18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Schreibübungen Prosa -> Inhalt
Reizwortgeschichte: Schrecken auf dem Weihnachtsmarkt

 
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
Jenny
Geschlecht:weiblichEselsohr

Alter: 39
Beiträge: 314
Wohnort: Ein Dorf nahe Mariazell, Niederösterreich


Beitrag24.07.2017 15:32
Reizwortgeschichte: Schrecken auf dem Weihnachtsmarkt
von Jenny
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Es war eisig, als wir knapp außerhalb von Mariazell aus dem Auto stiegen. Basti beschwerte sich sofort darüber und ich konnte mir ein bisschen Spott nicht verkneifen.
   „Du bist doch sonst keine Memme. Also stell dich nicht an wie Oma“, sagte ich.
   „Tsss, es ist wirklich arschkalt!“, verteidigte er sich und rieb sich die Hände.
   „Wir müssen ja nicht lange bleiben“, lenkte ich ein und wir machten uns auf in Richtung Innenstadt.
   Der Weg war unangenehm steil, mehrfach rutschten wir auf dem überfrorenen Schneematsch aus.
   „Ich brauche wirklich neue Winterstiefel“, bemerkte ich.
   „Wer jammert jetzt?“, frotzelte Basti sofort.
   „Hey, ich meinte wegen der Sohlen! Damit ich nicht so herumrutsche.“
   „Ja ja … Genau!“
   Ich stieß ihm in die Rippen und er fing an, zu lachen. Ein bisschen langsamer und vorsichtiger gingen wir weiter die Straße entlang. Kurz darauf betraten wir die Stadt.
   Der berühmte Wallfahrtsort hatte sich in sein schönste Kleid geworfen; die Laternen glitzerten mit ihrem prachtvollen Weihnachtsschmuck, überall spannten sich Lichterketten über die Straßen und die aufgeschobenen Schneehaufen funkelten im Frost. Ich blieb stehen und ließ das Bild auf mich wirken.
   „Hey, komm schon! Ich frier hier fest“, schimpfe mein Bruder, der erst einige Meter weiter bemerkte, dass ich angehalten hatte.
   „Ja, schon gut“, murmelte ich und zockelte ihm hinterher.
Er würde meine Faszination für diese Art von Kitsch eh nie nachvollziehen können. Für solch einen ‚Kinderkram‘ hatte er keine Augen, ließ sich höchstens abfällig darüber aus.

Die ersten Stände des Weihnachtsmarkts kamen in Sicht. Wir liefen ein wenig schneller; die Aussicht auf Glühwein und Lebkuchen spornte uns an. Langsam wurde ein richtiges Wettgehen daraus und wir wurden immer schneller. Die letzten paar Meter sprintete Basti.
   „Erster!“, rief er, als er den ersten Stand erreichte.
   „Und was hast du davon?“, rief ich zurück.
   An dem Stand wurde alles zum Seifensieden verkauft und Basti schaute sich trotzig jeden Gegenstand an. Nicht, das Basti jemals Seifen gesiedet hätte, hier ging es ums Prinzip! Schließlich war er als Erster an dem Stand angekommen, das musste jetzt auch einen Nutzen haben.
   Beim Stand angekommen grinste ich ihn an. Dann besah ich mir die Auslage mit den fertigen Seifen. Mir gefielen die vielen verschiedenen Duftnoten und Farben. Ein paar der schöneren Seifen lagen weiter hinten. Um an sie heranzugelangen, stützte ich mich mit der linken Hand auf den Stand.

