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Tentakel des Lichts


 
 
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Kampi74
Geschlecht:männlichSchneckenpost
K


Beiträge: 8



K
Beitrag06.11.2017 00:09
Tentakel des Lichts
von Kampi74
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TENTAKEL DES LICHTS

Nick schreckte schwer atmend aus dem Schlaf hoch. In seinem Bett sitzend, fühlte er wie sein Puls raste und die vernarbten Wunden an seinen Handgelenken hatten fürchterlich zu schmerzen begonnen. Er legte seine Finger um die brennend, pochenden Stellen an seinem Unterarm, auf denen er schemenhaft dunkle Flecken erkannte. Der Druck linderte den Schmerz für eine kurze Weile, aber in seinem Kopf wüteten die Erinnerungen.
Traum oder Realität?  Leben oder Tod?
Egal, welchen Zustand sein Geist für die Realität halten würde, sie war da. Diese Pein seines Daseins hinterließ Narben auf seiner Seele und die würden ihn sein ganzes Leben lang begleiten. Albtraum, so nannten es die Menschen voller Verachtung und Wut, aber Nick nannte es ... Alltag. Wachsam rollte er mit seinen Augen durch das Zimmer, wobei sich das Bild in vielen trägen Facetten vor ihm aufbaute. Er sah hinüber zu seinem Schreibtisch, wo er am Abend zuvor sein Notebook abgestellt hatte.
Die Kontrollleuchte vom Netzteil war erloschen. Begleitet von einem dumpfen Druck im Kopf, richtete er seinen Blick auf den Digitalwecker, der zuverlässig jeden Morgen um Punkt sieben Uhr zu krächzen begann.
Dieses Mal war es jedoch nicht der Weckton, welcher ihn aus dem Schlaf geholt hatte.
Die sonst in einem schillernden Rot leuchtenden Ziffern waren erloschen. Die Anzeige war eins geworden mit der Dunkelheit im Raum.
In dem Moment, als Nick sich hinüberbeugen wollte, um nach dem Wecker zu greifen, stach ein grelles Licht durch das große Fenster am Ende des Raums.  
Über das Fußende seines Bettes hinaus, zum Ende des Zimmers, konnte er durch ein Fenster auf die Nachbarhäuser blicken. An Tagen, wo seine Angst stärker war als die Hoffnung, gab das Licht in den gegenüberliegenden Wohnungen ihm die Gewissheit, das es ein Leben außerhalb dieses Zimmers gab. Das Licht, in seinen roten und gelben Farben loderte beißend in seinen Augen. Es brannte sich durch seine Pupillen, wo es schmerzhaft an seinen Sehnerven zerrte. Nick riss die Bettdecke schützend über seinen Kopf. Erst jetzt hatte er bemerkt, dass der Bettbezug seiner Decke feucht war und sein T-Shirt, es war wie jede Nacht ein weißes Baumwollshirt mit dem Aufdruck des jubelnden Christiano Ronaldo, klebte an seinem Körper.
Er zupfte nach dem Baumwollstoff auf seiner Brust und zog das nasse
Shirt von seiner Haut. Sein Körper war schweißgebadet und er spürte, wie vereinzelt Schweißtropfen von seiner Brust herunter liefen. Nick ließ den Stoff los und das Shirt legte sich kühlend wie ein nasses Handtuch zurück auf seinen Körper. Sichtlich abgeschwächt quälte sich das grelle Licht auch durch die Fasern seiner schützenden Bettdecke, aber dessen messerscharfen Lichtstrahlen verfehlten jetzt ihre Wirkung.
»Was zum Teufel ist das für ein Licht?«, hauchte Nick seinen wirren Gedanken zu. Ein Traum! Natürlich, es konnte nur ein Traum sein. Verdammt realistisch, aber sind Träume das nicht immer?
Sein Atem schlug ihm unter der Decke ins Gesicht. Ihm wurde kalt.
Es war nicht nur die Angst, die ihn jetzt erzittern ließ, da war noch etwas anderes im Raum was ihn beunruhigte. War da eine Stimme in dem Licht?
Er hörte ein Geräusch, so als würde jemand mit ihm reden, aber die Stimme klang dumpf und die Worte unverständlich.
Die Luft in seinem Zimmer war heiß und stickig und doch, legte sich ein kalter Schauer auf seine Haut.
»Nick! Komm zu mir!«, rief eine tiefe Stimme nach ihm und die Worte drangen jetzt verständlich wie ein kühlender Windzug durch die Hitze im Raum. Erschrocken ließ er die Decke aus den Händen fallen und rief nach seiner Mutter. Wie ein wildes Tier fauchte und schnappte das Licht nach ihm. Nick wandte seinen Kopf schützend vom Fenster weg. Er warf die feuchte Bettdecke beiseite, schwang seine Beine aus dem Bett und flüchtete durch die Zimmertüre in den angrenzenden Flur.
»Nick! Komm' zu mir!« Die Stimme klang vertraut und doch befremdlich. Sie erschien ihm blechern, so als würde sie in eine dieser Dosentelefone sprechen. Trotzdem konnte er die Stimme seines Vaters aus Tausenden erkennen. Dieser unverkennbare Hass, der seine Stimmbänder vibrieren ließ, verharrte wie ein Brandmahl in seinem Kopf. Dieses Mal mischte sich jedoch eine ihm unbekannte Farbe in die Stimme seines Vaters.
War es etwa ... Nein, das konnte nicht sein. Zehn Jahre, wovon er vier, vielleicht auch fünf Jahre hatte ganz bewusst die Schmerzen und das Leid ertragen müssen, kannte er nur dieses gehässige Geschöpf, was sich >Vater< nannte. Fürsorge!
War es möglich das er tatsächlich Fürsorge in dieser Stimme hörte?
Nick schleuderte die Zimmertüre krachend hinter sich ins Schloss.
Dunkelheit umhüllte seinen Körper, während er im Flur stehend nach der Stimme lauschte. Es blieb still. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Unter seinen nackten Füßen fühlte sich der Boden sandig und warm an. Etwas hatte sich auf das Parkett des Flurs gelegt und es scheuerte und kratzte unter den Fußsohlen.
»Nick, mein Junge! Geh weiter!«  
»Dad?«, rief er in die Dunkelheit hinein, »Dad, wo bist du?«
Er hielt den Atem an und lauschte angestrengt, aber aus der Finsternis kam keine Antwort. Was er zuvor noch als Wärme an seinen Füßen empfand, brannte jetzt heiß unter seinen Sohlen und bewegte sich langsam seine Beine hinauf. Angst ergriff seinen Körper und rebellierte in seinem Magen. Seine Blase drückte schmerzhaft. Wie ein knochiger Finger erwischte ihn ein Lichtstrahl an der Ferse. Nick wandte seinen Blick zurück zu seiner Zimmertüre. Das grelle Licht brannte an der Türe und zwängte sich unter den Türspalt hindurch. Die Türzarge waberte im grellen Weiß und aus dem Türschloss züngelten die Tentakel des Lichts. Die Angst hatte Nick nun komplett in seinen Fängen und auch der Gedanke an einen fiesen Albtraum konnte die panische Stimme in seinem Kopf nicht zum Schweigen bringen.
»Mom? Dad? Bitte, wo seid ihr? Was ist hier los?«
Seine Rufe schienen schon in seiner Kehle zu ersticken. Er hustete und spürte jetzt das seine Blase den Drang nicht standgehalten hatte. Er hatte gar nicht bemerkt, wie die Angst an seinen Beinen heruntergelaufen war, aber er fühlte jetzt, dass der sandige Boden sich mit seinem Urin vermengte.
»Nick, beeil' dich! Komm' zu mir!«
Die Worte klangen jetzt wie Hohn in seinen Ohren. Verdammt, er war ein zehnjähriger Junge, dessen bester Freund ein jubelnder Christiano Ronaldo war. Der Aufdruck auf einem Shirt, das ihm zurzeit mehr
einzuschnüren schien, als es ihm hilfreich war.
Wo sollte er hinkommen? Woher kam diese Stimme?
Egal wo er sich gerade befand, die Stimme klang blechern und weit weg. Gleichbleibend weit weg. Der Flur war der Mittelpunkt der Wohnung, von ihm aus kam man in das Wohnzimmer oder in einen kleinen zusätzlichen Flur, der zum Badezimmer und in die Küche führte. Die durch das Licht glühende Tür erhellte den Flur, sodass schemenhaft die Konturen des Raums zu erkennen waren. Schlurfend bewegte er sich Richtung Badezimmer. Die Hitze wurde immer unerträglicher und seine Zunge lag wie ein vertrocknetes Stück Fleisch in seinem Mund. Er hustete, trocken und tief aus seiner schmerzenden Brust.
Aus purer Gewohnheit betätigte er den Lichtschalter rechts außerhalb des Badezimmers. Der Schalter klackte und für den Bruchteil einer Sekunde erhellte das Licht der Lampe das Bad.
Begleitet von einem Surren und Zischen platzte die Glühlampe mit einem lauten Knall. Nick zog erschrocken den Kopf ein und hörte das Klirren der Scherben auf dem Fliesenboden. Sein Herz pulsierte verängstigt in seiner Brust. Nick hielt sich mit einer Hand stützend an der Zarge fest und tastete sich behutsam in den Raum. Vorsichtig schob er die Scherben mit dem Fuß beiseite und trat schwer atmend in das Badezimmer.
