18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Einstand
Systemisch


 
 
Gehe zu Seite 1, 2  Weiter
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
Mann wie ein Turm
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
M

Alter: 44
Beiträge: 47



M
Beitrag18.11.2018 23:23
Systemisch
von Mann wie ein Turm
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Neue Version »

Immer wenn sich Thomas der Ladentür näherte, huschte ein Lächeln über Katharinas Gesicht, das sie jedoch sorgsam wieder verbarg, sobald das Glöckchen über der Tür schellte, und durch jene Berufsfreundlichkeit ersetzte, die Bäckereifachverkäuferinnen eigen ist.
„Guten Morgen, Herr Svoboda!“, grüßte sie und fasste ihn vielleicht ein bisschen zu lang ins Auge.
„Morgen“, murmelte Thomas dann immer zurück, ohne dass er nennenswert den Kopf gehoben hätte. Er spürte genau Katharinas Blick auf sich, nur wagte er nicht, diesem Blick zu begegnen.
„Zwei Sesam, zwei Mohn und ein Halbpfünder Roggenmisch, wie immer?“, fragte sie jedes Mal, weil sie wusste, was er wollte. Und sie schaute ihn beinahe so offen und freundlich an, wie sie es bei seiner Ankunft getan hatte. Dann hob Thomas scheu die Augen von der Auslage im Tresen und nickte kaum merklich. Aber dass sich ein mattes Lächeln um seine Mundwinkel hervorwagte, bemerkte sie nicht, denn Katharina hatte schon die Tüte in der Hand und werkte dienstfertig mit den Backwaren. Und wenn sie dann die Tüten vor ihm ablegte, war er bereits in seinen Geldbeutel vertieft, in dem er nach Kleingeld kramte.
„Drei zwanzig, der Herr“, sagte sie, indem sie schon in die Kasse eintippte. Dann zählte er ihr meistens konzentriert die Münzen auf die Schale, obwohl sie schon Anstalten machte, ihm die Hand entgegenzustrecken.
„Zwei, fünfzig, drei, jawohl, passt genau“, zählte sie das Geld in die Schublade. Und Thomas nahm viel zu langsam die beiden Tüten an sich. „Vielen Dank und noch einen schönen Tag, Herr Svoboda“, sagte sie noch. Thomas wagte noch einen flüchtigen Blick auf das Mädchen, ein noch flüchtigeres Lächeln. Dann nickte er immer vor sich hin, erwiderte noch ein „Danke, Ihnen auch“, obwohl er das Siezen eindeutig unangenehm fand, und verließ den Laden.
Draußen auf der Straße wirkte er noch krummer als zuvor, der Nacken abgewinkelt, wie es großen Menschen eigen ist, die gewohnt sind, sich zu anderen herabzuneigen.
Jedes Mal verlief der Einkauf so. Immer das gleiche verborgene Lächeln, immer die scheuen Blicke, immer die Freundlichkeit, deren Fassade zu bröckeln schien und hinter dem Putz etwas anderes kaum verbergen konnte.
Und jedes Mal stellte ich dann meine leere Kaffeetasse ab, nahm meine Jacke von dem Stuhl neben mir und verließ das Café. Katharina, die Thomas wie ich selbst nachgesehen hatte, setzte für mich noch einmal kurz die Maske der Berufsfreundlichkeit auf und ich nickte ihr mitwissend zu, bevor die Ladentür mit dem Klingeln des Glöckchens in Schloss fiel.
Aber heute war etwas anders. Ich hatte mir statt des Milchkaffees einen Cappuccino bestellt und dazu eine Streuselschnecke, dass Katharina mich schon fragte, ob es etwas zu feiern gebe. Aber mir war einfach danach.
„Man gönnt sich ja sonst nichts“, hatte Katharina geantwortet und ich dachte, stimmt eigentlich.
„Ist vielleicht ein Fehler“, hatte ich erwidert und gerade in dem Moment gesehen, dass draußen Thomas herankam. Ich setzte mich, als das Glöckchen ertönte, und hörte mit abgewandtem Rücken, dass etwas anders war.
„Herr Svoboda“, begrüßte Katharina, „was kann ich Ihnen denn heute Gutes tun?“ Und obwohl ich noch mit dem Ablegen meiner Jacke und dem Abstellen von Tasse und Teller beschäftigt war, konnte ich fast greifen, dass Thomas sie verblüfft anstarrte.
„Eine Laugenstange? Käselaugenstange?“, erwiderte Thomas fragend, dass ich mich fast am heißen Cappuccino verschluckt hätte.
„Aber, Herr Svoboda, Sie sind ja ein richtiger Gourmet!“, antwortete Katharina mit gespielter Empörung.
„Heute greifen wir richtig in die Vollen“, sagte Thomas ironisch. „Und dazu noch einen Puddingberliner.“
„Machen Sie sich nicht der Völlerei schuldig, Herr Svoboda!“
„Übrigens heiße ich Thomas“, sagte Thomas und der Bäckerladen erstarrte. Ich erstarrte. Ganz langsam blickte ich zu den beiden hinüber mit Puderzucker von der gerade abgebissenen Schnecke an der Oberlippe.
„Ich bin Katharina“, erklärte sie unnötigerweise, denn ihr Name stand auf dem Schildchen an ihrer Brust. Sie lächelte Thomas ins Gesicht und er lächelte zurück.
Das war der Moment, in dem ich meinen Kaffee zum ersten Mal in meinem Leben stehen ließ, mir Jacke und Streuselschnecke schnappte und wortlos das Café verließ. Jeder braucht manchmal etwas Privatsphäre.

Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Austrobass
Geschlecht:männlichLeseratte

Alter: 56
Beiträge: 100
Wohnort: Weinviertel/Austria


Beitrag19.11.2018 10:27

von Austrobass
Antworten mit Zitat

Dein Text gefällt mir sehr gut. Danke.

liebe Grüße

Martin


_________________
Due to Budget cuts the light on the end of the tunnel will be turned off.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Abari
Geschlecht:männlichAlla breve

Alter: 43
Beiträge: 1838
Wohnort: ich-jetzt-hier
Der bronzene Durchblick


Beitrag19.11.2018 14:48

von Abari
Antworten mit Zitat

Hey,

die Textidee finde ich klasse. Auch wenn sie etwas offensichtlich ist; aber was solls, Offensichtlichkeiten sind ja nicht verboten. Aber man kann damit spielen. wink

Aber zwei Haken schlage ich noch:
1. Gliedere Deine langen Sätze durch unterschiedliche Satzzeichen; das täte ihnen gut. Auf der Tastatur gibt es nicht nur Punkt und Komma.

2. Woher weiß das LI so genau, was die anderen Figuren bewegt? Das kann es nicht leisten. Prüfe Deinen Text nochmal auf Stellen wie:
Zitat:
Aber dass sich ein mattes Lächeln um seine Mundwinkel hervorwagte, bemerkte sie nicht, denn Katharina hatte schon die Tüte in der Hand und werkte dienstfertig mit den Backwaren.
Entweder hat das LI extrem scharfe Augen oder Du bist hier in der auktorialen Erzählweise. Das ist nicht schlimm, nur inkonsequent. Natürlich könnte man einwenden: Das ist so. Die wechselt eben im Text. Aber ich fühle mich verschaukelt; da darf ruhig die latente Idee eines "stillen Beobachters" mitschwingen. Oder Du nimmst Dich völlig aus dem - leider sehr kurzen - Textabschnitt zurück, das ginge auch... Aber naja, ich schau mal, was Du so machst.

Tja. Sehr schöne Geschichte, die noch etwas mehr Text vertragen könnte, iSv da darf die Detailverliebtheit noch etwas kultiviert werden. Aber das ist schon alles höhere Mathematik der Schriftstellerei; was von der Qualität des Textes zeugt.


_________________
Das zeigt Dir lediglich meine persönliche, höchst subjektive Meinung.
Ich mache (mir) bewusst, damit ich bewusst machen kann.

LG
Abari
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
muetzchen
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
M


Beiträge: 50



M
Beitrag19.11.2018 23:25

von muetzchen
Antworten mit Zitat

Hallo Mann wie ein Turm,

ich blase hier auch Mal ein bisschen in Abaris Horn: Ich finde deine Sätze zum Teil zu lang, würde öfter Mal zwei aus einem machen. Meine eigenen Texte haben ähnlich lange Sätze und es schärft meistens die Aussage, wenn ich sie "auseinandernehme".

Beispiel:
"Immer wenn sich Thomas der Ladentür näherte, huschte ein Lächeln über Katharinas Gesicht, das sie jedoch sorgsam wieder verbarg, sobald das Glöckchen über der Tür schellte, und durch jene Berufsfreundlichkeit ersetzte, die Bäckereifachverkäuferinnen eigen ist."


Vorschlag:
Immer wenn sich Thomas der Ladentür näherte, huschte ein Lächeln über Katharinas Gesicht. Sie verbarg es jedoch sorgsam, sobald das Glöckchen über der Tür schellte und ersetzte es durch jene Berufsfreundlichkeit, die Bäckereifachverkäuferinnen zu eigen ist.

Nur durch diesen Punkt erscheint vor meinem inneren Auge zuerst klar das Lächeln und dann, wie sie es verschwinden lässt. In dem langen Satz verschwimmt alles ein wenig.

Du schilderst auf sehr feinsinnige Weise, was mit den beiden Protagonisten geschieht und die überraschende Wendung, die die Geschichte durch den Auftritt des Beobachters nimmt, belebt das Geschehen. Das gefällt mir gut.

Trotzdem hat Abari recht,wenn er schreibt, irgendwas passt da nicht zusammen. Anfangs weiß man genau, was in den beiden vorgeht, am Ende ist unklar, was Herrn Svoboda zu der plötzlichen Offensive bewegt. Es wäre toll, wenn die was einfällt, wie du die beiden schönen Elemente (Beobachter und feinsinnige Gefühlsbeschreibung) verknüpfen kannst.

Grüße
Mützchen
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
jon
Geschlecht:weiblichEselsohr
J

Alter: 57
Beiträge: 270
Wohnort: Leipzig


J
Beitrag19.11.2018 23:28
Re: Systemisch
von jon
Antworten mit Zitat

Hübscher kleiner Text.

Was mich am meisten stört, ist der inkonsequente Point of View: Am Anfang wird lange von einem auktorialen Erzähler erzählt, plötzlich taucht aber ein Ich auf, das vieles von dem, was eben erzählt wurde, gar nicht wissen kann.

Dazu kommen viele störende Details. Jedes für sich ist mir in unterschiedlichem Maß erträglich, alles zusammen lässt den Text zunehmend schaler werden. Also für mich jetzt.


Zitat:
Immer wenn sich Thomas der Ladentür näherte, huschte ein Lächeln über Katharinas Gesicht, das sie jedoch sorgsam wieder verbarg, sobald das Glöckchen über der Tür schellte, und durch jene Berufsfreundlichkeit ersetzte, die Bäckereifachverkäuferinnen eigen ist.

Störend: Zu umständlich als Einstiegssatz.
Eine Mini-Erleichterung wäre, dem letzten Satzteil den Bezug zurückzugeben, den er durch den Abstand quasi verloren hat. Also: … schellte, und das sie durch jene Berufsfreundlichkeit …


Zitat:
„Guten Morgen, Herr Svoboda!“, grüßte sie und fasste ihn vielleicht ein bisschen zu lang ins Auge.
„Morgen“, murmelte Thomas dann immer zurück, ohne dass er nennenswert den Kopf gehoben hätte. Er spürte genau Katharinas Blick auf sich, nur wagte er nicht, diesem Blick zu begegnen.

Das Unterstrichene verletzt den PoV = Ich.
Überflüssige Füllwörter sind "zurück"und "genau" (wie könnte man ihn "ungenau spüren"?), und eigentlich ist auch "auf sich" überflüssig, denn wir haben ja gerade gesehen, dass ihr Blick auf ihm ruht.

