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Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Antiquariat -> Zehntausend 01/2019
Chinesische Zimmer

 
 
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V.K.B.
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Beitrag01.01.2019 20:00
Chinesische Zimmer
von V.K.B.
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07-11-F082
›Das ausblutende Licht der einzigen aller relevanten Uhren fließt vom Fluchtpunkt auf die Siedlung zu, träge tropfende Sekunden auf den heißen Stein einer immerwährenden Gegenwart.‹ Die zitternde Hand der Dichterin hinterließ schnell dahingekritzelte Worte auf dem Papier. ›Endlose Minuten entfernt die Zukunft, so unerreichbar wie hochgradig polymorph, hinter einem Grenze gewordenen Horizont, jenseits dessen kein Jetzt mehr existiert; das Vorher patriotische Legenden und das Morgen alles von Belang.‹
Sie legte den Stift ab und schüttelte die Hand aus. Wie sollte sie ihre restlichen Gedanken in den verbleibenden Sekunden noch zu Papier bringen? Die Gesellschaft hatte das Jetzt deportiert und mit ihm jene, die das Morgen nicht mehr brauchte. Ein akribisch vermessenes Gitter identischer Behausungen, vierhundert an der Zahl, zwanzig mal zwanzig in einem perfekten Quadrat malerischer Kleingrundstücke. Eine Menschenmüllhalde als Vorzeigeprojekt eines Architekten, der mehr Sozialkredite dafür geerntet hatte, als alle hier Versammelten Zeit ihres Lebens verspielt oder verloren.
Heute brachte das letzte Sonnenlicht noch eine Inspiration. Und etwas anderes mit sich vom Horizont, das diesen Tag zum letzten machen würde, für die Meisten hier. Im Radio sprachen sie von einem Chemieunfall. Tragen Sie Gasmasken, sofern vorhanden. Die tödliche Wolke wird in einer Minute in Ihre Häuser dringen.

13-15-M097
Der alte Mann saß auf der Veranda seines Holzbungalows. Die Gasmaske aus dem medizinischen Notfallspind lag vor ihm auf den Treppenstufen. Sollte sie nehmen, wer immer sie wollte. Für ihn würde es der letzte Sonnenuntergang sein und er hatte sich damit abgefunden. Das Gift würde leichtes Spiel mit seiner Lunge haben, es war nur die letzte letale Dosis dessen, was sein Körper eh schon kannte. Schleichend hatte es seine Atemwege zerstört, während er in der Fabrik jene Punkte sammelte, die ihm einen Teil der Privilegien des Fortschritts gewährt hatten, bis die Diagnose kam. Unheilbar bedeutete, kein Teil der Zukunft mehr sein zu können, höchstens noch als Datenbankmaterial zum medizinischen Fortschritt beizutragen. Nur ein paar Gewebeproben von ihm waren in der Stadt geblieben, er selbst durfte nichts mitnehmen. Alles, was er hier noch brauchte, wurde von den Behörden gestellt. Es gab genügend Land hier draußen, doch in den Städten war der Platz rar und den Produktiven vorbehalten. Noch immer liebte er sein Land. Er hatte ein schönes Leben gehabt.
Müde lächelnd nickte er der Frau mit der blutigen Nase zu, die fragend auf die Gasmaske zeigte. »Ja, nehmen Sie. Ich brauche sie nicht mehr.«

04-20-F026
Nur eine im Spind, Erwachsenengröße. Die junge Philosophiedozentin hatte die Gasmaske nicht angerührt. Behutsam legte sie stattdessen die Decke über ihren fünfjährigen Sohn und streichelte ihm durchs Haar. Warum musste auch er hier leben? Vor zwei Wochen hatten sie noch in der Stadt gewohnt, dann wurde ihr Blog den Behörden gemeldet.
Kinder von Dissidenten werden oft selbst zu Dissidenten, hatte der Beamte ihren Wunsch abgewunken, den Jungen zu den Großeltern geben zu dürfen, und ihm damit jegliche Zukunft genommen. Nein, sie selbst trug die Verantwortung. Immer wieder bekam sie das zu hören, von dem Psychologen der Eingliederungshilfe oder der Frau bei der Verteilerstation. Selbst die Nachbarn hier redeten so.
Es war so ironisch. Da warnten andere jahrelang vor künstlichen Intelligenzen, fürchteten gar, zu Sklaven einer vollautomatisierten Industriellen Revolution 2.0 zu werden. Doch Rokos Basilisk war lange tot, zerschellt mit Theseus' Schiff an den Klippen einer anthropischen Weltsicht. Nur Opium für das Volk, wie alle Götter vor ihm. Die Gesellschaft selbst war der Basilisk geworden, es bedurfte keiner in die Vergangenheit strafenden digitalen Monstrosität, nur einer Partei von Menschen, die um jeden Preis in die Zukunft wollte und die einstigen kommunistischen Ideale mit Füßen trat. Mao hatte sich geirrt, die politische Macht kam nicht aus den Gewehrläufen, sondern aus der Begeisterung eines reich gewordenen Proletariats, Sozialkredite zu sammeln, als wären es Punkte in einem verdammten Computerspiel.
»Warum gehen wir denn schon ins Bett?«, fragte ihr Sohn.
»Wir machen ein Spiel. Wenn du es schaffst, sofort einzuschlafen, habe ich morgen eine ganz tolle Überraschung für dich.«
Noch gelang es ihr, die Tränen zurückzuhalten. Er hatte die Durchsage nicht gehört. War es möglich, dass sie beide einfach friedlich einschliefen, bevor–
»Eine tolle Überraschung, Mama?«
»Ja. Die tollste, die du dir vorstellen kannst.«
Der Junge setzte sich auf und kreuzte die Arme vor der Brust. »Ich möchte nach Hause zurück. Das ist das Einzige, was ich will.«
Sie spürte das Krampfhafte in ihrem erzwungenen Lächeln. »Ja, darfst du. Morgen früh fahren wir zurück. Alles wird wieder–«
Ihre Stimme stockte, sie konnte nicht mehr.
»Mama, warum weinst du? Wir können nicht zurück, oder?«
Sie nahm ihn in den Arm und drückte ihn fest an sich. »Nein, wir können nicht. Die bringen uns um.«