Die Arme auf das Waschbecken gestützt beugte er sich unter den Wasserhahn und ließ das Wasser über seinen Kopf fließen. Das kalte Wasser erfrischte sein Gesicht und die Wunden an seinen Armen. Er hob seinen Kopf und blickte in den Spiegel über dem Waschbecken. Erschrocken starrte er in das Gesicht dieser dunklen Schattenfigur, in dessen Rücken das Licht drohend flimmerte. Es dauerte eine Weile, bis er realisiert hatte, dass es seine eigene Silhouette war, welche er in dem Spiegel erblickte. Erleichtert atmete er auf und spürte, wie sein Puls sich von dem Schrecken erholte. Erneut schaufelte er etwas von dem Wasser über seinen schmerzenden Unterarm. Mit jeder Berührung feuerte sein Gehirn qualvolle Bilder wie kleine Explosionen vor seine Augen. Dieser Hass im Gesicht seines Vaters, diese Wut, welche sich jedes Mal in exzessive Gewalt verwandelt hatte. Bilder, die schlimmer waren als jeglicher Schmerz. Nach all den Jahren hatte er gelernt mit dem physischen Schmerz umzugehen aber was er nicht verarbeiten konnte, waren die blauen Flecken und Würgemale am Hals seiner Mutter. Abend für Abend nahm sie lächelnd ein Buch aus dem Regal über seinem Bett und las ihm daraus eine Geschichte vor.
Auf der Bettkante sitzend zupfte sie immer wieder das Halstuch zurecht, welches die Hämatome an ihrem Hals verdeckt hatte. Ihre Stimme klang dünn und resigniert. Er schaute in ihr Gesicht und sah, das der Glanz in ihren Augen einer tiefen Verzweiflung gewichen war. Ihre Lippen zitterten mit jedem Wort, doch er spürte ihren inneren Kampf um Haltung. Nick konnte die Wahrheit sehen, auch wenn seine Mutter stets darum bemüht war, ihn davor beschützen zu wollen.
Er sah den Schmerz hinter dem Lächeln und er hörte ihren stummen Schrei nach Befreiung. Tränen liefen über sein Gesicht, die er mit einem erneuten Schwall Wasser wegspülte.
Im Dunkeln tastete er nach dem Handtuch, welches immer rechts neben dem Waschbecken auf dem Handtuchhalter lag. Er zog es
herunter und wischte sich die Wasserperlen aus dem Gesicht. Währenddessen nahm er einen übel riechenden Gestank nach angesenkten Haaren am Handtuch wahr. Vergewissernd steckte er noch einmal seine Nase in das Handtuch und dieser unerträgliche Geruch weckte eine fast vergessene Erinnerung in ihm. Es roch, wie an diesem Abend im April. Nick wusste nicht, ob es damals die verlorene Lebenslust war oder einfach nur der Wille den Menschen Narben zu zeigen, die niemand hätte verstecken können. Er stahl das Feuerzeug seines Vaters und entzündete die Haare auf seinem Kopf. Es stank fürchterlich, so fürchterlich wie es dieses Tuch jetzt tat. Er wollte das Handtuch gerade zurück über den Halter legen, als er bemerkte, wie sich ein Loch in der Mitte des Handtuchs auftat. Ängstlich warf er es in das Waschbecken und sprang einen Schritt zurück. Irgendetwas fraß sich durch das Handtuch, bis von diesem nichts mehr übrig war. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Nick dieses schattenhafte Spektakel. Ungläubig warf er einen Blick in das Waschbecken und fuhr mit der Hand über die Keramik. Er nahm etwas von der übrig gebliebenen, staubigen Masse auf und rieb es zwischen seinem Daumen und seinen Fingerspitzen. Es fühlte sich sandig an. Zaghaft schob er seinen Finger unter die Nase, um die kaum sichtbare Masse zu identifizieren.  Er hustete und röchelte, nachdem er den feinen Staub in seine Atemwege gesogen hatte. Um Erlösung ringend fasste er sich an den Hals um eine schier imaginäre Hand, die seine Kehle abzuschnüren versuchte, zu lockern. Panisch rang er nach Luft und schrie heiser nach Hilfe. Seine Schreie blieben stecken wie ein Pfropfen und verloren sich dumpf in der Dunkelheit. Fortwährend hustend eilte Nick aus dem Badezimmer und schlug mit dem Rücken gegen die Tür der Schrankwand im Zwischenflur. Keuchend stützte er seine Hände auf die Knie und er fühlte, wie diese Schlinge, welche sich um seinen Hals gelegt hatte, sich langsam löste. Er wischte den Rest der Masse von seinen Fingern an seinem Shirt ab, als diese Stimme erneut aus dem Nichts zu ihm sprach.
»Nick! Junge, Bitte!«
Den Blick noch immer zum Boden gerichtet schmunzelte er infolge der blechernen Stimme die ebenso weit weg, wie irreal daher kam.
Die Tentakel des Lichts schoben sich giftig blendend über den Boden und ließen die Luft knistern.
Gefräßig saugten sie jeglichen Sauerstoff aus der Luft und füllten
diese mit penetrant stechenden Gasen. Nick hatte keine Wahl mehr, sein Weg führte nur noch in die angrenzende Küche. Eine Sackgasse.
Aus diesem Raum gab es kein weiteres entkommen.
Der letzten verbleibenden Hoffnung folgend, richtete er sich auf und rannte in die Küche. Sein Blick war dabei immer nach hinten gerichtet, wo nun auch das Badezimmer dieser unersättlichen Gier des Lichts zum Opfer gefallen war. »Hallo Nick!« Für einen Augenblick hielt er inne. Diese Worte klangen anders als die Worte zuvor. Ruhig, unbeeindruckt und düster. Nicht etwa blechern wie von der anderen Seite des Dosentelefons.
Diesmal nicht.
Die hagere Figur eines alten Mannes saß dort am Tisch und die Flamme seiner Zigarette glühte hell auf, als er daran zog.
»Wer sind sie?«, stotterte Nick, »Wo sind meine Eltern?«
In dem Moment, als das Licht den Weg in die Küche gefunden hatte, konnte er den Mann deutlich sehen. Sein Gesicht war mager und eingefallen was ein ungepflegter, grauer Rauschebart zu kaschieren versuchte. Unter dem Rand seines Huts, der tief in sein Gesicht gezogen war, schimmerte sein silbernes, zotteliges Haar hervor. Seine unnatürlich langen Finger wirkten hölzern und ähnelten den Klauen eines Vogels. Während der Rauch sein Gesicht vernebelte, spielten seine Finger wechselweise am Stab seines Gehstocks, dessen Kopf die Gestalt eines Raben zierte.
»Nick, du bist ein mutiger kleiner Mann. Ich mag Menschen wie dich, kämpferisch und intelligent.«  
Nick konnte den Worten des alten Mannes nicht folgen.
»Was erzählen sie denn da? Wer zum Teufel sind sie?«
Der Mann lachte laut auf, »Wer zum Teufel ich bin!«
Er lachte erneut, »Man nennt mich den Chauffeur.«
»Chauffeur? Was chauffieren sie denn?«
Seine Augen veränderten sich mit fast jedem Wimpernschlag. Wo zuvor noch dunkle schwarze Pupillen zu sehen waren, erschienen im nächsten Moment kalte, schneeweiße Augen.
»Seelen, mein Junge. Menschliche Seelen.«
Er hauchte die Worte und sie hinterließen einen kalten Schauer.
Die Tentakel des Lichts krochen unaufhaltsam auf Nick zu und er glaubte zu hören, wie das Licht vor lauter Vorfreude lechzte.
»Verstanden, sie sind der Chauffeur alles klar. Können sie mir helfen? Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich glaube, dieses Licht verfolgt mich.«
Der alte Mann drückte seine Zigarette auf der Tischplatte aus und erhob sich angestrengt aus dem Stuhl.
Seine schattenhafte Figur schien an die zwei Meter groß zu sein.
»Es ist nicht das Licht was dich verfolgt, kleiner Mann. Es ist das Feuer.«
Nervös blickte sich Nick immer wieder um. Das Licht schlängelte sich gierig sein Bein hinauf.
»Feuer? Welches Feuer?«, schrie er hastig und kurz davor, in Panik auszubrechen.
»Demütigung, Mord und Lügen sind der Nährboden des Höllenfeuers, mein Junge!«
Die Worte krachten wie Peitschenhiebe aus seinem Mund, während er einen Schritt auf Nick zubewegte.
»Dein Vater hat dich gedemütigt. Er hat deine Mutter so lange gewürgt, bis sie das Bewusstsein verloren hat. Danach tat er, was er jeden Abend tat, sich besaufen. Dieses Ritual kennst du sicherlich besser als ich. Er hat das Höllenfeuer entfacht um sich seiner Verantwortung zu entziehen und sich der Last eures Lebens zu befreien.«
Der alte Mann stieß ein grauenvoll, hustendes Lachen aus.
Nicks Herzschlag pochte ihm vom Hals bis in die Handgelenke.
»Sieh hin!«
Der Chauffeur legte seine Hand auf Nicks Kopf und erzeugte ein Bild vor seinen Augen. Es zeigte seinen Vater, der weinend vor ihrem brennenden Haus stand. Tränen, die genährt waren von geheuchelten Schuldgefühlen. Schluchzend und um Aufmerksamkeit bedacht, rief er immer wieder nach seinem Sohn.
»Dad? Was hast du getan?«
Er blickte in das trügerische Gesicht seines Vaters und spürte die Kälte.
»Es tut mir so leid mein Junge, ich wollte das nicht.«
Er streckte seine Arme nach ihm aus, aber etwas zerrte an ihm und zog ihn weg, bis das Bild von seinem Vater vor seinen Augen endgültig verschwunden war.
»Diese armselige Kreatur hat euer Leben zerstört. Er bringt Tod und Verderben.«
Tränen liefen über Nicks Wangen.
»Du hast die Wahl, Nick!«, hauchte er und trat einen Schritt näher an ihn heran, »Gib mir deine Hand und ich führe dich aus diesem leidvollen Leben und bringe dich zu deiner Mutter.«
»Oder? Sag schon was ist die Alternative?«, schrie Nick panisch, während die Tentakel des Lichts brennend an seinem Bein nagten.
»Alternative?« Er verpackte das Wort in einem schroffen Lachen.
»Das Feuer wird deinen Körper fürchterlich entstellen. Gefangen in einem zerstörten Körper wird deine Seele in die alleinige Obhut deines Vaters gelegt. Das ist deine Alternative!«
Der Chauffeur streckte ihm die Hand entgegen, »Wähle!«

