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Vierter Grad


 
 
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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

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Der silberne Roboter


Beitrag11.03.2018 13:11
Vierter Grad
von Christof Lais Sperl
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Vierter Grad

Sie waren mehrfach hineingekommen. Mal einzeln, mal zu dritt. Zweimal war es wegen des Brandmelders gewesen, der mit schmerzendem Lärm losgeheult hatte, ohne dass Feuer ausgebrochen war. Die anderen Male aber war Lysend selbst die Ursache, weil er immer wieder randaliert, und gegen die Tür gewütet hatte. Schließlich war er betrunken. Mehr als sonst. Nicht bloß ein paar Bier oder Gläser Wein. Sie hatten scharfen Alkohol getrunken, woran Lysend nicht gewöhnt war. Zum Schnaps hatten sie Joints geraucht und sogar Koks gezogen. Lysend hatte frische Luft gebraucht, die feuchte Kellerbude verlassen, und war allein hinaus in die Wärme gegangen. Später hatte er dann, wie dumm ihm das nun vorkam, Mädchen angesprochen, belästigt und verfolgt. Sie hatten die Polizei gerufen. Lysend war verhaftet worden, und musste mit auf die Wache.

Alkohol macht hemmungslos, Kokain verleiht Kräfte, und Gras betäubt. Deshalb hatte er mit dreifacher Willensstärke seinen starken Körper ein paar Mal bis zur Erschöpfung gegen die Tür geworfen. Am Schluss war der Polizeichef nebst zwei Bändigern in die Zelle gekommen. Sie hatten ihn an das Bett gefesselt.

Jetzt geht wieder der Brandmelder los. Die scharf schneidende Schnur des ohrenbetäubenden Alarmtones schlängelt durch die Luft, und sammelt sich als Knäuel über Lysend. Das Geheul verstummt so plötzlich, wie es gezündet hatte, mit einem Klick, der die folgende Abwesenheit von Lärm markiert. Er spürt, wie ihm die dünnen Kabelbinder in die Handgelenke schneiden. An den Unterschenkeln schmerzt es nicht, da die Jeans den Druck verteilt. Die linke Hand ist viel beweglicher als die rechte. Aber er kann sie nicht aus der Fessel lösen. Brennender Durst quält ihn. Er ruft nach Wasser. Die Tür öffnet sich, und einer der Polizisten tritt an seine Liege heran. „Da hast du dein Wasser“, sagt der Polizist, und schüttet ihm eine Flüssigkeit über den Körper, die sich nicht nass, sondern nur ungewöhnlich kalt anfühlt. Sie riecht angenehm frisch, rund und würzig. Lysend kennt den Geruch, ist aber nicht in der Lage, das Aroma mit seinen betäubten Erfahrungen in Einklang zu bringen. Schnell schwindet das Kühlende. Der Polizist hat die Zelle ohne ein weiteres Wort verlassen. Lysend hört das lang gezogene Knarzen des schweren Türschlosses.

Er war mehrfach durchsucht worden. Doch eine Sache haben sie wohl übersehen. Lysend kann sich nicht erinnern, etwas in der linken Hosentasche mit sich geführt zu haben. Er lässt den Jeansstoff mit den Fingern über dem unbekannten, glatten Ding hin und her gleiten. Das beruhigt ihn ein wenig. „Wie wäre es, wenn ich es mit dem Mittelfinger am Fußende nach und nach zum Taschenrand hochschiebe ?“, denkt er sich. „Ich könnte es abtasten, und mir vorzustellen versuchen, was es ist.“

Der Dienststellenleiter sitzt in seiner traurigen Bude, an deren unteren Wandhälften sich dunkelgrüne Lackfarbe vom Hellgrün der Oberseite absetzt. Im hellgrünen Bereich hängen Fahndungsplakate. Monitore. Ein paar Knöpfe, mit denen man Lichtanlage und Rauchmelder steuern kann.

„Ich muss den Doc noch anrufen“, denkt der Polizeichef. Er wählt die Nummer vom Krankenhaus. Wie immer läuft das Band mit.

„Doc, grüß dich. Mal wieder was ganz Feines hier. Was? Ja ja, wie  letztens. Wieder mal nen Bongobimbam. Ja, einen Namen hat der auch. Lüser irgendwas. Muss gleich nochma nachsehen. Drogen und was. Spackt  hier seit Stunden rum. Ich mein, wenn wir ihn wieder loslassen würden. Ham ihn aber erst mal flachgelegt. Der geht uns sonst doch nur auf den Zeiger. Einer von meinen Leuten rennt dauernd nur wegen dem in den Keller runter. Was? Ja klar, Liege. Den müsste man mal ruhig spritzen. Am besten so nen Elefantenpfeil aus dem Betäubungsgewehr, wie in den Tiersendungen über Bimboland, haha. Komm mal vorbei, Doc, dann kannste mal wieder ein bisschen pieksen üben. Aber ob du bei dem Kohlenkasten die Venen findest, weiß ich nicht. Alles dunkel wie zehn Neger in der Nacht. Was? Viel los? Morgen früh erst? Nee, Tabletten nimmt der nich. Egal, ist ja eh gefesselt, komm morgen früh, vielleicht hat er sich bis dahin wieder beruhigt.“

Der Chef legt zufrieden auf. „Morgen früh kommt der Doc vorbei. Der kann den Bakterienträger ein bisschen ruhig spritzen,“ denkt er sich. Um weiteren Störungen zu entgehen, schaltet der Chef  Bildschirme, Lautsprecher und die Rauchmelder aus.

Lysend hat jetzt das Ding aus der Tasche befördert. Es ist überwiegend glatt, an der Längsseite spürt er Rillen, und an einer Schmalseite ein geriffeltes Rädchen. Es ist nicht schwer, und fühlt sich warm an. Lysend dreht am Rädchen, das ein kratzendes Geräusch von sich gibt. Er kann mit dem Rädchen auf der Matratze hin- und herfahren. In die eine Richtung dreht es sich, auf dem Rückweg aber kratzt es nur über die Kunststoffummantelung. Aber wenn er es seitlich verschiebt, verhakt es sich mit der Auflage. Lysend schiebt es von links nach rechts und zurück. Das Kratzgeräusch verändert sich mit dem Widerstand gegen die Bewegung der linken Hand. Nun hat sich schon ein Loch gebildet. Etwas Watteartiges und feuchtes quillt aus dem Loch hervor, soviel kann Lysend erspüren. Im oberen Stockwerk wird ein Wasserhahn aufgedreht. Er fühlt, wie sich der Durst zurückmeldet. Nun hat er schon ein ganzes Büschel von der Füllung aus dem Loch herausgezerrt. Er hebt seinen Kopf, kann aber seine Hand nicht sehen, die in Höhe der Hüfte fixiert ist. Der Brustkorb verhindert die Sicht. Hebt er den Kopf noch weiter an, drückt sein Kinn aufs Schlüsselbein. Jetzt dreht er wieder  am Rädchen. Ein Gefühl starker Hitze entsteht am Zeigefinger. Doch er hat sich wohl nur getäuscht, etwas Metallisches an dem Ding leitet die Hitze wieder weg. Der Deckel vom Guckloch in der Tür wird für ein, zwei Sekunden zur Seite geschoben. Lysend hat das Gefühl, als würde sich seine Liege drehen. Bevor ihm übel wird, hat ihn ein kurzer Koksschub wieder klar gemacht. Eigentlich, denkt er, müssten sie mich doch bald, doch bevor sich der Gedanke zu Ende gesprochen hat, zieht ihn ein Absacker nach unten. Gut, dass wenigstens noch ein wenig Gras im Kopf zu spüren ist, denkt es sich in Lysend. Da fühlt sich der Comedown nicht zu schlimm an. Nun dreht er wieder am Rädchen. Was soll er sonst tun? Brüllen lohnt sich nicht. Es hilft sowieso niemand, und die Stimme ist schon schwach und heiser geworden.

Nun schwirrt ein spitzer Schmerz über seinen Zeigefinger. Er will die Hand zurückziehen, doch die Fessel hält die Bewegung an. Er ballt die Finger zur Faust, um der Hitze zu entgehen. Etwas klackert auf den Fußboden, das Ding aus seiner Tasche ist wohl nach unten gefallen. Rauch steigt auf, und sofort füllt sich der Raum mit beißendem Gestank. Lysends Hand brennt. Er ruft nach Hilfe. Doch bei jedem Atemzug gerät etwas vom Rauch in seine Lungen. Lysend brüllt hustend, dreht den Kopf ganz nach rechts, um bessere Luft zu atmen. An der Seitenwand flackert die orangefarbene Reflexion des Feuerscheins. Lysend sammelt alle Kräfte und schiebt sich ein paar Zentimeter in Richtung Fußende, um mit den angewinkelten Beinen und der Kraft des Oberkörpers die Fußfesseln zu zerreißen. Nun packt ihn der Schmerz auch an der rechten Seite, wo  seine Hand in den brennenden Schlamm der flüssig gewordenen Matratzenhülle sinkt. Wie eine Lawine schiebt sich das Feuer über seinen gesamten Körper. Lysend will mit letzter Kraft noch einmal rufen, doch dazu wird er nicht mehr kommen, da sich die Hitze der eingeatmeten Luft wie kochendes Wasser in die Luftröhre ergießt. Lysends Sinne schwinden. Das Feuer läßt Lysends Kleidung schmelzen, die als abbrennende Flüssigkeit in seine Haut dringt. Sein Haar geht blitzschnell in Rauch auf.
In den Orbitae beginnen die Augen zu kochen um sogleich zu zerplatzen. Das Feuer hat die Plastikfesseln verbrannt. Nun heben sich Lysends Arme in die Fechterstellung. Vom Kopfende aus betrachtet sieht es aus, als würde die verkohlende Leiche den Himmel begrüßen.