06-16-M122 / F042
»Du trägst sie.« Der durchtrainierte Geldeintreiber hielt seiner Freundin die Gasmaske entgegen, sie schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich lasse nicht zu, dass du stirbst.«
»Ich auch nicht.« Er nahm einen schweren Schraubenschlüssel aus dem Werkzeugschrank und machte sich auf den Weg zur Tür. »Wir überleben beide.«
»Sei vorsichtig.« Sie zog die Maske über, setzte sich aufs Sofa und versuchte, die Implikationen zu verdrängen. Sozialkredite hatten sie eh nicht mehr, hier ging es nur noch ums Überleben.
Abwechselnd schaute sie von der Tür zur Wanduhr. Das leise Ticken des Sekundenzeigers wurde ein lauter Donner in ihren Ohren. Wie die stampfenden Schritte eines Ungeheuers, das die Gesellschaft vergessen wollte, zu überpunkten versucht hatte. Unaufhaltsam wälzte es sich heran, langsam, Sekunde für Sekunde. Und sie fühlte sich wieder als ein Teil davon.

11-14-M120 / F081
Völlig selbstverständlich wollte die pensionierte Anwältin die Schutzmaske überziehen. Ihr Mann sah sie fassungslos an. »Was ist mit mir?«
»Frauen und Kinder zuerst.«
Er seufzte. Wenigstens waren die Kinder nicht hier. Beide lange erwachsen, führten ein erfolgreiches Leben in Beijing. Größtenteils hatten sie es ihren Eltern zu verdanken, besonders die jüngere Tochter. Nur der hohe Punktestand ihrer Mutter hatte dieser ein zweites Kind erlaubt. Der Fahrzeugmechaniker war zuhause geblieben, um sich um die Kinder zu kümmern. Ihr Punktekonto und Einkommen hatten ihn mitgetragen.
Er dachte nach. War sie ihm je dankbar gewesen, ihr die Karriere zu ermöglichen? Nein, es war eine Selbstverständlichkeit. Als Liebende hatten sie die Ehe begonnen, soziale Unterschiede ignoriert. Doch aus Bitten wurden nach und nach Befehle und schließlich Selbstverständlichkeiten. Die Liebe war kalt geworden, und er hatte sie zu hassen gelernt.
Der Faustschlag traf sie auf die Nase und ließ sie gegen die Wand prallen. Jetzt war er der Stärkere.

05-16-D014
Der seit Wochen computerlose Netzaktivist starrte durch das Sichtfenster seiner Gasmaske auf die Holzwände. Dort, in diesem Astloch, befand sich noch so ein Ding. Es war die zweite Kamera, die er innerhalb der halben Minute fand, seit er die erste im medizinischen Notfallspind entdeckt hatte. So weit war es also gekommen. Man brachte sie aufs Land, setzte sie zu Chemieunfällen umgedichteten Giftgasangriffen aus und sah ihnen beim Sterben zu. Nasse Tücher und improvisierte Filter würden nicht helfen, hatten die im Radio gesagt. Bestimmt waren die Gasmasken auch nutzlos, nur um eine Panik zu vermeiden.
Er rannte nach draußen. »Da sind überall Kameras in unseren Häusern«, schrie er, »die überwachen uns.« Eine letzte Entdeckung, die er mitteilen musste, auch ohne Internet. Keiner schien ihn zu hören. Er rannte weiter, schrie noch lauter. »Hört mir zu, da–«
Der Schraubenschlüssel traf ihn von hinten ins Genick und alles wurde dunkel.

10-10-M001
Sein Haus war das einzige mit einem Keller und einem Internetzugang. Xi saß am Schreibtisch seines einbruchsicheren Bunkers, hatte den Laptop vor sich und sah auf der Monitorphalanx an der Wand einer aufschlussreichen Minute lang dem Leben der anderen zu. Schnell tippte er Identnummern in die beiden Spalten der Liste für die Abteilung zur Erbgutanalyse. Die Nummern von jenen, die ihm sofort auffielen, positiv wie negativ. Noch zwei Wochen lang würde er Zeit haben, alle Aufzeichnungen auszuwerten, aber der erste Eindruck war immer der entscheidende. Gesellschaftlich waren sie alle Versager, ohne zweite Chance. Bei Xi als Beamten war es eine schwere finanzielle Fehlentscheidung gewesen, die sein Punktekonto negativ machte, doch er konnte sein Stadtrecht durch die Arbeit hier zurückverdienen. Auch sein eigenes Erbgut würde er zur Untersuchung und möglichen Geburtsaufwertungen empfehlen. Falls es überhaupt einen direkten Zusammenhang zwischen Genen und dem Verhalten in Krisensituationen gab. Seine Arbeit hier würde dazu beitragen, diese Frage zu beantworten.
Er sah die verschiedensten Reaktionen. Eine Mutter hielt weinend ihr Kind im Arm. Ein alter Mann überließ seine Gasmaske einer verletzten Frau. Menschen, für die keine Schutzmaske übrig war, überfielen ihre Nachbarn. Ein Vater vergewaltigte seine Tochter. Jemand schmiss seine Frau raus, eine andere Frau erstach ihren Mann. Hölle, pflanzte dieser Pfarrer aus 12-18 da tatsächlich Luther folgend noch einen Baum in seinem Garten? Die Frau dort in 07-11, schrieb sie einen Abschiedsbrief oder ein Gedicht?
Der Bildschirmtimer sprang auf Null. Xi startete das Abspielen der nächsten Radiodurchsage. Die Situation war unter Kontrolle, der Wind hatte sich gedreht, die Wolke war an der Siedlung vorbeigezogen. Niemandem drohte irgendeine Gefahr. Sie waren schließlich das Land der Zukunft und keine Barbaren, die ihre Ausgestoßenen vergifteten. Nein, selbst diese hatten noch die Möglichkeit, mit ihren Genen zu einem besseren Morgen beizutragen.

