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Der große Baal


 
 
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LeviathanII
Geschlecht:männlichEselsohr
L


Beiträge: 297



L
Beitrag05.11.2018 15:45
Der große Baal
von LeviathanII
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Der große Baal

Mein Weg führte mich einen schmalen Gebirgspfad hinauf, eine Trampelstraße, leer, die sich, nach rechts, nach links dann, mit abfallendem Hang über der öden Landschaft erhob. Hinab war der Blick schwindelerregend, nach oben aber, auf einem Felsvorsprung in der Ferne, sah man schon, wohin sich die Straße schlängelte, das Café Baal.  Zum Abend noch würde ich es erreichen, ließ nun aber, erschöpft, meinen Körper auf die Knie stürzen, legte mich in Gras, den Wegesrand. rupfte ein paar besonders lange Halme aus der Erde, auf ihnen rumzukauen, und ruhte, der Sonne, den Wolkenbergen entgegenblickend, zum Mittag.
 Mir fielen, wie ich dem Baal näher kam, zum ersten Mal seine seltsamen Formen auf. Zwar hatte es durchaus, wie vom Weitem, noch die Grundzüge eines einzelnen Hauses, doch wucherten überall aus ihm, scheinbar ohne, oder in verworrenen, komplexen, mir unbekannten Regelmäßigkeiten, kleine Nebengebäude aus seinem schweren, schwarzem Leib. Und riesenhaft war es nun, würde es werden, lag es auch, so klein sah es aus, noch, fern, vor den unendlichen Weiten dieser Ödnis. Schon aber dunkelte es, ich schlug einen Schritt schneller ein, den Mantel zuhaltend gegen den stürmischen Wind und die Mütze auf dem Kopf, während vor mir all die Formen des Baal in ihrer Finsternis, wie fast zuvor im gleißendem Licht des Mittags, zu einem Wesen verschmolzen.
 Wie jagte nun der Wind, johlte über die Hänge, schob sich auf, in die Höhe und flog, kreischend über die schutzlosen Berge. Die Augen nach unten gerichtet, mich festklammernd nun an meinen Kleidern, tappte ich weiter. Verlor schon langsam die Steine unter meinen Füßen aus den Augen, hörte aber, zwischen dem Pfeifen und Heulen, die rasende Tanzmusik des Baal. Doch, wie weit muss der Wind sie getragen haben, mich getäuscht, wie ich die Augen hob, da lag es weit noch in der Ferne und erschien fast stumm. Und weiter schritt ich, weiter, Minute um Minute, aber wie ich den Blick hob, da schien das Baal ferner geworden als noch zuvor. Und selber pfeifenden, rasselnden Atems, mit heißer Stirn, ließ ich mich sinken in die Böschung.
 Über meinem Kopf raste der Wind, das dunkle Schloss lag weit, Zorn hatte mein Herz im festem Griff, als plötzlich Stimmen kamen. Zwei Wanderer, ich hörte es, sah sie, kaum den Kopf erhebend, eine junge Frau und ihren Mann, aus des Baales Richtung, in seinem Schein noch, traten hier den Weg hinunter, unterhielten sich, lachten, dann wieder unterbrach das Rauschen alles Gehör. Meines Zustandes schämend, müde, kletterte ich nun die Böschung hinauf, blieb liegen, verbarg mich in der Dunkelheit, im Dickicht, Gestrüpp, nach ihnen, nach unten blickend,
  lass mich dich küssen, fühlen, dein innerstes Fleisch, heiß in dieser kalten Luft, ergreifend,
   lass uns nach den Schafen gehen, nein, da ist ein Fluss, dort unten, da ist ein See
  frierend, lass mich auf dir sitzen, dein warmer Leib, erzitternd unter meinen Beinen will ich
   nein, da ist ein Baum, eine Ecke, schwarz und hoch, lass uns doch gehen, ich weiß es nicht