Zitat:

„Zwei Sesam, zwei Mohn und ein Halbpfünder Roggenmisch, wie immer?“, fragte sie jedes Mal, weil sie wusste, was er wollte.

Das Unterstrichene ist überflüssig, die Frage zeigt haargenau das. Eigentlich ist die Frage sogar präziser, denn eigentlich weiß sie nicht, was er will, nur, was er immer nimmt. (PoV!)

Zitat:
Und sie schaute ihn beinahe so offen und freundlich an, wie sie es bei seiner Ankunft getan hatte.

Nur dass sie ihm bei der Ankunft lediglich ihr Berufsfreundlichkeitslächeln geschenkt hat. Wenn du die Phase vor dem Glöckchenklingeln meinst: Da schaut sie ihn nicht "offen und freundlich an", sie sieht ihn lediglich und lächelt still vor sich hin.

Zitat:
Dann hob Thomas scheu die Augen von der Auslage im Tresen und nickte kaum merklich. Aber dass sich ein mattes Lächeln um seine Mundwinkel hervorwagte, bemerkte sie nicht, denn Katharina hatte schon die Tüte in der Hand und werkte dienstfertig mit den Backwaren. Und wenn sie dann die Tüten vor ihm ablegte, war er bereits in seinen Geldbeutel vertieft, in dem er nach Kleingeld kramte.

Hübsch. Auch wenn ich bei einem Kerl, der scheu die Augen hebt, einen deutlichen Anflug von Kitsch verspüre.

Zitat:
„Drei zwanzig, der Herr“, sagte sie, indem sie schon in die Kasse eintippte.

Das ist falsch. Man kann etwas sagen (im Sinne von "sprechen"), indem man den Stimmapparat in Bewegung setzt. Oder man kann die Abrechnung machen, indem man etwas in eine Kasse eintippt. Aber man kann nichts sagen, indem man etwas in eine Kasse tippt.

Zitat:
Dann zählte er ihr meistens konzentriert die Münzen auf die Schale, obwohl sie schon Anstalten machte, ihm die Hand entgegenzustrecken.

Warum hier nur meistens? Jaja, ich weiß: Im realen Leben hat man es nicht immer passend, aber in dem Moment, in dem sie ihm Wechselgeld rausgeben muss, würde sie es ihm sicher in die Hand geben - und schon bricht dieses ganze Bild zusammen.
Warum macht sie nach all den vielen, vielen Durchgängen noch Anstalten, die Hand auszustrecken? Sie dürfte sich das (nach der Erkenntnis der Vergeblichkeit) sehr schnell abgewöhnt haben. Oder sie vollendet die Geste und hält die Hand wirklich hin - sozusagen als sichtbares unverbindliches Angebot.

Zitat:
„Zwei, fünfzig, drei, jawohl, passt genau“, zählte sie das Geld in die Schublade. Und Thomas nahm viel zu langsam die beiden Tüten an sich. „Vielen Dank und noch einen schönen Tag, Herr Svoboda“, sagte sie noch. Thomas wagte noch einen flüchtigen Blick auf das Mädchen, ein noch flüchtigeres Lächeln. Dann nickte er immer vor sich hin, erwiderte noch ein „Danke, Ihnen auch“, obwohl er das Siezen eindeutig unangenehm fand, und verließ den Laden.

Hier fehlen Absätze.
Wortdopplung "zählte" (kann aber absichtlich sein, das würde sogar passen) und "noch" (sogar vierfach)
Wenn ihm das Siezen so offenkundig unangenehm ist, warum tut er es dann? Er würde schon nach dem ersten, vielleicht sogar während des ersten Durchgangs dieses Rituals auf etwas Neutrales umstellen. ("Danke ebenso.")

Zitat:
Draußen auf der Straße wirkte er noch krummer als zuvor, der Nacken abgewinkelt, wie es großen Menschen eigen ist, die gewohnt sind, sich zu anderen herabzuneigen.

Der abgewinkelte Nacken klingt für mich extrem seltsam. Sehr technisch, sehr kantig und irgendwie "krumm" ("abgewinkelt" geht in jede Richtung).

Zitat:
Jedes Mal verlief der Einkauf so. Immer das gleiche verborgene Lächeln, immer die scheuen Blicke, immer die Freundlichkeit, deren Fassade zu bröckeln schien und hinter dem Putz etwas anderes kaum verbergen konnte.

Das ist erstens umständlich: Das Bild des bröckelnden Putzes impliziert bereits, dass dahinter etwas (deutlich oder ahnbar) sichtbar wird.
Zweitens stimmt die Semantik und Grammatik nicht; da fehlt mindestens ein die: "… die Freundlichkeit, … und die hinter dem Putz etwas anderes kaum verbergen konnte." Wobei "Freundlichkeit, die hinter Putz etwas (nicht) verbirgt" ein schiefes Bild ist. Eitelkeit hat Putz, hinter dem sie etwas verbergen kann. Freundlichkeit hingegen ist offen (also ohne Putz und Fassade) oder sie ist selbst Putz oder Fassade.

Zitat:
Und jedes Mal stellte ich dann meine leere Kaffeetasse ab, nahm meine Jacke von dem Stuhl neben mir und verließ das Café. Katharina, die Thomas wie ich selbst nachgesehen hatte, setzte für mich noch einmal kurz die Maske der Berufsfreundlichkeit auf und ich nickte ihr mitwissend zu, bevor die Ladentür mit dem Klingeln des Glöckchens in Schloss fiel.

Wenn das LyrIch Thomas immer (!) nachsieht, woher weiß er/sie dann, dass auch Katharina ihm nachsieht?

Zitat:
Aber heute war etwas anders. Ich hatte mir statt des Milchkaffees einen Cappuccino bestellt und dazu eine Streuselschnecke, dass Katharina mich schon fragte, ob es etwas zu feiern gebe. Aber mir war einfach danach.

Meinst du "so dass"?