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V.K.B.
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Beitrag11.01.2019 22:48

von V.K.B.
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Ja verdammt noch eins, Veith, was hast du da getan? Du verdammter Feigling! Fängst an mit etwas Ungewöhnlichen, hast dann solche Angst vor Disqualifizierung, dass du es aufgibst, einen Großteil streichst und die Reste eben noch einer Dichterin und später Philosophin in den Mund bzw die Gedanken legst, aber dann ganz konservativ und brav eine für jeden verständliche politische Dystopie schreibst! Das ist billiger Standard, nicht experimentell. Mann, der 10K ist zum Ausprobieren! Trau dich was! Die alten Seilschaften verlassen, die Fesseln sprengen, statt sich von ein paar Vorgaben neue anlegen zu lassen. Klar hast du Schiss, dass wenn du wirklich anders schreibst dich keiner mehr versteht, deine Umsetzung der Vorgaben versteht und du rausfliegst, kann ja auch passieren. Na und? Du verschwendest deine Lebenszeit sonst auch mit einer Menge Bullshit, da kann man ruhig mal drei Abende in den Sand setzen und für die Tonne schreiben. Denn du hättest etwas gewinnen können. So aber nicht! Das ist nichts neues, das ist nicht experimentell, das ist, was du eh schon kannst. Womit du es auch schon mal aufs Siegertreppchen geschafft hast. Was also willst du damit noch? Wieso zum Teufel glaubst du, dass du auf Nummer Sicher gehen musst? Was willst du dir damit noch beweisen?

Pascals Wette ist für kleingeistige Schwächlinge! Wo ist der Verrückte hin, der sich einen Scheißdreck um Schreibkonventionen schert? Zieh endlich diese verdammte Zwangsjacke aus und komm mal wieder klar!

Ich bin schwer enttäuscht von dir! Von mir kriegst du keine Punkte, garantiert nicht, selbst wenn es ginge. Jetzt lies mal die anderen Texte und schau, was andere aus der Chance gemacht haben, und schäm dich! Das hättest du auch gekonnt.

Aber zu spät, Chance vertan! Mach's beim nächsten Mal einfach besser! Ich hoffe, du erreichst jetzt nicht noch irgendeinen guten Platz damit. Denn der einzige Gewinn, den du dir mit dieser Einsendung zum 10K in Aussicht gestellt hast, ist nur ein Upgrade für die Zwangsjacke, aus der du dann nie mehr rauskommst!

Edit, nachdem ich alle Texte gelesen und kommentiert habe:
Ich lasse den Verriss hier oben unangetastet ^ aber denke auch, ich bin etwas zu hart mit meinem Text ins Gericht gegangen. So schlecht finde ich ihn eigentlich gar nicht, und mittlerweile denke ich, der ist auch E genug. Klar sind da einige Texte im Wettbewerb, die mir besser gefallen als meiner, weil sie sich mehr zu experimentieren getraut haben. Aber da sind auch einige, die ich überhaupt nicht E fand, und somit würde ich meinen jetzt ins Mittelfeld einordnen. Verdammt, eigentlich mag ich den Text. Sind ja auch ein paar interessante Gedanken drin, wenn man sie nachvollziehen kann und will. Muss ich irgendwas erklären? Warum Rokos Basilisk mit Theseus' Schiff an den Klippen einer anthropischen Weltsicht zerschellt vielleicht? Okay, ich nehme an, jeder, der das wissen wollte, hat die Begriffe inzwischen (falls nötig) gegoogelt und ich muss die nicht mehr erklären. Nur eine kleine Empfehlung, ein interessanter Artikel über den Basilisken und seine Implikationen: (https://slate.com/technology/2014/07/rokos-basilisk-the-most-terrifying-thought-experiment-of-all-time.html)

Auch wenn man annimmt, man sei bereits eine Simulation und entscheide nur über das Schicksal seines realen Selbsts, kann einem das nach anthropischer Sicht egal sein. Denn warum sollte mich als Simulation das Schicksal eines anderen Selbsts interessieren, wenn das nicht ich bin? Aus meiner Froschperspektive existiert die Realität dann doch gar nicht.
Auch ohne Simulationsgedanke, was kann Rokos Basilisk mir antun, wenn er mich zu seiner Entstehungszeit nur noch tot und verrottet vorfindet? Er kann mich allenfalls nachklonen oder simulieren, aber –hier das Schiff von Theseus eingedenk– das wäre nicht ich, so wie die einfachste Antwort auf das Schiff-Paradox ist, dass das Originalschiff schlichtweg nicht mehr existiert. Aus meiner Froschperspektive macht es überhaupt keinen Unterschied, was irgendeine KI irgendwowann anders anderen Instanzen von mir antut. Und in einer Gesellschaft wie in der Geschichte, wo das eigene Vorankommen zählt, schon gar nicht. Also sollte man sich, statt sich um hypothetische KIs der Zukunft Gedanken zu machen, lieber darauf konzentrieren, was ganz reale menschliche Intelligenzen der Gegenwart gerade so planen… (<mein bedeutsamer "Dreipunkt", btw, und keine Ellipse)

Rokos Basilisk ist hier aber nicht einfach nur ein Einwurf für E-igkeit, sondern der Vergleich des Konzepts mit Chinas Sozialkreditsystem ist der eigentliche Kern der Geschichte. Beide Konzepte sind memetische Viren zur Verhaltensmodifikation (wenn sie denn greifen). Der Basilisk bestraft alle, die nicht an seiner Zukunft arbeiten, und versucht damit in die Gegenwart zu erpressen, ihn tatsächlich zu bauen, obwohl diese Zukunft alles andere als wünschenswert ist. Doch wenn man sich in diesem Zirkelschluss fängt, könnte man tatsächlich auf den Gedanken kommen, an der Erschaffung so einer KI zu arbeiten. Das macht die Idee möglicherweise gefährlich, da die Idee selbst, hier über Angst vor Bestrafung, dazu animieren soll, sich sein eigenes Unglück in der Zukunft zu orchestrieren. Und es gibt Leute, die daran glauben (auch wenn es im Prinzip nur der alttestamentarische Gott reloaded ist).

