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Romantik, Fremde, Vergänglichkeit. Lesedauer: 8min.


 
 
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Otto Kringer
Geschlecht:männlichGänsefüßchen


Beiträge: 29



Beitrag02.08.2018 22:06
Romantik, Fremde, Vergänglichkeit. Lesedauer: 8min.
von Otto Kringer
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HÖHENRAUSCH

Kaum hatte ich mich aus der sprichwörtlichen Umklammerung meiner beiden übergroßen Sitznachbarn und der unzumutbaren Enge des Flugzeugs befreit und die griechische Grenze erreicht, erwartete mich ein noch engerer Flieger, der aber allen Charme besaß, den der österreichische vermissen ließ.
Ich hievte meinen Koffer zwischen die engen Reihen, ihn mit dem Knie vor mir her stoßend wie ein Pendel. Er zerrte schwer an mir und erfüllte wegen seines hohen Gewichts die Handgepäckbestimmungen nur mit Augenzudrücken. Als ich den spartanischen Überkopf-Stauraum der Maschine erblickte, fürchtete ich darum, das klobige Teil überhaupt unterzubekommen. So schob ich mich vor bis Reihe 24D, einer der hintersten in der Kabine und tröstete mich damit, dass ich die Stewardess um Rat fragen könne.
Sie wies mir auch schon von der Ferne ein freies Fach zu, das sie trotz meiner pessimistischen Entgegnung für geeignet hielt und schickte sich an mich eines Besseren zu belehren. Sie war eine Frau mittleren Alters mit buchhalterisch streng gezeichneten Gesichtszügen, deren Schöpfer nicht übermäßig inspiriert, dafür umso disziplinierter gewesen zu sein schien. Mit vereinten Kräften - Aaah, … es fehlt nur an dem einen Vorsprung, probieren sie es mal bei dem längeren Fach … Nehmen Sie die Tasche weg, dann kann ich es dort versuchen! - hatten wir ihn verstaut und hoben ab.

