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Geduldsamkeit


 
 
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Helene
Geschlecht:weiblichWortedrechsler

Alter: 40
Beiträge: 51
Wohnort: Niedersachsen


Beitrag30.07.2018 12:36
Geduldsamkeit
von Helene
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Der alte Mann hielt den Samenkern eines Apfels zwischen seinen faltigen Fingern in die Sonne. Er kniete sich mühsam nieder, legte behutsam den Kern in die Erde und ebnete das Loch mit seinen runzligen Händen. Sein Lebensabend war weit vorangeschritten. Die eigene Vergänglichkeit im Kreislauf des Lebens stand kurz bevor und damit auch ein neuer Anfang im Zyklus des Werdens und Vergehens.
Er goss seinen Samen fortan jeden Tag und betrachtete dabei den Ort, wo einst ein prachtvoller Baum seine Früchte verschenken würde. Sein Leben war gelebt, kein Auftrag auf Erden mehr offen. Seine Seele hatte eine Fülle an Erfahrungen gespeichert und würde zufrieden gehen können. Dennoch hoffte der alte Mann den ersten Apfel dieses werdenden Baumes noch vor seiner Abreise ernten zu können. Er hatte es versprochen!
Sein Bemühen war es, sich allzeit mit Geduld und Hingabe, als Alternative zu mineralischem Kunstdünger und Pflanzenschutzmittel, seinen Zögling zu pflegen. Es ging nur langsam voran mit dem Baum. Das beruhigte den Alten einerseits, denn er selbst war schließlich auch sehr langsam. Nicht nur bei der Pflege seiner Pflanze. Die Langsamkeit war ein friedenherstellender Gegenpol in dieser -über seine 74 Lebensjahre hinweg - immer effektiver gewordenen Gesellschaft. Andererseits quälte ihn manchmal die Ungeduld, wenn er die Pflanze nicht wachsen sah.
„Geduld ist eine Frucht des Heiligen Geistes“, sagte seine Frau bevor sie starb und gab ihm den Apfelkern, mit dem sie ihm gleichzeitig die Fähigkeit auf seine Abreisezeit zu warten schenkte. Jeden Tag musste er mit seiner ungestillten Sehnsucht leben und diese, auf ungewisse Zeit, zurückstellen.
Als der Samen aufging und die Pflanze sich durch die Erde ihren Weg zum Licht Bahn brach, waren endlich die Entwicklungen an der Erdoberfläche sichtbar. Der Greis erfreute sich an den Beobachtungen, die er jetzt machen konnte. Er sah, was er pflegte!
Die Jahre vergingen, ebenso wie einzelne Körper- und Vitalfunktionen des Alten.
Gemeinsam mit dem Apfelbaum wuchs auch weiteres Leben in seinem Umfeld heran. Das siebte Urenkelkind wurde im dritten Jahr des Apfelbaumes geboren und war nach nur eineinhalb Jahren - aufrecht stehend -größer, als der Baum in seinem fünften Jahr.
Geduld ist eng mit der Hoffnung verbunden und so hoffte der alte Mann mit der Ernte des ersten Apfels, seinen letzten Auftrag erfüllt zu haben und gehen zu dürfen. Bis es soweit war, blieb ihm nur, den gegenwärtigen Moment, in dem alles geschieht, mit den vorhandenen Möglichkeiten zu leben.
Die Blüten, die der Baum in seinem achten Jahr hervorbrachte, waren ganz besondere Apfelblüten. Das war offensichtlich. Die Blüten fielen aber nach einer Weile ab, ohne dass sich eine Frucht entwickelte.
Drei lange Jahre in der Vorausschau und drei kurze Jahre in der Erinnerung, sollte der Alte noch den gegenwärtigen Moment, immer mühseliger gestalten müssen, bis der Baum endlich seine ersten Früchte hervorbrachte.
Nach elf Jahren der langmütigen Pflege, des geduldigen Beobachtens, der gelassenen Freude über sichtbare Entwicklungen und den Missmut, ob der Sehnsucht nach dem Ende, sah der alte Mann, dass aus dem Geduldsfaden im Apfelbaum, etwas anderes geworden war.
Jetzt erst sah er was er pflegte! Mit der Herausbildung der Früchte, sah er die Erkenntnis in dem Birnenbaum vor ihm und die Stimme seiner Frau in ihm sagte:
„Zu jedem Augenblick, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort.“

