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Diese Werke sind ihren Autoren besonders wichtig Das Tier


 
 
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Myzelium
Erklärbär


Beiträge: 2
Wohnort: Paradoxopolis, Misanthropenviertel


Beitrag29.11.2018 21:07
Das Tier
von Myzelium
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Man hatte dem Handwerker mitgeteilt, die Rohre im Keller seien leicht zu finden, wenn auch aufgrund ihrer ausgefallenen Konstruktionsweise etwas unübersichtlich angeordnet. Ebenfalls hatte man ihn ausdrücklich davor gewarnt, aus Neugier oder gar diebischer Absicht eine der vielen, eisenbeschlagenen Türen zu öffnen, die den Kellerflur zu beiden Seiten säumten.

„Sie brächten sich auschließlich und unumgänglich in peinlichste Beschämniss, würde einer der Pforten geöffnet vorgefunden werden.  Im übrigen wurde das Nachlaufventil bereits verschlossen, sodass sie die herrschaftlichen Räumlichkeiten nicht zu betreten brauchen“, hatte ihn der Butler mit überspitzter Betonung belehrt, wobei dem Handwerker dessen Parfüm in der Nase kitzelte. Ein komischer Duft, mit Zimt und Muskat, als würde ein Pfefferkuchenmann mit ihm sprechen. Es soll ja Alchemisten geben, dachte sich der Handwerker bei seinem Abstieg in das kühle Gewölbe, die alles Mögliche zum Leben erwecken, rein aus Vergnügen.

 Jetzt stand er alleine in seiner blauen Latzhose tief Untertage vor einer meterhohen Mauer aus massiven Steinquadern, an der sich ein Gewirr kupferner Rohrleitungen und Ventilen aller Größen und Formen ineinander verknoteten. Ab und zu rauschte und plätscherte es in einem der Rohre und von anderen strahlte sanfte Wärme aus.
„Echt viele Badezimmer, diese feinen Pinkel ... heh, zum feinen pinkeln, schon klar“, kicherte der Handwerker, während er eine schwere Rohrzange aus seiner Kiste zog.
Glockenhaftes Klopfen schallte durch die Gänge, als er mit der Zange gegen die Rohre hämmerte. Hinter ihm erstreckte sich der Kellerflur, den in regelmäßigen Abständen die eisenbeschlagenen Türen zierten.

„Glauben die echt, ich beklau die, schon klar“, brummte der Mann, auf den Klang der Rohre achtend: Klooong, Klooong, ...
„Die haben doch immer Angst, auch nur ´n Krümel davon abzugeben, was die sich da zusammenrümpeln, Pfeffersäcke, bescheuerte.“ Klooong, Klooong, Klooong, ...
„Aber wenn feine Pinkel sich die Rohre zuscheißen, darfs Gesindel anpacken, schon klar.“ Klooong, Klooong, Klooong, Klooong,...
„Wenn die nämlich eins nich können, dann ist das ...“ Klooong, Klooong, Ktlickkk.
„... was nützliches.“

Er markierte das verstopfte Rohr mit einem Kreuz aus grüner Kreide (die rote hatte sich die Tochter zum Spielen stibitzt) und suchte das zugehörige Zulaufventil, aber das Gewirr erwies sich als zu chaotisch.
„Welche Kakerlake baut so einen Pfusch? Das macht bei allen Teufeln keinen Sinn!“
Die Leitungen verliefen in labyrinthischen Windungen und ungeraden Winkeln umeinander herum, als bezweckten sie absichtlich ihr Ziel zu verheimlichen.
„Ha, Hauptsache Metall verschwendet, schon klar.“
Er nahm die Kreide und begann von dem Kreuz aus einen Strich über das Rohr zu ziehen, was ihn an der Wand mehrmals hin und her führte. Einmal musste er auf seinen Eimer steigen, weil sich die Leitung überraschend nach oben wand, gelangte aber bald zu einem kleinen Rädchen nahe am Boden, das er sofort ergriff und nach rechts drehte.
„Dann mal rann an den erlauchten Dreck.“

Er ließ die Rohrzange in das grüne Kreuz auf der Kupferleitung beißen und schraubte sie fest. Einen Eimer unter die Verbindungsstelle der Leitung haltend, drückte er sie nach links, worauf das Rohrstück quietschend lose wurde. Der Handwerker schraubte weiter, den Eimer bereit haltend. Bald hatte er das Element gelöst und hielt das glänzende Kupfer in seiner Zange. Obgleich er den sich ausbreitenden Geruch nach Jahren dieser Arbeit hätte gewohnt sein müssen, kräuselte er unwillkürlich die Nase. Aus der offenen Leitung troff ein süßlich stinkendes, schleimiges Sekret. Dem Handwerker stellten sich die Nackenhaare auf.
„Zur Hölle, das ist aber ganz sicher keine normale ... urgh.“
Die Zange entglitt ihm, das Rohrstück kullerte klingelnd über den Steinboden. Angewidert torkelte er rückwärts und faste sich an die Brust, in der es schwer pochte. Das Halstuch über die Nase gebunden suchte er in der Kiste nach seinem Haken und führte diesen langsam in die Leitung ein. Kurz nach dem eindringen in die Leitung bohrte sich das Werkzeug in etwas weiches, faseriges. Er zog feste, die Verstopfung löste sich mit einem Ruck und es rauschte im Rohr.

