18 Jahre Schriftstellerforum!
 
Suchen
Suchabfrage:
erweiterte Suche

Login

Jetzt erhältlich! Eine Anthologie von und mit unseren Usern. Jetzt bestellen! Die erste, offizielle DSFo-Anthologie! Lyrikwerkstatt Das DSFo.de DSFopedia


Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Einstand
Gute Tage, böse Tage


 
 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
 Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  « | »  
Autor Nachricht
matzinge
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
M

Alter: 35
Beiträge: 19
Wohnort: Köln


M
Beitrag22.11.2016 23:53
Gute Tage, böse Tage
von matzinge
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich stehe unter der ausgeschalteten La Fayette-Leuchtreklame an der Ecke Holweider Straße–Keupstraße, blicke auf eine gekachelte Fensterfront und frage mich wo der Eingang ist. Das Café hat vielleicht zu gemacht. Ich bin verwirrt, zwei Männer lachen irgendwo lautstark. Ein Auto fährt neben mir aus einer Parklücke. Es dauert ein paar Sekunden, aber dann bemerke ich den Kadaver der Taube, schon einige Tage alt. Es ist kein Blut zu sehen, der Kopf ist in den Asphalt gedrückt, sodass auch er nicht mehr zu erkennen ist, die Flügel sind rechts und links zur Seite ausgespreizt und es sind schwarze Abdrücke der Rillen von Autoreifen in dem zu sehen, was einmal Thorax und Kopf der Taube gewesen war. Eine einzelne Feder liegt etwa zehn Zentimeter neben dem Kadaver. Etwas weiter am Rand der Parklücke, direkt am Bürgersteig, türmt sich der Müll auf. Eine durchsichtige Einkaufstüte aus Plastik mit Erdbeermuster, die Reste eines Kartons, eine leere Schachtel Kippen, eine Wasserflasche aus Plastik, bei der das Etikett halb abgerissen ist.

Noch immer keine Spur von dem Eingang des La Fayette. Ich frage im Hyriat, eine seltsame Mischung aus Imbissbude und Bäckerei, nach. Der Laden versprüht den Charme eines ausrangierten Güterwagons.
„Ein Kaffee Fayette?“
„Nein. Das Café La Fayette. Wo?“
Ein Kunde erbarmt sich meiner und schickt mich um die Ecke, zurück auf die Keupstraße. Da steht´s, dick und fett: La Fayette. Vorhin bin ich einfach daran vorbei marschiert, wie hypnotisiert von dieser Straße, die mich flashbackartig zurück in meine Studentenzeit nach Mannheim katapultiert hat. Die Keupstraße und die nähere Umgebung sind eine Kopie der Stadtteile Jungbusch und Neckarstadt West, als hätte sie jemand in Mannheim mit Word ausgeschnitten und in Köln-Mülheim wieder eingefügt. Konservative Politiker sprechen von Ghettoisierung, Immobilienmakler von einem „Multi-Kulti-Stadtteil“, Mannheimer Studenten von „Klein-Istanbul“ und ich von leckeren Kebap- oder Pidegerichten, von heruntergekommenen Sportwetten-Läden und von der südländischen Kultur, in der sich die Menschen auf dem Treppenabsatz eines blinkenden Internetcafés treffen – Küsschen links, Küsschen rechts – und einfach über Gott, die Welt und alle möglichen Alltagsprobleme quatschen.         

Hier ist also Sahin K. erschossen worden. Zwei Kugeln in den Körper, eine in den Kopf. Vor etwas mehr als einem Jahr, in der Nacht zum 04. September, muss der Streit um irgendeine Banalität genau hier, wo ich jetzt stehe, eskaliert sein. Der Täter zieht die Waffe. Völlig unbewusst schaltet sich der Überlebensinstinkt von Sahin K. ein. Seine Augen reißen wie von selbst auf, die Pupillen erweitern sich, Blut wird in die Beine gepumpt. Gleichzeitig schaltet der Stress im Gehirn den rationalen Verstand runter, die Aufmerksamkeit beginnt sich auf die Gefahr zu fokussieren. Erst jetzt, nach dreihundert Millisekunden, eine halbe Ewigkeit später, wird ihm die Situation bewusst und die Todesangst setzt ein. Er hört die ersten beiden Schüsse, bevor er die Schmerzen spürt. Unwillkürlich hat er sich bereits zu einer Abwehrhaltung abgedreht, als die dritte Kugel seinen Schädel durchschlägt und er tot zusammenbricht.

