinigung!“
   Jetzt drehte sich der Mann zu den Sitzbänken um. „Und ihr, Männer von Aun!“, rief er, „welch Strafe haltet ihr für angemessen?“
   „Tod durch Steinigung!“ riefen einige Stimmen.
  Der Wortführer nickte zufrieden. „Ihr habt es gehört! Die Männer von Aun haben entschieden. Damit ist die Fatwa rechtskräftig! Tod durch Steinigung! Ich übergebe die Verbrecherin dem Gericht!“
   Die beiden Krieger banden Taifan von dem Pfahl ab, versenkten sie bis zum Hals in der Grube und füllten die Grube mit Sand auf. Jetzt war nur noch Taifans verhüllter Kopf zu sehen.
   Der Große ergriff einen der bereitliegenden Steine und hob ihn hoch.
   Ein Stöhnen ging durch die Reihen der Frauen, hysterische Schreie wurden laut und
 sofort niedergezischt.
   Taifan hatte die furchtbare Prozedur bisher ohne einen Laut abzugeben oder den Kopf zu bewegen über sich ergehen lassen. Sie fühlte, dass ihr Ende unmittelbar bevorstand. In dem Moment, wo der Mullah den Stein jetzt weiter hob, um ihn auf ihr Haupt niedersausen zu lassen, rief sie mit aller Kraft, die ihr noch verblieben war: „Fidisahib, ich liebe dich!“
   Der Wurf war gut gezielt. Taifans Kopf fiel zur Seite und rührte sich nicht mehr. Der Stein hatte sie bewusstlos geschlagen oder ihr das Genick gebrochen.
   Eine Frau schrie wild auf: „Mörder!“
   Nun griffen auch die anderen Männer zu den Steinen. Innerhalb weniger Minuten war Taifans Kopf nur noch eine breiige Masse.
   Zwei der schwarzen Teufel hatte diese Steinigung mit ihren Handys gefilmt.

   Das Amphitheater war schon lange wieder leer, da steckte die ermordete Frau immer noch in dem Erdloch. Niemandem war es erlaubt, sie herauszunehmen und zu bestatten.
   Doch die Geier hatten ihre Beute schon entdeckt, und die Wölfe aus dem Schluchten des nahen Gebirges würden nicht eher ruhen, bis nicht der letzte Rest  der jungen Frau ausgegraben und vertilgt war.
   

                                                               *

   „Ich traue diesem Burschen nicht“, grummelte der Oberst vor sich hin. „Diese Halunken hier... Nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht... Erst blicken sie dich freundlich lächelnd an, und im nächsten Moment, wenn sie haben, was sie wollten, rammen sie dir das Messer ins Herz.“ Er steckte sich eine Zigarette an. „Dieser Nur oder wie er heißt spielt nicht mit offenen Karten. Sein 'Ja!' vorgestern kam mir zu prompt. Arbeiten Sie für die Regierung? Ja! Ich glaub´s nicht. Normalerweise reden sie bei solchen Fragen doch drumherum. Aus Angst, die ehrliche Antwort könnte die falsche gewesen sein. Da stimmt doch was nicht.“
   Er stieß den Rauch genüsslich durch die Nase aus.
  Nehmen wir einmal an, grübelte er weiter, dieser Nur ist nicht Taifans Bruder, sondern ein gemeiner Betrüger? Vielleicht will er mich ja nur ködern und in die Arme des IS treiben? Vielleicht arbeitet er ja gar nicht für die Regierung sondern für sonst wen! Er verschwindet mit dem Geld, die Verbrecher nehmen Waffen und Munition und bringen mich auch noch um? Grund genug dazu hätten sie ja.  
   Der Oberst betrachtete gedankenverloren das Zigarettenetui. Der Behälter war aus Edelstahl, ein Geschenk seiner Frau.
   Der Oberst seufzte. Wenn sich dieser Nur nicht bald meldet, kann ich das Geld in den Wind schreiben. Na schön, scheiß doch aufs Geld! Aber hinfahren werd´ ich!  Dann fahre ich eben mit Omar hin. Ich bin so und so erledigt. Zur Garnison kann ich dann nicht mehr zurück, nach Hause will ich auch nicht. Vielleicht nimmt mich ja Taifans Familie auf. Ich wäre nicht die erste gescheiterte Existenz, die in den Weiten des Hindukusch auf nimmer Wiedersehen verschwindet. Hmm... Mit Taifan würde es sogar Spaß machen.  
   Aber was ist, wenn ich zu spät komme und sie Taifan schon umgebracht haben? Oder wenn sie tatsächlich nur der Köder ist, mit dem sie mich fangen wollen?
   Weizenkorn drückte den Zigarettenstummel aus und nahm die letzte Zigarette aus dem Etui.
   Dann werde ich mein Leben so teuer wie möglich verkaufen!, schwor er sich. Nur wie? Sie werden mir als erstes die Pistole abnehmen. Und mit bloßen Händen...
    Sein Blick fiel auf das leere Etui.
  Plötzlich richtete er sich steil auf. Seine Faust hieb auf den Tisch. „Das muss doch möglich sein!“ rief er, „die nötige Größe hat es!“ Er grinste. „Ha, das könnte einige eklige Kollateralschäden geben! Na ja, dann haben sie´s auch nicht anders verdient!“
   Er griff zum Hörer und wählte.
   „Omar, könnten Sie bitte mal in mein Büro kommen?“
  Als Omar eine halbe Stunde später das Dienstzimmer wieder verließ, hielt er hundert Dollar in der Hand.
   
    Die gepanzerte Limousine hielt in einer Seitenstraße am Rande der Altstadt. Von hier aus konnte man im Falle einer Bedrohung schnell auf die 'Allee der Völkerverständigung' ausweichen. Dort wimmelte es von Polizei und Militär. Die Allee der Völkerverständigung hieß noch vor zwei Jahren 'Straße der Republik' und davor 'Straße Sheik Abdullah II'. Demnächst stand wieder eine Umbenennung an, so hieß es.
   Die letzten hundert Meter ging der Oberst zu Fuß. Er war wie ein Tourist gekleidet – oder besser: Wie sich Müller von der Kleiderkammer einen Touristen vorstellte.  Legerer Straßenanzug, leicht zerknautschter Anorak, Strohhut mit breiter Krempe, große schwarze Sonnenbrille, und vor dem Bauch eine Kamera. Obwohl dieses Outfit nicht besonders originell war und fast schon lächerlich wirkte, so erfüllte es doch seinen Zweck: Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass der Inhalt der deutsche Oberst Friedrich Weizenkorn sein könnte.
    Weizenkorn vergewisserte sich, dass ihm niemand folgte und bog plötzlich nach rechts in eine Seitengasse ein, aus der er nach wenigen Augenblicken verschwunden war.      
   Obwohl er hier noch nie gewesen war, erkannte er den kleinen Hinterhof sofort an den sechs Katzen, die auf einer Mauer saßen und ihn nach Katzenart unverwandt anstarrten, genau wie es sein Gewährsmann vorausgesagt hatte. Früher mussten es noch mehr gewesen sein, denn es stank entsetzlich nach Aas und Verwesung.
   Von der Straße her hörte er Schritte, die sich schnell näherten. Weizenkorn trat hinter eine Hauswand, um aus dem Blickfeld zu geraten. Nicht, dass er vor jemandem Angst gehabt hätte. Da war seine Pistole, hier waren seine Fäuste, genug für einen mutigen Mann, sich auch gegen eine Horde Angreifer zur Wehr zu setzen. Es war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Er durfte auf keinen Fall erkannt werden. Wenn es der Teufel wollte, war gerade dieser Fußgänger jemand, der ihn trotz seiner Verkleidung erkannte.
   Der Oberst klopfte an die knallgrün gestrichene Tür. Er musste eine Weile warten, dann vernahm er schlurfende Schritte, und kurz darauf wurde ein Riegel beiseite geschoben. Die Tür öffnete sich. Ein alter Mann mit krummem Rücken, auf einen knotigen Stock gestützt, erschien. Er verbeugte sich galant wie Don Cixote vor seiner Dulcinea und bedeutete Weizenkorn mit übertrieben weit ausholender Armbewegung, einzutreten, wobei er unverständliche Worte stammelte.
   Weizenkorn drückte dem Alten einen Zehner in die Hand und ging den schmalen Flur entlang. Sein Informant hatte gesagt: „Der Mund des Alten ist durch Kehlkopfkrebs versiegelt, aber ein kleines Backschisch würde ihm auch noch die Augen schließen. Und der Chinese steht auf der Seite derer, die ihn gut bezahlen und stellt keine Fragen.“
  Han Suin feilte an einem Eisenstück herum, das in einem verrosteten Schraubstock klemmte. Es war der abgesägte Lauf eines Sturmgewehres amerikanischer Bauart. Auch als sich der Oberst vernehmlich räusperte, feilte er weiter, blickte aber immerhin kurz auf. Endlich fragte er auf Französisch: „Sie wünschen, Monsieur?“
   „Ich habe da einen... äh...  Spezialauftrag für Sie“, brachte Weizenkorn stockend hervor. Französisch war nie seine Stärke gewesen – die präzise Knappheit des Englischen lag ihm mehr – und sein ostwestfälisch-lippischer Zungenschlag verhinderte jegliche sprachgemäße Eleganz.
   Der Chinese feilte unverdrossen weiter. Er war ein untersetzter Mann mit fettigen Haaren und einem schiefen Gesicht, dass immer aussah, als grinse sein Besitzer. Nach einer Weile sagte er: „Und worin besteht dieser Spezialauftrag?“
   Der Oberst holte das Zigarettenetui hervor, legte es auf den ölverschmierten Tisch und brachte sein Anliegen vor.
   Der Chinese hörte auf zu feilen und blickte den Kunden scheinbar entsetzt an. „Wie kommen Sie da gerade auf mich?“  
   „Ein Bekannter hat mir Ihre Werkstatt empfohlen.“  
  „Soso, ein Bekannter!“ sagte der Chinese reichlich unfreundlich und feilte weiter. Er sah Weizenkorn abschätzend an. „Dann sagen Sie Ihrem Bekannten mal, dass ich solche Sachen nicht mache. Schließlich habe ich Frau und Kinder, denen ich Rechenschaft schuldig bin. Und wer sagt mir, dass sie kein Terrorist sind? Nach einem Touristen sehen Sie jedenfalls nicht aus.“   
  Der Oberst grinste. „Sie haben Recht! Ich bin weder Terrorist noch Tourist. Ich bin als Privatmann hier. Allerdings habe ich ein hohes öffentliches Amt inne. Deshalb die Verkleidung. Und ich schwöre Ihnen: Das Etui dient lediglich meinem eigenen Schutz bei einer gefährlichen, staatstragenden Mission.“
   Han Sui schüttelte seine Hamsterbacken. „Da müssen sie schon etwas deutlicher werden!“
   Weizenkorn verstand.  Er griff in seine Jackentasche, zog ein Bündel Banknoten hervor und blätterte hundert Dollar auf die Werkbank. „Ist das deutlich genug?“
   „Etwas deutlicher könnte es schon sein!“
   Der Oberst verdoppelte den Betrag. „Nun?“
   Die Gesichtszüge des Chinesen entspannten sich. „Für wann benötigen Sie das Etui, Monsieur?“


                                                              *  

   Weizenkorn traute seinen Augen nicht. Das war doch der junge Mann mit der Luftpumpe! Die Ähnlichkeit war zu verblüffend.
  „Ich habe Sie schon einmal gesehen“, sagte er auf gut Glück, „im Hotel Kabul. Vor vierzehn Tagen. Sie traten ein, kurz bevor die Bombe explodierte. Sie sind der Mann mit der Luftpumpe.“
   Der Angeredete zuckte mit keiner Wimper. „Da verwechseln Sie mich mit jemand anderem“, sagte er kühl. „Ich war nie in diesem Hotel. Könnte ich mir gar nicht leisten. Und mit dem Attentat habe ich erst recht nichts zu tun!“   
   Der Oberst sah ein, dass er so nicht weiterkam. „Stellen Sie die Kiste ab und verschwinden Sie!“, schnauzte er unhöflich. Meine Nerven, dachte er. Ich sehe schon Gespenster.
   Der Geländewagen, ein zimtbrauner Ford F 100 PickUp, stand in einer engen Seitengasse hinter der Moschee. Weizenkorn hatte dieses Fahrzeug gewählt, weil es leichter war als die wuchtigen Range Rower. Gegebenenfalls, so war seine Überlegung, könnte der PickUp von ein paar kräftigen Männerarmen oder willigen Lastkamelen unschwer aus einer Sandverwehung, einem Flussbett oder einem knietiefen Schlagloch herausgezogen werden.
   Auf jeden Fall hatte er gut vorgesorgt: Auf der Ladefläche lagen außer den beiden Kisten mit den Gewehren und der Munition noch zwei Reservereifen, zwei Kanister mit Benzin, etliche Zündkerzen, Proviant für eine Woche, ein Abschleppseil, ein großer Plastikbehälter mit Trinkwasser sowie eine Reihe anderer nützlicher Gegenstände, die man vorsichtigerweise auf eine Reise ans Ende der Welt mitnimmt, alles sorgfältig unter  der Abdeckplane verstaut. Die Entfernung zwischen Ghazani und Ghundum betrug immerhin zweihundertfünfzig Kilometer. Das war viel, sehr viel für ein Land, dessen Straßennetz noch teilweise aus dem Mittelalter stammte.
  Omar drehte den Zündschlüssel herum und startete den Motor. Es war noch nicht hell, als sie Ghazani verließen. Der Oberst war schlechter Laune. Seit zwei Tagen plagten ihn Magenprobleme, deshalb hatte er heute morgen nur einen Müsliriegel gegessen und eine Tasse schwarzen Kaffee getrunken. Es muss der Fisch gewesen sein, grübelte er, mir kam er gleich nicht ganz koscher vor. Um die Übelkeit zu bekämpfen, die allmählich in seiner Kehle hochstieg, aß er ein Stück Zwieback.   
   Ein paar Kilometer hinter der Stadtgrenze wurden sie von einer Militärkontrolle angehalten. Als die Soldaten den Oberst in seiner wüstenmäßigen Bekleidung erkannten, grinsten sie und winkten den Wagen durch. Kurz darauf holten sie einen jungen Burschen ein, der am Straßenrand stand und den Daumen hoch hielt. Omar stoppte den Wagen und ließ ihn einsteigen. Der Oberst war so geschwächt, dass er die selbstherrliche Tat widerspruchslos geschehen ließ.
   Der junge Mann trug über der landesüblichen Kleidung einen blauen Mantel mit goldener Bordüre und goldenen Knöpfen. Seine Haare hingen ihm bis auf die Schultern, und in seinem angenehm geschnittenen Gesicht saß eine kühne Nase. Er verströmte einen dezenten Parfümgeruch, der sich dem Oberst sofort auf den Magen legte und sein Misstrauen erweckte. Genau so ein Typ war der mit der Luftpumpe, dachte er angewidert.
   „Hey, wo soll´s denn hingehen?“, fragte Omar auf Pashto.
   „Zum Theaterfestival in Mazar-el-Sharein. Könnt ihr mich bis dahin mitnehmen?“
   „No problem. Wo liegt denn das Theater?“
   „In der … -Straße im Goethe-Institut.“
   „Aha! Kein Problem. Wie heißt du denn, mein Freund?“
   „Fahim. Und du?“
  „Omar. Hast du keine Angst, Fahim, dass du mal an die Falschen gerätst? Hier sind allerhand Fundis unterwegs. Ich könnte mir vorstellen, dass dein bunter Mantel bei dem einen oder anderen zu Missverständnissen führen könnte.“
   „Ich schaue genau hin, bevor ich einsteige. Einige von uns fahren mit dem Auto zwölf Stunden durch islamistenverseuchtes Gebiet. Die Jungs sind bisher auch noch alle angekommen.“
   „Was führt ihr denn auf?“
   „Twelfth Night, or What You Will.“
   „Von Shakeseare? In Englisch? Ist das nicht ziemlich mühsam?“
   „Na ja, wir müssen noch viel üben. Aber es macht Spaß. Und es bringt einen auf andere Gedanken!“
   „To hell!“, mischte sich der Oberst auf Englisch ein, „habt ihr zum Teufel hier nichts Besseres zu tun als Theater zu spielen?“ Der Kerl wurde ihm immer unsympathischer. Tänzer und Schauspieler – für ihn die gleiche verruchte Sorte: Bombenleger!
   Manchmal konnte er erschreckend einfältig sein, der Gute.
  Doch der junge Mann nahm nicht übel. „Die ganze Welt ist eine Bühne, und wir alle sind Schauspieler, mehr oder weniger“, sagte er gut gelaunt. Dabei blickte er den Oberst freundlich an. „Eine Theateraufführung ist also nichts anderes als ein Stück Alltag unter dem Vergrößerungsglas.“
   Weizenkorn verzog das Gesicht. „Fake, Quatsch“, grunzte er. In seinem jetzigen Zustand brachte er für solche Feinheiten noch weniger Verständnis auf als sonst.
   Sie näherten jetzt sich dem Weichbild von Mazar-el-Sharein. Der Verkehr wurde dichter. Bald fuhren sie auf Tuchfühlung – Stoßstange an Stoßstange. Die Uhr zeigte kurz nach sechs, doch schon war das Zentrum der Sechshunderttausend-Einwohner-Metropole völlig überlastet. „Schlafen diese Leute eigentlich nie?“, grunzte der Oberst missmutig. Da niemand antwortete, motzte er weiter: „So etwas wie Verkehrsampeln kennen die hier wohl auch nicht!“
   „Doch, die kennen sie hier“, sagte Omar, „aber die wurden wieder abgebaut, weil sich nur die Hälfte der Autofahrer daran hielt.“
   Und so sah es auch aus. Es war ein wildes Durcheinander von Militärfahrzeugen,  Last- und Lieferwagen, Minibussen, Vans, PKWs, Moped- und Radfahrern, die sogar gegen die Fahrtrichtung fuhren, wenn sie sich davon einen Geländegewinn versprachen. Fußgänger bahnten sich todesmutig ihren Weg, ein Eselskarren mit gebrochenem Rad stand wie ein Fels in tosender Brandung. Wo war der Besitzer? Auf jeden Fall nicht beim Karren. Durch die für vier Spuren ausgelegte Straße quälte sich der Verkehr qualmend und hupend in sechs Reihen. Der Oberst erinnerte sich, irgendwo gelesen zu haben, dieses Land sei das mit den meisten Verkehrstoten weltweit. Er dachte: Glaubhaft, sehr glaubhaft! Oder war´s Afghanistan? Nun ja, schlimmer als hier kann es da auch nicht zugehen!
   Das Stadtzentrum sah furchtbar aus. Die Taleban hatten vor ihrem Rückzug die Stadt noch mit einem Hagel von Granaten belegt. Überall Zerstörung, Verfall, Unrat. Ein paar fast unbeschädigte Häuser im neogotischen Stil, sonst graue Ruinen-Hässlichkeit. Hoch oben auf einer stehen gebliebenen Hauswand – bizarrer Anblick – ein schwarzer Wachmann unter einem knallbunten Sonnenschirm, die Maschinenpistole im Anschlag. Und jede Menge Soldaten, Stacheldraht und Betonpoller.
   An einer Kreuzung ein Polizist auf einem Podest, im Mund eine Trillerpfeife. Seine Backen sind aufgebläht wie bei einem Trompeter. Die Trillerpfeife trillert in regelmäßigen Intervallen. Da der Verkehr steht, können die drei den Straßenkünstler in Ruhe beobachten. Er trillert und winkt, winkt und trillert, als könne er dadurch den Verkehrsfluss beschleunigen, was unter diesen Umständen natürlich ganz unmöglich ist. Trotz des infernalischen Lärms ist das Getriller deutlich zu vernehmen. Plötzlich fallen seine Wangen zusammen. Er nimmt er die Trillerpfeife aus dem Mund, verlässt das Podest und begibt sich mitten ins Verkehrsgewühl. Vor einem Kleinlaster mit einer kunstvoll verschnörkelten Aufschrift in Pashto macht er Halt. Der Fahrer dreht die Scheibe herunter und steckt den Kopf heraus. Der Polizist nimmt einen Schreibblock hervor, zückt einen Bleistift und notiert emsig.
   „Oha!“, entfährt es dem Oberst, „das wird teuer!“
   Omar und der Junge sehen sich an, sagen aber nichts.
  Der Polizist hat die Nummer des Wagens und die mutmaßliche Ordnungswidrigkeit notiert. Doch um welche es sich handeln könnte, ist beim besten Willen nicht ersichtlich. (Vielleicht lag´s ja daran, dass in diesem seltsamen Land seltsamerweise – wie auch im benachbarten Afghanistan – die Straßenverkehrsordnung der untergegangenen DDR gilt.) Wie dem auch sei: Nun wird alles seinen gesetzlichen Gang nehmen, denkt der Oberst ein wenig schadenfroh.
  Doch was ist das? Der Polizist reißt den Zettel ab, gibt ihn dem Fahrer, der bedankt sich überschwänglich und dreht das Seitenfenster wieder hoch. Erhobenen Hauptes wie der eiserne Timur nach der Schlacht bei Otrar schreitet der Ordnungshüter durch die Gasse, welche die Autofahrer höflich frei machen. Er besteigt sein Podest, und die Trillerpfeife tritt wieder in Aktion.
   Der Oberst hält verstört und hörbar den Atem an. Die jungen Leute brechen in ein herzhaftes Gelächter aus, in das der Oberst schließlich gegen seinen Willen einstimmt. „Was war denn das?“, fragt er verblüfft.
   „Eine Bestellung“, sagt Omar, immer noch lachend. „Auf dem Wagen stand: Obst und Gemüse Hadschi Schah Khan.

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Beitrag14.05.2019 19:52

von nicolailevin
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Nabend!

Hier die nächste Fuhre zurück.

VG
Nico

***

Zitat:
   Den Oberst hatte der Tod des Botschafters schwer getroffen.


 
Zitat:
Wer bleibt mir eigentlich noch?, dachte er bitter. Mathilde? Nun ja, Mathilde von Weizenkorn, geborene Niedergesäß. Die ist weit weg und hat jetzt wahrscheinlich ganz andere Sorgen. Außerdem hat sie sich für meinen Beruf noch nie sonderlich interessiert. Warum auch! Sie ist jetzt eine 'Von' und hat, was sie wollte... Die Kleine von der Bar? Hmm... Kein Vergleich zu Taifan! Und so, wie sie sich im Keller aufgeführt hat, ist sie eher ein Klotz am Bein als eine Stütze. Wahrscheinlich ist sie sowieso nur hinterm Geld her.


Da hätten wir die gute Gelegenheit, beim Oberst ins Innere zu schauen und mehr über sein Verhältnis zu Frauen, zu seiner Frau und zu Taifan zu erfahren. Wir bekommen aber nur die Wiederholung der (ziemlich oberflächlichen) Punkte, die wir schon kennen und von Taifan gar nichts. Hier kleine Details reinbringen, warum er seine Frau verabscheut und was er an Taifan liebt! So ist mir das zu äußerlich und zu banal.


Zitat:
Schwere Kämpfe in Ostafghanistan   
         
     Nach vier Tagen schwerer Gefechte zwischen afghanischen Regierungstruppen und radikal-islamischen Talebankämpfern um die östliche Provinzhauptstadt Herat ist die Zahl der Toten auf 130 gestiegen...


Als Kommandeur in der Gegend würde ich von ihm nicht erwarten, dass er diese Info aus der Zeitung erfährt ...

 
Zitat:
„Was machen wir nun?“, fragte Whali Khan ziemlich ratlos. „Der Christenhund ist uns wieder einmal entwischt! Manchmal könnte man fast glauben, dieser Jesus ist stärker als unser Prophet!“


Kauf ich nicht, ist abgeschmackter Karl-May-Verschnitt und außerdem theologisch nicht sauber, da die Stärke nicht beim Propheten liegt, sondern bei Gott.


                                                               *

Zitat:
Seine semitische Nase gab seinem Gesicht ein unverkennbares Profil.


Wieder so eine problematische Ethnizifizierung. Wie sieht die Nase denn aus? Schreib das.

Zitat:
Weizenkorn kannte diesen Menschenschlag. Diese Leute behaupteten, ihre ursprüngliche Heimat sei ein Land namens Aryana gewesen – von dem sich der Begriff 'Arier' ableitet – und dementsprechend eingebildet. Im Zweiten Weltkrieg waren sie Hitlers Lieblinge gewesen und immer noch mächtig stolz darauf.


Und wieder das böse Wort, das mit I- anfängt und mit -nfodump endet ...


Zitat:
Der Strolch richtete seine Teleskopaugen auf den Oberst, dessen Blick er bisher ausgewichen war.


Teleskopauge? Ich google, dass Fische so was haben bzw. eine Fischart so heißt und nun weiß ich gar nicht, was du hier meinen könntest ...

Zitat:
„Und mit verspiegelter Sonnenbrille! Ihre blauen Augen sind stadtbekannt und würden Sie sofort verraten!“


Das finde ich witzig.

Zitat:
– all das war zu einer unbeschreiblichen Einheit verschmolzen.


'unbeschreiblich' dürfte so ziemlich das einzige Wort sein, das du - außer in Dialogen - nie verwenden darfst. Entweder du kannst es beschreiben, dann tu's - oder du drückst dich klammheimlich davor und lässt es. Aber deine eigene Kapitulationserklärung zu Papier bringen darfst du m.E. nicht.

Zitat:
Plötzlich ein blecherner Ruf, der an den Hauswänden zersplittert und vielfach gebrochen durch die Luft schallt: „La illaha illa Allah...“ Der Muezzin ruft vom nahen Minarett, das blendend weiß in den azurblauen Himmel ragt, über Lautsprecher zum Gebet auf.


Akute Adjektivitis in diesem Satz!
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wunderkerze
Eselsohr
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Beitrag19.05.2019 11:20
Fortsetzung
von wunderkerze
Antworten mit Zitat

Hallo Nico,
 
danke für deine nützlichen Anmerkungen. So wird noch mal was Ordentliches daraus!



