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Ein Tag, ein Mann und die Chronischen


 
 
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Cholyrika
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 60
Beiträge: 465



Beitrag21.03.2017 12:17
Ein Tag, ein Mann und die Chronischen
von Cholyrika
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ein Tag, ein Mann und die Chronischen

Der Raum war geschmückt. Nichts Festliches, eher trostlos und auf Demut bedacht.
In der Mitte auf einem Stuhl saß ein Mann, nennen wir ihn einfach Horst.
Also Horst saß dort und versuchte einen neuen Tag zu generieren, denn er war der Meinung, dass seine Tage gezählt waren. Was also sollte ihn daran hindern neue Tage für sich zu erfinden?
Doch das Vorhaben gestaltete sich nicht so einfach, wie er sich das grundsätzlich gedacht hatte.
Denn ein neuer Tag bedurfte eines neuen Namens und die Namen war vergeben. Ähnliche Probleme ergaben sich aus der Anzahl der Tage einer Woche. Es waren nunmal sieben. Und so sehr er sich auch bemühte, er konnte die Tage nicht einfach um einen Tag verlängern. Die Lösung schien also, eine neue Woche zu erfinden. Doch auch diese Idee scheiterte an der feststehenden Anzahl von Wochen in einem Monat und letztendlich war auch ein Jahr mit einer feststehenden Anzahl an Monaten ausgefüllt.
So saß Horst da und versank in seinen Berechnungen. Er rechnete viele Tage, viele Monate und viele Jahre.
Er sprach mit niemandem, aß was ihm in den Mund geführt wurde und wartete jeden Tag darauf, dass er abends in sein Zimmer geschoben wurde.
Die anderen Chronischen feierten Weihnachten. Es war still in der Einrichtung.

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Gaukli
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 46
Beiträge: 25
Wohnort: Dortmund


Beitrag24.03.2017 16:37
Re: Ein Tag, ein Mann und die Chronischen
von Gaukli
Antworten mit Zitat

Lieber Cholyrika,


dein Text erinnert mich an einen kurzen, intensiven Kreativitätsschub, der zu einer ersten Idee, nicht aber zu einem fertigen Text führt. Ich bin mir unsicher, was genau die Grundstimmung des Textes sein soll: Melancholisch (Stichworte: allein sein, Angst vor dem Tod), absurd (einen neuen Tag erfinden) oder doch irgendwas anderes?

Richtig stark finde ich das Wortspiel: "einen neuen Tag generieren" denn "seine Tage [waren] gezählt".

Allerdings entwickelst du diese Idee dann nicht so sorgfältig und liebevoll, wie sie es sich gewiss von dir wünschen würde.

Cholyrika hat Folgendes geschrieben:

Der Raum war geschmückt. Nichts Festliches, eher trostlos und auf Demut bedacht.


Welcher Raum? Ok, natürlich darf man irgendwie starten und eine erste Frage beim Leser aufwerfen. Doch "Raum" ist nichtssagend. Und im Weiteren wird mir auch nicht klar, wieso du überhaupt diesen Raum erwähnst. Ich fände es klasse, wenn ich den Raum sehen könnte. Doch dazu müsstest du ihn beschreiben.

Außerdem: Vielleicht ist es deine Absicht, direkt mit einem (scheinbaren?) Widerspruch zu starten. Aber da erschließt sich mir nicht, welche Funktion das hätte. Jedenfalls beißt sich "geschmückt" meinem Empfinden nach mit "nicht festlich" und "trostlos".

Cholyrika hat Folgendes geschrieben:

In der Mitte auf einem Stuhl saß ein Mann, nennen wir ihn einfach Horst.


Warum in der Mitte? Klingt für mich vollkommen willkürlich. Die Szene wird dadurch vor meinem inneren Auge nicht plastischer. Und der Name Horst? Da schlägt mein Ulkdetektor aus. In diesem Moment denke ich: "Ach so, der Text ist noch nicht einmal ein bisschen ernst gemeint." Vermutlich haben andere Leser ganz andere Assoziationen. In jedem Fall fühle ich mich in dieses "wir" nicht eingeschlossen. Und wie auch schon bei dem (Schein-)Widerspruch der ersten beiden Sätze, frage ich mich, welche Funktion dieses Erzählmittel hat (den Leser jetzt zum Komplizen des Erzählers und Ko-Erzähler zu machen).

Also ich mag das durchaus, wenn man nicht so gerade durcherzählt, sondern den Akt des Erzählens selbst mitthematisiert. Wenn Max Frisch schreibt: "Mein Name sei Gantenbein" und seinen Protagnisten im Folgenden dabei beobachtet, wie er sich als Gantenbein selbst erschafft, bis er tatsächlich zu dieser Figur wird, dann find ich das so richtig geil. Doch hier beim Horst lässt mich das kalt.