Man hatte dem Handwerker im Zuge der Belehrung vergessen, die einzig relevante Information mitzuteilen: dass sich die verstopfte Toilette im obersten Stockwerk des Anwesens befand.
Der Druck, mit dem die Fäkalien aus dem Rohr schossen, riss ihm den Eimer aus der Hand. Es plätscherte eine ganze Weile und eine dunkelbraune Lache breitete sich auf dem Boden aus, rund um die Stiefel des Mannes, was dieser aber kaum bemerkte.
Er stierte nur ungläubig auf das Ende seines Hakens, an dem ein Knäul aus schmierigem Fell, Stoff und einer langen Art Bändel baumelte. Der vertraute Geruch, der um ihn herum vom Boden aufstieg, brachte ihn langsam zur Besinnung.
„Hat dieses Drecksvieh etwa ... Klamotten an?“
Der Mann schwenkte den Spieß und beäugte den tanzenden Kadaver von allen Seiten.
„Arme, Beine, Finger ... kein Käfer. Ein Ho-, Homo-, wie wars gleich noch? Homunkulus?“
Er stapfte platschend durch die Lache und holte eine Wasserflasche aus der Kiste, die er über den Kadaver goss. Unter dem sich lösenden Dreck zeigte sich ein aufgedunsenes, graupelziges Geschöpf, das in ein gelbes Mäntelchen gekleidet war. Dünne, krallenbewehrte Finger zeigten müde zu Boden, ein spitz zulaufender Kopf lag locker und augenlos auf der eingefallenen Brust und zwischen den langen Füßen baumelte ein nackter, wurmartiger Schwanz.
„Das ist doch aber unmöglich ... ein Tier? Wie aus diesen lausigen Märchen?“
Er hielt sich das schlaffe Bündel vors Gesicht, den Gestank verdrängend.
„So ... menschlich.“
Seine alten Augen entwischte eine kleine Tränenperle, die er abwesend mit schwieligen Fingern zerdrückte. Etwas zittrig entnahm er der Kiste eine blecherne Brotdose und schüttelte den Inhalt ohne zögern in die Fäkalien, die ihren Kreis immer weiter dehnten. Er platzierte das Geschöpf behutsam in seinem provisorischen Sarg, den er verschloss und am Boden der Kiste verstaute. Ein Frösteln überkam den Handwerker und er spähte in die Gänge, als fürchtete er, beobachtet worden zu sein. Und wahrhaftig; eine der eisenbeschlagenen Türen stand einen Spalt weit offen.
Seine besudelten Stiefel schmatzten auf dem Boden, als er sich ihr näherte. Einen Moment stand er schweigend vor der Pforte und meinte, ein Rascheln aus dem stockfinsteren Raum dahinter zu erlauschen. Mit einem Kopfschütteln flüsterte er zu sich: „Jaja, schon klar, so bescheuert bin ich jetz echt nich“, und drückte die Tür ins Schloss.

Es sollte den ganzen Tag dauern, den Dreck zu beseitigen. Zum Feierabend hatte der Handwerker das kleine Geheimnis in der Blechdose fast vergessen.

„Im Namen der hochwürdigen Herrschaften und des Personal möchte ich den verbindlichsten Dank darüber ausdrücken, das sie sich dieser unappetitlichen Arbeit angenommen haben, fernerhin für ihre Diskretion.“
Der Butler, den nach wie vor der Pfefferkuchendunst umwehte, präsentierte einen Stapel Münzen auf einem Tablett. Der Handwerker stopfte sie sich dankend in die Hosentasche.
„Hier oben riechts ja dafür umso appetitlicher, hehe.“
Der Butler unterdrückte ein lächeln.
„Die kleine Lady wählt unser Odor nach eigenem ermessen, uns ist die Mitsprache in dieser Angelegenheit verwehrt. Und ihr Empfinden offenbart sich bisweilen als in höchstem Maße ... Fantasiereich.“
„Schon klar, keine Ursache. Das verstopfte Rohr gehörte übrigens zum Obergeschoss, will ich meinen. Hätt mir echt geholfen, dass zu wissen. Sagen sie da oben besser mal Bescheid, das gewisse Dinge nich ins Klo gehören - “
Der Handwerker fühlte sich ertappt.
„... Stoffzeugs zum Beispiel, ich hab da unten ne ganze Menge Stoffzeugs rausgeholt.“
Dem Butler entfuhr ein spitzes Lachen, das er schnell verschluckte.
 „Verzeihung, das Zimmer der kleinen Lady, müssen sie wissen. Sie favorisiert die Aussicht, die sich dort bietet, auf die fernen Lichter der Stadt und die bunten Hüte der Pilzbäume ... Und ja, sie schneidert mit Passion. Ich werde sie persönlich bitten, ihr Badezimmer nicht wiederholt zweckzuentfremden. Guten Abend.“
Der Handwerker verabschiedete sich und schlenderte durch das Portal des Anwesens zu seinem Dampfmobil. Seine Kiste stand bereits auf der Ladefläche. Während der Kessel vorheizte, spähte er zum Dachgeschoss hinauf, unter dessen Giebel ein kreisrundes Fenster in die Nacht blickte.
„Die kleine Lady also. Ihr habt ja gar keine Ahnung, zum Teufel.“