Halten wir Chinas Sozialkreditsystem dagegen, denn es funktioniert im Prinzip ganz ähnlich: Auch hier sollen Menschen animiert werden, an der Zukunft eines Staates zu arbeiten, der, wenn man ihn weiterdenkt, nur in einer Dystopie enden kann. Das Punktesystem, mit dem sich jeder einfach und schnell mit kleinen Dingen profilieren kann, verspricht schnelle Erfolgserlebnisse und später Privilegien. Hier läuft die Animation über Belohnung, aber es ist der gleiche Ansatz. Eine Idee, die von sich selbst ausgehend dazu besticht (statt erpresst, wie der Basilisk), sein eigenes Unglück in der Zukunft zu orchestrieren. Und Leute glauben daran. So zumindest die Auffassung der Philosophin in der Geschichte.

Meine erste Idee zum Wettbewerb war eine Zeitraffergeschichte, stream of consciousness geschrieben, die diese Verbindungen zwischen Roko's Basilisken, Chinas Sozialkreditsystem, genetischer Augmentation und Simulations- und Spieltheorie transportiert. Daher mein erster Eigenkommentar(Selbstverriss), mich das doch nicht getraut zu haben, weil ich dachte, das versteht sowieso keiner, also lieber eine verständliche Geschichte um die Idee basteln, mit der man auch etwas anfangen kann, wenn man diese Ideen als Leser nicht herauszieht und ihnen gedanklich nachgeht.

Vielleicht noch zum Titel: Was hat die Geschichte mit dem Gedankenexperiment vom Chinesischen Zimmer zu tun? Das Chinesische Zimmer ist die Blackbox einer Übersetzungsmatrix, zwischen Chinesisch und einer anderen Sprache, mit der Frage: "Muss man eine Sprache wirklich verstehen, um sie übersetzen zu können?"
Die chinesischen Zimmer in der Geschichte (nicht zufällig Häuser in einer Matrixanordnung als depersonalisierte dramatische ironie) funktionieren in ihrer Gesamtheit ähnlich wie das Gedankenexperiment, und übersetzen zwischen Genetik und erwartbarem Verhalten. Wieder mit der Frage: "Muss man die Genetik wirklich komplett verstehen, um sie für Augmentation missbrauchen zu können?" China hat ja bereits damit angefangen (der Augmentation).

Letztendlich kann es denn am Ende nur eine zynische Entwarnung geben: Nein, wir sind nicht Rokos Basilisk, der Menschen quält, die nicht an dieser Zukunft arbeiten wollten, indem er sie sinnlos bestraft. Wir gehen den Weg der Wissenschaft und quälen for the greater good. Um irgendwann die perfekte, uniforme Hive-Gesellschaft zu haben. Wir sind ja keine Barbaren.

Und letztendlich hoffe ich, dass dieser Text nicht selbst ein Basilisk ist und Leute noch auf Ideen bringt. Aber so viel Bedeutung will ich ihm dann doch nicht beimessen. Ich habe ja schließlich nur eine belanglose Kurzgeschichte davon gemacht Mad

Danke für's Lesen,
Veith
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Tape Dispenser
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T


Beiträge: 272



T
Beitrag12.01.2019 14:33

von Tape Dispenser
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Wieder ein Mikrokosmos. Diesmal eine chinesische Siedlung, deren Bewohner als Versuchskaninchen für fragwürdige ethisch/genetische Experimente herhalten müssen.
Vom Aufbau erinnert sie mich an den Text 120-134, der in einen Pflegeheim spielt. Der Unterscheid ist, dass die Menschen dort ohnehin wissen, dass sich ihr Leben dem Ende zuneigt, hier werden sie von einem von Außen kommenden Ereignis (Giftgaswolke) überrascht, haben also noch eine Minute, entweder die Sau rauszulassen (Noch mal in einer Minute schnell die Tochter zu vergewaltigen), oder ihre Gasmaske uneigennützig ihrem Kind/Partner/Fremdem zu überlassen.

Die Grundidee gefällt mir. Eine Dystopie. Aber ist das E?
Eher nicht. Eine Kurzgeschichte, die für mich leider Mängel aufweist und ich das Gefühl habe, der Autor/die Autorin Legt den Protagonisten Wörter und Gedanken  in den Mund, die, so wie es hier gemacht ist, eher Rückschlüsse auf die Belesenheit/Wissen/Ansichten des/der Autors/Autorin hinweisen, als dass sie maßgeblich der Geschichte dienen.

Natürlich macht man das so, in jeder Literatur. Nur habe ich hier das Gefühl, hier kommt die Botschaft mit dem plakativen Holzhammer.
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Catalina
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Alter: 51
Beiträge: 427
Wohnort: Kehdingen


Beitrag12.01.2019 18:45

von Catalina
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Ach, liebe Autorin, was mache ich mit Deinem Text?

Die Minute vor dem Untergang, das war meine erste Idee zu den Vorgaben. Interessant zu lesen, dass und wie das jemand umgesetzt hat. Ein Szenario, das sehr verlässlich die Zeitdehnung zeigt: es ist genau diese Minute, von der die Rede ist.

Die Vorgaben sind bei Dir für mich 100%ig erfüllt. Ein Gebiet, Dehnung und die gestundete Zeit wird gleich doppelt aufgegriffen.

Er gefällt mir gut, Dein Text. Besonders der Beginn, die Worte der Dichterin, und der überraschende Schluß, der dem Text das "Runde" gibt, das ich mag.

Ich bin mir nur nicht so sicher, ob ich ihn für mein Verständnis zur E-Literatur zuzuordnen kann. Auf jeden Fall wird das kein "hundertprozentig" mehr.