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Canyon
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Alter: 44
Beiträge: 128
Wohnort: Nimmerland


Beitrag06.11.2017 14:53

von Canyon
Antworten mit Zitat

Hallo Kampi74 smile

Ich habe neugierig in deinen Text hinein geklickt, und da mir das Thema gut gefallen hat, möchte ich gerne ein paar Gedanken dazu los werden. Ich gehe erstmal die Geschichte Stück für Stück durch, und setze dann am Ende nochmal ein Gesamtfazit. Und bitte nicht erschrecken, wenn ich zuviel mit dem Rotstift herum gekritzelt habe. Ich werde wirklich jeden Satz abgeklopfen, aber ich werde mich auch bemühen bei Änderungsvorschlägen deine eigene Sprache und Idee soweit wie möglich beizubehalten.
Und wie immer gilt hier im Forum für Kritik der allgemeine Hinweis: Nimm, was du gebrauchen kannst, den Rest schmeiß weg. smile


Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Nick schreckte schwer atmend aus dem Schlaf hoch. In seinem Bett sitzend, fühlte er wie sein Puls raste und die vernarbten Wunden an seinen Handgelenken hatten fürchterlich zu schmerzen begonnen.


Der Einstieg ist gut, allerdings bin ich kein Freund von Verben in der "-end" Form. Atmend geht hier noch, aber das "Sitzend" wird mir dann schon zu viel. Vielleicht muss man auch gar nicht explizit erwähnen, dass er im Bett sitzt, denn die Worte Schlaf und Hochschrecken lassen dieses Bild bei mir schon automatisch entstehen. Und später erfährt man ja auch, dass er im Bett geschlafen hat, und nicht irgendwo auf dem Boden liegt. Mein Tipp:

Nick schreckte schwer atmend aus dem Schlaf hoch. Sein Puls raste, und die vernarbten Wunden an seinen Handgelenken schmerzten fürchterlich.



Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Er legte seine Finger um die brennend, pochenden Stellen an seinem Unterarm, auf denen er schemenhaft dunkle Flecken erkannte. Der Druck linderte den Schmerz für eine kurze Weile, aber in seinem Kopf wüteten die Erinnerungen.

Gut geschrieben. smile Das Brennend würde ich aber streichen, ein einzelnes Verb wirkt meiner Meinung nach hier stärker.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Traum oder Realität?  Leben oder Tod?
Egal, welchen Zustand sein Geist für die Realität halten würde hielt, sie war da. Diese Pein seines Daseins hinterließ Narben auf seiner Seele und die würden ihn sein ganzes Leben lang begleiten. Albtraum, so nannten es die Menschen voller Verachtung und Wut, aber Nick nannte es ... Alltag.

Mit "hielt" anstatt "halten würde" klingt der Satz stärker. Der letzte Satz gefällt mir sehr gut!


Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Wachsam rollte er mit seinen Augen durch das Zimmer, wobei sich das Bild in vielen trägen Facetten vor ihm aufbaute. Er sah hinüber zu seinem Schreibtisch, wo er am Abend zuvor sein Notebook abgestellt hatte.
Die Kontrollleuchte vom Netzteil war erloschen. Begleitet von einem dumpfen Druck im Kopf, richtete er seinen Blick auf den Digitalwecker, der zuverlässig jeden Morgen um Punkt sieben Uhr zu krächzen begann.
Dieses Mal war es jedoch nicht der Weckton, welcher ihn aus dem Schlaf geholt hatte.

Hier musste ich ein wenig schmunzeln, verzeih mir. "Rollte er mit seinen Augen durch das Zimmer", das klingt, als würde er auf seinen Augen sitzen, wie auf einem Schreibtischstuhl, und damit durch das Zimmer rollen. wink Du möchtest sicher beschreiben, dass er sich im Zimmer umsieht. Das muss man für gewöhnlich nicht extra erwähnen. Der Leser befindet sich bereits "im Charakter", das heißt, wenn du die Umgebung, in der sich der Charakter gerade befindet beschreibst, dann sieht der Leser sie automatisch durch seine Augen. Folgende beschreibst du ja auch, was er sieht:

Er sah hinüber zu seinem Schreibtisch, wo er am Abend zuvor sein Notebook abgestellt hatte. Die Kontrollleuchte vom Netzteil war erloschen. Begleitet von einem dumpfen Druck im Kopf, richtete er seinen Blick auf den Digitalwecker, der zuverlässig jeden Morgen um Punkt sieben Uhr zu krächzen begann. Dieses Mal war es jedoch nicht der Weckton, welcher ihn aus dem Schlaf geholt hatte.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Die sonst in einem schillernden Rot leuchtenden Ziffern waren erloschen. Die Anzeige war eins geworden mit der Dunkelheit im Raum.

Hmmm, "schillernd" ist eher eine Beschreibung für ein Farbenspiel, also für einen Zustand, in dem sich der Anblick der Farben verändert, zum Beispiel bei einer schwarzen Feder, die im Sonnenlicht blau und grün schillert, oder bei einer Seifenblase. Vielleicht einfach:
Die rot leuchtenden Ziffern waren erloschen. Die Anzeige war eins geworden mit der Dunkelheit im Raum.
Der letzte Satz gefällt mir übrigens wieder sehr.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

In dem Moment, als Nick sich hinüberbeugen wollte, um nach dem Wecker zu greifen, stach ein grelles Licht durch das große Fenster am Ende des Raums.

Toll beschrieben!

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Über das Fußende seines Bettes hinaus, zum Ende des Zimmers, konnte er durch ein Fenster auf die Nachbarhäuser blicken.

Wo das Fenster genau ist, ist nicht so wichtig. Der Leser wird sich immer sein eigenes Bild von dem machen, was du (be-)schreibst, und diese Freiheit kannst du ihm durchaus lassen - gerade bei solchen Unwichtigkeiten.  

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

An Tagen, wo seine Angst stärker war als die Hoffnung, gab das Licht in den gegenüberliegenden Wohnungen ihm die Gewissheit, das es ein Leben außerhalb dieses Zimmers gab. Das Licht, in seinen roten und gelben Farben loderte beißend in seinen Augen. Es brannte sich durch seine Pupillen, wo es schmerzhaft an seinen Sehnerven zerrte.

Hier sind zwei Worte meiner Meinung nach etwas unglücklich gewählt: Lodern und Sehnnerv. Lodern ist eher etwas, das mit einem Feuer in Verbindung bringt und wenn ein Feuer in seinen Augen lodert, würde das bedeuten, dass sein Körper brennt. Du meinst aber vermutlich eher das Bild des Lichtes, das sich in seinen Augen spiegelt, bzw. seine Augen durch Helligkeit zum Schmerzen bringt. Du verwendest auch das Wort brennen, das im Grunde schon Schmerzen impliziert. Der Sehnerv hingegen klingt mir im Zusammenhang mit den anderen Beschreibungen zu kühl und klinisch.
Wenn du das Symbolbild von lodernden Flammen gerne behalten würdest, wäre etwas in der Art mein Vorschlag:

Das Licht, in seinen roten und gelben Farben, brannte sich durch seine Pupillen, und wütete wie ein Flammeninferno in seinem Schädel.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Nick riss die Bettdecke schützend über seinen Kopf.
Erst jetzt hatte er bemerkt, dass der Bettbezug seiner Decke feucht war, und ebenso wie sein T-Shirt. , es war wie jede Nacht ein weißes Baumwollshirt mit dem Aufdruck des jubelnden Christiano Ronaldo, klebte an seinem Körper. Er zupfte nach dem Baumwollstoff auf seiner Brust und zog das nasse Shirt ihn von seiner Haut. Sein Körper war schweißgebadet und er spürte, wie vereinzelt Schweißtropfen von seiner Brust herunter liefen. Nick ließ den Stoff los und das Shirt legte sich kühlend wie ein nasses Handtuch zurück auf seinen Körper.

Dass er ein Fan von Christiano Ronaldo ist, würde ich an dieser Stelle noch nicht erwähnen. Vielleicht später, wenn er das Shirt auszieht, sofern es wichtig ist, dass er immer das gleiche Shirt trägt. Hier verkompliziert es den Satz unnötig, was der Atmosphäre schadet. Die übrige Beschreibung gefällt mir gut. Manche werden sagen, es ist zu viel, oder zu unnötig, aber ich finde es fängt gut sein persönliches Erleben der Situation ein und macht sie dadurch auch für den Leser plastischer.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Sichtlich abgeschwächt quälte sich das grelle Licht auch durch die Fasern seiner schützenden Bettdecke, aber dessen messerscharfen Lichtstrahlen verfehlten jetzt ihre Wirkung.

Doppelt gemoppelt - mit der Beschreibung am Ende sagst du schon alles aus.
Das grelle Licht quälte sich durch die Fasern der Bettdecke, aber die messerscharfen Lichtstrahlen verfehlten jetzt ihre Wirkung.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

»Was zum Teufel ist das für ein Licht?«, hauchte Nick seinen wirren Gedanken zu.

Dass es um das Licht geht, ist klar, das würde ich nicht nochmal extra erwähnen. Das mit den wirren Gedanken verwirrt ein wenig. Wenn er welche hat, könntest du die vorab noch erwähnen. Wenn er durch den Schockmoment aber nichts großartig denken kann, außer "Was ist das ...?" würde ich das so stehen lassen.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Ein Traum! Natürlich, es konnte nur ein Traum sein. Verdammt realistisch, aber sind Träume das nicht immer?
Sein Atem schlug ihm unter der Decke ins Gesicht. Ihm wurde kalt.
Es war nicht nur die Angst, die ihn jetzt erzittern ließ, da war noch etwas anderes im Raum was ihn beunruhigte. War da eine Stimme in dem Licht?
Er hörte ein Geräusch, so als würde jemand mit ihm reden, aber die Stimme klang dumpf und die Worte unverständlich.

Sehr gut geschrieben.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Die Luft in seinem Zimmer war heiß und stickig und doch, legte sich ein kalter Schauer auf seine Haut.

Auf den obligatorischen Schauer würde ich verzichten, da du oben ja schon erwähnst, dass ihm kalt wird.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

»Nick! Komm zu mir!«, rief eine tiefe Stimme nach ihm und die Worte drangen jetzt verständlich wie ein kühlender Windzug durch die Hitze im Raum. Erschrocken ließ er die Decke aus den Händen fallen und rief nach seiner Mutter.

Ausspielen! Erschrocken ließ er die Decke aus den Händen fallen. "Mum!"

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Wie ein wildes Tier fauchte und schnappte das Licht nach ihm. Nick wandte seinen Kopf schützend vom Fenster weg. Er warf die feuchte Bettdecke beiseite, schwang seine Beine aus dem Bett und flüchtete durch die Zimmertüre in den angrenzenden Flur.

Der erste Satz ist großartig. Das Abwenden des Kopfes aber nimmt hier das Tempo und damit die Spannung. Weglassen und ihn gleich die Bettdecke von sich werfen und flüchten lassen.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

 Dieses Mal mischte sich jedoch eine ihm unbekannte Farbe in die Stimme seines Vaters.
War es etwa ... nein, das konnte nicht sein! Zehn Jahre, wovon er vier, vielleicht auch fünf Jahre hatte ganz bewusst die Schmerzen und das Leid ertragen müssen, kannte er nur dieses gehässige Geschöpf, was sich >Vater< nannte. Fürsorge!