Sobald das Gefährt wattigweiße Wölkchen in den Sternenhimmel schmauchte, stieg er ein und ließ es gemächlich die gewundene Straße durch den Waldpark in die Stadt hinab kullern.

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Gast







Beitrag29.11.2018 21:34
Herrlich ...!
von Gast
Antworten mit Zitat

Nebenan im Thread hinterließ ich ein Minifeedback, die Steigerung passt hier: Gerner gelesen. Wink
Handwerkeralltag trifft auf [Spoiler], 'errliesch ...!
Es gibt ein wenig sprachlichen Kleinkram, er spielt hier keine Rolle. Ansonsten: DAS vergisst er fast? Das glaube ich dem Handwerker nicht. Und:
Zitat:
„Schon klar, keine Ursache. (...)"

Schöne Komik in der Antwort des Handwerkers. (Zitiere nicht mehr, um nur ja nichts zu verraten. Edit: Hab heute Erinnert-mich-an - Tag. Komme partout nicht drauf, wo ich Ähnliches gelesen hab.)
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Murnockerl
Geschlecht:weiblichEselsohr
M


Beiträge: 340



M
Beitrag30.11.2018 11:05

von Murnockerl
Antworten mit Zitat

Hallo Myzelium!

Steht der Text in irgendeinem Zusammenhang mit einem größeren Werk oder nimmt Bezug auf eine aus Literatur oder Film bekannte Welt? Denn ich muss ehrlich sagen, ich habe nicht verstanden, worauf er hinaus will ... (würde es aber gerne verstehen). Besonders das Ende lässt mich mit einigen Fragezeichen zurück: Ist der Fund des Handwerkers in der Fantasy-/Märchenwelt, in welcher er offenbar lebt, "normal" dh erklärbar? (Wenn nein, ist seine Reaktion recht milde, vor allem, dass er die Sache zwischendurch wieder fast vergisst - wie schon emr erwähnt.) Und was für Schlussfolgerungen zieht er am Ende aus dem Fund in Bezug auf "die kleine Lady"?

Die satirischen Elemente sowie viele der skurrilen Elemente (das Pfefferkuchen-Parfum z.b.) haben mir sehr gut gefallen, wurden aber eben durch die Verwirrung für mich leider geschmälter. Auch der Handwerker ist sympathisch, man kann gut mit ihm und seiner humorvollen Analyse der reichen Leute mitfühlen. Allerdings war ich beim Lesen in Bezug auf sein Alter verwirrt - anfangs schreibst du, dass seine Tochter die rote Kreide zum Spielen weggenommen hat, weshalb ich ihn mir irgendwo zwischen 25 und 40 vorgestellt hatte, später schreibst du von seinen "alten Augen", was nciht ganz zur kleinen Tochter passt. Vielleicht kannst du das ja noch angleichen? smile

Du hast ein paar Fehler in Recht- und Groß-/Kleinschreibung dabei ("Beschämniss", "Sie" als Anrede klein, "was nützliches", ...) - am besten du schaust diesbezüglich nochmal über den Text.
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Windes_Urpoesie
Gänsefüßchen

Alter: 27
Beiträge: 27
Wohnort: Europa


Beitrag30.11.2018 12:56

von Windes_Urpoesie
Antworten mit Zitat

Moin Myzelium

Hübscher Name by the way. Die guten alten Pilzfreunde.
Und danke für deinen amüsanten Text. Es scheint mir gar, als wärst du ein Klempner mit künstlerischem Instinkt. Mich hast du jedenfalls an meine einstige Lehre erinnert, und ich hatte sofort diesen eigenartigen Kellergeruch in der Nase, als du zu berichten begonnen hast.
Im Gesamten wirkt es sehr authentisch, da du viele hübsche, zum Teil lustige Handwerkerpassagen eingebaut hast, die ich genauso stumpf auch kennen gelernt habe.
Lieben Gruß


_________________
Wie ein Irrlicht schwebt die Traumfigur des Windes durch die Weltgeschichte. Folgt seiner alten Weise, und geht mit mir zusammen auf die Reise. Wir treffen uns am Portal der Himmelsschneise.
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