Zitat:
„Man gönnt sich ja sonst nichts“, hatte Katharina geantwortet und ich dachte, stimmt eigentlich.

Zeitfehler: … und ich hatte gedacht …
Wörtliche Gedanken markieren?

Zitat:
„Ist vielleicht ein Fehler“, hatte ich erwidert und gerade in dem Moment gesehen, dass draußen Thomas herankam. Ich setzte mich, als das Glöckchen ertönte, und hörte mit abgewandtem Rücken, dass etwas anders war.

Also die Zeitabläufe sind auch anders - das aber wundert das Lyrische Ich nicht im Geringsten. Es ist ihm/ihr nichtmal einen Kommentar (oder eine kommentierende Anspielung) wert.
Der (wovon auch immer) "abgewandte Rücken" heißt, dass er/sie mit dem Gesicht (wem oder was auch immer) zugewandt ist. Da er/sie nur hört, sitzt er/sie mit dem Rücken zu Thomas und Katharina. Warum? Schaut er/sie statt dessen auf die Wand? Ein Bild? Eine Pflanze?


Zitat:
„Herr Svoboda“, begrüßte Katharina, „was kann ich Ihnen denn heute Gutes tun?“

Das Wort "begrüßen" verlangt gemeinhin die Angabe des Begrüßten. Besser: "grüßte"

Zitat:
Und obwohl ich noch mit dem Ablegen meiner Jacke und dem Abstellen von Tasse und Teller beschäftigt war,

Im Sitzen? Oben steht, dass er/sie sich setzte, als das Glöckchen ertönte.
Und: Die Erzählreihenfolge irritiert mich. Es klingt, als lege er/sie erst die Jacke ab und stelle dann das Geschirr hin. Maximal noch, als täte er/sie das gleichzeitig. Nicht aber, was mir machbar erscheint: erst das Geschirr, dann die Jacke.

Zitat:
konnte ich fast greifen, dass Thomas sie verblüfft anstarrte.

… greifen, wie …
Wieso ist "Jacke ausziehen und Geschirrabstellen" normalerweise etwas, was "fast greifen können" ausschließt, so dass du mit "obwohl" die ausnahmsweise Gleichzeitigkeit betonen musst?

Zitat:
„Eine Laugenstange? Käselaugenstange?“, erwiderte Thomas fragend, dass ich mich fast am heißen Cappuccino verschluckt hätte.

Auch hier das fehlende "so". Das reine "dass" im Sinne von "so dass" ist derart altmodisch, dass es wie ein Fehler klingt. Tatsächlich ist "so dass" ein anderer Bezug als "dass".

Zitat:
„Aber, Herr Svoboda, Sie sind ja ein richtiger Gourmet!“, antwortete Katharina mit gespielter Empörung.

Was um Himmels willen könnte eine Essenswaren-Verkäuferin am Gourmet-Sein empörend finden? Ob nun echt oder gespielt. Das ist ja, als beschwere sich ein Apotheker, dass sein Kunde wert auf Apotheken-Kosmetik legt.

Zitat:
„Heute greifen wir richtig in die Vollen“, sagte Thomas ironisch. „Und dazu noch einen Puddingberliner.“

Der Typ, der bislang scheu blickte?? Nie im Leben! Mag sein, dass er scherzt, aber Ironie bringt der in dieser Situation nicht auf. Und überhaupt: Worüber fein spottend??

Zitat:
„Machen Sie sich nicht der Völlerei schuldig, Herr Svoboda!“

Das sagt sie ohne Unterton?

Zitat:
„Übrigens heiße ich Thomas“, sagte Thomas und der Bäckerladen erstarrte

Jetzt erst??

Zitat:
Ich erstarrte. Ganz langsam blickte ich zu den beiden hinüberKOMMA mit Puderzucker von der gerade abgebissenen Schnecke an der Oberlippe.

Schön, das Runterbrechen vom "Laden" auf "ich". Gefällt mir, auch rhythmisch.
Verletzung des PoV: Das LyrIch ist so perplex, er/sie merkt nichts von dem Zucker. Und sehen kann er/sie ihn auch nicht.

Zitat:
„Ich bin Katharina“, erklärte sie unnötigerweise, denn ihr Name stand auf dem Schildchen an ihrer Brust. Sie lächelte Thomas ins Gesicht und er lächelte zurück.

Das "lächelte ins Gesicht" klingt eher nach Angriff oder Provokation als nach eine Flirt-Geste.

Wie gesagt: Das sind alles nur (mehr oder weniger "schlimme") Kleinigkeiten. In der Summe bekamen aber auch die eher banalen Störungen Gewicht für mich.


_________________
Es ist nicht wichtig, was man mitbringt, sondern was man dalässt. (Klaus Klages)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Mann wie ein Turm
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
M

Alter: 44
Beiträge: 47



M
Beitrag20.11.2018 18:46

von Mann wie ein Turm
pdf-Datei Antworten mit Zitat

@jon zunächst einmal herzlichen Dank für die Mühe, die Du Dir mit der Analyse gemacht hast. Die vielen Dinge, die Du kritisierst, kann ich allerdings nur begrenzt nachvollziehen. Zum Großteil halte ich Dinge wie "dass" oder "so dass" für stilistische Besonderheiten, die ich nicht geneigt bin zu verändern. Auch das scheinbar auktoriale Erzählen, oder wie Du es nennst der inkonsequente PoV, der Dich stört, ist ein beabsichtigtes Moment. Nicht etwa um zu verstören, sondern um klar zu machen, dass das, was uns dieser Erzähler mitteilt, subjektiv ist. Das heißt dann auch, dass er Dinge, die er eigentlich nicht weiß, erzählen kann. Und auch die Reihenfolge, in der er Vorgänge widergibt, ist eben eine subjektive Schilderung.
Im Übrigen handelt es sich bei dem Text nicht um Lyrik, weshalb ich auch "lyrisches Ich" unpassend finde. Es ist eine Erzählerfigur, die eben ihre Eigenheiten hat. Und unnötige Füllwörter, scheinbar unpassende Bilder etc. gehören da eben dazu.

