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Laugeisos Erklärbär
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Beiträge: 3 Wohnort: Erfurt
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L 13.03.2017 15:42 Bus Linie 4 von Laugeisos
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Bus Linie 4. Es ist immer die Bus Linie 4. Jeden Morgen, jeden Abend. Vorne im Bus sitzt eine alte Dame, die den Busfahrer fragt, wie viele Stationen es denn zur Bäckerei "Schwanengel" sind; sie fragt das jeden Morgen. Hinten in der sogenannten "Rammel" sitzen 4 besoffene Proleten, die schon zu meiner Schulzeit jeden morgen in die Stadt fuhren, um sich neuen Alkohol zu kaufen. Einmal hatte mich ihr Anführer nach einem Feuerzeug gefragt, als ich gerade 11 war. Als ich ihm keins gab, weil ich schlichtweg keins hatte, schlug er mir mit überraschender Präzision in den Magen. Seither grüßt er mich jeden Morgen mit einem Augenzwinkern. Ich sitze in der Mitte des Busses am Fenster und höre die gewöhnliche Musik. Die Musik, die ich jeden morgen höre und jeden morgen leise auf meinen Schenkeln mittrommel.
Als ich 16 war, hatte ich mir an einem langen Donnerstag geschworen, nicht für immer in diesem Ort und diesem Bus festzuhängen. Gehalten habe ich dieses Versprechen nicht, bis heute sitze ich an diesem langweiligen Platz im Bus Nummer 4, nur fahre ich jetzt nicht mehr zur Schule, sondern in die Uni.
Noch 3 Haltestellen.
Eine junge Frau steigt ein. Sie trägt ein blaues Sommerkleid, flache Schuhe und eine kleine Tasche. Sie steigt jeden morgen in den Bus ein und setzt sich ans Fenster, aus dem sie dann für einige Minuten schaut, bevor sie aussteigt. Ich kenne ihren Namen nicht, ich kenne nur ihr schönes Lächeln und ihre langen Haare.
Noch 2 Haltestellen.
Die Frau schaut mich für einen Moment an. Nach einigen Sekunden schaut sie wieder aus dem Fenster. In den wenigen Sekunden, die ich mit ihr teilen durfte, war es weg. Es war okay. Dieses komische Gefühl, dass ich umsonst in diesem alten Bus sitze, diese Ungewissheit darüber, was ich tue, dieses ewige Fragen, all das war weg. Ich verliere mich in ihren Augen.
Noch eine Haltestelle.
Sie steht auf. Sie geht langsam Richtung Ausgang. Ich zittere.
Ich stehe auf und verlasse den Bus. Heute halte ich mein Versprechen.
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Nur eine Kleinigkeit zwischendurch.
Weitere Werke von Laugeisos:
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jon Eselsohr
J Alter: 57 Beiträge: 270 Wohnort: Leipzig
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J 13.03.2017 18:20
von jon
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Hübscher kleiner Text, der mir im Großen und Ganzen gut gefallen hat. Etwas mehr Spiel mit dem Rhythmus ist bei einem so kurzen Text sicher Luxus, wäre aber zum Ende hin möglich oder gar nötig, würde dem Text dort das "Gewisse Etwas" geben, das er inhaltlich zu transportieren versucht.
Details:
Zitat: | Bus Linie 4. Es ist immer die Bus Linie 4. |
Wenn die Buslinie gemeint ist: Bus-Linie oder Buslinie. Wenn der Bus der Linie 4 gemeint ist: Es ist immer der Bus Linie 4. Ich würde letzteres nehmen, weil es im Text tatsächlich um den Bus geht.
Zitat: | Jeden Morgen, jeden Abend. Vorne im Bus sitzt eine alte Dame, die den Busfahrer fragt, wie viele Stationen es denn zur Bäckerei "Schwanengel" sind; sie fragt das jeden Morgen. |
vorn ist das bessere Wort
Die Dopplungen von Morgen und fragt würde ich versuchen aufzuheben. Überhaupt würde alles in allem noch ein bisschen mehr Konzentration und weniger Dahingeplapper (eine gewisse Laxheit) den Text adeln.
Fomalie Anführungszeichen: „Schwanengel“ (Je eher man sich das angewöhnt, desto leichter hat man es später beim Überarbeiten vorm Veröffentlichen.)