Ein wenig umständlich, der Satz. Schmerz empfindet man für gewöhnlich immer bewusst, und gehässig trifft es als Bezeichnung für einen offenbar gewalttätigen Vater auch nicht so ganz.
Mein Tipp:
Zehn Jahre lang, von denen er gut die Hälfte in Schmerz und Leid hatte verbringen müssen, war ihm nur dieses grausame Geschöpf, mit dem Namen "Vater", bekannt gewesen.
Auch nicht der Brüller, aber ich hoffe du verstehst, was ich meine. smile

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

War es möglich, dass er tatsächlich Fürsorge in dieser Stimme hörte?
Nick schleuderte die Zimmertüre krachend hinter sich ins Schloss.
Dunkelheit umhüllte seinen Körper, während er im Flur stehend nach der Stimme lauschte.

So wie der Satz jetzt steht, bezieht sich das Krachen auf das Schleudern.Er schleudert nicht die Tür krachend ins Schloss, er schleudert sie zu und sie fällt allenfalls krachend ins Schloss. Dass er im Flur steht, ist übrigens klar. Wenn jemand läuft und dann nicht mehr läuft, steht er für gewöhnlich, so lange bis der Autor erwähnt, dass er sich hinsetzt, oder -legt, ect.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Es blieb still. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Unter seinen nackten Füßen fühlte sich der Boden sandig und warm an. Etwas hatte sich auf das Parkett des Flurs gelegt und es scheuerte und kratzte unter den Fußsohlen.
»Nick, mein Junge! Geh weiter!«  
»Dad?«, rief er in die Dunkelheit hinein, »Dad, wo bist du?«
Er hielt den Atem an und lauschte angestrengt, aber aus der Finsternis kam keine Antwort. Was er zuvor noch als Wärme an seinen Füßen empfand, brannte jetzt heiß unter seinen Sohlen und bewegte sich langsam seine Beine hinauf.

Sehr bildhaft geschrieben, gefällt mir. smile

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Angst ergriff seinen Körper und rebellierte in seinem Magen. Seine Blase drückte schmerzhaft.

Angst befällt normalerweise erstmal den Geist, und dann kommen die körperlichen Symptome. Ich weiß natürlich, was du meinst, aber dass die Angst in seinem Magen rebeliiert klingt für mich nicht richtig. Auch die erneute Erwähnung von Schmerz nimmt mir eher den Bezug zur Angst.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Wie ein knochiger Finger erwischte ihn ein Lichtstrahl an der Ferse.

Hmm, das wirkt ein wenig abstrakt. Zum Einen ist ein Finger etwas Plastisches, im Gegensatz zu Licht. Zum Anderen kann ich unter dem Begriff "erwischt" nicht erkennen, ob der Finger in nur streift, oder nach ihm greift.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Nick wandte seinen Blick zurück zu seiner Zimmertüre.

Soll das  Tempo hier gedrosselt werden? Denn ein "sich Zuwenden" findet ja eher langsam statt. Ansonsten vielleicht so etwas wie: Nick wirbelte herum.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Das grelle Licht brannte an der Türe und zwängte sich unter den Türspalt hindurch. Die Türzarge waberte im grellen Weiß und aus dem Türschloss züngelten die Tentakel des Lichts.

Wirklich gut ... abgesehen, von der Türzarge. Die musste ich erstmal googlen. lol2 Liegt aber vielleicht an meinem beschränkten Allgemeinwissen.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Die Angst hatte Nick nun komplett in seinen Fängen und auch der Gedanke an einen fiesen Albtraum konnte die panische Stimme in seinem Kopf nicht zum Schweigen bringen.

Nee ... nicht schreiben, dass etwas so ist. Be-schreiben, wie es für ihn ist. Das hast du doch bisher so gut gemacht, hört jetzt hier nicht damit auf. smile

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

»Mom? Dad? Bitte, wo seid ihr? Was ist hier los?«
Seine Rufe schienen schon in seiner Kehle zu ersticken. Er hustete und spürte jetzt[color=blue,[/color] dass seine Blase dem Drang nicht standgehalten hatte. Er hatte gar nicht bemerkt, wie die Angst an seinen Beinen heruntergelaufen war, aber er fühlte jetzt, dass der sandige Boden sich mit seinem Urin vermengte.

Bleib bei der aktiven Form, sonst drosselst du wieder die Spannung. Es scheint nicht, es ist so! Als Beispiel:
Seine Rufe erstickten in seiner Kehle. Er hustete und plötzlich spürte er, wie die Angst sein Bein in heißen Bächen hinablief und auf den sandigen Boden plätscherte.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

»Nick, beeil' dich! Komm' zu mir!«
Die Worte klangen jetzt wie Hohn in seinen Ohren. Verdammt, er war ein zehnjähriger Junge, dessen bester Freund ein jubelnder Christiano Ronaldo war. Der Aufdruck auf einem Shirt, das ihm zurzeit mehr
einzuschnüren schien, als es ihm hilfreich war.
Wo sollte er hinkommen? Woher kam diese Stimme?


So, nun findet der Leser heraus, dass der Protagonist erst zehn Jahre alt ist. Auf mich hat er bisher einen deutlich älteren Eindruck gemacht und die erwähnten "zehn Jahre" aus seiner Vergangenheit, hätten auch schon länger her sein können. Man weiß ja auch nicht, ob und wann der Vater gestorben ist.
Wenn er tatsächlich erst zehn ist, würde ich das "Verdammt" unbedingt streichen. Ich denke nicht, dass Zehnjährige schon derart in Gedanken fluchen. Vielleicht lieber so etwas wie "Mein Gott", oder - wenn es weniger religiös sein soll - "Meine Güte".
Dann wird auch hier wieder der Aufdruck des Shirts erwähnt und hier finde ich es auch deutlich passender. Vielleicht so etwas wie:
Meine Güte, er war ein zehnjähriger Junge, der am liebsten in seinem Christiano Ronaldo Shirt schlief.


Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Egal wo er sich gerade befand, die Stimme klang blechern und gleichbleibend weit weg. Gleichbleibend weit weg.



Hier wird es ein wenig kompliziert in den Beschreibungen.
Ich hab einfach mal reingeschmiert:
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Der Flur war der Mittelpunkt der Wohnung, von ihm aus kam man in das Wohnzimmer oder und in einen den kleinen zusätzlichen Flur, der zum Badezimmer und in die Küche führte. Die durch das Licht glühende Tür erhellte den Flur, sodass schemenhaft die Konturen des Raums zu erkennen waren. (Welchen Raumes? Du erwähnst zuvor mehrere Räume. Im nächstes Satz weiß man, du meinst das Bad, das müsste aber bereits hier klar werden, um Verwirrung vorzubeugen.)

Schlurfend bewegte er sich Richtung Badezimmer.
(Schlurfend klingt mir zu gemütlich, für jemanden der echt Angst verspürt.)


 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Die Hitze wurde immer unerträglicher und seine Zunge lag wie ein vertrocknetes Stück Fleisch in seinem Mund. Er hustete, trocken und tief aus seiner schmerzenden Brust.

Um Wortwiederholungen zu vermeiden eventuell:
Er würgte, trocken und tief aus seiner stechenden Brust.

 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Aus purer Gewohnheit betätigte er den Lichtschalter rechts außerhalb des Badezimmers.

Der Schalter klackte und für den Bruchteil einer Sekunde erhellte das Licht der Lampe das Bad. Begleitet von einem Surren und Zischen platzte die Glühlampe mit einem lauten Knall.
Nick zog erschrocken den Kopf ein und hörte das Klirren der Scherben auf dem Fliesenboden. Sein Herz pulsierte verängstigt in seiner Brust.


Das Herz ist ein Organ und kann nicht verängstigt sein - auch pulsieren scheint mir hier nicht das richtige Wort, es klingt zu langsam ... vielleicht eher  "trommelte", "vibrierte"... irgendetwas Hektisches. Ansonsten aber gut geschrieben.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Nick hielt sich mit einer Hand stützend an der Zarge (am Türrahmen) fest und tastete sich behutsam in den Raum. Vorsichtig schob er die Scherben mit dem Fuß beiseite und trat schwer atmend in das Badezimmer.


Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Die Arme auf das Waschbecken gestützt beugte er sich unter den Wasserhahn und ließ das Wasser über seinen Kopf fließen.

Öööh, Moment, das geht nun ein bissl schnell. Gerade tritt er noch (vorsichtig) ind Bad und schon steht er auf das Waschbecken gestützt unter fließendem Wasser? Dass er sich aufstützt und den Wasserhahn aufdreht muss ja alles erstmal passieren.

 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Das kalte Wasser erfrischte sein Gesicht und die Wunden an seinen Armen. Er hob seinen Kopf und blickte in den Spiegel über dem Waschbecken. Erschrocken starrte er in das Gesicht dieser (einer) dunklen Schattenfigur, in dessen (deren) Rücken das Licht drohend flimmerte. Es dauerte eine Weile (einen Moment - eine Weile wirkt hier zu lang), bis er realisiert hatte, dass es seine eigene Silhouette war, welche er in dem (im) Spiegel erblickte.


 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Erleichtert atmete er auf und spürte, wie sein Puls sich von dem Schrecken erholte. Erneut schaufelte er etwas von dem Wasser über seinen schmerzenden Unterarm.

Auch hier: Der Puls selbst kann sich nicht von der Angst erholen, der langsam werdende Puls ist ein Symptom des Körpers aufgrund der verschwindenen Angst - was aber hauptsächlich im Geist stattfindet.

 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Mit jeder Berührung feuerte sein Gehirn qualvolle Bilder wie kleine Explosionen vor seine Augen. (schönes Bild!) Dieser Hass im Gesicht seines Vaters, diese Wut, welche sich jedes Mal in exzessive Gewalt verwandelt hatte. Bilder, die schlimmer waren als jeglicher Schmerz. Nach all den Jahren hatte er gelernt mit dem physischen Schmerz umzugehen, aber was er nicht verarbeiten konnte, waren die (war der Anblick der) blauen Flecken und Würgemale am Hals seiner Mutter.



 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

 Abend für Abend nahm sie lächelnd ein Buch aus dem Regal über seinem Bett und las ihm daraus eine Geschichte vor.
Auf der Bettkante sitzend zupfte sie immer wieder das Halstuch zurecht, welches die Hämatome an ihrem Hals verdeckt hatte. Ihre Stimme klang dünn und resigniert. Er schaute in ihr Gesicht und sah, das der Glanz in ihren Augen einer tiefen Verzweiflung gewichen war. Ihre Lippen zitterten mit jedem Wort, doch (und) er spürte ihren inneren Kampf um Haltung. Nick konnte die Wahrheit sehen, auch wenn seine Mutter stets darum bemüht war, ihn davor zu beschützen zu wollen.

