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Roman über eine Klavierlehrerin


 
 
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Kika
Schneckenpost
K


Beiträge: 10
Wohnort: Grebenstein


K
Beitrag18.09.2017 12:47
Roman über eine Klavierlehrerin
von Kika
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Ihr Lieben!

Ich schreibe gerade an einem Roman - jeden Tag eine Seite. ( Bin jetzt auf Seite 47) .Wie er sich entwickeln wird, das weiß ich noch nicht. Mal schauen. Ich denke da an einen Psychothriller - vielleicht wird aber auch nur ein simpler Roman daraus.
Ich freue mich jedenfalls über Reaktionen.  (Manches (die geheimen Vorstellungen - sind im Original kursiv geschrieben - hier jedoch scheint das nicht zu funktionieren?)  

Hier das erste Kapitel:

In jenem Teil des Tages, das sich der Leser bildhaft so vorstellen möge wie ein kleines Stück entblößtes Beinfleisch zwischen Hosenende und Sockenbeginn eines angewinkelten Herrenbeines, jenen Stunden zwischen Teestundenende und Fernsehzeitsbeginn,  wo in Vielen von uns das Gefühl vorherrscht, ein Fermatezeichen schwebe über dem Fluß des Tages, - kurzum einer Zeit, in welcher der Tag zu weit vorangeschritten, als dass man sich noch zu sinnvollem Tun hätte aufraffen mögen, andererseits jedoch noch zu viele Stunden barg, die ungenutzt hinfortwelken zu lassen einem verantwortungsbewussten Menschen als Veruntreuung wertvoller Lebenszeit schade wäre, lief eine 52-jährige Klavierlehrerin unauffällig die Straße entlang.
Nachdem sie bereits zum dritten Male das Treffen einer Gruppe Schicksalsverfangener unter diplompsychologischer Aufsicht besucht hatte, befand sie sich nun auf dem Heimweg. Es war kalt, und ihr Kopf wurde von einer Strickhaube umhüllt und gewärmt.
Klick-Klack, Klick-Klack!
Ähnelnd einem Metronome, dessen feiner, wohltönender Schlag Korselettstäbchen  in eine musikalische Phrase einzubasteln scheint, um selbige sanft daran zu hindern, über die Taktstriche hinüberquellend in´s Unverständliche abzudriften, schien der schöne Rhythmus ihrer Schritte dazu angetan, ihren Gedanken Form zu verleihen, und Hilke, so hieß die Klavierlehrerin, versuchte selbige so gut es eben ging  zusammenzuhalten, um dem eben Erfahrenen nachzusinnieren,  denn nach einer sogenannten „Gratis-Schnuppersitzung“ hatte sie heut bereits zum zweiten Male 45 € löhnen müssen, um sich  - und Vorsicht - ab hier setzen wir dem Fortgang des Satzes Gänsefüßchen auf, da  es sich doch wohl um eine gewagte und hinzu recht fragile Voraussage handeln dürfte, die wir mit den Anführungszeichen ein wenig puffern wollen - „in unbestimmter Zeit endlich in kaum wahrnehmbaren Fortschrittspartikeln nach und nach aus dem scharfeinschnürenden Korselett zu befreien,  in welches das Schicksal sie so erbarmungslos hineingepresst hatte.“
So etwa – wohl etwas klobiger in der Wortwahl – lautete das Versprechen ohne Gewähr, das diesen Sitzungen anhaftete.
„Daran arbeiten wir, hahahaha!“ hatte die  Gruppenleiterin auf die Frage, ob es überhaupt möglich sei, jemals wieder ein normaler Mensch zu werden,  mit großer energetischer Frische geantwortet, und diesen schönen Worten in forschem Frohsinn wiehernd hinterhergelacht.
Es handelte sich um eine diplomierte Dame mit Namen Erika Drdla, deren rundes Haupt mit einem frechen Fransenbob überstülpt war. Auf ihrer weichen Nase saß eine lustige Tigerbrille, durch die sie schelmisch und mit einer mitreißenden Freude am Aufbruch in neue Kapitel des Lebens, in die Augen jener zu blicken pflegte, die fragend das Wort an sie richteten.
Erika Drdla,  53 Jahre alt,  hatte stundenweise einen Raum im Gemeindezentrum gemietet, um dort allmittwöchlich ihre befreiungsverheißenden Treffen abzuhalten.
Immer fröhlich, schien sie mit dem Glück einen Pakt geschlossen zu haben: „Du verlässt mich nicht, und ich preise dich dafür, wo ich nur kann!“  
Und in der heutigen Sitzung hatte Erika Drdla den Schicksalsbewatschten  von ihrer eigenen Lebenssackgasse berichtet, aus der sie sich offenbar hatte befreien können.
„So fröhlich, wie Sie mich hier sehen war ich gewiss nicht immer!“
Mit diesem Passus hatte sie die Schilderung eingefädelt, um sodann auf leicht verwaschene Weise und in Worten, die jene Winkel die wirklich von Interesse gewesen wären, geschickt umschifften, eine unglückliche Ehe zu schildern, in die sie in jungen Jahren hineingeschlittert sei. Ihr Gatte hatte sie mit schönen Worten bzgl. „Künftjem“ umgarnt, doch dies „Künftige“ blieb immer gleich künftig – und dabei hätte man doch meinen sollen, dass sich die „Künftigkeit“ mit der Zeit etwas herbei- bzw. man selber sich ein wenig darauf zubewegen sollte?
„Gleichkünftig“ hier hakten Hilkes Gedanken beim Nachsinnieren kurz ein.
„Das ist ein schönes Wort!“ freute sie sich auf matte Weise, denn war es ihr nicht ebenso ergangen?
Zurück zu Erika Drdlas Schilderung:
Der Herr Gemahl schien Anderes im Sinne zu haben, als an seinen schönen Versprechungen zu arbeiten: ständig schleppte er seine dummen Freunde herbei. Abend für Abend wurde damit vertrödelt, die Zukunft verbal so schön zurechtzuzupfen, dass man sie einerseits kaum erwarten konnte, andererseits die Vorfreude darauf auch noch ein wenig auskosten wollte.
Man bewegte sich auf die Zukunft zu, und die Zukunft bewegt sich einfach mit. Kurzum, es geschah nichts!
Erika Drdla löste sich aus dieser Ehe und besann sich auf andere Kraftquellen, die der liebe Gott leicht verborgen am Saum des Lebensweges für einen Jeden von uns bereit hält.
Man müsse nur die Augen offen halten.
Heute genösse sie jeden Tag wie ein kostbares Geschenk.
Allerweltsweisheiten gewiss, und doch schien Erika D. der Meinung, man könne sich dies schöne Allgemeinwissen nicht oft genug vor Augen führen.
„Am beschdö wär´s, sie schreiböt sich dös mit großen, möglichsch bun-ten Buchstaben auf, und kleböt es sich irgendwo auf Augenhöhe an die Wand! JEDER TAG ISCH EIN GESCHENK!“ sagte sie mit Nachdruck auf schwäbisch, so, wie hier zu lesen ist.
Und auf diesem Geschenk nun mühte sich Hilke zur Bushaltestelle hin, und gab sich Mühe, eine eventuelle Süße des Moments zu erspüren, denn wie viele dieser kostbaren Geschenke hatte sie einfach mit Warten, Hadern und Bitternis verpfumfeit?
Hilke mochte Frau Drdla sehr, doch dass sie ausgerechnet „Erika“ heißen musste?!

