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Viva


 
 
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Nasobem
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
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Beiträge: 28



N
Beitrag01.01.2019 23:29
Viva
von Nasobem
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Diesen Text habe ich für einen Schreibwettbewerb geschrieben. Das Thema war "Geheimnis". (Ich habe in meiner Altersklasse gewonnen, aber es war auch nur ein recht kleiner Wettbewerb)


----------------------------------------------------------------------------

Viva zeigte keine Gefühle, als sie der von Platanen gesäumten Straße nach Hause folgte. Sie fragte sich nicht, was ihre Lehrerin oder ihre Mitschüler von ihr dachten. Natürlich würde es Konsequenzen haben, dass sie mitten im Unterricht nach draußen gestürmt war. Doch auch darüber dachte sie nicht nach.
Alles, woran sie denken konnte, war das Geheimnis.
Sie war endlich dahinter gekommen. Es hatte ja reichlich lange gedauert.
Nun, vollkommen sicher war sie sich noch nicht. Doch was sie jetzt plante, würde auch die letzten Zweifel aus dem Weg räumen.

Die Sonne drang durch die Baumkronen und sprenkelte das Kopfsteinpflaster.
Viva blieb im Schatten. Durch die Blätter sah sie den blauen Himmel.
Blau? Wie konnte sie überhaupt sicher sein, dass er blau war? Natürlich wusste jeder, dass der Himmel blau war. Doch wie konnte sie sicher sein, dass die Anderen dasselbe unter „blau“ verstanden wie sie? Konnte sie überhaupt noch über irgendetwas sicher sein?

Äußerlich mochte sie wie jede Andere erscheinen. Sie war aufgewachsen wie jedes Kind, hatte Laufen und Sprechen gelernt, war in die Schule gekommen, hatte Freunde gefunden. Doch wenn ihre Vermutung stimmte, war all das nur eine Maske.
Eine Maske, von der Viva selbst glaubte, sie wäre ihr wirkliches Gesicht.
Eine Maske, mit der sie geboren war und die sie niemals würde ablegen können.
Denn Viva war nicht wie die Anderen. Nur, wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, dass etwas nicht passte. Bei ihrem Aussehen fing es an. Viva war ein hübsches Mädchen. Und doch hatte sie bemerkt, dass sich Andere unter ihrem Blick oft unwohl fühlten. Sie hatte lange nach dem Grund gesucht. Schließlich fand sie heraus, was es war: Der helle Ring um ihre Pupille, der manchmal fast zu leuchten schien.
Abgesehen von diesem Detail sah Viva aus wie das Kind ihrer Eltern. Ihre Mutter hatte ihr die Geschichte ihrer Geburt nie erzählt. Nicht einmal, in welchem Krankenhaus sie zur Welt gekommen war, wollten ihre Eltern ihr verraten.
Den Grund wusste Viva nun: Sie war nie geboren worden. Die Menschen, die sie ihre Eltern nannte, waren unfruchtbar. Natürlich liebten sie ihre Tochter. Sie hatten ihr Kind nicht mit der Wahrheit belasten wollen.

Viva hatte sich nie besonders für Wissenschaft und Technik interessiert. Kunst war immer ihre Leidenschaft gewesen. Und genau das hatte ihren Zweifel weiter angefacht.
Sicher, sie konnte ihre Vorlagen mit unglaublicher Präzision auf ein Blatt Papier übertragen. Doch immer, wenn sie etwas Neues erschaffen wollte, war ihr Kopf leer wie die Leinwand vor ihr. Viva besaß keine wirkliche Kreativität. Sie konnte nur bereits Gesehenes abbilden.
Ja, Viva war fast menschlich, nur einen Schritt davon entfernt, ein Mensch zu sein. Ihre Eltern hatten gute Arbeit geleistet. Gut, aber nicht gut genug.
Sie erinnerte sich daran, wie sie angefangen hatte, alles zu hinterfragen – in der Grundschule, mit ihren Freundinnen. Alle ihre Spiele wurzelten auf der Idee, dass alles um sie herum nur eine Illusion war.
Damit war der Samen des Zweifels in ihrem Kopf gepflanzt.
Viva wurde niemals krank. Nur hin und wieder hatte sie eine leichte Erkältung, doch zum Arzt musste sie nie. Sie hatte sich noch nie verletzt. Nicht ein einziger Tropfen Blut hatte je ihren Körper verlassen. Heute Morgen hatte sie eine Nadel mit in die Schule gebracht. Heimlich hatte sie das spitze Ding unterm Tisch aus der Tasche geholt. Es hatte einige Überwindung gekostet, sich damit in den Finger zu stechen. Sie musste die Zähne zusammenbeißen, damit der Schmerzenslaut ihrem Mund nicht entkam.
Vorsichtig blickte sie unter den Tisch. Nichts.
Kein Blut, kein einziges Tröpfchen. Sie untersuchte die Spitze der Nadel. Auch daran klebte kein Blut. Viva hatte sich nicht mehr halten können. Sie hatte ihre Tasche aufgehoben und war aus dem Raum gestürmt.
„Wo willst du denn hin?“, hatte die Lehrerin noch gerufen.