Ich weiß, dass das wie Mogelei klingt, tatsächlich aber trifft für die allerwenigsten Anmerkungen von Deiner Seite zu, dass sie nicht genau so gewollt sind.

Wenn man also annimmt, dass der Text kein Werkstatttext ist, sondern so ist und bleibt, bleibt für mich die Frage, ob er funktioniert.

Was mich am ehesten überzeugt ist, dass Thomas vielleicht nicht so spontan vom Schüchternen zum Ironischen mutieren würde. Allerdings scheint mir auch das spekulativ zu sein. Wir kennen die Figur eigentlich ja gar nicht und dann müssen wir dem Erzähler (dem einzigen, der überhaupt einen Eindruck von ihm hat) doch irgendwie glauben.

Ich würde gern noch ein bisschen en Detail Deine Analyse betrachten, aber das Zitieren von zitierten Zitaten in diesem kleinen Feld macht mich wahnsinnig.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Kiara
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 44
Beiträge: 1404
Wohnort: bayerisch-Schwaben


Beitrag20.11.2018 20:15

von Kiara
Antworten mit Zitat

Diese Wandlung, die alle drei Hauptdarsteller durchmachen, hätte sich mir am ehesten mit etwas Größerem erklärt - etwas, das ihre Charaktereigenschaften beeinflusst hat.

Aber ob diese Kurzstory in diese Gefilde abdriften soll?

PS: Glauben muss ich einem Erzähler nie. Wenn ein Text für mich nicht stimming bzw. unglaubwürdig ist, fällt mir das negativ auf. Dann lese ich noch weiter, ob eventuell eine geschickte Begründung oder Wendung folgt, ansonsten läuft der Text Gefahr, auf den gedanklichen "Net so guat"-Stapel zu gelangen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
kioto
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 71
Beiträge: 442
Wohnort: Rendsburg


Beitrag20.11.2018 21:43

von kioto
Antworten mit Zitat

Hallo,

Mann wie ein Turm hat Folgendes geschrieben:
...... Auch das scheinbar auktoriale Erzählen, oder wie Du es nennst der inkonsequente PoV, der Dich stört, ist ein beabsichtigtes Moment. .....


Mich hat das doch schon etwas gestört. Der Erzähler nennt ihn Thomas, obwohl Thomas sich erst später vorstellt. Sie kennen sich nicht, denn sonst hätten sie sich begrüßt. Der Erzähler ist aber nicht auktorial. Das geht so für mich nicht, auch nicht als Stilmittel, weil es nicht schlüssig ist.


_________________
Stanislav Lem: Literatur versucht, gewöhnliche Dinge ungewöhnlich zu beschreiben, man erfährt fast alles über fast nichts.
Phantastik beschreibt ungewöhnliche Dinge (leider m.M.) meist gewöhnlich, man erfährt fast nicht über fast alles.

Gruß, Werner am NO-Kanal
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
firstoffertio
Geschlecht:weiblichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5854
Wohnort: Irland
Das bronzene Stundenglas Der goldene Spiegel - Lyrik (1)
Podcast-Sonderpreis Silberner Sturmschaden


Beitrag20.11.2018 21:53

von firstoffertio
Antworten mit Zitat

Ich mag diesen kleinen Text. Auch den Perspektivenwechsel.
Erst denke ich, das wird so eine typische Geschichte. Dann:

Zitat:
Und jedes Mal stellte ich dann meine leere Kaffeetasse ab,


Und ich habe auf einmal einen beobachtenden Autor vor mir.

Auch der Bruch im Geschehen. Jetzt läuft es anders ab. Mir ist, als habe Autor da gehockt und eine Geschichte zu schreiben begonnen. Dann wird er von der Realität überholt.

Andererseits war er, wird geschildert,  selbst etwas anders drauf, den Tag. Und deshalb ändert sich womöglich auch seine Geschichte, die doch eine bleibt.

Schön verzwickt finde ich das.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
muetzchen
Geschlecht:weiblichWortedrechsler
M


Beiträge: 50



M
Beitrag20.11.2018 22:43

von muetzchen
Antworten mit Zitat

Das ist überhaupt eine geniale Idee Firstoffertio! Mann wie ein Turm, wenn das die Idee ist, die dahintersteckt, macht es den ganzen Text mit der feinsinnigen Beschreibung und dem überraschend auftretenden Beobachter sinnhaft. Du müsstest es für mich nur besser ausarbeiten, so habe ich zumindest es nicht begriffen. Eine richtig coole Geschichte!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
jon
Geschlecht:weiblichEselsohr
J

Alter: 57
Beiträge: 270
Wohnort: Leipzig


J
Beitrag20.11.2018 23:29

von jon
Antworten mit Zitat

Hallo Mann wie ein Turm,

natürlich musst du nicht ein einziges Element ändern. Erst recht nicht, wenn du praktisch jedes davon absichtlich so gemacht hast.
Aber immerhin weißt du jetzt nicht nur, dass, sondern auch warum die Story aus der Sicht dieses einen Lesers nicht gut funktioniert. Daran - dass es so für mich nicht funktioniert - ändert sich auch nichts durch das Wissen, dass es Absicht war.
Ob du "Lyrisches Ich" passend findest, spielt überhaupt keine Rolle für die kritisierten Punkte - also nenn' es gern, wie du willst.

Um es nochmal klar zu sagen: Es mag ja sein, dass du den langen ersten Teil - also bevor der Leser "Ich" sieht - als Erzählung von "Ich" meinst. Aber das weiß der Leser ja nicht. Der Leser müsste also in dem Moment, in dem er er es (hoffentlich) versteht, den Text nochmal von vorn lesen, um all die scheinbar objektiven Dinge als subjektive neu einzusortieren.
Man kann so einen nachträglichen Schwenk schon mal machen, wenn die neu zu interpretierende Textpassage kurz ist. Hier umfasst der neu zu deutende Text jedoch mehr als die Hälfte des Gesamttextes.