Tschernienko hat den Geruch als erster bemerkt, und die Zellentür zu öffnen versucht. Dabei hat er sich an der Klinke die Hand verbrannt. Mit einem Handtuch vom Waschraum bewehrt hat er ein paar Sekunden später den Schlüssel gedreht, und die Klinke heruntergedrückt. Eine
sengende Walze aus Rauch, Gas und Hitzestrahlung hat sich gegen ihn geworfen, weshalb er die Tür nicht wieder schließen konnte. Nur den Lysend hat er im Feuer ausmachen können, der ihm mit bedrohlich erhobenen Armen und gefletschten Zähnen ohne Lippen entgegengrinste. Tschernienko ist sofort zum Dienststellenleiter hoch, atemlos:

„Chef, der Bimbo hat alles abgefackelt! Ich kann nicht in die Zelle rein.“

Der Chef gibt Feueralarm und geht mit Tschernienko die Treppe hinab, nimmt den Feuerlöscher von der Wand, zieht die Sicherung, und hält auf die Tür. Sie halten es nicht lange im Rauch aus, und flüchten nach oben, um die Ankunft der Feuerwehr abzuwarten.

Sie haben dann alles professionell und vorschriftsmäßig abgelöscht. Lysend konnte keiner mehr helfen. Der sah aus, wie geteert und gefedert. Ein verkohlter Baumstamm mit zwei krummen Ästen, in einer Winterlandschaft aus Löschschaum. Der Doc konnte „nur noch den Tod feststellen“, wie man in solchen Fällen sagt. Sie mussten Fotos von Lysends Resten und der Zelle für die Untersuchungsakten machen.

Ein paar Mal haben sie noch Untersuchungen eingeleitet. Die Verfahren wurden allesamt eingestellt.



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Lais
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Justadreamer
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Beitrag11.03.2018 23:23

von Justadreamer
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Hallo Christof,

da ich nicht genau weiß, auf was zu bei einem Feedback Wert legst, mach ich mal das, was mir in den Sinn kommt smile

Zitat:
Sie waren mehrfach hineingekommen. Mal einzeln, mal zu dritt. Zweimal war es wegen des Brandmelders gewesen, der mit schmerzendem Lärm losgeheult hatte, ohne dass Feuer ausgebrochen war. Die anderen Male aber war Lysend selbst die Ursache, weil er immer wieder randalierte, kein Komma und gegen die Tür gewütet Gegen eine Tür schlagen passt vielleicht besser hatte. Schließlich war er betrunken. Mehr als sonst. Nicht bloß ein paar Bier oder Gläser Wein. Sie hatten scharfen Alkohol getrunken, woran Lysend nicht gewöhnt war. Zum Schnaps hatten sie Joints geraucht und sogar Koks gezogen. Ich weiß leider nicht so genau, was mir diese Informationen geben - sie sind etwas ohne Kontext und kommen uneingebunden in eine Handlung daher. Lysend hatte frische Luft gebraucht, die feuchte Kellerbude verlassen, und war allein hinaus in die Wärme gegangen. Später hatte er dann, wie dumm ihm das nun vorkam, Mädchen angesprochen, belästigt und verfolgt. Sie hatten die Polizei gerufen. Lysend war verhaftet worden, und musste mit auf die Wache.

Dieser Absatz endet damit, dass er auf der Wache landet. Eine mögliche Idee wäre es, Lysends Charakter schleierhaft wirken zu lassen - er sitzt in seiner Zelle, Beschreibungen lassen nur vermuten, was er in den letzten Stunden getan hatte.  Wenn das nicht in deinem Sinn ist, müsstest du sein Umfeld genauer beschreiben. Viele Ortswechsel verkraftet eine Kurzgeschichte nur selten smile

Alkohol macht hemmungslos, Kokain verleiht Kräfte, und Gras betäubt. Das ist Meinung, allseits bekannt, wirkt etwas klischéehaft Deshalb hatte er mit dreifacher Willensstärke seinen starken Körper ein paar Mal bis zur Erschöpfung Versuche, eine geeignetere Formulierung zu finden. Ein paar (wenige) Male  - zur Erschöpfung klingt gleichzeitig halbherzig und brachial gegen die Tür geworfen. Am Schluss war der Polizeichef nebst zwei Bändigern in die Zelle gekommen. Sie hatten ihn an das Bett gefesselt.

Jetzt geht wieder der Brandmelder los. Die scharf schneidende Schnur des ohrenbetäubenden Alarmtones schlängelt durch die Luft, und sammelt sich als Knäuel über Lysend. Dieses Konglomerat an Adjektiven hat einen künstlerischen Anspruch und ist zwar nicht sehr durchsichtig, aber es gefällt  mir
Das Geheul verstummt so plötzlich, wie es gezündet hatte, mit einem Klick, der die folgende Abwesenheit von Lärm markiert. Er spürt, wie ihm die dünnen Kabelbinder in die Handgelenke schneiden. An den Unterschenkeln schmerzt es nicht, da die Jeans den Druck verteilt. Die linke Hand ist viel beweglicher als die rechte. Aber er kann sie nicht aus der Fessel lösen. Brennender Durst quält ihn. Er ruft nach Wasser. Die Tür öffnet sich, und einer der Polizisten tritt an seine Liege heran. „Da hast du dein Wasser“, sagt der Polizist, und schüttet ihm eine Flüssigkeit über den Körper, die sich nicht nass, sondern nur ungewöhnlich kalt anfühlt. Sie riecht angenehm frisch, rund und würzig. Lysend kennt den Geruch, ist aber nicht in der Lage, das Aroma mit seinen betäubten Erfahrungen in Einklang zu bringen. Schnell schwindet das Kühlende. Der Polizist hat die Zelle ohne ein weiteres Wort verlassen. Lysend hört das lang gezogene Knarzen des schweren Türschlosses.

Du wechselst hier teilweise ins Präsens. Bleibe bei einer Zeitform! Insgesamt wird man aus dem Absatz leider nicht schlau, es wirkt leider etwas steif.

Er war mehrfach durchsucht worden. Doch eine Sache haben sie wohl übersehen. Lysend kann sich nicht erinnern, etwas in der linken Hosentasche mit sich geführt zu haben. Er lässt den Jeansstoff mit den Fingern über dem unbekannten, glatten Ding hin und her gleiten. Das beruhigt ihn ein wenig. „Wie wäre es, wenn ich es mit dem Mittelfinger am Fußende nach und nach zum Taschenrand hochschiebe ?“, denkt er sich. „Ich könnte es abtasten, und mir vorzustellen versuchen Eine Formulierung, die ich ausgewählt habe, um darauf hinzuweisen, dass du bei der Satzstellung aufpasssen musst, nicht zu sehr in die "konzeptionelle Mündlichkeit" abzurutschen. Es wäre nicht weiter schlimm, wenn es eine künstlerische mündliche Aussage wäre, hier wird allerdings nur ungünstige Satzstellung aus dem mündlichen kopiert - durch mehrmaliges Lesen kann man solche Stellen erkennen, was es ist.“



Der Dienststellenleiter sitzt in seiner traurigen Bude, an deren unteren Wandhälften sich dunkelgrüne Lackfarbe vom Hellgrün der Oberseite absetzt. Im hellgrünen Bereich hängen Fahndungsplakate. Monitore. Ein paar Knöpfe, mit denen man Lichtanlage und Rauchmelder steuern kann.

Jetzt kommt ein Perspektivenwechsel - für mich wirkt es wie eine neue Geschichte. Wenn du eine Kurzgeschichte schreibst, musst du dich entscheiden!

„Ich muss den Doc noch anrufen“, denkt der Polizeichef. Er wählt die Nummer vom Krankenhaus. Wie immer läuft das Band mit.


„Doc, grüß dich. Mal wieder was ganz Feines hier. Was? Ja ja, wie letztens. Wieder mal nen Bongobimbam. Ja, einen Namen hat der auch. Lüser irgendwas. Muss gleich nochma nachsehen. Drogen und was. Spackt hier seit Stunden rum. Ich mein, wenn wir ihn wieder loslassen würden. Ham ihn aber erst mal flachgelegt. Der geht uns sonst doch nur auf den Zeiger. Einer von meinen Leuten rennt dauernd nur wegen dem in den Keller runter. Was? Ja klar, Liege. Den müsste man mal ruhig spritzen. Am besten so nen Elefantenpfeil aus dem Betäubungsgewehr, wie in den Tiersendungen über Bimboland, haha. Komm mal vorbei, Doc, dann kannste mal wieder ein bisschen pieksen üben. Aber ob du bei dem Kohlenkasten die Venen findest, weiß ich nicht. Alles dunkel wie zehn Neger in der Nacht. Was? Viel los? Morgen früh erst? Nee, Tabletten nimmt der nich. Egal, ist ja eh gefesselt, komm morgen früh, vielleicht hat er sich bis dahin wieder beruhigt.“
Ab hier wird es leider klar, dass diese Geschichte schwer mit konstruktiver Kritik zu würdigen ist. Versuche, weniger Klischées zu verarbeiten.