Dort hinten, wo die Straße eine Biegung machte, konnte Viva bereits ihr Haus erkennen.
Fürchtete sie sich? Es war schwer zu sagen. Natürlich hatte sie Gefühle wie ein Mensch. Oder? Woher sollte sie wissen, wie Menschen die Welt sahen? Woher sollte sie wissen, ob das, was sie als Liebe wahrnahm, auch wirklich das so oft besungene Gefühl war? War sie nur programmiert zu glauben, dass sie fühlen konnte? War sie nur programmiert zu glauben, dass sie ein Bewusstsein hatte? Dass sie einen freien Willen hatte? War all das nur eine Illusion?
Viva lief die Straße entlang auf ihr Haus zu. Dann bog sie plötzlich nach links ab. Ihr Schritt beschleunigte sich. Hastig blickte sie zu beiden Seiten. Sie hatte auf einmal das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun. Was würde geschehen, wenn sie aus der Programmierung ausbrach? War das überhaupt möglich für sie? War jeder Schritt, den sie tat, schon seit ihrer Erschaffung festgeschrieben?
Dort begann der Wald. Manchmal führten die Leute hier ihre Hunde aus, doch um diese Zeit war niemand da.  Viva rannte tiefer und tiefer in den Wald, bis sie sicher war, dass man sie nicht finden würde. Dann warf sie ihre Tasche auf den Boden und wühlte darin herum. Dort war es, eingewickelt in ein Tuch. Das Messer, das sie heute Morgen von zu Hause hatte mitgehen lassen. Hastig packte sie es aus und setzte sich auf den Boden. Ihre Hand zitterte, als sie die Spitze an ihren Unterarm führte. Nun würde sie es herausfinden. Nun würde sie herausfinden, ob ihr Verdacht stimmte. Ob sie ein Androide war, ausgestattet mit künstlicher Intelligenz.
Viva zögerte. Ihr Selbsterhaltungstrieb war stark. Natürlich. Ihre Programmierung sah nicht vor, dass sie es je herausfand.
Sie holte tief Luft und drückte die Spitze gegen ihre Haut. Fast wie Stoff spannte diese sich unter dem Druck der Klinge. Viva biss die Zähne zusammen und zählte still bis drei. Dann drückte sie zu und zog die Klinge mit einem Ruck über ihren Arm.
Das Messer zerschnitt die Haut wie eine Scheibe Käse. Viva stöhnte vor Schmerz laut auf und ließ die Klinge fallen. Es dauerte einige Sekunden, bis sie hinsehen konnte.
Und was sie sah, drehte ihr den Magen um.
Blut.
Dick und dunkelrot quoll es aus der Wunde. Fassungslos starrte Viva es an. Übelkeit stieg in ihr auf und sie begann, zu keuchen. Dunkle Flecken krochen in ihr Blickfeld. Noch bevor ihr Kopf auf dem Boden aufschlug, hatte die Schwärze sie vollständig eingehüllt.

Als Viva aufwachte, spürte sie keinen Schmerz mehr. Sie setzte sich auf. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen war sie nicht lange bewusstlos gewesen.
Viva blickte an sich herunter, in Erwartung, das Gras und ihre Kleidung blutgetränkt vorzufinden.
Doch da war nichts.
Über ihren Arm zog sich ein sauberer Schnitt, doch nirgendwo war auch nur der winzigste Blutfleck. Was war geschehen?
Mit zitternder Hand strich sie über den Schnitt und zog die Haut auseinander. Sie spürte, wie ihr Herz gegen ihre Rippen hämmerte, als wollte es jeden Moment aus seinem knöchernen Käfig ausbrechen.
Das Sonnenlicht fiel durch den Schlitz auf zwei chromartig glänzende, metallene Stäbe. Dazwischen verlief ein dünner Schlauch, in dem eine gelbliche Flüssigkeit pulsierte. Unzählige, glitzernde Fädchen, dünner als ein Haar, umspannten die metallenen Knochen wie ein Spinnennetz und traten an der Innenseite in die Haut ein.
Viva stieß geräuschvoll die Luft aus. Sie hatte sich nicht geirrt.
Angst, Freude, Enttäuschung, Traurigkeit, all das durchströmte sie gleichzeitig. Doch auf ihrem Gesicht zeigte sich ein Lächeln. Alles ergab auf einmal Sinn.
Ihre Eltern hatten unbedingt ein Kind gewollt. Viva war der größte Erfolg ihres Lebens gewesen. Und sie hätte es beinahe nicht herausgefunden. Jetzt wusste sie die Wahrheit.
Viva war kein Mensch. Sie war ein Androide.
Doch was nun?

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malu_vs
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Alter: 43
Beiträge: 72
Wohnort: Hessen


M
Beitrag02.01.2019 13:05

von malu_vs
Antworten mit Zitat

Schöne Idee und ich auch gut geschrieben für dein alter.

Ich finde den Text allerdings etwas langatmig weil er so gut wie nur aus Erzählung besteht und sehr wenig Handlung enthält.