Es ist etwas anderes, wenn der Leser von Anfang an weiß, dass da ein "Ich" erzählt, und dieses "Ich" so tut, als sei es objektiv, sich aber herausstellt, dass es das nicht ist. Dann ist es gewissermaßen die Schuld des Lesers, nicht mit der Subjektivität des "Ich" gerechnet zu haben.
(Natürlich nutzt der [gute] Autor den Effekt, dass der Leser es vermutlich dennoch tut - aber das sollte erstens einen literarischen Sinn haben und zweitens sollte der Leser überhaupt die Chance bekommen, es nicht zu tun. Ich denke da z. B. an Christies "Alibi". Der Leser wird nicht echt belogen, auch vom "Ich" nicht, das von Anfang an als Erzähler erkennbar ist. Auch hier tritt so ein Effekt ein, wie du ihn wohl beabsichtigt hast - das Deutlichmachen der Kollision von Objektivem und Subjektivem - aber das wird in "Alibi" viel eindrücklicher [und vor allem in Verbindung mit einer bedrückenden Konsequenz] vermittelt.)

Langer Rede kurzer Sinn: Wenn man also annimmt, dass der Text kein Werkstatttext ist, sondern so ist und bleibt (oder das weiß oder annimmt, es sei einer und würde nach einem "nein" noch verändert), bleibt für mich die die Antwort, dass er nicht gut funktioniert.


_________________
Es ist nicht wichtig, was man mitbringt, sondern was man dalässt. (Klaus Klages)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Mann wie ein Turm
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
M

Alter: 44
Beiträge: 47



M
Beitrag20.11.2018 23:47

von Mann wie ein Turm
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich selber mag dieses plötzliche und unverhoffte Auftauchen des Ich-Erzählers. Denn läuft die Situation auch sonst immer gleich ab, ist er es, der die eine Kleinigkeit verändert, dass (ich finde, das ist einfach näher am Finalen als an der Folge) die ganze Lage sich verändert.
Das ist ja letztlich auch die Bedeutung von "systemisch".
Ganz sicher wollte ich nicht, dass man den Text nochmal liest. Ich denke, dass man einen so kurzen Text doch auch so noch ganz gut überblicken kann.

Man muss es ja nicht mögen.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
firstoffertio
Geschlecht:weiblichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5854
Wohnort: Irland
Das bronzene Stundenglas Der goldene Spiegel - Lyrik (1)
Podcast-Sonderpreis Silberner Sturmschaden


Beitrag21.11.2018 00:01

von firstoffertio
Antworten mit Zitat

Kannst du deinen Titel noch genauer erklären? Ich googelte, bin aber nicht recht schlauer dabei geworden.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Mann wie ein Turm
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
M

Alter: 44
Beiträge: 47



M
Beitrag21.11.2018 06:55

von Mann wie ein Turm
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo!
@firstoffertio
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Dich richtig verstehe:
firstoffertio hat Folgendes geschrieben:

Mir ist, als habe Autor da gehockt und eine Geschichte zu schreiben begonnen. Dann wird er von der Realität überholt.

(Mein Deutschlehrer hat immer sehr genau darauf bestanden, dass wir Erzähler und Autor strikt trennen, jetzt steckt das so drin)
Meinst Du damit, dass sich der Erähler im Erzählen seiner Rolle als Teil des komplexen sozialen Gefüges begreift und dass er daher sein Erzählen umgestaltet?
Das ist ein Teil des Ansatzes. Die Idee beim systemischen Denken besteht darin, sich nicht auf einzelne Sachverhalte zu konzentrieren, sondern das komplexe Ganze in den Blick zu nehmen. Da alles mit allem in Beziehung steht, reicht es manchmal nur ein kleines Detail zu verändern und das ganze System verändert sich (um auf Deine Anfrage zu antworten).

Schöne Grüße, Turm.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Literättin
Geschlecht:weiblichReißwolf

Alter: 58
Beiträge: 1836
Wohnort: im Diesseits
Das silberne Stundenglas Der goldene Roboter
Lezepo 2015 Lezepo 2016


Beitrag21.11.2018 08:51

von Literättin
Antworten mit Zitat

Hallo Mann wie ein Turm,

ich habe deine kleine Geschichte gelesen, auch gern gelesen und in meinen Augen funktioniert sie sehr gut. Ich stolpere nicht über den scheinbaren Wechsel der Erzählperspektive, ich merke da eher auf. Auch stören mich keine der kleinen vermeintlichen oder auch faktischen Ungenaugikeiten. Dass ich z.B. über das kleine "indem" statt "indessen" beim Kassieren hinweglese, spricht durchaus für den Text (dafür, dass er mich über den Stapel meiner internalisierten Fachliteratur locker hinwegsehen lässt). Ich erlebe den Text als ein konsistentes Ganzes.

Nur ein ganz klein wenig stört mich das kleine Klischee vom "Nährenden Mädchen". Auch das Wort würde ich ersetzten. Also "Mädchen", denn da steht dann plötzlich in meinem Kopf eine höchstens Halbwüchsige hinterm Tresen.

Das wirkt auf mich ungefähr so seltsam als würde aus der Figur des Erzählers oder des Thomas ein "Junge".

LG, Literättin

P.S.: Nur den Titel halte ich für weniger gelungen. Handelt es sich ja eher nicht um einen Artikel in "Psychologie heute" oder um ein Seminarblatt einer Fortbildungsveranstaltung. Des Titels wegen hätte ich deinen Text beinahe nicht gelesen.


_________________
when I cannot sing my heart
I can only speak my mind
- John Lennon -

Christ wird nicht derjenige, der meint, dass "es Gott gibt", sondern derjenige, der begonnen hat zu glauben, dass Gott die Liebe ist.
- Tomás Halík -

Im günstigsten Fall führt literarisches Schreiben und lesen zu Erkenntnis.
- Marlene Streeruwitz - (Danke Rübenach für diesen Tipp.)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
firstoffertio
Geschlecht:weiblichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5854
Wohnort: Irland
Das bronzene Stundenglas Der goldene Spiegel - Lyrik (1)
Podcast-Sonderpreis Silberner Sturmschaden


Beitrag21.11.2018 21:50

von firstoffertio
Antworten mit Zitat

Mann wie ein Turm hat Folgendes geschrieben:
Hallo!
@firstoffertio
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich Dich richtig verstehe:
firstoffertio hat Folgendes geschrieben:

Mir ist, als habe Autor da gehockt und eine Geschichte zu schreiben begonnen. Dann wird er von der Realität überholt.