 dich verschlingen, verzehren, zwischen meinen Zähnen kauen, rauchen wie eine Zigarette,   zermalmen zu Asche
    weiter, weiter, sei nicht müde jetzt, ich will in die Ferne, hörst du, in die endlose Ferne, heute noch, hörst du, in dieser einen ewigen Nacht, immer nur weiter, mit dir, weiter
 Ich höre -
Und eine gewaltige Windböe donnerte über die Felsen und ihre Stimmen waren verschwunden.
 Ich drehte mich auf den Bauch, wollte nicht hinter ihnen erscheinen wie ein Nachtgespenst, sie waren ja Liebende, scheinbar, wartete, noch einige Augenblicke, und kraxelte dann gar den Berg ein wenig hinauf.
 Und welche Freude, ich wollte nicht mehr auf den Weg, sich durch den Dreck zu robben, den Unrat, so zur Nacht, die Hände auf dem feuchtem Würmerboden, durch Wurzelwerk, durch Gräser sich zu schlagen, hinauf, hinauf, wie von einer fremden Stimme getrieben. Hier zu leben, auf Wiedersehen Welt, und von Würmern sich ernähren, den Regen trinken, die Wurzeln kauen, kriechen, kauern, mich verbergen, mein ganzes Leben lang, die ganze lange Nacht!
 Aber in der Ferne, über schwarzen Hügeln und Hügeln, lag der große Baal, der leuchtende Bauch des Baal, und lockte mich. Und wie eine Motte hob ich mein Haupt und wie ein Hund setzte ich mich auf und starrte hin. Auf den ewigen Anblick, auf das nicht versiegende Licht, auf die hellen Fenster und winzigen Gestalten, die in Massen darum sich zu bewegen schienen, in rhythmischen Schritten, Kreisen, hinein und hinausgehend und Wiederkehr, hinein, ferner Nachtspuk und ich erhob mich, das Gras zwischen den Zähnen, spuckte es aus, wischte den Mund ab und ließ meine Füße zuschreiten auf den ewigen Baal.
 - und wandele wie im ewigen Traum. Da ist eine Bewegung in seinem Licht, ein Wabern, eine Schlucht, schwarz, schrecklich und tief, die man hinabgeht, immer weiter hinabziehen muss, hoch und hell erleuchtet liegt er doch noch vor einem, auf schwarzen Felsen, schwarzem Gestein, als ein Berg inmitten des Tales. Oder sind es nur die Nerven, eingespannt, wahnsinnig geworden, in seinen Zügen, seinem Wabern, seiner wallenden Geburt, die einem vorspielen, diesem Malstrom zu begegnen, an dessen Seiten man hinabklettert, -krabbelt, so wie, eben, fern, in fernen Zeiten, ich hinaufgekrabbelt war, an dessen Hängen jede Bewegung sich zu einem Netz verdichtet. Aber ich erhebe mich und türme über dem Baal, wie klein ist er doch in der Ferne, inmitten des Tales. Und ich rätsele, erwäge, einen Stein zu nehmen, ob wohl so weit ich werfen könnte, denn von solch winzigen Ausmaßen erscheint Er nun, dass ein einziger Stein, flach und schräg geworfen, ihn vom Gipfel putzen müsste. Und, die Beine ausgestreckt, die Stiefel in den Grund gegraben, ich stehe über ihm, lache ihn aus, wie nur noch einen Schritt entfernt, wie nur noch einen Griff entfernt ihn zu vernichten. Schallend lasse ich meine Stimme durchs Tal ertönen, dass in den kleinen Hallen man erzittern und es beben müsste, die tanzenden Füße ihren Halt verlieren, schallend lache ich. Denn wie ich auch nur einen Schritt noch vortäte, und der Baal ist mir nicht näher, ist nicht größer, ist nicht kleiner, so stünde ich alleine in der Ferne.