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Noctis
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 26
Beiträge: 28



Beitrag30.07.2018 20:39

von Noctis
Antworten mit Zitat

Hallo Helene,

das ist ein sehr schöner Text, der einen mal etwas anders über das Sterben nachdenken lässt. Mit der Hingabe, die der alte Mann dem Baum schenkt, arbeitet er quasi auf seine letzte Aufgabe und somit auf den Tod hin. Er fürchtet ihn nicht, wie die meisten Menschen, sondern sieht ihn als Erfüllung.
Diese Einstellung gefällt mir sehr. Hut ab, wie du das bildlich so perfekt beschreiben kannst.

Aber eine Frage: Ist der Text an irgendetwas angelehnt? Ich habe das Gefühl, etwas in der Art schon einmal gelesen zu haben.


Liebe Grüße,
Noctis
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Catalina
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 51
Beiträge: 427
Wohnort: Kehdingen


Beitrag30.07.2018 22:38

von Catalina
Antworten mit Zitat

Hallo Helene,

ein sehr schöner Text!

Ich bin etwas über den "weit vorangeschritten Lebensabend" gestolpert. Diese Bezeichnung würde ich für einen 74jährigen nicht verwenden. Außerdem folgen in diesem Fall ja noch mindestens elf Jahre. Auch die Bezeichnung "Greis" ist für mich unpassend, weil ich mir darunter einen tatterigen und gebrechlichen Mann vorstelle...

Den letzten Satz habe ich nicht verstanden. Was sehr schade ist, will er mich doch bestimmt auf "die Moral von der Geschicht'" stoßen. So kann ich sie nur erahnen. Das ist keine Kritik, denn wahrscheinlich bin ich einfach nicht poetisch genug. Aber vielleicht kannst Du ihn mir erklären?

Viele Grüße,
Catalina
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Helene
Geschlecht:weiblichWortedrechsler

Alter: 40
Beiträge: 51
Wohnort: Niedersachsen


Beitrag31.07.2018 09:29

von Helene
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Hallo Noctis,

vielen Dank für deine Gedanken dazu. Ja, der Alte hat Frieden. Nichts ist mehr offen, ausser die Früchte des Baumes zu ernten.

Der Text lehnt tatsächlich an etwas an. Bzw. ich habe ihn geschrieben, nachdem ich die Rede von Charlie Chaplin gelesen habe:

Als ich mich wirklich
selbst zu lieben begann,
konnte ich erkennen,
dass emotionaler Schmerz und Leid
nur Warnung für mich sind,
gegen meine eigene Wahrheit zu leben.
Heute weiß ich , das nennt man
“Authentisch-Sein”.

Als ich mich wirklich
selbst zu lieben begann,
habe ich verstanden,
wie sehr es jemanden beschämt,
ihm meine Wünsche aufzuzwingen,
obwohl ich wusste, dass weder die Zeit reif,
noch der Mensch dazu bereit war,
auch wenn ich selbst dieser Mensch war.
Heute weiß, das nennt man
“Selbstachtung”.

Als ich mich wirklich
selbst zu lieben begann,
habe ich aufgehört,
mich nach einem anderen Leben zu sehnen,
und konnte sehen, dass alles um mich herum
eine Aufforderung zum Wachsen war.
Heute weiß ich, das nennt man
“Reife”.

Als ich mich wirklich
selbst zu lieben begann,
habe ich verstanden,
dass ich immer und bei jeder Gelegenheit,
zur richtigen Zeit am richtigen Ort bin
und dass alles, was geschieht, richtig ist
– von da konnte ich ruhig sein.
Heute weiß ich, das nennt sich
“Selbstachtung”.