„Wollen Sie Salz oder Pfeffer zu ihrem Tomatensaft?“ Sie hatte den Getränkewagen im Gefolge und einen Plastikbecher in der Hand, beugte sich aber so weit zu mir herab, als würde sie eine schwachbrüstige Piepsstimme erwarten. Im Gegenzug erhob ich gekränkt mein Organ über die Maßen und brüllte ihr durch den Motorenlärm ein: „Ja, sehr gerne!“ entgegen, worauf sie irritiert zurückwich.
Diese kleine, holprige Begegnung, die vermutlich nur wegen meiner leicht kränkbaren Eitelkeit unangenehm verlief, ließ mich gedanklich verweilen - unangenehme Gefühle wird man nicht so schnell los. Womöglich hatte niemand Aussenstehender eine Unverhältnismäßigkeit wahrgenommen, aber für mich war es der Stachel in der Leichtfüßigkeit des Tages. So sehr ich auch die Nichtigkeit der Ungeschicklichkeit beschwörte, so wenig vermochte ich meinen Ärger zu verscheuchen. Er war wie die Fliege vor der Nase an einem geruhsamen Tag am Strand. Wie ein Pickel im Gesicht bei der ersten Verabredung.
Da plötzlich fiel mein Blick unwillkürlich auf ihr Gesäß. Da sich die Hinterteile von Stewardessen prinzipiell auf Augenhöhe der Passagiere befinden ist ein Blickkontakt schlichtweg unvermeidlich. Ihres war sehr stattlich für eine ältere Frau, konnte ich nicht umhin zu denken, denn das letzte, was ich provozieren wollte, war ein weiterer Fauxpas, indem sie mich dabei ertappte, wie ich sie taxierte. Wenngleich ich das nicht tat. Sie hatte einfach einen stattlichen Hintern - ohne profane sexuelle Konnotation, aber voll erotischer Bewunderung. Die Designer der Lufthansa Uniformen hatten ganze Arbeit geleistet. Sie trug eine enge, blaue Anzughose und dazu einen gleichfärbigen, eng taillierten Blazer, der am Kragen gelbe Verzierungen aufwies. Die ganze Zusammenstellug war fraglos ein schmeichelndes modisches Accessoire.
Und so betrachtete ich eingehend ihren Hintern, oder eher die Stoffkontur, die sich um ihn spannte und dachte daran, wie selten man eine Frau mit einem wohlgeformten Hintern zu sehen bekommt, mit strammen Backen, die nicht hängen oder zu üppig geraten sind. Auf keinen Fall darf er zu ausladend sein, dazu neigen sie alle. Nein, ihr Po war einfach perfekt gerundet, noch dazu für eine ältere Frau.
Wie alt sie denn wohl sei, fragte ich mich. Diese unkategorisierbare Person steckte voller Gegensätze: ein apollonisches Gesicht und ein dionysischer Hintern. Da sie mit ihrem Getränkewagen schon an mir vorbei war, konnte ich ihr Gesicht nicht mehr einsehen, erinnerte mich aber an die strengen, demonstrativ prüden Gesichtszüge. Die Erinnerung mischte sich mit Gesichtsperspektiven, die sich eröffneten, während sie den Passagieren Coladosen, Mineralwasserbecher, Tomaten-, Apfel- und Orangensäfte gemeinsam mit Knabbermischungen in Flugzeug- und Wolkenform überreichte. Sie war definitiv schwer einzuordnen, alterslos, es war wohl mehr der spezielle Ausdruck ihres Gesichts, der sie älter wirken ließ, nicht jedoch ihre junge, makellose Haut und mit Sicherheit nicht ihre umwerfende körperliche Konstitution. Ihre zu einem Zopf geflochtenen Haare gaben ihren Nacken frei und die Haut über dem Uniformkragen und um die Ohren, das Gesicht mit eingeschlossen, waren wie aus einem fehlerlosen Guß von milchkaffeebrauner Farbe. In der Mitte schwamm eine weiße Perle an ihrem Ohrläppchen. Je länger ich sie betrachtete, desto reiner und makelloser kam sie mir vor, nicht eine Haarsträhne manipulierte die Perfektion, alles war von unantastbarer Schönheit. Jene Schönheit, die sich dem flüchtigen Blick verschließt und erst dem hartnäckigen Beobachter eröffnet, der sich mehr um das Wesen als um seine Erscheinung bemüht.
Die makellose Ordnung ihrer Gesichtszüge lag auch in ihren Gesten. Der Arm, den sie verspielt fallen ließ und abrupt in der Waagrechten mit leger abgeknicktem Handgelenk stoppte ohne maniriert zu wirken, der breite, weiße, weibliche Armreif, der an ihrem zarten Handgelenk schaukelte. Das dicke, eherne Schmuckstück, vielleicht aus dem Stoßzahn eines Elefanten, an ihrem fragilen, schlaffen Handgelenk war eine ebensolche Gegensätzlichkeit Dann war da die süffisante Lässigkeit, mit der sie die Rotweinflasche präsentierte. Exakte, akkurate Bewegungen mit Leichtigkeit und ohne Verkrampfung vollführt, all das ließ mich von ihrem Hintern Abstand nehmen und mich mehr und mehr ihrem Wesen zuwenden, insbesondere ihrem Gesicht, in das ich jedesmal einen Blick werfen konnte, wenn sie es einem Gast zuwandte. Ihre ganze Art war geprägt von leichtfüßiger Zentriertheit. Sie schien ständig in Bewegung, ohne jede Aufgeregtheit, nahm jede Ansprache spielerisch auf, beugte sich mal hier zu einem Gast, wechselte mal da ein paar Worte. Es war eine Augenweide ihr zuzusehen, wie sie in sich selbst ruhte und gleichzeitig so einen regen Austausch mit ihrer Umwelt führte. Sie schien einen jeden zu mögen wie sich selbst, schien keine Hemmungen zu kennen, keine Angst, keine Vorsicht, keine Schüchternheit oder übertriebene Behutsamkeit. Gleichzeitig wirkte sie unnahbar. Etwas in ihrer Art verlieh ihr eine ehrfürchtige Unantastbarkeit und kindliche Unbeflecktheit. Als könne es nichts Schlechtes geben.
Ich wollte sie nicht haben, genoß es aber in vollen Zügen ihr zuzusehen: Wie sie die Gäste anlächelte und sich ihre Oberlippe wie ein Schnabel über die Unterlippe legte. Wie sich ihr Lächeln in ihre Wangen eingrub, ihre langen, filigranen Finger sich um Flaschen und Becher schlossen und ihre Hände gaben und nahmen. Sie war schön von innen heraus.
Bei Reihe 16 hatte ich sie wider Erwarten in mein Herz geschlossen.
Doch plötzlich war sie zwischen den Sitzen verschwunden. Sie hob etwas vom Boden auf, und ich mutmaßte, dass es sie Mühe kosten müsse, in dem engen Gang, auf ihren Fersen hockend nach dem Verlorenen zu angeln und dass ihr die kauernde Haltung das Blut ins Gesicht treiben werde. Nichts von alledem. Mit der schlanken Anmut einer Katze tauchte sie zwischen den Reihen auf als wäre sie nie weg gewesen und nahm mir das Gefühl des Verlustes.
Sie parlierte mit den nächsten Gästen, warf abermals aus dem Handgelenk eine Flasche Wein in Pose und hielt sie ruhig so lange es dauerte. Ich suchte während des Wartens fieberhaft nach einer Regung von Ungeduld oder Anspannung in ihren Zügen. Vergebens. Sie mixte Säfte und gab Servietten aus, beugte sich weit zu den Fensterplätzen hinein und bildete ein elysisches Gegenstück zu ihrer verhärmten Arbeitskollegin am jenseitigen Ende des Gangs.
Ich hatte schon lange nicht mehr ihren Hintern im Blick. Mit jedem Handgriff, mit dem sie ihre Arbeit erledigte, entschwand sie mehr und mehr, mittlerweile sah ich nur mehr ihre Schultern und ihren Zopf und ihre Gesten, konnte aber ihre Gesichtszüge nicht mehr ausmachen. Ich bemühte mich redlich ihr nicht nur zuzusehen, während sie sich entfernte, sondern sie zu mustern und abzutasten, um ihre Erscheinung aufzusaugen und sie mir einzuprägen und ihre Lebendigkeit zu erhalten. Ich konservierte ihre Erscheinung gedanklich in Worten, formulierte die Spitzfindigkeiten ihrer Gesten und benannte die Veräußerungen ihrer Charakterzüge als wäre meine Sprache ein Fotoapparat des Lebendigen. Ich war verblüfft wieviel mehr es noch zu erkennen gab je eindringlicher ich sie observierte und wie unscharf mein Blick und um wieviel unverläßlicher mein Geist waren, weit entfernt davon als Ganzes wahrzunehmen, was sich mir offenbarte. Also beschrieb ich sie in Gedanken, immer detaillierter, erzeugte ein akribisches Abbild von ihr in mir, sog sie auf, bis ich sie in mir spüren konnte, ihr Abbild in mir mehr wog als ihre schemenhafte Erscheinung am anderen Ende des Ganges und schloß die Augen.