Eigentlich hatte Hilke nach der kostenlosen Schnupperstunde vor zwei Wochen nicht wiederkehren wollen, doch dann zwang sie sich dazu und war nun auch recht froh drum – denn zeigten sich nicht die ersten zarten Wurzeln eines winzigen Fortschritts? Ihr war zumute, als mühe sich die Sonne aus dichtestem, tiefgrauen Wolkengebräu hervor, doch noch immer genügte der kleinste Assoziationsanknüpfungspunkt und schon saß Wolfram wieder da, wo er immer sitzt: in ihrem Kopf!  
Die Modulationsmöglichkeiten, die der Alltag bot schienen unbegrenzt:
Es brauchte nur jemand ein paar Worte zur Lage in Amerika von sich zu geben, und einem kunstvoll dahingeworfenen, rasant vor sich hinhüpfenden Steinchen auf einer Teichoberfläche nicht unähnelnd, hüpften in Hilkes Kopf die Gedanken dort hin, wo sie immer hinhüpfen, und blieben für´s Erste wieder haften.
Amerika
Erika
Wolfram!  
Und um noch ein weiteres Beispiel anzufügen, stelle man sich diese winzige, lapidare  häusliche Szene vor, für die es in einem guten Roman eigentlich keinen Platz geben dürfte:
„Man reiche mir die Butter!“ bittet ein Familienoberhaupt am Frühstückstisch.
Butter
Rahm  
Wolfrahm.
In diesem Falle dachte ihn sich Hilke mit „h“ geschrieben, was dem Gedanken  eine zusätzlich schmachtende Note verlieh.  
So ging es den ganzen Tag. Ein kleines Wortpartikelchen, und das Schicksal pustete all das Bemühen ihn zu vergessen, aus hohngeblähten Backen wieder hinfort.
„Das grenzt ja schon an Besessenheit!“ hatte Hilke nach dem Beispiel mit dem Rahm ganz erschrocken gedacht, um den Gedanken alsbald weiter auszubauen, indem sie stellvertretend für einen Anderen über sich selber dachte:
„“Grenzt“ ist gut! Das IST Besessenheit!“
Hilkes Schicksal hatte, wie jeder, der bis hier her gelesen hat, unschwer erraten wird einen Namen: Wolfram.
Wolfram, der nun bereits seit über 30 Jahren in ihrem Gehirn nistete, selbiges vollkommen ausfüllte, alle anderen Gedanken zusammenquetschte und unbrauchbar machte.
Eine Psychologin hatte einmal geraten, Wolfram „zuzulassen“, d.h. eigentlich hatte sie  raten wollen ihn „loszulassen“ , und der Ratschlag aus berufenem Munde war bereits zur Hälfte ausgesprochen und wurde buchstäblich im letzten Moment in sein Gegenteil umgebogen, da der Psychologin in der Mitte des Satzes bewusst geworden war,  dass dieser geheimnisvolle Mann doch offenbar in Hilkes Gehirn festsaß!
Das einzige was in solch einem Fall helfe, wäre eine Lobotomie, dachte, sagte sie jedoch nicht.
Also ließ Hilke Wolfram zu, und schleppte ihn mit durch´s Leben.
Er ist in mir wie eine unheilbare Krankheit! hatte Hilke vor etlichen Jahren einmal tränenblind in ihr Tagebuch geschrieben. Einen Satz, den sie irgendwo aufgeschnappt hatte, und der eigentümlich passend auf sie zugeschnitten schien.
Auf edelstem Büttenpapier glänzte der schöne Satz eine Weile lang tintenfeucht in der Abendsonne.
Es gibt keinen anderen, und es wird auch nie einen anderen geben…hatte sie nicht ohne  Pathos noch hinzugeschrieben.
Inzwischen war die Tinte lange getrocknet und das Tagebuch in einem schwer zugänglichen Winkel ihres Kleiderschranks verstaut, aber die gefühlvollen Passagen hatten in all den Jahren nichts von ihrem Wahrheitsgehalt eingebüßt.
Klick-Klack, Klick-Klack.
Hatte Hilke sich nicht soeben vorgenommen, sich beim Sinnieren auf dem Wege zur Bushaltestelle ganz auf die Sitzung eben zu konzentrieren?
Wolfram, der Schmeichler, Spötter und Manipulator zupfte wieder wie an einer Harfe an ihren Gedanken herum und brachte sie immer wieder vom Pfade ab.
Ihre Gedanken waren vom beständigen Bezupftwerden völlig ausgeleiert und jene Gedankenklimmzüge derer es bedurft hätte, Klügeres und Konstruktiveres zu denken, schaffte Hilke -  in der Mitte des Lebens, mehr schlecht als recht in´s Weltgeschehen eingetopft - rein kräftemäßig einfach nicht mehr. Unwirsch solcherart, als wolle sie eine Stubenfliege vertreiben die sich in ihrer Mütze verheddert hat, lenkte Hilke den Fokkus  des Sinnierens in den hellen, freundlichen Raum zurück, in welchem sie sich eben doch noch so wohl und entspannt gefühlt hatte.
An einem achteckigen Tisch saß man inmitten anderer vom scharfen Wind des Schicksals unschön Bepusteter, und durch das große Fenster zeigte sich das ruhige Kirchareal und die etwas verschlafen wirkende Kirche mit ihrer steil in die Höhe ragenden Zipfelmütze.
Wenn sie dort saß, dem fröhlichen Gegacker einer Erika Drdla zu lauschen suchte, und dazu auf verborgene Weise leicht spöttisch und überheblich auf die alten Damen um sich herum blickte, so  schienen Sorgen und Nöte anderthalb Stunden lang hinausgesperrt.
Sie saß in einer sorgenfreie Zone!
Etwas, was Hilke letzte Woche in der zweiten Sitzung ganz plötzlich freudig bewusst  geworden war, und in die dritte Sitzung heut war sie nun in Vorfreude und Erwartung geeilt, erneut von diesem bergenden Gefühl umhüllt zu werden. Nicht die Worte einer Erika Drdla, so gerne man ihnen auch lauschte, brachten Linderung – nein, es war die wunderbare Aura dieses Raumes.
Es war einem freigestellt, anonym zu bleiben, und Hilke hatte davon freudig Gebrauch gemacht.
Hilke fühlte sich in diesem Raume, als sei sie aus dem Weltgeschehen entfernt worden und habe sich in Luft aufgelöst.   
Und nach der Sitzung, in einem Pulk schnatternder Damen in´s Freie strebend,   hatte Hilke versucht, sich in dies´ Gefühl hineinzuschmiegen  wie in ein wärmendes Gewand, in das man sich bis zur Unkenntlichkeit hineinverpacken könne, um von Niemandem mehr erkannt zu werden.
Nicht einmal von den eigenen Sorgen, die vor dem Tore auf sie warteten und an denen sie nun zügigen Schrittes vorbeizuhasten suchte.
Doch nach wenigen Sekunden schon schien ihr, als riefe Jemand hinter ihr her:
„Halt! Moment! Sie haben etwas vergessen!“
„Nehmen sie diesen Sack Sorgen, den sie da einfach hingestellt haben, gefälligst wieder mit nach Hause.“

