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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 01/2019
Im energetischen Nirwana

 
 
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nebenfluss
Geschlecht:männlichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5990
Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
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Beitrag01.01.2019 20:00
Im energetischen Nirwana
von nebenfluss
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Es knallt nicht, als die Energie aus der Welt entweicht. Vielleicht doch, irgendwo, an der Quelle der Störung, im Elektrizitätswerk? Ein Kurzschluss, was weiß ich. Bei uns Verbrauchern kommt nur das Ergebnis an. Die wichtigste Voraussetzung für unser gewohntes, modernes Leben bricht einfach zusammen, lautlos, klaglos, als sei das Funktionieren bis eben nur eine Laune des Schicksals gewesen ... als hätten wir keinerlei Anspruch darauf.
Es ist der Moment, als meine Schwester Viola auf der Arbeit die Stirn runzelt, das Telefon in der Wohnung meines Vaters verstummt, und mein Sohn Niklas draußen auf der Straße, durch dreißig Meter Luftlinie von Opa getrennt, einen hellen Schreckenslaut ausstößt. Niklas' Hand krampft sich um meine Finger.
Wir sind stehen geblieben, und er umschlingt nun mit seinem freien Arm auch meinen Oberschenkel. Er hat schon einige Stromausfälle erlebt - sie häufen sich in letzter Zeit, sogar in den Abendstunden -, doch noch nie im Freien. Vermutlich bringt er das gar nicht zusammen, einerseits die Dunkelheit, die nun die Straße erobert, andererseits die Situation zu Hause, wenn der Fernseher nicht geht und sich Mama Sorgen um die Haltbarkeit der Lebensmittel in Kühlschrank und Gefrierfach macht. Die Straßenlaternen hinter uns erlöschen, die eine neben uns ebenso, gefolgt von den dreien bis zum Haus, in dem man Vater wohnt, hübsch ordentlich nacheinander, schließlich die dahinter. Parallel dazu ersterben auch die Lichter aus den Fenstern der Gründerzeithäuser.
Die Augen müssen sich jetzt erst an die Dunkelheit gewöhnen, denke ich, und dann: Was für ein Blödsinn. An einem mondlosen Winterabend, in einer Wohngegend, wo kein Auto und kein Fahrrad fährt, nirgends eine Lampe brennt, da siehst du halt nichts, da kannst du noch so lange warten. Die weiß gesprenkelten Dächer der hohen Bauten auf der gegenüberliegenden Straßenseite werden gelegentlich von der diffusen Streuung der Scheinwerfer auf der Sonnenallee illuminiert, etwas konkreter in den seltenen Fällen, wo sich Lücken zwischen den Gebäuden auftun. Zufällig wandernde Lichtinseln, die viel zu viel Schatten hinter sich herziehen als fänden sie nichts, was einer Beleuchtung würdig wäre. Für den Weg, der vor uns liegt, hilft das wenig.
„Alles gut, der Strom ist nur mal wieder weg.“ Ich bemühe mich sehr, meiner Stimme beschwichtigend und zuversichtlich klingen zu lassen, Niklas weint ohnehin leicht, ein schreckhaftes Kind. Es ist doch gut, dass es so geräuschlos passiert, auch wenn es das Geschehen für mich irgendwie gruseliger macht. Niklas wird jedenfalls in der plötzlichen Schwärze keinen Schritt weitergehen, so viel ist klar. Ich muss an meinen Vater denken, hilflos wie er wirkt in letzter Zeit, dort vorne in seiner Wohnung ohne Licht. Dabei weiß ich nicht, wie heikel seine Situation tatsächlich ist: Er steht unter der Dusche, um sich für das gemeinsame Abendessen frisch zu machen. Das winzige, schießschartenartige Milchglasfenster des Badezimmers lässt für seine altersschwachen Augen kein Fünkchen Helligkeit hinein. Die Frage, ob er noch versucht, das klingelnde Festnetztelefon zu erreichen, das er in weiser Voraussicht mit ins Bad nahm, hat sich erledigt. Desorientiert sucht er nach der Armatur, das Wasser wird nun sehr schnell kälter.
Instinktiv bücke ich mich und greife meinem Sohn in seine Anorakachseln, spanne die Armmuskeln an, hebe ihn hoch, eine vertraute Handlung von früher, doch wann habe ich ihn eigentlich das letzte Mal getragen? Nicht seit seinem vierten Geburtstag, so viel steht fest. Siebzehn Kilo setze ich mir auf den rechten Arm und verliere fast die Balance. Den linken brauche ich für das Smartphone mit der Taschenlampen-App. Allein das Herausziehen des Handys aus der Manteltasche ist eine Herausforderung. Souverän will ich sein, Niklas Sicherheit vermitteln. Und ahne doch, dass ich das so keine ganze Minute durchhalte, bei dem Gewicht.
Ich setze mich besser in Bewegung, wobei die Taschenlampen-App im Freien nicht viel taugt, ich muss sie auf den Boden richten, um wenigstens den ersten Schritt zu planen. Nach vorne gerichtet, zeigt sie nur uns entgegentaumelnde Schneeflocken. Ein, zwei Meter erleuchteter Matsch auf dem Bürgersteig, mehr ist nicht drin.
Währenddessen hat mein Vater zwar das mittlerweile eiskalte Wasser abgestellt, traut sich aber nicht aus der altmodischen Duschwanne hinaus. In aufwallender Panik gleiten seine Hände über glatte Kacheln und raue, bröckelige Fugen, vielleicht auf der Suche nach der Stange, die den Duschkopf trägt, wahrscheinlich hat er die aber nicht einmal konkret im Sinn, sondern sucht schlicht nach irgendeinem Halt.
Aus dem dezenten Rauschen des Autoverkehrs von der Sonnenallee erhebt sich vor mir eine erregte Stimme in einer ausländischen Sprache, türkisch, albanisch, rumänisch, keine Ahnung. Ein Licht kommt geradewegs auf mich zu. Ich halte mich an der Bordsteinkante, um einen Zusammenstoß zu vermeiden. Niklas ganz still in meinem Arm. Vermutlich freut er sich über das Schneetreiben, das auf unseren Gesichtern zerplatzt, schmilzt, zu emotionslosen Tränen zerrinnt. Bilderbuchwinter ist selten geworden in Berlin.
Das Licht vor mir ist eine Stirnlampe. Sie erhellt das verzerrte Gesicht einen kleinen Mannes, darunter ist in kuriosem Gegensatz zum Kopfschmuck ein eleganter Anzug zu erahnen. Er ist allein. Er telefoniert. Empfang dürfte er jedoch keinen haben. Bei jedem der vergangenen Stromausfälle waren sämtliche Hotspots und Funkverbindungen im Viertel verreckt. Offenbar ist er so in seine Tirade verstrickt, dass er gar nicht registriert, in eine tote Leitung zu schimpfen.
Viola passiert ähnliches.
Nachdem das Freizeichen bei meinem Vater plötzlich abbrach, versucht sie seit zehn Sekunden, eine SMS an mich zu versenden:
Hi bruderherz. Wir haben leider einen notfall, muss gleich in op. Sorry kann leider nicht zum abendessen da sein
gruess papa
v.