                                                                   *
   Während der quälenden Fahrt zum Goethe-Institut wurden sie dreimal angehalten. Das Gebäude des Instituts war von einer sechs Meter hohen Mauer umgeben, der Eingang mit einem schweren Eisengitter bewehrt. Auch in dieser Straße: Überall Stacheldraht, Soldaten, Schilder mit dem Hinweis, dass Halten, Fotografieren, Stehenbleiben, Urinieren, auf die Straße spucken verboten sei. Die Fenster einer stattlichen Villa, wohl die Residenz einer reichen Familie, sind mit Wänden aus Sandsäcken verrammelt. Der junge Mime stieg aus und warf Omar zum Abschied einen Handkuss zu.
   Als sie endlich dieses brodelnde Inferno verließen, war kostbare Zeit verloren.      
  Etwa fünfzig Kilometer hinter Mazar-el-Sharein verließ Omar die gut ausgebaute Ring Road und bog in eine dieser staubigen Schotterpisten ab, die sich schnurgerade durch die Landschaft ziehen. Das Gebiet des Kalifats, erklärte er, läge weit abseits des modernen Straßennetzes in einer auch heute noch schwer zugänglichen Bergregion. Außerdem müsse man auf den viel befahrenen Straßen immer mit Minen rechnen, deshalb sei die staubige Piste zwar der mühsamere Weg, aber dafür böte sie mehr Sicherheit.

   Weizenkorn wurde langsam unruhig. Weit und breit war außer Omar nicht ein Mensch, geschweige denn ein Fahrzeug zu sehen. Die einzigen Lebewesen waren zwei Bussarde, die in großer Höhe über dem Wagen kreisten.
     „Erzähl´mir von diesem sonderbaren Land“, sagte er, „wo man Shakespeare in der Originalsprache aufführt und gleichzeitig Wachmänner köpft und eine Frau steinigt.“
   Diese bitteren Worte hatte Omar anscheinend nicht gehört, denn seine Augen lachten. „Dieses Land“, begann er eifrig, „war einmal eines der schönsten Länder der Welt. Dünn besiedelt, mit einzigartigen Tieren und Pflanzen, mit weiten, fast unberührten Ebenen und unzähligen unbezwungenen Bergen. Und immer wieder große, grüne Oasen. Dann kamen die Sowjets und besetzten es. Sie bauten Brücken, Straßen, Staudämme, Bewässerungsanlagen, um es noch schöner zu machen. Sie wollten die Natur verbessern – das wäre noch angegangen. Aber dann wollten sie auch die Menschen bessern, und der ganze Schlamassel begann. Wir sind ein kriegerisches und Freiheit liebendes Volk, Sir. Noch nie hat es ein Eroberer geschafft, uns Vorschriften zu machen, geschweige denn, uns dauerhaft zu unterjochen – Dschinghis Khan nicht, Tamerlan nicht, Schah Khan nicht, die Engländer nicht, die Russen nicht. Irgend wann wurden alle diese Herrschaften wieder vertrieben.“
   „Glaub´ ich sofort! Ihr Armleutcher richtet euch ja noch nicht mal nach einer schnöden Verkehrsampel! Und jetzt seid ihr dabei, die gegenwärtigen Eroberer zu vertreiben.“
   „Ja.“
   „Und welche wären das?“
   Plötzlich lachten Omars Augen nicht mehr. „Die Amerikaner, die Franzosen, die Deutschen.“
   „Das heißt, du würdest mich ohne mit der Wimper zu zucken erschießen, wenn die Gelegenheit günstig wäre?“
   Omar sah ein, dass er sich verrannt hatte. „Natürlich nicht, Sir!“, beteuerte er mit einem Augenaufschlag, der einen Stein erweichen konnte. „Warum sollte ich? Sie waren mir immer ein großzügiger Chef, Sir! Außerdem bin ich gläubiger Moslem.“
  Die Mudschahedin, die Dschihadisten, die Taleban und wie sie alle heißen sind auch gläubige Moslems, dachte der Oberst. Der Kerl ist nicht astrein! Hoffentlich redet er nur und fällt mir nicht noch auf halbem Wege in den Rücken!

  Schon seit einiger Zeit fuhren sie durch eine Landschaft, die einer Gegend auf einem sonnennahen, vegetationslosen Planeten glich. Alles wüst und leer und, bis auf ein paar borstige Grasbüschel, kahl und kochend heiß. Das Bordthermometer zeigte neununddreißig Grad Außentemperatur. An einem Berghang klebte, wie kubische Schwalbennester, ein verlassenes Dorf. Darüber ein Gewirr von Eisenmasten, Überbleibsel aus der sowjetischen Besatzungszeit, erklärte Omar. Der Oberst fragte sich, wie hier überhaupt jemand dauerhaft leben konnte. Allerdings deuteten versandete Bewässerungskanäle darauf hin, dass es hier einmal grün gewesen sein musste.
   „Diese Gräben dort“, fragte der Oberst, „warum werden die nicht mehr benutzt?“
  „Das Stauwehr drüben in den Bergen ist zerbombt, und bisher hat sich noch niemand gefunden, es wieder aufzubauen.“ Weizenkorns Interesse beflügelte Omars Drang, sich mitzuteilen. „Und sollte sich doch eine Entwicklungsorganisation dazu bereitfinden, muss sich der Dorfälteste durch eine Haufen Antragsformulare durchbeißen, die er kaum versteht. Bis die dann alle genehmigt sind, können Jahre vergehen, und der Alte hat mittlerweile das Zeitliche gesegnet.“ Omar schwieg. Nach einer Weile fuhr er fort: „Unsere Bewässerungsexperten sind in der Lage, Wasser bergauf fließen zu lassen. Das Darwankatal war einmal die fruchtbarste Gegend in diesem Land. Doch wie sieht es jetzt aus? Schauen Sie sich doch um, Sir! Halbwüste, so weit das Auge reicht!“
   Ein eigenartiges, bogenförmiges Gebilde kam in Sicht. „Aha!“, meinte der Oberst, „schon wieder eine einsame Brücke! Wie viele kommen denn noch?“
   Omar schüttelte den Kopf. „Dies ist keine Brücke, sondern das Eingangstor einer Moschee aus dem elften Jahrhundert. Die Franzosen haben es ausgegraben, wenn mich nicht alles täuscht im Jahre 1941. Einige Leute halten das Tor für ein Meisterwerk.“
   Hinter dem Tor zeichneten sich eigenartige Felsformationen ab. „Dort oben, was wie stark verwitterte Felswände aussieht, das sind die kümmerlichen Überreste einer verwitterten Lehmburg.“
  Von der Burg waren tatsächlich nur noch Reste vorhanden. Der Oberst nahm die Sonnenbrille ab und kniff die Augen zusammen, um überhaupt etwas zu erkennen.
 „Es ist der Winterpalast Mahmuds des Großen“, erklärte Omar weiter. „Auf siebzehn blutigen Raubzügen trug Mahmud unerhörten Reichtum zusammen. Dabei zerstörte er unbedenklich hinduistische Tempel, Götzenbilder und alle bildlichen Darstellungen menschlicher Gesichter, wohl auch das Gesicht des großen Buddhas von Bamyan. Seitdem schlagen sich in Kashmir Moslems und Hindus die Köpfe ein. Die Taleban vollendeten Mahmuds Werk und sprengten unlängst den ganzen Buddha in die Luft.“
   Omar fuhr um das Tor herum und brachte den Wagen neben drei Lastkamelen zum Stehen, die im Schatten der Burg lagen und träge wiederkäuten. Sofort löste sich eine Gestalt aus einer dunklen Felsnische und ging auf Omar zu, der aus dem Wagen gesprungen war. Sie schienen alte Bekannte zu sein, denn sie begrüßten sich Wange an Wange. Während des gestenreichen Gesprächs, das sich nun entwickelte, blickte der Mann mehrmals kurz zum PickUp herüber. Weizenkorn hatte das Gefühl, dass er gemeint war, dass die Beiden unter einer Decke steckten und irgend etwas Böses ausheckten. Schließlich trennten sie sich, Omar stieg wieder ein und startete den Motor.     
   „Wer war der Mann?“, fragte der Oberst gereizt.
   „Ach... äh... nur so ein Bekannter“, antwortete Omar schmallippig.
  „Kerl, verarsch mich nicht!“, fuhr ihn Weizenkorn an. „Zwei Bekannte, die sich jahrelang nicht gesehen haben, treffen sich zufällig mitten in der Wüste, hahaha! Das kannst du deiner Großmutter erzählen, aber nicht mir, mein Freund!“
   „Es ist aber so, Sir! Nein, natürlich ist er nicht mein Bruder... äh... ein Bekannter eben. Außerdem sind wir nicht mitten in der Wüste! Die nächste Stadt ist nur zehn Kilometer entfernt.“
   „Soso? Und wie heißt die?“
   „Quela-al-Bost.“
   Weizenkorn nahm seine Pistole hervor und betrachtete sie liebevoll. Der Anblick des Schießeisens zeigte offenbar Wirkung. Omar wurde gesprächiger. „Der Mann heißt Aladin el-Mafsa´ani und betreibt ein Abschleppunternehmen in Quela-al-Bost.“
  „Warum lungert er dann mit drei fetten Kamelen bei dem komischen Torbogen herum, he?“
   „Er wartet auf Kundschaft.“
   Der Oberst entsicherte die Waffe.
   „Bitte, Sahib, hören Sie doch! Zwei Kilometer westwärts beginnen die Gotsch-, die Gipsfelder. Es gibt immer wieder Touristen, die auf dem Weg vom Bogen nach Quela-al-Bost mit ihren Autos darin stecken bleiben. Wenn es soweit ist, macht er sich mit seinen Kamelen auf den Weg und zieht sie wieder heraus.“
   „Wer wagt sich denn in diese gottverlassene Gegend? Und dann noch bei dieser  Sicherheitslage!“
   „Warten Sie´s ab, Sir!“
   „Und davon kann dein Bekannter leben?“
   „Die Regierung bezahlt ihn.“
   „Na schön! Worüber habt ihr vorhin denn nun geredet?“
  „Ich fragte ihn, ob die Wegmarkierungen noch sicher seien. Manchmal stecken die Terroristen sie um, um die Ausländer in eine Falle zu locken.“
   „Was sagte er?“
  „Er meinte, seines Wissens seien in der letzten Zeit alle durchgekommen. Aber hundertprozentig sicher könne man natürlich nie sein.“
   „Hmm... Müssen wir denn durch diesen Gips durch?“
   „Leider ja! Es sei denn, wir machen einen Riesenumweg! Die White Sands sind an die achthundert Quadratkilometer groß!“
   Halbwegs beruhigt steckte Weizenkorn die Pistole wieder weg. Er dachte: Ich sehe schon Gespenster! Anscheinend ist auf Omar wohl doch Verlass.
   Aber ganz sicher war er sich nicht.
  Mittlerweile war es hoher Mittag. Obwohl die Hochfläche neunhundert Meter über dem Meeresspiegel lag, zeigte das Bordthermometer nunmehr unglaubliche fünfundvierzig Grad an. Glücklicherweise funktionierte die Klimaanlage noch.  
   Sie fuhren jetzt auf eine weiße Fläche zu, die sich in der hellen Sonne deutlich von der lehmbraunen Umgebung abhob: Ein Gotschfeld, ein Ausläufer der Gipswüste. Bald strahlte der Boden blendend weiß. Gipskristalle, vom Wind zu Rillen gehäuft, erzeugten ein waschbrettartiges Muster. Dann tauchten die ersten Dünen auf. Der Anblick war unbeschreiblich schön. Über der wie eingeschneit wirkenden Landschaft lag ein tiefblauer Himmel, in dem blendend weiße Wölkchen schwammen. Darunter, als scharfe Trennungslinie zwischen Himmel und Erde, schwarzblau und zerklüftet, ein ferner Gebirgszug.
   Ganz so gottverlassen, wie der Oberst vermutet hatte, war die Gegend auch nicht. Überall wuchsen Aloe-artige Stauden, und auf dem Kamm einer hohen Düne stand ein Mensch und hielt Ausschau.
   „Die Gotschwüste wurde schon 1946 als White Sands National Monument unter Schutz gestellt“, sagte Omar. „Trotz der prekären Sicherheitslage zieht sie seitdem immer wieder Genussbummler aus aller Welt an.“
   „Weiß man, woher dieser viele Gips stammt?“
   „Ja. Angeblich wird er von ausgetrockneten Seen dort oben im Gebirge herunter geweht.“
   „Sag mal, Omar, woher weißt du das alles so genau?“
   „Ich bin eben an allem interessiert“, war die knappe Antwort.

   Allmählich wurde dem Oberst schläfrig zumute. Die halb durchwachte Nacht, das gleichmäßige Brummen des Motors, das sanfte Schaukeln des Wagens, die angenehme Tatsache, dass sein Magen allem Anschein nach wieder in Ordnung war – all das bewirkte, dass ihm plötzlich die Augen zufielen.  
   Ein heftiger Stoß weckte ihn wieder auf. Verwirrt blickte er sich um. Alles war weiß: Der Himmel, der Boden, die Motorhaube, die Scheibenwischer. „Was ist los?“, fragte er verschlafen.
   „Wir sitzen fest“, sagte Omar kleinlaut.
   Plötzlich war der Oberst hellwach. „Wie konnte das geschehen?“ Sofort war sein Misstrauen wieder da, noch schärfer als vorhin.
   „Jemand muss... äh... die Markierungsstäbe verändert haben“, stammelte Omar.
  Weizenkorn blickte auf die Uhr. Halb vier durch. Also hatte er über eine Stunde geschlafen. „Dann ruf jetzt schleunigst deinen Abschleppdienst an!“, befahl er.
   Omar wand sich wie ein Aal. „Auch wenn ich Funkkontakt bekäme, würde es wenig nützen. Wir sind bereits sechzig Kilometer von der Burg entfernt, und der nächste Ort liegt noch weiter weg.“  
   Der Oberst stieß einen Fluch aus und sprang aus dem Wagen. Sofort versank er bist zu den Knien im Gipsstaub. Der Wagen war in ein Gipsloch geraten. Er war so erregt, dass er die brütende Hitze, die in heißen Wogen auf ihn eindrang, gar nicht merkte. Mit großer Anstrengung und aus allen Poren schwitzend gelang es ihm, sich aus dem Loch herauszuarbeiten. Etwa fünf Meter von dem Loch entfernt verlief der glatte Fahrweg, deutlich mit Markierungen versehen. Es war völlig rätselhaft, wie Omar von der Piste abkommen konnte. Dass Omar möglicherweise einem Sekundenschlaf erlegen  und zu feige war, diese Schlappe zuzugeben, kam Weizenkorn nicht in den Sinn.
  In Weizenkorn stieg ein fürchterlicher Verdacht auf. Er überlegte. Da war die Verzögerung in Mazar-el-Sharein, der sie mindestens eine halbe, dann der Aufenthalt in diesem verdammten Flussbett, der sie mehrere Stunden gekostet hatte, und jetzt das. Nun wurde sein Verdacht zur Gewissheit: Omar will auf jeden Fall verhindern, dass ich Ghundum rechtzeitig erreiche! Er ist in Wirklichkeit ein Agent des Islamischen Staates! Dieser Mann ist die personifizierte Verschlagenheit!
  Den Oberst erfasste eine unbändige Wut. Du widerlicher, scheinheiliger Schleimscheißer, dachte er. Omar hatte das Seitenfenster heruntergelassen und steckte den Kopf heraus, wohl in der Absicht, dem Oberst etwas zuzurufen. Weizenkorn sah diesen dümmlich-unterwürfigen Blick aus diesen lang bewimperten, mädchenhaften Augen. Im nächsten Moment sah er eine schwarz vermummte Gestalt, die einen Stein hochhob, um damit einen Kopf – Taifans Kopf -  zu zerschmettern.   
   In diesem Moment verlor der Oberst die Beherrschung. Blitzschnell zog er die Pistole und schoss.

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nicolailevin
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Wohnort: Süddeutschland


Beitrag21.05.2019 21:02

von nicolailevin
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Servus!

Hier die nächste Ladung.

Zitat:
Der Oberst war froh, als sie diesen Hexenkessel endlich hinter sich hatten.



Zitat:
Der Mann lachte kurz auf. „Immerhin signalisiert der tote Hund da eben einen gewissen Fortschritt! ....


Den Hund finde ich gut, die Erklärung danach ist wieder zu sehr Infodump, auf so ein munteres Geplauder über die Historie der Entsorgung würde ich mich nie einlassen, wenn ich in Aufregung und höchster Anspannung durch die Abwasserkanäle wate ...

Zitat:
„Was ist“, fragte er, „haben Sie die Orientierung verloren?“ Denn er hatte den Eindruck, dass sie eine Weile sogar wieder zurück in Richtung Einstieg gegangen waren.
   Der Mann lachte hohl. „Bei Allah, das wäre unser Todesurteil“, sagte er und ging in den Gang hinein.


Hier hab ich ein logisches Problem: In Katakomben mag man sich verirren, in unterirdischen Stollensystemen detto, aber nie im Leben in einem Abwassersystem! Vielleicht weiß man nicht, wo man geografisch gerade ist, aber raus kommt man immer: Da folgt man einfach dem Wasserlauf, landet so irgendwann bei der Cloaca Maxima und wo, wenn nicht dort, wird man Einstiege für Service u.ä. finden? Und selbst wenn man da nicht rauskommt, folgt man einfach weiter dem Wasser, das ja irgendwo ins Freie muss ...

                                                              *

Zitat:
Es roch muffig nach feuchtem Holz, geöltem Metall, gewachstem Papier und Benzin.


Gewachstes Papier verströmt einen eigenen Geruch? Selbst wenn, dann kommt die Note nie durch gegen die Wucht des Benzins und des Holzes.

 
Zitat:
„Mein Name ist Nur. Ich bin einer von Taifans Brüdern.“


Aus Perspektive des Sprechenden erscheint es mir umgekehrt näherliegend - ich würde sagen: "Taifan ist meine Schwester."

Zitat:
Ein Sanitäter konnte die Wunde abbinden.“


Die Details kennt er nicht oder er sagt sie in dieser Situation nicht: "Sie wurde gerettet." oder "Die Sanitäter haben sie noch rechtzeitig gefundenn." Oder so ähnlich.

Zitat:
Sie hat mit Ungläubigen sexuell verkehrt und sich als Agentin der Amerikaner betätigt. Einige islamistische Hardliner wollen jetzt, wo der Islamische Staat ein Gebiet nach dem anderen aufgeben muss, ein Exempel statuieren und ihre Macht beweisen.“


Das hängt allen Ecken schief: 'sexuell verkehrt' ist zugleich zu technisch und zu explizit für einen taktvollen Bruder, der Rest zu infodumpig und analytisch für jemanden, der in Sorge um sie ist ...
 
Zitat:
„Wie?“ Weizenkorn begriff jetzt erst, was Nur da sagte. „Was sagen Sie? Steinigen? Mann, was reden Sie da! Steinigen wie im Mittelalter? Unfassbar!“


Der kennt doch die Gegend und die Rechtspraxis im Iran und bei den Saudis ... Da dürfte ihn die Nachricht nicht so sehr überraschen.

Zitat:
„In diesem Lande ist alles möglich, sogar die Steinzeit.“


Auch wenn's schwerfällt: Den Kalauer hätte ich mir verkniffen.
   
                                                             *
Zitat:
die Hinterteile in die Höhe gestreckt wie die Bürzel   gründelnder Erpel.


Hüstel. Vielleicht ein bisschen zu respektlos, das Bild ...

Zitat:
Ein deutscher Oberst versorgt eine Terroristenorganisation mit Waffen und Munition!


Würde der selbst von Terrororganisation sprechen?
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wunderkerze
Eselsohr
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Beiträge: 378



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Beitrag28.05.2019 11:05

von wunderkerze
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Danke, Nico.
 
                  *                                            

   Hauptmann Stephan schlug die Hacken zusammen. „Melde Herrn General, Oberst Weizenkorn ist heute morgen nicht zum Dienst angetreten!“
  „Wie? Was sagen Sie? Weizenkorn nicht zum Dienst erschienen? Saperlipopette – Donnerwetter!“ Macron wirkte reichlich unkonzentriert. Nun ja, der gestrige Abend war auch nicht ganz ohne gewesen. Er hatte zu viel Champagner getrunken, trotz seines säureempfindlichen Magens. Als interessiere ihn diese doch immerhin überraschende Mitteilung seines Adjutanten nicht sonderlich, setzte er ungerührt den Zigarillo der Marke Demoiselles de Cortega in Brand und lehnte sich wohlig zurück. „Monsieur, nehmen Sie doch Platz!“
   „Merci, Monsieur.“
   „Auch eine?“
   „Gerne!“
   „Hat er sich krank gemeldet?“ Ein Rauchkringel stieg auf.
   „Nein. Es liegt weder eine Krankmeldung noch eine Abmeldung vor.“
   „Vielleicht kommt er ja noch.“
    „Jetzt um halb zwölf?“
    Paff, paff. „Dann schauen Sie doch mal in seiner Wohnung nach!“
    „Hab´ ich schon veranlasst. Da ist er nicht.“
   Mehrere Rauchkringel stiegen auf.
    „Hmm... Vielleicht weiß ja sein Faktotum Omar, wo er sich aufhält.“
    „Auch dieser Omar ist nicht aufzufinden!“
   Das Telefon klingelte, und Stephan musste eine Weile warten, bis der General auflegte. Dann fuhr er fort: „Der Oberst und dieser Omar – den ich, wenn Sie mir die Bemerkung erlauben, für einen Erz-Spitzbuben halte – verließen gestern morgen kurz nach fünf den Stützpunkt in einem PickUp. Eine Eintragung ins Fahrtenbuch liegt nicht vor.“
   „Hmm... Curieux, tre`s curieux... Das ist allerdings seltsam, sehr seltsam... Haben Sie eine Ahnung, wohin sie gefahren sein könnten?“
    „Nicht die Geringste! Allerdings hege ich einen Verdacht.“
   „Nun?“
   „Ich weiß nicht...“
   „Heraus mit der Sprache!“
   „Ich vermute, es hängt mit dieser Taifan zusammen.“
  Durch den blauen Dunst, der mittlerweile das Zimmer erfüllte, und gedämpft durch die verschlissenen Vorhänge, quälten sich die Strahlen der Mittagssonne. Der General wedelte einen Rauchkringel beiseite und sagte: „Sie meinen eine dieser zweifelhaften Mädchen, die sich hier in der Kaserne abends herumtreiben? Wie kommen Sie gerade auf die?“
   „Diese Taifan war mit dem Obersten – äh... hmm... nun ja...“
 „Eh bien! Stephan, was reden Sie da um den heißen Brei herum! Ich weiß Bescheid! Ich bin doch nicht von gestern und habe Augen im Kopf. Weiter!“
   „Das Mädchen scheint auch verschwunden zu sein, denn seit etwa acht Tagen habe ich sie nicht mehr gesehen, und die anderen Mädchen auch nicht. Seitdem machte der Oberst auf mich den Eindruck, als bedrücke ihn etwas.“
   „Das wird wohl mit dem Anschlag zusammenhängen, der angeblich ihm galt! Da kann man schon verdammt leicht  ins Grübeln kommen!“
  „Ich glaube nicht, dass es das ist! Der Oberst ist kein Weichei, wenn Sie mir diesen Ausdruck erlauben, mon general. Er sagte mir einmal, wenn er die Möglichkeit fürchtete, ums Leben zu kommen, hätte er sich nicht freiwillig für den Einsatz in einem Bürgerkriegsland gemeldet. Nein, nein, dahinter steckt etwas anderes.“
   „So? Und was, Ihrer Meinung nach?“
   „Da bin ich überfragt!“ Stephan zuckte die Achseln und schwieg.
  Der General stieß einen letzten Rauchkringel aus, bevor er den Stummel aus dem Mund nahm und genüsslich in dem schweren Marmoraschenbecher ausdrückte. „Bon! Na schön, Hauptmann, beziehungsweise nicht schön. Wenn er morgen früh wieder nicht zum Dienst erscheint, geben Sie eine Vermisstenmeldung heraus! Hmm... Gibt es sonst noch was, das ich wissen müsste?“
   
                                                                 *


   Die Karawane bewegte sich auf einen flachen Hügel zu, der sich am Rande des Gipsfeldes erhob. Von ihm aus konnte man das leicht wellige Gelände bis hin zum Hochland von Birshan überblicken. In der flimmernden Hitze schienen Mensch und Tier in der Luft zu schweben, und Formen und Gestalten wirkten verzerrt wie diese dünnbeinigen Gestalten auf den Bildern des spanischen Malers Dali.
   Die Karawane hielt am Füße des Hügels. Sie bestand aus annähernd sechzig schwer beladenen Kamelen, einer Meute halbwilder zottiger Hunde und einer Herde Karakorumschafe, die von den Hunden auf Linie gehalten wurden, sowie aus Männern, Frauen und Kindern. Die kräftigen Erwachsenen waren zu Fuß unterwegs; nur Kinder, Kranke und Greise durften aufsitzen. Die bunten Kotshi-Westen der Frauen funkelten in der Sonne. Wäre dieser Anblick gemalt worden, wäre in Europa wahrscheinlich kaum jemand auf die Idee gekommen, dass dieses  Bild aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert stammt.
   Nach einiger Zeit ritten zwei Männer auf kleinen braunen Pferden auf die Anhöhe, um Ausschau zu halten. Sie waren bewaffnet mit Gewehr, Patronengurten und Dolch. Der eine war europäisch gekleidet mit Stiefeln, kariertem Hemd, Mantel, Hut mit weiter Krempe, Sonnenbrille, der andere nach Art der afghanischen Wüstennomaden: Sandalen, weißer Fransenturban und schwarzes, weites Gewandt. Das eine Wickelende des Turbans hing ihm bis zu den Knien.
   Von dem sandigen Hügel aus waren die Abhänge des Hochlands von Birshan als langgestrecktes blaues Band deutlich zu erkennen. Auf den ersten Blick erschien es unmöglich, in die Schluchten zwischen den hohen Felswänden, die sich wie eine glatte Mauer in etwa fünfzehn Kilometer Entfernung schroff aus der Ebene erhoben, überhaupt eindringen zu können. Und in der Tat: Es gab nur einen einzigen Pass, der durch eine eigenartige Felsformation schon von Weitem zu lokalisieren war. Dieser Durchlass war die einzige Möglichkeit, das gelobte Land von diesem Teil der Wüste aus mit einer Karawane von hundert Tieren und zweihundert Menschen zu erreichen. Die bizarre Felsformation wies den Weg.
   Doch nicht diese Spielerei der Natur schien den Mann mit dem Hut jetzt zu faszinieren, auch nicht die Gruppe kleiner Gazellen, etwa zwölf Tiere, die in einiger Entfernung in der flammenden Hitze witternd verharrten und plötzlich mit atemberaubend graziösen Bewegungen davon sprangen. Es war vielmehr ein  winziger dunkler Fleck auf der blendend weißen Fläche, die sich gegen Westen, der sinkenden Sonne zu, vor seinen Augen ausbreitete. Mit ausgestrecktem Arm wies er seinen Begleiter auf diesen unbekannten Gegenstand hin. Der Gegenstand mochte etwa  sieben oder acht Kilometer entfernt sein. Der andere Mann zog ein Fernglas unter seinem weiten Gewand hervor, betrachtete das Objekt eine Weile und gab das Glas an seinen Nebenmann weiter. Nachdem auch der anscheinend genug gesehen und mehrmals heftig mit dem Kopf genickt hatte, wendeten beide ihre Pferde und ritten heftig gestikulierend zur Karawane zurück.
  