 Noch verhallt sich mein Gelächter, bin ich krumm über ihn gebeugt und ernst geworden, hier an diesen Hängen des Malstroms, in seinen steinernen Wirbeln, die Hacken fest und doch grundlos in den Stein getrieben, bewegungslos verharrend, und schaue missmutig herab. Wie es doch dunkelt. Wenn da noch eine Sonne ist, so überschreitet sie nicht mehr die Ränder dieses Tales. Aber Regen würde fallen, daran ist kein Zweifel. Regen; Regen, welche Wohltat für mein Leben in diesem einem Schritt, in diesen beiden Fußabdrücken, vielleicht sogar, vielleicht ein Bächlein, ja, in diesen Füßlein, an der Klippe hängend, ja, ein Bach, klein, nicht zu stark natürlich, nicht dass er diese Vegetation, oder sogar mich herabreißen würde. Nein. Aber müsste dann nicht unten, sollte Regen fallen, immer schon gefallen seien, der  Tiefengrund, in seinen Tiefen ein See seien. Wer weiß, schwarz nur liegt er unter mir, dicht wie die Nacht darüber und unergründlich, ohne die trügerischen Lichter des Baales in sich zu spiegeln. Aber das ist alles fern – Zunächst heißt es ruhig zu werden. Sich der Gemächlichkeit, Ruhe, Unberührbarkeit des Fleckens, bis zum Herzschlag anzupassen. Nicht gänzlich vielleicht, aber kurz bis vor den Stillstand. Und doch springt es, eilt es, wie verrückt.; Das ist der Unsinn, von Kind an gefüttert, das ist der Unsinn, vielleicht schon so geboren,  der mich zur Ruhe nicht kommen lässt. Und ich stehe hier, wie fest und muss doch daran denken hier stehen zu bleiben und kann an nichts anderes denken, als hier stehen zu bleiben, und werde blind, und sehe nichts vor mir und nichts hinter mir, ich werde wahnsinnig, in meinem Gedanken zu verharren. - Denn der Malstrom hat sich um mich geschlossen und ich stehe hier, vor seinem Grund und wie ich seinen Grund betrachten will, so sehe ich nur meine Füße und höre ein steinernes Rauschen um mich herum. Gefangen bin ich, in diesem letztem Schritt den ich tat, in diesem Verlachen, aber selbst das kann ich nicht mehr sehen,dem Moment des Haltens, Verharrens, dreht sich doch Alles um mich herum, wird vernichtet und donnert unter im ewigem Malstrom.
 Und darunter liegt der große Baal.
 Ich will mich ja bewegen, ich will auf in treten, zu ihm nieder-, oder aufschreiten, ich will es ja, aber ich kann es nicht. Meine Kraft reicht nicht aus, meine Füße straucheln, hier das Gleichgewicht zu halten, hier mich zu halten und nicht zu fallen in das Bodenlose entreißt mir alles. Die Beine schmerzen, die Arme schmerzen, eine besonders schwere Wurzel umgreifend stehe ich hier und habe nichts.
 „Wie furchtbar ist es“, sage ich und erschrecke vor meiner eigenen Stimme, verschluckt von den Hängen dieses Stromes, seinem Donnern und klammere mich nur noch fester an meinen Halt und spreche: „Nicht einmal mehr meine Stimme also, nicht einmal mehr die Worte also, so fremd, dringen herunter. In dich, du schwarzer Schlund, du Verschlucker der Gedanken, du Fesselfuß angekettet an das Neugeborene meiner Empfindung, angenabelt, Tausendmalgesehener, hier liegst du in aller Macht und ich muss dich umkreisen!“ Der schwarze Schlund donnerte, doch leuchtend steht inmitten Baal, das schöne Baal, nackt und strahlend und ich beuge mich danach. Der Abschlund grollte wie ein Magen. „Und verdammst mich hier zu stehen, hier zu stehen und nicht hinab und nicht hinauf zu können, den Wunsch in mir auslöschen es zu tun und jedes Wort danach zu fragen, ich kenne kein Hinauf, denn Hinauf, das ist nicht mehr was ich meine, Nichts meine ich mehr, und fachst doch nur immer wieder an die Feuer, die Schwefelbrände meiner Adern, deine Hölle, dass ich mich hebe, doch nach dir zu beugen, es mit ganzem Körper zu verlangen!