Nachdem ich die Geschichte zu Ende gelesen habe, ein paar taktische Dinge:

1: Versuche, Themen zu bearbeiten, die etwas mehr Tiefgang besitzen. Hier werden zwei Personengruppen mit oft benutzten Worten schlecht gemacht und der Schluss gibt nicht viel her, um sich weiter Gedanken zu machen.

2: Verwende pfiffige Beschreibungen, lass in einer Kurzgeschichte die Zeit und die Perspektive nicht wechseln.

Ich weiß, dass die Themen "Neger" und Polizistenhass scheinbar viel hergeben, aber das Leben hat viele, viele andere Dinge zu bieten. Es tut dir sicher gut, wenn du deinen Blick auf diese Dinge richtest, denn zu viel Beschäftigung mit, salopp formuliert, stammtischpolitischen Geschehnissen verderben die Lust am Leben.

Zuerst eine kleine Hinwendung zu selbst erdachten Themen, neue Energie zum Schreiben und dann kann man von Autor zu Autor Tipps geben !

Viel Erfolg
Tobid
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Christof Lais Sperl
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Der silberne Roboter


Beitrag12.03.2018 06:34
Gute Kritik
von Christof Lais Sperl
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Danke! Sehr fundierte Stellungnahme. LG CLS

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Lais
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BlueNote
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Beitrag12.03.2018 08:51

von BlueNote
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Guten Morgen Christof!

Die Zutaten dieser Geschichte sind zwar nicht schlecht: Kriminalistik, das Setting und Milieu, die Wahrnehmung der eigenen Verbrennung und letztendlich des eigenen Todes durch den Drogenschleier hindurch. Die Sinne schwinden, beschreibt der personale Erzähler (oder wer auch immer) lapidar seine Situation. Danach (nach dem Ableben) wechselt die Perspektive zwangsläufig. Sie ist dann neutral, oder auktorial ... oder eben anders.

Irgendetwas will der Text vermutlich in uns auslösen, aber durch den schwachen Schluss zuckt man nur mit den Schultern und erinnert sich lediglich an das, was optisch wie in einem Film gezeigt wurde. Hauptsächlich die verbrannte Leiche mit der entsprechenden Armhaltung.
Wie gesagt, die Zutaten sind nicht schlecht, aber das Süppchen erscheint mir dann doch etwas zu schnell angerührt worden zu sein. Was will die Geschichte? Mir lediglich eine Leiche zeigen (vorführen). Mir zeigen, wie Augen kochen und dann platzen - aus der Sicht dessen, dem die Augen platzen?

Ich frage mich: Ist vom Leser der Kontext selbst herzustellen? Ist er überhaupt wichtig? Handelt es sich um ein sowjetisches Gefängnis? Welcher Strafvollzug/welche Justiz wird hier angeklagt? Geht es mehr um eine Aussage oder mehr um die Optik?

Zu Beginn ist mir die häufige Verwendung von hatte und war aufgefallen, dann die Verwendung der Vorvergangenheit und der Gegenwart. Na ja, du wirst dir schon etwas dabei gedacht haben.

Die Geschichte wagt einiges, z.B. die ungewöhnlichen Zeiten, der Protagonist, der seinen eigenen Tod wahrnimmt etc., um dann doch nur einen ganz gewöhnlichen Film vor unserem geistigen Auge ablaufen zu lassen mit Motiven, die in der heutigen Zeit, in der man filmisch alles an Brutalität schon irgendwie gesehen hat, dann doch noch mit einem spektakulären Leichenbild beeindrucken zu wollen?

Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass das schon alles ist.

BN
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Rainer Zufall
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Alter: 70
Beiträge: 801

Pokapro und Lezepo 2014


Beitrag12.03.2018 10:45

von Rainer Zufall
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Will nur einen Gedanken da lassen.

Nee, das passiert nicht in sowjetischen Gefängnissen, sondern in einem deutschen. Denn dein Text, Christoph, scheint auf einen Fall anzuspielen, der tatsächlich passiert ist. Oury Jalloh, der in einer Gefängniszelle verbrannte.

Ich verlinke mal zu dem Wikipedia-Artikel:
https://de.wikipedia.org/wiki/Oury_Jalloh
Damit ihr euch ein Bild machen könnt.

Ein grausiges und empörendes Geschehen auf mehreren Ebenen. Und ... ja klar, so, wie du es beschreibst, könnte es sich tatsächlich abgespielt haben, aber da passiert jetzt das Eigenartige: So, aufbereitet als Geschichte, ist es mir zu plakativ. Und so wird es dir auch keine Sau abnehmen, obwohl es Wahrheit sein könnte. Ich find das grad echt irre.
Als Kommentatorin komme ich da grad in ein ziemliches Dilemma. Was rät man denn jemandem, der so eine Geschichte aufs Korn nimmt? Der, was ich genau passend und richtig finde, den rassistischen Background aufs Korn nimmt. Mir fällt da eigentlich nur ein, eher sich inhaltlich und stilistisch an den Stil von Ferdinand von schirach zu halten. Ist jetzt aber auch ein ziemlich spontaner Erstgedanke. Und das muss nicht immer stimmen.
Also mehr mag ich da jetzt einfach nicht schreiben, weil ich mich grad echt komisch fühle. Muss mal meine Gedanken sortieren.

Bis die tage
Zufall

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BlueNote
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Beitrag12.03.2018 11:51

von BlueNote
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Zitat:

Nee, das passiert nicht in sowjetischen Gefängnissen, sondern in einem deutschen. Denn dein Text, Christoph, scheint auf einen Fall anzuspielen, der tatsächlich passiert ist. Oury Jalloh, der in einer Gefängniszelle verbrannte.

Ob dann die Art des (halbfiktiven?) Textes die richtige Form der Auseinandersetzung mit diesem Thema ist? Somit ist das einzige Ziel des Textes also, Entrüstung beim Leser zu erzeugen, ohne dabei die juristischen Fakten genauer zu beleuchten?
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Justadreamer
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Beitrag12.03.2018 13:37

von Justadreamer
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Ich finde, wenn es auf diesen realen Fall anspielt, macht es diese Geschichte auf jeden Fall schon einmal beachtenswert. Vielleicht wäre durch einen kurzer Hinweis (vielleicht durch einen "newsflash") dann auch für unwissende Leser dieser Bezug hergestellt.

Es wäre wahrscheinlich hilfreich, wenn du erklärst, Christof, warum du gerade diesen Stil gewählt hast!  Dass die Aussagen der Polizisten plump wirken und in Klischées spielen, wäre somit teilweise legitimiert. Trotzdem verbleibt der Stil irgendwie auf einem Niveau mit den Charakteren.

Auch an den anderen Kommentaren merkt man, dass es einem Leser schwer fällt, etwas aus der Geschichte zu ziehen. Falls du nur auf die Thematik aufmerksam machen willst, musst du womöglich auf den konkreten Fall hinweisen und mit den erdachten Teilen der Geschichte etwas sparsamer sein. Wenn du einen moralischen Anstoß geben willst, fehlt am Schluss ein Ansatz ethischer Perspektive.

Auf jeden Fall wäre ein es sinnvoll, etwas mehr von deinen Gedanken zu kennen Wink

Viele Grüße
Tobid
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Willebroer
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Beitrag12.03.2018 14:10

von Willebroer
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BlueNote hat Folgendes geschrieben:

Ob dann die Art des (halbfiktiven?) Textes die richtige Form der Auseinandersetzung mit diesem Thema ist? Somit ist das einzige Ziel des Textes also, Entrüstung beim Leser zu erzeugen, ohne dabei die juristischen Fakten genauer zu beleuchten?


Doch, das IST die richtige Form! "Literatur kann veranschaulichen", hat Walter Jens mal gesagt.

Juristische Fakten? Was soll das sein?

Und wenn der Text Entrüstung erzeugt, dann hat er mehr erreicht als mancher andere.
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PhilipS
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Beiträge: 109



Beitrag12.03.2018 14:30

von PhilipS
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Hallo Christof,

Deinen Versuch, einen Fall wie den Oury Jallohs aus Sich des Todesopfers zu beschreiben, finde ich mutig und ambitioniert. Der Alltagsrassismus der Beamten kommt gut durch, kippt aber an ein paar Stellen in den Gebrauch stereotyper Bezeichnungen. Das ist ein wenig schade. BlueNote hat recht, dass der Schluss ein wenig unspektakulär gerät, aber gerade da sehe ich Potential: der nüchterne, offizielle Ton über eingestellte Verfahren könnte das empörende an diesem Fall betonen, aber dafür müsste der Feuertod mit seinen Qualen eindringlicher beschrieben werden.

Dein Erzähltempus ist das Präsens. Damit wird das Präteritum zum Tempus der Vorzeitigkeit. Du wechselst aber bei der Schilderung vorzeitiger Ereignisse zwischen Präteritum und Plusquamperfekt. Das wirkt verwirrend.

Ein paar Anmerkungen zu konkreten Textstellen:

Zitat:
Die scharf schneidende Schnur des ohrenbetäubenden Alarmtones
schlängelt durch die Luft,
Gelungenes Bild! Einziger Verbesserungsvorschlag: "schlängelt sich durch die Luft".

Zitat:
wie es gezündet hatte,
Finde ich hier unpassend. Warum nicht einfach "begonnen"?

Zitat:
Jeansstoff mit den Fingern über dem unbekannten,
Ich kann zwar nicht genau erklären, warum, aber mir scheint, es müsste heißen "über das unbekannte Ding gleiten".