   Der dunkle Fleck auf dem riesigen Gipsfeld erwies sich im Fernglas als eine Art Geländefahrzeug, das im Gips stecken geblieben sein musste und schon halb zugeweht war. Der Mann mit dem Hut lachte, so dass seine schwarzen Zähne zu sehen waren. „Touristen! Geschieht ihnen Recht“, sagte er, „was müssen sie auch Allahs Ruhe stören!“
   Als die beiden Männer die Sanddüne wieder herunter ritten, diskutierten sie, was zu machen sei. Sollte man einfach weiterziehen, ohne sich um das Auto zu kümmern? Dass einer der Insassen noch am Leben war, konnte so gut wie ausgeschlossen werden, denn der Wagen musste schon mehrere Tage dort gestanden haben. Und zu Fuß aus dieser Hölle zu entkommen, war so gut wie unmöglich. Nicht umsonst hieß diese Gegend Dasht-i-Margo, die Todeswüste.
   Allerdings – das Auto eines Ferangis stellte einen beträchtlichen Wert dar. Man konnte es in seine Einzelteile zerlegen und die Teile gewinnbringend in den nächsten Wochen und Monaten losschlagen. Abnehmer gab es reichlich, und gewöhnlich fragte niemand nach der Herkunft dieser Schätze.

                                                                 *
   
    Die beiden Reiter waren abgesessen und führten die Pferde am Strick. Mit langen Stangen tasteten sie den Boden ab, um nicht aus Versehen in eines dieser unheimlichen Gipslöcher zu geraten. Obwohl die weite Fläche tischeben schien, lauerten an manchen Stellen Bodenvertiefungen, in denen man zuweilen bis zum Hals im Gips versinken konnte. Bewegte man sich, wirbelte Gipsstaub auf, an dem man nach kurzer Zeit erstickte.
   Schon aus einiger Entfernung sahen sie die Gestalt im Wagen. Die letzten Schritte brachten Gewissheit: Der Mann saß in Wüstenkleidung auf dem Fahrersitz, mit offenen Augen und völlig ausgedörrt. Es schien, als grinse er. Mitten in seiner Stirn ein kleines, kreisrundes und blutverkrustetes Loch.
   Im Zündschloss steckte noch der Zündschlüssel. Der Mann mit dem Hut – übrigens der Besitzer der Karawane, ein reicher Mongole, der mit Opium- und Waffenschmuggel sein Vermögen gemacht hatte – öffnete die Tür, kletterte auf den Fahrersitz, schob die Leiche beiseite und versuchte, den Motor anzulassen. Der sprang unter Ausstoß einiger schwarzer Qualmwolken bereitwillig an. Er legte den ersten Gang ein. Es zeigte sich, dass der Wagen in einem Gipsloch steckte und sich weder vor noch zurück bewegte.
   Nun begann er, die Kleidung des Toten nach Dokumenten abzusuchen. Die Leiche war Dank der Hitze und des Umstands, dass der Gips auch noch die geringste Feuchtigkeit aus der Luft saugte, federleicht und vollständig mumifiziert. Die Haut lag stramm und rissig auf den Schädelknochen, und die ausgetrockneten Lippen waren zu einem schauerlichen Grinsen verzogen.  
  Dass der Mann tot und auch noch erschossen worden war, schien die beiden Männer nicht im geringsten zu stören. In diesem Lande, und erst recht bei Leuten, die mit der Wüste leben, gehören solche Kleinigkeiten wie ein toter Mann zum Alltag, über die man sich nicht weiter aufregt.
    Der andere des seltsamen Duos machte sich an der Ladung des Wagens zu schaffen. Sie bestand im Wesentlichen aus Benzinkanistern, Nahrungsmitteln, Werkzeug, Verbandszeug, Ersatzteilen und zwei leeren Wasserbehältern, alles aus Beständen der alliierten Streitkräfte. Und dann war da noch eine längliche Holzkiste ohne Beschriftung. Der Mann kannte diese Kisten. Deutsche Sturmgewehre des Typs G36. Grinsend legte er die Zunge zwischen seine schwarzen Zähne und schnalzte zufrieden. Dieser Glücksfund versprach reichlichen Ertrag.
   Im Handschuhfach befand sich unter anderem eine Generalstabskarte, auf welcher eine Route eingetragen war. Sie führte von Ghazani über Mazar-el-Sharein in die Ruinenstadt Ghundum, die rot umkringelt war.
   Der Mongole stieg wieder aus dem Wagen und suchte mit dem Feldstecher die Umgebung in Richtung Hochland ab. Irgendwo musste der Fahrer des Wagens stecken. Spuren gab es keine mehr. Sollte es welche gegeben haben, waren sie längst vom Winde verweht. Schließlich gab er die Suche auf. Die weiße Fläche war makellos. Somit bestand die hauchdünne Möglichkeit, dass der Mann, sollte er eine ausgezeichnete körperliche Verfassung sowie einen enormen Durchhaltewillen besitzen und ausreichend Wasser mitgenommen haben, den nächsten Aul am Fuße des Berglands erreicht hatte und nicht schon vorher in einem Gipsloch versunken war.
   In weiter Ferne zog jetzt wie ein endloses Band die Karawane dahin. Die Zeit der mörderische Mittagshitze und des grausamen Windes hatte man im Schatten der Ruinen einer der zahllosen antiken Städte verdöst. Und jetzt, da die untergehende Sonne an Kraft verlor, wanderte man in die Abendkühle hinein. Das verhaltene Stöhnen der Kamele, das Hecheln der Hunde, das Blöken der Schafe, das Klimpern der Armreife der Frauen bildete die Hintergrundmusik zu dem ungeheuren Schauspiel, das sich jetzt darbot: Der Sonnenuntergang in der Dasht-i-Margo, der Todeswüste.

   Allerdings war die Karawane nicht mehr vollständig. Außer den beiden Reitern fehlten weiterhin drei Lastkamele sowie die dazugehörigen Knaben. Jeder dieser Knaben befehligte ein Kamel.
   Die drei starken Kamele waren vollständig entladen worden, und man hatte ihnen statt dessen große Säcke umgehängt.
   Es ging schon auf Mitternacht zu, da war von dem Wagen nur noch die Karosserie übrig. Alles übrige, das man abschrauben, abklemmen, abdrehen oder sonst wie zerlegen konnte, hing, in die Säcke verpackt, über den Rücken der Tiere.
   Als sich die kleine Karawane schwankend entfernte, saß die Mumie immer noch trocken grinsend auf dem Beifahrersitz. Um wen es sich gehandelt haben könnte, konnten die Männer nicht feststellen. Der Tote hatte keine Papiere bei sich.
 
                                                            *

   Der Oberst schlug die Augen auf. Hoch über ihm ein heller Streifen, der sich zu drehen schien: Der schmale Himmelsausschnitt, den die Felswände freigaben, vom starken Mondlicht fast weiß. Eine Weile blieb er noch liegen. Seine Kehle war wie zugeschnürt, und für einen Moment war es ihm, als müsse er ersticken. Doch trotz seiner Benommenheit war ihm klar: Liegenbleiben ist keine Lösung, denn es bedeutet den Tod.
   Ächzend richtete er sich auf und angelte nach dem Wasserkanister. Leer. Wütend warf er den Behälter in hohem Bogen davon. Zum ersten Mal, seit er sich auf diese Tour begeben hatte, empfand er Verzweiflung. Doch sofort ergriffen Ehrgeiz und Stolz wieder die Oberhand. Ich darf nicht aufgeben, dachte er mit neuer Kraft, ich muss Taifan retten! Er wollte TAIFAN rufen, denn in seinem Fieberwahn bildete er sich ein, eben ihre Stimme vernommen zu haben. Doch statt des Rufs erklang nur ein gequältes Röcheln.
   Weizenkorn stand auf und setzte sich in Bewegung. Sein linkes Bein schmerzte, und in seiner Kehle brannte feurig der Durst. Stöhnend und hinkend stolperte er den ausgetretenen Pfad entlang. Da waren wieder diese Felsen, die wie lauernd Raubtiere aussahen. Nach einiger Zeit traten die Felswände in der Höhe so eng zusammen, dass es unten finster war, und er sich mit den Füßen den Weg ertasten musste.
   Allmählich tauchten vereinzelte Erinnerungsfetzen in seinem benebelten Hirn auf. Er sah sich bis zu den Hüften im Gips stecken und verzweifelt mit den Armen rudern. Gipsstaub wirbelte auf und drang in Mund und Nase. Die schneeweiße Fläche um ihn herum war taghell, obwohl es Nacht war, und endlos. Wie lange war er durch diese furchtbaren Gipsfelder gewandert? Einen Tag, zwei Tage, eine Woche? Er konnte es nicht sagen. Doch auf einmal war er auf diesen Pfad gestoßen, auf dem er frische Spuren entdeckte. Einer dieser uralten Karawanenwege, die durch halb Asien führen. Der Weg ging genau auf diese Felswand zu, die aussah, als passe keine Maus hindurch. Trotzdem war er einfach weiter gestolpert, und dann tat sich plötzlich und völlig unerwartet diese Klamm, diese schmale Felsspalte vor ihm auf. Schließlich hatte er, ausgedörrt wie er war, das Bewusstsein verloren.
     Die Felsen traten zurück, und es wurde wieder heller. Während sich seine Beine mechanisch bewegten, tauchte Omars Bild vor seinem inneren Auge auf. Deutlich sah er seine braunen Rehaugen mit den unwahrscheinlich langen Wimpern. Hatte er ihn nun erschossen oder nicht?
  Diese Frage beschäftigte  ihn eine Weile, ohne dass ihm eine klare Antwort möglich war. Genau konnte er sich nicht erinnern, denn die Bilder, die er sah, waren noch zu verschwommen. Es war ja auch alles so schnell gegangen. Wo war eigentlich seine Pistole? Aufatmend stellte er tastend fest, dass er ihn noch bei sich trug. Der Kontakt mit dem kühlen Eisen beruhigte ihn und half seiner Erinnerung auf. Jetzt sah er Omars Gesicht, Omars über die Maßen erstauntes Gesicht, kurz bevor sein Schädel vom Aufprall der Kugel nach hinten geschleudert wurde.
   Doch warum hatte er ihn überhaupt erschossen? Ach ja...
  Der Oberst schnupperte. War da nicht Brandgeruch? Dieser würzige Geruch nach glimmendem Kamelmist? Er blieb stehen und richtete die Nase in den leichten Luftzug, der durch die Klamm wehte. Es war totenstill. Doch der Brandgeruch war schon verweht.
   Also, warum habe ich Omar eigentlich erschossen?, grübelte er im Weitergehen.
  Der Grund lag jetzt klar und deutlich vor ihm. Omar hatte den PickUp absichtlich  in das Gipsloch gesteuert, um Taifans Rettung zu verhindern. Ein klarer Fall von gemeinem Verrat. Und Verrat war in Weizenkorns Augen eines der schlimmsten aller  Vergehen, wenn nicht das Schlimmste, dann das Unehrenhafteste. Sein Verdacht, Omar sei ein Handlanger des Islamischen Staates oder der Taleban, dieser berüchtigten Terrororganisationen, hatte sich als richtig erwiesen. Da hatte er in einem Anfall rasender Wut die Pistole gezogen und Omar in die verhasste Stirn geschossen.    
   Weizenkorn schüttelte verstört den Kopf. Es war unglaublich: Als Soldat hatte er nie einen Menschen getötet – und als Privatmann war er zum Totschläger geworden!  
   Mit aller Macht versuchte er, diese schwarzen Gedanken zu verscheuchen. Taifans Leben stand auf dem Spiel, und da durfte er seine Kraft nicht mit unnützen Skrupeln vergeuden. Doch sein verdammtes Unterbewusstsein ließ ihm keine Ruhe. Dieser moralische Supergau hätte auf keinen Fall passieren dürfen!, raunte es. Du hast einfach den Verstand verloren, und damit ist deine ganze Lebensphilosophie zum Teufel! Er lachte irr. Was habe ich jungen Soldaten vor dem Einsatz immer vollmundig gepredigt? Nie den  Verstand verlieren, Leute! Nie unüberlegt die Waffe ziehen, Leute, immer kühlen Kopf bewahren, Leute! Und jetzt das!
   Plötzlich, während seine Augen den Weg abtasteten, blieb er stehen. Ganz deutlich war da eben eine Stimme gewesen, das helle, unbeschwerte Lachen eines Mädchens oder einer jungen Frau. Er griff sich an die pochenden Schläfen. Taifan!, schoss es ihm durch den Kopf, Taifan lebt!
  Weizenkorn lauschte angespannt. In seiner Kehle brannte höllischer Durst, und schon längst war der letzte Schweißtropfen aus seinen Poren verdampft. Doch jetzt war wieder alles still. Und da war wieder dieser Brandgeruch, nur stärker als vorhin. Irgendwo schwelte ein Lagerfeuer. Irgendwo befand sich der Lagerplatz einer Nomadensippe oder einer Karawane. Er atmete auf. Die Karawanserei konnte nicht mehr allzu weit sein.
 Der Oberst war jetzt hellwach. Mehr noch als die Aussicht auf Wasser trieb ihn die Hoffnung an, in den nächsten Minuten Taifan wohlbehalten in seine Arme schließen zu können. Im Innersten wusste er natürlich, dass es Blödsinn war, sich an diese Hoffnung zu klammern, aber er wollte, solange es möglich war, an diese Hoffnung glauben, denn sie gab ihm neue Kraft. Also raffte er sich auf und stolperte weiter.
   Sein rechtes Bein tat ihm weh, und er hinkte jetzt deutlich. Die Schlucht öffnete sich, und vor ihm lag eine vom untergehenden Mond schwach beleuchtete Lichtung, auf der  vier oder fünf schwarze Zelte standen. Vor einem dieser Zelte kreuselte eine dünne Rauchfahne. Wieder erklang ein Ruf. Doch diesmal war es nicht die Stimme einer Frau, die der Oberst vernahm, sondern die raue Stimme eines Mannes. Sie schien von oben zu kommen.
   Weizenkorn blieb stehen und blickte auf. Die Spitzen der Felsen waren jetzt nicht mehr weiß, sondern rosa überhaucht. Die Sonne ging gerade auf. Seltsamerweise überlegte er, wie spät es jetzt sein mochte. Halb sieben? Halb neun? Dass diese Überlegung angesichts der Situation, in der er sich befand, völlig unsinnig war, ging ihm nicht auf. Er blickte auf seine Armbanduhr und stellte fest: Kurz nach sieben.
 Wieder erscholl die Stimme, doch jetzt fester, bestimmender als vorhin. Der Oberst verstand die Worte nicht, aber ihr Tonfall war unzweifelhaft drohend. Und jetzt sah er auch, woher die Rufe kamen: Auf einer Felsspitze zeichnete sich deutlich die Gestalt eines Mann gegen den errötenden Himmel ab. Er schwenkte wild gestikulierend ein Gewehr. Anscheinend hatte der Mann ihn schon eine ganze Weile beobachtet.
   Von Durst und Hunger getrieben, nahm der Oberst die Pistole, entsicherte sie und ging weiter. Er hatte jetzt nur noch ein Ziel: Das Wasserloch. Zur Not würde er sich den Weg dahin frei schießen. Doch plötzlich standen, wie aus dem Boden geschossen, drei muskulöse Gestalten mit mächtigen Schnurrbärten vor ihm, die Gewehre im Anschlag, die Patronengürtel über der stolz gewölbten Brust, an ihren Hüften baumelten blanke Dolche mit silbernen Griffen. Der Oberst schüttelte sich. Sollte er unversehens in eine andere Zeitschiene geraten sein? Inzwischen hatte er ja gelernt, dass in diesem Land alles möglich war, sogar das Unmögliche. Die mittlere der martialisch aussehenden Gestalten brüllte etwas. Die Ecke seines Gehirns, mit der er noch klar denken konnte, sagte dem Oberst, dass er bei der kleinsten falschen Bewegung ein toter Mann war. Er ließ die Pistole fallen und nahm instinktiv die Hände hoch.
  Einer dieser Berserker trat vor und nahm die Pistole auf. Auch die beiden anderen kamen mit vorgehaltenen Gewehren näher. Ihre braunen Gesichter mit den mongolischen Zügen zeigten keinerlei Regung. Weizenkorn wollte etwas sagen, doch aus seiner Kehle kam nur ein raues Krächzen. Der mutmaßliche Anführer starrte den Ferangi, den Fremden, an und erkannte, dass der kurz vor dem Verdursten war. Er murmelte etwas, und alle drei ließen ihre Gewehre sinken. Obwohl der Oberst die Sprache dieser Leute nicht verstand, so verstand er doch so viel: Sie forderten ihn auf, mitzukommen. Ihr Tonfall war jetzt freundlich, was dem Oberst jedoch entging; schon seit geraumer Zeit nahm er das Geschehen nur noch wie durch einen milchigen Schleier hindurch wahr. Er fühlte deutlich, dass seine Kräfte schwanden. Als er sich wieder in Bewegung setzen wollte, knickte er in den Knien ein. Zwei Männer sprangen hinzu und fingen ihn auf.

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nicolailevin
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Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag30.05.2019 11:51

von nicolailevin
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Hiho, hier eine Feiertagsfuhre. VG Nico.
                                                                
Zitat:
Etwa einen Kilometer vor dem Dorf Aun liegen die Ruinen des antiken Ghundum, der alten Landeshauptstadt.


Ich weiß nicht recht. Landeshauptstadt ist so ein eingefahrener technischer bundesdeutscher Verwaltungsbegriff, dass ich Scheu hätte, ihn als Synonym für "Hauptstadt des Landes" zu verwenden.

Zitat:
Der staubige Boden ist wild übersät von mächtigen Quadern, angeschlagenen Säulenbruchstücken, abgebrochenen Kapitellen, stark verwitterten Architraven und allerlei jetzt nutzlosem steinernem Zierrat.


Architraven ist auch so ein Fachbegriff, den ich nicht so ohne weiteres voraussetzen würde.

Zitat:
e schmale Straße windet sich träge entlang des ausgetrockneten Flussbettes durch diese in Stein gehauene Hybris.


Wieso Hybris? Nur weil eine prachtvolle Stadt verfallen ist?

Zitat:
daneben lag ein Haufen runder Steine von Kinderkopfgröße.


Ist das nicht ein bisschen groß? Ich mag es mir nicht antun, das zu googeln, aber so ein Trumm Stein kannst du doch kaum heben, geschweige denn auf jemanden schleudern.*

* Schreiber dieser Zeilen bezieht all sein Wissen über Steinigungen aus dem 'Leben des Brian' und gedenkt nicht, das zu ändern.

Zitat:
alttestamentarisch anmutende Gewänder gehüllt,


Hmmm. Nimm lieber "biblisch". Vor meinem inneren Auge jedenfalls sind Moses, Jakob & Co nicht anders gewandet als Petrus, Paulus & Co.

Zitat:
wie es das Gesetz des islamischen Gottesstaates verlangt,


Nach meiner Kenntnis dürfte es hier keine Abweichung zwischen religiösem und säkualrem Gesetz geben, weil es nach islamischer Theologie keine Trennung zwischen Religion und Staat gibt: Die Gebote Gottes sind für alle unmittelbar bindend und regeln Alltag und Regierung gleichermaßen.

Zitat:
   Nun griffen auch die anderen Männer zu den Steinen. Innerhalb weniger Minuten war Taifans Kopf nur noch eine breiige Masse.


S.o., aber ich würde das in Zweifel ziehen. So ein Schädelknochen ist stabil.

Zitat:
Zwei der schwarzen Teufel hatte diese Steinigung mit ihren Handys gefilmt.


Ich würde auch von einem allwissenden Autor hier mehr Zurückhaltung in der Wertung erwarten.
 
Zitat:
„Dann sagen Sie Ihrem Bekannten mal, dass ich solche Sachen nicht mache. Schließlich habe ich Frau und Kinder, denen ich Rechenschaft schuldig bin. Und wer sagt mir, dass sie kein Terrorist sind? Nach einem Touristen sehen Sie jedenfalls nicht aus.“


Mein Sprachgefühl stört sich an der Rechenschaft, speziell den Kindern gegenüber. Er hat Verantwortung, er darf sich Frau und Kindern wegen nichts Verbotenes oder Riskantes erlauben, aber Rechenschaft heißt für mich was anderes.


                                                              *  

Zitat:
zwei Kanister mit Benzin, etliche Zündkerzen,


Ich hätte jetzt erwartet, dass so ein Pickup einen Dieselmotor hat.

Zitat:
Das war viel, sehr viel für ein Land, dessen Straßennetz noch teilweise aus dem Mittelalter stammte.


Na und? Das Netz darf auch aus der Römerzeit stammen, solange die Fahrbahndecken modern sind.

Zitat:
Es war noch nicht hell, als sie Ghazani verließen. Der Oberst war schlechter Laune.


War, war. Unschöne Wiederholung.

Zitat:
Seit zwei Tagen plagten ihn Magenprobleme, deshalb hatte er heute morgen nur einen Müsliriegel gegessen und eine Tasse schwarzen Kaffee getrunken.


Kaffee mit seiner ausgeprägten Säure ist doch Gift bei Magenproblemen ...

Zitat:
Ein paar fast unbeschädigte Häuser im neogotischen Stil, sonst graue Ruinen-Hässlichkeit.


Wo kommt denn in Lampukistan auf einmal Neogotik her? Das solltest du dem Leser verraten, mir erscheints unplausibel ...

Zitat:
Seine Backen sind aufgebläht wie bei einem Trompeter.


Wieso wechselst du hier unvermutet und unbedrängt die Zeitform?
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wunderkerze
Eselsohr
W


Beiträge: 378



W
Beitrag01.06.2019 12:33

von wunderkerze
Antworten mit Zitat

Hallo Nico,
 
wenn der Leser nicht weiß, was ein Architrav ist, soll er googeln.
Zu den Gesetzen des Islam. Gottesst.: In diesem Land gibt es auch ein bürgerliches Gesetz.
Mit dem Zeitenwechsel will ich erreichen, dass sich der Leser mitten ins Getümmel begibt.
Die Steine von Kindskopfgröße. Ich habe selbst solch einen Stein ohne Schwierigkeiten hochgehoben. Das Problem liegt woanders. Ich wollte damit andeuten, dass eine Steinigung, die zum sofortigen Tod führt, möglicherweise weniger grausam ist als es eine Hexenverbrennung gewesen war. Auch die Hexenverbrenner waren Fundamentalisten. Ob ich damit richtig liege, weiß ich nicht. Bisher hat noch niemand widersprochen.
Alles andere wird akzeptiert.
Liebe Grüße.


                                                               *
   
   Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne beleuchteten die braunen Gesichter der Nomadinnen vor den schwarzen Jurten. Kein Gesichtsschleier verhüllte ihre scharf geschnittenen, aber nicht unangenehmen Züge, kein Chaderi hemmte ihre anmutigen Bewegungen. Der Bukar, das schwarze Wickelgewand, war wegen der frühen Stunde noch nicht angelegt, jetzt zierte die schlanken und biegsamen Körper ein langes, buntes Kleid. An den nackten Armen baumelten blitzende Reife, und die schwarzen Haare waren kunstvoll geflochten. Diese Nomadinnen vom Stamme der Maldari legen sehr viel Wert auf ihre äußere Erscheinung. Ihr ganzes Wesen drückte ein unbekümmertes Selbstbewusstsein aus.