Könnte man die Sorgen nicht einfach aussetzen wie ein unerwünschtes kleines Kind?  
Sind sie nicht Teil von einem, den man gar nicht haben will? Warum gibt es keine Sorgenklappe? Hört man nicht zuweilen den Satz: „Deine Sorgen möchte´ ich haben!“ dies und mehr dachte Hilke,  während sich die angestrebte Haltestelle in ihre Sichtlinie schob.  
Der Bus fuhr an ihr vorbei, verlangsamte leicht quietschend die Fahrt, um Momente später mit einem Puff anzuhalten, und ein paar glanzlose, im warmen Inneren leicht aufgebackene Bürger an Land zu speien, und ein paar ebenso glanzlose, verfröstelte wieder einzusaugen, unter die sich nun auch Hilke mischte:  düstere Muslime, listige, in einer unverständlichen Sprache laut kläffende Balkanesen auf dem Wege zu krummen Geschäften, Schmeckefüchse und einen welken Rentner.   
Hilke stieg ein, setzte sich vorne hin und spiegelte sich in einem länglichen Spiegel der dort angebracht war. Da saß sie nun unter ihrer Haube, die nicht nur ihren Kopf, sondern Wolfram darin gleich mitwärmte und inzwischen wohl aufgetaut hatte, denn schon wieder hatte sie an ihn gedacht.
Sie schaute auf ihr bleiches Gesicht, aus dem sich die Jugend unbemerkt hinfortgestohlen hatte. In Form feinster Runzeln hatte der Tod seine Vorboten ausgeschickt. Das Alter ziepte, und der Tod zupfte, vorerst nur spielerisch, so jedoch unverhohlen an ihr herum und raunte ihr bisweilen etwas zu, von dem sich nicht mit Bestimmtheit sagen ließ, ob es als beruhigend oder eher beunruhigend empfunden werden wollte:
„Auch du bist MEIN!“
Hilke bog ihren Kopf zur Seite und spiegelte sich matt, wie eine ferne Erinnerung im Fenster.
Sie blickte wieder in den Spiegel, lächelte, bemüht, so nett auszusehen wie sie nur konnte und brachte ein herrlich natürliches, fast unschuldig schlichtes, fröhliches Lächeln zustande.
„Wie sehr ein freundliches Lächeln auch ein welkes Gesicht zu verschönen vermag!“ freute sie sich kurz auf. Es fegt die Bitternis aus den Zügen und wärmt ein eventuelles Gegenüber.
Und wird nicht ohnehin hi und da dazu geraten, der Welt mit einem Lächeln zu begegnen?
Eine Weisheit im Stile von Erika Drdla, die nun in Hilkes Kopf einen kleinen Purzelbaum geschlagen hatte.
Ohne den schönen Anblick den sie jetzt bot zu verändern, bog sie den Kopf in die andere Richtung und schaute in das Businnere hinein.
Doch niemand schien mehr einen Blick für eine über 50 Jahre alte Frau zu haben. Niemand schien auch nur einen kleinen Moment Zeit erübrigen zu können, sich an ihrem Lächeln zu erfreuen.  
Das Lächeln einer vor sich hinwelkenden fremden Frau wurde schlicht und einfach nicht mehr benötigt. Kein Bedarf!  
Hilke schaltete das Lächeln wieder ab, bettete sich in die allgemeine Stimmungslage  und dumpfte trübe vor sich hin, so wie die anderen Fahrgäste auch.
Wenn sie ehrlich war, so war das ausgeknipste Lächeln ja auch keinesfalls von Herzen gekommen. All diese vielen Gestalten um sie herum bedeuteten ihr nichts.
All diese armseligen, jämmerlichen Gestalten würde Hilke mit Freuden zum Teufel schicken, wenn sie dafür nur eine Minute mit Wolfram hätte.
Und während Hilke dies dachte, da räkelte sich auch noch des Fischers Frau in ihr,
indem der schöne Gedanke alsbald unnötig aufgeplustert wurde und sie noch weiter von der traurigen Realität hinfortspülte:
„Eine Minute“ mit Wolfram?? - Da lacht man ja. Ihre letzte Minute als Singlette:
Wenn sie neben ihm vor dem Standesbeamten stünd´, und aus vollem Herzen „Ja“ sagen dürfte.  
Hilke war im wahrsten Sinne des Wortes besetzt und besessen.