Als ich mich wirklich
selbst zu lieben begann,
habe ich aufgehört,
mich meiner freien Zeit zu berauben
und ich habe aufgehört,
weiter grandiose Projekte
für die Zukunft zu entwerfen.
Heute mache ich nur das,
was mir Spaß und Freude bereitet,
was ich liebe
und mein Herz zum Lachen bringt,
auf meine eigene Art und Weise
und in meinem Tempo.
Heute weiß ich, das nennt man
“Ehrlichkeit”.

Als ich mich wirklich
selbst zu lieben begann,
habe ich mich von allem befreit
was nicht gesund für mich war,
von Speisen, Menschen, Dingen, Situationen
und von allem, das mich immer wieder hinunterzog,
weg von mir selbst.
Anfangs nannte ich das “gesunden Egoismus”,
aber heute weiß ich, das ist “Selbstliebe”.

Als ich mich wirklich
selbst zu lieben begann,
habe ich aufgehört,
immer recht haben zu wollen,
so habe ich mich weniger geirrt.
Heute habe ich erkannt,
das nennt man “Einfach-Sein”.

Als ich mich wirklich
selbst zu lieben begann,
da erkannte ich,
dass mich mein Denken
armselig und krank machen kann,
als ich jedoch meine Herzenskräfte anforderte,
bekam der Verstand einen wichtigen Partner,
diese Verbindung nenne ich heute
“Herzensweisheit”.

Wir brauchen uns nicht weiter
vor Auseinandersetzungen,
Konflikten und Problemen
mit uns selbst und anderen fürchten,
denn sogar Sterne knallen
manchmal aufeinander
und es entstehen neue Welten.
Heute weiß ich,
das ist das Leben!

Diese Rede hat mich inspiriert und der Alte und der Apfelbaum waren plötzlich da. In dieser Rede steckt so unglaublich viel drin.

LG
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Helene
Geschlecht:weiblichWortedrechsler

Alter: 40
Beiträge: 51
Wohnort: Niedersachsen


Beitrag31.07.2018 09:36

von Helene
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Liebe Catalina,

ich danke dir für deine Anmerkungen. Du hast recht. Mit 74 ist der Lebensabend vielleicht noch nicht ganz soweit vorangeschritten. Das werde ich ändern.

Den letzten Satz erkläre ich dir gerne, allerdings findest du die Antwort auch in der Rede von Charlie Chaplin, die ich in meiner Antwort an Noctis angefügt habe.

Zitat:
Zu jedem Augenblick, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort.


Geht es dir nicht auch manchmal so, dass du ungeduldig bist und dadurch mit deinen Gedanken mehr im morgen oder nachher, als im Hier und Jetzt bist?

Der letzte Satz, beschreibt das Vertrauen, das alles zu seiner Zeit geschieht.

Kannst du damit jetzt etwas anfangen?

LG
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Charlie Rose Kane
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 47
Beiträge: 197
Wohnort: Leipzig


Beitrag31.07.2018 09:53

von Charlie Rose Kane
Antworten mit Zitat

Helene hat Folgendes geschrieben:

Geht es dir nicht auch manchmal so, dass du ungeduldig bist und dadurch mit deinen Gedanken mehr im morgen oder nachher, als im Hier und Jetzt bist?

Der letzte Satz, beschreibt das Vertrauen, das alles zu seiner Zeit geschieht.


ich bin zwar nicht catalina, aber dennoch ... ich kann damit sehr, sehr viel anfangen. aktuell gerade sowieso. ich bin manchmal extrem ungeduldig mit mir und meinen seelenmenschen und mit anderen.

und ja, dann lande ich oft im morgen und übermorgen und überübermorgen.