Zitat:
die sich nicht nass, sondern nur ungewöhnlich kalt anfühlt.

Ein Afrodeutscher in einer Zelle wird mit einer Flüssigkeit bespritzt, die vermutlich kein Wasser ist? Hört sich übel an. Aber zu sagen, dass es sich nicht nass anfühlt, klingt merkwürdig.

Zitat:
mal ruhig spritzen.
Würde ich zusammen schreiben, sonst klingt "ruhig" wie ein Füllwort. So wie in "Du kannst mir ruhig sagen, wenn Dir das Essen nicht schmeckt".

Dass Du die Gedanken der Figuren in wörtlicher Rede mit ausformulierten Sätzen darstellst, ist ein bisschen merkwürdig. Gerade von jemandem, der von verschiedenen Substanzen beeinflusst ist, würde man dieses Maß an Klarheit nicht erwarten.

Ich finde, Du hast eine solide Grundlage mit diesem Text geschaffen, die aber noch der Überarbeitung bedarf.


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Christof Lais Sperl
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Der silberne Roboter


Beitrag12.03.2018 18:31
Klasse
von Christof Lais Sperl
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Liebe Leute, tolle Kritiken. Mit so viel Beachtung hätte ich gar nicht gerechnet. Ja, das spielt an auf Jalloh. Ich werde weiter daran arbeiten. Aus Zeitmangel komme ich leider nur sonntags zum schreiben. Ich habe die Skizze sehr schnell verfasst. Offensichtlich besteht aber Interesse an engagierten Texten. Das ist schön. VlG CLS

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Lais
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Selanna
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Beitrag12.03.2018 20:51

von Selanna
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Hallo Christof,

ich musste sofort an den besagten realen Vorfall denken und war verwundert, wie lange es in den Rezensionen dauerte, bis ihn jemand benannte.

Ein paar Erbsen vorab: Lysend (ohne den Namen je gehört zu haben) assoziiere ich mit einem Skandinavier. Damit kannst Du jetzt anfangen, was Du willst Laughing

Zitat:
Schließlich war er betrunken. Mehr als sonst. Nicht bloß ein paar Bier oder Gläser Wein.

Sehr kurze Sätze. Absicht?

Zitat:
Später hatte er dann, wie dumm ihm das nun vorkam, Mädchen angesprochen,

Ich bin mir nicht sicher, ob hier eine Rückblende passt. Wann ist das „nun“, von dem er zurückblickt?

Zitat:
deshalb hatte er mit dreifacher Willensstärke seinen starken Körper ein paar Mal bis zur Erschöpfung gegen die Tür geworfen.

In diesem Satz hast Du einen anderen Rhythmus durch die Wortgruppierungen in den Satzteilen: Mit dreifacher Willensstärke - seinen starken Körper - ein paar Mal – gegen die Tür – verstehst Du, was ich meine? Ich kann es nicht besser formulieren.

Zitat:
Er spürt, wie ihm die dünnen Kabelbinder in die Handgelenke schneiden. An den Unterschenkeln schmerzt es nicht, da die Jeans den Druck verteilt. Die linke Hand ist viel beweglicher als die rechte. Aber er kann sie nicht aus der Fessel lösen. Brennender Durst quält ihn.

Gut hineinversetzt
.
Zitat:
„Wie wäre es, wenn ich es mit dem Mittelfinger am Fußende nach und nach zum Taschenrand hochschiebe ?“, denkt er sich. „Ich könnte es abtasten, und mir vorzustellen versuchen, was es ist.“

Diesen Gedanken als wörtliche Rede einzubauen, gefällt mir nicht. Ich fände indirekte Rede schöner, ohne es objektiv begründen zu können. Vllt weil Du damit nicht den distanziert berichtenden Stil verlässt?

Zitat:
der Dienststellenleiter sitzt in seiner traurigen würde ich nicht werten, das kann man sich nach der Beschreibung, die folgt, denken Bude,


Zitat:
„Ich muss den Doc noch anrufen“, denkt der Polizeichef.

s.o.

Zitat:
„Chef, der Bimbo hat alles abgefackelt! Ich kann nicht in die Zelle rein.“

Den Satz finde ich besonders ausdrucksstark, weil man erkennt, wie der Polizist die Lage interpretiert. Es geht nicht um einen Menschen in einem brennenden Raum, der Hilfe braucht, sondern es geht um den Raum, man stelle sich das vor, den ein Mensch zerstört hat, wie es dem Menschen geht, ist keiner Erwähnung wert.

Zitat:
Tschernienko

Warum gibst Du ihm einen Namen? Alle außer Lysend sind Chef oder Doc, warum ist Tschernienko nicht einfach Wachtmeister oder Ähnliches?
 
Ich habe die Posts vor mir überflogen, und ich glaube, ich teile fast keinen der Kritikpunkte. Die Geschichte ist nicht angenehm zu lesen, weil sie sich um eine erschreckende Realität dreht, aber gerade das sollte man doch Literatur nicht vorwerfen (Du hast momentan wohl so eine Phase mit aktuellen Geschichten?). Auch an Deiner Wortwahl und generellem Stil habe ich nichts auszusetzen.
Dass das Ende schwach ist und man nur den Kopf schütteln kann, liegt ja nicht an Dir, sondern an der Realität.

Tatsächlich (und das schrieben ja schon einige vor mir) könntest Du, wenn du Lust hast, an der Perspektive arbeiten. Sie ist auktorial, aber könnte noch eine Spur distanzierter sein.

Liebe Grüße
Selanna


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Nur ein mittelmäßiger Mensch ist immer in Hochform. - William Somerset Maugham
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Christof Lais Sperl
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Der silberne Roboter


Beitrag13.03.2018 06:42
Selanna
von Christof Lais Sperl
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Danke für deine wertvollen Tipps. Ich  habe  mich tatsächlich mit der Häufigkeit Sierra-Leonischer Vornamen beschäftigt. Lysend kam da als einer der ersten. Very Happy Alle anderen Punkte werde ich überarbeiten! Ansonsten habe ich es momentan wirklich mir Aktuellem.  Danke, vlg, C

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BlueNote
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Beitrag13.03.2018 09:24

von BlueNote
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Was du vor allem überarbeiten musst, ist der Schluss:
Sie haben dann alles professionell und vorschriftsmäßig abgelöscht. ... Sie mussten Fotos von Lysends Resten und der Zelle für die Untersuchungsakten machen.

Ein paar Mal haben sie noch Untersuchungen eingeleitet.

Dieser Übersprung vom Personal (im Strafvollzug) zur Justiz zum Schluss machen deine Geschichte meiner Meinung nach unseriös und trivial. Es vermischt sich alles in diesem "sie". Sie dort liegen falsch, wir, die emotional Entrüsteten, liegen richtig. Nur dass die Fronten alles andere als klar sind (wer genau sind "sie"?)!

Nein! Wenn allgemeine Vorwürfe gegen die Justiz, dann bitte konkreter. Zumindest im Schlusssatz. Hier würde es sich anbieten, auf das konkrete Ereignis hinzuweisen und welche Aussage du damit tatsächlich verbinden willst - und nicht nur vage etwas andeuten mit irgendwelchen (unausgesprochenen) Wischiwaschi Aussagen.
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Christof Lais Sperl
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Beitrag14.03.2018 09:07
Vierter Grad 2.0
von Christof Lais Sperl
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Liebe Kritikerinnen und Kritiker, ich habe eure Vorschläge beherzigt, und den Text mit seinen Schnitzern überarbeitet. Es gibt ja zwei Fraktionen. Die eine sagt: "So nicht", die andere aber "genau so".
Und: ich habe den Text lapidar geschrieben, weil er lapidar klingen soll.


Vierter Grad

Sie waren mehrfach hineingekommen. Mal einzeln, mal zu dritt. Zweimal war es wegen des Brandmelders gewesen, der mit schmerzendem Lärm losgeheult hatte, ohne dass Feuer ausgebrochen war. Die anderen Male aber war Lysend selbst die Ursache, weil er immer wieder randaliert, und wütend gegen die Tür geschlagen hatte.

Er war betrunken. Mehr als sonst. Nicht bloß ein paar Bier oder Gläser Wein. Es war scharfer Alkohol, an den Lysend nicht gewöhnt war. Zum Schnaps hatten sie Joints geraucht und sogar Koks gezogen. Lysend hatte frische Luft gebraucht, die feuchte Kellerbude verlassen, und war allein hinaus in die Wärme gegangen. Später hatte er dann, wie dumm ihm das nun vorkam, Mädchen angesprochen, belästigt und verfolgt. Sie hatten die Polizei gerufen. Lysend war verhaftet worden, und war auf die Wache gebracht worden.

In seiner schweren Betäubung hatte er mit dreifacher Willensstärke seinen starken Körper ein paar Mal gegen die Tür geworfen. Am Schluss war der Polizeichef nebst zwei Bändigern in die Zelle gekommen. Sie hatten ihn an das Bett gefesselt.

