Dreissig Minuten

[Taugenichts]

Dreissig Minuten

Ich hatte meinen ersten eigenen
Weihnachtsbaum auf dem Rücken.
In der vorigen Nacht hatte ich ihn,
nach einigen Bieren,
am Bundesplatz gestohlen,
denn um mir einen zu kaufen,
fehlte mir das Geld.
Ich hatte dir im Treppenhaus noch
"kocham cie" gesagt,
genau in dem Moment
da sich die Fahrstuhltüren
wieder schlossen.
Fast wie im Film.
Und als ich dann die Strasse hinabschlenderte,
hörte ich es hinter mir.
Du hattest im zweiten Stock
ein Fenster geöffnet
und dich hinaus gelehnt.
Es war das ehrlichste
"Ich liebe dich",
dass ich in meinem leben
gehört habe.
Es klang mir noch minutenlang
in den Ohren nach.
Dann fuhr ich mit dem Bus nach Hause,
wo ich meiner Exfreundin
eine lang ersehnte e-mail schrieb.
Der Busfahrer sah mich, wegen dem
Weihnachtsbaum,
böse an.

[Lyrwir]

Was für eine nette Geschichte! Einen kurzen Film spulst du hier ab, mit genau der richtigen Menge an unverständlichen Worten (kocham cie), denen man nachspüren muss (hört sich irgendwie rumänisch an).
Grammatik: "Ich liebe dich",
dass ich in meinem leben : das
Der Busfahrer sah mich, wegen dem
Weihnachtsbaum, : wegen des Weihnachtsbaums
Was für ein Doofmann, der Busfahrer. Manche Leute haben kein Gespür für Geschichten.
Du schon.
LG,
LW

[Brynhilda]

Lyrwir hat schon angemerkt, daß die Präposition "wegen" den Genitiv verlangt.
Aber es kann nicht oft genug sagen.

Aber abgesehen davon finde ich das Gedicht großartig.

Ein Beweiß mehr, daß gute Lyrik keine Reime braucht.

(Es gibt nur einen Punkt Abzug für den Dativ und die seltsame Formulierung, die ich für Bretonisch halte.)

Liebe Grüße,
Brynhilda!