_________________
~c.r.k. ~
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gold
Geschlecht:weiblichPapiertiger


Beiträge: 4939
Wohnort: unter Wasser
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Beitrag31.07.2018 10:22

von gold
Antworten mit Zitat

Rose Kane hat Folgendes geschrieben:
Helene hat Folgendes geschrieben:

Geht es dir nicht auch manchmal so, dass du ungeduldig bist und dadurch mit deinen Gedanken mehr im morgen oder nachher, als im Hier und Jetzt bist?

Der letzte Satz, beschreibt das Vertrauen, das alles zu seiner Zeit geschieht.


ich bin zwar nicht catalina, aber dennoch ... ich kann damit sehr, sehr viel anfangen. aktuell gerade sowieso. ich bin manchmal extrem ungeduldig mit mir und meinen seelenmenschen und mit anderen.

und ja, dann lande ich oft im morgen und übermorgen und überübermorgen.


ich oooch!!! Sich kaputt lachen langsam wird´s unheimlich!!! Shocked
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Helene
Geschlecht:weiblichWortedrechsler

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Beitrag31.07.2018 10:32

von Helene
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Ja, so sind wir. Gott hat uns einen Verstand gegeben, der Ideen entwickeln, planen und vorauschauen kann...
Bei all den Plänen und Gedanken ist es eine Kunst immer wieder in den Gegenwärtigen Moment zurück zu finden.

Dabei sagte der Dalai Lama so schön:

Es gibt zwei Tage im Jahr an denen du nichts machen kannst. Gestern und Morgen.
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Charlie Rose Kane
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 47
Beiträge: 197
Wohnort: Leipzig


Beitrag31.07.2018 10:51

von Charlie Rose Kane
Antworten mit Zitat

Helene hat Folgendes geschrieben:

Dabei sagte der Dalai Lama so schön:

Es gibt zwei Tage im Jahr an denen du nichts machen kannst. Gestern und Morgen.


ach eigentlich lebe ich ja schon viel im heute. hauptsächlich. aber bei streitigkeiten mit freunden gehe ich krachen und male mir alle möglichen szenarien im morgen aus.

 Rolling Eyes

und dann noch diese hitze.


sorry fürs o.t.


_________________
~c.r.k. ~
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Catalina
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 51
Beiträge: 427
Wohnort: Kehdingen


Beitrag07.08.2018 15:15

von Catalina
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Helene hat Folgendes geschrieben:
Zitat:
Zu jedem Augenblick, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort.


Der letzte Satz, beschreibt das Vertrauen, das alles zu seiner Zeit geschieht.


Das ist die Bedeutung, die ich erahnt habe... smile
Und trotzdem stolpere ich über diesen Satz, vor allem über die Zeichensetzung. Geht es nur mir so?

Für mich wäre z.B.
"Jeder Augenblick zur richtigen Zeit am richtigen Ort"
flüssiger und verständlicher.

Aber vielleicht stehe ich ja wirklich auf dem Schlauch. WAS genau umschreibt der Satz? Was bedeutet "zu jedem Augenblick"? Das Leben annehmen? Aber dann passt der hintere Teil nicht mehr.

Die Bedeutung verstehe ich, nur den Satz an sich eben nicht. smile
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Helene
Geschlecht:weiblichWortedrechsler

Alter: 40
Beiträge: 51
Wohnort: Niedersachsen


Beitrag08.08.2018 17:27

von Helene
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Wie meinst du das: "Dann passt der hintere Teil nicht mehr?"

Möglicherweise wäre "In jedem Augenblick zur richtigen Zeit am richtigen Ort" etwas besser.

Gemeint ist: Ich mit meinem Sein, unabhängig von Raum, Zeit und Lebensumständen, sollte darauf vertrauen, dass dieses (mein) Sein sich zu jedem Augenblick (und mit Augenblick meine ich nicht die zeitliche Abhängigkeit, sondern den Situationsaugenblick), zu jeder Zeit am richtigen Ort befindet.