Jetzt ist wieder der Brandmelder losgegangen. Die scharf schneidende Schnur des ohrenbetäubenden Alarmtones schlängelt sich durch die Luft, und sammelt bildet Knäuel über Lysend. Das Geheul verstummt so plötzlich, wie es begonnen hatte, mit einem Klick, der die folgende Abwesenheit von Lärm markiert. Er spürt, wie ihm die dünnen Kabelbinder in die Handgelenke schneiden. An den Unterschenkeln schmerzt es nicht, da die Jeans den Druck verteilt. Die linke Hand ist viel beweglicher als die rechte. Aber er kann sie nicht aus der Fessel lösen. Brennender Durst quält ihn. Er ruft nach Wasser. Die Tür öffnet sich, und einer der Polizisten tritt an seine Liege heran. „Da hast du dein Wasser“, sagt der Polizist, und schüttet ihm eine Flüssigkeit über den Körper, die sich nicht nass wie Wasser, sondern nur ungewöhnlich kalt anfühlt. Sie riecht angenehm frisch, rund und würzig. Lysend kennt den Geruch, ist aber nicht in der Lage, das Aroma mit seinen verschwommenen Erfahrungen in Einklang zu bringen. Schnell schwindet das Kühlende. Der Polizist hat die Zelle ohne ein weiteres Wort verlassen. Lysend hört das lang gezogene Knarzen des schweren Türschlosses.

Er war mehrfach durchsucht worden. Doch eine Sache haben sie wohl übersehen. Lysend kann sich nicht erinnern, etwas in der linken Hosentasche mit sich geführt zu haben. Er lässt den Jeansstoff mit den Fingern über dem unbekannten, glatten Ding hin und her gleiten. Das beruhigt ihn ein wenig. Wie wäre es, das Ding mit dem Mittelfinger am Fußende nach und nach zum Taschenrand hochzuschieben? Dann  könnte man es abtasten, und herausbekommen, was es ist.

Ein Stockwerk weiter oben sitzt der Dienststellenleiter in seiner Bude, an deren unteren Wandhälften sich dunkelgrüne Lackfarbe vom Hellgrün der Oberseite absetzt. Im hellgrünen Bereich hängen Fahndungsplakate. Monitore. Ein paar Knöpfe, mit denen man Lichtanlage und Rauchmelder steuern kann.

Den Doc anrufen, denkt der Polizeichef. Er wählt die Nummer vom Krankenhaus. Wie immer läuft das Band mit.

„Doc, grüß dich. Mal wieder was ganz Feines hier. Was? Ja ja, wie  letztens. Wieder mal nen Bongobimbam. Ja, einen Namen hat der auch. Lüser irgendwas. Muss gleich nochma nachsehen. Drogen und was. Spackt  hier seit Stunden rum. Ich mein, wenn wir ihn wieder loslassen würden. Ham ihn aber erst mal flachgelegt. Der geht uns sonst doch nur auf den Zeiger. Einer von meinen Leuten rennt dauernd nur wegen dem in den Keller runter. Was? Ja klar, Liege. Den müsste man mal ruhig spritzen. Am besten so nen Elefantenpfeil aus dem Betäubungsgewehr, wie in den Tiersendungen über Bimboland, haha. Komm mal vorbei, Doc, dann kannste mal wieder ein bisschen pieksen üben. Aber ob du bei dem Kohlenkasten die Venen findest, weiß ich nicht. Alles dunkel wie zehn Neger in der Nacht. Was? Viel los? Morgen früh erst? Nee, Tabletten nimmt der nich. Egal, ist ja eh gefesselt, komm morgen früh, vielleicht hat er sich bis dahin wieder beruhigt.“

Der Chef legt zufrieden auf. Morgen früh kommt der Doc vorbei. Der kann den Bakterienträger ein bisschen ruhigspritzen, denkt er sich. Um weiteren Störungen zu entgehen, schaltet der Chef  Bildschirme, Lautsprecher und die Rauchmelder aus.

Lysend hat jetzt das Ding aus der Tasche befördert. Es ist überwiegend glatt, an der Längsseite spürt er Rillen, und an einer Schmalseite ein geriffeltes Rädchen. Es ist nicht schwer, und fühlt sich warm an. Lysend dreht am Rädchen, das ein kratzendes Geräusch von sich gibt. Er kann mit dem Rädchen auf der Matratze hin- und herfahren. In die eine Richtung dreht es sich, auf dem Rückweg aber kratzt es nur über die Kunststoffummantelung. Aber wenn er es seitlich verschiebt, verhakt es sich mit der Auflage. Lysend schiebt es von links nach rechts und zurück. Das Kratzgeräusch verändert sich mit dem Widerstand gegen die Bewegung der linken Hand. Nun hat sich schon ein Loch gebildet. Etwas Watteartiges und feuchtes quillt aus dem Loch hervor, soviel kann Lysend erspüren. Im oberen Stockwerk wird ein Wasserhahn aufgedreht. Er fühlt, wie sich der Durst zurückmeldet. Nun hat er schon ein ganzes Büschel von der Füllung aus dem Loch herausgezerrt. Er hebt seinen Kopf, kann aber seine Hand nicht sehen, die in Höhe der Hüfte fixiert ist. Der Brustkorb verhindert die Sicht. Hebt er den Kopf noch weiter an, drückt sein Kinn aufs Schlüsselbein. Jetzt dreht er wieder  am Rädchen. Ein Gefühl starker Hitze entsteht am Zeigefinger. Doch er hat sich wohl nur getäuscht, etwas Metallisches an dem Ding leitet die Hitze wieder weg. Der Deckel vom Guckloch in der Tür wird für ein, zwei Sekunden zur Seite geschoben. Lysend hat das Gefühl, als würde sich seine Liege drehen. Bevor ihm übel wird, hat ihn ein kurzer Koksschub wieder klar gemacht. Eigentlich, denkt er, müssten sie mich doch bald, doch bevor sich der Gedanke zu Ende gesprochen hat, zieht ihn ein Absacker nach unten. Gut, dass wenigstens noch ein wenig Gras im Kopf zu spüren ist, denkt es sich in Lysend. Da fühlt sich der Comedown nicht zu schlimm an. Nun dreht er wieder am Rädchen. Was soll er sonst tun? Brüllen lohnt sich nicht. Es hilft sowieso niemand, und die Stimme ist schon schwach und heiser geworden.

Nun schwirrt ein spitzer Schmerz über seinen Zeigefinger. Er will die Hand zurückziehen, doch die Fessel hält die Bewegung an. Er ballt die Finger zur Faust, um der Hitze zu entgehen. Etwas klackert auf den Fußboden, das Ding aus seiner Tasche ist wohl nach unten gefallen. Rauch steigt auf, und sofort füllt sich der Raum mit beißendem Gestank. Lysends Hand brennt. Er ruft nach Hilfe. Doch bei jedem Atemzug gerät etwas vom Rauch in seine Lungen. Lysend brüllt hustend, dreht den Kopf ganz nach rechts, um bessere Luft zu atmen. An der Seitenwand flackert die orangefarbene Reflexion des Feuerscheins. Lysend sammelt alle Kräfte und schiebt sich ein paar Zentimeter in Richtung Fußende, um mit den angewinkelten Beinen und der Kraft des Oberkörpers die Fußfesseln zu zerreißen. Nun packt ihn der Schmerz auch an der rechten Seite, wo  seine Hand in den brennenden Schlamm der flüssig gewordenen Matratzenhülle sinkt. Wie eine Lawine schiebt sich das Feuer über seinen gesamten Körper. Lysend will mit letzter Kraft noch einmal rufen, doch dazu wird er nicht mehr kommen, da sich die Hitze der eingeatmeten Luft wie kochendes Wasser in die Luftröhre ergießt. Lysends Sinne schwinden. Das Feuer läßt Lysends Kleidung schmelzen, die als abbrennende Flüssigkeit in seine Haut dringt. Sein Haar geht blitzschnell in Rauch auf.
In den Orbitae beginnen die Augen zu kochen um sogleich zu zerplatzen. Das Feuer hat die Plastikfesseln verbrannt. Nun heben sich Lysends Arme in die Fechterstellung. Vom Kopfende aus betrachtet sieht es aus, als würde die verkohlende Leiche den Himmel begrüßen.

Ein Wachmann hat den Geruch als erster bemerkt, und die Zellentür zu öffnen versucht. Dabei hat er sich an der Klinke die Hand verbrannt. Mit einem Handtuch vom Waschraum bewehrt hat er ein paar Sekunden später den Schlüssel gedreht, und die Klinke heruntergedrückt. Eine
sengende Walze aus Rauch, Gas und Hitzestrahlung hat sich gegen ihn geworfen, weshalb er die Tür nicht wieder schließen konnte. Nur den Lysend hat er im Feuer ausmachen können, der ihm mit bedrohlich erhobenen Armen und gefletschten Zähnen ohne Lippen entgegengrinste. Der Wächter ist sofort zum Dienststellenleiter hoch, atemlos:

„Chef, der Bimbo hat alles abgefackelt! Ich kann nicht in die Zelle rein.“

Der Chef gibt Feueralarm und geht mit dem Untergebenen die Treppe hinab, nimmt den Feuerlöscher von der Wand, zieht die Sicherung, und hält auf die Tür. Sie halten es nicht lange im Rauch aus, und flüchten nach oben, um die Ankunft der Feuerwehr abzuwarten.

Alles wurde professionell und vorschriftsmäßig abgelöscht. Lysend aber konnte keiner mehr helfen. Der sah aus, wie geteert und gefedert. Ein verkohlter Baumstamm mit zwei krummen Ästen, in einer feuchten, dampfenden Winterlandschaft aus Löschschaum. Der Doc konnte „nur noch den Tod feststellen“, wie man in solchen Fällen sagt. Für die Akten wurden, der Vorschrift entsprechend, Fotos von Lysends Resten und der Zelle gemacht.