“ Wieder donnerte es, ob über oder unter mir, ich kann es nicht mehr sagen. Und inmitten steht leuchtend, in die Ferne starrend, der goldene Baal. Ich fletsche meine Zähne, ich spiele den Wilden, stampfe mit den Füßen, auf und nieder auf diesen Fleck, drücke sie ins Erdreich, werfe einen Stiefel nach ihm, um Weiten zu kurz, verfehle. - fühle die Zeit vergehen, wie unendliche Zeit vergehen ein Gefühl der ewigen Schwärze in der Nichts geschieht und je geschehen wird als kosmische Ströme tiefer Dunkelheit in der nichts sich je verändern wird als diese ewigen Bewegungen jenseits des Sehbaren. Und doch gerade darüber verging die Zeit, sah ich die schwarzen Wolkenmassen über mir sich schieben, immer neue Wetter bildend, höher mal niederer, Sternenschein und Sternenbrände, sah, kühl und unbeteiligt, die Gestirne sich bewegen, Nebel, den Mond, mal halb, mal voll, dann Staub, dann Aschefall, dann drangen Wolkenberge über die Ränder dieses Tales und verschwanden in seiner Blindheit. Ich sah die Wetter dieser neuen Welt, der ewigen Nacht, kalt, umspült, verstoßen, und sehnte mich zurück unter die Sätze jener zweier Wanderer ,deren Stimmen vor Äonen verklungen waren, und vielleicht noch weiter.
 Doch ich kenne kein Zurück und ich kenne kein Hinauf.
 Der große Baal starrt mich an, aus all dem Elend das seine Füße, mal seine Beine verschluckt, das ihn ganz verschlingen könnte, ein elender Sumpf schwarzen elenden Wassers, der sich glucksend über seinem Kopf noch schließen könnte – Doch könnte er es? Der große Baal steht hier, steht und starrt mich an, mit seinen Augen aus Glas, seinem Bauch aus Messing, seinen goldenen Armen, und nun, nun im Licht des Mondes erstrahlend wie eine zweite Sonne, auf mich starrend, grinsend, dann mit ernsten Zügen, so zu lieben ernsten Zügen wie noch nie, das Lächeln verschwunden, alle Falten seiner Stirn, auf mich noch starrend, mich armen Kletterer, wie nie ich noch ein Gesicht, menschenhaft, je gesehen habe. Näher, näher wollte ich ihm kommen, nur dies, streckte mich mit jedem Muskel in meinem Stillstand. Da hielt auch er die Hand entgegen, nur einen einzigen Finger seiner gewaltigen Pranken, in seiner Handfläche zu sitzen und zu schluchzen, und schluchzend, von solcher Macht je unberührt, ließ ich die Wurzel, ihn mit ganzer Macht zu umgreifen, tat einen halben Schritt in die Leere und fiel, fühlte mich zu fallen, stürzte, erschreckend, unter seinen gläsernen Augen, seinem schwerem, goldenem Leib, wie ein Koloss so langsam, unbewegt sogar, und fiel, rutschte, stürzte in die Finsternis darunter. Und schrie, schrie in den schwarzen Himmel darüber, schrie und stürzte, die Kleider aufgerissen, und gleichsam das Fleisch, in den schwarzen Pfuhl dem Baal entsprang, in das schwarze Wasser vor seiner Geburt, das sich glucksend über mir schließen müsste, über mir nur schließen müsste,
 risse ich nicht die Augen auf und stehe doch noch, schweißnass, stehe für immer, zeitenlos, vor dem blinden Gott Baal, an der Wurzel mich haltend und fieberhaft wartend.