Ich betrete den Eingangsbereich des La Fayette mit einem großen Ausfallschritt, als würde die Blutlache noch zu meinen Füßen in die einzelnen Kacheln im Marmorboden sickern. Der Laden ist fast leer. Rechts neben mir befinden sich drei Spielautomaten, an denen eine blondierte Türkin – fettige Haare, übergewichtig, Augenringe, die Kippe in der linken Hand, mit dem rechten Zeigefinger immer wieder monoton auf den Startbutton hämmernd – an einem Exemplar ihr Glück versucht. Direkt vor mir befindet sich der Tresen, eine halbrunde, heruntergekommene, ehemals weiße, heute eher beige Bar mit etwa sechs gleichfarbigen Barhockern. Der zweite ist meiner. Ich blicke direkt auf eine Reihe von Ballantines-, Tequila- und Vodka Gorbatschow Flaschen. Wieder kommen Erinnerungen an meine Studentenzeit in mir hoch. Hinter mir öffnet sich der Raum sichelförmig von der Bar weg und es stehen fünf alte, mit einem rostbraunen Bezug überzogene Tische und jeweils vier Stühle vor den gekachelten Fenstern, die ich bereits von draußen gesehen hatte und durch die weder ein Blick von außen nach innen noch umgekehrt möglich ist. Über den Tischen sind in einem Sechseck kleine blaue und grüne Lampen an der Decke angebracht, die dem Laden bei Liveauftritten, die von dem in der Ecke verstauten Keyboard suggeriert werden, in eine orientalische Atmosphäre hüllen sollen. Vor den Fenstern stehen auf einer Fensterbank vielleicht zehn kleine Pflanzen, meine Aufmerksamkeit richtet sich jedoch auf das versiffte Aquarium, in dem ich auf Anhieb drei kleine Findet-Nemo-Goldfische erkenne. Auf dem Aquarium steht ein detailgetreuer Nachbau eines Handelsschiffes, auf dessen Rumpf zwischen den beiden Segelmasten eine überdimensional große Piratenflagge auf der Backbordseite eigenhändig eingehängt wurde. Links darüber hängt ein Flachbildschirm. Es läuft ein türkischer Musiksender ohne Ton.
Ich drehe mich wieder zur Bar um und bestelle eine Cola bei der dicken, aber freundlich lächelnden Türkin hinter dem Tresen. Jetzt sitze ich hier und passe nicht her. Ich fühle mich fehl am Platze, ein wenig halbgar zurückgelassen, wie ein AfD-Wähler in einer Bibliothek. Am anderen Ende des Tresens sitzt ein kleiner Junge mit einer roten New Yorker Kappe, eine weitere Frau huscht in einem Raum, über dem das Notausgangsschild hängt, hin und her, als ein Mann mit beckenlangen Haaren, die er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat, das La Fayette betritt. Er begrüßt den Jungen wie einen Enkel, gibt der Frau, die vorhin noch hin und her gehuscht war und jetzt einen Kräutertee vor sich stehen hat einen Schmatzer auf die Wange und geht hinter den Tresen, wo er auch die Wirtin herzlich begrüßt. Dann räumt er in dem Regal unterhalb der Alkoholflaschen ein paar staubige Gläser beiseite und greift sich eine dahinter aufbewahrte Verpackung mit Ibuprofen-Tabletten. Die Sechshunderter.      

Wir kommen ins Gespräch. Er fragt mich, ob ich von hier sei. Ich rücke erst einmal einen Barhocker zu ihm auf, sonst verstehe ich kein Wort. Mittlerweile hat jemand die Jukebox in der Ecke angeworfen und es ertönt türkische Volksmusik in merkwürdig gedämpfter Tonqualität, sodass sich das Gejammer der Sänger wie der Ehekrach von Nachbarn hinter hellhörigen Wänden anhört. Josko hat trübsinnige, fast bleiche blaue Augen, schlecht tätowierte Schriftzeichen auf den Unterarmen und seine Stimme ist leise und gebrochen. Ich sage, dass ich überlege, vielleicht in die Gegend zu ziehen und frage ihn, wie lange er schon in Deutschland sei. Zehn Jahre. Gemessen an seinen Deutschkenntnissen, hätten es auch zehn Monate sein können. Ob das hier sein Café sei. Ja. Wie das Leben hier in der Gegend sei. Gut. Viele Menschen. Viele Länder. Türkisch, kurdisch, bulgarisch, albanisch, arabisch. Alles.