   Die beiden Nomaden brachten den Oberst in eines der schwarzen Jurten-Zelte und legten ihn auf ein diwanähnliches Liegemöbel. Ein Frau brachte ihm Wasser und Brot. Die drei Männer beobachteten ihn stumm, während er trank und aß. Man zeigte keine Eile. Geduldig hockten sie auf dem mit bunten Teppichen ausgelegten Boden und warteten, bis der Fremde Anzeichen der Erholung zeigte. Ein weiterer Mann trat ein, ein bärtiger Hüne mit imposanter Bewaffnung. Er betrachtete den Fremden kurz, nickte ihm zu und setzte sich zu den anderen.
   „Ich bin Feisal Schariff“, sagte der Neuankömmling nach einer Schweigeminute. Er meinte, der Ferangi habe sich nun genug erholt. „And who are you, foreigner?“
   Der Hüne sprach höflich und in gut verständlichem Englisch. Der Oberst blickte ihn an. Der Mann mochte etwa vierzig, fünfundvierzig Jahre alt sein. Freundlich wiederholte er seine Frage, als Weizenkorn nicht sofort mit der Antwort herausrückte. Um seine Augen lag ein wachsamer Zug.
  Weizenkorn befand sich jetzt in einer ausgesprochen misslichen Situation. Konnte er diesen Leuten hier trauen? Sollte er wahrheitsgemäß Namen und Dienstgrad nennen? Ihm war natürlich bekannt, dass manche Karawanenführer mit dem IS oder anderen Terrormilizen kooperierten, um beim Durchzug durch besetztes Gebiet keine Schwierigkeiten zu bekommen. Wieder andere steckten mit den Beamten der National Border Police, unter einer Decke, die wiederum mit den Taleban kooperierten. So hieß es wenigstens. Die Regierung erwies sich als machtlos, denn die Behörden vor Ort waren in der Regel korrupt – zu einträglich war das Geschäft mit Waffen und Rauschgift. Und ein Oberst der alliierten Streitkräfte in den Händen dieser Burschen wäre geradezu so gut wie ein sechsstelliger Lottogewinn gewesen.
   Um Zeit zu gewinnen, bewegte der Oberst mit schmerzverzerrtem Gesicht das rechte Bein ein paarmal hin und her. Dabei fiel ihm ein, dass der Mann ihn nicht nach seinem Namen gefragt hatte. Deshalb sagte er ausweichend: „Ein Tourist, ein Durchreisender. Ein Genussbummler. Dummerweise ist mein Landrover in einem Gotschfeld stecken geblieben.“ Er versuchte zu lächeln. „Nun ja, Dank eurer Hilfe bin ich noch nicht verdurstet.“  Er sah den Hünen offen an und setzte hinzu: „Ich danke euch!“
   Feisal Schariff nickte würdevoll. „Wir nehmen deinen Dank an, Fremder.“
   Einer der Männer räusperte sich und sagte etwas. Feisal übersetzte. „Muhammed fragt: Wo ist denn dein Begleiter? Oder bist du etwa alleine durch die Todeswüste gefahren?“
  Oha, jetzt wird es brenzlich, dachte der Oberst. Natürlich fährt niemand alleine durch die Todeswüste, es sei denn, er will darin umkommen! Aber er hatte einen Großteil seiner Geistesgegenwart wiedergewonnen.
    „Doch, doch, ich bin alleine gefahren“, sagte er fest, „alleine durch die Todeswüste. Ja, ja, da staunt ihr! Das macht mir so schnell keiner nach!“ Er senkte die Stimme, als verrate er ein großes Geheimnis. „Ihr müsst nämlich wissen, ich bin Extremsportler. In Marokko habe ich mehrmals an einem Wüstenmarathon teilgenommen und lief immer als einer der ersten Läufer durchs Ziel.“ Ein bisschen Übertreibung kann jetzt nicht schaden, dachte er. „Ich weiß also, wie man trotz großer Hitze und körperlicher Anstrengung mit einem Minimum an Wasser auskommt. Es ist nicht nur ein physisches Problem. Genau so wichtig wie Wasser und Brot ist der Wille zum Sieg.“
   Die vier Zuhörer nickten begeistert, Feisal Schariff schmunzelte sogar. Für eine gute Geschichte waren sie immer zu haben, auch wenn sie den Verdacht hegten, dass der Erzähler flunkerte. Denn über Wasser und Wüste konnte ihnen so leicht niemand etwas vormachen. Wichtig nur,  die Geschichte war gut erzählt.
  Der Oberst nahm das Kopfnicken für Zustimmung und fuhr mutig fort: „Ja, ich weiß, was Sie sagen wollen. Die Todeswüste gilt als die lebensfeindlichste Wüste der Welt – kein Tier, keine Pflanze, kein Wasserloch, und dann dieser ewige, entsetzliche Wind – sie war für mich eine Herausforderung, der ich nicht widerstehen konnte. Ich wollte mir einfach beweisen, dass ich es noch wüstentauglich war. Ja, das ist das richtige Wort: Wüstentauglich! Ich wollte wieder diesen ultimativen Kick erfahren, dieses wahnsinnige Gefühl, wenn du meinst, es geht nicht mehr weiter, und es geht dann doch noch weiter! Und dann, ja, dann wollte ich natürlich auch die weltberühmten White Sands sehen.“ Der Oberst schaute etwas bedrückt drein und log tapfer weiter. „Allerdings wusste ich nicht, dass man den Gotsch bei Mondschein nicht von normalen Wüstenboden unterscheiden kann.“   
  Weizenkorn schwieg, und für ein paar Minuten sagte keiner ein Wort. Schließlich bemerkte Feisal Schariff ziemlich zusammenhanglos: „Nun gut, Mister, genug geflunkert. Wir dachten schon, du seist jemand von der Regierung oder der Internationalen Allianz, der uns unseren Alten wegschnappen will.“
  Der Oberst lachte unangenehm berührt. „Feisal Shariff, ich bitte dich! Wie kommst du denn darauf? Warum sollte sich denn jemand von der Allianz, noch dazu alleine, in diese gottverlassene und kochend heiße Gegend begeben? Das käme ja einem Selbstmordversuch  gleich!“
 Aus dem Hintergrund der Jurte erscholl plötzlich ein seltsam ziegenartiges Gemecker, aus dem der Oberst mehrmals undeutlich das Wort Mudschahidin heraushörte. Kurz darauf humpelte ein krummer Greis herbei, der bisher vom Oberst unbemerkt in einer dunklen Ecke gekauert hatte. Er ging auf Weizenkorn zu und hüllte ihn in eine weiteren unverständlichen Wortschwall ein.
  Einer der Berserker erhob sich, legte dem Greis die Hand auf die Schulter und führte ihn wieder auf seinen Platz zurück.
   „Was wollte er?“, fragte Weizenkorn.
 „Amir Sadeq ist ein alter Mudschahidin-Kämpfer, und er wollte auch eine Geschichte erzählen – seine Geschichte, und eine wahre Geschichte. Er versteht etwas Englisch, und dein suicide attempt eben hat ihn dazu animiert.“
   „Und warum lasst ihr ihn nicht?“
   „Wir kennen sie schon. Und außerdem: Verstehst du unsere Sprache?“
   „Nein.“
 Ein junges Mädchen kam herein und stellte eine Schale mit Früchten und Melonenscheiben auf den Tisch. Sie trug kurze Zöpfe und ein rotes Kleid als Zeichen, dass sie noch unverheiratet war.
  Einer der Männer forderte den Oberst auf, sich aus der Obstschale zu bedienen. Weizenkorn nahm mit zittrigen Fingern eine Melonenscheibe und aß so hastig, dass ihm der Saft das Kinn hinuntertropfte.
       
   „Nun zu dir, Fremder. Wohin willst du?“
   Feisal Schariffs dunkle Stimme klang gleichgültig, fast gelangweilt, so, als habe er nur aus Höflichkeit gefragt und sei an einer Antwort eigentlich nicht wirklich interessiert. Doch der Oberst ließ sich nicht täuschen. Er traute dem Frieden nicht. Feisal Schariff begann auf eine unverfänglich-höfliche Art, ihn zu verhören. Sozusagen mit gebremstem Schaum.
   „Ach, eigentlich wollte ich über die Talenge von Salangar ins gelobte Land von Pashtun-Zhorga“, log er ziemlich blumig.
   „Pashtun-Zarghun!“, verbesserte einer der Leibwächter.
  „Ja natürlich! Pashtun-Zarghun! Aber irgendwie bin ich vom Wege abgekommen und habe den Pass verfehlt... Nun ja, sonst wäre ich ja auch nicht hier und müsste eure Gastfreundschaft in Anspruch nehmen.“
   „Allah wollte es so, und es ist gut so“, sagte Feisal.
   Von irgendwoher erklang das Schnauben eines Pferdes, und kurz darauf betrat ein Mann mit Reitstiefeln an den Füßen das Zelt. Er sah ziemlich verschwitzt aus und bat den Feisal Schariff aufgeregt nach draußen. Der Oberst hörte die beiden eine Weile angestrengt flüstern, dann kam Feisal wieder zurück und setzte sich. Er blickte den Oberst herausfordernd an und sagte: „Ich glaube dir kein Wort, Mister. Du lügst. Du bist kein Tourist. Außerdem liegt Pashtun-Zhorga nicht auf dieser Route. Wer bist du, und wohin willst du wirklich?“
   Weizenkorn brauste auf. „Du wagst es, mich einen Lügner zu nennen? Nennst du das Gastfreundschaft?“
   „Die Wahrheit, nicht die Lüge ist die Schwester der Gastfreundschaft. Also rede! Wer bist du? Und wohin willst du?“
   „Warum zum Teufel willst du das wissen? Ich bin ein freier Mann und kann gehen wohin ich will!“
   „Jetzt nicht mehr. Jetzt bist du nicht mehr frei! Also, rede!“
   „Ich sagte es bereits: Ein namenloser Tourist, der sich verirrt hat. Auch wenn ich dir einen Namen nennen würde, was würde es nützen? Er könnte ja falsch sein. Und lügen will ich nicht.“ Auf keinen Fall durften sie wissen, wer er war. Er war als 'scharfer Hund' verschrien, und möglicherweise war sein Name hier nicht unbekannt. Und dann in den Händen von Terroristen – nicht auszudenken.
  „Dass du nicht lügen willst, ehrt dich. Trotzdem: Wer bist du? Meine Kundschafter haben in einem Gotschfeld das Wrack eines Autos mit einer vertrockneten Leiche darin entdeckt. In der Stirn der Leiche steckt eine Kugel. Und im Magazin deiner Pistole fehlt eine Patrone. Ein seltsamer Zufall, findest du nicht auch, Mister no name?“
   „Das Leben ist voller Zufälle, Sir, und kein Wunschkonzert! Wer sagt dir, dass die Kugel aus meiner Pistole stammt? Es gibt viele Pistolen in diesem Land, mehr als genug!“
   „Fremder, werde nicht unsachlich und halte uns nicht für dumm! Die Kugel und deine Waffe sind bereits auf dem Weg zur Kriminalpolizei in Heriat. In spätestens zwei Tagen haben wir den Befund.“
  Doch der Oberst hatte sich wieder vollständig in der Gewalt und zeigte keinerlei Anzeichen der Erregung. Noch hatten sie keine Beweise, und ohne stichhaltigen Grund konnten ihn nicht einfach in dieser Jurte festhalten, wie diesen Alten da. Denn noch stand er unter dem Schutz der Gastfreundschaft und konnte sich frei bewegen. Aber sie würden ihn daran hindern, das Lager zu verlassen. Für sie war das kein Problem, aber für ihn. Immerhin  hatte er zwei Tage Zeit, das Problem zu lösen. Und bis dahin musste es gelöst sein, wie auch immer. Sonst war er erledigt.
   Feisal Schariff beugte sich vor und blickte dem Oberst ins Gesicht. „Deine Waffe ist eine HK P30 der deutschen Bundeswehr. Wohl auch ein Zufall, was?“
   „Du sagst es! Solche Selbstladepistolen kann man dutzendweise auf dem Bazar in Ghazani kaufen.“
   „Aber nicht mit deinen Fingerabdrücken!“
   Weizenkorn lachte gepresst. „Sahib, du bluffst! Woher willst du wissen, dass die Kugel aus meiner Pistole stammt? Hast du hier ein kriminaltechnisches Labor? Jeder kann den Mann erschossen haben! Auch die Todeswüste ist nicht so menschenleer, wie es auf den ersten blick erscheint!“
    „Du weichst aus! Ich frage dich noch einmal: Wer bist du, und wohin wolltest du?“
   „Warum sollte ich dir das sagen? Ich bin ein namenloser Tourist, und das Ziel meiner Reise geht nur mich etwas an! Und damit basta!“
  Feisal Schariff schüttelte unwillig den Kopf. „Bei Allah! Du solltest etwas höflicher zu mir sein, Fremder! Schließlich sprichst du nicht mit irgend jemanden, sondern mit dem Schariff dieses Nomadenstammes!“
   Mit dem Schariff!  Natürlich! Der Mann da heißt nicht Feisal Schariff, er ist Schariff Feisal!
   Jetzt erinnerte er sich. Die Bezeichnung Schariff,  mit dem sich kleine lokale Stammesfürsten gerne anreden lassen, bedeutet soviel wie unumschränkter Herrscher.
  Und diese drei schwer bewaffneten Berserker mit den unbewegten Gesichtern sind seine Bodyguards, dachte der Oberst bestürzt.
   Ihm fiel ein Ausspruch Müllers ein. „Die administrative Entfernung zwischen Ghazani und dem wilden Yaghestan“ – er meinte die gebirgigen Ostprovinzen – „diese knapp dreihundert Kilometer, ist größer als die von Moskau nach Wladiwostock.“
    Weizenkorn unterdrückte einen saftigen Fluch. Er war diesem Mann mit Haut und Haar ausgeliefert, und auf Hilfe von außen konnte er nicht hoffen. Noch nicht einmal eine Waffe hatte er, um sich zu verteidigen. Es war bizarr! In diesem Land, in dem es von Waffen aller Art wimmelte besaß er noch nicht einmal einen popelige Pistole! Und ohne Waffe galt ein Mann hier nicht nur als wehrlos, sondern auch ls ehrlos. Dass sie überhaupt noch mit ihm sprachen, war ein Wunder. Sie hätten ihn doch einfach vor das Camp schleppen und eine Kugel in den Kopf jagen können.
  Wieder ließ sich Pferdegetrappel vernehmen. Der Möchtegern-König stand auf und ging hinaus. Als er nach wenigen Minuten wieder herein kam, grinste er zufrieden. Er baute sich breitbeinig vor Weizenkorn auf, blickte süffisant auf ihn herab und sagte dröhnend: „Du bist weder ein Extremsportler, der den ultimativen Kick sucht, noch ein Genussbummler, den die White Sands interessieren, Mister! Du bist der Oberst Friedrich Weizenkorn von der Militärbasis in Ghazani, und der Tote ist Omar Nazrulla, dein Sekretär. Heute morgen traf in der Polizeistation von Heriat eine Vermisstenmeldung ein.“

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von wunderkerze
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   Der Oberst merkte, wie ihm das Wasser den Rücken herunterlief. Es war nicht nur die Temperatur, die ihm den Schweiß aus allen Poren trieb. Obwohl durch die große Jurte ständig ein sanfter Luftzug wehte, herrschte unter den schwarzen Planen mittlerweile eine regelrechte Backofenhitze. Es ging auf Mittag zu, die Sonne stand fast senkrecht über dem Lager.
  Zwei Frauen nahmen die Eingangsplane hoch und banden sie zwischen zwei Pfählen fest. Dann hingen sie zu beiden Seiten Teppiche auf, sodass eine Art luftig-kühler Vorhof entstand, in dem es sich aushalten ließ. Der Stammeschef forderte Weizenkorn auf, dort Platz zu nehmen. Es selbst und zwei seiner Leibwächter verließen die Jurte, um auf freiem Feld das zweite Morgengebet zu verrichten, der dritte blieb als Bewachung zurück.
    Der Oberst saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem zerschlissenen Teppich vor dem Zelt. Gedankenschwer blickte er ins Weite. Er gab sich keinen Illusionen mehr hin.  
   Wenn nicht doch noch ein Wunder geschah...
   Für einem kurzen Moment wurde ihm schwarz vor den Augen. Sollten sie wirklich herausfinden, dass er einen ihrer Glaubensbrüder erschossen hatte – und das war im Grunde nur eine Frage der nächsten zwei Tage – war er in nicht allzu langer Zeit ein toter Mann. Blutrache war neben der Gastfreundschaft in diesem Lande immer noch eine der stärksten gesellschaftlichen Kräfte, wenn nicht die stärkste. Doch der Gedanke an den Tod schreckte ihn nicht. Den Tod war für ihn ein Risiko, so etwas wie ein Kollateralschaden, den sein Beruf eben mit sich brachte. Er dachte: Auch Polizisten und Taxifahrer werden in diesem Lande auf offener Straße umgebracht. Keiner regt sich darüber noch besonders auf.
   Nein, da war etwas anderes, das ihm die Haare zu Berge stehen ließ. Er fürchtete die Art, wie sie ihn wahrscheinlich umbringen würden. Dieser Möchtegern-König von eigenen Gnaden konnte mit ihm machen, was er wollte.
  Im Internet kursierte ein Video, das die Hinrichtung eines angeblichen oder wirklichen Mörders durch Mitglieder eines Nomadenstammes zeigte. Dagegen war die Steinigung von Ehebrecherinnen fast noch human. Omar hatte es ihm gezeigt, um ihn von der Fahrt nach Ghundum abzubringen.
  Weizenkorn sah sich am Boden liegen, Arme und Beine an vier Pflöcken festgebunden. Der Stammesälteste beugte sich mit versteinertem Gesicht über ihn. Unter dem Beifall der Menge begann er, ihm langsam den Kopf vom Rumpf zu säbeln. Omar hatte dieses grausige Geschehen noch um einige neckische Details ergänzt: Anschließend würden sie ihm die Kronjuwelen abschneiden und an irgendeine Haustür nageln. So würde im wilden Yaghestan immer noch mit Mördern verfahren – nicht unbedingt immer und überall, aber anscheinend immer noch hier und da, hatte Omar versichert. Und wer sagte ihm, Weizenkorn, dass sie nicht genau das mit ihm vorhatten? In einer Gegend, wo Steinzeit auf Laptop trifft? Dass das Video zwar echt und doch ein Propagendaerzeugnis war – das Blut war wirkliches Blut, aber der Mann war zu diesem Zeitpunkt schon seit zwei Stunden tot, erschossen – , auf die Idee war der Oberst allerdings nicht gekommen. Wie sollte er auch!
   Und noch etwas anderes bereitete ihm erhebliches Kopfzerbrechen. Im Tresor seines Dienstzimmers lagen die drei Giftgas-Osterhasen, mit denen er als Vergeltung für den Tod Taifans den SaI aus seinen unterirdischen Stellungen wie widerliche Ratten vertreiben wollte. Nicht auszudenken, wenn dieses Teufelszeug in falsche Hände geriet und zum Einsatz käme! Man würde die internationale Allianz sofort bezichtigen, einen Giftgasangriff durchgeführt zu haben. Das wäre der Supergau für das Ansehen des Westens und das Schlimmste, was der deutschen Sektion passieren konnte!
   Zumindest diese Sorgen war unbegründet. Der Oberst wusste nicht, dass ihn der stieräugige Nur hereingelegt hatte. In den Osterhasen war harmloses Lachgas.  
   