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V.K.B.
Geschlecht:männlich[Error C7: not in list]

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Beiträge: 6155
Wohnort: Nullraum
Das goldene Rampenlicht Das silberne Boot
Goldenes Licht Weltrettung in Silber


Beitrag06.11.2018 01:12

von V.K.B.
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Hallo LeviathanII,

Hmmm, ja … ein durchaus nicht uninteressanter Text, aber irgendwie kommt mir das alles zu geballt und vielleicht auch in eine zu großen Anzahl von Schwarztönen. Erinnert mich bisweilen ein bisschen an musikalische Spätwerke von David Tibet (Current 93), die zwar ähnlich wortgewandt_kryptisch in hypnotisierenden Chiffren daherkommen, aber – und das ist meine Kritik hier – nicht ganz so einschläfernd wirken. Hier fehlt mir irgendwie ein bisschen eine Weiterentwicklung der Gedanken innerhalb des Texts, für meinen Geschmack "passiert" zu wenig (jetzt nicht auf Handlung bezogen). Der BaalMal–strom trägt mich nur teilweise, setzt mich aber immer wieder ab und ich muss versuchen, selbst wieder aufzuspringen. Tibets Baalstorm [sic] reitet sich da irgendwie leichter und abwechselungsreicher.
Auch ist mir das Ganze ein bisschen zu lang geraten, jedenfalls zum Lesen, es fällt mir schwer, konzentriert dranzubleiben. Ich mag tripphaftes, kryptisches Mythologie_Zeug, aber hier ist die Dosis doch arg hoch. Oder die Stunde zu spät und ich schon zu müde.
Kannst du irgendwas mit meinem Gefasel anfangen?

Grüße,
Veith


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Hang the cosmic muse!

Oh changelings, thou art so very wrong. T’is not banality that brings us downe. It's fantasy that kills …
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SannyB
Geschlecht:weiblichLeseratte
S


Beiträge: 174
Wohnort: BaWü


S
Beitrag08.11.2018 20:59

von SannyB
Antworten mit Zitat

Hallo LeviathanII,

Du beschreibst eine interessante, düstere Szenerie. Mir war der Text jedoch ebenfalls ein wenig zu lang; nicht so leicht dem so in Fetzen geschriebenen zu folgen und nicht abzuschweifen.
Mich verwirrte die Stelle am Anfang, an der zuerst beschrieben wird, wie er sich am Wegesrand ins Gras legt und ausruht, und im Folgesatzt kommt er trotzdem dem Baal näher. Es fehlt ein Übergang, z.B. "Als ich weiterging und dem Baal näher kam, fielen mir zum ersten Mal seine seltsamen Formen auf.
Bei den Gesprächsfetzen der Wanderer fehlen die Anführungszeichen zur Kennzeichnung der wörtlichen Rede. Dadurch musste ich den Abschnitt noch mal lesen, und der Fluss wird unterbrochen.

Viele Grüße,
Sanny
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reißwolf
Leseratte


Beiträge: 138



Beitrag15.11.2018 15:00
Re: Der große Baal
von reißwolf
Antworten mit Zitat

Hallo LeviathanII!
Etwas mühsam, dein Text. Aber was ich grundsätzlich hoch bewerten muss, ist dein Mut, mit einer Kunstsprache zu arbeiten. Ganz egal, ob das nun überzeugend ist oder nicht - solche Ansätze sind immer erfrischende Abwechslungen im Meer all der Wie-erzähle-ich-möglichst-unterhaltend-Texte. Werfen wir einen näheren Blick drauf.