Zitat: | Hinten in der sogenannten "Rammel" sitzen 4 besoffene Proleten, die schon zu meiner Schulzeit jeden morgen in die Stadt fuhren, um sich neuen Alkohol zu kaufen. |
Anführungszeichen siehe oben
Zahlen im Erzähltext immer* ausschreiben (*außer sie sind als Wort zu unübersichtlich oder als Ziffer Teil eines Namens {wie hier „Linie 4“}).
Morgen
Was ist „neuer Alkohol“? Frisch ergorener?
Zitat: | Ich sitze in der Mitte des Busses am Fenster und höre die gewöhnliche Musik. |
Die Worte gewohnt und gewöhnlich nicht inhaltlich identisch. Hier wäre „gewohnt“ richtiger; man könnte das Adjektiv aber auch weglassen, denn im folgenden Satz steht diese Info ja nochmal drin und doppel-moppelt jetzt die Aussage.
Zitat: | Die Musik, die ich jeden morgen höre und jeden morgen leise auf meinen Schenkeln mittrommel. |
Morgen
mittrommle
Zitat: | Als ich 16 war, hatte ich mir an einem langen Donnerstag geschworen, nicht für immer in diesem Ort und diesem Bus festzuhängen. |
Zahl ausschreiben
Wofür ist wichtig, dass es ein langer Donnerstag (also einer, an dem die Geschäfte länger aufhatten) war?
Zitat: | Noch 3 Haltestellen. |
drei
Zitat: | Sie steigt jeden morgen in den Bus ein und setzt sich ans Fenster, aus dem sie dann für einige Minuten schaut, bevor sie aussteigt. |
Zitat: | Noch 2 Haltestellen. |
zwei
Zitat: | Die Frau schaut mich für einen Moment an. Nach einigen Sekunden schaut sie wieder aus dem Fenster. |
Ein Moment ist kürzer als „einige Sekunden“ - was macht sie dazwischen? Dieser Unterschied zwischen „Moment“ und „einige Sekunden“ scheint wichtig zu sein - wenn es nur ein falscher Zungeschlag ist und eigentlich die selbe Zeitspanne gemeint ist, dann wäre das doppelt gemoppelt.
mit dem Absatz davor dreifaches „schaut“
Zitat: | In den wenigen Sekunden, die ich mit ihr teilen durfte, war es weg. |
Dopplung „Sekunden“. (Hier hatte ich nun ganz stark das Gefühl, dass der Text nicht durchkomponiert wurde, sondern nur die Erstfassung der Idee ist.)
Das klingt, als sollte es „schlimm“ sein, dass „es“ weg war, wäre vom Ich-Erzähler aber eben als okay empfunden worden.
Zitat: | Dieses komische Gefühl, dass ich umsonst in diesem alten Bus sitze, diese Ungewissheit darüber, was ich tue, dieses ewige Fragen, all das war weg. |
Auch das klingt wie ein Entwurf: Wie: „umsonst im Bus sitzen“? Ich ahne, was du meinst, aber diese Formulierung passt nicht dazu. Ich weiß auch nicht, woher hier plötzlich das mit der Ungewissheit kommt - an keiner Stelle im Text schimmert das durch. Auch andere Fragen schimmern nirgends durch.
Zitat: | Ich verliere mich in ihren Augen. |
Sie hat den Blick doch schon längst wieder abgewendet.
Zitat: | Sie steht auf. Sie geht langsam Richtung Ausgang. |
Dopplung „Sie“ + Reim „steht/geht“ - das klingt nicht ausgereift. Idee (auch als Rhythmus-Variation) : Sie steht auf, geht langsam zum Ausgang.
Zitat: | Heute halte ich mein Versprechen. |
Naja, nicht wirklich …
Fazit: Gute Idee, schöne Struktur, aber mir fehlt noch der Schliff.
_________________ Es ist nicht wichtig, was man mitbringt, sondern was man dalässt. (Klaus Klages) |
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Yaouoay Eselsohr
Alter: 22 Beiträge: 232 Wohnort: Berlin
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13.03.2017 19:42
von Yaouoay
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Hallo, Laugeisos!
Schöner Einstand - gerne gelesen.
Sehr knapp, sehr implizit - ich mag das.
Meine Vorrednerin hat ja schon eine Menge angemerkt - damit sich nicht so viel doppelt, belasse ich es mal dabei.