(Mein Deutschlehrer hat immer sehr genau darauf bestanden, dass wir Erzähler und Autor strikt trennen, jetzt steckt das so drin)
Meinst Du damit, dass sich der Erähler im Erzählen seiner Rolle als Teil des komplexen sozialen Gefüges begreift und dass er daher sein Erzählen umgestaltet?
Das ist ein Teil des Ansatzes. Die Idee beim systemischen Denken besteht darin, sich nicht auf einzelne Sachverhalte zu konzentrieren, sondern das komplexe Ganze in den Blick zu nehmen. Da alles mit allem in Beziehung steht, reicht es manchmal nur ein kleines Detail zu verändern und das ganze System verändert sich (um auf Deine Anfrage zu antworten).

Schöne Grüße, Turm.


Ich hätte das anders formulieren sollen.

Als hockte da ein Autor, …
weil ich ja nicht den echten Autor meine, sondern den Ich Erzähler in der Geschichte.

Danke für die Erklärung zum Titel. Ob ich sie ganz verstehen, weiß ich nicht.
Vielleicht bräuchte ich ein konkretes Beispiel (außerhalb von Psychologie).
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
reißwolf
Leseratte


Beiträge: 138



Beitrag23.11.2018 16:32

von reißwolf
Antworten mit Zitat

Sehr schöne Idee, eine charmante, kleine Geschichte. Die erzählerische Umsetzung allerdings enthält Ungeschicklichkeiten. Ich hatte beim Erstlesen spontan das Gefühl, man müsse dieses hübsche Bäumchen von Text etwas schütteln, damit abgestorbene Verästelungen herunterfallen. Füllwörter und die leidigen, überfrachteten Inquitformeln nehmen dem Text die Knackigkeit, die er verdient hätte.
Zwei Dinge außerdem: Die Schilderung des allgemeinen Ereignisses (das sich in dieser Weise immer wiederholt) klingt manchmal wie ein spezifisches Einzelereignis. Das ist nicht überall klar getrennt, der Leser wird in eine latente Verwirrung geführt.
Zweitens:
Auf einer so kurzen Strecke die Erzählperspektive springen zu lassen ist sehr heikel - ich würde fast grundsätzlich davon abraten. Das wirkt fast immer ungekonnt - so auch hier.

Viel Spaß beim Umsetzen oder Verwerfen!
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Herdis
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 134
Wohnort: Nordhessen


Beitrag23.11.2018 19:36

von Herdis
Antworten mit Zitat

Hallo Mann im Turm,

ich kann mich meinen Vorrednern ebenfalls zum Teil anschließen. Ich kann auch Deine Sicht verstehen, dass man einen Text in einer bestimmten Absicht schreibt, es aber anders ankommt und interpretiert wird, als erdacht. Das kann durchaus auch mal empören. Oft sind es aber nur Kleinigkeiten, die einen Text rund machen bzw. stimmig (oder eben nicht). Und die meisten Autoren möchten doch, dass ihre Texte (weitgehend) die Idee, Message etc. dahinter rüber bringen, oder?

Ausserdem: Längere Sätze umzustellen oder einen Punkt zu setzen, sehe ich als sinnvoll und lehrreich an. Auch, überflüssige Worte zu streichen. Das kann schwer fallen, bringt Texten aber oft eine gewisse Essenz.

Auch ich bin etwas über den Perpektivenwechsel gestolpert, bzw. ich schließe mich der Anmerkung an, woher denn der Erzähler von den heimlichen Blicken weiß (wenn er/sie doch mit dem Rücken zu den beiden sitzt).
Lösungsvorschlag: Vielleicht ist da irgendwo eine Spiegelung vorhanden, die Du, auch ohne vorab den Erzähler zu "verraten" bzw. an passender Stelle einbauen kannst.
Ich würde Thomas bis zu seiner offiziellen Vorstellung besser auch bei seinem Nachnamen belassen. Frage aber hier: Woher kennt Katharina eigentlich seinen Nachnamen?

Worüber ich definitiv gestolpert bin, ist dieser kleine Wortwechsel und das Resultat.

[i]"...dass Katharina mich schon fragte, ob es etwas zu feiern gebe. Aber mir war einfach danach.
„Man gönnt sich ja sonst nichts“, hatte Katharina geantwortet und ich dachte, stimmt eigentlich.
„Ist vielleicht ein Fehler“, hatte ich erwidert und gerade in dem Moment gesehen, dass draußen Thomas herankam. Ich setzte mich, als das Glöckchen ertönte, und hörte mit abgewandtem Rücken, dass etwas anders war.[/i]


Warum denkt der Erzähler :"...stimmt eigentlich"? und antwortet "Ist vielleicht ein Fehler." Vielleicht würde es mehr Sinn geben, wenn der Erzähler vorher Thomas sieht und dann antwortet. Wäre womöglich schlüssiger. Vielleicht noch eine Reaktion, womöglich nur eine Winzigkeit, von Katharina? Dann würde der Übergang zu Katharinas gebrochener Routine vielleicht etwas geschmeidiger.


[i]„Herr Svoboda“, begrüßte Katharina, „was kann ich Ihnen denn heute Gutes tun?“ [/i]

Sehe ich es denn richtig, das Katharina hier die Initiative ergreift? Sie ändert ihren täglich gleichen Text, was eine Gegenreaktion hervorruft. Fühlt sich aber hier dann nicht ganz so stimmig an (siehe oben). Vielleicht, weil sich ihr Verhaltenswechsel nicht deutlich ableiten lässt. Was hat diesen bewirkt?