Könnte da vielleicht noch jemand seinen Senf dazu geben? Für mich ist es so klar. Aber wenn es den Lesern anders geht, sollte ich an dem Schlusssatz vielleicht etwas ändern...
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Constantine
Geschlecht:männlichBücherwurm


Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag08.08.2018 20:15
Re: Geduldsamkeit
von Constantine
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Hallo Helene,

Charlie Chaplin hat bestimmt manchen inspiriert, ich denke da nur an seine mitreißende Rede in "Der große Diktator" und ich finde deine Idee schön, die du in diesem Text verarbeitet hast. Für meinen Geschmack leider etwas zu dick aufgetragen, ich bleibe an manchen Formulierungen oder Sätzen hängen und für mich fühlt es sich eher künstlich_erzwungen, zu dick aufgetragen an als authentisch, wodurch für mich dein Text etwas aus dem Leim gerät.

Die Schlusspointe, Apfel-doch nicht-Apfelbaum, bleibt für mich soweit leer, da ich den Eindruck habe, es ist egal, welche Frucht der alte Mann letztendlich erntet, bleibt es frei von einer Konsequenz, - er erhält eine erste Frucht und die Redewendung verpufft für mich eher, als dass ich diese für mich aus der Geschichte ziehe - schließlich wird nicht nur der Leser vom Erzähler "belogen", auch der alte Mann lebt jahrelang eine Lüge und scheint in seinem Leben doch nicht viel erlebt zu haben.
Den Schluss-Satz lese ich unabhängig von dieser Pointe, eher auf die Anfangsprämisse und die bis zum Ende vergangene Zeit bezogen, im hier und jetzt zu leben, nicht im Morgen oder Übermorgen und einen Apfel-doch-nicht-Apfelbaum großzuziehen.
Wie gesagt, ich bin nicht ganz ob der (wortwörtlichen Anwendung der) Redewendung und ihrer Konsequenz auf den alten Mann sicher.