Deine Prosa arbeitet, wie sonst eher im Lyrischen üblich, mit veränderten Satzstellungen zugunsten des rhythmischen Flusses. Deine vielen Einschübe und Aufzählungen erfüllen denselben Zweck, sie geben dem Text einen durchgehenden Rhythmus. Zugleich erwecken sie den Eindruck des unmittelbar Entstehenden; als wäre der Satz nicht konstruiert, sondern dem Sprecher direkt so eingefallen, einem Sprecher zudem, der verzweifelt gegen das Hochwasser seiner Gedanken anschöpft. Fast kann man es realistisch nennen, dieses unmittelbar Zusammengestückelte. In gewisser Weise ist dieser Realismus ein Anker, das Gegengewicht zu all dem Pathos.
Dennoch, auf halber Strecke fühlt man sich übersättigt von alldem. Selbst vor Alliterationen schreckst du nicht zurück:
Zitat:
[...]auf Wiedersehen Welt, und von Würmern sich ernähren, den Regen trinken, die Wurzeln kauen, kriechen, kauern, [...]
Gut, man kann das machen. Aber es verleiht der Sprache eine rhythmische Gewalt, die vom Inhalt gerechtfertigt sein sollte.

Manches in deiner Kunstsprache wirkt jedoch nachlässig, fast schlampig. Kreative Intention oder doch nur Fehler? So sind einige deiner Bilder arg an der Erfahrungswelt des Lesers vorbeigeschrieben:
Zitat:
[...] wie eine Motte hob ich mein Haupt [...]

Befremdlich deine Tendenz zu doppelten Dativ-Endungen (zur Zeit Luthers üblich, heute wirkt es wie ein Flüchtigkeitsfehler):
Zitat:
[...] aus seinem schweren, schwarzem Leib [...] Zorn hatte mein Herz im festem Griff [...] die Hände auf dem feuchtem Würmerboden [...]donnert unter im ewigem Malstrom

Manche nichtreflexiven Verben werden bei dir reflexiv:
Zitat:
Noch verhallt sich mein Gelächter

Während du umgekehrt bei reflexiven Verben das Pronomen unterschlägst:
Zitat:
Meines Zustandes schämend, [...] kletterte ich nun die Böschung hinauf [...]

Hin und wieder stolpert man über Sätze, die aufgrund mangelnder Beherrschung der Zeichensetzung schlicht sinnlos bleiben:
Zitat:
Meine Kraft reicht nicht aus, meine Füße straucheln, hier das Gleichgewicht zu halten, hier mich zu halten und nicht zu fallen in das Bodenlose entreißt mir alles.

Was also bleibt abschließend von der Sprache? Zum Beispiel ein paar nette Wortschöpfungen: Fesselfuß, angenabelt, Abschlund.
Darüber hinaus trügte mein erster Eindruck nicht, der Eindruck von Unmittelbarkeit: Dein Text ist tatsächlich schnell geschrieben worden, im Fluge, im Rausch. Das ist sein Verhängnis. Die vielen Schlampigkeiten und Flüchtikeitsfehler machen es dem Leser schwer, dir das Gewaltige in deiner Sprache abzukaufen. Das dick Aufgetragene, zum Teil durchaus gelungen, steht zudem im Missverhältnis zur inhaltlichen Bedeutung. Bei soviel sprachlichem Wind fehlt mir eine Subebene, in der irgendeine Form von gewichtiger Wahrheit transportiert wird.

Fazit

Kürzung, sorgfältige Bearbeitung (Zeichensetzung) und das Ausdünnen von allzu schwergewichtigen Worten würden den Text wesentlich verbessern. Aber glätte nicht die rhythmischen Einschübe und Aufzählungen. In jedem Fall belassen solltest du auch die teilweise unorthodoxen Satzstellungen! Sie sind ein hervorragendes Stilmittel.
Viel Spaß beim Umsetzen oder Verwerfen!
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LeviathanII
Geschlecht:männlichEselsohr
L


Beiträge: 297



L
Beitrag18.11.2018 16:41

von LeviathanII
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Vielen Dank erstmal für all eure Antworten.

Im Großen und Ganzen muss ich mich euren kritischen Bemerkungen anschließen: Bin ich doch selber im Nachhinein unzufrieden mit dem Text, gerade weil die Sprache, allem Rhythmischem, allen Vorzügen zum Trotz, nicht recht zur Entfaltung kommt.