Den Titel fände ich eigentlich genial und "ziemlich E". Wenn man menschliche Verhaltensweisen studiert, wird man dadurch nicht menschlich. Leider fließt dieser Ansatz nicht in den Text, und somit ist für mich der Titel auch nicht stimmig.

Berührt hat mich als Mutter die Bloggerin mit ihrem Sohn (auch wenn ich mir schwer eine Mutter vorstellen kann, die ihrem fünfjährigen Kind sagen würde, dass es gleich umgebracht wird). Auch der alte Mann in seiner Ergebenheit.

Das Ende finde ich sehr tragisch. Tragischer, als ich einen tatsächlichen Massenmord gefunden hätte, weil es so perfide ist.

Aufgrund der hohen Konkurrenz habe ich leider keine Punkte mehr. Eigentlich hätte der Text welche verdient.
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Heidi
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Der goldene Durchblick


Beitrag12.01.2019 23:08
Re: Chinesische Zimmer
von Heidi
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Hier spielt ein Ereignis die Hauptrolle, das die Begebenheiten, die sich in einer Minute an verschiedenen Orten (der Welt) abspielt, beeinflusst. Das finde ich nicht glücklich gewählt, da gerade Geschichten, die voneinander unabhängig, also nicht auf ein Ereignis fixiert sind, mMn vielversprechender wären, was die Vielschichtigkeit betrifft. So bleibt eben der Fokus auf irgendeinen Chemieunfall (der dann eventuell doch nicht stattgefunden hat, weil der Wind dann doch drehte?) und am Ende dann nichts übrig, was mich berühren würde. Die Szenen sind, was die Außenwirkung betrifft, teils darauf angelegt, die Tränendrüse zu aktivieren (vor allem diese Sache mit dem Kind). Das finde ich schade. Mir fehlt ein existenzieller Aspekt, der sich in den Figuren abspielt, in ihrem Innenraum. Seelenbilder, die sich in mich reinfressen, die mich nicht mehr loslassen.
So kommt mir der Text wie Science Fiction vor oder ein Thriller, bei dem Sequenzen gezeigt werden, die mich berühren sollen, es aber nicht tun, da sie zu sehr auf Äußerlichkeiten abzielen. Ich erlebe keine Abgründe, keine Brüche, ich erlebe den Weltuntergang, der sich im Außen abspielt, die Luft, die zur Gefahrenquelle der Figuren wird, aber die Figuren selbst bleiben mir fremd.

Den Anfang finde ich tatsächlich vielversprechend, die Dichterin, die ihre letzten Aufzeichnungen tätigt - ich meine die Idee, die unsichtbar dahinter schwebt, alles andere entspricht weniger meinem Lesegeschmack.

Was Thema, Motto und Dehnung betrifft:
Das Thema finde ich vor, die Minuten-Dehnung empfinde ich ebenfalls als gut gelungen. Das Motto durchdringt aber meinem Empfinden nach nicht den kompletten Text, es wird in der Dichterin-Szene vorangesetzt, wodurch es auch etwas aufgesetzt wirkt und nicht den restlichen Text durchdringt.

---

Es gibt leider keine Punkte für diesen Text. Mir fehlt, zusätzlich zum Motto, etwas Abgefahrenes, das mich den Text nicht vergessen lässt.
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Herdis
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Beitrag13.01.2019 16:06

von Herdis
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Ein bestimmter Ort, hier eine ländliche Gegend in China, während einer Minute betrachtet. Diese Vorgabe ist für mich erfüllt.

Von der Mottovorgabe "(Un-)Haltbare Gegenwart "Die gestundete Zeit" von Ingeborg Machmann:
Die auf Widerruf gestundete Zeit
wird sichtbar am Horizont."
inspiriert oder sich damit auseinandersetzend?

Nicht wörtlich, aber im Kontext schon. Vorgabe m.E. nach erfüllt.

Ob E-Lit oder U-Lit- da halte ich mich (bei allen Texten, die ich hier bewerte) raus.

Ein in meinen Augen erschreckend realistisches Szenario, welches deutlich macht, wie unterschiedlich Menschen reagieren und agieren, wenn es ums nackte Überleben geht. Und welche Gedanken und Gefühle hochkochen.
Hier steckt on top ein perfides Experiement dahiner, das einen schauern lässt. Ein wenig Richtung Science Fiction, aber womöglich näher am Hier und Jetzt, als uns lieb sein mag. Ich fand die Ideen und (Hintergrund-) Gedanken gar nicht so weit hergeholt (Punkte Regeln etc.). Die Sprache war verständlich und die Sprünge nachverfolgbar.


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lebefroh
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Beitrag13.01.2019 18:17

von lebefroh
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Hhm.

Ich habe schon viel über das chinesische Sozialkreditsystem gelesen, so dass ich diesen Ansatz auf jeden Fall sehr interessant finde.

Dennoch fehlte mir hier Tiefe. Auch habe ich Schwierigkeiten damit, dass die Geschichte so eindeutig in China verortet ist. Da es sich um ein Zukunftsszenario handelt, hätte ich es besser gefunden, wenn das "wo" keine Rolle spielt. So kommt es mir reichlich klischeehaft vor.

Das überraschende Ende fand ich wiederum gut. Trotzdem reicht es nicht für Punkte.
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firstoffertio
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Beitrag13.01.2019 23:22

von firstoffertio
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Das fällt für mich unter Genre. Science Fiction, oder dystopische Erzählung.
Die Minute ist mir hier zu unwichtig.

Das Motto/Thema? Insofern da, als eine Katastrophe bevorsteht. Aber es ist mir zu fiktional behandelt.
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d.frank
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Beitrag14.01.2019 15:24

von d.frank
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Schöner Twist am Ende, aber auch Potenzial daran verschenkt.
Mich beeindruckt dieser Gedanke, jemand müsse vermuten, sein letztes Stündlein hätte geschlagen und daraus resultiere die Frage, wie dieser jemand sich wohl verhalten wird.
Das hat einen wirklich guten Bezug zur Vorgabe, aber trotzdem bleibt der Text für mich und aufgrund der Wahl der Einblicke und ihrer doch recht oberflächlich bleibenden Inhalte irgendwie eindimensional und vornehmlich auf Effekt getrimmt.