Wer weiß, ob es diesen Noteinsatz überhaupt gibt; jedenfalls checkt Viola nicht, was vor sich geht. Drüben, in der Klinik vier Blöcke weiter, haben sie Notstrom. Der Übergang zur Ersatzversorgung, erzählte sie neulich, funktioniert reibungslos. Manche meinen, ein Flackern in der Flurbeleuchtung wahrzunehmen, nicht länger als ein Wimpernschlag, ein paar Millisekunden Spannungsabfall, die nicht einmal die PCs und digitalen medizinischen Geräte auf der Station zu einem Neustart veranlassen. Viola bemerkt nichts, sie ist immer völlig auf ihre Aufgaben konzentriert, oder auf das Display ihres Smartphones.
Die Idee eines Stromausfalls könnte ihr kommen, sie müsste nur die Schwärze vor dem Fenster zur Kenntnis nehmen, aber sie glaubt an einen Handy-Boykott der Klinikleitung, wäre nicht das erste Mal, und das erregt ihren Zorn.
Während ich den kleinen Choleriker hinter mir lasse, pfeffert sie das Samsung von sich, vor gerade fünf Wochen erworben, gebraucht, aber immerhin das vorletzte Modell. Der Raum ist klein, der Weg kurz, aber reicht für eine Drehung um die Längsachse, ein letztes Mal fällt das Neonlicht ungebrochen auf das Display. Das Gerät prallt vom Heizungsthermostat ab und poltert auf den Linoleumboden, wo es wie beleidigt auf der Bildschirmseite liegen bleibt.
Violas Gesicht changiert von Wut zu Bestürzung zu Scham. Sie wagt es nicht, das Smartphone aufzuheben. Sie denkt an ihren Kontostand und das Liquid-Glas-Kit, das bei ihr zu Hause darauf wartet, das Leben des Handys gegen ihre Wutanfälle zu verteidigen. Violas Jähzorn weiß nichts von der Fragilität der Dinge.
Mein Vater setzt vorsichtig den zweiten Fuß aus der Duschwanne hinaus, atmet durch und tastet nach dem Handtuch, das auf dem Klodeckel bereit liegen sollte. Es ist nicht da. Das fehlende Licht verrückt die Dinge von ihrem angestammten Platz, so wie mir der geringe Lichtkegel vor uns jedes Gefühl für die zurückgelegte Strecke raubt. Ich könnte mit Siebenmeilenstiefeln unterwegs sein oder im Gänsemarsch vor mich hertrippeln, die ungewohnte Situation relativiert jedes Urteilsvermögen. Ich richte das Nokia in Hauseingänge, die Leuchtkraft reicht nicht bis zu den Haustüren.
Zum Glück ist an einem Pfosten am Gehsteig die Hausnummer angebracht. Der nächste Eingang ist es. Von Niklas Gewicht schon deutlich geschwächt, schwanke ich über das glitschige Pflaster und setze meinen Sohn vor der Tür ab. Mit der Klingel halte ich mich nicht auf, sondern fummele mein Schlüsselbund heraus und finde in erstaunlichem Widerspruch zu Murphys Gesetz sofort den richtigen. Die Tür springt auf. Nun nur noch die zwei rabenschwarzen Stockwerke hinauf und in die Wohnung meines Vaters, um ihn zu beruhigen und mir anzuhören, wie er die letzte Minute verbracht hat.

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Tape Dispenser
Geschlecht:männlichEselsohr
T


Beiträge: 272



T
Beitrag12.01.2019 21:28

von Tape Dispenser
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Ein auktorialer Ich-Erzähler. Konventionell erzählt, gut die Stimmung wiedergegeben, viele gute Detailbeschreibungen,  aber nichts, was mir irgendeinen Anhaltspunkt gäbe, was es mit diesen sich häufenden Stromausfällen auf sich hätte.
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Herdis
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 134
Wohnort: Nordhessen


Beitrag13.01.2019 16:43

von Herdis
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Ein bestimmter Ort, hier eine Stadt, während (mehr oder weniger) einer Minute betrachtet. Diese Vorgabe ist für mich trotzdem erfüllt.