Weil es ihr, in all dem Pathos, in dieser Art von Pathos, an Ausdruck mangelt, dass der Sprache hier die Kontraste mangeln.

Und dass er durch jene Position der vollkommenen Fremdheit des Lesenden, auch mir, seine etwas einlullende Wirkung erhält.

Und dass in all dem Pathos, welcher ja durchaus seinen Sinn hat, jene Momente des Wiedererkennes fehlen.

Grausamer könnte man sagen, dass trotz der Ich-Perspektive der Lesende aus der Ferne auf einen Fremden in einer fremden Umgebung blickt - Und sich natürlich nicht gänzlich dafür interessieren kann.

Dass jene Momente des Aufwachens, so wie ich sie kenne, aus den Erzählungen die ich liebe, diese Momente des Wiedererkennens, der Kontraste, dieses Gefühl etwas sinnvolles zu lesen gerade deshalb fehlen:

Weil das Gefühl der Nähe, wie es ja durchaus in anderen grotesken, phantastischen Erzählungen, etwa der Verwandlung, gegeben ist, hier nicht wirklich aufkommen kann.


Und das erscheint mir fundamental, denn wenn ihr schreibt:

Zitat:
für meinen Geschmack "passiert" zu wenig (jetzt nicht auf Handlung bezogen)


oder:

Zitat:
Das dick Aufgetragene, zum Teil durchaus gelungen, steht zudem im Missverhältnis zur inhaltlichen Bedeutung. Bei soviel sprachlichem Wind fehlt mir eine Subebene, in der irgendeine Form von gewichtiger Wahrheit transportiert wird.


so fehlt nicht wirklich eine Sub-Ebene, eine Handlung hinter der Handlung (eine Bewegung, - Sinn), ich würde sogar zu behaupten wagen: Der Text hat durchaus Sinn, vielschichtige Strukturen, 'Subebenen' (Von der vollkommenen Bewegungslosigkeit selbst, zur Drehung der Motive, über die stetige Missinterpretationen des Erzählers :"Doch ich kenne kein Zurück und ich kenne kein Hinauf. ", über die Einsamkeit bis hin zum großem, grausamen Gott Baal, welcher aus der Profanität eines Cafes sich erhoben hat - Alleine dass es ein Text ist, in welchem, spätestens ab der Hälfte, nicht mehr die Figur sich zum Handeln bemächtigt fühlt, sondern die Gegend um sie herum, unter ihrer Interpretation, in der Verleugnung der Interpretation, sich zu biegen scheint, bis zur Erschaffung eines Gotteswesens hin.

[Wobei auch all diesen Strukturen letztendlich größtenteils ein sprachlicher "Kontrast" fehlt um wirksam zu werden]

Was ich sagen will: Der Text, ist nicht leer, ihm fehlt nicht der Sinn, ihm fehlt die Sprache, die Nähe, ihm fehlt die sprachliche Struktur, eine Nahbarkeit, , eine emotionalere Relevanz die es dem Lesenden ermöglicht all diese Strukturen mit Interesse hinabzusteigen.

Wobei, um fair zu sein, ein Text der seinen 'Sinn' nicht kommunizieren kann, rein literarisch gesehen, auch keinen Sinn hat.



Vielleicht verrenne ich mich aber: Immerhin ist es nicht so leicht eine direkt formulierte Lehre für einen Prozess, so seltsam & vielschichtig wie das Schreiben zu gewinnen. (Mal abgesehen von: Zeichensetzung genauer überprüfen...)

Ich werde mir darum wohl eure Antworten und meinen Text die nächsten paar Tage noch ein paar mal durchlesen müssen.

Nochmal vielen Dank aber, eure Eindrücke und Perspektiven haben mir auf jeden Fall jetzt schon weitergeholfen (sah ich mich doch gerade durch den Verlust der eigenen Perspektive letztendlich bewegt den Text hochzuladen):

Mit freundlichen Grüßen, L.
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