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TZH85
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Beitrag20.09.2017 13:23

von TZH85
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Puh.
Ich möchte mich mal nicht an Kleinigkeiten aufhalten wie "für's" oder "Fokkus" - die Fehlerchen halten sich in Grenzen.

Mich wundert es nicht, dass der Text relativ lang unkommentiert im Forum dümpelte, es ist ein schwieriger Fall.
Einerseits gibt es einige Ausdrücke, die mir wirklich sehr gefallen, etwa die Jugend, die sich unbemerkt aus dem Gesicht geschlichen hatte. Die Sprache hat etwas poetisches und der Erzählstil, obwohl er sehr nah an Hilke ist, hat beinahe auktoriale Züge. Das könnte vielleicht aber auch an der Stimme des Textes liegen, die auf eine charmante Weise angestaubt ist.

Aber obwohl ich viel Schönes zwischendrin entdeckt habe, brauchte ich mehrere Anläufe für den Text. Sehr, sehr verschlungene Schachtelsätze. Einerseits klingt es ein wenig, als würde ein belesener Humanist angeregt drauflos plaudern, andererseits muss man wirklich bei jedem Satz sehr konzentriert lesen, um den Faden nicht zu verlieren. Das ist kein Text, den man abends zur Unterhaltung bei einem Glas Rosé wegliest. Ich hab mal nachgezählt: Allein der erste Satz zählt 98 (!) Wörter. Da läuft man fast Gefahr, den Anfang zu vergessen, ehe man das Ende liest. Ich glaube, Mark Twain gräbt sich selbst wieder aus und ruft: "Genau das meinte ich mit der schrecklichen deutschen Sprache!"

Ein bisschen skeptisch macht mich auch, dass du noch nicht so genau weißt, in welche Richtung der Roman gehen soll. Entsprechend ziellos wirkt Hilke auch bei ihrem ersten Auftritt. Das Verschrobene ist wohl gewollt, hatte ich zumindest den Eindruck, aber im Grunde passiert in deiner Szene ja nicht viel, außer dass die Protagonistin unterwegs ist und sinniert. Vielleicht täte ihr ein bisschen Handlung ganz gut. Vielleicht hast du den Text aber auch nur als eine Art Charakterstudie angelegt.


Zusammengefasst: Ich denke, die Figur hat durchaus Potential und deine Schreibe ist eloquent und bildhaft. Allerdings würde ich versuchen, die Wortgewalt ein wenig zu zähmen und Schachtelsätze möglichst zu vermeiden, sonst fühlt man sich als Leser förmlich erschlagen.
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Kika
Schneckenpost
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K
Beitrag20.09.2017 14:45

von Kika
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Vielen herzlichen Dank für die Rückmeldung!
Da hast Du vollkommen recht mit allem was Du schreibst. Habe ich selber dem Sinne nach auch schon gedacht - die Sch8elsätze befinden sich gottlob nur am Anfang, so daß sie sich - hoffentlich! - leicht wieder entschachteln lassen.
Liebe Grüße
Franziska
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Kika
Schneckenpost
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Beiträge: 10
Wohnort: Grebenstein


K
Beitrag20.09.2017 16:36

von Kika
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Wen´s interessiert:

Für die weitere Handlung schwebt mir (zunächst) Folgendes vor:  ( habe ich mir zumindest jetzt als Etappenziel gesetzt ):

Hilke lebt als alleinerziehende Mutter in einem Mietshaus. Ihr Leben ist anstrengend und unschön, und Hilke verzehrt sich nach ihrer ersten und einzigen wahren großen Liebe.

Ihre beiden Kinder würde sie am liebsten ungeschehen machen -  zumindest den 17-jährigen Sohn, der sie allzusehr an ihren Exmann erinnert - einen Herrn, der in ihrem Leben eigentlich nie eine wirkliche Rolle gespielt hat, da all ihre Gefühle jenem Einzigen gehören, der mittlerweile unerreichbar für sie geworden ist .