Da setzten wir auch schon zur Landung an und in Gedanken nahm ich sie mit in das fremde Land.

Weitere Werke von Otto Kringer:


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Dinshi
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Beitrag02.08.2018 22:43

von Dinshi
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Hallo Otto, mir hat Dein Text gut gefallen. Eine Personenbeschreibung, die ich gerne gelesen habe.
Deine Sprache fesselt nicht nur, sie vermag auch, die passenden Bilder in meinem Kopf entstehen zu lassen.
Woran Du noch arbeiten könntest, ist die Länge deiner Sätze. Hier würde manchmal ein Punkt gut tun, anstelle eines Kommas.
Der Satz: ...und der unzumutbaren Enge des Flugzeugs befreit und die griechische Grenze erreicht, erwartete mich ein noch engerer Flieger, ...
wäre ohne die Dopplung von "und" eleganter. Vllt so:"... und der unzumutbaren Enge des Flugzeugs befreit, erwartete mich kurz nach der griechischen Grenze ein noch engerer Flieger, ..."
Ansonsten sind mir keine größeren Fehler aufgefallen. Eine Frage habe ich aber noch: Wieso antwortet der Protagonist auf die "oder"-Frage der Stewardesse mit „Ja, sehr gerne!“? Ist das beabsichtigt, dass er keine eindeutige Antwort gibt, oder soll es implizieren, dass er gerne beides hätte?
Beste Grüße
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Seraiya
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Beiträge: 924



Beitrag03.08.2018 00:21

von Seraiya
Antworten mit Zitat

Hallo Otto,


Sprachlich sehr schön. Doch es fiel mir schwer bis zum Ende durchzuhalten und nicht zu überfliegen. Mich in diese Bilder zu vertiefen, darin zu ruhen und sie einfach nur wirken zu lassen, hat bei mir nicht funktioniert. Ich habe schon andere Texte mit ebenso vielen und mehr Bildern gelesen, die mich halten konnten, weil die Sprache einem lockenden, fesselnden Singsang gleichkam, der mir hier noch fehlt.

Zitat:
   Kaum hatte ich mich aus der sprichwörtlichen Umklammerung meiner beiden übergroßen Sitznachbarn und der unzumutbaren Enge des Flugzeugs befreit und die griechische Grenze erreicht, erwartete mich ein noch engerer Flieger, der aber allen Charme besaß, den der österreichische vermissen ließ.    

Die markierten Wörter könntest du meiner Meinung nach streichen. Ausserdem frage ich mich an dieser Stelle, welcher Charme denn bei dem anderen Flugzeug vorhanden ist. Das ist vielleicht nicht wichtig, aber die bloße Erwähnung löst die Frage bei mir aus.

Zitat:
   Sie war eine Frau mittleren Alters mit buchhalterisch streng gezeichneten Gesichtszügen, deren Schöpfer nicht übermäßig inspiriert, dafür umso disziplinierter gewesen zu sein schien  

Von welchem Schöpfer sprichst du hier? Vom Allmächtigen, ihren Eltern oder einem Schönheitschirurgen? Mir fehlt die Berechtigung für diesen Satz, er klingt schön, macht aber (für mich) keinen Sinn.

Zitat:
   aber für mich war es der Stachel in der Leichtfüßigkeit des Tages.   

Der Beginn des Textes klingt nicht nach einem leichtfüßigen Tag, er beginnt mit einer Beschwerde.