Cholyrika hat Folgendes geschrieben:

Also Horst saß dort und versuchte einen neuen Tag zu generieren, denn er war der Meinung, dass seine Tage gezählt waren.


Wie gesagt, dass hier ist für mich der funkelnde Kern des ganzen Textes. Allerdings finde ich die Formulierung auch noch nicht optimal. Wenn du schreibst, dass er "der Meinung war", dann will ich wissen, wie er zu dieser Meinung kommt. Oder du setzt es einfach als Tatsache in deiner Erzählung: "Seine Tage waren gezählt."

Cholyrika hat Folgendes geschrieben:

Was also sollte ihn daran hindern neue Tage für sich zu erfinden?


In der Tat: Was sollte ihn hindern? Wieso formulierst du das als Frage? Ich würde es stärker finden, wenn du schreibst: "Horst (oder vielleicht ein anderer Name) saß da und quälte sich. Er wollte einen neuen Tag erschaffen, denn seine Tage waren gezählt. Er war sich sicher: Nichts und niemand konnte ihn daran hindern, einen neuen Tag in die Welt zu bringen.

Cholyrika hat Folgendes geschrieben:

Doch das Vorhaben gestaltete sich nicht so einfach, wie er sich das grundsätzlich gedacht hatte.
Denn ein neuer Tag bedurfte eines neuen Namens und die Namen war vergeben. Ähnliche Probleme ergaben sich aus der Anzahl der Tage einer Woche. Es waren nunmal sieben. Und so sehr er sich auch bemühte, er konnte die Tage nicht einfach um einen Tag verlängern. Die Lösung schien also, eine neue Woche zu erfinden. Doch auch diese Idee scheiterte an der feststehenden Anzahl von Wochen in einem Monat und letztendlich war auch ein Jahr mit einer feststehenden Anzahl an Monaten ausgefüllt.
So saß Horst da und versank in seinen Berechnungen. Er rechnete viele Tage, viele Monate und viele Jahre.


Hier wünsche ich mir erneut mehr Beschreibung, wie es dem Mann damit geht, verschiedene Wege auszuprobieren und immer wieder zu scheitern. Ich glaube, dass der Text stark davon profitieren würde, wenn du die Perspektive des Mannes deutlicher ausarbeitest. Dadurch würde dann das absurde Element viel lebendiger. (Also zum Beispiel: "Horst wusste nicht, woher seine Gewissheit kam, aber er hatte nicht den kleinsten Zweifel: Sollte sein Unterfangen auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg haben, brauchte er einen Namen für seinen neuen Tag. Euphorisch und mit dem ersten Lächeln seit langer Zeit im Gesicht stürzte er sich in die Arbeit. Er recherchierte lange und gründlich - und auch, wenn er kein Historiker war, so war doch sicher ... " Kannst du natürlich auch ganz anders machen. Was ich sagen will: Gib mir mehr Details und ich werde in den Text hineingesogen. Dann ist Horst nicht nur eine literarische Fingerübung, sondern jemand, mit dem ich mitfiebern kann.)

Cholyrika hat Folgendes geschrieben:

Er sprach mit niemandem, aß was ihm in den Mund geführt wurde und wartete jeden Tag darauf, dass er abends in sein Zimmer geschoben wurde.
Die anderen Chronischen feierten Weihnachten. Es war still in der Einrichtung.


Ich weiß nicht, wie sich dieser Abschnitt nun in das Ganze einfügt. Einsamkeit im Alter? Das unpersönliche Leben in Pflegeeinrichtungen?

Cholyrika, du merkst, dass ich mit deinem Text ringe und nicht so recht weiß, was ich im jetzigen Stadium damit anfangen soll. Warum das so ist, habe ich versucht zu erklären. Natürlich gilt hier wie immer bei Feedback: Inwiefern das für dich relevant ist, entscheidest du selbst.
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NinaK
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 53
Beiträge: 39
Wohnort: Düsseldorf


Beitrag25.03.2017 20:34
Re: Ein Tag, ein Mann und die Chronischen
von NinaK
Antworten mit Zitat

Lieber Cholyrika,
ich kann Deinen kleinen Text sehr gut so nehmen wie er ist und brauche keinen weiteren Kontext. Die Überschrift hat mich gleich angesprochen, den Wunsch, dem Tag einfach ein paar Stunden hinzufügen zu wollen oder der Woche einen Tag, haben wir wohl alle schon mal gehabt. Auch die Erkenntnis, dass Wahnsinn auch nur ein Versuch ist, der Wahrheit näher zu kommen. "Normal" ist, was die Mehrheit so empfindet, gewisse Verhältnismäßigkeiten, eine Ausgewogenheit zwischen Gedanken- und Lebenswelt. Wo diese ins Ungleichgewicht kommt, ist das Unnormale / der Wahnsinn nah. Ob dies nun eine Folge von Krankheit, Alter, Lebensmüdigkeit oder Enttäuschung ist, ist eigentlich gleichgültig. Die Gesellschaft versorgt solche Menschen, indem sie sie in entsprechenden Einrichtungen interniert.