Hilke hatte sich jedoch – nach unguten Erfahrungen mit ihrer eigenen Mutter – einmal vorgenommen, wenigstens ihrer Tochter eine gute Mutter zu sein. Es wird langsam zur Obsession, ihre frühreife Tochter davor zu bewahren, in jungen Jahren  einem verheirateten Mann zu verfallen - so wie es ihr ja leider passiert ist.

Hilke hat einen Lehrer in der Schule ihrer Tochter im Verdacht, ein Auge auf ihre knusprige Tochter geworfen zu haben, und beginnt diesen Herrn zu observieren. Es ist nur ein Verdacht, den sich Hilke auf ihre bittere, "wissende" Art mit Fleiß zusammengezimmert hat. Grundlos beginnt Hilke diesen Menschen zu hassen.

Gleichzeitig versucht Hilke einen reichen Mann zu finden, und hat bereits jemanden im Visier.  Doch auch für ihn empfindet Hilke letztendlich nichts.

Dann fährt Hilke eines Tages, ohne es geplant zu haben,  – sie wollte nur kurz zur Tankstelle fahren um sich Spirituosen zu kaufen, doch dann fährt sie immer weiter und weiter und weiter…völlig übermüdet kommt sie in den frühen Morgenstunden in dem kleinen Dorfe an, wo jenes Ehepaar lebt, in dessen Tiefkühltruhe im Keller Hilke ihre verlorenen Gefühle wähnt.

Erstmal bis hier - dann sehen wir weiter!
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azareon35
Geschlecht:männlichEselsohr


Beiträge: 292
Wohnort: Hessen


Beitrag11.10.2017 01:05
Re: Roman über eine Klavierlehrerin
von azareon35
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Wie meine Studienfreundin aus Kentucky immer zu sagen pflegte: Heeba!
Dann mal die Ärmel hochgekrempelt und ans Werk.

Kika hat Folgendes geschrieben:

In jenem Teil des Tages, das sich der Leser bildhaft so vorstellen möge wie ein kleines Stück entblößtes Beinfleisch zwischen Hosenende und Sockenbeginn eines angewinkelten Herrenbeines Dieses Simile klingt ungefähr so passend wie Der Bach sprudelte über die Felsen mit der Kraft des Urins eines jungen Mannes, jenen Stunden zwischen Teestundenende und Fernsehzeitsbeginn,  wo in Vielen von uns das Gefühl vorherrscht, ein Fermatezeichen schwebe über dem Fluß des Tages, - kurzum einer Zeit, in welcher der Tag zu weit vorangeschritten, als dass man sich noch zu sinnvollem Tun hätte aufraffen mögen, andererseits jedoch noch zu viele Stunden barg, die ungenutzt hinfortwelken zu lassen einem verantwortungsbewussten Menschen als Veruntreuung wertvoller Lebenszeit schade wäre, lief eine 52-jährige Klavierlehrerin unauffällig die Straße entlang. Also, alles vor lief kann gestrichen werden. Was auch immer du für eine Wirkung mit dem Satz erzeugen wolltest, der Wortschwall ruiniert sie.
Nachdem sie bereits zum dritten Male das Treffen einer Gruppe Schicksalsverfangener unter diplompsychologischer Aufsicht besucht hatte, befand sie sich nun auf dem Heimweg. Es war kalt, und ihr Kopf wurde von einer Strickhaube umhüllt und gewärmt. Das ist ein interessanter Abschnitt. Er geht leider in den Schachtelsätzen völlig unter.
Klick-Klack, Klick-Klack!
Ähnelnd einem Metronome, dessen feiner, wohltönender Schlag Korselettstäbchen  in eine musikalische Phrase einzubasteln scheint, um selbige sanft daran zu hindern, über die Taktstriche hinüberquellend in´s Unverständliche abzudriften, schien der schöne Rhythmus ihrer Schritte dazu angetan, ihren Gedanken Form zu verleihen, und Hilke, so hieß die Klavierlehrerin, versuchte selbige so gut es eben ging  zusammenzuhalten, um dem eben Erfahrenen nachzusinnieren,  denn nach einer sogenannten „Gratis-Schnuppersitzung“ hatte sie heut bereits zum zweiten Male 45 € löhnen müssen, um sich  - und Vorsicht - ab hier setzen wir dem Fortgang des Satzes Gänsefüßchen auf, da  es sich doch wohl um eine gewagte und hinzu recht fragile Voraussage handeln dürfte, die wir mit den Anführungszeichen ein wenig puffern wollen - „in unbestimmter Zeit endlich in kaum wahrnehmbaren Fortschrittspartikeln nach und nach aus dem scharfeinschnürenden Korselett zu befreien,  in welches das Schicksal sie so erbarmungslos hineingepresst hatte.“ Shocked Akne und Koryza! Ich habe nach dreimaligem Lesen nur aus diesem Abschnitt mitgenommen, dass deine Prota Hilke heißt.