Er sah den Schmerz hinter dem Lächeln und er hörte ihren stummen Schrei nach Befreiung (hier vielleicht einfügen, wie hilflos er sich dabei fühlt, z.B. ... aber er wusste nicht, wie er ihr und sich selbst helfen sollte.). Tränen liefen über sein Gesicht, die er mit einem erneuten Schwall Wasser wegspülte. (Schön ausgesrückt.)


 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Im Dunkeln tastete er nach dem Handtuch, welches immer rechts neben dem Waschbecken auf dem Handtuchhalter lag neben dem Waschbecken.
Er zog es herunter und wischte sich die Wasserperlen aus dem Gesicht.

Währenddessen Dabei nahm er einen übel riechenden Gestank nach angesenkten Haaren am Handtuch wahr. Vergewissernd Um sicher zu gehen, dass er sich nicht täuschte, steckte er noch einmal seine Nase in das Handtuch und dieser unerträgliche Geruch weckte eine fast vergessene Erinnerung in ihm.


 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

 Es roch, wie an diesem Abend im April. Nick wusste nicht, ob es damals die verlorene Lebenslust war, oder einfach nur der Wille den Menschen Narben zu zeigen, die niemand hätte verstecken können. Er stahl das Feuerzeug seines Vaters und entzündete die Haare auf seinem Kopf. Es stank fürchterlich, so fürchterlich wie es dieses Tuch jetzt tat.

Hier machst du einen Zeitsprung in die Vergangenheit, daher musst du auch die Zeit beim Schreiben wechseln:
Es roch, wie an diesem Abend im April. Nick wusste nicht, ob es damals die verlorene Lebenslust war gewesen war, oder einfach nur der Wille den Menschen Narben zu zeigen, die niemand hätte verstecken können. Er stahl hatte das Feuerzeug seines Vaters gestohlen und entzündete die Haare auf seinem Kopf angezündet. Es stank hatte fürchterlich gestunken, so fürchterlich genau so, wie es dieses Tuch jetzt das Handtuch tat.


 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

 Er wollte das Handtuch gerade zurück über den Halter legen, als er bemerkte, wie sich ein Loch in der Mitte des Handtuchs auftat. Ängstlich warf er es in das Waschbecken und sprang einen Schritt zurück.

Das Wort "Ängstlich" erscheint mir zum Einen zu schwach für eine Reaktion auf ein derartiges Ereignis, zum Anderen ist es aber auch gar nicht notwendig ein eigenes Wort einzusetzen, Wenn du es dabei belässt, zu schreiben, dass er das Handtuch wegwirft und zurückspringt, drückt das schon klar genug aus, dass er Angst bekommt.

 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Irgendetwas fraß sich durch das Handtuch, bis von diesem nichts mehr übrig war. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Nick dieses schattenhafte Spektakel. Ungläubig warf er einen Blick in das Waschbecken und fuhr mit der Hand über die Keramik. Er nahm etwas von der übrig gebliebenen, staubigen Masse auf und rieb es zwischen seinem Daumen und seinen Fingerspitzen.

Hier ein kleiner Widerspruch: Zuerst schreibst du, es bleibt nichts übrig, dann fährt er mit den Fingern durch das, was übrig war. wink


 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Es fühlte sich sandig an. Zaghaft schob er seinen Finger unter die Nase, um die kaum sichtbare Masse zu identifizieren.  Er hustete und röchelte, nachdem er den feinen Staub in seine Atemwege gesogen hatte. Um Erlösung ringend fasste er sich an den Hals um eine schier imaginäre Hand, die seine Kehle abzuschnüren versuchte, zu lockern. Panisch rang er nach Luft und schrie heiser nach Hilfe.

Du verwendest im gesamten Text sehr viele adjektive, um zu beschreiben. Ich hab nichts gegen Adjektive, ehrlich. Aber manchmal kann man den Leser auch damit erschlagen. Besonders am Satzanfang empfinde ich sie meistens eher als störend, ganz besonders wenn mehrerer Sätze hintereinander auf diese Weise beginnen.
Um Erlösung ringend klingt mir hier zu poetisch und auch die "schier imaginere Hand" erscheint mir fehl am Platz. Versuche nicht zwanghaft viele Worte zum Beschreiben zu benutzen. Oft klingt ein treffendes Wort viel besser und erzeugt nicht selten ein passenderes Bild.

 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Seine Schreie blieben stecken wie ein Pfropfen und verloren sich dumpf in der Dunkelheit. Fortwährend hustend eilte Nick aus dem Badezimmer und schlug mit dem Rücken gegen die Tür der Schrankwand im Zwischenflur.

Uff, das ist wirklich sehr kompliziert geschrieben. Erstmal der löst der Pfropfen ein eher ungewollt komisches Bild in mir aus. Aber lachen soll man an dieser Stelle ja vermutlich nicht. Und der nächste Satz überfordert mich völlig. Ich muss mir da viel zu viel auf einmal vorstellen, zumal es ja auch eine sehr schnelle Szene ist. Bei schnellen Szenen ist Einfachheit umso wichtiger.

 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Keuchend stützte er seine Hände auf die Knie und er fühlte, wie diese Schlinge, welche die sich um seinen Hals gelegt hatte, sich langsam löste. Er wischte den Rest der Masse von seinen Fingern an seinem Shirt ab, als diese Stimme erneut aus dem Nichts zu ihm sprach.

Diese ist eines deiner Lieblingswörte, oder? lol2 Hier nennt man solche Wörter auch Parasiten, hehe. Dazu gibt es auch einen schönen Thread hier im Forum.

 [quote="Kampi74"]
»Nick! Junge, Bitte!«
Den Blick noch immer zum Boden gerichtet schmunzelte er infolge der blechernen Stimme die ebenso weit weg, wie irreal daher kam.
Eh ... warum schmunzelt er denn auf einmal?

 
Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Die Tentakel des Lichts schoben sich giftig blendend über den Boden und ließen die Luft knistern.

Das klingt wieder toll!

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Gefräßig saugten sie jeglichen Sauerstoff aus der Luft und füllten
diese mit penetrant stechenden Gasen.

Würde ich einfacher formulieren. Z.B.:
Gefräßig saugten sie jegliche Luft aus dem Flur und füllten ihn mit stechendem Gas.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Nick hatte keine Wahl mehr, sein Weg führte nur noch in die angrenzende Küche. Eine Sackgasse.
Aus diesem Raum gab es kein weiteres entkommen.

Doppelmoppler.  

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Der letzten verbleibenden Hoffnung folgend, richtete er sich auf und rannte in die Küche.

Öhm ... gerade hat er doch festgestellt, dass es von dort aus kein Entkommen mehr gibt. Woher kommt nun also noch Hoffnung?

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Sein Blick war dabei immer nach hinten gerichtet, wo nun auch das Badezimmer dieser unersättlichen Gier des Lichts zum Opfer gefallen war.

Nein, wenn man rennt guckt man normalerweise nach vorne, vor allem wenn es fast Dunkel ist.

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

»Hallo Nick!« Für einen Augenblick hielt er inne. Diese Worte klangen anders als die Worte zuvor. Ruhig, unbeeindruckt und düster. Nicht etwa blechern, wie von der anderen Seite des Dosentelefons.
Diesmal nicht.


Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Die hagere Figur eines alten Mannes saß dort am Tisch und die Flamme seiner Zigarette glühte hell auf, als er daran zog.

Warum nicht einfach "ein hagerer, alter Mann"?

Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

»Wer sind sie?«, stotterte Nick, »Wo sind meine Eltern?«
In dem Moment, als das Licht den Weg in die Küche gefunden hatte, konnte er den Mann deutlich sehen. Sein Gesicht war mager und eingefallen was ein ungepflegter, grauer Rauschebart (bei Rauschebart denkt man eher an den Weihnachtsmann) zu kaschieren versuchte. Unter dem Rand seines Huts, der tief in sein Gesicht gezogen war, schimmerte sein silbernes, zotteliges Haar hervor. Seine unnatürlich langen Finger wirkten hölzern (Wieso hölzern? Sind sie steif? Die Klauen eines Vogels sind ja eher beweglich ...) und ähnelten den Klauen eines Vogels. Während der Rauch sein Gesicht vernebelte, spielten seine Finger wechselweise am Stab seines Gehstocks, dessen Kopf die Gestalt eines Raben zierte.

»Nick, du bist ein mutiger kleiner Mann. Ich mag Menschen wie dich, kämpferisch und intelligent.«  
Nick konnte den Worten des alten Mannes nicht folgen.
»Was erzählen sie denn da? Wer zum Teufel sind sie?«
Der Mann lachte laut auf, »Wer zum Teufel ich bin!«
Er lachte erneut, »Man nennt mich den Chauffeur.«
»Chauffeur? Was chauffieren sie denn?«
Seine Augen veränderten sich mit fast jedem Wimpernschlag. Wo zuvor noch dunkle schwarze Pupillen zu sehen waren, erschienen im nächsten Moment kalte, schneeweiße Augen.
»Seelen, mein Junge. Menschliche Seelen.«
Er hauchte die Worte und sie hinterließen einen kalten Schauer (wo? schau doch mal, ob du ein anderes Gleichnis findest, der Schauer ist einfach zu abgedroschen für diese doch sehr atmosphärische Szene).
Die Tentakel des Lichts krochen unaufhaltsam auf Nick zu und er glaubte zu hören, wie das Licht vor lauter Vorfreude lechzte.
»Verstanden, sie sind der Chauffeur, alles klar. Können sie mir helfen? Irgendetwas stimmt hier nicht. Ich glaube, dieses Licht verfolgt mich.«
Der alte Mann drückte seine Zigarette auf der Tischplatte aus und erhob sich angestrengt (Wie drückt sich das aus? Stöhnt er, greift er sich an den Rücken? Beschreibe so etwas ruhig plastischer.) aus dem Stuhl.
Seine schattenhafte Figur schien an die zwei Meter groß zu sein.
»Es ist nicht das Licht was dich verfolgt, kleiner Mann. Es ist das Feuer.«
Nervös blickte sich Nick immer wieder um. Das Licht schlängelte sich gierig sein Bein hinauf.
»Feuer? Welches Feuer?«, schrie er hastig und kurz davor, in Panik auszubrechen.
»Demütigung, Mord und Lügen sind der Nährboden des Höllenfeuers, mein Junge!«
Die Worte krachten wie Peitschenhiebe aus seinem Mund, während er sich einen Schritt auf Nick zubewegte.
»Dein Vater hat dich gedemütigt. Er hat deine Mutter so lange gewürgt, bis sie das Bewusstsein verloren hat. Danach tat er, was er jeden Abend tat, sich besaufen (bisschen zu umgangssprachlich). Dieses Ritual kennst du sicherlich besser als ich. Er hat das Höllenfeuer entfacht um sich seiner Verantwortung zu entziehen und sich der Last eures Lebens zu befreien.«
Der alte Mann stieß ein grauenvoll, hustendes Lachen aus (entweder grauenvoll, oder hustend, beides wirkt zu überladen).
Nicks Herzschlag pochte ihm vom Hals bis in die Handgelenke.
»Sieh hin!«
Der Chauffeur legte seine Hand auf Nicks Kopf und erzeugte ein Bild vor seinen Augen. Es zeigte seinen Vater, der weinend vor ihrem brennenden Haus stand. Tränen, die genährt waren von geheuchelten Schuldgefühlen.