Der Text gefällt mir wirklich gut, aber es fehlt mir etwas, das mir das Gefühl nimmt, der Protagonist höre sich selbst gerne über diese Frau philosophieren.
Diese ausgereifte Sprache hat eindeutig eine Melodie, sie erreicht mich nur nicht bis ins Mark. Ich habe das Gefühl, es könnte leichter, wohliger klingen. So hänge ich noch daran, dass nur er dieses Besondere an der Flugbegleiterin sieht, ich aber nicht. Würde die Sprache mich beim Lesen mehr einfangen und tragen, würde ich darüber nicht nachdenken. Nur mal so meine Gedanken. Der Text ist gut so, fasst mich aber nicht gänzlich.


Gerne gelesen.


LG,
Seraiya


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Otto Kringer
Geschlecht:männlichGänsefüßchen


Beiträge: 29



Beitrag05.08.2018 23:28

von Otto Kringer
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Hallo, ihr Beiden!

Danke für Eure konstruktive Kritik. Ich finde sie sehr hilfreich!

@ Dinshi: Mit weniger "und" klingt es wirklich flüssiger, gute Anmerkung. Ich wollte gern die langen Sätze, weil sie für mein Gefühl zu dem Fluß der Gedanken passten. Das nur dazu.
Und mit deiner Frage zu der unpassenden Antwort auf die Entweder-Oder-Frage hast du natürlich recht! Es sollte heißen: "... Salz und Pfeffer ..." Das habe ich doch tatsächlich übersehen Embarassed Trotzdem ich den Text so oft korrigiert habe ...

@ Seraiya … und das erklärt auch den Haupteinwand von dir, dass der Text etwas stockend und unnatürlich wirkt. Rückblickend hatte er das subtil auch für mein Gefühl. Je mehr ich daran herumgebastelt habe, desto mehr hat er es offenbar verloren ... und desto mehr habe ich daran gebastelt ... Deswegen vielleicht auch die Stimmungsbilder, denen es an Authentizität oder Unmittelbarkeit fehlt. Jetzt, wo du es sagst, kann ich es nachvollziehen.

Der Schöpfer, von dem ich spreche, ist offen: ihre Eltern oder der Allmächtige. Ich wollte betonen, dass ihr die Gesichtszüge eingeschnitten sind wie ein Charakter, unverrückbar und nicht einer Laune des Tages entspringen.

Ich bin nicht sicher, ob ich dich richtig verstehe, wenn du dich auf den "leichtfüßigen Tag" beziehst. Vielleicht hilft es, wenn ich meine Gedanken erläutere und du deine: Dieses beflügelnde Erlebnis, das dem Erzähler widerfährt, fusst eigentlich auf einer unangenehmen Kränkung seiner Eitelkeit. Was anfänglich ein Ärgernis einer stressigen Flugreise ist, stellt die Weiche zu einer geistigen Verbundenheit mit einem anderen Menschen, die so inspiriert ist, dass sie die Grenze der Anonymität überschreitet. Jene Person, die ihn allein mit ihrer Gestik so ins Mark trifft ist dann auch justament jene, zu der sich diese tiefe Verbundenheit einstellt. Und gleich darauf erstirbt sie wieder im Strudel der Zeit - aber trotzdem kann sie Grenzen überschreiten...

Vielen Dank nochmal für Eure Mühe und Eure hilfreichen Anmerkungen!


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Seraiya
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Beitrag06.08.2018 08:38

von Seraiya
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Guten Morgen,


Otto Kringer hat Folgendes geschrieben:

Der Schöpfer, von dem ich spreche, ist offen: ihre Eltern oder der Allmächtige. Ich wollte betonen, dass ihr die Gesichtszüge eingeschnitten sind wie ein Charakter, unverrückbar und nicht einer Laune des Tages entspringen.

Darauf wäre ich nicht gekommen.

Otto Kringer hat Folgendes geschrieben:
Ich bin nicht sicher, ob ich dich richtig verstehe, wenn du dich auf den "leichtfüßigen Tag" beziehst. Vielleicht hilft es, wenn ich meine Gedanken erläutere und du deine: Dieses beflügelnde Erlebnis, das dem Erzähler widerfährt, fusst eigentlich auf einer unangenehmen Kränkung seiner Eitelkeit. Was anfänglich ein Ärgernis einer stressigen Flugreise ist, stellt die Weiche zu einer geistigen Verbundenheit mit einem anderen Menschen, die so inspiriert ist, dass sie die Grenze der Anonymität überschreitet. Jene Person, die ihn allein mit ihrer Gestik so ins Mark trifft ist dann auch justament jene, zu der sich diese tiefe Verbundenheit einstellt. Und gleich darauf erstirbt sie wieder im Strudel der Zeit - aber trotzdem kann sie Grenzen überschreiten...

 
Otto Kringer hat Folgendes geschrieben:
Diese kleine, holprige Begegnung, die vermutlich nur wegen meiner leicht kränkbaren Eitelkeit unangenehm verlief, ließ mich gedanklich verweilen - unangenehme Gefühle wird man nicht so schnell los. Womöglich hatte niemand Aussenstehender eine Unverhältnismäßigkeit wahrgenommen, aber für mich war es der Stachel in der Leichtfüßigkeit des Tages.   