So etwa – wohl etwas klobiger in der Wortwahl – lautete das Versprechen ohne Gewähr, das diesen Sitzungen anhaftete. Wenn das hier nicht klobig sein soll... Confused
„Daran arbeiten wir, hahahaha!“ hatte die  Gruppenleiterin auf die Frage, ob es überhaupt möglich sei, jemals wieder ein normaler Mensch zu werden,  mit großer energetischer Frische geantwortet, und diesen schönen Worten in forschem Frohsinn wiehernd hinterhergelacht.
Es handelte sich um eine diplomierte Dame mit Namen Erika Drdla, deren rundes Haupt mit einem frechen Fransenbob überstülpt war. Auf ihrer weichen Nase saß eine lustige Tigerbrille, durch die sie schelmisch und mit einer mitreißenden Freude am Aufbruch in neue Kapitel des Lebens, in die Augen jener zu blicken pflegte, die fragend das Wort an sie richteten.
Erika Drdla,  53 Jahre alt, Warum steht das hier? Warum ist das wichtig? hatte stundenweise einen Raum im Gemeindezentrum gemietet, um dort allmittwöchlich ihre befreiungsverheißenden Treffen abzuhalten.
Immer fröhlich, schien sie mit dem Glück einen Pakt geschlossen zu haben: „Du verlässt mich nicht, und ich preise dich dafür, wo ich nur kann!“  
Und in der heutigen Sitzung hatte Erika Drdla den Schicksalsbewatschten  von ihrer eigenen Lebenssackgasse berichtet, aus der sie sich offenbar hatte befreien können.
„So fröhlich, wie Sie mich hier sehen war ich gewiss nicht immer!“
Mit diesem Passus hatte sie die Schilderung eingefädelt, um sodann auf leicht verwaschene Weise und in Worten, die jene Winkel die wirklich von Interesse gewesen wären, geschickt umschifften, eine unglückliche Ehe zu schildern, in die sie in jungen Jahren hineingeschlittert sei. Ihr Gatte hatte sie mit schönen Worten bzgl. „Künftjem“ umgarnt, doch dies „Künftige“ blieb immer gleich künftig – und dabei hätte man doch meinen sollen, dass sich die „Künftigkeit“ mit der Zeit etwas herbei- bzw. man selber sich ein wenig darauf zubewegen sollte?
„Gleichkünftig“ hier hakten Hilkes Gedanken beim Nachsinnieren kurz ein.
„Das ist ein schönes Wort!“ freute sie sich auf matte Weise, denn war es ihr nicht ebenso ergangen? Nur gibt es dieses Wort nicht wirklich.
Zurück zu Erika Drdlas Schilderung:
Der Herr Gemahl schien Anderes im Sinne zu haben, als an seinen schönen Versprechungen zu arbeiten: ständig schleppte er seine dummen Freunde herbei. Abend für Abend wurde damit vertrödelt, die Zukunft verbal so schön zurechtzuzupfen, dass man sie einerseits kaum erwarten konnte, andererseits die Vorfreude darauf auch noch ein wenig auskosten wollte.
Man bewegte sich auf die Zukunft zu, und die Zukunft bewegt sich einfach mit. Kurzum, es geschah nichts!
Erika Drdla löste sich aus dieser Ehe und besann sich auf andere Kraftquellen, die der liebe Gott leicht verborgen am Saum des Lebensweges für einen Jeden von uns bereit hält.
Man müsse nur die Augen offen halten.
Heute genösse sie jeden Tag wie ein kostbares Geschenk.
Allerweltsweisheiten gewiss, und doch schien Erika D. Wie jetzt? Warum die Abkürzung? der Meinung, man könne sich dies schöne Allgemeinwissen nicht oft genug vor Augen führen.
„Am beschdö wär´s, sie schreiböt sich dös mit großen, möglichsch bun-ten Buchstaben auf, und kleböt es sich irgendwo auf Augenhöhe an die Wand! JEDER TAG ISCH EIN GESCHENK!“ sagte sie mit Nachdruck auf schwäbisch, so, wie hier zu lesen ist. Also, sofern das hier kein Provinzkrimi ist, würde ich auf phonetische Nachdichtungen von Dialekten verzichten.
Und auf diesem Geschenk nun mühte sich Hilke zur Bushaltestelle hin, und gab sich Mühe, eine eventuelle Süße des Moments zu erspüren, denn wie viele dieser kostbaren Geschenke hatte sie einfach mit Warten, Hadern und Bitternis verpfumfeit?
Hilke mochte Frau Drdla sehr, doch dass sie ausgerechnet „Erika“ heißen musste?! Wiebittewas? Ist das ihr einziges Problem?