Zum Text einige Anmerkungen:
Helene hat Folgendes geschrieben:
Der alte Mann hielt den Samenkern eines Apfels zwischen seinen faltigen Fingern in die Sonne. Er kniete sich mühsam nieder, legte behutsam den Kern in die Erde und ebnete das Loch mit seinen runzligen Händen. Sein Lebensabend war weit vorangeschritten. Die eigene Vergänglichkeit <-- ich finde, er müsste über seine Vergänglichkeit bereits ein gutes Gefühl haben, schließlich ist er (hier) 74 Jahre alt, runzlige Hände, mühsames Niederknien, spätestens, wie weiter unten geschrieben, als seine Frau starb. Dass seine eigene Vergänglichkeit mit 74 Jahren kurz bevor stand, muss ich dem Erzähler glauben, kann es aber nicht, da dies ein langjähriger Lebens-Prozess ist und mir hier ein Moment suggeriert wird, den ich damit nicht vereinbart bekomme. im Kreislauf des Lebens stand kurz bevor und damit auch ein neuer Anfang im Zyklus des Werdens und Vergehens. <-- Für mich ist das dick aufgetragen und doppelgemoppelt synonym füreinander und damit wird dieser Satz fast zu einem Nicht-Satz für mich.
Er goss seinen Samen fortan jeden Tag und betrachtete dabei den Ort, wo einst ein prachtvoller Baum seine Früchte verschenken würde. Sein Leben war gelebt, kein Auftrag auf Erden mehr offen. <-- Das stimmt leider nicht! Diese Aussagen werden bereits weiter unten widerlegt.  Seine Seele hatte eine Fülle an Erfahrungen gespeichert und würde zufrieden gehen können. Dennoch hoffte der alte Mann den ersten Apfel dieses werdenden Baumes noch vor seiner Abreise ernten zu können. Er hatte es versprochen!
Sein Bemühen war es, sich <-- "sich [etwas] zu pflegen" passt hier mMn nicht allzeit mit Geduld und Hingabe, als Alternative zu mineralischem Kunstdünger und Pflanzenschutzmittel, seinen Zögling zu pflegen. Es ging nur langsam voran mit dem Baum. Das beruhigte den Alten einerseits, denn er selbst war schließlich auch sehr langsam. Nicht nur bei der Pflege seiner Pflanze. Die Langsamkeit war ein friedenherstellender Gegenpol in dieser -über seine 74 Lebensjahre hinweg - immer effektiver gewordenen Gesellschaft. Andererseits quälte ihn manchmal die Ungeduld, wenn <-- würde hier nicht eher ein "weil" passen? er die Pflanze nicht wachsen sah.
„Geduld ist eine Frucht des Heiligen Geistes“, sagte seine Frau bevor sie starb und gab ihm den Apfelkern, mit dem sie ihm gleichzeitig die Fähigkeit auf seine Abreisezeit zu warten schenkte. <-- Hier würde ich das Tempus wechseln in PQP. Deine Geschichte spielt im Präteritum, hier sind wir "weiter zurück" in der Vergangenheit, eine abgeschlossene Vergangenheit, als deine Geschichte beginnt. Jeden Tag musste er mit seiner ungestillten Sehnsucht leben und diese, auf ungewisse Zeit, <-- auch Beispiele für dieses zu dick aufgetragen. Vor allem dieses "auf ungewisse Zeit", da musste ich daran denken, wenn der alte Mann noch diesen Auftrag hat und ihn erfüllen möchte, so ohne Vorplanung erscheint mir das sehr naiv für jemanden, von dem behauptet wird, er habe sein Leben gelebt und seine Seele könne zufrieden gehen. Dieser letzte Auftrag schient mir wichtig für ihn zu sein, er hat es versprochen, einen Baum aus dem Kern großzuziehen, und fragt nicht vorher oder informiert sich irgendwann vorher während seines Lebens, wie lange es ungefähr dauern könnte, bis aus einem (Apfel)-Baumsamen ein erste Früchte tragender Baum wird. Damit hätte der alte Mann mMn dieses "auf ungewisse Zeit" zeitlich etwas überschaubarer gestalten können, was seinen letzten Auftrag angeht. zurückstellen.
Als der Samen aufging und die Pflanze sich durch die Erde ihren Weg zum Licht Bahn brach <-- Inhaltlich wieder doppelgemoppelt. MMn kannst du dies hier streichen, weil das folgende Grün-markierte genau dies anders formuliert impliziert. , waren endlich die Entwicklungen an der Erdoberfläche sichtbar. Der Greis erfreute sich an den Beobachtungen, die er jetzt machen konnte. Er sah, was er pflegte! <-- Auch dies hier empfinde ich als inhaltlich Doppelt.
Die Jahre vergingen, ebenso wie einzelne Körper- und Vitalfunktionen des Alten.
Gemeinsam mit dem Apfelbaum wuchs auch weiteres Leben in seinem Umfeld heran. Das siebte Urenkelkind wurde im dritten Jahr des Apfelbaumes geboren und war nach nur eineinhalb Jahren - aufrecht stehend -größer, als der Baum in seinem fünften Jahr.
Geduld ist eng mit der Hoffnung verbunden und so hoffte der alte Mann mit der Ernte des ersten Apfels, seinen letzten Auftrag erfüllt zu haben <-- wie gesagt, für mich stehen diese Aussagen im Gegensatz zu den weiter oben geschriebenen: Sein Leben war gelebt, kein Auftrag auf Erden mehr offen. und gehen zu dürfen. Bis es soweit war, blieb ihm nur, den gegenwärtigen Moment, in dem alles geschieht <-- Tempus: geschah? , mit den vorhandenen Möglichkeiten zu leben.
Die Blüten, die der Baum in seinem achten Jahr hervorbrachte, waren ganz besondere Apfelblüten. Das war offensichtlich. Die Blüten fielen aber nach einer Weile ab, ohne dass sich eine Frucht entwickelte.
Drei lange Jahre in der Vorausschau und <-- wie wäre es hier anstelle mit einem "aber", um diese gleiche Zeitspanne mit unterschiedlichen Wahrnehmungen besser zu zeigen, denn ich habe mich beim Lesen zunächst "verrechnet" und dachte, es seien insgesamt vierzehn Jahre vergangen, nicht elf? drei kurze Jahre in der Erinnerung, sollte der Alte noch den gegenwärtigen Moment, immer mühseliger gestalten müssen, bis der Baum endlich seine ersten Früchte hervorbrachte.
Nach elf Jahren der langmütigen Pflege, des geduldigen Beobachtens, der gelassenen Freude über sichtbare Entwicklungen und den Missmut, ob der Sehnsucht nach dem Ende, <-- das liest sich für mich nach einer Zusammenfassung der vorherigen Abschnitte und bereits in den vorherigen Abschnitten wurde betont, wie zeitaufwändig, geduldig und sehnsüchtig der Alte die Zeit verbracht hatte. Schon im Satz zuvor mit dem "immer mühseliger gestalten müssen" wurde es thematisiert. Hier erneut. Ich denke, bei dieser Kürze des Textes ließe sich einiges überdenken, was (zu dick aufgetragene) Wiederholungen und Ausdrücke angeht.  sah der alte Mann, dass aus dem Geduldsfaden im Apfelbaum, etwas anderes geworden war.
Jetzt erst sah erKOMMA was er pflegte! Mit der Herausbildung der Früchte, sah <-- zum Schluss wird mir etwas zu oft wiederholend "sah" verwendet. er die Erkenntnis <-- Kann man eine Erkenntnis sehen oder eher zu einer Erkenntnis gelangen?  in dem Birnenbaum vor ihm und die Stimme seiner Frau in ihm sagte:
„Zu jedem Augenblick, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort.“