Freunde, die Familie und ein paar Unterstützer hatten die Behörden noch dazu gezwungen, ein paar Untersuchungen einzuleiten, die entweder recht oberflächlich bearbeitet, oder absichtlich in die Länge gezogen worden waren. Man hatte ein paar Leute mit vielen Erinnerungslücken wegen unterlassener Hilfeleistung mit Geldauflagen bestraft, oder  an andere Dienststellen versetzt, und die Gerichte hatten sich den Vorgang später noch ein paar Mal hin- und hergeschoben. Wie aber Feuerzeug und Brandbeschleuniger in Lysends Zelle geraten waren, hat nie jemand erhellen können.


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Pickman
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Beitrag18.03.2018 16:32
Re: Vierter Grad 2.0
von Pickman
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Lieber Christof,

für die Originalfassung hat es bei mir zeitlich nicht gereicht. Jetzt will ich mich an 2.0 schadlos halten.

Christof Lais Sperl hat Folgendes geschrieben:
Sie waren mehrfach Meinst Du "mehrmals" im Sinne von "wiederholt"? hineingekommen. Mal einzeln, mal zu dritt. Zweimal war es wegen des Brandmelders gewesen, der mit schmerzendem Lärm losgeheult hatte, ohne dass Feuer ausgebrochen war. Die anderen Male aber war Lysend selbst die Ursache, weil er immer wieder randaliert, Für dieses Komma sehe ich keinen Grund. und wütend gegen die Tür geschlagen hatte.

Er war betrunken. Mehr als sonst. Nicht bloß ein paar Bier oder Gläser Wein. Es war scharfer Alkohol, an den Lysend nicht gewöhnt war. Zum Schnaps hatten sie Joints geraucht und sogar Diese Wertung würde ich dem Leser überlassen. Koks gezogen. Lysend hatte frische Luft gebraucht, die feuchte Kellerbude verlassen, und war allein hinaus in die Wärme gegangen. Später hatte er dann, wie dumm ihm das nun vorkam, Mädchen angesprochen, belästigt und verfolgt. Sie hatten die Polizei gerufen. Lysend war verhaftet worden, und war auf die Wache gebracht worden. Zum einen spricht die Fachterminologie von (vorläufiger) Festnahme und nicht von Verhaftung (dazu wäre ein Haftbefehl nötig), zum anderen kann das der Leser selbst erschließen, wenn das nicht gerade ein Kinder- oder Jugendbuch werden soll.

In seiner schweren Betäubung hatte er mit dreifacher Die Erklärung des Dreifachen in der ersten Fassung fand ich gar nicht so schlecht. Jetzt steht die dreifache Willensstärke ein wenig pathetisch im Raum. Willensstärke seinen starken Körper ein paar Mal gegen die Tür geworfen. Am Schluss war der Polizeichef nebst zwei Bändigern in die Zelle gekommen. Sie hatten ihn an das Bett gefesselt. Dieser Absatz steht im Plusquamperfekt, der nächste im Präsenz. Das lässt mich fragen, ob es anstelle des Plusquamperfekts nicht auch das Präteritum getan hätte.

Jetzt ist wieder der Brandmelder losgegangen. Die scharf schneidende Schnur des ohrenbetäubenden Alarmtones schlängelt sich durch die Luft, und sammelt bildet Knäuel über Lysend. Das Geheul verstummt so plötzlich, wie es begonnen hatte, mit einem Klick, der die folgende Abwesenheit von Lärm markiert. Er spürt, wie ihm die dünnen Kabelbinder in die Handgelenke schneiden. An den Unterschenkeln schmerzt es nicht, da die Jeans den Druck verteilt. Die linke Hand ist viel beweglicher als die rechte. Aber er kann sie nicht aus der Fessel lösen. Brennender Durst quält ihn. Er ruft nach Wasser. Die Tür öffnet sich, und einer der Polizisten tritt an seine Liege heran. „Da hast du dein Wasser“, sagt der Polizist, und schüttet ihm eine Flüssigkeit über den Körper, die sich nicht nass wie Wasser, sondern nur ungewöhnlich kalt anfühlt. Sie riecht angenehm frisch, rund und würzig. Lysend kennt den Geruch, ist aber nicht in der Lage, das Aroma mit seinen verschwommenen Erfahrungen in Einklang zu bringen. Schnell schwindet das Kühlende. Der Polizist hat die Zelle ohne ein weiteres Wort verlassen. Lysend hört das lang gezogene Knarzen des schweren Türschlosses.

Er war mehrfach durchsucht worden. Wozu das plumpe Plusquamperfekt? Doch eine Sache haben sie wohl übersehen. Lysend kann sich nicht erinnern, etwas in der linken Hosentasche mit sich geführt zu haben. Er lässt den Jeansstoff mit den Fingern über dem unbekannten, glatten Ding hin und her gleiten. Das beruhigt ihn ein wenig. Wie wäre es, das Ding mit dem Mittelfinger am Fußende nach und nach zum Taschenrand hochzuschieben? Dann  könnte man es abtasten, und herausbekommen, was es ist.

Ein Stockwerk weiter oben sitzt der Dienststellenleiter in seiner Bude, an deren unteren Wandhälften sich dunkelgrüne Lackfarbe vom Hellgrün der Oberseite absetzt. Im hellgrünen Bereich hängen Fahndungsplakate. Monitore. Ein paar Knöpfe, mit denen man Lichtanlage und Rauchmelder steuern kann.

Den Doc anrufen, denkt der Polizeichef. Er wählt die Nummer vom Krankenhaus. Wie immer läuft das Band mit.

„Doc, grüß dich. Mal wieder was ganz Feines hier. Was? Ja ja, wie  letztens. Wieder mal nen Bongobimbam. Ja, einen Namen hat der auch. Lüser irgendwas. Muss gleich nochma nachsehen. Drogen und was. Spackt  hier seit Stunden rum. Ich mein, wenn wir ihn wieder loslassen würden. Ham ihn aber erst mal flachgelegt. Der geht uns sonst doch nur auf den Zeiger. Einer von meinen Leuten rennt dauernd nur wegen dem in den Keller runter. Was? Ja klar, Liege. Den müsste man mal ruhig spritzen. Am besten so nen Elefantenpfeil aus dem Betäubungsgewehr, wie in den Tiersendungen über Bimboland, haha. Komm mal vorbei, Doc, dann kannste mal wieder ein bisschen pieksen üben. Aber ob du bei dem Kohlenkasten die Venen findest, weiß ich nicht. Alles dunkel wie zehn Neger in der Nacht. Was? Viel los? Morgen früh erst? Nee, Tabletten nimmt der nich. Egal, ist ja eh gefesselt, komm morgen früh, vielleicht hat er sich bis dahin wieder beruhigt.“

Der Chef legt zufrieden auf. Morgen früh kommt der Doc vorbei. Der kann den Bakterienträger ein bisschen ruhigspritzen, denkt er sich. Um weiteren Störungen zu entgehen, schaltet der Chef  Bildschirme, Lautsprecher und die Rauchmelder aus.

Lysend hat jetzt das Ding aus der Tasche befördert. Es ist überwiegend glatt, an der Längsseite spürt er Rillen, und an einer Schmalseite ein geriffeltes Rädchen. Es ist nicht schwer, und fühlt sich warm an. Lysend dreht am Rädchen, das ein kratzendes Geräusch von sich gibt. Er kann mit dem Rädchen auf der Matratze hin- und herfahren. In die eine Richtung dreht es sich, auf dem Rückweg aber kratzt es nur über die Kunststoffummantelung. Aber wenn er es seitlich verschiebt, verhakt es sich mit der Auflage. Lysend schiebt es von links nach rechts und zurück. Das Kratzgeräusch verändert sich mit dem Widerstand gegen die Bewegung der linken Hand. Nun hat sich schon ein Loch gebildet. Etwas Watteartiges und feuchtes quillt aus dem Loch hervor, soviel kann Lysend erspüren. Im oberen Stockwerk wird ein Wasserhahn aufgedreht. Er fühlt, wie sich der Durst zurückmeldet. Nun hat er schon ein ganzes Büschel von der Füllung aus dem Loch herausgezerrt. Er hebt seinen Kopf, kann aber seine Hand nicht sehen, die in Höhe der Hüfte fixiert ist. Der Brustkorb verhindert die Sicht. Hebt er den Kopf noch weiter an, drückt sein Kinn aufs Schlüsselbein. Jetzt dreht er wieder  am Rädchen. Ein Gefühl starker Hitze entsteht am Zeigefinger. Doch er hat sich wohl nur getäuscht, etwas Metallisches an dem Ding leitet die Hitze wieder weg. Der Deckel vom Guckloch in der Tür wird für ein, zwei Sekunden zur Seite geschoben. Lysend hat das Gefühl, als würde sich seine Liege drehen. Bevor ihm übel wird, hat ihn ein kurzer Koksschub wieder klar gemacht. Eigentlich, denkt er, müssten sie mich doch bald, doch bevor sich der Gedanke zu Ende gesprochen hat, zieht ihn ein Absacker nach unten. Gut, dass wenigstens noch ein wenig Gras im Kopf zu spüren ist, denkt es sich in Lysend. Da fühlt sich der Comedown nicht zu schlimm an. Nun dreht er wieder am Rädchen. Was soll er sonst tun? Brüllen lohnt sich nicht. Es hilft sowieso niemand, und die Stimme ist schon schwach und heiser geworden. Eine glaubwürdig geschilderte Möglichkeit des Geschehenen.