(Ich hätte sowieso nicht so viel anzumerken. )
jon hat Folgendes geschrieben: | Zitat: | Heute halte ich mein Versprechen. |
Naja, nicht wirklich … |
Er bricht sein Versprechen insofern, als es ein erster Schritt ist, an der "falschen" Haltestelle auszusteigen.
Von da ist es nur noch ein kleiner Weg bis zum Einhalten seines Versprechens.
Liebe Grüße
Yaouoay
_________________ In Liebe – das Leben
(Erzählung) |
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jon Eselsohr
J Alter: 57 Beiträge: 270 Wohnort: Leipzig
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J 14.03.2017 14:23
von jon
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Ich hatte es nicht als „falsche Haltestelle“ gelesen; das ist offenbar eine Frage, was man damit zählt - die Haltestellen, die man noch „durchfahren“ muss oder die, die noch vor einem liegen bis zum Aussteigen.
(Notiz an Autor: Mal kurz durchdenken, ob das präziser gemacht werden muss oder ob die allermeisten so zählen wie Yaouoay!)
_________________ Es ist nicht wichtig, was man mitbringt, sondern was man dalässt. (Klaus Klages) |
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NinaK Gänsefüßchen
Alter: 53 Beiträge: 39 Wohnort: Düsseldorf
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14.03.2017 18:53
von NinaK
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Hallo Laugeisos,
schöner, kleiner Text!
In der Textkritik sschließe ich mich Jon an. Wenn Du diese Anmerkungen beherzigt, wird der Text schon sehr gewinnen.
Von mir sei noch angemerkt, dass dieses (im Bus sitzen) präzisiert werden sollte. Umsonst im Sinne von kostenlos? Fährt der schwarz?? Oder umsonst im Sinne von vergeblich? Dann wäre die Frage, inwiefern vergeblich. Wenn er auf dem Weg zur Uni ist, gibt es doch ein klares Ziel.
gleiches gilt für das davor. Komisch im Sinne von lustig oder im Sinne von seltsam/merkwürdig? Hier noch mal sorgsam in Dich horchen, was das für ein Gefühl ist und dann präzise beschreiben. Gerade zum Schluss hin muss jeder Satz sitzen.
Rein aus der Beschreibung wird mir nicht klar, ob der Erzähler nun an der üblichen Haltestelle mit der Frau aussteigt oder eine Haltestelle früher.
Muss das sein? Das wirkt sehr unsicher, und man kann befürchten, dass er der Frau zwar folgen, sie aber nicht ansprechen wird. Somit würde sich für ihn (bezogen auf sein Versprechen) nichts ändern.
Interessanter als die große Angst und Unsicherheit wäre mMn ein Gefühl, plötzlich sehr genau zu wissen, was zu tun ist. Das wirkt entschlossener, und man darf als Leser hoffen, dass er es dann auch tatsächlich auf die Reihe bekommt, aus dem ewigen Kreislauf auszubrechen.
Würde mich auf eine überarbeitete Version freuen!
Grüße Nina
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Vina Wortedrechsler
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Beiträge: 69 Wohnort: Bayern
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Rainer Prem Reißwolf
R Alter: 66 Beiträge: 1271 Wohnort: Wiesbaden
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R 15.03.2017 07:49 Re: Bus Linie 4 von Rainer Prem
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Hallo,
Vina hat Folgendes geschrieben: |
...
Das mit dem Zählen der Haltestellen ist übrigens eine gute Frage. Für mich steigst du tatsächlich an der üblichen aus und brichst dein Versprechen somit. |
Nach meiner Zählung steigt er zwar eine Haltestelle vor seiner eigentlichen aus, aber was das mit "hatte ich mir ... geschworen, nicht für immer in diesem Ort und diesem Bus festzuhängen" zu tun hat, erschließt sich mir nicht.
Da wäre schon eine gravierendere Abweichung von der Routine notwendig. Extremfall: Alles hinschmeißen, in die Bahn Richtung Oberbayern steigen, auf einem Biobauernhof anheuern.
Eine Station vorher aussteigen - vielleicht, weil schönes Wetter ist, und ich ein bisschen zu Fuß laufen will oder weil mir gerade danach ist - ist eine Abwechslung, kein Bruch mit der Routine.
Grüße
Rainer
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Vina Wortedrechsler
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Beiträge: 69 Wohnort: Bayern
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