Ich habe diese Stelle so gelesen, dass er die vermeintliche Kränkung als Stachel in der Leichtfüßigkeit des Tages empfindet. Weil der Text damit beginnt, dass der Protagonist sich über die Zustände im Flugzeug beschwert
Otto Kringer hat Folgendes geschrieben:
Kaum hatte ich mich aus der sprichwörtlichen Umklammerung meiner beiden übergroßen Sitznachbarn und der unzumutbaren Enge des Flugzeugs befreit und die griechische Grenze erreicht, erwartete mich ein noch engerer Flieger,

und wie ich annehme einen längeren Flug hinter sich hat, habe ich nichts Leichtfüßiges an seinem Tag erkannt und es deswegen in Frage gestellt.



LG,
Seraiya


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Otto Kringer
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Beiträge: 29



Beitrag06.08.2018 12:07

von Otto Kringer
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Ja, danke für die Erklärung! Jetzt hab ich es geschnallt und da hast du natürlich recht. Wirklich spannend, was einem selbst alles nicht auffällt, selbst an so einem kurzen Text ...

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charls
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Beitrag15.08.2018 22:38
Die Gartenlaube
von charls
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Ich weiss nicht, ich weiss nicht, warum nur habe ich das Gefuehl eine Geschichte aus dem Jahr 1894 aus der Gartenlaube gelesen zu haben, und zwar ausdruecklich was Sprache und Duktus betrifft.

Geziert, Koketierend mit dem was er weiss, gewunden.
Schreib einfach: Hatte die einen geilen Arsch.

Kaeme aufs gleiche raus, waere kuerzer und ehrlicher. Aber dieses sich angestrengte Bemuehungen um den Sitzplatz nummer sound soviel (als ob das fuer die Geschichte irgendwie wichtig waere), und gestelzte, daher unehrliche Sprache.....feuchte Kleinjungentraeume....sorry. Ich kann da nichts konstruktives entdecken.

Frau Nachbarin...euer Flaeschchen.....


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Otto Kringer
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Beiträge: 29



Beitrag20.08.2018 16:31

von Otto Kringer
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Eine sehr harsche, aber auch interessante Kritik.

Mag schon sein, dass es der Sprache an Flüssigkeit und Perfektion fehlt, nehme ich gern zur Kenntnis - aber das ist eben „work in progress“.

Und offensichtlich ist es mir auch nicht gelungen, das Gefühl, das mir bei dieser Szene vorschwebt, zu vermitteln: Ja, sie hat einen geilen Arsch - aber bevor diese Erkenntnis zu „profanem“ Begehren wird, ist sie der Kristallisationspunkt für seine Aufmerksamkeit. Sein Interesse an ihr als Gesamtperson wächst und nicht nur an ihr als sexuelles Objekt. Daran flocken quasi immer mehr Eigenschaften aus, bilden Strukturen und Zusammenhänge, die nun urplötzlich da sind. Es entsteht eine Beziehung jenseits der verbalen Kommunikation. Alleinig, sie ist nicht nur erdacht, sondern auch erlebt, denn er kann sie als Person erleben und sich einfühlen. Seine Wahrnehmung ist das Band zwischen der realen Person und jener in seinem Kopf. Je mehr diese fragile Verbindung über die Zeit verlorenzugehen droht, desto hektischer bemüht er sich sein Erkenntnisvermögen zu steigern, um beide zur Deckung zu bringen. Je genauer er hinsieht, desto mehr Unschärfe, Unvermögen und Unzulänglichkeit entdeckt er. Was kann der Mensch erkennen? Ist die Kluft zwischen der Welt a priori und der Erkenntnis, zwischen den Geschlechtern, und generell zwischen den Menschen, überwindbar?  

So in etwa ist mein Gefühl dazu, das offenbar nicht ganz so rüberkommt, was es auch nicht muß. Vielleicht kann die Geschichte mit einer flüssigeren Sprache auch für sich allein stehen. Aber selbst dann wird sie nicht zu einer Geschichte über einen „geilen Arsch“ werden.


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rncw
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Beitrag21.08.2018 17:52
Re: Die Gartenlaube
von rncw
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charls hat Folgendes geschrieben:
Geziert, Koketierend mit dem was er weiss, gewunden.
Schreib einfach: Hatte die einen geilen Arsch.

Kaeme aufs gleiche raus, waere kuerzer und ehrlicher. Aber dieses sich angestrengte Bemuehungen um den Sitzplatz nummer sound soviel (als ob das fuer die Geschichte irgendwie wichtig waere), und gestelzte, daher unehrliche Sprache.....feuchte Kleinjungentraeume....sorry. Ich kann da nichts konstruktives entdecken.