Von der Mottovorgabe "(Un-)Haltbare Gegenwart "Die gestundete Zeit" von Ingeborg Machmann:
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont."
inspiriert oder sich damit auseinandersetzend?

Nicht wörtlich. Ansonsten, eher ein nein. Die Vorgabe wurde hier m.E. nach weniger beachtet.

Ob E-Lit oder U-Lit- da halte ich mich (bei allen Texten, die ich hier bewerte) raus.

Wenn die Energie aus der Welt entweicht... und das noch in einer verschneiten Winternacht... ja, dann...
Schlicht und nachvollziehbar geschrieben, mit einem leicht ironischen Unterton (Er ist allein. Er telefoniert. Empfang dürfte er jedoch keinen haben. Bei jedem der vergangenen Stromausfälle waren sämtliche Hotspots und Funkverbindungen im Viertel verreckt. Offenbar ist er so in seine Tirade verstrickt, dass er gar nicht registriert, in eine tote Leitung zu schimpfen.) erfrischend- so wie die im Dunkel liegende Straße.


_________________
"Wenn ich nicht schreibe, fühle ich, wie meine Welt schrumpft. Ich empfinde, wie ich mein Feuer und meine Farben verliere." Anais Nin

Online frei erhältlich:
Herbsttag (Zwischendurchgeschichten, WIRmachenDRUCK.de, 978-3-9817672-9-2)
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Heidi
Geschlecht:weiblichReißwolf


Beiträge: 1425
Wohnort: Hamburg
Der goldene Durchblick


Beitrag14.01.2019 08:50
Re: Im energetischen Nirwana
von Heidi
Antworten mit Zitat

Das ist ein sehr flüssiger, ausgereifter Show-don´t-tell-Schreibstil. Gut geschrieben, alles bildhaft. Leider fehlt mir auch hier (es betrifft die meisten Dehnungsgeschichten) die Abwechslung. Insgesamt halte ich es für beinahe unmöglich (es gibt sicherlich Ausnahmen), eine Episodengeschichte - also mehrere Schauplätze, mehrere Schicksale von unterschiedlichen Menschen) in der Ich-Perspektive zu schreiben. Dadurch, dass es sich um einen Ort handelt, bzw. um einen Häuserblock, um eine Familie, die ich aber nicht von außen betrachte, sondern aus der Perspektive einer Person, fehlt mir ein Innenraum-Erlebnis, eins, das ich in mir drin entwickle und nicht von der Figur heraus zu sehen bekomme.
Die Geschichte an sich dreht sich um einen Stromausfall, der mir nicht nahe kommt. Zu Beginn frage ich mich, ob es sich um eine Endzeitgeschichte handelt. Die Welt steht kurz vor dem Untergang, dann ist da aber die Story um den Vater, dem ich im Badezimmer (durchs Fenster von außen) aus der Perspektive deiner Ich-Figur betrachtet, nicht nahe komme. Trotz flüssigem Schreibstil, fällt es mir schwer, bis zum Schluss durchzuhalten. Es liegt am fehlenden Innenraum-Erlebnis, etwas, das nachhallt in mir, das Besondere zwischen den Zeilen.
Aber natürlich werde ich noch mal lesen. Vielleicht komme ich dann zu völlig neuen Erkenntnissen.

---

Nach nochmaligem Lesen ist mir aufgefallen, dass der Ich-Erzähler Dinge sieht, die er eigentlich nicht sehen kann - wie etwa das Telefon, das sein Vater mit ins Bad genommen hat und auch anderes. So ein Perspektivbruch könnte - wenn anders gelöst -  sicherlich interessant sein, aber mit der derzeitigen Erzählweise reibt er sich unangenehm.
Was Thema, Motto und Dehnung betrifft: Das Thema finde ich nicht vor, das Motto ebenfalls nicht und die Dehnung ist ansatzweise umgesetzt - Wechsel zwischen Ich-Person-Erlebnisse und die des Vaters (die aber auch aus der Perspektive der Ich-Person erzählt werden)

Inhaltich steige ich nicht ganz durch. Soll es die letzte Minute vor dem Sterben des Vaters sein, von der am Ende die Rede ist? Oder einfach die Minute, die eben vorübergezogen ist und deshalb die letzte ist?

Leider gibt es keine Punkte für den Text.
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Mardii
Stiefmütterle

Alter: 64
Beiträge: 1774



Beitrag15.01.2019 15:06

von Mardii
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Der Text behandelt das Thema Minuten in einer Stadt, Gegend … . Mir fällt auf, dass es keine Gleichzeitigkeit gibt. Alles scheint nacheinander zu passieren. Spannend ist es schon zu lesen, aber die Geschichte des Vaters im Bad dauert bestimmt länger als eine Minute. Ich bin unschlüssig.

_________________
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Ridickully
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hobbes
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Beitrag15.01.2019 15:49

von hobbes
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Hallo.