Kampi74 hat Folgendes geschrieben:

Schluchzend und um Aufmerksamkeit bedacht, rief er immer wieder nach seinem Sohn.
»Dad? Was hast du getan?«
Wenn du schreibst, dass der Vater nach seinem Sohn ruft, irritiert es ein wenig, wenn dann der Junge spricht, ohne dass es dabei erwähnt wird. Man denkt zuerst, der Vater ruft diese Worte. Am Besten hinter die wörtliche Rede ...., rief Nick. setzen, oder zwischen die Sätze noch einen einfügen, der wieder zu Nick schwenkt.


Er blickte in das trügerische Gesicht seines Vaters und spürte die Kälte.
»Es tut mir so leid mein Junge, ich wollte das nicht.«
Er Nick streckte seine Arme nach ihm aus, aber etwas zerrte an ihm und zog ihn weg, bis das Bild von seinem Vater vor seinen Augen endgültig verschwunden war.
»Diese armselige Kreatur hat euer Leben zerstört. Er bringt Tod und Verderben.«
Tränen liefen über Nicks Wangen.
»Du hast die Wahl, Nick!«, hauchte er und trat einen Schritt näher an ihn heran, »Gib mir deine Hand und ich führe dich aus diesem leidvollen Leben und bringe dich zu deiner Mutter.«
»Oder? Sag schon was ist die Alternative?«, schrie Nick panisch, während die Tentakel des Lichts brennend an seinem Bein nagten.
»Alternative?« Er verpackte das Wort in einem schroffen Lachen.
»Das Feuer wird deinen Körper fürchterlich entstellen. Gefangen in einem zerstörten Körper wird deine Seele in die alleinige Obhut deines Vaters gelegt. Das ist deine Alternative!«
Der Chauffeur streckte ihm die Hand entgegen, »Wähle!«



Himmel, ist das ist viel geworden - aber ich konnte einfach nicht aufhören, as absolut für die Geschichte spricht. Ich hoffe, ich überfordere dich damit nicht! Ich habe mir aber wirklich Mühe gegeben und alles Meckern und Ankreiden soll wirklich nur der Verbesserung des Textes dienen. Wie gesagt, was dir nicht zusagt, kannst du getrost weglassenn.
Nun hier nochmal mein Gesamtfazit:

Die Überschrift der Geschichte gefällt mir gut, sie macht neugierig auf das, was kommen mag. Allerdings fehlt mir irgendwie ein konkretes Ende, oder vielmehr - überhaupt ein Ende. So wie sie jetzt endet wirkt sie ein wenig abgeschnitten. Ich meine, der Leser taucht in Nicks Leben und seine Gefühlswelt ein, er stellt sich mit ihm Gefahren und erlebt unglaubliche Dinge ... und dann darf er am Ende nicht erfahren, wir Nick sich entscheidet? Das ist ein bisschen, als würde man sich durch ein Überraschungsei schälen und am Ende fehlt das Spielzeug. Das, worauf man sich gefreut hat, wird einem versagt. Hmm ... enttäuschend.
Vielleicht denkst du, dass es offensichtlich ist, was er wähl und wahrscheinlich ist es das auch. Dennoch würde zumindest ICH das gerne schwarz auf weiß sehen. Und das, obwohl ich ein offenes Ende in Geschichten durchaus zu schätzen weiß. Es muss aber auch zur Geschichte passen.

Weiter hatte ich ja oben im Text schon geschrieben, dass man für meinen Geschmack erst sehr spät erfährt, dass der Prota erst zehn Jahre alt ist. Ich hätte ihn Anfangs mindestens auf 15/16 geschätzt, was eindeutig an deiner Wortwahl liegt. Innerhalb des gesamtes Textes wählst du immer wieder Worte, die vielmehr zu einem Erwachsenen oder Teenager passen würden, als zu einem Kind. Bestes Beispiel: gegen Ende, das Wort "Alternative".


Was du aber sehr gut hinbekommen hast, ist Stimmungen zu erzeugen, und auch Gefühlsregungen darzustellen, auch wenn hier und da immer mal wieder kleine Patzer passieren, aber die passieren sowieso jedem.
Du hast definitiv Talent, und die Idee zu deiner Geschichte, sowie dein Schreibstil haben mich wirklich überzeugt. Sonst hätte ich mir auch nicht die Mühe einer derat ausführlichen Kritik gemacht. smile

Allerdings erscheinst du mir an manchen Stellen ein wenig zu bemüht. Du versuchst dann möglichst viele Worte zu finden, und auch ungewöhnliche Worte, um etwas zu beschreiben. In Szenen, die sich langsam abspielen, zum Beispiel bei der Beschreibung eines Zimmers, einer Stadt, oder einfach einer "entspannten" Situation, kann Detailreichtum ein schönes Stilmittel sein. Deine Geschichte aber war von Anfang bis Ende mit Spannung besetzt und da ist es ziemlich schwierig ins Detail zu gehen, ohne dass man damit das Tempo rausnimmt. Grundsätzlich ist es ja nicht verkehrt hier und das Tempo rauszunehmen, nur wenn es von Satz zu Satz passiert, leidet ein wenig die Stimmung.
Solche Sachen wie "liegt rechts von" kannst du grundsätzlich weglassen. Sofern es keinen triftigen Grund gibt, dass das Handtuch rechts vom Waschbecken hängt, ist das völlig egal. Auch, dass das Fenster am Ende des Zimmer ist (welches Ende eigentlich, wo hat ein eckiger Raum ein Ende?) spielt keine Rolle.

Alles in allem ist eine tolle Geschichte, in der man mitfiebern und mitleiden kann, auch wenn am Ende einige Fragen offenbleiben (z.B. was es überhaupt mit diesen Traumwelten auf sich hat, die ja offenbar kein reiner Traum sind).
Beim nächsten Mal aber eventuell eine etwas einfacherer Sprache für einen Zehnjährigen wählen, oder den Prota einfach älter sein lassen. Auch mit einem Vierzehnjährigen hätte man Mitleid, wenn man seine Familiengeschichte erfährt, und dem kauft man eher mal Worte wie "Verdammt", "Hämatom", oder "Pein" ab.


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Kampi74
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Beitrag06.11.2017 23:33
Das ist der Hammer!
von Kampi74
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Hallo Canyon,

puhh, wo soll ich anfangen? Smile  Was du da gemacht hast, ist der Wahnsinn. Du hast klasse Anmerkungen geschrieben und dir so viel Mühe gemacht. Tatsächlich klingen viele deine Änderungen plausibel und lesen sich auch für mich dann flüssiger.
Obwohl ich selber viel lese, vergesse ich beim Schreiben das der Leser mit seiner eigenen Vorstellungskraft arbeitet. Situationen zu genau beschreiben zu wollen, ist eine große Schwäche, an der ich arbeiten muss.
Ich lese mir die Sätze durch und denke, hmm... ist das nicht zu simpel und dann kommen die falschen Änderungen. Danke aber für diesen Hinweis.

Zu Nick: Stimmt. Der Wortschatz passt nicht zu einem 10jährigen. Ich werde ihn älter machen und das mit Ronaldo weglassen.

zum Ende: Very Happy ja eine Spezialität des Hauses. Ich mag dieses Ende. Klar hast du Recht. Der Leser fiebert mit und möchte dann auch wissen was mit dem Jungen passiert. Ich liebe den Gedanken das der Leser dort sitzt und noch einen Moment in der Geschichte verweilt, weil er darüber nachdenkt, was er tun würde. Smile

Im allgemeinen versuche ich gerade viel über Verbformen, Füllwörter (die ich noch in Mengen verwende) und Charakterdarstellung zu lernen.

Danke, für die vielen Verbesserungsvorschläge, die ich dann bald mal in Angriff nehmen werde.
Ich habe mich sehr gefreut, das dir die Geschichte ansonsten gefallen hat.
 Very Happy
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Canyon
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Beitrag07.11.2017 12:04

von Canyon
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Hey Kampi,

erstmal *puuuuh!* - ich hatte zeitweise schon die Befürchtung, es bei meiner Kritik übertrieben zu haben. Nun bin ich natürlich froh, dass sie dir doch ein bisschen genützt hat. smile Wie gesagt - ich konnte einfach nicht aufhören, es hat riesigen Spaß gemacht mit deiner Geschichte zu arbeiten. Ist halt genau das Genre, in dem ich auch bevorzugt lese und schreibe. Beim Durcharbeiten habe ich daher auch viel für mich selber rausziehen können, denn ich habe wieder mal erkannt, dass ich selber auch sehr gerne einige der "Fehler" mache, die ich dir angekreidet habe. lol

Der Christiano Ronaldo kann übrigens ruhig drin bleiben, immerhin hat der Gute ja auch ältere Fans und es gibt deinem Protagonisten ein Stück Persönlichkeit.