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Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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Mardii
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Beitrag15.01.2019 15:22

von Mardii
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Eine an sich gute Umsetzung des Zeitdehnungsthemas. An einigen Stellen kommen mir Zweifel, ob das alles in einer Minute möglich ist, aber ich kann mich irren.
Mir gefällt die Phantastik der Geschichte obwohl es Realität sein könnte.


_________________
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a.no-nym
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A


Beiträge: 699



A
Beitrag16.01.2019 11:57

von a.no-nym
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Hallo Inko,
was für ein Text! Er hat mich schon beim ersten Lesen gepackt, beschäftigt mich seitdem immer aufs Neue (auch außerhalb der Lesezeiten)  und findet sich sehr weit oben auf meiner Favoritenliste. Ganz egal, ob ich ihn nun unter dem Gesichtspunkt der Vorgaben-Erfüllung lese oder losgelöst vom Wettbewerb als eigenständiges Werk betrachte - er macht mich (und das meine ich im uneingeschränkt positiven Sinne) sprachlos und betroffen. (Und zwar so sehr, dass ich auf das Nörgeln an Kleinigkeiten bewusst verzichte - und meine Erbsenzähl-Dienste nur für den Bedarfsfall anbiete...)

Alles Gute für Text und Inko!
Freundliche Grüße
a.

edit: Falls die Idee in einen Roman einfließen sollte, möchte ich bitte unbedingt benachrichtigt werden Smile
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Literättin
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Beitrag17.01.2019 10:51

von Literättin
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Ein solide erzählter Sci-Fi Text. Dystopisch, sozial- und zeitkritisch. Durchaus spannend und unterhaltsam, mit leichtem Hang zu klischeehafter Figurenzeichnung und Rollenbildern: die Guten sind die Armen, die Alten, die Aussortierten, die denen es nicht gelang, ausreichend Sozialkredite auf ihrem Punktekonto zu sammeln und vor allem sind es die Netzaktivisten, PhislosophiestudentInnen und BlogerInnen, die Warner und Mahner, die sich heroisch dem Tod entgegenstellen. Oder -werfen. Und die Mütter. Die Fiesen sind die Reichen und die Regierenden. Und doch gelingt es diesem Text mich an manchen Stellen anzurühren. Und bei dem Faustschlag des Gatten muss ich tatsächlich schmunzeln.

E ist es nicht (in meinen Augen), die Vorgaben sind formal erfüllt und wieder einmal suche ich die (Un)Haltbarkeit der Gegenwart im Zeitlichen, im Flüchtigen, im eben nicht Stundbaren. Und allmählich (vor allem nach Nihils Rundum-Schelte im Smalltalk) beschleicht mich der Verdacht, dass ich das inzwischen viel zu schlicht betrachte, das Thema an sich.

edit: und sowieso: warum "Chinesisches Zimmer"? O weh, ich hab was überlesen ... der Oberfiese: der Chinese! Wallander würde sagen: Dann wissen wir das.


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- John Lennon -

Christ wird nicht derjenige, der meint, dass "es Gott gibt", sondern derjenige, der begonnen hat zu glauben, dass Gott die Liebe ist.
- Tomás Halík -

Im günstigsten Fall führt literarisches Schreiben und lesen zu Erkenntnis.
- Marlene Streeruwitz - (Danke Rübenach für diesen Tipp.)
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Kiara
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Beitrag17.01.2019 11:20

von Kiara
Antworten mit Zitat

Dies ist eine Standard-Antwort: Vielen Dank für deinen Text! Ich bitte um Verständnis, dass ich (momentan) keine Begründung dafür abgebe, warum du von mir Punkte bekommen hast. Das liegt unter anderem daran, weil die (sogenannte) Klassifizierung von E-Literatur wenigstens teilweise subjektiv ist.
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hobbes
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Das goldene Aufbruchstück Das goldene Gleis
Der silberne Scheinwerfer Ei 4
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Beitrag17.01.2019 23:27

von hobbes
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Ich habe gerade spaßeshalber Zwischenüberschriften gegoogelt. Spaßeshalber, weil ich schon davon ausging, nichts zu finden. Gefunden habe ich dann doch einiges, aber mit dem Text haben diese Funde wohl eher nichts zu tun.
Zwischendurch dachte ich, es sei vielleicht eine Art Kennziffer der Personen, aber das geht nicht auf, ansonsten müsste es doch im dritten Absatz auch zwei Kennziffern geben.
Im Grunde ist es ja auch egal, will sagen, mein Eindruck vom Text wird sich dadurch vermutlich nicht ändern.

Szenarien jenseits der "realen" Welt haben es ja an sich schwer bei mir. Da muss dann schon einiges zusammenkommen, damit es klappt, mit mir und dem Text. Hier ist das leider nicht der Fall, vor allem wohl deshalb, weil mir ein "dahinter" fehlt, Fragen, die bleiben, nachdem ich am Ende angekommen bin. Hier habe ich zwar auch einige Fragen, was ist das denn nun für eine Welt, was soll das mit diesem fingierten Gasunfall - aber die, bzw. die Antworten darauf interessieren mich leider nicht.
Vielleicht geht es darum auch gar nicht, vielleicht geht es mehr darum, zu zeigen, wie sich Menschen im Extremfall verhalten. Die einen bringen sich um, die anderen verschenken ihre Gasmaske. Hm.