Gerade fällt mir auf, dass sich zweierlei für mich im Wettbewerb wiederholt. Einmal die Frage danach, wie das mit der Erzählperspektive gelöst ist und was ich von dieser Lösung halte.
Dann die Frage nach dem "und nun." Also der Text ist fertig, ich erwarte, dass er irgendwas mit mir getan, gemacht hat, aber stattdessen drängt sich eher die Frage "und nun" auf. Ich kann das gar nicht so genau erklären, was ich damit meine, vielleicht diesen ominösen Nachhall, der im Smalltalk-Faden mal erwähnt wurde, in Richtung des Zitats von wemauchimmer, dass die Geschichte erst anfange, wenn man an ihrem Ende angekommen sei.
Was auch immer es ist, es fehlt mir hier. Die Geschichte ist zu Ende und fertig.
Das einzige Rätsel, das mir der Text aufgibt, ist die Frage, in welcher Welt er erzählt wird, was passiert da, was soll mir das sagen, diese Stromausfälle, was geht denn da generell kaputt.
Nur ist das leider keine Frage, die für mich interessant ist, ich interessiere mich ja lieber für die Abgründe, das Miteinander der Figuren und die sind hier ziemlich auserzählt. Eventuell gibt es einen Konflikt mit Viola und Niklas scheint auch nicht das allereinfachste aller Kinder zu sein, eventuell könnte man auch einen Konflikt mit dem Vater hineinlesen, vielleicht auch nur den des Ertragens des Älter werdens dieses Vaters, aber mei, man könnte es genausogut auch sein lassen. Ich weiß nicht, was diese Leute bewegt.
Es knallt nicht, um es mal mit deinen Worten zu sagen. Wobei, da könnte man jetzt meinen, es müsse knallen, also so richtig, so meine ich das nicht, das "leise" Knallen ist ja oft genug schlimmer als der große Zusammenbruch.
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firstoffertio
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Beitrag15.01.2019 23:15

von firstoffertio
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Das ist, glaube ich, Genre.

Die Situation außergewöhnlich, dazu eine Geschichte.

Über die hinaus ich nicht zum Nachdenken angeregt werde.

Die Handlung steht im Vordergrund.

Das Motto/Thema kommen etwas zu kurz.

Wir haben nur eine Hauptstrecke und zwei Nebenschauplätze hier.
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d.frank
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D

Alter: 44
Beiträge: 1124
Wohnort: berlin


D
Beitrag16.01.2019 01:35

von d.frank
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Mag ich, ich sehe für mich selbst viel Aussage darin.
Nimmt man die Dunkelheit, nimmt man diese drei, auf die sich das Erzählen bezieht, dann sind es zwei, der eine vom Dunkel überrascht, der andere von den weiteren Auswirkungen. Beiden fehlt die Energie, und der, den man, an dieser Stelle und sähe man diesen Ausfall als Katastrophe, in Panik ausbrechen vermuten will, scheint mir die Ruhe in Person, weil er das Kind nicht beunruhigen will. Das Kind ist es auch, das die Beziehung zum Großvater in ein anderes Licht taucht. Für mich geht es hier im Großen um Beziehungen und wie sie sich verändern, wie sich Lebensmodelle verändern und wie sich eine Technik, eine Zukunft vor das Menschliche schiebt. Im Dunkel rückt man enger zusammen - unhaltbare Gegenwart.
Als einziges Manko bestünde für mich die Frage, ob diese Blickwinkel Vermutungen oder Tatsachen sind. Das wird stilistisch nicht ganz klar und das springt so ein bisschen heraus, weil ich versuche das zu verorten. Würde mich interessieren, ob ich den Hintergrund dazu grad nur nicht sehe oder ob das eher Autors Freiheit ist.


Edit:
Was ich noch erwähnt haben wollte:

Zitat:
Anorakachseln


Das ist ein wirklich lustiges Wort, ich habe es so gelesen:
Anora-kachseln Wink Laughing

Edit Nummer 2:
Hab dem Text fünf Punkte gegönnt.

Warum?

Weil da einiges zwischen den Zeilen steckt, das mich persönlich erreicht und berührt. Also eine ziemlich persönliche Entscheidung.

Warum hat er nicht mehr Punkte bekommen, obwohl er doch mehrschichtig und nicht auf den ersten Blick zu erfassen ist?

Weil ich wirklich über die Position des Erzählers stolpere. Ist das eine Erinnerung und das alles schon lange passiert? Oder sind das nur Vermutungen. Stilistisch wird das für mich im Text nicht klar und das sehe ich für mich selbst tatsächlich als Manko. Schade eigentlich, denn wäre das klarer ausformuliert gewesen, hätte der Text von mir wahrscheinlich eine höhere Platzierung bekommen, weil er ansonsten gut geschustert ist, ich die Vorgaben im Kleinen und im Großen sehe und weil er ein eigentlich aktuelles und vielleicht sogar erschöpftes Thema aus einem anderen Blickwinkel betrachtet.


_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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lilli.vostry
Wortschmiedin


Beiträge: 1219
Wohnort: Dresden


Beitrag16.01.2019 04:12
aw:ImenergetischenNirwana
von lilli.vostry
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Hallo,

der Titel klingt geheimnisvoll und verlockte mich zum Lesen Deiner Geschichte.
Habe sie gern gelesen, klar erzählt, unaufgeregt, mit leiser Ironie. Wie der Ich-Erzähler und seine Familie mit dem plötzlichen Stromausfall, geräuschlos und irgendwie gruslig, in der Großstadt (Berlin) umgehen, was sie zur gleichen Zeit tun... im Zeitraffer beschrieben in der Form des allwissenden Erzählers.