Ich fasse zusammen: eine 52 Jahre alte Klavierlehrerin namens Hilke ist auf dem Heimweg von einer Selbsthilfegruppe und lässt diese nochmal Revue passieren. Stimmt das so? Denn das ist alles, was ich aus dem vorhergehenden Abschnitt mit sehr viel Mühe rauslesen konnte.




Eigentlich hatte Hilke nach der kostenlosen Schnupperstunde vor zwei Wochen nicht wiederkehren wollen, doch dann zwang sie sich dazu und war nun auch recht froh drum – denn zeigten sich nicht die ersten zarten Wurzeln eines winzigen Fortschritts? Ihr war zumute, als mühe sich die Sonne aus dichtestem, tiefgrauen Wolkengebräu hervor, doch noch immer genügte der kleinste Assoziationsanknüpfungspunkt und schon saß Wolfram wieder da, wo er immer sitzt: in ihrem Kopf!  
Die Modulationsmöglichkeiten, die der Alltag bot schienen unbegrenzt:
Es brauchte nur jemand ein paar Worte zur Lage in Amerika von sich zu geben, und einem kunstvoll dahingeworfenen, rasant vor sich hinhüpfenden Steinchen auf einer Teichoberfläche nicht unähnelnd, hüpften in Hilkes Kopf die Gedanken dort hin, wo sie immer hinhüpfen, und blieben für´s Erste wieder haften.
Amerika
Erika
Wolfram! Was? Wo ist da die Verbindung?
Und um noch ein weiteres Beispiel anzufügen, stelle man sich diese winzige, lapidare  häusliche Szene vor, für die es in einem guten Roman eigentlich keinen Platz geben dürfte:
„Man reiche mir die Butter!“ bittet ein Familienoberhaupt am Frühstückstisch.
Butter
Rahm  
Wolfrahm.
In diesem Falle dachte ihn sich Hilke mit „h“ geschrieben, was dem Gedanken  eine zusätzlich schmachtende Note verlieh. Also, das ist... ziemlich weit hergeholt
So ging es den ganzen Tag. Ein kleines Wortpartikelchen, und das Schicksal pustete all das Bemühen ihn zu vergessen, aus hohngeblähten Backen wieder hinfort.
„Das grenzt ja schon an Besessenheit!“ hatte Hilke nach dem Beispiel mit dem Rahm ganz erschrocken gedacht, um den Gedanken alsbald weiter auszubauen, indem sie stellvertretend für einen Anderen über sich selber dachte:
„“Grenzt“ ist gut! Das IST Besessenheit!“ Warum nennt sie es nicht gleich beim Namen?
Hilkes Schicksal hatte, wie jeder, der bis hier her gelesen hat, unschwer erraten wird einen Namen: Wolfram.
Wolfram, der nun bereits seit über 30 Jahren in ihrem Gehirn nistete, selbiges vollkommen ausfüllte, alle anderen Gedanken zusammenquetschte und unbrauchbar machte.
Eine Psychologin hatte einmal geraten, Wolfram „zuzulassen“, d.h. eigentlich hatte sie  raten wollen ihn „loszulassen“ , und der Ratschlag aus berufenem Munde war bereits zur Hälfte ausgesprochen und wurde buchstäblich im letzten Moment in sein Gegenteil umgebogen, da der Psychologin in der Mitte des Satzes bewusst geworden war,  dass dieser geheimnisvolle Mann doch offenbar in Hilkes Gehirn festsaß!
Das einzige was in solch einem Fall helfe, wäre eine Lobotomie, dachte, sagte sie jedoch nicht.
Also ließ Hilke Wolfram zu, und schleppte ihn mit durch´s Leben.
Er ist in mir wie eine unheilbare Krankheit! hatte Hilke vor etlichen Jahren einmal tränenblind in ihr Tagebuch geschrieben. Einen Satz, den sie irgendwo aufgeschnappt hatte, und der eigentümlich passend auf sie zugeschnitten schien.
Auf edelstem Büttenpapier glänzte der schöne Satz eine Weile lang tintenfeucht in der Abendsonne.
Es gibt keinen anderen, und es wird auch nie einen anderen geben…hatte sie nicht ohne  Pathos noch hinzugeschrieben.
Inzwischen war die Tinte lange getrocknet und das Tagebuch in einem schwer zugänglichen Winkel ihres Kleiderschranks verstaut, aber die gefühlvollen Passagen hatten in all den Jahren nichts von ihrem Wahrheitsgehalt eingebüßt.
Klick-Klack, Klick-Klack.
Hatte Hilke sich nicht soeben vorgenommen, sich beim Sinnieren auf dem Wege zur Bushaltestelle ganz auf die Sitzung eben zu konzentrieren?
Wolfram, der Schmeichler, Spötter und Manipulator zupfte wieder wie an einer Harfe an ihren Gedanken herum und brachte sie immer wieder vom Pfade ab.
Ihre Gedanken waren vom beständigen Bezupftwerden völlig ausgeleiert und jene Gedankenklimmzüge derer es bedurft hätte, Klügeres und Konstruktiveres zu denken, schaffte Hilke -  in der Mitte des Lebens, mehr schlecht als recht in´s Weltgeschehen eingetopft - rein kräftemäßig einfach nicht mehr. Unwirsch solcherart, als wolle sie eine Stubenfliege vertreiben die sich in ihrer Mütze verheddert hat, lenkte Hilke den Fokkus  des Sinnierens in den hellen, freundlichen Raum zurück, in welchem sie sich eben doch noch so wohl und entspannt gefühlt hatte.
An einem achteckigen Tisch saß man inmitten anderer vom scharfen Wind des Schicksals unschön Bepusteter, und durch das große Fenster zeigte sich das ruhige Kirchareal und die etwas verschlafen wirkende Kirche mit ihrer steil in die Höhe ragenden Zipfelmütze.
Wenn sie dort saß, dem fröhlichen Gegacker einer Erika Drdla zu lauschen suchte, und dazu auf verborgene Weise leicht spöttisch und überheblich auf die alten Damen um sich herum blickte, so  schienen Sorgen und Nöte anderthalb Stunden lang hinausgesperrt.
Sie saß in einer sorgenfreie Zone!
Etwas, was Hilke letzte Woche in der zweiten Sitzung ganz plötzlich freudig bewusst  geworden war, und in die dritte Sitzung heut war sie nun in Vorfreude und Erwartung geeilt, erneut von diesem bergenden Gefühl umhüllt zu werden. Nicht die Worte einer Erika Drdla, so gerne man ihnen auch lauschte, brachten Linderung – nein, es war die wunderbare Aura dieses Raumes.
Es war einem freigestellt, anonym zu bleiben, und Hilke hatte davon freudig Gebrauch gemacht.
Hilke fühlte sich in diesem Raume, als sei sie aus dem Weltgeschehen entfernt worden und habe sich in Luft aufgelöst.   
Und nach der Sitzung, in einem Pulk schnatternder Damen in´s Freie strebend,   hatte Hilke versucht, sich in dies´ Gefühl hineinzuschmiegen  wie in ein wärmendes Gewand, in das man sich bis zur Unkenntlichkeit hineinverpacken könne, um von Niemandem mehr erkannt zu werden.
Nicht einmal von den eigenen Sorgen, die vor dem Tore auf sie warteten und an denen sie nun zügigen Schrittes vorbeizuhasten suchte.
Doch nach wenigen Sekunden schon schien ihr, als riefe Jemand hinter ihr her:
„Halt! Moment! Sie haben etwas vergessen!“
„Nehmen sie diesen Sack Sorgen, den sie da einfach hingestellt haben, gefälligst wieder mit nach Hause.“