Oh, jetzt kam ich gerade noch auf die Idee, den Titel zu googlen. Der hat dann wohl doch etwas mit dem Text zu tun.
...
Hm. Das Gasunglück ist die chinesische Sprache? Oder das ganze dargestellte Gebiet ist das Zimmer, anhand dessen der Computer irgendwas lernen soll?
Vermutlich hast du dir hier etwas wirklich schlaues gedacht (nein, das ist jetzt nicht ironisch gemeint) und vielleicht würde ich das sogar kapieren, wenn ich mich ein bisschen anstrengen würde, aber auf den Wikipedia-Eintrag zum Chinesischen Zimmer habe ich leider auch nicht sonderlich viel Lust.
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Eredor
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Traumtagebuch
Beitrag21.01.2019 13:24

von Eredor
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Sehr großartige ... U-Literatur. Versteh mich nicht falsch: Der Text ist wahnsinnig kritisch und greift auch aktuelle Entwicklungen auf. Das ist aber kein Kriterium für E (aus meiner Sicht). Jede Form von Literatur sollte bestmöglich kritisch sein. Hier in diesem Wettbewerb geht es um reine E-Lit, daher kann ich dir, auch wenn es mir wahnsinnig leid tut, keine Punkte geben. In einem anderen Rahmen, beispielsweise im Verlagsgeschäft... go for it. So etwas wollen Menschen lesen, oder zumindest ich. Laughing

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Municat
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Beitrag21.01.2019 14:35

von Municat
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Moin Inko smile

Was für ein perfides Sozial-Experiment!

In Deinem Text tun sich menschliche Abgründe auf. Dabei beschreibst Du die unterschiedlichen Persönlichkeiten sehr intensiv und direkt. Mir gefällt auch sehr gut, wie sich die einzelnen Szenen miteinander verbinden: Die Frau, die aufgrund ihres Standes ihren Mann ein Leben lang unterdrückt hat, in der vermeintlichen letzten Minute dann von ihm ausgeknockt wird und dann selbstlos eine Maske geschenkt bekommt, weil ihr Besitzer auf eine nüchterne Weise mit seinem Leben im Reinen ist und abgeschlossen hat. Der Türsteher-Typ, der seiner Freundin die Maske gibt, weil er sich sicher ist, dass er einen Menschen findet, der ihm weniger wert ist als seine Freundin oder er selbst und der schwächer ist als er mit seinem Schraubenschlüssel in der Hand.

Der tiefste Abgrund ist aber nicht - wie es meine erste Emotion war - das Verhalten von Xi, sondern die Gesellschaftsstruktur, die hinter seiner perfiden Lebens-Studie steht. Eine Gesellschaft, in der der Mensch als Persönlichkeit nicht mehr zählt, sondern nur noch Produktivität, Linientreue und der Wert des Erbguts. Eine Gesellschaft, die am Reißbrett Wohn-Kolonien für Personen schafft, die aufgrund eines menschenunwürdigen Punktesystems für nicht-mehr-in-der-Stadt-lebenswert befunden werden. Ich habe jetzt nicht gegoogelt recherchiert, wie hoch der Realitätsanteil Deines Textes ist, aber ich fürchte, die Wirklichkeit geht weit über die Anlage solcher Siedlungen (von denen ich weiß, dass es sie gibt) hinaus. Wenn DU der bist, von dem ich vermute, dass Du es bist, weiß ich, dass Du Dich sehr tief in derartige Themen einliest, bevor Du etwas darüber schreibst (und freue mich jetzt schon auf die Gespräche, die wir führen können, wenn die Anonymität aufgehoben wird).

In diesem kurzen Text steckt so viel Philosophie und Ideologie. Ich denke, ich könnte ihn beliebig oft lesen und würde immer neue Aspekte entdecken. Einige davon sind offensichtlich, andere verstecken sich in kleinen Details und Formulierungen.

Darüber, ob der Text E ist oder nicht, müssen wir nicht diskutieren. Eindeutiger geht es kaum. Die Minute ist eindeutig umgesetzt, die flüchtige Zeit auch.

Punkte vergebe ich, wenn ich alle Texte kommentiert habe.

ediTier
Mein Favorit! 12 Punkte für Dich


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MoL
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Das bronzene Stundenglas


Beitrag21.01.2019 20:37

von MoL
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Lieber Inko!
Oh Mann ... ich mag Deine Geschichte, sie ist wirklich spannend, gekonnt verflochten und alles, aber leider leider ist das für mich keine E-Lit. Sad
Wirklich mehrfach gern gelesen - wäre ohne die E-Lit-Vorgabe bei mir ganz weit oben gelandet!


_________________
NEU - NEU - NEU
gemeinsam mit Leveret Pale:
"Menschen und andere seltsame Wesen"
----------------------------------
Hexenherz-Trilogie: "Eisiger Zorn", "Glühender Hass" & "Goldener Tod", Acabus Verlag 2017, 2019, 2020.
"Die Tote in der Tränenburg", Alea Libris 2019.
"Der Zorn des Schattenkönigs", Legionarion Verlag 2021.
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lilli.vostry
Wortschmiedin


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Wohnort: Dresden


Beitrag22.01.2019 02:39
aw:ChinesischeZimmer
von lilli.vostry
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Hallo,

der Titel machte mich neugierig und der Text liest sich durchweg spannend, geheimnisvoll, mysteriös. Eine berührende, aufwühlende, beklemmende und nachdenkliche Geschichte, eine Dystopie einer nur auf Leistung, Fortschritt, Nutzen ausgerichteten, dazu kameraüberwachten Gesellschaft.

Klar und übersichtlich der Aufbau, Zeitraffung plausibel. Verschiedene Figuren an unterschiedlichen Orten, Räumen in einer Siedlung auf dem Lande, die eine bange Minute lang um ihr Leben fürchten wegen  eines vermeintlichen Chemieunfalls, der sich als fatales Experiment entpuppt.  

Die Nummern über den Textpassagen verwirren. Stellen sich dann als "Identnummern" der Beobachteten heraus.

Grammatisch nur ein kleiner Mangel: eine aufschlussreiche Minute lang dem Leben der anderen zusehen - muss es m.E. heißen.

Sarkastisch, fast zynisch der Schluss. Trotz des Aufatmens, dass doch nicht
das Schlimmste eintrat. Wie die Menschen in der Situation miteinander umgingen, umgehen, geht nicht ungeschehen zu machen.