Denn wie sollte er sonst wissen, dass seine Schwester Viola den Stromausfall nicht bemerkt, da sie im Krankenhaus mit Notstrom arbeiten, die Schwärze vorm Fenster aber eigentlich auch sehen könnte... Oder der in der Badewanne im Dunklen nach Halt tastende Vater...

Schön die Beschreibung, wie die moderne Handy-Kommunikation auch ihre Tücken und Grenzen hat, anhand des kleinen Cholerikers im Anzug mit Stirnlampe und der ihr Handy wegpfeffernden Schwester witzig erzählt.
Eine Frage: was ist ein Liquid-Glas-Kit, das bei ihr zu Hause darauf wartet, das Leben des Handys gegen ihre Wutanfälle zu verteidigen?
  
Man fühlt buchstäblich mit, wie der Ich-Erzähler mit seinem kleinen Sohn im Arm, der immer schwerer wird, den er andererseits erstmals seit längerem wieder trägt und den Schnee im Gesicht spürt, und mittels moderner Technik! dem leuchtenden Handy-Display versucht, sich den Weg zu erleuchten durch die Finsternis, wie anders Häuser, Straßen, Empfinden auf einmal sind... Er sieht "wandernde Lichtinseln", nimmt mehr und intensiver wahr als sonst, im Hellen.
Das gibt doch zu denken. Insofern wird der Stromausfall zu einer besonderen, elementaren Erfahrung, ganz auf die eigenen Sinne zu vertrauen.

Ich gebe Dir 5 Federn für diesen Text von elf zu befedernden.

Grüße,
Lilli


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Literättin
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Beitrag16.01.2019 17:30

von Literättin
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Diesen Text mag ich einfach und habe nichts zu Mäkeln außer zwei, drei Winzigkeiten: der Verweis auf die Gründerzeit muss nicht sein und die Phrase mit dem Bilderbuchwinter, den es nicht mehr gibt in Berlin. Beides überflüssig. Und der Begriff „Mama“ anfangs bringt kurz eine betuliche Schlagseite, rein sprachlich. Ansonsten mag ich den einfach rundum: ich mag, dass der Protagonist die ganze Zeit vom Vater weiß und den in seiner Badewanne mag ich sowieso. Selbst die Marotte mit Violas Jähzorn-Opfer dem Smartphone gefällt mir. Und obwohl es eine eigentlich private Angelegenheit, fast ein Idyll ist, dass sich hier in Form dieser Kleinfamilie präsentiert, so bricht die Figur des Vaters dieses Idyll auf eine Art auf, die mich erreicht und allein für diesen Vater, der da in unspektakulärer Akzeptanz des Jetzt vollkommen protestlos sitzt, lohnt sich dieser ganze Stromausfall. Sehr schön Und E. … und die (un)haltbare Gegenwart? Hier muss ich doch glatt nachsuchen gehen. Die gestundete Zeit? O weh. Mal sehen was ich damit mache. Aber egal wie: schöner Text, mag ich. (Und das, wo ich Hauptstadt-Blues-Texten gegenüber inzwischen allergisch reagiere.) P.S.: Der Titel allerdings, der könnte anders, besser, der haut mich jetzt nicht so vom Hocker.

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when I cannot sing my heart
I can only speak my mind
- John Lennon -

Christ wird nicht derjenige, der meint, dass "es Gott gibt", sondern derjenige, der begonnen hat zu glauben, dass Gott die Liebe ist.
- Tomás Halík -

Im günstigsten Fall führt literarisches Schreiben und lesen zu Erkenntnis.
- Marlene Streeruwitz - (Danke Rübenach für diesen Tipp.)
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Kiara
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 44
Beiträge: 1404
Wohnort: bayerisch-Schwaben


Beitrag17.01.2019 11:20

von Kiara
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Dies ist eine Standard-Antwort: Vielen Dank für deinen Text! Ich bitte um Verständnis, dass ich (momentan) keine Begründung dafür abgebe, warum du von mir Punkte bekommen hast. Das liegt unter anderem daran, weil die (sogenannte) Klassifizierung von E-Literatur wenigstens teilweise subjektiv ist.
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V.K.B.
Geschlecht:männlich[Error C7: not in list]

Alter: 51
Beiträge: 6153
Wohnort: Nullraum
Das goldene Rampenlicht Das silberne Boot
Goldenes Licht Weltrettung in Silber


Beitrag18.01.2019 00:40

von V.K.B.
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Hallo Inko,
vorweg, der Text gefällt mir, aber ob es für Punkte reicht, kann ich noch nicht sagen, habe erst die Hälfte der Texte gelesen. Was diesen Text von den meisten anderen 1-Munte-Texten unterscheidet, ist, dass alles, was an den anderen Orten geschieht, fiktional ist und nur im Kopf des Protagonisten stattfindet. Er stellt sich dies aber so detailgetreu und glaubhaft vor, dass man sich beim Lesen immer wieder daran erinnern muss, dass es nur Imagination ist. Was mache ich jetzt mit dieser Vorgabenumsetzung? Imaginäre Punkte (in meiner internen Wertung) verteilen? Nee, ich lasse das i dahinter einfach weg, LibreOffice mag es beim Zusammenzählen nicht, wenn man komplexe Zahlen in seine Tabellen einträgt und ignoriert diese bei der Summenfunktion. Da ich zu faul zum selber rechnen bin, hast du Glück gehabt.

