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[KUG] Der Wunschzettel

 
 
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Seneca
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 58
Beiträge: 215



Beitrag18.12.2007 13:25
[KUG] Der Wunschzettel
von Seneca
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Die Nächte wurden länger, die Tage trüber und kälter. Während das Sonnenlicht dahinschwand, erschienen die Vorboten einer neuen Zeit. Die Finsternis spukte Lichterketten, Werbeweihnachtsmänner und sentimentale Dauerbeschallung aus, die bald das ganze Land bedecken sollten – Weihnachten stand vor der Tür.

Dieses Jahr war ich fest entschlossen, mich nicht in den vorweihnachtlichen Trubel hineinziehen zu lassen. Und ich hatte mich gut vorbereitet.

Meine Weihnachtseinkäufe hatte ich zu einer Zeit gemacht, in der die Geschäfte noch verhältnismäßig frei von Käuferhorden und kommerzieller Weihnachtsromantik gewesen waren. Später hatte ich alle Menschenansammlungen gemieden. Auf dem Weg von und zu meiner Arbeit huschten zwar die Lichter und Geräusche an mir vorüber, aber es waren nur Erscheinungen aus einer anderen Welt, die nicht zu mir dringen konnten. Ich war gut vorbereitet, und die Zeit bis zu den Feiertagen würde ich spielend überstehen. Davon war ich fest überzeugt.

Doch schließlich ereilte auch mich das Schicksal, und zwar als mir meine über alles geliebte Frau eine Frage stellte:

„Schatz, was wünscht du dir eigentlich zu Weihnachten?“

Als ich die Bedeutung dieser scheinbar harmlosen Frage erfasst hatte, wusste ich, dass ich verloren hatte. Das Schicksal hatte auch mich gepackt und gleich dem erbarmungslosen Malstrom zog es mich langsam aber unaufhaltsam in die Tiefe. Mit dem Mut der Verzweiflung versuchte ich, das Unabwendbare abzuwenden:

„Ich habe überhaupt keine Wünsche! Ich bin ein außerordentlich glücklicher Mann mit einer wundervollen Frau und bezaubernden Kindern. Ich habe alles, was ich mir wünschen kann. Und sollte mir doch einmal etwas fehlen, dann kaufe ich mir es einfach.“

„Stell dich nicht so an!“ sagte die Frau, die ich liebte. „Deine Mutter und meine Schwester haben schon nachgefragt. Und dein Bruder und meine Eltern werden bestimmt auch bald anrufen. Also, sei lieb und schreibe einen Wunschzettel!“

Einen Wunschzettel? Welch Unglück! Wissen Sie, wie schwer es ist, einen Wunschzettel zu schreiben, wenn man keine Wünsche hat? Pflichtschuldig setzte ich mich vor ein leeres Blatt Papier. Was konnte ich mir nur wünschen? Nun ja, es gibt immer irgendetwas, das man sich zwar nicht gerade wünscht, und vielleicht auch nicht gerade braucht, das aber doch irgendwie schön wäre zu haben. Ein gutes Buch, zum Beispiel. Oder einen Film auf DVD. Und natürlich Musik. Ich mag gute Musik. Und warum eigentlich kein neues Computerspiel? Die Ideen flossen aus meinem Kopf und breiteten sich auf dem Papier aus. Natürlich würde ich keine Zeit haben, um das Buch zu lesen, oder um den Film anzusehen, oder auch nur, um die Musik zu hören. Ganz zu schweigen von dem Spiel. Aber jedes war für sich ein schönes Ding und ihr Besitz erschien mir irgendwie erstrebenswert.

Zum Abschluss fügte ich noch praktische Wünsche hinzu, etwas, das man brauchte, aber nicht begehrte. Eine Mütze und einen Schal. Da erinnerte ich mich an die Mütze, die mir meine Mutter in der siebten Klasse geschenkt hatte und die ich danach hatte tragen müssen. Ich strich Schal und Mütze.

Immerhin, das was übrig blieb, war mehr als ausreichend, um meinen guten Willen zu zeigen. Somit war meine Frau zufrieden und ich hatte wieder meine Ruhe – dachte ich.

Aber so einfach war das nicht. Immerhin hatte ich entdeckt, dass es Dinge gab, die ich gerne besitzen würde. Das war sogar auf einem Wunschzettel dokumentiert. Beinahe amtlich beglaubigte Wünsche! Und kaum hatte ich den Wunschzettel meiner über alles geliebten Frau übergeben, da spürte ich wirklich den Wunsch in mir, diese Dinge zu besitzen. Und wenn ich mir etwas wünsche, dann kaufe ich es mir.

Also ging ich am nächsten Morgen zu meiner über alles geliebten Frau und sagte zu ihr:

„Wenn sich noch niemand für das Buch gemeldet hat, dann streich es von der Liste! Ich werde es mir nach der Arbeit kaufen.“

„Unterstehe dich! Du wirst überhaupt nichts kaufen – bis Weihnachten!“

Wissen Sie, wie das ist, wenn man etwas haben will, es aber nicht bekommen kann? Das Habenwollen wird zum Wunsch, zur Begierde und schließlich zu übermächtigem Verlangen. Meine neuen Wünsche beschäftigten mich ununterbrochen, nahmen gleichsam Besitz von meinen Gedanken, bis ich es nicht mehr aushielt und mich von meinem Verlangen in die großen Kaufhäuser führen ließ. Dort, eingehüllt in auf Hochtouren laufende Weihnachtsromantik, quetschte ich mich durch ungeheuere Käuferscharen, nur um eine Blick auf die Objekte meiner Begierde werfen zu können. Ich stand vor den Regalen, wie ein Junge, der seine Nase an einem Schaufenster plattdrückt, um die neueste Carrerabahn zu bewundern. Dann kehrte ich wieder heim, mit leeren Händen und noch größerem Verlangen als zuvor.

Die Zeit bis Weihnachten verging quälend langsam, aber irgendwann war dann doch Weihnachtabend. Und in einer sehr beschaulichen Feier mit meiner über alles geliebten Frau und meinen bezaubernden Kindern bekam ich schöne und originelle Geschenke. Ich war sehr gerührt über die Liebe, mit der sie ausgesucht worden waren. Aber nichts von meiner Wunschliste. Auch die Feiern mit unseren Eltern und Geschwistern waren sehr schön und ich bekam zu viele Geschenke. Von meiner Mutter zum Beispiel eine Mütze und einen Schal, die mich sehr an meine Mütze in der siebten Klasse erinnerte. Aber wieder nichts von meiner Liste!

Langsam machte sich Verzweiflung breit. Ich sehnte das Ende der Feiertage herbei und war der erste, der am folgenden Werktag die Kaufhäuser stürmte. D.h. einer von den hunderttausend ersten, denn scheinbar war ich nicht der einzige, der noch unerledigte Punkten auf seiner Wunschliste hatte.

Heute habe ich das Buch, die CDs und DVDs und auch das Computerspiel. Ich habe viel Geld für Dinge ausgegeben, die ich nie haben wollte. Sie stehen jetzt unberührt in einem Regal. Aber das Schlimmste ist, dass ich mir meinen Weihnachtsfrieden rauben ließ.

Aber nächste Weihnachten wird ganz anders. Nächstes Weihnachten werde ich besser vorbereitet sein. Gerade jetzt sitze ich an meinem Schreibtisch und arbeite an einem neuen Wunschzettel – eine lange Liste von Dingen, die ich garantiert nie haben möchte.

Ich wünsche allen eine geruhsame und friedliche Weihnachtszeit!

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