[i] "...der Bäckerladen erstarrte..."[/i]
Mh,  das suggeriert, dass hier noch mehr Personen anwesend sind, die ebenfalls das tägliche Schauspiel beobachten, oder? Ich würde es streichen. Dafür könntest Du hier vielleicht die Tatsache einer Spiegelung einbauen, da sich Dein Erzähler ja jetzt umdreht und die beiden tatsächlich anblickt.

Wenn Du Thomas bis zu dem Zeitpunkt bei seinem Nachnamen (oder Namenlos) belässt, dann wäre der Effekt m.E. noch einmal runder (besonders, wenn er bis dahin ein Fremder ist). Er wird sicher das Namensschild gesehen haben und hat jetzt den Mut, sich vorzustellen.

Das sind ein paar Anmerkungen meinerseits. Ich kann gut nachvollziehen, dass Autoren gerne ihre schützenden Hände über ihren Werken ausbreiten und sie wie Löwen verteidigen. Das kenne ich selbst zu gut. Aber vielleicht kannst Du aus Deinem Text mit den Tipps noch mehr herauskitzeln und lernen. Ist das Forum dazu nicht auch da? Versuch es doch einfach mal. Unter "Version 2". Was hast Du denn zu verlieren?

LG
Herdis


_________________
"Wenn ich nicht schreibe, fühle ich, wie meine Welt schrumpft. Ich empfinde, wie ich mein Feuer und meine Farben verliere." Anais Nin

Online frei erhältlich:
Herbsttag (Zwischendurchgeschichten, WIRmachenDRUCK.de, 978-3-9817672-9-2)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Mann wie ein Turm
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
M

Alter: 44
Beiträge: 47



M
Beitrag24.11.2018 07:08

von Mann wie ein Turm
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Also herzlichen Dank erstmal für Eure regen Anmerkungen. Und gut, ich werde mich mal an eine Überarbeitung machen, obwohl ich das eigentlich nicht vorhatte und obwohl sich das leise Gefühl einstellt, dass ich damit aus einem kantigen Stein einen allzu glatten Kiesel ohne Widerstände schleifen werde, aber sei's drum. Leider habe ich im Moment nicht viel Zeit, so dass es etwas dauern könnte.

Schöne Grüße einstweilen, Turm
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Kiara
Geschlecht:männlichReißwolf

Alter: 44
Beiträge: 1404
Wohnort: bayerisch-Schwaben


Beitrag24.11.2018 09:03

von Kiara
Antworten mit Zitat

Wenn du den Eindruck hast, dass dein Text durch die Überarbeitung und die Integration von Vorschlägen eher schlechter als besser wird, dann solltest du es lassen.

DU als Autor musst hinter deinem Text stehen - und wenn er Ecken und Kanten haben soll und du diese auch begründen kannst, dann lass es so. Es muss DEIN Text bleiben (wenn du eine Vereinheitlichung vermeiden möchtest).
Die Vorschläge hier sind persönliche Meinungen.

Allerdings muss du auch akzeptieren, dass du - vielleicht - mit deinem Geschmack relativ alleine sein könntest. Wenn ein Text zu "kantig" ist, stößt dem durchschnittlichen Leser - eventuell - zu viel auf.

Dies ist m.E. kein triviales Thema, wo es klar ist, was richtig und was falsch ist. Jeder der lieben Schreiber/Helfer hier meint im Endeffekt, deinen Text verbessern zu können. Wahrscheinlich ist es auch nötig.
Zu Bedenken ist jedoch, dass jeder eine andere Meinung vertritt, einen anderen Geschmack hat, andere Wünsche und Vorstellungen - ja sogar vielleicht deinen Text in der falschen Laune gelesen hat.

Nimm ein paar Punkte auf und ändere die, welche dir ebenfalls aufstoßen. Wie weit du dabei gehst und dich und deinen Text entweder entfremdest oder bereicherst, ist dann logischerweise deine Entscheidung.

Weiterhin viel Erfolg.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
Herdis
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 134
Wohnort: Nordhessen


Beitrag24.11.2018 09:55

von Herdis
Antworten mit Zitat

Guten Morgen,

Kiara hat in Ihrem Punkt Recht. Es sind Meinungen und Anregungen Deiner Leser hier.Ob und was Du davon für diese Story umsetzt, bleibt Dir letztlich selbst überlassen. Du bist der Autor.Und wenn nicht dieser Text,dann schärft es vielleicht Deinen Blick für kommende Werke. Und wenn Du daran noch etwas arbeiten magst,dann mit vollem Herzen und als Version 2.So bleibt das Original erhalten.Alles gut.
Übrigens ist es vielleicht gerade gut,dass Du derzeit wenig Zeit dafür hast.Dich jetzt daran zu zwingen wäre falsch.Etwas Abstand und ein neuer Blick  zu/auf einem/n Text tut gerade gut.
Dann sind auch viele Emotionen raus.

LG
Herdis


_________________
"Wenn ich nicht schreibe, fühle ich, wie meine Welt schrumpft. Ich empfinde, wie ich mein Feuer und meine Farben verliere." Anais Nin

Online frei erhältlich:
Herbsttag (Zwischendurchgeschichten, WIRmachenDRUCK.de, 978-3-9817672-9-2)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
reißwolf
Leseratte


Beiträge: 138



Beitrag25.11.2018 14:18

von reißwolf
Antworten mit Zitat

Kiara hat Folgendes geschrieben:
Wenn du den Eindruck hast, dass dein Text durch die Überarbeitung und die Integration von Vorschlägen eher schlechter als besser wird, dann solltest du es lassen.

Absolut! Schließlich steht allein dein Name unter dem Text. Das Feedback Dritter ist genauso subjektiv wie die Sebsteinschätzung des Autors.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 2 Gehe zu Seite 1, 2  Weiter

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Einstand
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du keine Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  

BuchEmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlung

von Sabine A.

von Boro

von weltverbesserer

von Mogmeier

von Kojote

von Jarda

von _narrative

von Jenni

von silke-k-weiler

von Papagena

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!