Soweit mein Feedback und meine Anmerkungen zu deinem Text.
Ungeachtet der "Verbesserungsvorschläge" und meines Feedbacks, eine schöne Geschichte, die dazu anregt, sich über das eigene Zeitmanagement Gedanken zu machen.

Gerne gelesen.

LG Constantine
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Helene
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Beitrag12.08.2018 09:27

von Helene
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Hallo Constantine,

ich danke dir für deine intensive Auseinandersetzung mit meinem Text. Ich konnte deine Anmerkungen gut nachvollziehen. Werde noch ein wenig an diesem Text rumpfeilen. Das bekräftigen der Sätze durch doppeltgemoppeltes ist allerdings beabsichtigt.
Wie kommst du darauf, dass der Mann nicht viel erlebt hat? Er hat schließlich 7 Urenkelkinder, somit eigene Kinder und bei so einer großen Familie, kann man sich m. M. vorstellen das in dem Leben viel passiert ist. Laughing

Ich danke dir und werde wie gesagt noch ein wenig rumpfeilen und vielleicht dick aufgetragenes abtragen.

Liebe Grüße
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d.frank
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D
Beitrag12.08.2018 15:44

von d.frank
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Ich finde, wenn man das wie ein Märchen liest, dann funktioniert das schon mit dem mitunter Kitschigem. Als normale Kurzgeschichte wäre mir das auch zu viel, es kommt sehr belehrend und andererseits dann wieder sehr offen daher. Für mich sind das Merkmale der Gattung Märchen; das kann man schon mal machen, nur wird man dann wahrscheinlich nur einen bestimmten Kreis an Lesern ansprechen. Auf der anderen Seite fehlt schon so ein bisschen Tiefe. Alles beschränkt sich auf die verstorbene Ehefrau, die den Alten mit einem Auftrag zurücklässt. Das Wieso und Warum versteckt sich dann hinter einer sehr vagen Lebenslehre, aus der nicht klar wird, worauf sie sich bezieht. Nur auf den Alten? Auf ein irgendwie falsch gelebtes Leben, auf eine Liebe, die sich selbst überdauern soll? Ich verstehe dann auch was in den vorherigen Kommentaren gemeint ist, wenn gesagt wird, dass die Aussage leer bleibt. Irgendwie hebt sie sich selbst wieder auf, das stimmt.