Nee, Spaß beiseite, das trifft die Vorgaben für mich dennoch. Punkte muss ich dagegen leider bei Thema und Motto abziehen, denn sowohl (un)haltbare Gegenwart als auch die auf Widerruf gestundete Zeit am Horizont kann ich nicht deutlich entdecken.
Ist das jetzt E? Thematisch und inhaltlich schon, würde ich sagen. Allerdings: Eröffnet mir das neue Perspektiven? Darüber nachzudenken, was andere, die ich kenne, irgendwo anders gerade tun? Irgendwie nicht. Nehme ich etwas aus dem Text mit, von dem ich mich geistig bereichert fühle? Hmm, irgendwie auch nicht. Sprachlich ganz ansprechend, aber auch nicht überliterarisch – damn, je mehr ich über diese Aufforderung bei der Bewertung nachdenke, desto mehr stürzt der Text bei mir ins E-nergetische Nirwana. Okay, never mind, nicht übertreiben mit der Bewertungsrevision.

gerne gelesen auf jeden Fall, mal sehen, ob es am Ende für Punkte reicht.

beste Grüße,
Veith


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Hang the cosmic muse!

Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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Municat
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Beitrag18.01.2019 14:39

von Municat
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Moin Inko smile

Bei dieser Geschichte merke ich, wie sehr wir Leser darauf geeicht sind, dass etwas passiert. Im geforderten E ist das aber gar nicht nötig. In dieser Minute geht es nicht darum, was passiert. Es geht darum, dass der Knirps in der Dunkelheit Angst (man könnte sich fragen, warum er trotz der  elterlichen Begleitung vor Angst erstarrt) hat, dass sich der Prota Sorgen um seinen Vater macht, dass wir Leser uns fragen, was dem alten Knaben unter Dusche hätte passieren können (Gefahrenpotential gibt es vom rutschigen Boden bis hin zum klingelnden Telefon in einer Nasszelle genug) und dass die Schwester des Prota das gemeisname Abendessen ausfallen lässt und ein dezentes Agressions-Problem hat. Auf den ersten Blick frage ich mich, warum diese Geschichte erzählt werden wollte. Genau diese Gedankengänge sind vermutlich gewollt und führen dazu, dass man eben nach den Ursachen der Reaktionen sucht.

Warum hat der Kleine diese Panik vor der Dunkelheit? Hat er schon schlimme Dinge erlebt?

Warum unterliegt der Großvater dem Wahn, selbst unter der Dusche noch erreichbar sein zu müssen? Rechnet er schon mit einem Anruf von Viola, weil die regelmäßig die vereinbarten Termine zum Abendessen absagt?

Warum sind der telefonierende Passant und Viola so zornig?

Im Vergleich zu anderen Geschichten sehe ich hier das Thema der flüchtigen Zeit weniger deutlich umgesetzt. Klar: Viola nimmt sich nicht die Zeit für das Familienessen, der Prota nimmt sich (zumindest in dieser Minute) nicht die Zeit, die Ängste seines Sohnes zu hinterfragen, der wütende Passant nimmt sich nicht die Zeit, hinzuhören oder seinen Gesprächspartner zu Wort kommen zu lassen (er merkt ja noch nicht einmal, dass er keine Verbindung hat). Man könnte sich vorstellen, dass sie diese ungenutzte Zeit irgendwann (jenseits der hier beschriebenen Minute) bereuen.

Punkte vergebe ich, wenn ich alle Texte zweimal gelesen und einmal kommentiert habe.


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Gräme dich nicht, weil der Rosenbusch Dornen hat, sondern freue dich, weil der Dornbusch Rosen trägt smile
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Catalina
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Beitrag20.01.2019 11:20

von Catalina
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Wie lange so eine Minute ohne Strom sein kann, bringst Du sehr gut rüber. Dein Stil ist flüssig. Den Titel finde ich originell.

Richtig gestolpert bin ich über das "Bruderherz" in der SMS. Ich war sicher, dass es sich um eine Frau handeln musste. Vielleicht bedingt durch die 17kg... Zufällig habe ich hier einen 17kg schweren Vierjährigen - dessen Gewicht  für sein Alter übrigens weit unterm Durchschnittlich liegt -, den ich ab und zu noch trage. Für eine Minute ist das überhaupt kein Problem, auch nicht auf nur einem Arm. Zwar bin ich für eine Frau ziemlich stark, aber das ist doch nichts im Vergleich zu der Muskelkraft eines Mannes.

Großes Mitleid hatte ich mit dem Vater unter der Dusche.

Das Funktionieren der Stromversorgung als eine Laune des Schicksals hat mich sehr amüsiert.

Das Thema/Motto finde ich nur bedingt. Ein Gebiet gar nicht.

Aufgrund der harten Konkurrenz gibt es leider keine Punkte.
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Eredor
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Das silberne Stundenglas DSFx
Goldene Harfe Pokapro III & Lezepo I


Traumtagebuch
Beitrag20.01.2019 23:26

von Eredor
Antworten mit Zitat

Das ist stark. Der Strom bricht zusammen, in kompletter Dunkelheit gleitet das Denken des Ich-Erzählers ins Fiktive. Um das zu erkennen, musste ich aber sehr viel graben. Und es war leider nicht die gute Art des Grabens; die Pointe, die im letzten Satz liegt, ist mir zu schwach, zu vorschnell geschossen. Wenn du einen Weg gefunden hättest, dieses fiktiv-werden der Gedanken im Text direkt zu verarbeiten, in der Stimme des Erzählers, hättest du vermutlich eine sehr hohe Punktzahl von mir bekommen. So aber muss ich dich leider zugunsten der sehr starken Konkurrenz in meiner Bewertung außen vor lassen.