Jetzt wird der Text geradezu rasant. Ich muss mich zwingen, ihn Wort für Wort zu lesen. Zeitangaben würde ich streichen; Du hast den Text ja erkennbar so geschrieben, dass die Geschehnisse aufeinander folgen. Ebenso Kausalitätsbeziehungen, die der Leser selbst herstellen kann. Nun schwirrt ein spitzer Schmerz über seinen Zeigefinger. Er will die Hand zurückziehen, doch die Fessel hält die Bewegung an. Er ballt die Finger zur Faust, um der Hitze zu entgehen. Etwas klackert auf den Fußboden, das Ding aus seiner Tasche ist wohl nach unten gefallen. Rauch steigt auf, und sofort füllt sich der Raum mit beißendem Gestank. Lysends Hand brennt. Er ruft nach Hilfe. Doch bei jedem Atemzug gerät etwas vom Rauch in seine Lungen. Lysend brüllt hustend, dreht den Kopf ganz nach rechts, um bessere Luft zu atmen. An der Seitenwand flackert die orangefarbene Reflexion des Feuerscheins. Lysend sammelt alle Kräfte und schiebt sich ein paar Zentimeter in Richtung Fußende, um mit den angewinkelten Beinen und der Kraft des Oberkörpers die Fußfesseln zu zerreißen. Nun packt ihn der Schmerz auch an der rechten Seite, wo  seine Hand in den brennenden Schlamm der flüssig gewordenen Matratzenhülle sinkt. Wie eine Lawine Lavawalze schiebt sich das Feuer über seinen gesamten Körper. Lysend will mit letzter Kraft noch einmal rufen, doch dazu wird Das Futur weist diesem Nebensatz mehr Bedeutung zu als dem Kotext. Dafür sehe ich keine Rechtfertigung. er nicht mehr kommen, da sich die Hitze der eingeatmeten Luft wie kochendes Wasser in die Luftröhre ergießt. Lysends Sinne schwinden. Das Feuer läßt Lysends Kleidung schmelzen, die als abbrennende Flüssigkeit in seine Haut dringt. Sein Haar geht blitzschnell in Rauch auf.
In den Orbitae Diese Vokabel fällt aus der Stilebene. beginnen die Augen zu kochen um sogleich zu zerplatzen. Das Feuer hat die Plastikfesseln verbrannt. Nun heben sich Lysends Arme in die Fechterstellung. Vom Kopfende aus betrachtet sieht es aus, als würde die verkohlende Leiche den Himmel begrüßen.

Ein Wachmann hat den Geruch als erster bemerkt, und die Zellentür zu öffnen versucht. Dabei hat er sich an der Klinke die Hand verbrannt. Mit einem Handtuch vom Waschraum bewehrt hat er ein paar Sekunden später den Schlüssel gedreht, und die Klinke heruntergedrückt. Eine
sengende Walze aus Rauch, Gas und Hitzestrahlung hat sich gegen ihn geworfen, weshalb er die Tür nicht wieder schließen konnte. Nur den Lysend hat er im Feuer ausmachen können, der ihm mit bedrohlich erhobenen Armen und gefletschten Zähnen ohne Lippen entgegengrinste. Der Wächter ist sofort zum Dienststellenleiter hoch, atemlos:

„Chef, der Bimbo hat alles abgefackelt! Ich kann nicht in die Zelle rein.“

Der Chef gibt Feueralarm und geht mit dem Untergebenen die Treppe hinab, nimmt den Feuerlöscher von der Wand, zieht die Sicherung, und hält auf die Tür. Sie halten es nicht lange im Rauch aus, und flüchten nach oben, um die Ankunft der Feuerwehr abzuwarten.

Alles wurde professionell und Redundanz. vorschriftsmäßig abgelöscht. Lysend aber konnte keiner mehr helfen. Der "Der" wertet ab. Hier sollte "er" stehen. sah aus, wie geteert und gefedert. Ich würde den ganzen Satz streichen. Er ist zu lustig. Ein verkohlter Baumstamm mit zwei krummen Ästen, in einer feuchten, Redundanz. dampfenden Winterlandschaft aus Löschschaum. Der Doc konnte „nur noch den Tod feststellen“, wie man in solchen Fällen sagt. Für die Akten wurden, der Vorschrift entsprechend, Fotos von Lysends Resten und der Zelle gemacht.

Freunde, die Familie und ein paar Unterstützer hatten die Behörden noch dazu gezwungen, ein paar Untersuchungen einzuleiten, die entweder recht oberflächlich bearbeitet, oder absichtlich in die Länge gezogen worden waren. Man hatte ein paar Leute mit vielen Erinnerungslücken wegen unterlassener Hilfeleistung mit Geldauflagen bestraft, oder  an andere Dienststellen versetzt, und die Gerichte hatten sich den Vorgang später noch ein paar Mal hin- und hergeschoben. Wie aber Feuerzeug und Brandbeschleuniger in Lysends Zelle geraten waren, hat nie jemand erhellen können.


Du hast ein Händchen für Themen, die es wert sind, darüber zu schreiben. Ich freue mich auf Deine nächsten Texte.

Liebe Grüße

Pickman


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Aneurysm
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Beitrag19.03.2018 00:22

von Aneurysm
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Hallo Christof,

ich habe deine Kurzgeschichte gerne gelesen. Das Vorbild aus der Wirklichkeit ist interessant, die Darstellung aus zwei Perspektiven ist stimmig. Besonders in Lysend kannst du ich gut hineinversetzen.

Die knappe Sprache sorgt dafür, dass der Inhalt im Vordergrund steht. Der Leser kann sich selbst ein Urteil bilden. Leider mangelt es dem Chef etwas an Tiefe, er ist nichts weiter als das Klischee eines Rassisten. Vielleicht kannst du dem Charakter eine kleine Hintergrundgeschichte geben, die sein Verhalten erklärt.

Die anderen haben schon viel Sinnvolles gesagt, aber eine Sache stört mich in der überarbeiteten Version noch: Die Haupthandlung ist im Präsens geschrieben, aber in den Rückblenden wechselst du zwischen Vorvergangenheit und einfacher Vergangenheit. Das Plusquamperfekt hat dort nichts zu suchen.

Ansonsten noch ein paar sprachliche Feinheiten:
Zitat:
Zum Schnaps hatten sie Joints geraucht und sogar Koks gezogen.

Die Wertung „sogar“ passt nicht zum sonst zurückhaltenden Stil.

Zitat:
In seiner schweren Betäubung hatte er mit dreifacher Willensstärke seinen starken Körper ein paar Mal gegen die Tür geworfen.

„Ein paar Mal“ würde ich streichen, das macht den Satz einfacher und verständlicher.

Zitat:
Ein Wachmann hat den Geruch als erster bemerkt, und die Zellentür zu öffnen versucht.

Der erste Teil des Satzes ist richtig, ab da würde ich den ganzen Absatz im Präsens schreiben, weil er zur Haupthandlung gehört.

Zitat:
Der sah aus, wie geteert und gefedert.

Das Komma gehört da nicht hin.

Liebe Grüße,
Aneurysm
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Christof Lais Sperl
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Beitrag19.03.2018 15:31
@ Pickman und Aneurysm
von Christof Lais Sperl
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Pickman und Aneurysm,

ich habe eure sehr guten Einwände eingearbeitet. Vielen Dank!

Vierter Grad

Sie waren mehrmals hineingekommen. Mal einzeln, mal zu dritt. Zweimal war es wegen des Brandmelders gewesen, der mit schmerzendem Lärm losgeheult hatte, ohne dass Feuer ausgebrochen war. Die anderen Male aber war Lysend selbst die Ursache, weil er immer wieder randaliert und wütend gegen die Tür geschlagen hatte.

Er war betrunken. Mehr als sonst. Nicht bloß ein paar Bier oder Gläser Wein. Es war scharfer Alkohol, an den Lysend nicht gewöhnt war. Zum Schnaps hatten sie Joints geraucht und  Koks gezogen. Lysend hatte frische Luft gebraucht, die feuchte Kellerbude verlassen, und war allein hinaus in die Wärme gegangen. Später hatte er dann, wie dumm ihm das nun vorkam, Mädchen angesprochen, belästigt und verfolgt. Sie hatten die Polizei gerufen. Lysend wat festgenommen, und auf die Wache gebracht worden.

In seiner Betäubung hatte er mit dreifacher Willensstärke seinen starken Körper gegen die Tür geworfen. Am Schluss ist der Polizeichef nebst zwei Bändigern in die Zelle gekommen. Sie haben ihn an das Bett gefesselt.

Jetzt ist wieder der Brandmelder losgegangen. Die scharf schneidende Schnur des ohrenbetäubenden Alarmtones schlängelt sich durch die Luft, und sammelt bildet Knäuel über Lysend. Das Geheul verstummt so plötzlich, wie es begonnen hatte, mit einem Klick, der die folgende Abwesenheit von Lärm markiert. Er spürt, wie ihm die dünnen Kabelbinder in die Handgelenke schneiden. An den Unterschenkeln schmerzt es nicht, da die Jeans den Druck verteilt. Die linke Hand ist viel beweglicher als die rechte. Aber er kann sie nicht aus der Fessel lösen. Brennender Durst quält ihn. Er ruft nach Wasser. Die Tür öffnet sich, und einer der Polizisten tritt an seine Liege heran. „Da hast du dein Wasser“, sagt der Polizist, und schüttet ihm eine Flüssigkeit über den Körper, die sich nicht nass wie Wasser, sondern nur ungewöhnlich kalt anfühlt. Sie riecht angenehm frisch, rund und würzig. Lysend kennt den Geruch, ist aber nicht in der Lage, das Aroma mit seinen verschwommenen Erfahrungen in Einklang zu bringen. Schnell schwindet das Kühlende. Der Polizist hat die Zelle ohne ein weiteres Wort verlassen. Lysend hört das lang gezogene Knarzen des schweren Türschlosses.