_________________
Die Wahrheit ist keine Hure, die sich denen an den Hals wirft, welche ihrer nicht begehren: Vielmehr ist sie eine so spröde Schöne, daß selbst wer ihr alles opfert noch nicht ihrer Gunst gewiß sein darf.
*Arthur Schopenhauer
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Helene
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Beitrag12.08.2018 18:21

von Helene
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Hi d.Frank,

auch dir vielen Dank für deine Gedanken zu meinem Text. Ich lasse das mal geistig alles wirken und reifen und setze mich dann wieder ran an die Geduldsamkeit.
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Constantine
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Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag12.08.2018 20:00

von Constantine
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Helene hat Folgendes geschrieben:
Wie kommst du darauf, dass der Mann nicht viel erlebt hat? Er hat schließlich 7 Urenkelkinder, somit eigene Kinder und bei so einer großen Familie, kann man sich m. M. vorstellen das in dem Leben viel passiert ist. Laughing


Hallo, liebe Helene,

ich denke, da habe ich mich missverständlich ausgedrückt.
Ich bezog mich auf sein letztes Vorhaben, die erste Frucht eines selbst gepflanzten Obstbaumes zu ernten.
Dahingehend, u.a. hier:
Zitat:
[...]
Jeden Tag musste er mit seiner ungestillten Sehnsucht leben und diese, auf ungewisse Zeit, <-- auch Beispiele für dieses zu dick aufgetragen. Vor allem dieses "auf ungewisse Zeit", da musste ich daran denken, wenn der alte Mann noch diesen Auftrag hat und ihn erfüllen möchte, so ohne Vorplanung erscheint mir das sehr naiv für jemanden, von dem behauptet wird, er habe sein Leben gelebt und seine Seele könne zufrieden gehen. Dieser letzte Auftrag schient mir wichtig für ihn zu sein, er hat es versprochen, einen Baum aus dem Kern großzuziehen, und fragt nicht vorher oder informiert sich irgendwann vorher während seines Lebens, wie lange es ungefähr dauern könnte, bis aus einem (Apfel)-Baumsamen ein erste Früchte tragender Baum wird. Damit hätte der alte Mann mMn dieses "auf ungewisse Zeit" zeitlich etwas überschaubarer gestalten können, was seinen letzten Auftrag angeht. zurückstellen.
[...]

diese Dringlichkeit seiner letzten Aufgabe und seines Versprechens zu erfüllen, hätte er vorausplanender/vorausschauender sein können und sich informieren können, um die ungefähre Zeitspanne vom Pflanzen bis zur ersten Frucht einschätzen zu können, um diesem zu dick der "ungestillten Sehnsucht" und des "auf ungewisse Zeit" einen passenden Rahmen zu geben.

Freut mich, dass du meine Anmerkungen nachvollziehen konntest.

LG Constantine
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Helene
Geschlecht:weiblichWortedrechsler

Alter: 40
Beiträge: 51
Wohnort: Niedersachsen


Beitrag15.08.2018 18:12

von Helene
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Hallo Constantine,

ja, wenn man es so versteht, liest es sich tatsächlich ziemlich dick aufgetragen. Das werde ich unbedingt verständlicher schreiben. Denn eigentlich ist mit der Sehnsucht nicht das Sehnen nach der Frucht gemeint, sondern das wiedersehen mit seiner verstorbenen Frau, die ihm den Samen gab, damit ihr hinterbliebender etwas pflegen kann und eine Aufgabe hat nach ihrem Tod. In seiner Trauer tut er das natürlich und die ungestillte Sehnsucht und die ungewisse Zeit beziehen sich auf sein eigenes Ableben.

Ich danke dir, für diese Anmerkung. Ich pfeile weiter...
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