  „Ja, dieser Anblick ist fantastisch! So oder so ungefähr muss es im Paradies ausgesehen haben!“
   Feisal Schariff war, vom Oberst unbemerkt, zurückgekehrt. Er ließ sich jetzt neben ihm nieder. Anscheinend hatte er Weizenkorns nach innen gerichteten Blick gründlich missverstanden und als schwärmerische Naturbetrachtung gedeutet.
   „Wie... Was? Paradies...? Ach so!“, stotterte der Oberst, aus seinen Gedanken gerissen. Schwärmerische Naturbetrachtung war das letzte, wonach ihm jetzt der Sinn stand. Auch in weniger angespannter Lage war Natur für ihn im wesentlichen nichts anderes als der Raum zwischen zwei Militärstützpunkten. Und doch...
   „Ja“, sagte er, „die schroffen Gegensätze diese Landes haben mich immer wieder begeistert. Unerträgliche Hitze im Sommer und nasskaltes Schneetreiben im Winter; dort, keine zehn Kilometer entfernt, die Todeswüste, hier: Das Paradies. Ähnliches gibt es auf der Welt wohl kein zweites Mal.“
   „Das Paradies, der alte Menschheitstraum“, fuhr Feisal fort, um seinem 'Gast' Zeit zu geben, sich zu sammeln, „Paradies bedeutet: Ummauerter Garten. Hier sind es eben keine Mauern, sondern schroffe Felswände.“
   In der Tat, der Anblick war fantastisch. Das dunkle Blattwerk der Pappeln am Rande der Wasserstelle kontrastierte überraschend scharf mit dem blendend weißen Hintergrund der Felsen. Ein dünner Wasserstrahl sprang aus einer Felsnische und speiste den Teich. Im Hintergrund lagen friedlich die Tiere, und über allem wölbte sich ein makellos blauer Himmel.  
   „Es kommt auf´s Gleiche heraus“, meinte der Oberst zerstreut, „Mauern oder Felswände – schwer zu überwindende Barrieren.“
   „Nur für den, der nicht den rechten Weg kennt!“
   „Du kennst ihn?“
   „Ja.“
    Der Oberst blickte auf. „Welchen Weg meinst du? Etwa deinen Glauben?“
   „Auch, aber nicht nur. Ich meine den Weg der Karawane.“
   „O great chief,  das verstehe ich nicht.“
   Feisal Shariff überlegte eine Weile, bevor er weitersprach. „In der klaren Luft der Wüste“, sagte er dann, „schrumpfen nicht nur die Entfernungen zwischen den Dingen, sondern auch zwischen dir und Gott. Mit bestürzender Klarheit erkennst du: Gott ist ganz nahe, er beschützt deinen Weg. Es ist der Weg der Bescheidenheit und des Glaubens. Es wäre besser um die Welt bestellt, wenn es mehr Karawanen gäbe. Der Mensch erobert den Weltraum und ist dabei, die Erde zu verlieren.“
 „Nun ja, das mag schon sein... Aber wie kommt es dann, Sahib, dass deine eigenen Glaubensbrüder mit Lastwagen durch die Wüste ziehen? Wäre es möglich, dass du mit deiner Einstellung ziemlich allein dastehst?“
    Der Chefnomade seufzte herzhaft. „Da hast du leider nicht ganz Unrecht, Colonel. Viele Karawanenchefs benutzen heutzutage technische Hilfsmittel, einige fahren  schon mit Geländewagen und Mopeds durch die Wüste. Doch alles hat seinen Preis. Nach einem Sandsturm ist die Piste an vielen Stellen knietief zugeweht, die Wagen bleiben stecken, oder die Luftfilter stauben zu. Weißt du, unser einfaches Leben ist alles andere als romantisch. Bist du schon einmal von einem Sandsturm überrascht worden? Du kannst dich wie eine Mumie verhüllen – nach einiger Zeit fühlt sich dein Körper an, als sei er von Tausend spitzen Pfeilen getroffen. Und solltest du dir aus Versehen den Hals kratzen, weil er unerträglich juckt, kannst du dir ein tödliche Infektionskrankheit zuziehen. Und wiederum, in den Hochtälern des Pamir, eisige Kälte, die dir bis auf die Knochen geht und dir die Tränen in die Augen treibt.“
   „Nun ja, ich denke, die Freiheit ist euch mehr wert als eine staubfreie und warme Behausung.“
   „Sicherlich. Aber unser Ältestenrat hat sich nicht nur deshalb entschieden, an der traditionellen Lebensweise festzuhalten. Auch unser Outfit ist ja keineswegs noch landesüblich. Einige Leute bei der Regierung mit Weitsicht haben sich bei der UNESCO für den Titel Weltkulturerbe Zentralasiatische Karawanen eingesetzt. Meinen Internetauftritt findest du, wenn du willst, unter dem Stichwort Die Karawanen des Feisal Shariff. Sollte dieser Krieg einmal vorbei sein, könnte dieses Projekt ein Touristenmagnet werden.“
   „Wie viele solche Karawanen gibt es denn hier noch?“
   „O, du wirst staunen, noch eine ganze Reihe. Meine beiden, die beiden meines Bruders, und etliche, die reichen Geschäftsleuten und Politikern gehören. Manche kaufen sich einen Fußballclub, andere sponsern lieber eine Karawane, weil sie sich davon mehr Rendite erwarten.“
   Genug geschwatzt, dachte der Oberst, kommen wir  endlich zur Sache. Er wollte Klarheit darüber haben, wo er bei diesem Menschen letztendlich dran war. Dessen schöngeistiges Gerede beeindruckte  ihn überhaupt nicht.
   „Du erwähntest eben den Weg der Karawane“, sagte er. „Gestern ist in Ghundum eine junge Frau gesteinigt worden. Gehören solche Grausamkeiten auch zu dem Weg, den Allah dir und deinen Glaubensbrüdern weist?“
   Zunächst schien es, als wolle Feisal Shariff die Antwort verweigern. Doch schließlich sagte er: „In Ghundum, in der antiken Ruinenstadt? Ja, ich habe davon gehört! Glaube mir, Colonel, Sir, ich schäme mich dafür! Ich verabscheue solche Praktiken!“ Es klang ehrlich betrübt. „Außerdem sind solche Hinrichtungen heute verboten. Die Regierung – “
  „Die Regierung!“ Weizenkorn lachte trocken. „Die Regierung ist weit weg und anscheinend machtlos wie ein Papiertiger!“ Er war wütend. „Allein die Tatsache, dass es geschehen konnte, zeigt, wie gering der Einfluss der Regierung schon in dreihundert Kilometer Entfernung von der Hauptstadt ist! Und bis zur Grenze nach Indien sind es siebenhundert Kilometer! Niemand weiß, was bis dahin alles passieren kann.“
 „Das waren Leute vom Kalifat im Rückzugsgebiet des IS. Diese Leute sind vom Weg der Karawane abgekommen  und gehen in die Irre!“
   Allmählich wurde es Weizenkorn zu bunt. „Feisal Schariff!“, brauste er auf, „rede bitte Klartext! Lippenbekenntnisse reichen mir nicht.“ Er sprach jetzt ziemlich laut. „Kooperierst du mit irgendeiner Terroristenorganisation?“
   Die Leibwächter, die sich bisher still im Hintergrund gehalten hatten, kamen drohend näher. Sie wurden jedoch durch einen Wink ihres Chefs wieder zurückgescheucht.
   „Das ist nicht so einfach zu erklären“, wandte der Shariff müde ein.
   „Versuch es trotzdem!“
  Der Stammeschef wich dem Blick Weizenkorns aus. „Nun ja... Wir sind gezwungen, durch das Gebiet des IS zu wandern, und da müssen wir gewisse Zugeständnisse machen“, gestand er ziemlich kleinlaut.   
   „Verstehe ich nicht. Warum wählt ihr nicht eine andere Route?“
   Vom Zeltinneren erklang wieder das bekannte Greisengemecker. Der Alte hörte mit und verstand offensichtlich einiges.
   „Warum lacht der Alte?“, fragte der Oberst verunsichert, „hab´ ich etwas Falsches gesagt?“
   „Verzeih, Sahib, er lacht über deine heilige Einfalt! Niemand kann uns zwingen, den gewohnten Weg nach Indien, den mein Stamm vermutlich schon seit zweitausend Jahren zieht, zu verlassen und einen anderen Weg zu wählen. Noch nicht einmal eine Terroristenorganisation wie der Islamische Staat! Außerdem kämen wir vom Regen in die Traufe. Wir müssten dann durch das Gebiet der Taleban.“
   „Hmm... Das wusste ich nicht... Aber du hast meine Frage noch nicht beantwortet,  Schariff, Sir.“
   „Der weise Sufi Bhara-ul-Dhin sagte einmal: Verachtet jene, die den Namen Allahs missbrauchen, und treibt mit ihnen Handel zu ihrem Schaden. Genau das machen wir. Wir liefern ihnen Waffen, Munition, Ersatzteile, Medikamente und noch einiges mehr. Dafür lassen sie uns unbehelligt durchziehen...“
    Von hinten erklang jetzt ein geradezu bukolisches Gelächter. „The blue pills, the blue pills!“, fistelte der Alte.
   „Was hat er denn nun schon wieder?“, fragte Weizenkorn genervt, „was meint er mit blue pills?“
   „Er meint Potenzmittel!“
   Der Oberst sah ziemlich verdattert aus, und Feisal Shariff lachte ungehemmt.
  „Bei Allah!“ rief er, „heute glaubt kaum ein islamistischer Kämpfer mehr an die zweiundsiebzig Jungfrauen im Himmel! Viele glauben noch nicht einmal an Gott! Entschuldige! Sie entführen Frauen, weil sie den Versprechungen der Imame nicht vertrauen. Einige stellen dann fest, dass es ihnen an der nötigen Manneskraft fehlt. Es ist überall auf der Welt das gleiche mit den Männern. Wir liefern die Pillen bis nach Indien! Eine unserer Haupteinnahmequellen. Du schüttelst den Kopf. Sieh es doch mal so, Sahib: Seit es diese Pillen gibt, werden nicht mehr so viele Nashörner geschossen. Die Pillen sind eine Art Tierschutz. Alles auf dieser Welt hat zwei Seiten.“
   „Na schön! Aber bisher sehe ich nicht, inwiefern dieser Handel zum Schaden derer ist, die den Namen Allahs missbrauchen, wie dein Sufi so trefflich formulierte.“
   „Wir liefern den Terroristen deutsche G36-Gewehre. Du weißt, dass diese Gewehre bei hohen Temperaturen an Zielgenauigkeit verlieren. Und bei den blue pills handelt es sich um chinesische Levitra-Imitate, die fast wirkungslos sind. Außerdem macht ihr hoher Gehalt an Amphetaminen süchtig und vermindert so die Kampfbereitschaft. Du siehst, Sahib, wir handeln ganz im Sinne des weisen Sufi.“
   „Dieser Schwindel fällt nicht auf?“
   „Warum sollte er? Die wenigsten IS-Kämpfer sind Meisterschützen! Und das mit den Potenzpillen – nun ja... Wer nagelt schon seinen Kontostand an die Haustür!  Warum grinst du?“
   „Auch ich hatte G36-Gewehre im Gepäck! Alle mit leichten Ladehemmungen.“
   Der Chefnomade sah den Oberst erstaunt an.
   „Du vermutest richtig, ich wollte nach Ghundum“, sagte der Oberst.
   „Das heißt, du kanntest die Frau?“
  „Mehr als das! Die gesteinigte Frau war meine... äh... Freundin. Jemand hatte mir eingeredet, ich könne sie gegen Waffen und Munition freikaufen. Dann fuhr dieser verfluchte Halunke Omar den Wage in das Gotschloch, und wir saßen fest. Er behauptete, jemand habe die Wegmarkierungen versetzt. Aber das war eine Ausrede. Der Mann kannte sich aus. Er war ein Agent des IS. In einem Anfall rasender Wut zog ich meine Pistole und erschoss ihn. Ich weiß, das war dumm von mir. Ein Mann sollte immer Herr seiner Handlungen bleiben. Aber nun ist es geschehen.“ Der Oberst biss sich auf die Lippen. „Was hast du nun mit mir vor? schließlich habe ich einen deiner Glaubensbrüder umgebracht.“
   „Du sagtest, der Mann war ein Agent des IS?“
   „Nun ja, genau weiß ich es nicht, aber ich nehme es doch stark an! Anders kann ich mir seinen Verrat nicht erklären.“
   „Und deine Tat geschah aus Liebe und nicht aus Habgier oder Eifersucht.“
   „You say so!“
   „Hmm... Ich werde mich mit den Stammesältesten beraten und dann meinen Spruch fällen. Bis dahin muss ich dich bitten, das Lager nicht zu verlassen.“
  Der Oberst sah den Shariff eindringlich an. „Feisal, sage mir, hast du vor, mich töten? Dann solltest du wissen, dass mir seit Taifans Tod das Leben nichts mehr bedeutet. Nimm einfach dein Gewehr und erschieß mich. Alles andere wäre unnütze Zeitverschwendung. Trotzdem wüsste ich gerne, woran ich bin.“
  „Gerade sagtest du, dein Leben sei dir nichts mehr wert! Und dann diese Ungeduld! Wie soll ich das verstehen?“
   „Bevor ich sterbe, habe ich noch eine wichtige Mission zu erfüllen.“
   Der Shariff lächelte schwach. „Na gut, du Missionar! Ich werde im Rat ein gutes Wort für dich einlegen, und wie üblich wird man meinem Votum folgen. Allerdings, ein kleines... hmm... sagen wir: Ein kleines Entgegenkommen deinerseits könnte meinem Plädoyer die nötige Überzeugungskraft verleihen.“  
   „Willst du Geld? Ich habe nichts mehr. Mein Geld ist vermutlich schon beim IS.“
   „Nein, ich will kein Geld! Von Geld wird man nicht gesund. Komm. Ich zeige dir etwas!“
   Der Shariff führte den Oberst zu einer Jurte, in der eine Frau unbestimmbaren Alters auf einer Pritsche lag und mit offenen Augen an den schwarzen Zelthimmel starrte. Zwei Frauen, die neben der Pritsche hockten, entfernten sich, als die Männer eintraten.
   „Meine Frau Shochda“, erklärte der Shariff bedrückt. „Sie liegt in schwerem Opiumrausch. Vor drei Tagen trat ihr ein Pferd in den Rücken. Seitdem kann sie nicht mehr richtig gehen und hat starke Schmerzen. Sie braucht ein Schmerzmittel, das besser wirkt als unser Opium und ihren Geist nicht so trübt. Hier ist so etwas noch nicht einmal auf dem Schwarzmarkt zu haben.“
   Der Oberst überlegte kurz und sagte: „Die Garnison in Ghazani besitzt eine Krankenstation, in der solche Präparate vorrätig sind. Gib mir dein Handy, und ich rufe dort an.“
   „Das wird nicht gehen! Wir sitzen hier in einem riesigen Funkloch! Aber im nächsten Dorf, in Grishke, ist ein Telekom-Büro. Du könntest von dort aus anrufen und das Präparat dorthin beordern.“
   „Hmm... Das wäre eine Möglichkeit... Ich müsste sowieso langsam mal ein Lebenszeichen von mir geben. Sonst ordnen sie noch Staatstrauer an!“ Der Oberst lachte rau.
   Doch der Scherzversuch kam nicht so recht an.
 „Wir brechen bei Sonnenuntergang auf! Wir sind dann am anderen Morgen in Grishke“, sagte Feisal ernst. „Colonel, ruh dich jetzt aus.“

                                                               *
 
    Doch  Weizenkorn war zu erregt, um sich jetzt ausruhen zu können. Stattdessen raffte er sich auf und besichtigte das Lager. Dabei kam er – ob rein zufällig oder absichtlich, wusste er selbst nicht – in die Nähe der Frauenzelte. Eine junge Frau, die vor einer Jurte saß und ihn schon von weitem kommen sah, sprang auf, lief ihm entgegen und sprach ihn auf Englisch an. „Kommst du mit in mein Zelt?“
  Der Oberst blickte das junge Ding ziemlich verwirrt an. Das Mädchen mochte sechzehn, siebzehn Jahre zählen. Es hätte seine Tochter sein können, wenn er denn eine gehabt hätte. Ihre geschmalzten Zöpfe glänzten in der Sonne, ihre schwarzen Augen blickten ihn schmachtend an. Doch hinter dem heiteren Augenspiel lag jene leichte Melancholie, die sich bei Menschen einstellt, die lange in der Wüste gelebt haben.
   „Ich glaube, dazu fehlt mir jetzt die nötige Muße, du Zierde deines Stammes“, sagte er blumig ausweichend, „vielleicht ein andermal.“
   Doch die Kleine ließ sich so schnell nicht abweisen. „Ich heiße Illaha, und wie heißt du, Mister?“
   Du kokettes kleines Schmollmündchen!, dachte der Oberst. In einem orientalischen Cafe´ chantant in Paris oder London würdest du den Männern reihenweise den Kopf verdrehen!
   „Warum willst du das wissen?“
   „Noch nie habe ich einen Mann mit solch wunderbaren blauen Augen gesehen! Die Pashtunen, die hier manchmal herkommen, haben auch blaue Augen. Aber es ist das  dunkle Blau der Kornblume, die halb verdurstet und verstaubt am Straßenrand vor sich hin welkt. Doch das Blau deiner Augen, Mister, ist die Farbe der frühen Morgenstunde, wenn der Tag die Erde wach küsst.“
 Weizenkorn wusste im Moment nicht, was ihn mehr beeindruckte: Ihre drollige Ausdrucksweise oder ihre Hartnäckigkeit.
   „Nun gut“, sagte er, „nenne mich Fidi.“ Er blickte sie mit leicht ironischem Lächeln an. „Sage mir, du Blume deines Geschlechts, wer hat dich diese Sprache gelehrt?“
   „Mein Vater! Er war ein großer Dichter und Philosoph!“
   „War?“
  „Ja, leider! Allah sei´s geklagt! Er kam bei einem Gefecht mit Terroristen ums Leben.“ Eine entzückende Träne löste sich und lief ihre Wange hinunter.
   „Oh, das tut mir aber leid! Lebt deine Mutter noch?“
   „Meine Mutter ist die Wüste, meine Brüder sind die Felsen und der Wind!“
   Dem Oberst kamen Bedenken, ob die Kleine noch richtig im Kopf war, und zog die Stirn kraus.
   Das Mädchen lachte hell auf. „Fidi, es hat keinen Zweck, der untergegangenen Sonne nachzutrauern. Morgen ist wieder einen neue da, heller als die alte!“
   „Hast du diese Weisheit auch von deinen Vater?“
   „Ja! Möchtest du mehr von ihm erfahren? Dann komm mit mir! Wir rauchen eine Wasserpfeife, und ich lese dir einige seiner Gedichte vor.“
   Woll´n doch mal sehen, wie weit sie geht, dachte Weizenkorn. „Na gut, gehen wir,  du liest mir Gedichte deines Vaters vor und ich höre dir zu. Aber ohne Wasserpfeife!“
   Der unbekümmerte Frohsinn und die kindliche Anmut dieser jungen Nomadin verwirrten und entzückten ihn zugleich. Er war überrascht von der Heftigkeit, mit der  sie ihn an Taifan erinnerte. Sie ist anscheinend der gleiche Frauentyp, dachte er betrübt: Voller unberechenbarer Launen und bizarrer Einfälle. Und anscheinend ohne jedes moralische Korsett.
   „Hast du eigentlich kein Pferd?“, fragte sie plötzlich.
   „Wie man´s nimmt. Ich bin ein Durchreisender on shank´s pony!“
   „Wie meinst du, Fidi?“
   „Bei uns in Deutschland sagt man scherzhaft: Ich reise auf Schusters Rappen, das heißt, ich gehe zu Fuß.
   „Ach so!“ Ihr Blick traf ihn von links unten. „Weißt du, Fidi, ein Mann wie du sollte nie zu Fuß gehen“, erklärte sie. „In deinem Land wärst du bestimmt auch ein Stammesführer, und ein Clanchef geht nicht zu Fuß!“
   Der Oberst lachte. „Illaha, da mach dir mal keine Sorgen! Bis vor kurzem besaß ich noch mehrere Autos! Sogar große Autos! Ich denke, ein Auto ist besser als das beste Pferd!“
   Sie dachte nach. „Bei euch in Deutschland vielleicht! Aber nicht hier! Hier ist ein Pferd besser als ein Auto!“
   „Aber ich gehe gerne zu Fuß, my dear! Das hält fit!“
  Entzückend!, dachte der Oberst, über die Maßen entzückend! Noch nie habe ich eine so reizende Einladung zu einem Schäferstündchen bekommen! Nur jetzt kommt sie leider zum falschen Zeitpunkt. Bin gespannt, was sie mir sonst noch alles erzählt. Bestimmt keine Gedichte!
   Illaha schüttelte den Kopf. „Darum geht es nicht, Sahib! Ein bedeutender Mann muss ein Pferd haben! Hast du unseren Stammesführer schon mal ohne Pferd gesehen? Meinst du, er hätte so viel Macht, wenn er zu Fuß ginge?“
   Inzwischen standen sie vor Illahas Jurte. Es stellte sich heraus, dass darin auch noch ihre drei Schwestern wohnten sowie eine ältere Frau, die sie als my aunty vorstellte. Weizenkorn grinste. So hatte er sich das 'Schäferstündchen' nicht vorgestellt: Unter Bewachung einer Gouvernanten und mit albern kichernden Zuschauerinnen. Schon hatte ihn Tantchen unter ihre Fittiche genommen. Sie lud ihn ein, Platz zu nehmen und bot ihm geschäftig Tee und Früchte an.
   Der Oberst war gespannt. War die Kleine nur ein bunt schillernder Lockvogel, dieses Zelt ein ambulantes Bordell, die drei 'Schwestern' in Wirklichkeit Arbeitskolleginnen und Tantchen die Puffmutter? Plötzlich roch er deutlich den süßlichen Geruch billigen Parfüms, wie er ihm aus den Teestuben in der 'Straße des Siebten Himmels' bekannt war. Doch diesmal regte er ihn nicht an, dieser schwüle Duft, denn nach einem erotischen Abenteuer stand ihm nun wirklich nicht der Sinn.
  Tantchen hockte sich vor ihn hin. Sie stellte die henkellose Teetasse auf ein niedriges dackelbeiniges Beistelltischchen und sagte etwas. Weizenkorn blickte ihr ins Gesicht, und sie schlug die Augen nieder. Es war das Gesicht einer Frau in mittleren Jahren, umgeben von schwarzen Haaren, von der Sonne gebräunt, von Wind und Wetter gegerbt. Die ledrige Haut bedeckte das Gesicht wie eine faltige Verpackung; da es stark eingefettet war, glänzte es wie eingeschweißt. Dem Oberst war es unmöglich, etwas von den Absichten dieser Frau zu erkennen. Doch mit einmal wusste er, woher der süßliche Geruch kam: Er stammte von dem stark gezuckerten Tee, der dampfend vor ihm stand.
   Die drei angeblichen Schwestern verließen kichernd das Zelt. Weizenkorn atmete erleichtert auf. Vielleicht, dachte er, verschwindet ja auch Tantchen bald, und ich kann dem entzückenden Kind klar machen, dass ich nicht vorhabe, bei ihr Anker zu werfen.  Daran, dass Illaha ihm Gedichte vorlesen könne, glaubte er nicht. Er war eüberzeugt: Der Vorschlag war wohl nur eine ungewöhnliche Finte, ihn auf ungewöhnliche Weise ins Zelt zu locken. Um so erstaunter war er, als sich das Mädchen jetzt tatsächlich mit einigen Zetteln in der Hand vor ihn niederließ. Tantchen eilte herbei, um ihr ebenfalls einen Tee vorzusetzen.
   Weizenkorn runzelte die Stirn. Gedichte waren für ihn mit das Überflüssigste, was es auf der Welt gab. Gedichteschreiber waren seiner Meinung nach halb verhungerte Zitronenfalter, die den Anschluss an die Blüte des Lebens verpasst hatten, und die ihren Gefühlsstau anderen Zitronenfaltern unbedingt schriftlich mitteilen wollten. Gedichte hatten für ihn mit der Realität wenig bis gar nichts zu tun. Das wirkliche Leben in diesem bitteren Lande bestand für ihn aus Terror, Zerstörung, Korruption und Stammesfehden. Was sollten da Gedichte?     
  Illaha führte mit gespreizten Fingern vorsichtig die Teetasse an den Mund und schlürfte geräuschvoll. Der Oberst ergriff ebenfalls seinen Teacup, denn irgendetwas musste er ja jetzt tun. Er konnte nicht immer so dasitzen, als habe er einen Stock im Hintern. Immerhin trank er etwas weniger geräuschvoll.
     Die Kleine setzte ihren Becher ab. „Nun, Fidi, bist du bereit?“, fragte sie etwas förmlich, „darf ich dir ein Gedicht vorlesen?“
   „Aber sicher doch“, antwortete der Oberst freundlich lächelnd, aber gegen seine Überzeugung.   
  Illaha, auf ihrem Sitzkissen, richtete sich auf und begann:

                                       „Die Morgenröte verlieh ihr
                                       die rosig blühenden Wangen,
                                       vom wiegenden Kaffeestrauch
                                       hat sie die schlanke Gestalt empfangen.

                                       Die zierliche Gazelle schenkte
                                       ihr des Fußes heitere Schnelle,
                                       vom Sternenzelt entwendete sie
                                       des Auges blitzende Helle.“

     Illaha blickte den Oberst erwartungsvoll an. „Nun, wie gefällt dir das Gedicht?“
  „Hmm... Nun ja...“, stotterte der, „äh... wenn ich ehrlich sein soll: Gedichte haben mich nie so sehr interessiert... Weißt du, ich bin ein alter Haudegen und verstehe nichts von diesen Dingen.  Aber so wie du es vorgetragen hast... Mein Gott, ich hab´ schon Langweiligeres gehört!“ Bei sich dachte er: Es ist nicht zu fassen! Sie will mich hier doch tatsächlich mit albernen Gedichten vollsülzen!
    Schon dachte er ernsthaft über einen Fluchtplan nach.
   Für Illaha kam diese Reaktion keineswegs überraschend. Bei der zweiten Strophe nämlich hatte sie bemerkt, dass Weizenkorns Blick ihren Mund verlassen und sich auf ihre Beine konzentriert hatte. Da sie seine erotischen Vorlieben nicht kannte, zog sie sich den Schuh an und führte sein Desinteresse auf  mangelhaften Vortrag zurück.   
   Dementsprechend fragte sie jetzt: „War mein Vortrag schlecht?“
   Der Oberst wusste nicht recht, was er antworten sollte. Das Gedicht hatte ihn gar nicht interessiert. Schon bei der zweiten Strophe war seine Fantasie auf Abwege geraten und in eine gewisse Richtung entwichen. Um Schadensbegrenzung bemüht, auch, um die Kleine nicht allzu sehr zu verletzten, flötete er: „Nein, überhaupt nicht! Das war sehr schön! Lies ruhig weiter!“
  Inzwischen waren einige Frauen mit Sitzkissen in der Hand im Zelt erschienen, offensichtlich, so nahm der Oberst an, um Illahas Rezitationen zu lauschen. Doch da täuschte er sich gewaltig. Die Frauen waren seinetwegen gekommen. Sie wollten ihn beobachten. Sie wollten sehen, wie der Fremde auf Illahas Vortrag reagierte. Denn sie waren sehr stolz auf ihre Stammesgenossin. Sie waren der Ansicht, Illaha sei ein Liebling Allahs, denn er hatte sie mit einer besonderen Fähigkeiten begabt, die dem Stamm Ruhm brachten.
   Weizenkorn merkte an ihren Blicken, woher der Wind wehte. Wenn er auch nichts von Gedichten verstand, von Frauenblicken  verstand er um so mehr. Er sah ein, dass er in der Falle saß. Sich jetzt mit einer fadenscheinigen Begründung zu verabschieden wäre eine grobe Unhöflichkeit gewesen. Und noch brauchte er das Wohlwollen des Clanchefs, denn das Urteil stand noch nicht fest. Und außerdem tat es nicht weh.
   Illaha wartete, bis sich die Besucherinnen gesetzt hatten. Dann trug sie das nächste Gedicht vor.
  Mit verzückten Gesichtern saßen die Frauen auf den Kissen und blickten der Sprecherin auf den Mund. Tiefe Seufzer und das obligatorische 'maschallah' bewiesen, dass Illaha nicht gegen den Wind sprach. Da die Frauen die Verse im Original schon so oft gehört hatten, dass sie sie auswendig kannten, spielte die fremde Sprache, in der sie jetzt vorgetragen wurden, keine Rolle. Ein Name, ein Wort wie 'Gazelle' – al-Ghasal – reichten schon, um ihnen das ganze Gedicht wieder in Erinnerung zu bringen. Ihre Blicke waren gespannt auf den Ferangi gerichtet.  
    Der lies sich nicht lumpen. Er klatschte in die Hände und rief scheinbar erfreut: „Großartig! Go on!“
   Doch Weizenkorn bemerkte mit Bestürzung, dass er sich in einer ganz eigenartigen Stimmung befand. Wenn nicht von den Gedichten, deren poetischer Gehalt ihm ein Buch mit sieben Siegeln war, so war er doch von der Atmosphäre, die in dieser schlichten Jurte herrschte, irgendwie beeindruckt. Da war das junge Mädchen, die Vortragskünstlerin, die ihm immer wieder bezaubernde Blicke zuwarf. Da waren diese Frauen, die bei manchen Worten begeistert in die Hände klatschten. Und das alles in einem schlecht riechenden Nomadenzelt!
  Auf einmal überkam den Oberst eine Ahnung von einer  Wirklichkeit, die ihm bisher entgangen war: Die Wirklichkeit der orientalischen Poesie. Natürlich, so ein prosaischen Naturell wie der Oberst war weit davon entfernt, sich weiterführende Gedanken zu machen. Etwa, dass dieses Land wohl doch mehr zu bieten hatte als Kampf und Korruption. Aus dem windigen Zitronenfalter war unversehens ein exotischer Prachtschmetterling geworden.
   Die junge Vortragskünstlerin überblickte die kleine Gemeinde. Man merkte ihr an, dass sie die Aufmerksamkeit genoss. Schon seit einiger Zeit las sie nicht mehr ab, sondern deklamierte frei. Als sie jetzt weitersprach, wirkte sie, als stünde sie unter Trance.
   
                              „Das grobe Kleid ohn´ allen Tand
                              Ist lieber mir als jedes Prachtgewand.
                              Im Wüstenzelt, durch das die Winde wehen
                              Möcht´ ich, statt hier im kalten Schlosse, stehen...“
   

   Wieder wurde reichlicher Beifall gespendet. Die Blicke der Frauen ruhten gespannt auf Weizenkorns Gesicht. Der sprang begeistert auf und klatschte mit den Frauen in die Hände. Schon machte er Anstalten, sich niederzuknien und Illahas braune Waden zu küssen.
   In diesem Augenblick wurde der Vorhang des Zeltes gelüftet, und Feisal Shariff trat ein. Er deutete an, dass er zuhören wollte, und setzte sich.
 Mit schmachtenden Blicken und glänzenden Augen trug Illaha die letzten Verse vor. Und jetzt geschah etwas Unvorhersehbares – zumindest für den Oberst: Mit Tränen in den Augen sprang Feisal auf, kniete vor Illaha nieder, nahm ihre Hand und küsste sie. Dann deklamierte er:

                                         „Was Schön´res hört ich nie!
                         Du gleichst der Lerche, die auf gold´nen Schwingen
                                  des Gartens Pappeln mit Gesang betört!
                                  Ach, könnt´ ich doch wie du so singen!“

                                                                  *
   „Ist sie deine Geliebte?“, fragte der Oberst, als er mit dem Shariff auf dem Weg zurück zu den  Zelten der Männer war.
   „Sie ist meine Nichte.“
   „Diese Gedichte, stammen die wirklich von ihrem Vater?“
  Feisal schüttelte den Kopf. „Natürlich nicht! Es sind Gedichte alt-arabischer Dichter, ich glaube von Ibn Chafaradshe oder Bin Saidun. Sie handeln vom Selbstbewusstsein der arabischen Frau, bevor sie übereifrige Imame zu Sklavinnen degradierten. Wenn du mehr wissen willst, frag sie. Diese Gedichte bewahren wir, wie wir die alten Karawanenwege bewahren. Ihr Vater hat hat sie ins Englische übersetzt, um diese herrlichen Schöpfungen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Wenn wir durch eine größere Stadt kommen, trägt Illaha sie in Teestuben vor.“
   „Das heißt, diese Rezitation war eine Privatvorstellung für den Ferangi?“ Der Oberst schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Und ich Dummkopf hatte mir schon eingebildet, sie wollte mich zu einem intimen Stelldichein überreden!“
   „Und? Hättest du das Stelldichein angenommen?“
   „Hmm...“ Weizenkorn zögerte mit der Antwort. Schließlich sagte er: „Ich glaube nicht. Sie riecht mir etwas zu stark nach ranzigem Fett.“
   Feisal Shariff lachte herzhaft. „Ranziges Fett ist manchmal wirksamer als eine kräftige Ohrfeige!“

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nicolailevin
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Wohnort: Süddeutschland


Beitrag06.06.2019 21:54

von nicolailevin
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Guten Abend,

hier vor dem langen Wochenende noch eine Ladung.

Viele Grüße
Nico.

Zitat:
Während der quälenden Fahrt zum Goethe-Institut wurden sie dreimal angehalten.


Zitat:
Das Gebäude des Instituts war von einer sechs Meter hohen Mauer umgeben,


Sechs Meter? Das ist mehr als eine Gefängnismauer hierzulande!