Und nochmal zum Ende: Da möchte ich meinen ersten Eindruck gerne revidieren. Ich glaube der Grund, warum mir das Ende beim ersten Durchgang nicht so zugesagt hat, war der, dass ich die Geschichte nicht als "Leser" gelesen habe, sondern als Kritiker. Wahrscheinlich hat mir da am Ende wirklich einfach eine Art Belohnung gefehlt. Ich habe mich aber im Nachhinein selber gewundert, dass mich das so gestört hat, da ich ja - wie erwähnt - eigentlich ein offenes Ende, gerade bei Kurzgeschichten, durchaus mag. Und wenn ich deine Gesichte nun rein aus der Leserperspektive betrachte, kann ich tatsächlich nur sagen: Es ist perfekt, so wie es ist. smile


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Kampi74
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Beitrag07.11.2017 17:54
Überarbeitete Fassung
von Kampi74
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TENTAKEL DES LICHTS

Nick schreckte schwer atmend aus dem Schlaf hoch. Sein Puls raste und die vernarbten Wunden an seinen Handgelenken schmerzten fürchterlich. Er legte seine Finger um die pochenden Stellen an seinem Unterarm, auf denen er schemenhaft dunkle Flecken erkannte. Der Druck linderte den Schmerz für eine kurze Weile, aber in seinem Kopf wüteten die Erinnerungen.
Traum oder Realität? Leben oder Tod?
Egal, welchen Zustand sein Geist für die Realität hielt, sie war da. Diese Pein seines Daseins hinterließ Narben auf seiner Seele und die würden ihn ein Leben lang begleiten. Albtraum, nannten es die Menschen voller Verachtung und Wut, aber Nick nannte es ... Alltag.
Er sah hinüber zu seinem Schreibtisch, wo er am Abend zuvor sein Notebook abgestellt hatte. Die Kontrollleuchte vom Netzteil war erloschen. Begleitet von einem dumpfen Druck im Kopf, richtete er seinen Blick auf den Digitalwecker, der zuverlässig jeden Morgen um Punkt sieben Uhr zu krächzen begann.
Dieses Mal war es jedoch nicht der Weckton, der ihn aus dem Schlaf geholt hatte.  Die sonst in einem grellen Rot leuchtenden Ziffern waren erloschen. Die Anzeige war eins geworden mit der Dunkelheit im Raum.
In dem Moment, als Nick sich hinüberbeugen wollte, um nach dem Wecker zu greifen, stach ein grelles Licht durch das große Fenster.  
Über das Fußende seines Bettes hinaus, zum Ende des Zimmers, konnte er durch ein Fenster auf die Nachbarhäuser blicken. An Tagen, wo seine Angst stärker war als die Hoffnung, gab das Licht in den gegenüberliegenden Wohnungen ihm die Gewissheit, das es ein Leben außerhalb dieses Zimmers gab. Das Licht, in seinen roten und gelben Farben bohrte sich tief durch die Pupillen in seine Augen und hinterließ dort einen beißenden Schmerz. Nick riss die Bettdecke schützend über seinen Kopf. Erst jetzt hatte er bemerkt, dass der Bettbezug seiner Decke feucht war und das T-Shirt klebte an seinem Körper.  Er zupfte nach dem Baumwollstoff auf seiner Brust und zog das nasse Shirt von seiner Haut. Sein Körper war schweißgebadet und er spürte, wie vereinzelt Schweißtropfen von seiner Brust herunter liefen. Nick ließ den Stoff los und das Shirt legte sich kühlend wie ein nasses Handtuch zurück auf seinen Körper. Das grelle Licht quälte sich durch die Fasern seiner schützenden Bettdecke, aber dessen messerscharfen Lichtstrahlen verfehlten jetzt ihre Wirkung.
»Was zum Teufel ist das?«, hauchte Nick.
Ein Traum! Natürlich, es konnte nur ein Traum sein.
Einschüchternd und realistisch, aber sind Träume das nicht immer?
Sein Atem schlug ihm unter der Decke ins Gesicht und ihn überkam eine beklemmende Kälte. Die Angst hatte ihn gepackt, seine Unterlippe schlotterte, aber seine Hände schwitzten. Nick lauschte. Das Licht zischte und knisterte. Er konnte es hören. Ein Geräusch, als würde jemand mit ihm reden, es klang dumpf und die Worte unverständlich. Nick schloss die Augen um sich auf das Geräusch zu konzentrieren.
Die stickige Luft unter seiner Decke, erschwerte ihm das atmen.  
»Nick! Komm zu mir!«, rief eine tiefe Stimme nach ihm und die Worte zogen jetzt verständlich wie ein Windzug durch die Hitze im Raum. Erschrocken ließ er die Decke aus den Händen fallen.
»Mom? Dad?«, rief Nick mit zittriger Stimme.
Ängstlich blickte er sich um. Wie ein wildes Tier fauchte und schnappte das Licht nach ihm. Er warf die feuchte Bettdecke beiseite, schwang seine Beine aus dem Bett und flüchtete durch die Zimmertüre in den angrenzenden Flur.
»Nick! Komm' zu mir!«
Die Stimme klang vertraut und doch befremdlich. Sie erschien ihm blechern, als würde jemand in eine dieser Dosentelefone sprechen. Trotzdem konnte er die Stimme seines Vaters aus Tausenden heraushören. Dieser unverkennbare Hass, der seine Stimmbänder vibrieren ließ, verharrte wie ein Brandmahl in seinem Kopf. Da lag etwas in seiner Stimme, was Nick in dieser Form nicht kannte.
War es etwa ... Nein, das konnte nicht sein. Zehn Jahre, von denen er gut die Hälfte bewusst den Schmerzen und das Leid hatte ertragen müssen, kannte er nur dieses grausame Geschöpf, das sich Vater nannte.
War es möglich, dass er Fürsorge in dieser Stimme hörte?
Nick warf die Zimmertüre hinter sich zu, wo sie krachend ins Schloss fiel. Dunkelheit umhüllte seinen Körper, während er im Flur nach der Stimme lauschte. Es blieb still. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen. Unter seinen nackten Füßen fühlte sich der Boden sandig und warm an. Etwas hatte sich auf das Parkett des Flurs gelegt und es scheuerte und kratzte unter den Fußsohlen.
»Nick, mein Junge! Geh weiter!«  
»Dad?«, rief er in die Dunkelheit hinein, »Dad, wo bist du?«
Er hielt den Atem an und lauschte angestrengt, aber aus der Finsternis kam keine Antwort. Was er zuvor noch als Wärme an seinen Füßen empfand, brannte jetzt heiß unter seinen Sohlen und bewegte sich langsam seine Beine hinauf. Die Anspannung rebellierte in seinem Magen und seine Blase drückte. Die Tentakel erwischten ihn an der Ferse. Erschrocken zog er sein Bein aus den Fängen des Lichts und wandte seinen Blick zurück zu seiner Zimmertüre. Das grelle Licht brannte an der Türe und zwängte sich unter den Türspalt hindurch. Der Türrahmen waberte im grellen Weiß und aus dem Türschloss züngelten die Tentakel des Lichts. Nick schluchzte bei dem Anblick und sein Körper zitterte, während Tränen über seine Wangen liefen. Starr vor Angst schlug er die Hände vor sein Gesicht.
»Es ist nicht real. Es ist nicht real.«, wimmerte er, aber der Gedanke an einen fiesen Albtraum konnte die panische Stimme in seinem Kopf nicht zum Schweigen bringen.
»Mom? Dad? Bitte, wo seid ihr? Ich habe Angst?«
Seine Rufe erstickten in seiner Kehle. Er hustete und spürte jetzt das seine Blase den Drang nicht standgehalten hatte. Die Angst lief an seinen Beinen herunter und er fühlte, dass der sandige Boden sich mit seinem Urin vermengte.
»Nick, beeil' dich! Komm' zu mir!«
Die Worte steigerten seine Anspannung, er hatte keine Ahnung was er mit ihnen anfangen sollte. Seine Gedanken verirrten sich in einer geistigen Lähmung.  
Wo sollte er hinkommen? Woher kam diese Stimme?
Er war ein zehnjähriger Junge, dessen bester Freund ein jubelnder Christiano Ronaldo war. Der Aufdruck auf einem Shirt, das ihn zurzeit mehr einzuschnüren schien, als es ihm hilfreich war.
Egal, in welchem Teil der Wohnung er stand, die Stimme klang blechern und weit weg. Gleichbleibend weit weg. Der Flur war der Mittelpunkt der Wohnung, von ihm aus kam man in das Wohnzimmer und in einen kleinen zusätzlichen Flur, der zum Badezimmer und in die Küche führte. Welcher Weg war der Richtige?  Die glühende Tür erhellte den Flur, sodass schemenhaft die Konturen des angrenzenden, kleinen Flurs zu erkennen waren. Nick riss sich aus der starren Beklemmung und rannte Richtung Badezimmer. Die Hitze war unerträglich und seine Zunge lag wie ein vertrocknetes Stück Fleisch in seinem Mund. Er hustete tief aus seiner schmerzenden Brust.
Nick betätigte den Lichtschalter außerhalb des Badezimmers. Der Schalter klackte und für den Bruchteil einer Sekunde erhellte das Licht der Lampe das Bad.
Begleitet von einem anfänglichen Surren zerplatzte die Glühlampe mit einem lauten Knall. Nick zog erschrocken den Kopf ein und hörte das Klirren der Scherben auf dem Fliesenboden. Das Herz pochte in seiner Brust. Nick hielt sich mit einer Hand stützend am Türrahmen fest und tastete sich behutsam in den Raum. Vorsichtig schob er die Scherben mit dem Fuß beiseite und trat schwer atmend in das Badezimmer. Mit weit aufgerissenen Augen ertastete er das Waschbecken. Mit beiden Händen packte er den vorderen Keramikrand und schob seine Füße über den Boden, um nicht in die Scherben zu treten. Die Arme auf das Waschbecken gestützt beugte er sich unter den Wasserhahn, ließ das Wasser über seinen Kopf fließen und schloss die Augen. Das kalte Wasser erfrischte sein Gesicht und die Wunden an seinen Armen. Er hob seinen Kopf um in den Spiegel über dem Waschbecken sehen zu können. Erschrocken starrte er in das Gesicht einer dunklen Schattenfigur, in deren Rücken das Licht drohend flimmerte. Es dauerte einen Moment, bis er realisiert hatte, dass es seine eigene Silhouette war, die ihm einen riesigen Schrecken eingejagt hatte. Erleichtert atmete Nick auf. Sein Puls beruhigte sich. Wiederholt schaufelte er etwas von dem kühlen Wasser über seinen schmerzenden Unterarm. Mit jeder Berührung feuerte sein Gehirn qualvolle Bilder wie kleine Explosionen vor seine Augen. Dieser Hass im Gesicht seines Vaters, die Wut, welche sich jedes Mal in exzessive Gewalt verwandelt hatte. Bilder, schlimmer als jeglicher Schmerz. Nach all den Jahren, hatte er für sich gelernt, mit dem physischen Schmerz umzugehen, aber diesen Anblick der blauen Flecken, die Würgemale am Hals seiner Mutter, hatten sich in seinem Herzen als schmerzhafte Erinnerung eingebrannt.