Ich finde, es bedarf hier weder großer Überarbeitung noch ausführlicher Erklärungen.
Zwei kleine Sachen vielleicht:
Zitat:

Der Raum war geschmückt. Nichts Festliches, eher trostlos und auf Demut bedacht.


Wie ist ein Raum geschmückt, wenn nicht festlich? Wie kann ein ganzer Raum trostlos geschmückt sein? Hier wäre mehr Präzision wünschenswert. Klebt ein vergilbter Stern an der Fensterscheibe? Hängen da verstaubte Papiergirlanden?

Und hier:
Zitat:

So saß Horst da und versank in seinen Berechnungen. Er rechnete viele Tage, viele Monate und viele Jahre.


Hier kommst Du vom aktuellen Ablauf der Erzählung zu einer Regelmäßigkeit.
Am Schluss suggeriert die Erwähnung von Weihnachten, dass Du wieder an den urspürnglichen Erzählverlauf anknüpfst. Vielleicht reicht es schon, wenn Du schreibst, er rechnete sich "durch" viele Tage, Monate, Jahre. So bleibt der Vorgang immer noch im Rahmen der erzählten Zeit, und der Anschluss mit Weihnachten passt, weil Horst den Weihnachtstag mit Berechnungen verbracht hat - wie wahrscheinlich auch schon andere Tage vorher oder nachher.  

Viele Grüße Nina
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Cholyrika
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 60
Beiträge: 465



Beitrag27.03.2017 15:02

von Cholyrika
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Danke für die ausführlichen Anmerkungen.
Grund Idee des Textes war in der Tat eine Momentaufnahme.
Ein Bruch mit der immer ohne Besonderheiten ablaufenden Routine für chronisch Kranke.
Natürlich ergeben sich Fragen beim Lesen des Textes,
aber ich meine es muss möglich sein, einen Gedankengang so aufzuschreiben, dass er eben nicht in allen Details analysierbar ist.
Sollte ich diejenigen, die sich mehr von so einem Text versprechen enttäuscht haben, finde ich dass echt ernüchternd,
frage mich aber, ob es nicht ein Problem des Betrachtenden ist.
Das soll jetzt nicht neunmalklug oder unbelehrbar scheinen,
aber meine Meinung ist diesmal ( nicht grundsätzlich )
eine andere.

Lieben Dank für dieses sehr gelungene Feedback

ML
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Gaukli
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 46
Beiträge: 25
Wohnort: Dortmund


Beitrag27.03.2017 18:29

von Gaukli
Antworten mit Zitat

Cholyrika hat Folgendes geschrieben:

Sollte ich diejenigen, die sich mehr von so einem Text versprechen enttäuscht haben, finde ich dass echt ernüchternd,
frage mich aber, ob es nicht ein Problem des Betrachtenden ist.


Wenn man Feedback bekommt, kann man sich immer entscheiden, dieses Feedback - aus welchen Gründen auch immer - nicht zum Anlass für Veränderungen zu nehmen. Am schönsten finde ich, wenn man das tut, ohne dem anderen ein Problem anzudichten.
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Cholyrika
Geschlecht:männlichEselsohr

Alter: 60
Beiträge: 465



Beitrag18.05.2017 18:52

von Cholyrika
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Sollte eigentlich humorvoll rüberkommen, mein Posting.
Also ich wollte in keiner Weise ignorant wirken.
Sorry Embarassed
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manon
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 57
Beiträge: 111



Beitrag19.05.2017 20:16
Re: Ein Tag, ein Mann und die Chronischen
von manon
Antworten mit Zitat

Hallo Cholyrika,

das ist ja auch eine traurige Geschichte. Ein alter Mann wartet in seiner Residenz seit Jahren auf seinen Tod, während die anderen Alten feiern.

Was ich nicht verstehe, ist, warum er sich ein längeres Leben wünscht, wenn er doch nichts anderes tut, als darüber nachzudenken, wie er sein Leben verlängern könnte.

Interessant, wie Horst es anging, sein Leben zu verlängern.

Viele Grüße
Smile
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