Könnte man die Sorgen nicht einfach aussetzen wie ein unerwünschtes kleines Kind?  
Sind sie nicht Teil von einem, den man gar nicht haben will? Warum gibt es keine Sorgenklappe? Hört man nicht zuweilen den Satz: „Deine Sorgen möchte´ ich haben!“ dies und mehr dachte Hilke,  während sich die angestrebte Haltestelle in ihre Sichtlinie schob.  
Der Bus fuhr an ihr vorbei, verlangsamte leicht quietschend die Fahrt, um Momente später mit einem Puff anzuhalten, und ein paar glanzlose, im warmen Inneren leicht aufgebackene Bürger an Land zu speien, und ein paar ebenso glanzlose, verfröstelte wieder einzusaugen, unter die sich nun auch Hilke mischte:  düstere Muslime, listige, in einer unverständlichen Sprache laut kläffende Balkanesen auf dem Wege zu krummen Geschäften, Schmeckefüchse und einen welken Rentner.   
Hilke stieg ein, setzte sich vorne hin und spiegelte sich in einem länglichen Spiegel der dort angebracht war. Da saß sie nun unter ihrer Haube, die nicht nur ihren Kopf, sondern Wolfram darin gleich mitwärmte und inzwischen wohl aufgetaut hatte, denn schon wieder hatte sie an ihn gedacht.
Sie schaute auf ihr bleiches Gesicht, aus dem sich die Jugend unbemerkt hinfortgestohlen hatte. In Form feinster Runzeln hatte der Tod seine Vorboten ausgeschickt. Das Alter ziepte, und der Tod zupfte, vorerst nur spielerisch, so jedoch unverhohlen an ihr herum und raunte ihr bisweilen etwas zu, von dem sich nicht mit Bestimmtheit sagen ließ, ob es als beruhigend oder eher beunruhigend empfunden werden wollte:
„Auch du bist MEIN!“
Hilke bog ihren Kopf zur Seite und spiegelte sich matt, wie eine ferne Erinnerung im Fenster.
Sie blickte wieder in den Spiegel, lächelte, bemüht, so nett auszusehen wie sie nur konnte und brachte ein herrlich natürliches, fast unschuldig schlichtes, fröhliches Lächeln zustande.
„Wie sehr ein freundliches Lächeln auch ein welkes Gesicht zu verschönen vermag!“ freute sie sich kurz auf. Es fegt die Bitternis aus den Zügen und wärmt ein eventuelles Gegenüber.
Und wird nicht ohnehin hi und da dazu geraten, der Welt mit einem Lächeln zu begegnen?
Eine Weisheit im Stile von Erika Drdla, die nun in Hilkes Kopf einen kleinen Purzelbaum geschlagen hatte.
Ohne den schönen Anblick den sie jetzt bot zu verändern, bog sie den Kopf in die andere Richtung und schaute in das Businnere hinein.
Doch niemand schien mehr einen Blick für eine über 50 Jahre alte Frau zu haben. Niemand schien auch nur einen kleinen Moment Zeit erübrigen zu können, sich an ihrem Lächeln zu erfreuen.  
Das Lächeln einer vor sich hinwelkenden fremden Frau wurde schlicht und einfach nicht mehr benötigt. Kein Bedarf!  
Hilke schaltete das Lächeln wieder ab, bettete sich in die allgemeine Stimmungslage  und dumpfte trübe vor sich hin, so wie die anderen Fahrgäste auch.
Wenn sie ehrlich war, so war das ausgeknipste Lächeln ja auch keinesfalls von Herzen gekommen. All diese vielen Gestalten um sie herum bedeuteten ihr nichts.
All diese armseligen, jämmerlichen Gestalten würde Hilke mit Freuden zum Teufel schicken, wenn sie dafür nur eine Minute mit Wolfram hätte.
Und während Hilke dies dachte, da räkelte sich auch noch des Fischers Frau in ihr,
indem der schöne Gedanke alsbald unnötig aufgeplustert wurde und sie noch weiter von der traurigen Realität hinfortspülte:
„Eine Minute“ mit Wolfram?? - Da lacht man ja. Ihre letzte Minute als Singlette:
Wenn sie neben ihm vor dem Standesbeamten stünd´, und aus vollem Herzen „Ja“ sagen dürfte.  
Hilke war im wahrsten Sinne des Wortes besetzt und besessen.


Der Text ist verschachtelter als dieses Bild von M.C. Escher. Nach fünfmaligem Lesen hat sich mir endlich erschlossen, dass Hilke ihrem Mann nachtrauert, jederzeit an ihn erinnert wird und deswegen eine Selbsthilfegruppe besucht. Und das größte Problem ist damit auch gleich angesprochen: der Text ist sehr schwer zu verstehen. Mein Rat: wirf die Schachtelsätze raus, wo es geht, oder kürze sie um die Hälfte. Du verwendest eine große Menge an eher unpassenden Similes, die stellenweise sehr widersprüchlich sind.

Azareon


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Selanna
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Beitrag17.10.2017 11:52

von Selanna
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Hallo Kika,

ich habe Deinen Text zugegebenerweise nur überflogen, deshalb auch nur ein Hinweis: eine Klavierlehrerin; eine Figur, die Erika heißt (wenn auch nicht die Klavierlehrerin); schwierige Mutter-Klavierlehrerin-Beziehung; alles in ambitionierter Sprache – meine erste Assoziation war Jelineks „Die Klavierspielerin“. Du hast hier natürlich nur die ersten Seiten eingestellt und die ganze Geschichte scheint sich ja auch in Richtung Kühltruhenleiche zu entwickeln, also in eine völlig andere Richtung, aber ich dachte, es schadet vielleicht nicht, wenn Du Dir bewusst bist, dass es Ähnlichkeiten zwischen Deiner Ausgangssituation und einem bekannten Roman gibt. Dann kannst Du entscheiden, ob Du es dabei belässt oder etwas änderst. Viel Erfolg weiterhin!

Liebe Grüße
Selanna


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