Abend für Abend nahm sie lächelnd ein Buch aus dem Regal über seinem Bett, streifte ihm durchs Haar und las ihm daraus eine Geschichte vor.
Auf der Bettkante sitzend zupfte sie immer wieder das Halstuch zurecht, welches die roten Flecken an ihrem Hals verdeckt hatte. Ihre Stimme klang dünn und resigniert. Der Glanz in ihren Augen war einer tiefen Verzweiflung gewichen. Er konnte ihren inneren Kampf um Haltung spüren, während jedes Wort der Geschichte zittrig ihre Lippen verließ. Nick konnte die Wahrheit sehen, auch wenn seine Mutter stets darum bemüht war, ihn davor zu beschützen.
Er sah den Schmerz hinter dem Lächeln und hörte ihren stummen Schrei nach Befreiung. Was hätte er machen können? Welche Möglichkeiten gab es für ihn, das Leid seiner Mutter zu lindern? Die Antwort erschien genauso simpel wie einleuchtend. Es machte ihn traurig, ihren Kummer mit ansehen zu müssen, in dem Wissen, das er ihr nicht helfen konnte.  Tränen liefen über sein Gesicht, die er mit einem erneuten Schwall Wasser wegspülte.
Im Dunkeln tastete er nach dem Handtuch, welches neben dem Waschbecken auf dem Handtuchhalter lag. Er zog es herunter und wischte sich die Wasserperlen aus dem Gesicht, wobei er einen übel riechenden Gestank nach angesengten Haaren am Handtuch wahrnahm. Vergewissernd steckte er noch einmal seine Nase in das Handtuch und dieser unerträgliche Geruch weckte eine fast vergessene Erinnerung in ihm.
Es roch, wie an diesem Abend im April, an den er sich just in diesem Moment zurückversetzt fühlte. Nick wusste nicht, ob die verlorene Lebenslust ihn damals dazu getrieben hatte oder es einfach nur der Wille war, den Menschen Narben zu zeigen, die niemand hätte mit einem Schal verstecken können. An diesem Abend, sein Vater lag in einem Meer von Bierflaschen in seinem Fernsehsessel, hatte er ihm unbemerkt das Feuerzeug gestohlen. Nachdenklich hockte Nick in seinem Zimmer, während sein Daumen den Feuerstein hin und her rollte. Ein Weile wartete er auf den mutigen Moment, der ihn dazu brachte mit der Flamme seine Haare anzuzünden. Die Enttäuschung hatte ihn wütend gemacht, weil sie nicht brannten, sie kokelten nur.
„Haarspray, du hättest Haarspray nehmen müssen“, hatte die Stimme in seinem Kopf gepoltert.
Seine Haare hatten fürchterlich gestunken, genauso fürchterlich wie es jetzt das Handtuch tat. Er wollte das Handtuch gerade zurück über den Halter legen, als er bemerkte, wie sich ein Loch in der Mitte des Handtuchs auftat. Nick warf er es in das Waschbecken und sprang einen Schritt zurück. Irgendetwas fraß sich durch das Handtuch, bis von diesem nur noch eine dunkle Masse übrig blieb. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte Nick dieses schattenhafte Spektakel. Ungläubig warf er einen Blick in das Waschbecken. Das Handtuch hatte sich komplett aufgelöst. Nick fuhr mit der Hand über die Keramik, nahm etwas von der übriggebliebenen Masse auf und rieb es zwischen seinem Daumen und seinen Fingerspitzen. Es fühlte sich sandig an. Zaghaft schob er seinen Finger unter die Nase, um die kaum sichtbare Masse zu identifizieren. Er hustete und röchelte, nachdem er den feinen Staub in seine Atemwege eingesogen hatte. Nick fasste sich an den Hals. Die Masse schien seine Kehle zuzusetzen. Panisch keuchend schrie Nick nach Hilfe, aber seine Bemühungen blieben im Hals stecken wie ein Pfropfen und verloren sich in der Dunkelheit. Fortwährend hustend eilte Nick aus dem Badezimmer.  Er stolperte und schlug mit dem Rücken gegen die Tür der Schrankwand im Zwischenflur. Nach Luft ringend stützte er seine Hände auf die Knie und fühlte, wie sich die Schlinge, die sich um seinen Hals gelegt hatte, langsam löste. Er wischte den Rest der Masse an seinem Shirt ab, als die Stimme erneut aus dem Nichts zu ihm sprach.
»Nick! Junge, Bitte!«
Die Tentakel des Lichts schoben sich giftig blendend über den Boden und ließen die Luft knistern.
Gefräßig saugten sie den Sauerstoff aus der Luft und füllten den Raum mit stechenden Gasen. Nick hatte keine Wahl, sein Weg führte nur noch in die angrenzende Küche. Eine Sackgasse.
Aus diesem Raum gab es kein weiteres Entkommen.
Nick richtete sich auf und stürzte in die Küche. Dort angekommen blickte er noch einmal zurück, wo nun auch das Badezimmer der unersättlichen Gier des Lichts zum Opfer gefallen war.
»Hallo Nick!«
Für einen Augenblick hielt er inne. Diese Worte klangen anders als die Worte zuvor. Ruhig, unbeeindruckt und düster. Nicht blechern wie von der anderen Seite des Dosentelefons.
Ein hagerer, alter Mannes saß dort am Tisch und die Flamme seiner Zigarette glühte, als er daran zog.
»Wer sind sie?«, stotterte Nick, »Wo sind meine Eltern?«
In dem Moment, als das Licht den Weg in die Küche gefunden hatte, konnte er den Mann deutlich sehen. Sein Gesicht war mager und eingefallen was ein ungepflegter, buschiger Vollbart zu kaschieren versuchte. Unter dem Rand seines Huts, der tief in sein Gesicht gezogen war, schimmerte sein silbernes, zotteliges Haar hervor. Seine unnatürlich langen Finger ähnelten den Klauen eines Vogels. Während der Rauch sein Gesicht vernebelte, spielten seine Finger wechselweise am Stab seines Gehstocks, dessen Kopf die Gestalt eines Raben zierte.
»Nick, du bist ein mutiger kleiner Mann. Ich mag Menschen wie dich, kämpferisch und intelligent.«
Nick konnte den Worten des alten Mannes nicht folgen.
»Was erzählen sie denn da? Wer zum Teufel sind sie?«
Der Mann lachte laut auf, »Wer zum Teufel ich bin!«
Er lachte erneut, »Man nennt mich den Chauffeur.«
Der alte Mann schnalzte mit der Zunge und kniff ein Auge zu.
»Ich verstehe das nicht. Chauffeur? Was chauffieren sie denn?«
Seine Augen veränderten sich mit jedem Wimpernschlag. Wo ihn zuvor noch dunkle schwarze Pupillen bedrohlich angestarrt hatten, erschienen im nächsten Moment kalte, schneeweiße Augen.
»Seelen, mein Junge. Menschliche Seelen.«
Er hauchte die Worte, die sich durch Nicks Körper wühlten und dort seinen Geist mit panischer Angst vergifteten.
Die Tentakel des Lichts krochen unaufhaltsam auf Nick zu.
Er glaubte zu hören, wie das Licht aus Vorfreude lechzte.
»Auch, wenn ich keine Ahnung habe, was das bedeuten soll, müssen sie mir helfen? Irgendetwas stimmt hier nicht. Meine Eltern, ich ... kann sie nicht finden. Ich glaube, dieses Licht verfolgt mich.«, bettelte Nick.
Der alte Mann drückte seine Zigarette auf der Tischplatte aus, stützte sich mit beiden Händen auf seinen Stock und erhob sich angestrengt aus dem Stuhl.
Seine schattenhafte Figur schien an die zwei Meter groß zu sein.
»Es ist nicht das Licht, was dich verfolgt, kleiner Mann. Es ist das Feuer.«
Nervös schaute sich Nick um. Das Licht schlängelte gierig um seine Beine herum.
»Feuer? Welches Feuer?«, schrie er hastig.
»Demütigung, Mord und Lügen sind der Nährboden des Höllenfeuers, mein Junge!«
Die Worte krachten wie Peitschenhiebe aus seinem Mund, während er sich einen Schritt auf Nick zubewegte.
»Dein Vater hat dich gedemütigt. Er hat deine Mutter so lange gewürgt, bis sie das Bewusstsein verloren hat. Danach hat er das getan, was er jeden Abend zelebrierte. Er hat sich mit Alkohol den letzten Rest seiner Menschlichkeit genommen. Dieses Ritual kennst du sicherlich besser als ich. Er hat das Höllenfeuer entfacht um sich seiner Verantwortung zu entziehen und sich der Last eures Lebens zu entledigen.«
Der alte Mann stieß ein grauenvolles Lachen aus.
Nicks Herzschlag pochte ihm vom Hals bis in die Handgelenke.
»Sieh hin!«
Der Chauffeur legte seine Hand auf Nicks Kopf und erzeugte ein Bild vor seinen Augen. Es zeigte seinen Vater, der weinend vor ihrem brennenden Haus stand. Tränen, genährt von geheuchelten Schuldgefühlen. Schluchzend und um Aufmerksamkeit bedacht, rief er immer wieder nach seinem Sohn.
»Dad? Was hast du getan?«, fragte Nick.
Er blickte in das trügerische Gesicht seines Vaters und spürte die Kälte.
»Es tut mir leid mein Junge, ich wollte das nicht.«
Er streckte seine Arme nach ihm aus, aber etwas zerrte an ihm und zog ihn weg, bis das Bild von seinem Vater vor seinen Augen endgültig verschwunden war.
»Diese armselige Kreatur hat euer Leben zerstört. Er bringt Tod und Verderben.«
Tränen liefen über Nicks Wangen.
»Du hast die Wahl, Nick!«, hauchte er und beugte sich zu ihm herunter, »Gib mir deine Hand. Ich führe dich aus diesem leidvollen Leben und bringe dich zu deiner Mutter.«
»Oder was? Was ist, wenn ich nicht mitgehen möchte?«, schrie Nick, während die Tentakel des Lichts brennend an seinem Bein nagten.
»Was willst du tun, kleiner Mann. Sieh' dich um, da liegt die Antwort.«
Er untermalte die Worte mit einem schroffen Lachen.
»Ich mache es für dich etwas deutlicher.«, sprach der alte Mann mit ernster Stimme. Er packte Nick am Kinn und starrte ihm in die Augen.
»Das Feuer wird deinen Körper fürchterlich entstellen. Gefangen in einem zerstörten Körper wird deine Seele in die alleinige Obhut deines Vaters gelegt. Das passiert, wenn du nicht mit mir kommst.«
Der Chauffeur streckte ihm die Hand entgegen, »Wähle!«
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