Leider ging es mir ähnlich wie charls. Ich denke es kommt auch ein bisschen auf deine Zielgruppe an - zu Unterhaltungsliteratur würde ich es sicher nicht zählen, dafür passiert einfach nicht genug, in dem Sinn, dass zuviel sinniert und nachgedacht wird. Mich würde es deshalb nicht fesseln.

Andererseits, wie du ja selbst bereits sagst, soll es eher um Erkenntnisgewinn gehen. Ich persönlich war etwas befremdet bei der Beschreibung des Hinterns - dieser gewundene Sprachstil kollidiert für mich zu sehr mit dem rein körperlichen Nachempfinden, deshalb hätte ich mir eine direktere Ausdrucksweise gewünscht. Für mich geht zum Beispiel nicht zusammen, wie der Prota so lange über den Hintern philosophieren kann, und dann plötzlich ihre Lebendigkeit preist, also eher charakterliche Stärken. Für mich gibt das irgendwie kein klares Bild, aber vielleicht ist das auch Geschmackssache.

Ehrlichkeit hier ist ein interessantes Stichwort, finde ich. Ist es ehrlicher, zu schreiben 'sie hat nen geilen Arsch', oder es eher auszuformulieren, drum rum zu reden (philosophieren)? Das kommt womöglich auf die Kernaussage des Textes an. Ich verstehe nicht ganz, wie das Interesse des lyrischen Ich an der Stewardess begründet ist, es scheint mir zu willkürlich. Natürlich, in der Realität kann dies durchaus vorkommen, dennoch sollten wir uns in der Literatur bemühen, Hergänge glaubhaft darzustellen und nicht einfach zu denken 'so is es passiert, das muss ich nich beweisen/erklären'.
Also vielleicht, wenn ich z.B. wüsste dass die Stewardess den Prota an etwas Verflossenes aus der eigenen Vergangenheit erinnert, dass irgend ein Bezug entsteht, könnte ich das Geschehen besser nachvollziehen und deshalb auch mehr Sympathie für die Charaktere aufbringen.

Ich hoffe, dass meine Kritik auch konstruktiv für dich ist. Mich würde interessieren, wie du deinen Text im Kontrast zu meinen Vorstellungen davon bewertest.

Beste Grüße

rncw
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Otto Kringer
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Beitrag27.08.2018 17:10

von Otto Kringer
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Danke für deine Überlegungen, rncw.
Leider reihen sie sich in die negative, wenn auch konstruktive, Kritik von charls ein. Und womöglich auch in einen Großteil der anderen 260 Leute, die den thread angesehen haben …
Was ich für mich aus deinen Bemerkungen herausdestilliere ist, dass, was sich in meinen Ohren klangvoll und poetisch vernahm, für andere durchaus unharmonisch und mißstimmig hinüberkommt. Offenbar fehlt es sowohl noch an der Technik als auch an der Vermittlung eines klareren Gedankens oder runderen Gesamtbildes. Und auch wenn ich, wie du richtig behauptest, nicht beabsichtige, zu unterhalten, könnte etwas mehr Handlung, roter Faden oder dialogische Beziehung wohl auch nicht schaden …

Also: Danke für Eure Mühe und die Einsichten, die ihr mir vermittelt habt! Zurück an den Start …


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rncw
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Beitrag27.08.2018 23:58

von rncw
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Hallo Otto,

ich denke das Problem ist eher, wenn man das Gefühl kriegt, dass die Art zu denken & reden nicht wirklich zum Prota passt, sondern eher der Autor ist. Man sagt ja auch, Flüche wirken deutlich stärker in Texten, also ist es dir vielleicht ein Trost, dass eben auch poetische Sprache dann übertrieben wirken kann.. Ich hoffe du gibst nicht auf, aber denk auch dran dass was du schreibst auch zu einer Zielgruppe passen muss bzw. auch dir gefallen sollte.

Wenns was poetisches sein soll, vlt Gedichte? Und sonst: Ich denke in Prosa fährt man nicht schlecht mit weniger ist mehr.. Hm, keine Ahnung, ich weis es selbst nicht und probiere selbst einiges aus.

Ich bin gespannt, falls du es nochmal überarbeitest!

Beste Grüße

rncw
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Seraiya
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Beitrag29.08.2018 09:34

von Seraiya
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Otto Kringer hat Folgendes geschrieben:
Und womöglich auch in einen Großteil der anderen 260 Leute, die den thread angesehen haben …

Die Anzahl der Aufrufe eines Threads ist keine Referenz. Ich allein hab deinen Faden bestimmt fünfzehn Mal angeschaut. Vier Mal hab ich deinen Text angeklickt und gelesen, bevor ich den ersten Kommentar schrieb, dann hab ich bei jedem anderen Kommentar und bei jeder deiner Antworten darauf wieder reingeschaut.
Du musst auch nicht davon ausgehen, dass der Text nicht gemocht wird, sondern viel mehr, dass die einen ihn gut finden wie er ist, die anderen nichts mit ihm anfangen können, wieder anderen die Zeit und das Interesse fehlen sich näher damit zu beschäftigen. Hier werden täglich neue Texte eingestellt und es kommt fast täglich ein neues Mitglied, neben dem Alltag kommt man da nicht hinterher.
Was mich angeht, musst du mit dem Text nicht wieder bei null anfangen, er ist etwas, in das man eintauchen kann und sollte, mir fehlt dazu noch etwas. Vielleicht benutzt du (für mich) zu viele Worte, vielleicht auch die falschen, ich weiß es nicht. Deine Intention finde ich klasse und bei deinen Ausdrucksmöglichkeiten schaffst du das auch.



