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Aneurysm Eselsohr
Beiträge: 462
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10.05.2018 14:17
von Aneurysm
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Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben: | Aneurysm hat Folgendes geschrieben: |
Wenn es nur darum geht, sich gegenseitig Tipps fürs Schreiben zu geben, gehe ich mit dir d’accord. In Diskussionen wie dieser kann man verschiedene Herangehensweisen an Literatur austauschen – und vielleicht sogar erkennen, dass man nicht so weit auseinanderliegt. |
Mir stellt sich die Frage, ob man das überhaupt so trennen kann. Gebe ich etwa den Tipp, Hilfsverben zu vermeiden, weil sie schwach seien, und sie durch stärkere Verben zu ersetzen – drückt sich darin nicht schon eine Sichtweise auf/Herangehensweise an Literatur aus? Die Prämisse, es gebe schwache und starke Verben, die man als gegeben voraussetzen muss, um überhaupt darüber diskutieren zu können, wie sich das eigene Schreiben dahingehend verbessern ließe? |
Ich kann keine Tipps fürs Schreiben geben, ohne dass darin meine Sichtweise auf Literatur einfließt. Aber ich kann meine Sichtweise auf Literatur darlegen, ohne daraus einen Tipp fürs Schreiben abzuleiten. Das ist sinnvoll, wenn sich meine Sichtweise auf Literatur stark von der meines Gesprächspartners unterscheidet – wenn er zum Beispiel eine Prämisse für seine Tipps voraussetzt, die ich ablehne.
Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben: | Was ist das überhaupt, das Schreiben, so ohne Kontext, ohne Bezugnahme auf das Wesen des jeweiligen Textes, die Sprache des Autors? Ich muss ja nur in mein Bücherregal greifen und drei der von mir verehrten Autoren herausziehen, die Bücher irgendwo aufzuschlagen
Zitat: | […] und es war ja schon Jahre zurück, dass ich es aufgegeben hatte, zu korrespondieren, völlig in meiner Naturwissenschaft aufgehend, hatte ich den Zeitpunkt übersehen, an welchem es noch möglich gewesen wäre, diese aufgegebenen Kontakte, Korrespondenzen wieder aufzunehmen, all meine Versuche in dieser Richtung waren immer wieder gescheitert […] |
[Thomas Bernhard, JA]
Zitat: | Aber der Schnaps war schön, giftig, hellhörig, stark. Das Licht wurde noch schmieriger, und die Abwässer der Worte sickerten ihnen pausenlos aus den Mundsielen; ich besuchte unauffällig jede Gruppe im Saal; es war weit hinter 22 Uhr; alle Knaben taten, als schliefen sie. Politik (das war wieder der Kleine mit dem kleinen Kopf) […] |
[Arno Schmidt, Die Umsiedler]
Zitat: | Es war ja noch ein langer Weg. Und es war noch nicht entschieden, ob er bis an das Ziel kommen würde, da der Tod ihm so offenbar den Beistand verweigerte. Zu seinem Trost kamen die Nachbarn früher, als er erwartet hatte. Den Sarg, den sie zuvor ins Haus gestellt hatten, schoben sie ins Zimmer. Das Stroh, das Kebad Kenya hatte hereintragen lassen, raschelte unter ihren Füßen. |
[Hans Henny Jahnn, Kebad Kenya]
und denke mir, dass die [vorhandene oder mangelnde] Qualität eines Textes vielleicht mehr mit der Sprache zu tun hat, die man in ihm findet, und weniger mit starken und schwachen Verben. Und selbst wenn man das Ersetzen von Hilfsverben auf eine bestimmte Art Text beschränkt – und eben immer noch nichts Konkretes hat, über das man diskutiert – fällt mir diese Hilfsverbvermeidung beim Lesen oftmals derart deutlich auf, dass die erhoffte Wirkung konterkariert wird. Insbesondere dann, wenn man sich um eine eigentlich erforderliche Zeitform oder den Konjunktiv etc. drückt, nur um keine Hilfsverben verwenden zu müssen. |
Das ist eben das Risiko bei jeder Art von Stilregel: dass jemand sie absolut nimmt und damit mehr Schaden anrichtet als seinen Text verbessert. Literatur lässt sich nicht mit einfachen Regeln erklären.
Trotzdem hilft mir die Regel beim Schreiben. Ich benutze manchmal Hilfsverben, die die Aussage nicht verändern und somit nichts zum Text beitragen. Ein Beispiel:
Zitat: | Ich muss zugeben, dass ich mich falsch verhalten habe. |
Hier gewinnt meines Erachtens der Text, wenn man das Hilfsverb streicht. Und wenn ich beim Überarbeiten jedes Hilfsverb unter die Lupe nehme, schärft das meinen Blick auf den Text und zwingt mich dazu, meine Komfortzone zu verlassen. Vielleicht ist dabei gar nicht so entscheidend, worauf ich meinen Blick richte.
Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben: | Nur: wie sollte man auf dieser Grundlage überhaupt Tipps zum Schreiben geben können? Und wenn es um Tipps zum Schreiben geht, was hat dann eine solche Meinung in der Diskussion zu suchen? |
In solchen Diskussionen geht es meines Erachtens nicht nur um Tipps zum Schreiben, sondern auch um das Schreiben an sich. Und da hat deine Meinung durchaus ihre Existenzberechtigung, zumal man auch deinen Hinweis, die Vermeidung von Hilfsverben falle dir beim Lesen auf, auf seine Texte anwenden kann, indem man Hilfsverben nicht ersetzt.
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fancy Schmuddelkind
Alter: 64 Beiträge: 2758 Wohnort: Im sonnigen Süden
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10.05.2018 16:57
von fancy
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Offensichtlich habe ich mich mit meiner Antwort (meinem Tipp) zu knapp gehalten.
Selbstverständlich dürfen Zeitformen nicht verfälscht werden, nur um Hilfsverben zu vermeiden. Ja ich weiß, das kommt vor. Selbstverständlich sollten die Sätze nicht unleserlich werden oder gestelzt wirken. Selbstverständlich sind Dialoge oft davon ausgenommen, wenn der Protagonist sich einer Sprache mit vielen Hilfsverben bedient. Selbstverständlich ist meine Meinung nur meine Meinung und nicht allgemein gültig.
Aber ich habe festgestellt, dass sie von vielen Lesern geteilt wird, die sich mit der Beurteilung von Geschichten beschäftigen (Literaturpreisjurys). Eine Story, in der Hilfsverben inflationär verwendet werden, kommt in der Regel nicht so gut an, wie andere, in denen die Autoren sich mehr Mühe gegeben haben und sich eines lebendigen Stils bedienen.
Ob bei Übersetzungen aus dem Englischen die Übersetzer Schuld tragen am übermäßigen Gebrauch von Hilfsverben oder ob die im Original schon so häufig
vorkamen, habe ich noch nicht untersucht. Wäre mal interessant, der Frage nachzugehen.
Ich habe auch nicht gesagt, dass jedes Hilfsverb um jeden Preis zu vermeiden sei, aber ich denke (immer noch) dass es nie verkehrt ist, sich mit dem Thema zu beschäftigen und vielleicht auch gemeinsam auf Beispiele zu schauen. Auf Beispiel für beide Varianten, welche, die in die Hose gingen und welche, die gelungen sind.
Ich lektoriere überwiegend U-Literatur (Horror und SF) und ich ganz persönlich als Lektorin würde mir wünschen, mehr Autoren würden mehr Hilfsverben vermeiden. Selbstverständlich nur dort, wo es passt. (Das ist allerdings relativ häufig der Fall.) Oft wird auf sie zurückgegriffen, weil sie schneller zur Hand sind und dann nicht gründlich überarbeitet. In fast allen Storys, die ich lektoriere, finde ich sehr viele, die einfach zu vermeiden wären.
Ich rede überwiegend von Schreibanfängern, die anders schreiben als Verfasser von E-Literatur. Den letztgenannten würde ich keine Ratschläge erteilen, denn dort sind sie überflüssig.
Ich denke, wenn hier solche Fragen gestellt werden, darf man ruhig antworten und versuchen, zu sensibilisieren.
Liebe Grüße
fancy
_________________ Don't start doing things, just do them. Fang nicht an, Dinge zu tun, tu sie einfach! (Me)
Wer wenig denkt, irrt viel (Leonardo da Vinci)
Meinungsverschiedenheiten über ein Kunstwerk beweisen, dass das Werk neu, komplex und lebenswichtig ist. (Oscar Wilde)
Wenn Kritiker uneins sind, befindet sich der Künstler im Einklang mit sich selbst. (Oscar Wilde)
https//mlpaints.blogspot.com |
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Klemens_Fitte Spreu
Alter: 41 Beiträge: 2942 Wohnort: zuckerstudio waldbrunn
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11.05.2018 17:48
von Klemens_Fitte
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Es ist wie so oft: je länger ich nachdenke, nachlese, Ansatzpunkte oder Möglichkeiten zum Widerspruch suche, desto schwieriger wird es für mich, überhaupt noch einen Standpunkt zu vertreten.
Schon hier:
Aneurysm hat Folgendes geschrieben: | Trotzdem hilft mir die Regel beim Schreiben. Ich benutze manchmal Hilfsverben, die die Aussage nicht verändern und somit nichts zum Text beitragen. Ein Beispiel:
Zitat: | Ich muss zugeben, dass ich mich falsch verhalten habe. |
Hier gewinnt meines Erachtens der Text, wenn man das Hilfsverb streicht. Und wenn ich beim Überarbeiten jedes Hilfsverb unter die Lupe nehme, schärft das meinen Blick auf den Text und zwingt mich dazu, meine Komfortzone zu verlassen. Vielleicht ist dabei gar nicht so entscheidend, worauf ich meinen Blick richte. |
Was heißt beitragen? Trägt nur zum Text bei, was die Aussage eines Satzes verändert? Und selbst wenn: wann wird die Aussage eines Satzes verändert?