   In dem Moment geriet alles ins Wanken. Einem Herzstillstand nahe musste ich mit ansehen, wie ein Seifenturm nach dem anderen einstürzte.
   „Oh Gott, das tut mir so schrecklich leid!“
   Die Seifenverkäuferin sah mich verdattert und ebenfalls schockiert an, dann trat sie aus ihrem Stand und besah sich den Schaden von vorne. Basti und ich hatten bereits begonnen, die Seifen aufzusammeln und wieder aufzutürmen. Mir rannen Tränen der Angst über die Wangen.
   Wenn jetzt ein hoher Schaden entstanden war, wer sollte den zahlen? Ich hatte kaum Geld, bekam gerade einmal ein winziges Taschengeld und Basti ging es auch nicht besser. Unsere Eltern brauchten wir wegen so etwas gar nicht erst anzupumpen.
   „Na na, Madl“, brummte die Standbesitzerin mit erstaunlich tiefer Stimme. „Schaut nicht so aus, als wenn was passiert ist. Die paar abgeplatzten Ecken und Kanten, das macht gar nichts.“
   Ich lächelte sie zaghaft an und wischte mir die Tränen ab.
   „Vielen Dank!“, sagte ich aus tiefstem Herzen.
   Die Seifenfrau lächelte zurück.
   „Geahts ihr auf den Schrecken doch lieber erst amoal was Heißes trinken“, schlug sie freundlich vor. „Viel zu kalt ang‘zogen schaugts ihr nämlich a aus.“
   Ich fühlte, wie ich errötete, bedankte mich noch einmal und wartete, bis Basti sich genug umgesehen hatte. Dann trollten wir uns zum nächstbesten Glühweinstand.

Da Basti merkte, wie erschrocken ich noch immer war, spielte er ‚großzügigen Bruder‘ und lud mich auf einen Glühwein ein. Dankbar nahm ich das heiße Getränk entgegen und wärmte mir die Hände daran. Der aufsteigende Dampf roch köstlich nach Wein, Gewürzen und Wärme.
   Am Nachbarstand verkaufte ein Mann Lebkuchen. Er hatte eine große Schütte vor sich, in der lauter Lebkuchenherzen lagen.
   Wenn ein Kunde eines wollte, fragte der Lebkuchenverkäufer stets mit einem breiten Grinsen: „Darfs mit a guatem Spruch a sein?“
   Kaum einer ging ohne Spruch auf dem Lebkuchenherzen davon. Ich nippte an meinem Glühwein, beobachtete das Treiben eine Weile, amüsierte mich darüber, dass der Lebkuchenverkäufer pinke Einmalhandschuhe trug und bekam immer mehr Lust darauf, auch selbst ein solches Andenken mit nach Hause zu nehmen.
   „Hey, Basti“, fragte ich und zupfte ihm am Ärmel. „Kaufst du mir so ein Lebkuchenherz?“
   „So dicke ist mein Spendenkonto nun auch nicht, kauf dir das mal schön selbst“, kam die prompte Antwort.
   Ich grinste ihn an; einen Versuch war es trotzdem wert gewesen. Ich trank meinen Glühwein aus und ging hinüber. Dort kaufte ich uns jeweils ein Lebkuchenherz.
   Auf Bastis ließ ich mit rosa Zuckerguss schreiben: Für meine Frostbeule von Bruder
   Als er es las, fing er schallend an zu lachen. Er hakte sich bei mir unter und zog mich mit in das Gewühl zwischen den weiteren Ständen.
   „Lass uns den nächsten Glühweinstand suchen; ich glaube, ich gebe dir als Lohn für deinen Mut noch einen aus.“
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 1

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Schreibübungen Prosa -> Inhalt
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Agenten, Verlage und Verleger
Wie lange wartet ihr auf Antwort von ...
von Nezuko
Nezuko Agenten, Verlage und Verleger 14 17.04.2024 16:20 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Feedback
Wieder auf Null
von dyfso
dyfso Feedback 0 14.04.2024 21:51 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Einstand
Elon Musk und Donald Trump, wie Arsch...
von El
El Einstand 4 31.03.2024 20:56 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Einstand
In der Wohnung (Auszug aus dem aktuel...
von Jojojo
Jojojo Einstand 5 28.03.2024 11:27 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Rechtliches / Urheberrecht / Copyright
Einzelne Sätze auf Insta
von Michitarre
Michitarre Rechtliches / Urheberrecht / Copyright 5 26.03.2024 11:32 Letzten Beitrag anzeigen

EmpfehlungBuchEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungBuchBuchEmpfehlungEmpfehlungBuch

von Gefühlsgier

von Bananenfischin

von nicolailevin

von Abari

von Lapidar

von hexsaa

von Sabine A.

von MosesBob

von BerndHH

von V.K.B.

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!