Er wurde mehrfach durchsucht. Doch eine Sache haben sie wohl übersehen. Lysend kann sich nicht erinnern, etwas in der linken Hosentasche mit sich geführt zu haben. Er lässt den Jeansstoff mit den Fingern über dem unbekannten, glatten Ding hin und her gleiten. Das beruhigt ihn ein wenig. Wie wäre es, das Ding mit dem Mittelfinger am Fußende nach und nach zum Taschenrand hochzuschieben? Dann  könnte man es abtasten, und herausbekommen, was es ist.

Ein Stockwerk weiter oben sitzt der Dienststellenleiter in seiner Bude, an deren unteren Wandhälften sich dunkelgrüne Lackfarbe vom Hellgrün der Oberseite absetzt. Im hellgrünen Bereich hängen Fahndungsplakate. Monitore. Ein paar Knöpfe, mit denen man Lichtanlage und Rauchmelder steuern kann.

Den Doc anrufen, denkt der Polizeichef. Er wählt die Nummer vom Krankenhaus. Wie immer läuft das Band mit.

„Doc, grüß dich. Mal wieder was ganz Feines hier. Was? Ja ja, wie  letztens. Wieder mal nen Bongobimbam. Ja, einen Namen hat der auch. Lüser irgendwas. Muss gleich nochma nachsehen. Drogen und was. Spackt  hier seit Stunden rum. Ich mein, wenn wir ihn wieder loslassen würden. Ham ihn aber erst mal flachgelegt. Der geht uns sonst doch nur auf den Zeiger. Einer von meinen Leuten rennt dauernd nur wegen dem in den Keller runter. Was? Ja klar, Liege. Den müsste man mal ruhig spritzen. Am besten so nen Elefantenpfeil aus dem Betäubungsgewehr, wie in den Tiersendungen über Bimboland, haha. Komm mal vorbei, Doc, dann kannste mal wieder ein bisschen pieksen üben. Aber ob du bei dem Kohlenkasten die Venen findest, weiß ich nicht. Alles dunkel wie zehn Neger in der Nacht. Was? Viel los? Morgen früh erst? Nee, Tabletten nimmt der nich. Egal, ist ja eh gefesselt, komm morgen früh, vielleicht hat er sich bis dahin wieder beruhigt.“

Der Chef legt zufrieden auf. Morgen früh kommt der Doc vorbei. Der kann den Bakterienträger ein bisschen ruhigspritzen, denkt er sich. Um weiteren Störungen zu entgehen, schaltet der Chef  Bildschirme, Lautsprecher und die Rauchmelder aus.

Lysend hat jetzt das Ding aus der Tasche befördert. Es ist überwiegend glatt, an der Längsseite spürt er Rillen, und an einer Schmalseite ein geriffeltes Rädchen. Es ist nicht schwer, und fühlt sich warm an. Lysend dreht am Rädchen, das ein kratzendes Geräusch von sich gibt. Er kann mit dem Rädchen auf der Matratze hin- und herfahren. In die eine Richtung dreht es sich, auf dem Rückweg aber kratzt es nur über die Kunststoffummantelung. Aber wenn er es seitlich verschiebt, verhakt es sich mit der Auflage. Lysend schiebt es von links nach rechts und zurück. Das Kratzgeräusch verändert sich mit dem Widerstand gegen die Bewegung der linken Hand. Nun hat sich schon ein Loch gebildet. Etwas Watteartiges und feuchtes quillt aus dem Loch hervor, soviel kann Lysend erspüren. Im oberen Stockwerk wird ein Wasserhahn aufgedreht. Er fühlt, wie sich der Durst zurückmeldet. Nun hat er schon ein ganzes Büschel von der Füllung aus dem Loch herausgezerrt. Er hebt seinen Kopf, kann aber seine Hand nicht sehen, die in Höhe der Hüfte fixiert ist. Der Brustkorb verhindert die Sicht. Hebt er den Kopf noch weiter an, drückt sein Kinn aufs Schlüsselbein. Er dreht wieder  am Rädchen. Ein Gefühl starker Hitze entsteht am Zeigefinger. Doch er hat sich wohl nur getäuscht, etwas Metallisches an dem Ding leitet die Hitze wieder weg. Der Deckel vom Guckloch in der Tür wird für ein, zwei Sekunden zur Seite geschoben. Lysend hat das Gefühl, als würde sich seine Liege drehen. Bevor ihm übel wird, hat ihn ein kurzer Koksschub wieder klar gemacht. Eigentlich, denkt er, müssten sie mich doch bald, doch bevor sich der Gedanke zu Ende gesprochen hat, zieht ihn ein Absacker nach unten. Gut, dass wenigstens noch ein wenig Gras im Kopf zu spüren ist, denkt es sich in Lysend. Da fühlt sich der Comedown nicht zu schlimm an. Er dreht wieder am Rädchen. Was soll er sonst tun? Brüllen lohnt sich nicht. Es hilft sowieso niemand, und die Stimme ist schon schwach und heiser geworden.

Nun schwirrt ein spitzer Schmerz über seinen Zeigefinger. Er will die Hand zurückziehen, doch die Fessel hält die Bewegung an. Er ballt die Finger zur Faust, um der Hitze zu entgehen. Etwas klackert auf den Fußboden, das Ding aus seiner Tasche ist wohl nach unten gefallen. Rauch steigt auf, und sofort füllt sich der Raum mit beißendem Gestank. Lysends Hand brennt. Er ruft nach Hilfe. Doch bei jedem Atemzug gerät etwas vom Rauch in seine Lungen. Lysend brüllt hustend, dreht den Kopf ganz nach rechts, um bessere Luft zu atmen. An der Seitenwand flackert die orangefarbene Reflexion des Feuerscheins. Lysend sammelt alle Kräfte und schiebt sich ein paar Zentimeter in Richtung Fußende, um mit den angewinkelten Beinen und der Kraft des Oberkörpers die Fußfesseln zu zerreißen. Es packt ihn der Schmerz auch an der rechten Seite, wo  seine Hand in den brennenden Schlamm der flüssig gewordenen Matratzenhülle sinkt. Wie eine Lavawalze schiebt sich das Feuer über seinen gesamten Körper. Lysend will mit letzter Kraft noch einmal rufen, doch dazu kommt er nicht mehr, da sich die Hitze der eingeatmeten Luft wie kochendes Wasser in die Luftröhre ergießt. Lysends Sinne schwinden. Das Feuer läßt Lysends Kleidung schmelzen, die als abbrennende Flüssigkeit in seine Haut dringt. Sein Haar geht blitzschnell in Rauch auf.
In den Augenhöhlen beginnt es zu kochen. Die kugelförmige Masse zerplatzt. Das Feuer hat die Plastikfesseln verbrannt. Nun heben sich Lysends Arme in die Fechterstellung. Vom Kopfende aus betrachtet sieht es aus, als würde die verkohlende Leiche den Himmel begrüßen.

Ein Wachmann hat den Geruch als erster bemerkt, und versucht, die Zellentür zu öffnen. Dabei verbrennt er sich an der Klinke die Hand. Mit einem Handtuch vom Waschraum bewehrt, dreht er ein paar Sekunden später den Schlüssel, und drückt die Klinke herunter. Eine sengende Walze aus Rauch, Gas und Hitzestrahlung hat sich gegen ihn geworfen, weshalb er die Tür nicht wieder schließen konnte. Nur den Lysend hat er im Feuer ausmachen können, der ihm mit bedrohlich erhobenen Armen und gefletschten Zähnen ohne Lippen entgegengrinste. Der Wächter ist sofort zum Dienststellenleiter hoch, atemlos:

„Chef, der Bimbo hat alles abgefackelt! Ich kann nicht in die Zelle rein.“

Der Chef gibt Feueralarm und geht mit dem Untergebenen die Treppe hinab, nimmt den Feuerlöscher von der Wand, zieht die Sicherung, und hält auf die Tür. Sie halten es nicht lange im Rauch aus, und flüchten nach oben, um die Ankunft der Feuerwehr abzuwarten.

Alles wurde vorschriftsmäßig abgelöscht. Lysend aber konnte keiner mehr helfen. Er war ein verkohlter Baumstamm mit zwei krummen Ästen geworden, der in einer feuchten, Winterlandschaft aus Löschschaum dampfte. Der Doc konnte „nur noch den Tod feststellen“, wie man in solchen Fällen sagt. Für die Akten wurden, der Vorschrift entsprechend, Fotos von Lysends Resten und der Zelle gemacht.

Freunde, die Familie und ein paar Unterstützer hatten die Behörden noch dazu gezwungen, ein paar Untersuchungen einzuleiten, die entweder recht oberflächlich bearbeitet, oder absichtlich in die Länge gezogen worden waren. Man hatte ein paar Leute mit vielen Erinnerungslücken wegen unterlassener Hilfeleistung mit Geldauflagen bestraft, oder  an andere Dienststellen versetzt, und die Gerichte hatten sich den Vorgang später noch ein paar Mal hin- und hergeschoben. Wie aber Feuerzeug und Brandbeschleuniger in Lysends Zelle geraten waren, hat nie jemand erhellen können.


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Lais
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