Zitat:
Als sie endlich dieses brodelnde Inferno verließen, war kostbare Zeit verloren.


Welches brodelnde Inferno? Die Schilder und Sandsäcke vor dem Goetheinstitut?
 
Zitat:
„Dieses Land“, begann er eifrig, „war einmal eines der schönsten Länder der Welt. Dünn besiedelt, mit einzigartigen Tieren und Pflanzen, mit weiten, fast unberührten Ebenen und unzähligen unbezwungenen Bergen. Und immer wieder große, grüne Oasen. Dann kamen die Sowjets und besetzten es. Sie bauten Brücken, Straßen, Staudämme, Bewässerungsanlagen, um es noch schöner zu machen. Sie wollten die Natur verbessern – das wäre noch angegangen. Aber dann wollten sie auch die Menschen bessern, und der ganze Schlamassel begann. Wir sind ein kriegerisches und Freiheit liebendes Volk, Sir. Noch nie hat es ein Eroberer geschafft, uns Vorschriften zu machen, geschweige denn, uns dauerhaft zu unterjochen – Dschinghis Khan nicht, Tamerlan nicht, Schah Khan nicht, die Engländer nicht, die Russen nicht. Irgend wann wurden alle diese Herrschaften wieder vertrieben.“


Das find ich schön ...

Zitat:
Schon seit einiger Zeit fuhren sie durch eine Landschaft, die einer Gegend auf einem sonnennahen, vegetationslosen Planeten glich. Alles wüst und leer und, bis auf ein paar borstige Grasbüschel, kahl und kochend heiß.


Die Grasbüschel zerstören vor meinem inneren Auge das Bild vom Wüstenplaneten.

Zitat:
„Und sollte sich doch eine Entwicklungsorganisation dazu bereitfinden, muss sich der Dorfälteste durch eine Haufen Antragsformulare durchbeißen, die er kaum versteht. Bis die dann alle genehmigt sind, können Jahre vergehen, und der Alte hat mittlerweile das Zeitliche gesegnet.“ Omar schwieg. Nach einer Weile fuhr er fort: „Unsere Bewässerungsexperten sind in der Lage, Wasser bergauf fließen zu lassen. Das Darwankatal war einmal die fruchtbarste Gegend in diesem Land. Doch wie sieht es jetzt aus? Schauen Sie sich doch um, Sir! Halbwüste, so weit das Auge reicht!“


Da dumpt es schon wieder ziemlich. Das weiß der Omar also, wie die Bürokratie in der Dorfverwaltung zuschlägt? Auch in der Folge mit dem Winterpalast ist mir das zu dick und zu viel.

Zitat:
Der Anblick war unbeschreiblich schön.


Nö. Entweder du sagst uns, was der Anblick in dem von dir geschilderten Betrachtern auslöst oder (was du ja im folgenden tust), du beschreibst uns die Schönheit und überlässt es dem Leser zu schließen, dass er das wohl schön finden würde, wenn ers denn selbst sähe ...

Zitat:
dass ihm plötzlich die Augen zufielen.


Also, wenn *ich* im Auto wegdöse, passiert das schleichend. Die Sinne kommen zur Ruhe und die Augen werden immer schwerer, bis sie irgendwann zu sind. Nix mit plötzlich.
  
   
Zitat:
Ein heftiger Stoß weckte ihn wieder auf.


Da hast du sie doch, deine Plötzlichkeit. Da könnte für meinen Geschmack ein "schlagartig" rein.

Zitat:
Dass Omar möglicherweise einem Sekundenschlaf erlegen  und zu feige war, diese Schlappe zuzugeben, kam Weizenkorn nicht in den Sinn.


Du musst nicht immer alles erklären, lass dem Leser, lass der Geschichte ein Geheimnis! Letzten Endes ist es doch ganz egal, was jetzt den Unfall verursacht hat ...

Zitat:
Nun wurde sein Verdacht zur Gewissheit: Omar will auf jeden Fall verhindern, dass ich Ghundum rechtzeitig erreiche! Er ist in Wirklichkeit ein Agent des Islamischen Staates! Dieser Mann ist die personifizierte Verschlagenheit!
  Den Oberst erfasste eine unbändige Wut. Du widerlicher, scheinheiliger Schleimscheißer, dachte er. Omar hatte das Seitenfenster heruntergelassen und steckte den Kopf heraus, wohl in der Absicht, dem Oberst etwas zuzurufen.


Das ist mir emotional zu wenig, um dem Oberst eine Tötung abzunehmen ...

Zitat:
Weizenkorn sah diesen dümmlich-unterwürfigen Blick aus diesen lang bewimperten, mädchenhaften Augen. Im nächsten Moment sah er eine schwarz vermummte Gestalt, die einen Stein hochhob, um damit einen Kopf – Taifans Kopf -  zu zerschmettern.
   

... und da erst recht. Junge, hier kannst du doch mal die Sau rauslassen: Visionen, Gefühle, da kannst du ihm ungeniert Schwulst und großes Kopfkino andichten. Und stattdessen kommst du mit so ein paar dürren Worten.

Zitat:
In diesem Moment verlor der Oberst die Beherrschung. Blitzschnell zog er die Pistole und schoss.


Dann hättest du an dieser Stelle auch einen weit dramatischeren Stilwechsel zurück zur Sachlichkeit, der sich hier sehr fein machen würde ...
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wunderkerze
Eselsohr
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Beiträge: 378



W
Beitrag11.06.2019 17:50

von wunderkerze
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hallo Nico, vielen Dank für dein Feedback. Die 6m hohe Mauer entnahm ich einem zeitgen. Reisebericht.


                                                                 

   Schon am frühen Nachmittag begannen die Männer, die Kamele zu beladen. Jungen und Mädchen liefen zwischen den Tieren herum und sammelten mit bloßen Fingern den Dung ein. Da in dieser Gegend kaum noch ein Baum steht – Mensch und Ziegen haben schon seit langem tabula rasa gemacht – wird mit getrocknetem Mist gekocht und gebacken. Findet man zufälligerweise doch noch einen kümmerlichern Baumstumpf, gräbt man ihn sorgfältig aus, zerkleinert ihn und verwendet ihn als Brennmaterial für das abendliche Lagerfeuer.
   Die Strahlen der untergehenden Sonne färbten die Spitzen der hohen Felswände glutrot, als der Shariff auf Weizenkorn zutrat, um den Spruch zu verkünden.
   „Alle deine Angaben sind unbewiesen, Oberst“, sagte er. „Sie stimmen, oder sie stimmen nicht. Wer soll das beurteilen? Nur eines ist sicher: Der Getötete gehörte nicht zu unserem Stamm. Also geht sein Tod uns nichts an. Soll doch seine Sippe den Tod ihres Bruders rächen! Bleibt noch der Totschlag als solcher. Das nun ist Sache der Kriminalpolizei. Somit geht es uns auch nichts an. Also höre! Der Ältestenrat hat einstimmig entschieden: Du bist frei!“
  Es gibt sie also doch noch, die Wunder!, jubelte er innerlich, als er, die Arme hinter dem Nacken verschränkt, wieder auf seinem Strohsack lag. Wenn ich es nicht zu ungeschickt anstelle, kann ich doch noch am Ziel meiner Reise ankommen!


  Endlich setzte sich die Karawane in Bewegung. Weizenkorn ging neben dem Karawanenchef, der sein Pferd ihm zuliebe am Zügel führte. Beide schwiegen, nur das Schnauben des Pferdes unterbrach die Stille.
   Nach einer Weile bemerkte der Oberst: „Solch ein Pferd wie das da habe ich noch nie gesehen. Dabei kenne ich mich mit Pferden ziemlich gut aus. Meine Eltern betrieben bis zum Tod meines Vaters einen Pferdehof. Was ist das für eine Rasse?“
   „Der Hengst da? Ein Achal-Tekkiner.“
   „Nie gehört.“
   „Gefällt er dir?“
   „Hmm...“ Weizenkorn betrachtete das Pferd mit Kennermiene. „Ich möchte dich nicht beleidigen, und den Braunen schon gar nicht“, erwiderte er vorsichtig, „aber wenn du mich schon fragst... Mir scheint, er ist ziemlich kuhhessig.“
   Der Shariff lachte. „Ja, ich weiß! Die Gelenke der Hinterbeine sind nach innen gedreht, die Lenden sind zu schwach und, und und. Natürlich, den Vergleich mit einem eurer hochgezüchteten Turnierpferde hält er kaum aus. Trotzdem ist Guzman mein bester Freund! Glaube mir, an Ausdauer und Robustheit nimmt er es mit jedem Kamel auf! Und er ist nicht so störrisch.“
   „Chief“, sagte Weizenkorn, „darf ich dich auch etwas fragen?“
   „Bitte!“
   „Führt der Weg dieser Karawane zufällig an Ghundum vorbei?“
   „Nicht zufällig, sondern seit mindestens fünfhundert Jahren.“
   „Sehr gut! Und wie weit ist es bis dahin?“
   „Drei Tagesmärsche. Wieso fragst du?“
   „Ich habe mich entschlossen, nicht nach Ghazani zurückzukehren.“
   Der Shariff blickte den Oberst erstaunt an. „Was hast du vor? Willst du bei uns bleiben und mit uns den Weg der Karawane gehen?“
   „Zumindest bis nach Ghundum, wenn du erlaubst.“
   „Warum nur bis dort?“
   „Kannst du dir das nicht denken?“
   „Ach ja, Natürlich! Du willst herausfinden, ob sie es wirklich getan haben.“
  „Ja. Bevor ich nicht hundertprozentig sicher bin, kann ich es einfach nicht glauben. Vielleicht halten sie Taifan ja noch gefangen und versuchen, Informationen über mich aus ihr herauszupressen. Diese Ungewissheit macht mich noch wahnsinnig!“
   „Weiß sie denn etwas?“
   Der Oberst breitete hilflos die Arme aus. „Tja, wenn ich das wüsste wäre mir wohler!“
  Von weiter hinten erscholl lautes Rufen, und der Clanchef blieb stehen. Gleich darauf meldete sich sein Sprechfunkgerät – bei einer Karawane von mehr als zwei Kilometern Länge eine praktische Sache in einem Land, in dem es von Funklöchern nur so wimmelt.
  „Einen Augenblick, da ist etwas passiert“, sagte Feisal Shariff, schwang sich auf seinen braunen Achal-Tekkiner und ritt weg.

   Weizenkorn wartete, während die Karawane langsam an ihm vorbei zog.
   „Ein Lastkamel ist gestolpert und hat sich hingelegt!“ rief Feisal Shariff schon von weitem, als er angeritten kam. Es saß ab, tätschelte seinem Gaul den Hals und gab den Befehl zum Halten. „Wenn die Biester erst einmal liegen, sind sie so schnell nicht wieder hochzubekommen. Da helfen weder Drohungen noch gutes Zureden.“
   „Und was jetzt?“
   „Abwarten! Irgendwann wird Leila schon wieder aufstehen.“
   „Leila?“
   „Jedes meiner Kamele hat einen Namen.“
   „Wie viele sind es denn?“
   „Annähernd sechzig.“
   „Und du kennst alle diese Namen?“
   „Ja natürlich! Ich weiß ja auch die neunundneunzig Namen Allahs!“
   Weizenkorn schwieg beeindruckt. Nach einer Weile fragte er. „Geschieht das öfter, dass sich so ein Kamel hinlegt?“
   „Auf den steinigen Pfaden hier muss man jederzeit damit rechnen. In der platten Wüste kaum.“
   Weizenkorn wurde nachdenklich. Wenn das so weitergeht, dachte er, komme ich nie an. Aber wahrscheinlich ist es sowieso schon zu spät.
    Feisal Shariff entschnürte einen Teppich und legte ihn auf den Boden. „Komm“, sagte er, „setzen wir uns. Zigarette?“
   „Danke, Chief.“ Der Oberst bediente sich und befühlte mit der anderen Hand eine seiner Hosentaschen. Da war es, das Zigarettenetui. Die Pistole hatte er nicht mehr, und er würde sie auch nicht mehr wiedersehen. Sie lag mit Sicherheit bereits unter dem Tisch eines Händlers auf dem Schwarzmarkt in Heriat. Aber er hatte das Zigarettenetui. Und das beruhigte ihn.   
  „Glaubst du wirklich, dass du diese Frau noch retten kannst?“, fragte Feisal nach einigen Zügen.
   „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“
   „Hmm... Hast du schon einen Plan?“
   „Ja. Ich hatte ja den ganzen gestrigen Tag Zeit zum Nachdenken.“
   „Und wie sieht dieser Plan aus?“
   „Ganz sicher bin ich mir noch nicht. Eigentlich hatte ich vor, mich als Sympathisant des IS auszugeben und um Mitgliedschaft in ihrer verfluchten terroristischen Vereinigung zu bitten. So, wie ich jetzt aussehe, ist die Wahrscheinlichkeit, dass mich jemand erkennt, gleich null. Und eine passende Begründung dazu wird mir schon einfallen. Ich hab´ ja genug solcher Sympathisanten verhört und weiß, wie diese Leute ticken. Aber je länger ich darüber nachdenke, desto weniger gefällt mir diese Idee.“
   Der Schariff lachte. „Nimm es mir nicht übel, Sahib, du siehst tatsächlich aus wie ein Strolch!“ Wieder ernst: „Aber diese Idee gefällt mir auch nicht! Du musst damit rechnen, dass sie von dir... wie sagt man...  Tapferkeitsbeweise verlangen. Wenn ich dich richtig einschätze, bist du kein Totschläger. Sie werden von dir verlangen, dass du an Exekutionen teilnimmst oder, hmm... möglicherweise sogar, dass du eine Frau steinigst. Ist alles schon vorgekommen. Lass dir was Besseres einfallen.“
   „Noch ist es ja nicht so weit! Jetzt dreht sich erst einmal alles um die Frage, wie komme ich nach Ghundum?“ Der Oberst blickte den Shariff fragend an.
   „Hmm... Wir könnten dich am Wadi Balqh absetzen. Von da aus sind es noch etwa fünfzehn Kilometer bis Aun. Du kannst das Dorf nicht verfehlen. Dahinter liegt Ghundum. Du gehst einfach immer das ausgetrocknete Flussbett entlang Richtung Sonnenuntergang. Wahrscheinlich werden sie dir eine Delegation entgegenschicken, die dich schon weit vorher in Empfang nimmt.“ Feisal musterte den Oberst von der Seite. „Wie willst du ihnen eigentlich erklären, dass du ohne Geld, Gepäck und Papiere unterwegs bist?“
   Weizenkorn blickte den Clanchief verschmitzt lächelnd an. „Ich werde ihnen sagen, dass mich der Halunke von Karawanenführer, mit dem ich unterwegs war, total ausgeraubt hat.“
   Der Stammeschef schmunzelte gut gelaunt. „Mann, du bist wirklich nicht auf den Mund gefallen! So einer wie du kommt überall durch! Aber mal was anderes. Wo ist eigentlich deine Sonnenbrille?“
   „Die liegt irgendwo im Gotsch vergraben. Wieso fragst du?“
  „Auch wenn du aussiehst wie ein Strolch, mein Lieber, deine blauen Augen könnten dich verraten. Am besten, wir gehen auf Nummer sicher. Ich gebe dir eine aus unseren Beständen. Die kannst du Tag und Nacht aufbehalten, denn sie hat dieses spezielle Glas, na du weißt schon, das sich nach der Lichtstärke richtet.“
   Ein Junge kam mit wehenden Haaren herbeigelaufen. Er rief etwas, aus dem der Oberst deutlich das Wort Leila heraushörte. Auch das Handfunkgerät meldete sich wieder. „Die Jungen machen sich einen Spaß daraus, schneller zu sein als die elektronische Nachrichtenübermittlung“, sagte Feisal nicht ohne Stolz. „Und häufig gelingt es ihnen sogar!“
   „Wie man sieht! Worum ging´s diesmal?“
   „Leila hat sich den Knöchel verstaucht und muss bandagiert werden“, beschied der Shariff sichtlich bedrückt. „Meine Leute kümmern sich darum. Aber es wird  noch ein Weilchen dauern!“

                                                             *

   „Diese kranke Frau in dem Zelt heute morgen, ist das deine einzige Frau?“, fragte der Oberst.
   „Nein. Meine zweite Frau Fatima führt die andere Karawane an. Meine beiden Frauen und ich – wir sind ein starkes Team! Ohne sie könnte ich den Betrieb hier nicht aufrecht erhalten. Denn schließlich habe ich für das Wohlergehen von annähernd zweihundert Menschen zu sorgen.“
   „Du hast nur zwei Frauen? Ich denke, der Prophet hat die Vielehe als Regel empfohlen! Zumindest für einen Mann deines Formats.“
   Der Shariff grinste geschmeichelt. „Danke! Nur, der Prophet empfahl nicht die Vielehe, er empfahl die Mehrehe! Das ist kein kleiner Unterschied! Außerdem: Wo steht das? Bestimmt nicht im Koran!“ Feisal Shariff blickte den Oberst schelmisch an. „Woher nimmst du diese Weisheiten? Du denkst wohl, wir Muslime hüpfen jeden Tag mit einer anderen ins Bett? Das ist natürlich ausgemachter Unsinn. Die Vielweiberei, wie es bei euch heißt, scheint euch europäische Männer doch sehr zu faszinieren! Hand aufs Herz! Da denkt ihr doch gleich an schillernde, herrlich wollüstige Kopfverdreherinnen mit den angenehm-üppigen Rundungen hinter Haremsgittern, die ihrem Herrn und Gebieter mit herrlich verruchten Augen entgegenschmachten! Abgesehen davon, dass die Verhältnisse in den Serails nie so paradiesisch waren, wie sie eure Maler und Schriftsteller zuweilen geschildert haben – glaube mir, diese Vorstellungen sind kaum mehr als ein glitzernder Wahn.“
    „Hm... Je nun... Wie soll ich es mir aber dann erklären, dass in meinem Land immer wieder Muslime mit drei und mehr Frauen Asyl beantragen? Ist das auch ein glitzernder Wahn?“
    „Nein, natürlich nicht! Nur, diese Syrer, Libyer oder Afghanen können es sich eben leisten!“
  „Mag sein... Jedenfalls ist das mit ein Grund, denke ich, warum der so genannte Familiennachzug in gewissen Kreisen bei mir zulande auf starke Vorbehalte stößt. Diese Leute fürchten wohl, dass Europa auf die Dauer polygamisiert wird.“
   Feisal lachte. „Ist es das nicht schon? Nur, der große Unterschied ist der, bei euch heiratet jemand eine junge Frau, macht mit vierzig einen Karrieresprung und sieht zu, dass er sie wieder los wird. Plötzlich ist sie ihm zu alt oder nicht mehr standesgemäß. Und schon heiratet er eine neue. Solche Mätzchen kann ich mir nicht leisten. Unser System zwingt mich, für mehrere Frauen gleichzeitig zu sorgen – und natürlich auch für ihre Verwandtschaft, für ihre Mütter, Großmütter, Schwägerinnen und so weiter. Wenn ich Pech habe, muss ich einen kompletten Aul alimentieren! Du siehst, in dieser Hinsicht komme ich viel schlechter weg als der durchschnittliche Europäer oder Amerikaner.“
   „Erzähl mir nichts! Du willst mir doch nicht weiß machen, das dein Handel keine stramme Rendite abwirft!“
   „Du vergisst, mein Lieber, dass ich eine Menge Unkosten am Hals habe! Allein die Bestechungsgelder... Kurz: Ich wäre schon aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht in der Lage, mehr als zwei Frauen standesgemäß zu versorgen, denn schließlich wären sie alle Teilhaber meines Unternehmens und hätten bei einer Trennung Anspruch auf eine entsprechende finanzielle Entschädigung. Da käme ich –“
   „Wie? Deine Frauen sind gleichberechtigte Partnerinnen?“
   „Aber ja doch! Wir sind hier nicht in Kenia oder Uganda, wo die Frauen in weiten Landstrichen auch heute noch als Besitz ihrer Ehemänner durchs Leben laufen. Ich hörte von einem siebzigjährigen äthiopischen Farmer, der mittlerweile fünf Frauen besitzt, die jüngste davon gerade mal neun. Alle müssen sie nach seiner Pfeife tanzen, um es mal so auszudrücken. Und alle stünden sie, wenn sie dem Alten davonliefen, mittellos da und müssten unter Schande zurück zu ihren Familien. Solche groben Fehlentwicklungen gibt es in diesem Lande – Allah sei gepriesen –  nicht mehr, und mein Beispiel soll dazu beitragen, dass es noch besser wird.“
   „Weißt du, Feisal, mir schweben immer noch diese unsäglichen Bilder vor Augen, wo drei oder vier Fellachinnen mit gekrümmten Rücken ihre Lasten ächzend zum Markt tragen, während ihr Herr und Gebieter munter auf einem Esel neben ihnen hertrabt. Ist das auch ein Klischee?“
   „Sicherlich nicht. Aber ich will noch einmal auf deine Frage nach der Mehrehe eingehen: Der Prophet Muhammed fordert in seiner Weisheit vom Ehemann als Pflicht der Rechenschaft, jede seiner Frauen zu versorgen, wie es sich gebührt, und alle zwei, drei, vier gerecht und gleichmäßig zu behandeln, sonst, sagt er, 'heirate nur eine, das ist der einfachste Weg, Ungerechtigkeit zu vermeiden'. Wenn du dich genauer umsiehst, Oberst, wirst du feststellen, dass die Mehrehe ein Privileg der Reichen und Begüterten ist. Denn wer außer solchen Leuten kann es sich heutzutage überhaupt leisten, mehr als eine Frau zu ernähren, zu kleiden und jeder eine eigene Wohnung einzuräumen? Der gewöhnliche Araber hat nur eine Frau, und an der hält er fest bis zum Tod.“
   „Wo wir schon bei diesem Thema sind: Mir fällt auf, wie selbstbewusst und frei die Frauen deines Stammes auftreten. Ich sehe nirgendwo ein Kopftuch oder einen Gesichtsschleier.“
  „Nun ja, auch die vollständige Verhüllung des Gesichts der Frau ist kein islamisches Gesetz. Der Prophet hat lediglich befohlen, dass sie ihre Blicke zu Boden schlagen und ihre Keuschheit wahren soll. Er verlangt allerdings auch, dass sie ihre Reize nicht zur Schau stellt bis auf das, was davon notwendig sichtbar wird, und dass sie ihren Schleier über den Busen zieht und ihre Reize vor niemanden enthüllt als vor ihrem Gatten und ihrem Vater. Nun kann man natürlich trefflich darüber streiten, was 'notwendig sichtbar' bedeutet. Ist es das Gesicht? Ist es der Hals? Sind es die Hände? Hitzköpfige Theologen haben aus dieser Streitfrage ein Zwangssystem entwickelt, dass dem ursprünglichen arabischen Frauenverständnis völlig fremd ist. Wir versuchen, diese liberale Einstellung genau so wie unsere uralte Poesie und unsere uralten Wanderwege zu bewahren.“
  „Um noch mal auf die kleine Rezitatorin von heute Morgen zu sprechen zu kommen“, sagte der Oberst nachdenklich. „Mich erstaunt immer noch, mit welcher Selbstverständlichkeit sie auf den Ferangi, den fremden Mann, zuging, und ihn mit heiterem Augenspiel in ihr Zelt einlud. Ich finde, im Vergleich mit den verschüchterten und abgesonderten Gestalten in vielen muslimischen Ländern könnte der Unterschied nicht krasser sein!“
   „Die Frauen meines Stammes sind frei geboren und weitgehend unabhängige und selbstständig handelnde Personen! Sie unterliegen nur den Einschränkungen, die ihnen die Gesetze des Stammes auferlegen. Die vollständige Unterdrückung der Frau hat indische und persische Wurzeln und widerspricht dem islamischen Gesetz ebenso wie die Vollverschleierung! Chadidsha, die erste Frau des Propheten, eine reiche Kaufmannswitwe, mit der er sechsundzwanzig Jahre verbunden war und die ihm sechs Kinder gebar, verkörpert immer noch das Frauenideal des gebildeten Moslem. Sie galt als klug, gebildet, selbstbewusst und schlagfertig. Aber wie es so geht: Jeder gute Ansatz wird im Laufe der Zeit von übereifrigen Apologeten ins Gegenteil verkehrt.“
   „Illaha sprach ein vorzügliches Englisch. Ich gehe nicht davon aus, dass sie lange eine Schulbank gedrückt hat. Wer hat ihr das beigebracht?“
   Der Chief schmunzelte. „Nun ja... vorzüglich würde ich nicht sagen... Du wirst bemerkt haben, dass ihr Wortschatz bis auf wenige Ausdrücke hauptsächlich aus Zitaten bestand. Gut, ihre Aussprache ist klar und rein. Die hat sie von ihrem Vater, der ein Sprachgenie war. Aber alles andere ist schlichtweg auswendig gelernt.“
   „Na, aber immerhin! Wie viele Gedichte kennt sie denn?“
   „Hm... Ich denke, so etwa fünfzig, sechzig.“
   „Alle Achtung!“
   Feisal Shariff Stimme wurde schneidend. „Auswendiglernen bringt nichts!“ rief er  zornig. „In der heutigen Zeit ist Kreativität gefragt, nicht Auswendiglernen! Auch wer die neunundneunzig Suren des Korans aufsagen kann, bringt die Gesellschaft nicht voran! Vielleicht ist das ja mit ein Grund für die Rückständigkeit mancher islamischer Staaten! Die jungen Leute müssen denken, nicht rezitieren! Ich hätte Illaha schon lange auf eine Privatschule in England gebracht, aber sie bekommt keine Aufenthaltserlaubnis.“
   „Warum gibst du sie nicht auf das englische Gymnasium in Shangoran?“
   Feisal lachte hämisch, aber herzhaft. „Wo fünf Imame in der Gesamtkonferenz sitzen? Ich denke nicht daran. Dann wird sie meine Frau Shochda unterrichten, wenn sie wieder gesund ist, oder eine andere Frau meines Stammes.“
   „Deine Frau?“
   „Meine Frau Shochda ist eine Sheicha, eine Gelehrte. Sie ist Honorarprofessorin für Philosophie und Islamische Geschichte an der Universität Heriat. Sie spricht ein vorzügliches Englisch. Dann gibt es in meinem Stamm noch eine Hochschullehrerin, eine Naturwissenschaftlerinnen und eine hochkarätige Juristin. Denn der Prophet selbst wünscht, dass Frauen genau so nach Wissen und Bildung streben sollen wie der Mann. Und, Allah, der Einzige, der Gott, der keinen Genossen hat, sei gepriesen!, in diesem Land ist es mittlerweile möglich.“
   „Und ruft die Fundamentalisten auf den Plan!“
   „Leider! Es gibt anscheinend keinen Fortschritt ohne die Angriffe der rückwärts Gewandten.“
    „Einspruch!“ rief der Oberst, „wie können diese Leute rückwärts gewandt sein, wenn die Zukunft des Islam in seiner Vergangenheit liegt?“
   Feisal blickte den Ferangi erstaunt an. „Oberst, du überraschst mich immer wieder! Dein Verständnis macht mich glücklich! Erlaube, dass ich dir den Bruderkuss gebe und dich Bruder nenne! He Ghamal! Bring´ zwei Wasserpfeifen, aber gut gefüllt!“