Für mich ein Text unter den ersten fünf besten in diesem Wettbewerb! In sich stimmig und großes Kopfkino.

Viele Grüße,
Lilli


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Wer schreibt, bleibt und lebt intensiver
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Michel
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Beiträge: 3376
Wohnort: bei Freiburg
Das bronzene Bühnenlicht Das goldene Niemandsland
Der silberne Durchblick Der silberne Spiegel - Prosa
Silberne Neonzeit


Beitrag22.01.2019 15:54

von Michel
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Hm. Schon Dystopie oder noch erschreckende Realität?
Dystopie.
Du hast Dir mit den Social Credits der Volksrepublik ein ebenso wichtiges wie ambitioniertes Thema vorgenommen und konsequent weitergedacht. Nur finde ich hier keine zweite Ebene, kein Spiel mit der Sprache, nichts, was sich sperrt oder Nachklänge erzeugt – halt, das schon, aber für mich ist dieser Text ein Genre-Text und damit nach den Rahmenrichtlinien des Wettbewerbs nicht E.
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Jenni
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Das goldene Aufbruchstück Die lange Johanne in Gold


Beitrag23.01.2019 01:21

von Jenni
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Ein chinesisches Konzentrationslager, in dem Dissidenten vergast werden - nein, doch nicht, es werden unwissenschaftlich und unmoralisch Sozialstudien an ihnen durchgeführt. Merkt man es schon: Ich mag das Ende nicht. Der Text interessiert mich, weil er einen realen gegenwartsgesellschaftlichen Missstand gruseligster Art, das Sozialpunktesystem in China, zu einem überspitzten aber glaubhaften möglichen Ende denkt. Einem Ende, das die deutsche Geschichte wiederholte, was einem in mehrerer Hinsicht Gedankenanstoß sein kann, was Lernen aus der Vergangenheit anbelangt, Zivilisationsentwicklung, Determinierung. Und ich finde, du hast die verschiedenen Beteiligten in der Kürze sehr gekonnt charakterisiert, nicht nur durch ihr Verhalten und dadurch, dass du ihnen eine Vergangenheit gibst, sondern auch durch die passende Erzählsprache, die Gedanken, die sich eine Poetin, eine Philosophin oder ein Fahrzeugmechaniker so machen könnten, oder ein Blogger, der die Wahrheit aufdecken möchte, im Angesicht des Todes. Und dann kommt so eine Science Fiction Blockbuster Pointe, alles ist nur vorgetäuscht und jetzt erklär ich euch noch, wie das Gelesene zu deuten ist. Natürlich hat auch die Überwachung der Menschen in ihrem privaten Umfeld einen realen Hintergrund und passt in die Geschichte. Vielleicht könntest du Xi vorziehen, ihn parallel erzählen? Damit dieses „Haha, alles nur Täuschung, in echt ist …“ mich nicht mitten in meinen eigenen Überlegungen ausbremst, sonst Xis Ansichten mich begleiten oder meiner Betrachtung vielmehr eine konträre Sichtweise zur Seite stellen, im besten Fall mich zwingen sie zu hinterfragen …? Vielleicht würde das auch nicht funktionieren. Nur: Lese ich den Text wieder, mit dem Wissen um das Experiment, dann finde ich ihn noch interessanter.

Was ist eigentlich mit dem Thema. (Un-)Haltbare Gegenwart. Doch, wenn ich den Text daraufhin lese, sind da viele Versuche eine unhaltbare Gegenwart zu halten, verschiedene Aspekte dessen beleuchtet sogar, nicht zuletzt durch die Täuschung der Menschen. Die auf Widerruf gestundete Zeit … doch, ich glaube, jetzt erkenne ich auch die, in der genommenen und - bis auf Widerruf - wiedergeschenkten Zeit.

Der kommt jetzt mal als erster (ich lese durcheinander) auf die JA-Liste. Wie viele Punkte das gibt, entscheide ich danach, was für Perlen da sonst noch auftauchen.

Acht Punkte. Weil ich solche Texte lesen möchte, über Themen, über die sich nachzudenken und zu reden lohnt.
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anderswolf
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Beiträge: 1069



Beitrag25.01.2019 17:11

von anderswolf
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Das ist ja eine feine Pointe darüber wie Menschen sich selbst die Nächsten sind, wenn sie nichts mehr zu verlieren haben, während sie gleichzeitig eigentlich die ganze Zeit an sich denken könnten und sich nicht mehr den faschistoiden Regeln eines Überwachungs- und Unterdrückungsregimes unterwerfen müssten. Schön gedehnt, unklar in Motto (wenn nicht der drohende Tod gemeint ist) und Thema (weil ich da eher unhaltbare Zustände als Gegenwarten rauslese). Sprachlich nicht überraschend/innovativ/anspruchsvoll, aber auch nicht schlecht (boah, über so ein Nicht-Kompliment würde ich mich ja mal echt nicht freuen, ich bitte also jetzt schon um Verzeihung, aber die "Berufsbeschreibungen" sind echte Abtörner).
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Constantine
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Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag25.01.2019 18:33

von Constantine
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Bonjour

Ein Text, der mir eine Story durch mehr oder weniger fast parallel ablaufende Szenen während einer Minute erzählen muss und in diesen 1-Minuten-Szenen muss man mir Infodump und Infodump liefern, damit am Ende alles klein säuberlich aufgedröselt ist, weil: Der Text muss mir eine Story erzählen, gezwängt in einer Minute mit dystopischem Weltuntergangs-Flair.
Leider passt für mich dieses enge Minuten-Parallelmontage-Korsett nicht, mit dem man diese Story einzwängen möchte und mir als Leser einhämmern möchte. Es bleibt bei mir ein sehr künstlicher, krampfhafter und fader Geschmack und Eindruck zurück.

Solltest du diese Idee wiederverwenden wollen, dann lös dich von den Themenvorgaben des Wettbewerbs und schreib die Story eher so, wie du sie (vielleicht) hättest eher schreiben wollen/können.

Es tut mir leid: zéro points.

Merci beaucoup.
Constantine
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