LG,
Seraiya


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Otto Kringer
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Beitrag29.08.2018 14:03

von Otto Kringer
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Vielen Dank an Euch, das macht Mut. 2 Schritte vor, einen zurück ... Ich werde warten bis mich wieder die Muse küsst und freue mich über Eure Anteilnahme, wenn es soweit ist ...

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rncw
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Beitrag29.08.2018 16:17

von rncw
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Otto Kringer hat Folgendes geschrieben:
Vielen Dank an Euch, das macht Mut. 2 Schritte vor, einen zurück ... Ich werde warten bis mich wieder die Muse küsst und freue mich über Eure Anteilnahme, wenn es soweit ist ...


Ich hoffe, du wartest nicht nur, bis dich die Muse küsst, sondern überarbeitest den Text auch vorher schon - denn meiner Ansicht nach braucht eigentlich jeder Text viieeeel Überarbeitung, bzw. dadurch wird er erst brauchbar / richtig gut. Erst frei & kreativ schreiben, dann mehrmals kritisch überarbeiten und verbessern - gerade das ist sehr wichtig, finde ich. Smile

Nicht aufgeben!

Beste Grüße

rncw
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Otto Kringer
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Beiträge: 29



Beitrag29.08.2018 22:12

von Otto Kringer
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Wo du recht hast, hast du recht! Werd ich mir zu Herzen nehmen und was draus machen. Wenn es soweit ist, erfahrt ihr es als erstes ...

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Seraiya
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Beitrag29.08.2018 23:02

von Seraiya
Antworten mit Zitat

Otto Kringer hat Folgendes geschrieben:
Wo du recht hast, hast du recht! Werd ich mir zu Herzen nehmen und was draus machen.

 Daumen hoch²


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masniB
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Beitrag14.10.2018 23:13

von masniB
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Ich bin relativ neu in den Foren und mit dem Vermitteln meiner Wahrnehmungen nicht geübt. Ich fand den Anfang der Geschichte sehr amüsant und war gespannt auf das, was folgen würde. Leider wurde ich auch durch die ausschweifenden Formulierungen immer wieder abgelenkt und konnte mich irgendwann nicht mehr auf den Verlauf der Story konzentrieren. Die Worte plätscherten dahin und fesselten mich nicht so, dass ich das Ende der Geschichte hätte erleben wollen. Eine Erotik hat sich für mich nicht entwickelt. Die Aussage "sie hatte einen geilen Arsch" wäre tatsächlich treffender gewesen.
Trotzdem für die Kreativität der Beschreibung muss ich ein Kompliment aussprechen.


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reißwolf
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Beiträge: 138



Beitrag15.10.2018 16:22

von reißwolf
Antworten mit Zitat

Der Thread ist zwar schon älter, aber hier noch ein Kommentar, der dir beim Überarbeiten helfen mag.

Sprache
Der gespreizte Sprachduktus an sich ist es nicht, was mich hier stört. Das Problem ist, dass eine solche Manier der spitzfingrig umständlichen Umschreibungen eine große Portion Ironie benötigt. Die blitzt zwar manchmal bei dir auf, es reicht aber bei weitem nicht, um zu sagen, dein Stil sei ironisch gebrochen und daher witzig. Du überzeichnest nicht, du karikierst nicht. Insbesondere, wenn es um die Beschreibungen des Erotischen geht, wirken deine Sprachschnörkel seltsam gehemmt, ja, prüde. In einer pornografisierten Welt, in der uns von allen Seiten die Worte »ficken« und »blasen« anspringen, fällt die Sprache des Protagonisten derart aus der Zeit, dass man sie nicht mehr damit rechtfertigen kann, dass hier etwa ein älterer, distinguierter Herr seinen inneren Monolog rezitiert. Nein, der hier spricht, ist nicht »älter«, sondern mindestens seit fünfzig Jahren tot.

Aber ich muss auch das Gelungene an deinem Text herausstellen. Hier ein Beispiel, in dem mir das umständlich Umschreibende und die Ironie ausgewogen scheint; ich musste kurz schmunzeln bei dem Satz:
Zitat:
[…] deren Schöpfer nicht übermäßig inspiriert, dafür umso disziplinierter gewesen zu sein schien.