Hat
Ich muss zugeben, dass ich mich falsch verhalten habe.
die gleiche Aussage wie
Ich gebe zu, ich habe mich falsch verhalten.
oder
Ich gebe zu, ich verhielt mich falsch.
oder
Okay, war falsch.
oder
Sorry.
– und selbst wenn, ist der Satz nicht dennoch verändert, die Sprache, die Denkbewegung eine völlig andere? Wie soll ich denn einen Satz bewerten, ohne den Kontext zu kennen? Woher soll ich wissen, welches Wort notwendig, welches überflüssig ist? Und wenn ich immer den Kontext brauche, dann müsste ich jede Regel, damit sie gültig wäre, für jeden veränderten Kontext anpassen – und ist das nichts anderes wie: dass am Ende ohnehin der Autor entscheiden muss, mit dem, was ihm zur Verfügung steht, und das hat zum größten Teil mit Dingen zu tun, die er selbst mitbringt, damit, was für ein Mensch er ist, was er an Erfahrungen gesammelt hat, zu welcher Sprache er gefunden hat und wie viele gute und schlechte Sätze er schon gelesen und geschrieben hat. Und je länger ich darüber nachdenke, dass ein guter Satz ein ebenso großes Mysterium ist wie der Mensch, der ihn geschrieben hat, desto schwieriger wird es für mich, über Hilfsverben zu diskutieren.
_________________ 100% Fitte
»Es ist illusionär, Schreiben als etwas anderes zu sehen als den Versuch zur extremen Individualisierung.« (Karl Heinz Bohrer) |
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Aneurysm Eselsohr
Beiträge: 462
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11.05.2018 20:40
von Aneurysm
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Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben: | Wie soll ich denn einen Satz bewerten, ohne den Kontext zu kennen? Woher soll ich wissen, welches Wort notwendig, welches überflüssig ist? Und wenn ich immer den Kontext brauche, dann müsste ich jede Regel, damit sie gültig wäre, für jeden veränderten Kontext anpassen – und ist das nichts anderes wie: dass am Ende ohnehin der Autor entscheiden muss, mit dem, was ihm zur Verfügung steht, und das hat zum größten Teil mit Dingen zu tun, die er selbst mitbringt, damit, was für ein Mensch er ist, was er an Erfahrungen gesammelt hat, zu welcher Sprache er gefunden hat und wie viele gute und schlechte Sätze er schon gelesen und geschrieben hat. |
Letztendlich muss ich als Autor entscheiden; das habe ich gemeint, als ich MrT in meinem ersten Beitrag riet, auf sein Sprachgefühl zu vertrauen. Aber ich kann mir Hilfe suchen, indem ich meinen Text hier im Forum besprechen lasse – oder indem ich Schreibtipps benutze, die ich nicht sklavisch befolge, sondern als Orientierungshilfe sehe. Mit meinem Beispiel wollte ich zeigen, warum das Streichen von Hilfsverben mir beim Schreiben hilft. Ich schließe nicht aus, dass andere eher zu wenige als zu viele Hilfsverben benutzen oder dass ihnen der Tipp schadet, weil sie dadurch zu umständlichen Formulierungen greifen. Ob ein Autor auf solche Tipps angewiesen ist, hat sicher mit der Entwicklungsstufe seines Schreibstils zu tun und mit der Art von Literatur, die er schreibt. Und da unterscheiden wir uns gewaltig, denke ich.
Klemens_Fitte hat Folgendes geschrieben: | Und je länger ich darüber nachdenke, dass ein guter Satz ein ebenso großes Mysterium ist wie der Mensch, der ihn geschrieben hat, desto schwieriger wird es für mich, über Hilfsverben zu diskutieren. |
Ja, mit dem Markierten hast du recht. Schreibregeln können dem Autor höchstens helfen, sich an gute Sätze und gute Literatur anzunähern. Die Arbeit muss immer noch er machen.
Ich merke gerade, wie viele Hilfsverben ich in diesem Beitrag verwende, ironischerweise.
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MrT Klammeraffe
Beiträge: 725
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11.05.2018 22:01
von MrT
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Aneurysm hat Folgendes geschrieben: | Letztendlich muss ich als Autor entscheiden; das habe ich gemeint, als ich MrT in meinem ersten Beitrag riet, auf sein Sprachgefühl zu vertrauen. |
Genau dies versuche ich zu beherzigen und werde mehr auf meine Testleser hören, die sich bisher noch nicht wegen zu vielen Hilfsverben (aber durchaus wegen anderen Dingen) in meinem Text bei mir beschwert haben - auch wenn es literarisch gesehen sicher noch um einiges besser geht - doch letztlich schreibe ich nicht (nur) für mich, sondern für meine (hoffentlich zahlreichen) zukünftigen Leser.
Blöd ist nur, wenn unsereins beim Schreiben zu Perfektion neigt, auch wenn ich sonst alles andere als ein Perfektionist bin (ganz im Gegenteil).
_________________ "Zwei Engel wider Willen", theaterboerse, 08/2017 |
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