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- Lütfiye Güzel
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Michel
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Der silberne Durchblick Der silberne Spiegel - Prosa
Silberne Neonzeit


Beitrag22.01.2019 15:58

von Michel
Antworten mit Zitat

Stromausfall. Perspektive: Mann will mit Sohn den Vater besuchen, Schwester im Einsatz in der Klinik. Stromausfall.
E? Ja, das gelungene Spiel mit den Perspektiven, Ich-P. des Mannes, die anderen auktorial eingebunden. Die gestundete Zeit? Hm. Die ganze Gegend, die exemplarisch erzählt werden soll? Ja, das Gebiet mit Stromausfall. Die anfängliche Befürchtung, eine Dystopie zu lesen (Genrelit!!!), erfüllt sich nicht. Gefällt mir. Nur nicht der Titel.
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Jenni
Geschlecht:weiblichBücherwurm


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Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag23.01.2019 01:16

von Jenni
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Was wäre, wenn es an einem dunklen Winternachmittag einen Stromausfall gäbe. Das ist natürlich in heutigen „modernen“ Zeiten eine interessante - deshalb aber auch schon viel be- und verarbeitete - Frage. Dann müsste man bei Taschenlampenlicht die letzten Meter gehen, was das Kind offenbar nicht kann, unter der Dusche wäre für einen alten Mann eher schwierig, und wichtige Infrastruktur wie ein Krankenhaus würden wohl (vorerst) davon nicht betroffen sein, soweit so realistisch, soweit so nichts Neues. Erzählt in der ersten Person, auch die Ereignisse, von denen der Erzähler nichts wissen kann, sie erst später vielleicht erzählt bekommt, was aber bei manchen davon (dem Wegwerfen des Handys) gar nicht mal wahrscheinlich ist. Wieso diese Perspektive gewählt wurde, erschließt sich mir nicht, ebensowenig, inwiefern sich in diesem Text mit (Un-)Haltbarer Gegenwart beschäftigt wurde. Das ist für mich ein bisschen am Thema vorbei und weckt selbst davon abgesehen nicht besonders mein Interesse.
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anderswolf
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Beitrag25.01.2019 17:18

von anderswolf
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Dunkel wird’s in der Welt, weil der Strom ausfällt, was manchen besonders deutlich, manchen aber gar nicht auffällt, weil sie SMS schicken wollen und an ein Versagen des Providers glauben statt an die naheliegende Lösung: Der Strom ist - wieder einmal - weg. Wieder einmal! Die Dunkelheit hilft, über einige Logiklücken hinwegzusehen, gleichzeitig, weil sie wirklich eine ganze Gegend trifft, macht sie die Dehnung deutlich, weil gleichzeitig die Welt schrumpft auf den winzigen Bereich, den ein Smartphone in einem Schneesturm beleuchten kann. Manchmal kommt halt doch alles zusammen.
Was will uns der Text sagen: Lasst weder Eure Handys noch Eure Liebsten fallen, auch nicht, wenn die Welt so düster scheint, dass es mondlose Winternacht sein könnte oder einfach nur eine Folge vom Augenzudrücken darüber, dass hier E, Motto und Thema nur mäßig zu finden sind. Wie aber auch im Finstern? Oder darum Nirwana, denn das heißt Erlöschen?
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nebenfluss
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Beitrag26.01.2019 15:58

von nebenfluss
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Hallo Tape Dispenser,

Tape Dispenser hat Folgendes geschrieben:
Ein auktorialer Ich-Erzähler. Konventionell erzählt, gut die Stimmung wiedergegeben, viele gute Detailbeschreibungen,  aber nichts, was mir irgendeinen Anhaltspunkt gäbe, was es mit diesen sich häufenden Stromausfällen auf sich hätte.


dem habe ich nicht viel hinzuzufügen.
Der auktoriale Ich-Erzähler war für mich das Spannende. Hatte gerade "Sieben Koffer" von Maxim Biller gelesen und wollte das auch mal probieren.
Das Präsens stellt dabei ein zusätzliches Risiko dar (Woher weiß jemand schon, was er erst aus späterer Erfahrung erzählen kann? - Antwort: Geht gar nicht.), aber ich habe mir das Präteritum so vollständig abgewöhnt, dass ich es auch dann nicht mehr einsetzen mag, wenn es objektiv sinnvoll wäre.

Was es mit den häufigen Stromausfällen auf sich hat, weiß ich auch nicht und war mir nicht wichtig.

Danke für deinen Kommentar!


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Beitrag26.01.2019 16:11

von nebenfluss
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Hallo Herdis,

Herdis hat Folgendes geschrieben:

Von der Mottovorgabe "(Un-)Haltbare Gegenwart "Die gestundete Zeit" von Ingeborg Machmann:
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont."
inspiriert oder sich damit auseinandersetzend?

Nicht wörtlich. Ansonsten, eher ein nein. Die Vorgabe wurde hier m.E. nach weniger beachtet.