Von dieser Art gibt es drei, vier Stellen, die mich zum Lächeln gebracht haben. Positiv zu vermerken ist außerdem, dass du deine Szene vor Augen hast. Das ermöglicht dir präzise Beschreibungen ohne Logikfehler.
An manchen Stellen solltest du ausdünnen. Beispielsweise zerschneidet gleich am Anfang die »griechische Grenze« den inneren Flugzeugfilm mit einem themenfremden Bild – man ist raus, noch bevor man drin ist. Und das hohe Gewicht des Koffers wird sehr gut szenisch dargestellt, was die Wortkombi »wegen seines hohen Gewichts« überflüssig macht. So gibt es viele Dopplungen, deren Fehlen den Text gewinnen ließen. Ich empfehle, jedem einzelnen Adjektiv nochmal fünf Sekunden Nachdenkzeit zu widmen. Was nicht wirklich substanziell bereichert, was nicht wirklich originell, kann raus.
Manchmal wird dein »gehobener Ton« (und ich setze das bewusst in Anführungsstriche) unfreiwillig komisch: Das Verb »erblicken« assoziiere ich eher mit einer bedeutenden Erscheinung, nicht aber mit etwas derart Profanem, wie einem Überkopf-Stauraum.

Konzept
Im Konzept, weniger in der Sprache, liegt die eigentliche Problematik des Textes. Das Problem ist, dass es kein Problem gibt. Der Text stolziert durch die acht Leseminuten, man weiß spätestens nach drei davon, dass es um die stille Betrachtung der Frau, insbesondere ihres Hinterns geht. Das wird dann in immer neuen »spitzfindigen« Formulierungen, mal gespreizt, mal banal, durchgespielt. Neues kommt nicht mehr hinzu. Die Hoffnung wächst, am Ende durch eine gute Pointe entschädigt zu werden: Pustekuchen.
Entfernt erinnert diese verhalten erotische Betrachtung ohne Kontaktaufnahme an den "Tod in Venedig". Auch dort finden wir eine überhöht gespreizte Sprache, eitler und affektierter noch, als man es aus anderen Thomas-Mann-Büchern kennt. Nur: Dieses Buch ist über hundert Jahre alt. Und: Dort ist der Betrachter ein Sterbender, und ums Sterben geht es in dem Buch. Im vorliegenden Text dagegen fehlt, von der sprachlichen Kunstfertigkeit und der Ironie nicht zu reden, jeder übergeordnete Bezug, jede zusätzliche Bedeutungsebene.

Resumé
Weitgehend durchgehaltener anachronistischer Ton mit gelegentlichen Einbrüchen in abgedroschene Bilder und Wendungen (»Augenweide«, »hatten ganze Arbeit geleistet«). Keine ironischen Brüche, streckenweise wirkt die Betrachtung des Erotischen gehemmt. Manchmal gelingen originelle Bilder und Vergleiche. Gemessen am dünnen Inhalt ist der Text zu lang. Eine  zweite Bedeutungsebene und / oder wenigstens eine flotte, kleine Pointe würde den Leser für seine Mühe belohnen.

Viel Spaß beim Verwerfen oder Verwenden!
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Otto Kringer
Geschlecht:männlichGänsefüßchen


Beiträge: 29



Beitrag18.10.2018 19:08

von Otto Kringer
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke Euch, masniB und reißwolf, für Euren Kommentar! Bei beiden scheint mir der Succus zu sein, was mir mittlerweile dank all Eurer Antworten klar geworden ist: Der Text ist eigentlich eine Stilübung und keine Erzählung und er bräuchte Inhalt, Spannung und Handlung um zu fesseln.

@ reißwolf: Sehr pointiert finde ich deine Kritik anhand des Vergleichs mit Tod in Venedig und der Leblosigkeit. Auch deine Anmerkungen zum Stil, wie den redundanten Begriffen etc, kann ich gut nachvollziehen. Auch dass der inhaltliche Blickwechsel auf die griechische Grenze aus dem Bild wieder herausschwenkt, ist ein neuer Gedanke für mich.
 
Insgesamt danke für eure konstruktiven und objektiven Überlegungen und die Mühe, die ihr investiert habt!

Ob ich aus dem Text noch was machen kann, weiß ich nicht. Immer wieder denke ich über eine mögliche Pointe nach (und womöglich würden ein paar Sätze reichen). Mir fällt nichts ein, das es für mich zu mehr als einer Betrachtung macht und ich bin geneigt ihn zu verwerfen. Allerdings ist das ein generelles Problem, das ich habe: Ich schreibe gern - weiß aber nicht, was … Embarassed
Geht euch das auch so oder sprudelt es nur so aus eure Fingern? Wenn nicht, übt ihr pedantisch oder wartet ihr auf die Erleuchtung?


_________________
Unsere Persönlichkeit innerhalb der Gesellschaft ist eine geistige Schöpfung der Anderen. (Marcel Proust)
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