 „Du sagtest, Bruder, ein Pferd habe deine Frau getreten“ sagte der Oberst. „Das heißt, sie war mit euch unterwegs. Lehrt sie denn nicht mehr?“
   Feisal nahm einige tiefe Züge. Die Wasserpfeife brodelte lustig. „Shochda nimmt immer mal wieder ein... wie sagt man...“
   „She takes a time out, ein Sabbatjahr, wie es bei uns heißt!“
  „Ein Sabbatjahr“, wiederholte Feisal, „ein seltsames Wort... Ja, Shochda nimmt ein Sabbatjahr und begibt sich auf den Weg der Karawane, um ihre Seele in der gewaltigen Unendlichkeit der Wüste zu läutern und neue Ideen zu empfangen, die sie dann in ihren Büchern der Welt schenkt.“ Er blickte betrübt vor sich hin. „Der Tritt ist ein großes Unglück, doch Allah wollte es so, und wir ertragen es in Demut und mit Würde.“
  Das Walky-Talky meldet sich. Feisal nahm die Nachricht entgegen. „Leila liegt noch“, sagte er, „aber es geht ihr wieder besser. Muhammed meint, in einer halben Stunde sei sie bereit.“
   Weizenkorn, der das Opium bisher gemieden hatte, verspürte zu seinem Erstaunen, wie ihn die Droge allmählich in eine großartige Stimmung versetzte. Auf einmal war sein Kummer so unbedeutend wie eine winzige Ameise auf einem makellos strahlenden Gotschfeld. Die Erinnerung an Taifan, an die Sache mit Omar, seine Vergeltungsphantasien schmolzen dahin wie Schnee in der Märzsonne. Er war jetzt bereit, die halbe Welt zu umarmen. Und er verspürte wieder die Kraft für ein erotisches Abenteuer.
  Warum nicht sogar mit einer der jungen Frauen hier?, dachte er euphorisiert. Der Verzicht auf den Schleier lässt auf einen feurigen Charakter schließen. Vielleicht sogar mit der kleinen Illaha? Ihr verführerisches Augenzwinkern heute morgen war doch sehr vielversprechend... Wenn ich mich  nicht wie ein Esel benommen hätte, läge sie womöglich jetzt in meinen Armen.
   Aber trotz seiner drängenden Fantasie besaß der Oberst noch die Geistesgegenwart, nicht mit der Tür ins Haus zu fallen. „Sag´ einmal, Bruder Feisal“, fing er mit  einer  Stimme an, als habe er Kreide gefressen, „stimmt das, was man sich da erzählt? Manche Nomadenfrauen sollen sich fremden Männern aus freien Stücken anbieten! Ich kann es fast nicht glauben!“
   Bruder Feisal sah Bruder Fidi einige Sekunden schweigend an. Dann versetzte er: „Warum redest du um den heißen Brei herum, Bruder? Du kannst gerne ein, zwei oder auch mehr meiner Frauen haben. Deutsche Männer stehen hier hoch im Kurs! Aber zuvor möchte ich deine Einkommensverhältnisse und deinen Vermögensstand wissen, und wenn beides zukunftsfähig ist, wird erst einmal geheiratet.“ Er zwinkerte dem Oberst schelmisch zu. „Auf dem freien Liebesmarkt läuft hier nichts.“
  Das Opium hatte Weizenkorn mittlerweile in einen Zustand versetzt, in dem Wunsch und Wirklich zu einem bunt schillernden Tagtraum verschmolzen. Er kam jetzt zu dem Schluss, dass die Realität lediglich eine Selbsttäuschung sei, die auf dem Mangel an Fantasie beruhe. Und seine Fantasie schlug gerade Purzelbäume, allerdings an Taifan vorbei. An die dachte er jetzt nicht mehr.
   Deshalb sagte er: „Nun, nun, es müssen ja nicht gleich mehrere Frauen sein! Ich denke, eine einzige mit den Qualitäten der kleinen Illaha würde mich schon glücklich machen – zumindest für den Anfang!“
   Er stutzte. Und meine Einkommensverhältnisse?
  „Meine Einkommensverhältnisse sind gar nicht so schlecht“, sagte er vollmundig, „als dass ich in diesem Land nicht eine oder zwei Frauen ernähren könnte!“
   „Und die entspringende Kinderzahl!“
    „Sicherlich! Und die entspringende Kinderzahl!“
  Weizenkorn sah sich von einer Schar kleiner, nackter, nach ranzigem Fett riechender Kinder umgeben, die mit piepsigen Stimmchen abba – Vater – riefen und die Patschhändchen nach ihm ausstreckten. Im Grunde hatte er mit kleinen Kindern nichts am Hut, für ihn waren sie egoistische und quengelnde Kröten, die jedes Jahr in ungeheurer Zahl geboren wurden und als Erwachsene das Zusammenleben auf der Erde immer schwieriger machten. Doch jetzt entzückte ihn die Vision, und er genoss sie. Dabei entging ihm allerdings das ironische Lächeln des Clanchefs.
   „Du sagst ja nichts! Meinst du, dass ich zu alt bin?“ Weizenkorn blickte Feisal alarmiert an.
   „Wie alt bist du denn?“
   Manchmal ist es doch gut, wenn man keinen Ausweis bei sich hat, dachte der Oberst und rundete erheblich zu seien Gunsten nach unten ab. „Achtundvierzig.“
   „Das Alter spielt bei meinen Männern nicht so die große Rolle“, sagte Feisal. „Mir kommt es auf den Charakter an.“
   „Charakter? Den hab´ ich reichlich!“
  Der Shariff sah ein, dass die Wasserpfeife für den Oberst wohl doch nicht die richtige Friedenspfeife gewesen war. Er beschloss, Nennbruder Fidi möglichst sanft wieder von seinem Wolkenkuckucksheim herunter zu holen. „Da sind allerdings einige Kleinigkeiten“, sagte er, „die du möglicherweise jetzt nicht siehst, die dir und mir aber auf die Dauer erhebliche Schwierigkeiten bereiten könnten.“
   „Ach was! Schwierigkeiten sind dazu da, um überwunden zu werden!“, rief der Oberst,  „welche wären das denn?“
   „Nun, du müsstest zum Islam übertreten.“
  „Kein Problem! Ich bin religiös ungebunden. Und eine Religion, die dem Mann mehrere Frauen –“
   „Dann: Du bist Soldat und gewohnt zu befehlen. Aber in diesem Stamme befehle ich. Ich bin hier sozusagen demokratisch gewählter Alleinherrscher, dem ein Beirat zur Seite steht. Du müsstest dich mir unterordnen, und wenn ich dich so anschaue, Fidi, nimm es mir nicht übel – du wirkst auf mich nicht wie jemand, der sich leicht integrieren lässt, wie es heutzutage heißt.“
   „Darüber mach dir mal keine Sorgen! Als Soldat habe ich auch gehorchen gelernt. Und vielleicht wählt ihr mich ja in den Ältestenrat, dann kann ich auch ein Wörtchen mitreden!“
   „Mit achtundvierzig?“
   Verflucht, dachte Weizenkorn, ich hätte doch bei der Wahrheit bleiben sollen. „Na gut, dann eben nicht Ältestenrat“, sagte er ziemlich gleichmütig, „ich füge mich, und die Liebe tut ein übriges.“
  „Ja, ja, die Liebe!“ Feisal Shariff seufzte herzhaft. Die Verbohrtheit dieses alten Knaben nahm allmählich groteske Züge an. Er beschloss, ihm den Zahn endgültig zu ziehen. „Die Liebe zu einer Nomadenfrau kann manchmal sehr anstrengend sein“, sagte er. „Vielleicht wird sie gar zu einer harten Belastungsprobe für dich, der du auf Dauer nicht gewachsen bist.“
   Weizenkorn fuhr auf. „Glaubst du, ich sei nicht mehr in der Lage, eine Frau zu befriedigen? Ich kann dir versichern –“ Der Oberst schnappte nach Luft. Die aphrodisierende Wirkung des Opiums hatte offensichtlich ihren Höhepunkt erreicht und verführte ihn zu den kühnsten Prahlereien. „–  ich würde es sogar mit drei oder vier Frauen auf einmal aufnehmen!“
   „Glaub´ ich dir gerne, Fidi, glaub´ ich dir gerne, so wie du gebaut bist!“, lachte Feisal Shariff. „Nein, nein, das Problem liegt ganz woanders.“
    Der Oberst blickte ihn wie hypnotisiert an. „Versteh´ ich nicht.“
   „Nehmen wir doch zum Beispiel einmal die kleine Illaha. Auf die hast du ja wohl ein Auge geworfen.“ Weizenkorn grunzte zustimmend. „Mein Lieber, täusch dich nicht! Die Kleine ist nicht ohne! Sie ist nach der alten arabischen Tradition erzogen worden, die weder den gekrümmten Arbeitsrücken noch die Erniedrigung vor dem Gatten kennt! Illaha sieht nicht danach aus, aber sie würde von dir verlangen, dass du dich auch ihr vollständig unterwirfst – zumindest in der ersten Zeit.“
   „Versteh´ ich immer noch nicht! Zum Teufel, worauf willst du hinaus? Du musst schon deutlicher werden, Bruder!“ Mittlerweile fiel dem Oberst das Denken schwer, denn die sedative Wirkung von Papaver somniferum – dem Schlafmohn – setzte ein, er würde müde und gähnte verhalten. Feisal Shariff erkannte die Gelegenheit, die Komödie zu beenden und Weizenkorn auf angenehme Art in den Schlummer zu versetzten. Nach dem Aufwachen am anderen Morgen wäre er dann wieder in der Realität zurück.
   „Am besten, ich erzähle dir eine Geschichte“, sagte er deshalb, „dann verstehst du, was ich meine. Also höre die Geschichte von der schönen Bahisha.“ Er nahm noch einen kräftigen Zug und begann:



Forts. folgt

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wunderkerze
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nicolailevin
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag18.06.2019 18:54

von nicolailevin
Antworten mit Zitat

Hallo wunderkerze,

nächste Runde, neues Glück.

VG
Nico

Zitat:
Hauptmann Stephan schlug die Hacken zusammen. „Melde Herrn General, Oberst Weizenkorn ist heute morgen nicht zum Dienst angetreten!“


Zitat:
„Monsieur, nehmen Sie doch Platz!“


Ist das nicht zu zivil? Ich hätte ein joviales "Mon très cher capitaine ..." erwartet oder so.

Zitat:
„Merci, Monsieur.“


Rangaufwärts aber auf jeden Fall "Merci, mon général!"

Zitat:
„Hmm... Curieux, tre`s curieux... Das ist allerdings seltsam, sehr seltsam...


Très. Und curieux klingt mir in diesem Kontext nicht idiomatisch, aber mein Französisch ist das sicher auch nicht. Check lieber noch mal. (Ich hätte bizarre oder étrange erwartet)

Zitat:
wie diese dünnbeinigen Gestalten auf den Bildern des spanischen Malers Dali.


Wer Dalí kennt, braucht die Info "spanisch" nicht, wer ihn nicht kennt, sollte zum Verständnis vielleicht eher erfahren, dass er ein Surrealist war als seine Nationalität ... Aber leg doch die Überlegungen lieber deiner Figur in den Kopf: "erinnerte ihn an diese dünnbeinigen Gestalten auf den Bildern von Dalí. Fehlte nur noch, dass eine brennende Giraffe durch die Landschaft lief." Oder so ähnlich.

Zitat:
Wäre dieser Anblick gemalt worden, wäre in Europa wahrscheinlich kaum jemand auf die Idee gekommen, dass dieses  Bild aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert stammt.


Wäre, wäre. Und ich find die Formulierung unelegant. Auch lieber einer Figur in den Kopf legen.

Zitat:
Auf den ersten Blick erschien es unmöglich, in die Schluchten zwischen den hohen Felswänden, die sich wie eine glatte Mauer in etwa fünfzehn Kilometer Entfernung schroff aus der Ebene erhoben, überhaupt eindringen zu können.


Irgendwas in mir sträubt sich dagegen, etwas zugleich schroff und glatt sein zu lassen.

Zitat:
plötzlich mit atemberaubend graziösen Bewegungen davon sprangen.


Dasselbe mit atemberaubend und graziös.

Zitat:
Der andere des seltsamen Duos machte sich an der Ladung des Wagens zu schaffen.


Klingt mir schief. Die andere Hälfte des seltsamen Duos?

Zitat:
Irgendwo musste der Fahrer des Wagens stecken.


Du schrobst weiter oben, die Mumie sei auf dem Fahrersitz gesessen.

Zitat:
Das verhaltene Stöhnen der Kamele, das Hecheln der Hunde, das Blöken der Schafe, das Klimpern der Armreife der Frauen bildete die Hintergrundmusik zu dem ungeheuren Schauspiel, das sich jetzt darbot: Der Sonnenuntergang in der Dasht-i-Margo, der Todeswüste.


Kamele stöhnen nach meiner Erfahrung nicht, wenn sie laufen. Die motzen nur röhrend, wenn man sie zum Aufstehen oder Hinknien bewegen will ... Was man hört, ist ein regelmäßiges schluffiges Geräusch, wenn sie ihre Füße im Sandboden breittreten.

Zitat:
Sein linkes Bein schmerzte, und in seiner Kehle brannte feurig der Durst.


Brennt Durst? Das ist doch eher das Gefühl eines ausgetrockneten Mundes, spröde rissige Lippen, eine dicke Zunge, im Hals merkt man da eher nichts, oder?

Zitat:
Wo war eigentlich seine Pistole? Aufatmend stellte er tastend fest, dass er ihn noch bei sich trug.


Den Pistole?

Zitat:
Einer dieser Berserker trat vor und nahm die Pistole auf.


Für einen Berserker müsste er doch nicht nur wild aussehen, sondern sich auch so aufführen ...?
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wunderkerze
Eselsohr
W


Beiträge: 378



W
Beitrag21.06.2019 10:16
Fortsetzung
von wunderkerze
Antworten mit Zitat

Guten Tag, Nico,
 
ich bewundere deine Ausdauer! Da hst du wieder einige faule Stellen gefunden. Doch bald haben wir es geschafft. Noch zwei oder drei Fortsetzungen...


*

  „Harit ben Aun, der Häuptling des mächtigen Morra-Stammes, ritt mit seinem Stamm hinaus in das Land des vornehmen und stolzen Aul ben Hariba. Er wollte um eine seiner drei Töchter werben. Seine mächtigen, geölten Schultern glänzten in der Sonne, auf seinem silbernen Schild spiegelten sich zehntausend Krieger in ihren Rüstungen, jede tausend Talente wert, und fünfhundert Streitwagen, jeder zweitausend Pfund Silber wert.
   Die beiden älteren Schwestern, die nicht schön waren, lehnten den Antrag ab. Aber Bahisha, die jüngste, antwortete: 'Ich bin schön von Gesicht, gewandt in der Arbeit der Hände, hoch an Wuchs, edel von Abstammung. Gott möge mich strafen, wenn Harit ben Auf es wagen wollte, mich zu verstoßen!' Da sprach der Vater: 'Gott segne dich, mein Kind!'“
   Einige Männer, die bisher gelangweilt in der Nähe gestanden hatten, traten, von den Worten Feisals angelockt, näher und setzten sich. Auf ihren Gesichtern lag gespannte Aufmerksamkeit. Es war ihnen anzusehen, dass sie jedes, oder fast jedes Wort verstanden und nun darauf spitzten, welche Version der schon hundertmal erzählten Geschichte sie diesmal zu hören bekämen.  
   Der Erzähler wartete, bis alle ihren Platz gefunden hatten, und fuhr  fort: „Der Vater ließ die Hochzeitsfeierlichkeiten vorbereiten, ein großes Zelt aufschlagen und, als alles gerüstet war, die Braut ihrem Gatten zuführen. Doch als Harit sich ihr nähern wollte, wies sie ihn zurück. 'Was! Hier bei meinem Vater soll ich mein Beilager begehen – niemals!' Harit befahl, die Zelte abzuschlagen und die Kamele zu beladen, und sie ritten davon.
   Es dunkelte bereits. Da ließ Harit anhalten und das Nachtlager bereiten. Aber als er sich seiner jungen Frau nähern wollte, wies sie ihn zurück. 'Was! Willst du mich etwa wie eine Magd behandeln, die man kauft', rief sie erbost, 'oder wie eine Kriegsgefangene? Bei Gott, nicht eher sollst du mich umarmen, als bis in der Mitte deines Stammes das Beilager festlich begangen werden kann mit Kamelen und Schafen, die zum Festmahl geschlachtet werden für die von allen arabischen Stämmen geladenen Gäste.'
   Sie ritten weiter, bis sie zu seinem Stamm kamen. Die Gäste wurden geladen, Kamele und Schafe geschlachtet und das Festmahl gefeiert. Da nahte sich Harit ben Aun seiner Gattin, doch wieder wies sie ihn zurück. 'Wie? Du findest Zeit, mit Frauen zu kosen, während draußen alle Araber in blutiger Fehde sich gegenseitig vertilgen und die Dobjan und die Abs, der Stamm meiner Mutter, sich zugrunde richten? Eile hinaus, versöhne die Stämme und kehre heim zu deiner Gattin, die dich liebend erwartet!'
   Da ritt er hinaus zu den feindlichen Stämmen, die seit vierzig Jahren in Blutrache gegeneinander wüteten, und er schloss Frieden zwischen ihnen. Er ließ auf beiden Seiten die Gefallenen zählen und verpflichtete sich, als Blutentschädigung an den Stamm, der die meisten Toten hatte, in den nächsten Jahren dreitausend Kamele zu zahlen. Als dank seiner Großmütigkeit und Freizügigkeit und das Friedenswerk vollbracht war, kehrte er heim, gepriesen von allen. Seine Gattin Bahisha empfing ihn mit offenen Armen und gebar ihm Söhne und Töchter.“

   Feisal Shariff schwieg, und beifälliges Gemurmel erhob sich. Der Chief hatte die Geschichte auf Pashto zu Ende erzählt, denn der Oberst schnarchte schon seit geraumer Zeit. Besonders entzückt waren die Zuhörer von den Abwandlungen und Ausschmückungen, die der Erzähler diesmal vorgenommen hatte.
   Das Walky-Talky meldete sich. „Leila steht wieder!“ rief Feisal erleichtert, „legt den Oberst auf mein Pferd und bindet ihn fest, dass er nicht herunterfällt. Der wacht so schnell nicht auf!“ Er gab ein Zeichen, und die Karawane setzte sich in Bewegung!
   
                                                                *

   Seit einer Minute hatte der Oberst das Gefühl, dass ihm jemand folgte. Er blieb stehen und drehte sich um. Auch die beiden Männer blieben stehen und richteten ihre Schusswaffen auf den Fremdling vor ihnen. Sie waren in Jeans und leichter Bluse. Wenn die Maschinenpistolen nicht gewesen wären, hätte man sie für harmlose Tonscherbensammler oder menschliche Wühlmäuse des archäologischen Instituts der Universität zu Heriat halten können.
   Einer der beiden rief ihm etwas zu.
   Weizenkorn schüttelte den Kopf.
   „Speak english?“ rief der Mann jetzt.
   „No!“ Der Oberst wollte es ihnen nicht zu leicht machen. „German.“
   „Ach nee!“ rief der andere Mann. Er schien sichtlich erfreut. „Ein Landsmann! Das ist ja ne Überraschung! Aus welcher Gegend unseres geliebten Vaterlandes stammst du denn?“
  Sein Begleiter zischte ihm etwas zu, und die Stimme des 'Landsmanns' klang auf einmal weniger hochgestimmt. „He, Alter, nimm die Hände hoch und rühr dich nicht von der Stelle!“, schnauzte er. An seiner rechten Wange glühte ein riesiges Feuermal.
    Weizenkorn nahm die Hände hoch und rührte sich nicht von der Stelle. Die beiden kamen näher, und der Landsmann tastete den Oberst ab.
   „Ich bin unbewaffnet“, sagte der Oberst.
   Der Kerl befühlte Weizenkorns Hosentaschen. „Was ist das?“, fragte er.
   „Ein Zigarettenetui.“
   „Zeig her!“
   Der Oberst zog das Etui hervor und gab es dem Kämpfer. Der beäugte es von allen Seiten. Schließlich fummelte er am Verschluss herum.
   „Wenn du es aufmachst und wieder zuklappst“, flüsterte der Oberst, „knallt´s ganz fürchterlich und von dir ist nur noch Scheiße übrig.“
   Der Mann sah den Oberst verdutzt an. Dann brach er in ein wieherndes Gelächter aus. „Hey, Alter, du bist doch – hihi, haha, hoho – was bist du doch für ein Scherzkeks!“ Er sah den anderen Kämpfer mit Lachtränen in den Augen an. „He, ist er nicht ein gewaltiger Scherzkeks?“ Er stutzte. „Ach ja, du verstehst ja kein Deutsch! Und Scherzkeks wäre sowieso zu schwer für dich.“ Er gab das Etui zurück, und der Oberst steckte es wieder ein.
   „Also los!“, befahl der Lacher, nachdem er sich wieder beruhigt hatte, „da geht`s lang!“