Ja, mir war bewusst, dass ich der weiteren Vorgabe (Zeitdehnung/Gegend abbilden) deutlich mehr Aufmerksamkeit widme.
Das Bachmann-Zitat im Wortlaut habe ich weitgehend ignoriert, da es mir im Motto enthalten schien; die (un-)haltbare Gegenwart habe ich weniger als duchscheinendes Gesamtthema, sondern mehr in einzelnen Abschnitten behandelt. Auch die Mehrdeutigkeit des Begriffes "Haltbarkeit" hat hier und da eine Rolle gespielt. Ich führe das jetzt nicht an Beispielen aus, man soll ja seinem Text nicht hinterher-erklären.  
Zitat:
Schlicht und nachvollziehbar geschrieben, mit einem leicht ironischen Unterton

Schlicht? Im Rahmen dieses Wettbewerbs vielleicht schon.
Freut mich, dass du einen "leicht ironischen Unterton" wahrgenommen hast. Ich versuche gerade, mir Holzhammer-Ironie abzugewöhnen. Da scheine ich auf einem guten Weg zu sein.

Vielen Dank für deinen Kommentar!


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Beitrag26.01.2019 17:01
Re: Im energetischen Nirwana
von nebenfluss
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Heidi hat Folgendes geschrieben:
Das ist ein sehr flüssiger, ausgereifter Show-don´t-tell-Schreibstil. Gut geschrieben, alles bildhaft.

Zweifelhafte Komplimente in diesem Wettbewerb Laughing
Wie gut, dass ich mich in meinem Schreiben ohnehin nicht bei den Hardcore-"E-lern" verorte. Von daher kommt das schon positiv an smile
 
Zitat:
Leider fehlt mir auch hier (es betrifft die meisten Dehnungsgeschichten) die Abwechslung. Insgesamt halte ich es für beinahe unmöglich (es gibt sicherlich Ausnahmen), eine Episodengeschichte - also mehrere Schauplätze, mehrere Schicksale von unterschiedlichen Menschen) in der Ich-Perspektive zu schreiben.

In dieser Form, insbesondere durch das Präsens: Zustimmung. Es ist in jedem Fall sehr schwierig, und ich habe während der Wettbewerbsphase auch ein paar Stellen entdeckt, an denen ich diese Widersprüchlichkeit zumindest etwas eleganter hätte behandeln können.
Andererseits gibt es mehrere Texte im Wettbewerb, die der Perspektive "auktoriales Ich" zumindest ähneln.

Zitat:
Dadurch, dass es sich um einen Ort handelt, bzw. um einen Häuserblock, um eine Familie, die ich aber nicht von außen betrachte, sondern aus der Perspektive einer Person, fehlt mir ein Innenraum-Erlebnis, eins, das ich in mir drin entwickle und nicht von der Figur heraus zu sehen bekomme.

Guter Hinweis!
Vielleicht ist der Ich-Erzähler so präsent, dass sich der Leser auch dort manipuliert fühlt, wo Vater oder Schwester gezeigt werden.
Darauf bin ich gar nicht gekommen; wäre ein guter Startpunkt für eine Weiterentwicklung des Textes.

(Jetzt sehe ich gerade, dass du vieles erst in der zweiten Hälfte des Kommentars konkretisiert hast.)
Was die Perspektive angeht, habe ich zusätzlich noch etwas in der Antwort auf Tape Dispenser geschrieben und lasse es dabei bewenden.

Zitat:

Was Thema, Motto und Dehnung betrifft: Das Thema finde ich nicht vor, das Motto ebenfalls nicht und die Dehnung ist ansatzweise umgesetzt - Wechsel zwischen Ich-Person-Erlebnisse und die des Vaters (die aber auch aus der Perspektive der Ich-Person erzählt werden)

Zum Thema kann ich auf die Antwort an Herdis verweisen.
Zur Zeitdehnung würde ich schon sagen, dass sie - den gesamten Text betrachtet - völlig den Anforderungen entspricht. Ich hatte sogar ursprünglich Sekundenangaben im Text stehen, damit die Schwester- und Vaterabschnitte in den Zeitfenstern stehen, wo sich der Prota ereignislos ein paar Meter vorwärtsbewegt. Natürlich heißt das nicht, dass es sich um eine perfekte konstante Zeitlupe handelt. Mir fiele aber auch kein Text im Wettbewerb ein, der das nachweislich geschafft hat.

Zitat:

Inhaltich steige ich nicht ganz durch. Soll es die letzte Minute vor dem Sterben des Vaters sein, von der am Ende die Rede ist? Oder einfach die Minute, die eben vorübergezogen ist und deshalb die letzte ist?

Mei, nein, das zweite, nicht die letzte Lebensminute des Vaters! Das sollte keine Pointengeschichte sein, jedenfalls nicht so. Aber worauf man alles kommen kann - klar, der hilflose, leicht panische Vater, das könnte theoretisch Auslöser einer Herzattacke sein ...

Liebe Heidi,
(mal wieder) ein engagierter und interessanter Kommentar von dir. Danke dafür!


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Beitrag26.01.2019 17:09

von nebenfluss
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Hallo Mardii,
Mardii hat Folgendes geschrieben:
Der Text behandelt das Thema Minuten in einer Stadt, Gegend … . Mir fällt auf, dass es keine Gleichzeitigkeit gibt. Alles scheint nacheinander zu passieren. Spannend ist es schon zu lesen, aber die Geschichte des Vaters im Bad dauert bestimmt länger als eine Minute.

schön, dass dir das Sequenzielle aufgefallen ist.
Der Vater schafft es in einer knappen Minute, im Dunkeln das Wasser abzudrehen, aus der Dusche zu steigen und im Dunkeln nach dem Handtuch zu tasten. Okay, er ist nicht mehr der Jüngste, aber länger als eine Minute dauert das nach meiner Vorstellung nicht.

Danke für's Kommentieren!


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