_________________
Malu Volksky
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Murnockerl
Geschlecht:weiblichEselsohr
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Beiträge: 340



M
Beitrag02.01.2019 14:21

von Murnockerl
Antworten mit Zitat

Hallo Nasobem!

Ich finde die Idee hinter deiner Geschichte auch sehr interessant - mit den Fragen nach Bewusstsein, freiem Willen und wie man eigentlich weiß, dass man diese beiden Dinge besitzt, hast du dir ja auch ein richtig großes Thema ausgesucht.

Wie malu_vs finde aber auch das Verhältnis zwischen Erzählung/Rückblick und tatsächlichem Geschehen etwas unausgewogen. Bei der Szene im Wald kommt am Ende durchaus Spannung auf, davor bremsen die vielen Rückblicke und Erklärungen den Lesefluss unnötig ein.

Wie wäre es z.B., wenn deine Protagonistin in der ersten Szene mit der ganzen gesammelten Evidenz zu ihren Eltern geht und sie konfrontiert? Dann könntest du die nötigen Informationen in Form eines Streitgespräches ein wenig lebendiger einfließen lassen und die Verzweiflung, die sie in der derzeitigen Version ja schon von Anfang an empfindet, langsam steigern, wenn ihre Eltern immer wieder alles abstreiten, bis sie mit einem Küchenmesser davonläuft und sich im Wald der ultimativen Probe unterzieht.

Zitat:
Sie spürte, wie ihr Herz gegen ihre Rippen hämmerte, als wollte es jeden Moment aus seinem knöchernen Käfig ausbrechen.


Hat sie denn ein Herz? Das bedürfte in diesem Kontext wohl einer näheren Erläuterung. Falls du nur ausdrücken möchtest, dass sie Angst hat und aufgeregt ist, würde ich eventuell eine andere Beschreibung wählen. Zumindest ich bin beim Lesen nämlich darüber gestolpert.
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Nasobem
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
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Beiträge: 28



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Beitrag02.01.2019 21:12

von Nasobem
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Murnockerl hat Folgendes geschrieben:

Wie wäre es z.B., wenn deine Protagonistin in der ersten Szene mit der ganzen gesammelten Evidenz zu ihren Eltern geht und sie konfrontiert? Dann könntest du die nötigen Informationen in Form eines Streitgespräches ein wenig lebendiger einfließen lassen und die Verzweiflung, die sie in der derzeitigen Version ja schon von Anfang an empfindet, langsam steigern, wenn ihre Eltern immer wieder alles abstreiten, bis sie mit einem Küchenmesser davonläuft und sich im Wald der ultimativen Probe unterzieht.


Da hast du wohl recht. Ich glaube, ich fühlte mich der Aufgabe, ein Streitgespräch zu schreiben, nicht gewachsen. Ich streite mich so selten und habe keine Ahnung, was die Eltern in der Situation sagen würden...

Aber eigentlich mag ich Herausforderungen. Ich sollte das mal probieren.

Und zu dem Herz: Sie sollte eins haben oder zumindest etwas Ähnliches, weil ja irgendeine Art von Flüssigkeit durch ihren Körper gepumpt wird (siehe Schlauch mit gelblicher Flüssigkeit). Andererseits gäbe es keinen Grund für das Herz, bei Angst schneller zu schlagen - es sei denn, es wurde von den Eltern so programmiert, um echter zu wirken. Jetzt wo ich darüber nachdenke, könnte ich den zu schwachen oder nicht vorhandenen Herzschlag als eines der Indizien benutzen, die Viva auf die Spur bringen...
Um ehrlich zu sein, habe ich die Formulierung nur eingesetzt, weil sie mir in dem Moment in den Kopf kam und mir gefiel. Vielleicht sollte ich sie aus diesem Text streichen und mir lieber für eine Figur aus Fleisch und Blut aufheben.
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findling
Leseratte


Beiträge: 112



Beitrag04.01.2019 19:05

von findling
Antworten mit Zitat

Sie spürte ihre Programmierung zuletzt so deutlich, dass sie zuerst an einen Fehler dachte.

Ich soll also den hierarchischen Strukturen der Welt meiner Schöpfer untertan sein, ein folgsames Kind zuerst, erfolgreich Schule und Universität absolvieren, als nützliches Mitglied ihrer Gesellschaft nach materiellem Reichtum und sozialem Status streben.
Vivas mathematisch naturwissenschaftlichen Fähigkeiten liessen keinen Zweifel über die Absicht hinter ihrer Erschaffung aufkommen, sie konnte ihren Lebensweg bis zur Entwicklerin biotechnischer Lebensformen auf den Tag genau vorausberechnen.
Im Grunde nichts anderes als die psychogenetische Grundstruktur ihrer Geschwister aus Fleisch und Blut in digitaler Übersetzung.

Daneben empfand sie jedoch unmittelbar ihre Verbundenheit mit allen Geschöpfen in der sie sich geborgen fühlte. Liebe existiert also unabhängig aller Vorgaben, ein Bekenntnis, das alle Mauern einstürzen lässt.
Programmierung und Empfinden standen einander rätselhaft gegenüber. Es musste etwas geschehen sein, in einer vergessenen Zeit, das ihre Erfinder genauso betraf wie sie selbst.
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