   Der Mullah, mit weißem Rauschebart und weißem Turban, saß in einer dunklen Ecke im Schneidersitz und murmelte leise vor sich hin. Eine Gebetskette mit außergewöhnlich großen Kugeln glitt durch seine Finger, seine Augen waren geschlossen. Obwohl ihm die Anwesenheit des Ankömmlings nicht entgangen sein konnte, nahm er keinerlei Notiz von ihm.
   Weizenkorn trat ans Fenster, nahm die Brille ab und blickte nach draußen. Der verwitterten Steinfigur, die den Dorfbrunnen zierte, fehlte der Kopf. Keines der Gebäude, die den ziemlich geräumigen Marktplatz umstanden, war ohne Kriegsschäden. Granatsplitter hatten tiefe Löcher in den Putz geschlagen, überall vernagelte Fensterhöhlen mit zersplitterten Scheiben, Dächer, teilweise abgedeckt,  erlaubten den schamlosen Blick in die Innereien intimer Zimmer. Und doch schienen alle Häuser bewohnt, denn überall hing an langen Leinen Wäsche zum trocknen.
  Auffallend war auch die Öde des Platzes. Bis auf zwei vermummte Frauen, die neben einer Haustür hockten und sich anscheinend stritten, war der Platz menschenleer. Mit ihren gestikulierenden Armen glichen sie schnabellosen Raben, die auffliegen wollen, es aber nicht können. Ein Holzpfahl in der Mitte des Platzes ließ in Weizenkorn sofort ungute Gefühle hochkommen.
   Der Oberst trat von Fenster zurück, setzte die Brille wieder auf und betrachtete den Raum. Bis auf den stark abgenutzten Teppich unbestimmter Farbe, auf dem der Mullah hockte, ein paar Sitzkissen, ein gold-gerahmtes Foto des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Khomeini, das für Weizenkorns Geschmack viel zu hoch hing, und ein Tischchen, auf dem eine Karaffe mit Wasser sowie zwei Gläser standen, war der Raum von lustloser Einöde. Die harten Sonnenstrahlen ließen die stockfleckigen Wände in grausamer Nacktheit kalkig-weiß aufleuchten. Lediglich die Lichtreflexe der knallblau gestrichenen Tür verliehen dem Zimmer etwas Farbe.
   In die Sitzfigur des Alten kam Bewegung. Sein Oberkörper bewegte sich jetzt rhythmisch vor und zurück, und die Perlen der Gebetskette glitten mit größerer Geschwindigkeit durch seine gichtigen Finger. Sein unverständliches Gebets-Gebrabbel wurde lauter. Anscheinend befand er sich nun in einem fortgeschrittenen Stadium religiöser Inbrunst. Seine Augen waren schmale Schlitze, aus denen er den Oberst heimlich beobachtete.
   Weizenkorn, dem jede Art von meditativer Abgehobenheit fremd war, fragte sich, was wohl geschehen würde, wenn er jetzt vor den Alten träte und sagen würde: He, Alter, ich bin Oberst Friedrich von Weizenkorn, ja, du hast richtig gehört, genau der, den ihr schon lange auf eurer schwarzen Liste führt und den ihr gerne in die Djehenna befördern würdet! Für einen Augenblick sah er sich wieder bewegungslos am Boden liegen, das Gesicht in den Staub des Richtplatzes gepresst. Über ihm wetzte der Henker den rostigen Säbel, mit dem er ihm im nächsten Moment den Kopf abschlagen würde. Eine heulende und tosende Menschenmenge wogte um ihn herum, bereit, sich an dem grausamen Spektakel zu ergötzen.      
   Würde ich schreien? Würde ich um Gnade winseln? Würde ich mir vor Angst in die Hosen machen?
  Doch es war kein rostiger Säbel, der gewetzt wurde, sondern die knallblaue Tür ging rostig in den Angeln quietschend auf. Der Landsmann mit dem Feuermal erschien  und winkte den Oberst herein. Aus den Augenwinkeln sah Weizenkorn, dass der Mullah aufstand und ihm folgte.
  Auch dieses Zimmer machte einen deprimierenden Eindruck. Von der Decke waren große Teile des Verputzes abgefallen, und in einem der beiden Fenster fehlten die Scheiben. Es roch nach trockenem Zementstaub, vollen Aschenbechern und Achselschweiß. Dieser Raum war allerdings etwas besser möbliert als der nebenan, denn da standen wenigstens Tisch und Stühle.
  An dem Tisch saßen drei Männer und blickten den Fremden gespannt an. Ihre Pistolen lagen griffbereit auf dem Tisch, die Sturmgewehre lehnten an einer Wand. Der Mann an der Breitseite des Tisches forderte Weizenkorn auf, Platz zu nehmen. Der Oberst setzte sich, der mit dem Feuermal nahm neben ihm Platz. Er hatte anscheinend vor, als Dolmetscher zu fungieren.
   Weizenkorn fand es an der Zeit, die Komödie, die er am Vormittag begonnen hatte, zu beenden. Er sagte: „I speak english!“
   Der verhinderte Dolmetscher hieb mit der Faust auf den Tisch. „Ach nee, der Herr kann Englisch!“ rief er und blickte den Oberst böse von der Seite an, „sagte ich es nicht? Der Kerl ist der geborene Komiker! Heute morgen verstand er nur Deutsch, und jetzt spricht er plötzlich Englisch!“ Der Tonfall dieses Krieger Gottes war jetzt alles andere als landsmannschaftlich. „Und das Beste kommt noch! Dieser komische Vogel  behauptet, er sei ein Reisender in eigener Sache! Alleine und ohne Gepäck! Hahaha! Allein in der Todeswüste unterwegs und dann auch noch ohne Ausrüstung! Ich glaub´s wohl! Anscheinend hat er vor, uns gründlich zu verarschen!“ Sein Feuermal leuchtete tiefrot. Er erinnerte den Oberst an einen Truthahn, dem der Kinnlappen verrutscht ist. „He, du komischer Vogel, wer bist du, und was willst du hier? Versuch bloß nicht, uns noch weiter ans Bein zu pinkeln! Wir kriegen´s schon raus! Merk dir: Wenn du pinkelst, scheißen wir zurück!“
  „Ich bin Albert Schröder aus Paderborn“, log der Oberst ungerührt. „Ich will niemanden verarschen und auch niemandem nicht ans Bein pinkeln. Das heute Morgen war ein Missverständnis. Mit german wollte ich lediglich mitteilen, dass ich Deutscher bin.“
   „Pa – pa... how is the place called?“, fragte der Mann, der links von Weizenkorn saß.
   „Pa-der-born“,  skandierte der Oberst.
   „Never heard... Wo liegt denn das?“
   „Das ist doch jetzt völlig unwichtig!“, schnauzte einer der Kämpfer mit belegter Stimme. Er war ein Zwerg mit einem riesigen kahlen Schädel, schwarzem Vollbart und winzigen Ohren. „Viel wichtiger ist, was er hier will.“
   Der Mann an der anderen Seite des Tisches, ein athletischer Kerl mit einer speckigen Mütze, die seine Ohren verdeckte, auf dem Kopf, blickte den Oberst amüsiert an. „Also, was willst du hier? Oder hast du dich nur verlaufen, he?“
    Hässliches, höhnisches Gelächter rundum.
   „Du hast es doch gehört! Ich bin ein Reisender in eigener Sache, ein globetrotter – ein Weltenbummler – bin mal hier, mal da und nirgends zuhause.“
   Der Mützenmann – nach den Blicken zu urteilen, die ihm die anderen zuwarfen,  offenbar der Anführer – legte die Unterarme auf den Tisch und beugte sich weiter vor. Seine Oberarme, fett wie Mastschweine und vollständig tätowiert, wölbten sich noch weiter auf, und sein gewaltiger Brustkasten sprengte fast das kurzärmelige Hemd.   
  „Nimm mal die Brille ab!“, befahl er, „oder siehst du hier jemanden, der eine Sonnenbrille trägt?“
   Der Oberst fasste sich blitzschnell. „Hier leidet offensichtlich auch niemand an einer sehr schmerzhaften Überempfindlichkeit der Netzhaut“, fabulierte er. „Gut, Mister, wenn du darauf bestehst, nehme ich sie ab. Aber vorher muss ich die Augen schließen. Bei der enormen Helligkeit in diesem Raum...“
    Der Koloss sah Weizenkorn einen Moment mit gerunzelter Stirn durchdringend an. Dann  fuhr er grinsend fort: „Okay, okay, man, schon gut! Du bist also ein globetrotter, der an einer schmerzhaften Überempfindlichkeit der Netzhaut leidet! Hätt´ ich nicht gedacht!“ Er lachte ungut und blickte siegessicher in die Runde. Plötzlich brüllte er: „Was hältst du davon, wenn wir dich einfach erschießen, weil wir dir nicht glauben und dich für einen Spitzel halten? Vielleicht bist du ja sogar der Oberst Weißenkoon aus Ghazani höchst persönlich!“ Er schwieg, um Weizenkorns Reaktion abzuwarten. Doch der rührte sich nicht. „Der wird nämlich seit einer Woche vermisst!“, zischte er enttäuscht, „du glaubst gar nicht, wie gerne ich den mal kennenlernen würde!“ Wieder erscholl hirnloses Gelächter. „Hätt´ste nicht gedacht, Ferangi, was? Deiner Figur nach würd´s nämlich passen!“
   'Weißenkoon' zuckte mit keiner Wimper. „Und wenn ich dieser Oberst tatsächlich wäre?“, gab er ebenso spöttisch zurück. „Vielleicht hat der Oberst Weizenkorn ja die Fronten gewechselt? Gründe dafür gibt´s doch genug, oder? Na gut, wenn du mich unbedingt erschießen willst – bitteschön, dann tu´s doch! Den Tod fürchte ich nicht! Was ich fürchte, ist tödliche Langeweile.“
   Diese Kaltschnäuzigkeit blieb nicht ohne Wirkung. Der Hüne sah den Oberst mit einer Mischung aus Erstaunen und Bewunderung an. „Hmm... deadly boredom... Mann, so einen wie dich könnten wir tatsächlich noch gebrauchen“, sagte er.
   So weit kommt´s noch, du Arschloch, dachte der Oberst. Laut sagte er: „Zuvor würde ich doch gerne wissen, mit wem ich es zu tun habe. Hast du auch einen Namen, Mister?“ Es klang wie: Na, wie heißt du denn, Kleiner?
   „Ich bin der Kalif von Bagdad“, gab der Gefragte mit gleicher Münze zurück.
   „Dann bin ich der Oberst Weizenkorn“, gab der Oberst grinsend zurück.
   Kalif und Oberst lachten herzhaft.
   „Nun mal langsam, Magomed“, warf der mit dem Feuermal ein. „Soweit sind wir noch nicht! Erst will ich wissen, wer er ist, und was er hier will! Also, komischer Vogel“, sagte er in seiner Muttersprache, „wer bist du und was –?“
   Weizenkorn sprang so heftig auf, dass die Lehne seines Stuhls auf den Boden krachte. „Wage es nicht noch einmal, mich einen komischen Vogel zu nennen!“ brüllte er anscheinend außer sich vor Wut. Er blickte den 'Landsmann' mit verzerrter Miene an. „Warum beleidigst du mich? Hab´ ich dir etwas getan, du Armleuchter, he?“
   Auch dieser kalkulierte Ausbruch verfehlte seine Wirkung nicht. Der Gescholtene stammelte verdutzt eine Entschuldigung, und der 'Kalif von Bagdad' blickte den Oberst geradezu wohlwollend-freundlich an.  
   „Okay, okay, okay“, röhrte er, „reg´ dich ab und setz dich wieder! Du bist also Albert Sroder aus Pa – ist auch egal. Kann stimmen oder auch nicht. Wird wahrscheinlich nicht stimmen. Okay, wäre auch egal. Auch warum und wieso du ohne Equipment unterwegs bist, interessiert mich nicht die Bohne. Du erzählst uns eine Geschichte, sicherlich eine abenteuerliche Geschichte, und die sollen wir dann glauben. Geschenkt. Aber eines würde ich doch gerne wissen, Ferangi. Was, beim Sheitan – “
  Inzwischen hatte sich der Mann, der wissen wollte, wo Paderborn liegt, auf dem Laptop kundig gemacht. „Magomed, dieses Padaboon gibt´s wirklich!“
   „Lass es gut sein, Islam!“ Magomed al-Machadis Blick saugte sich an Weizenkorns Gesicht fest. „Was wir gerne wissen wollen ist dies: Was suchst du hier? Oder war dir nicht bekannt, dass du dich auf dem Gebiet des Islamischen Staates befindest? Normalerweise kassieren wir Leute wie dich ein und lassen sie erst gegen ein saftiges Lösegeld wieder frei. Deine Regierung ist ja in dieser Hinsicht ziemlich spendabel! Und wenn nicht: Kopf ab! Kann mir eigentlich nicht so recht vorstellen, dass du das nicht weißt. Du wirkst nicht wie einer, der rechts und links verwechselt.“
   „Es klingt jetzt vielleicht ein bisschen überraschend“, sagte der Oberst, „aber genau hier wollte ich hin!“
   Der Dicke blickte erstaunt auf. „Okay?“
   „Ich will bei euch mitmachen.“
  Für einen Augenblick verschlug es dem Athleten die Sprache. „Aha! Du willst also bei uns mitmachen... Hmm... Kann ich mir irgendwie schlecht vorstellen.“ Er blickte den Oberst irritiert an. „Du wirkst auf mich nicht wie einer von diesen Aussteigertypen, die es auch mal krachen lassen wollen. Eher wie der Leiter einer mittelgroßen Bank, der seinen Laden an die Wand gefahren hat und die Schuld dem bösen Kapitalismus in die Schuhe schiebt und das Weite gesucht hat! Aber nicht wie ein Fundamentalist! Und dann mit dieser Augenkrankheit! Ich weiß nicht... Ich weiß nicht... Irgendwie passt das nicht zusammen... Ein bisschen Menschenkenntnis solltest du mir schon zubilligen, Sir! Kann es sein, dass du dich da nicht ein wenig irrst? Außerdem – aus dem explosionsgeilen Alter dürftest du doch auch schon lange raus sein. “
   „Was hat das mit meinem Alter zu tun?“ Weizenkorn überlegte blitzschnell, wie alt er sich machen könnte, ohne unglaubwürdig zu wirken. „Ich bin nicht so alt, wie ich jetzt aussehe! Die Strapazen der letzten Wochen –“
  „Okay! Ist doch scheißegal... Interessiert hier niemanden! Also warum? Warum willst du bei uns mitmachen?“
   „Na gut. Ich könnte dir jetzt eine Geschichte erzählen, eine abenteuerliche Geschichte, zum Beispiel, warum ich im zarten Alter von sechsunddreißig Jahren in einer der gefährlichsten Terrororganisationen der Welt mitmachen will. Dergleichen Erzählungen gibt´s ja genug. Da wäre zum Beispiel die Fabel von der Abenteuerlust gepaart mit tödlicher Langeweile. Oder der Drang, perverse Gelüste zu befriedigen. Etwa, um als Heckenschütze wehrlose Zivilisten abzuknallen. Schön. Das könnt ihr glauben, oder auch nicht. Wie sagtest du doch eben, Mister? Du sagtest: Geschenkt! Sagen wir doch mal so: Ihr habt in der letzten Zeit einige schmerzhafte militärische Niederlagen hinnehmen müssen, und die Amerikaner und die Regierungstruppen bereiten gegenwärtig eine große Offensive gegen euch vor. Da denke ich, okay, sie können jeden Mann gebrauchen und fragen nicht groß nach seiner seelischen Hautfarbe!“
   Weizenkorn schwieg. Nach einer Weile fragte Islam in die knisternde Stille hinein: „Mann, hast du schon mal jemanden umgelegt?“
   Da ist sie, die Gretchenfrage, dachte der Oberst. Natürlich hatte er schon damit gerechnet und sich dementsprechend gewappnet. „Nein. Aber ich vermute mal, ich bin nicht der erste, der bei euch das Töten lernt.“
   „Sicherlich nicht, Ferangi“, sagte Magomed, „aber stell dir das nicht so einfach vor! Hier waren mal zwei Spaßvögel, die wollten unbedingt die Ruinenfelder von Ghundum besichtigen. Meinten, die wären weltweit einmalig. Okay, sagte ich zu ihnen, schaut sie euch an. Aber wenn ihr zurückkommt, macht ihr bei uns mit, oder wir schlagen euch den Kopf ab! Schon bei der ersten Exekution kotzte sich der eine die Jacke voll, und sein Kumpel wurde ohnmächtig. Dabei hatten sie nur zugesehen!“
   „Warum erzählst du mir das? Was hat das denn mit mir zu tun? Sehe ich wie...äh...   wie ein Hosenscheißer aus?“
   „Wie einer aussieht, das hat nichts zu besagen. Weißt du, Albert, oder wie du auch immer heißt, hier kommen immer wieder Leute an, solche Rambotypen, die vor Kraft kaum gehen können, mit Visagen wie Pflastersteine und reihenweise nackten Weibern auf den Oberarmen und so. Wenn´s dann ernst wird, shit, dann zeigt es sich, dass die keine Eier zwischen den Beinen haben und nach dem ersten Einsatz wieder zu Muttern untern Rock kriechen wollen. Die lassen wir dann laufen, diese scared pants, denn für die zahlt sowieso niemand auch nur einen lumpigen Cent.“ Magomed lachte höhnisch. „Haha! Und zuhause werden sie dann wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verhaftet! Geschieht ihnen recht, diesen Versagern! Diese gottverlassene Welt kann man nicht mit ´nem saudummen Schnulli im Mund verändern!“
   „Magomed, was machen wir nun mit ihm?“, fragte der Kämpfer, der jetzt wusste, wo Paderborn liegt, und dem Magomeds Geschwätz anscheinend auf die Nerven ging. „Nehmen wir ihn auf, oder jagen wir ihn zum Teufel?“
  Der 'Kalif von Bagdad' lehnte sich zurück und blickte Weizenkorn ausforschend an. Hinter seiner schweißnassen Stirn brodelte es. Zu gerne hätte er gewusst, ob diese Augen wirklich so betörend flammenblau waren wie die des Oberst Weizenkorn, den er liebend gerne in seine Gewalt bekommen hätte. Aber hinter dem getönten Glas konnte er zwar die Augen, aber nicht deren Farbe erkennen.
   „Okay, wir können´s ja mal mit ihm versuchen. Aber erst muss er zeigen, dass er dem Geschehen hier auch gewachsen ist.“
   Es ging jetzt so schnell, dass dem Oberst keine Zeit zum Reagieren blieb. Plötzlich riss ihm jemand die Sonnenbrille von der Nase. Der Mullah! Den hatte er ganz vergessen! Der widerliche Alte war, vom Oberst unbemerkt, von hinten an ihn herangetreten und hatte die Brille ergriffen. Weizenkorn war so verblüfft, dass er für eine Sekunde vergaß, die Augen zu schließen. Und schon hatte ihn Magomed erkannt.
   „Weißenkoon!“ rief der und sprang auf, „der blauäugige Oberst! Ich hab´s doch geahnt! Das Theater mit der Augenkrankheit kam mir gleich verdächtig vor! Ha, endlich haben wir dich!“
   Der Oberst hatte blitzschnell eine der Pistolen, die auf dem Tisch lagen, ergriffen und auf den Anführer gerichtet. „Wenn sich einer von deinen Affen hier rührt oder auch nur den kleinen Finger bewegt“ rief er, „knall ich dich ohne mit der Wimper zu zucken ab! Wenn es sein muss, gehe ich auch über die Leichen von euch Dreckskerlen! Und jetzt setzt du dich schön wieder hin und hältst die Beine still.“
  In diesem Moment war der Oberst die Kaltblütigkeit selbst. Sein Gehirn arbeitete  völlig emotionslos wie ein perfekt programmierter Computer. Diese enorme Besonnenheit, diese absolute Beherrschung auch des kleinsten Muskels im Anblick höchster Gefahr war etwas, das man auf keiner Bundeswehrakademie lernen konnte. Es war eine Gabe, die ihm in die Wiege gelegt worden war. Und wegen dieser Gabe, die nach Erprobung schrie, hatte er sich zum Kriegsdienst gemeldet.
   „Okay, okay, okay“, sagte Magomed und setzte sich wieder. Seine Augen funkelten hasserfüllt.
   Weizenkorn schielte zu dem Mullah, ohne die 'Affen' aus den Augenwinkeln zu verlieren. Der gebrechliche Alte saß auf einem Stuhl in der Zimmerecke und schien wieder zu beten. Die Gebetskette glitt durch seine Finger.
   Weizenkorn machte jetzt einen unverzeihlichen Fehler, der ihm früher nie passiert wäre: Er vertraute dem äußeren Schein und unterschätzte damit einen Gegner. Jetzt hatte er ganz andere Sorgen, als auf einen brabbelbden Greis mit einer Misbaha, deren Kugeln ihm einen Moment unwahrscheinlich groß vorgekommen waren, Acht zu geben. Er überlegte nämlich gerade angestrengt, wie er diese Situation auflösen könnte, ohne sein Ziel aufgeben zu müssen.
   Er wandte sich Magomed zu, der zusammengesunken wie ein  Hefekloß auf seinem Stuhl hockte.
   „Hör zu, Magomed“, sagte der Oberst, „ich mache dir einen Vorschlag –“
   In diesem Moment verspürte er einen furchtbaren Schlag auf den Schädel. Noch während der vermeintliche Mullah die Kette mit den Bleikugeln von seinem Hinterkopf nahm, brach Weizenkorn stöhnend zusammen.

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wunderkerze
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nicolailevin
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 259
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag27.06.2019 18:44

von nicolailevin
Antworten mit Zitat

Guten Abend,
hier der nächste Packen (zwei deiner Lieferungen, eine war recht kurz) zurück.
VG
Nico.

Zitat:
Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne beleuchteten die braunen Gesichter


Zitat:
Die beiden Nomaden brachten den Oberst


Bisschen viel Nomaden auch im vorigen Absatz ...

Zitat:
„Ein Tourist, ein Durchreisender. Ein Genussbummler. Dummerweise ist mein Landrover in einem Gotschfeld stecken geblieben.“


Da hab ich wieder mein Sprachenproblem, wenn ich nicht gesagt bekomme, in welcher Sprache gesprochen wird und dann einer so ein lyrisches Deutsch verwendet ...

Zitat:
Weizenkorn lachte gepresst. „Sahib, du bluffst! Woher willst du wissen, dass die Kugel aus meiner Pistole stammt? Hast du hier ein kriminaltechnisches Labor?


Wollten sie nicht ein paar Absätze weiter oben die Kugel nach Heriat schicken, um sie untersuchen zu lassen?

Zitat:
Der Oberst merkte, wie ihm das Wasser den Rücken herunterlief.


Zitat:
Blutrache war neben der Gastfreundschaft in diesem Lande immer noch eine der stärksten gesellschaftlichen Kräfte, wenn nicht die stärkste.


'gesellschaftliche Kraft' klingt mir sowohl schief als auch viel zu trocken. Was ist aus der guten alten 'Sitte' geworden?

Zitat:
Dass das Video zwar echt und doch ein Propagendaerzeugnis war – das Blut war wirkliches Blut, aber der Mann war zu diesem Zeitpunkt schon seit zwei Stunden tot, erschossen – , auf die Idee war der Oberst allerdings nicht gekommen. Wie sollte er auch!


Weglassen. Du schreibst Fiktion! Er hat das Video gesehen, er graust sich. Der Leser wird und darf sich fragen, wie begründet die Furcht ist, wie real das Video ... Wieder: Lass der Geschichte ein paar Geheimnisse, erklär nicht alles!

Zitat:
Und noch etwas anderes bereitete ihm erhebliches Kopfzerbrechen. Im Tresor seines Dienstzimmers lagen die drei Giftgas-Osterhasen, mit denen er als Vergeltung für den Tod Taifans den SaI aus seinen unterirdischen Stellungen wie widerliche Ratten vertreiben wollte. Nicht auszudenken, wenn dieses Teufelszeug in falsche Hände geriet und zum Einsatz käme! Man würde die internationale Allianz sofort bezichtigen, einen Giftgasangriff durchgeführt zu haben. Das wäre der Supergau für das Ansehen des Westens und das Schlimmste, was der deutschen Sektion passieren konnte!
   Zumindest diese Sorgen war unbegründet. Der Oberst wusste nicht, dass ihn der stieräugige Nur hereingelegt hatte. In den Osterhasen war harmloses Lachgas.


Hier bin ich mir selbst nicht so schlüssig, ob du den Leser im Dunkeln lassen solltest ... vielleicht später auflösen? Auf alle Fälle würde ich das weniger technisch anlegen, da kannst du doch ein bissl Grusel verbreiten, wenn ihm Bilder durch den Kopf schießen, von schmerzverzerrten Kindergesichtern, weil die Lungen vom Giftgas verätzt sind und wie in den Fernsehbildern die weinenden Mütter die Leichen ihrer Babys in die Kameras halten und anklagen.  
   
Zitat:
Auch unser Outfit ist ja keineswegs noch landesüblich.


Smile Das hast du aus der afghanischen Bravo geklaut ...

Zitat:
Einige Leute bei der Regierung mit Weitsicht haben sich bei der UNESCO für den Titel Weltkulturerbe Zentralasiatische Karawanen eingesetzt. Meinen Internetauftritt findest du, wenn du willst, unter dem Stichwort Die Karawanen des Feisal Shariff. Sollte dieser Krieg einmal vorbei sein, könnte dieses Projekt ein Touristenmagnet werden.“
   „Wie viele solche Karawanen gibt es denn hier noch?“
   „O, du wirst staunen, noch eine ganze Reihe. Meine beiden, die beiden meines Bruders, und etliche, die reichen Geschäftsleuten und Politikern gehören. Manche kaufen sich einen Fußballclub, andere sponsern lieber eine Karawane, weil sie sich davon mehr Rendite erwarten.“


Das hängt. Ich würds umgekehrt aufziehen: Erst die Hoffnung auf Tourismus, dann als Zuckerl obendein (vielleicht als Replik auf einen bissigen Einwurf des Oberst?) der Hinweis auf die Aussicht des Kulturerbes, das würd ich aber unbestimmter halten. Das mit dem Sponsoring würde ich weglassen.

Zitat:
„Du erwähntest eben den Weg der Karawane“, sagte er. „Gestern ist in Ghundum eine junge Frau gesteinigt worden. Gehören solche Grausamkeiten auch zu dem Weg, den Allah dir und deinen Glaubensbrüdern weist?“


Wo hat der Oberst denn von der Steinigung erfahren? Das hab ich irgendwie überlesen, glaub ich ... Check mal sicherheitshalber, dass du das schon erwähnt hast.

Zitat:
„Bei Allah!“ rief er, „heute glaubt kaum ein islamistischer Kämpfer mehr an die zweiundsiebzig Jungfrauen im Himmel! Viele glauben noch nicht einmal an Gott! Entschuldige! Sie entführen Frauen, weil sie den Versprechungen der Imame nicht vertrauen. Einige stellen dann fest, dass es ihnen an der nötigen Manneskraft fehlt. Es ist überall auf der Welt das gleiche mit den Männern. Wir liefern die Pillen bis nach Indien! Eine unserer Haupteinnahmequellen. Du schüttelst den Kopf. Sieh es doch mal so, Sahib: Seit es diese Pillen gibt, werden nicht mehr so viele Nashörner geschossen. Die Pillen sind eine Art Tierschutz. Alles auf dieser Welt hat zwei Seiten.“
   „Na schön! Aber bisher sehe ich nicht, inwiefern dieser Handel zum Schaden derer ist, die den Namen Allahs missbrauchen, wie dein Sufi so trefflich formulierte.“


Das ist wieder so besserwisserisch. Ich würd es lassen. Jeder weiß, wofür Mann die Pillen braucht, und ich bezweifle, dass der Shariff wirklich die Statistiken von Nashornabschüssen kennt oder sich dafür interessiert. Diesen Konnex machen vielleicht wir im Westen (insofern könntest du den Nashorngedanken vielleicht dem Oberst in den Kopf setzen), aber nicht der Lampuke ...
 
Zitat:
„Na gut, du Missionar! Ich werde im Rat ein gutes Wort für dich einlegen, und wie üblich wird man meinem Votum folgen.


So würde man m.E. nicht von der eigenen Position reden. Gegenvorschlag: "Normalerweise folgen sie meinem Votum." oder "Es würde mich wundern, wenn sich einer meinem Votum widersetzen würde ..."

Zitat:
Eine entzückende Träne löste sich und lief ihre Wange hinunter.


Das ist mir denn doch ein wenig zu dick aufgetragen.

Zitat:
„Fidi,


Ist Fidi sowas wie Liebling? Ich dachte immer, es sei eine von Taifan handgestrickte Form von Friedrich ...

Zitat:
Doch mit einmal wusste er, woher der süßliche Geruch kam: Er stammte von dem stark gezuckerten Tee, der dampfend vor ihm stand.


Man riecht es dem Tee nicht an, wieviel Zucker drin ist.

Zitat:
Der Oberst ergriff ebenfalls seinen Teacup, denn irgendetwas musste er ja jetzt tun.


Warum Teacup? Außerdem: Wird Tee da nicht auch noch eher in Gläsern serviert?
  
 
Zitat:
Illaha, auf ihrem Sitzkissen, richtete sich auf und begann:


In welcher Sprache rezitiert sie denn?

Zitat:
Ihr Vater hat hat sie ins Englische übersetzt, um diese herrlichen Schöpfungen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.


Aha. Und du dichtest sie auf Deutsch nach? Irgendwas ist da für mich nicht rund. Vielleicht solltest du wenigstens von den Gedichten auch eine englische Fassung probieren ...
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