Wir reden noch ein bisschen. Josko sagt, dass er Bulgare sei und seine Frau Türkin. Das sei ein bulgarisch-türkisches Café. Ich erzähle ihm, dass ich in meinem Beruf Menschen mit Problemen helfe. Er sagt, dass das gut sei. Ich frage ihn, ob es hier häufig Probleme gebe. Nein, nur wenn manchmal die Leute zu viel trinken, gäbe es Stress. Ob das denn eine gute Gegend sei. Er blickt mit seinen milchigen Augen auf den Eingangsbereich, scheint mit sich zu ringen und sagt: „Gibt gute Tage, böse Tage.“

Weitere Werke von matzinge:
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
matzinge
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
M

Alter: 35
Beiträge: 19
Wohnort: Köln


M
Beitrag23.11.2016 00:26

von matzinge
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Sorry für die Verwirrung, die vielleicht entstanden ist. Ich hatte zunächst einen anderen Text hochgestellt und er wurde auch schon ein paar Mal aufgerufen. Ich habe mich aber dann doch für diesen entschieden, weil er abgeschlossen ist. Es handelt sich hierbei um die Beantwortung der Aufgabe:

Beschreiben/recherchieren Sie Milieu, Menschen und Besonderheiten in dem umkreisten Gebiet von Köln-Mülheim und verfassen Sie einen Text dazu. (Dazu wurde ein Stadtplan von Köln-Mülheim ausgeteilt, in dem ein kleiner Bereich umkreist war. Das Café liegt in diesem Bereich)

Ach ja und ich sollte vielleicht noch erwähnen, dass das keine Hausarbeit oder sowas ist und ich mir erhoffe, durch eure Hilfe irgendeine bessere Note oder einen Vorteil zu verschaffen. Das Projekt ist bereits abgeschlossen, alles ist geklärt, der Text wird so, wie er hier steht, veröffentlicht. Es ist nur ein Einstand und für mich persönlich wären Verbesserungsvorschläge und Tipps hilfreich.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
jon
Geschlecht:weiblichEselsohr
J

Alter: 57
Beiträge: 270
Wohnort: Leipzig


J
Beitrag23.11.2016 16:34
Re: Gute Tage, böse Tage
von jon
Antworten mit Zitat

Hallo matzinge,

erstmal willkommen bei den Text-Zerpflückern! Hier kann man zwei Sachen ganz gut trainieren: Textarbeit und ein dickes Fell entwickeln.

Zu deinem Einstand: Der Text wirkt wie von einem mittelmäßig trainierten Schreiber schnell hingeworfen: Geht im Prinzip so, steckt aber noch voller Stolperstellen. Ich markiere mal dies und jenes:


Zitat:
Ich stehe unter der ausgeschalteten La Fayette-Leuchtreklame an der Ecke Holweider Straße–Keupstraße, blicke auf eine gekachelte Fensterfront und frage mich wo der Eingang ist.

„La-Fayette-Leuchtreklame“ durchkoppeln! Das ist ein Wort.
Komma nach „mich“ fehlt.
Das „gekachelte Fensterfront“ klingt, als bestünde die Front aus gekachelten Fenstern.

Zitat:
Es dauert ein paar Sekunden, aber dann bemerke ich den Kadaver der Taube, schon einige Tage alt.

Wieso suchte der Erzähler die Taube? Nur das würde erklären, warum er bemerkt, dass er sie nicht sofort findet. (Ich nehme an, du meinst eher sowas: … Parklücke. Mein Blick fällt auf den Kadaver …)

Zitat:
Es ist kein Blut zu sehen, der Kopf ist in den Asphalt gedrückt, sodass auch er nicht mehr zu erkennen ist, die Flügel sind rechts und links zur Seite ausgespreizt und es sind schwarze Abdrücke der Rillen von Autoreifen in dem zu sehen, was einmal Thorax und Kopf der Taube gewesen war.

Kein Blut - okay. Kopf in den Asphalt gedrückt? Schwer vorstellbar. Es sei denn, die Taube liegt schon seehr lange dort (und es war asphalterweichend warm) – aber dann erkennt man keine einzelnen Rillen der Autoreifen mehr. Oder?
Übrigens drücken sich bei sowas auch nicht Rillen der Reifen ab …
Thorax klingt recht hochgestochen. Körper reicht hier (auch wenn das wissenschaftlich nicht korrekt ist).

Zitat:
Eine einzelne Feder liegt etwa zehn Zentimeter neben dem Kadaver. Etwas weiter am Rand der Parklücke, direkt am Bürgersteig, türmt sich der Müll auf.

So ausführlich die Taube (der Erzähler studiert sie regelrecht) und dann huscht du einfach weiter zum Müll. Wirkt merkwürdig.

Zitat:
Eine durchsichtige Einkaufstüte aus Plastik mit Erdbeermuster, die Reste eines Kartons, eine leere Schachtel Kippen, eine Wasserflasche aus Plastik, bei der das Etikett halb abgerissen ist.

Oben „Thorax“ und hier „eine leere Schachtel Kippen“? Das passt nicht. Kippen sind auf der Sprachebene die Reste der gerauchten Zigarette - eine Schachtel davon ist nicht leer, sondern voller Kippen. Aber auch wenn Kippen für Zigretten steht, ist eine Schachtel Kippen (relativ) voll (mit Zigaretten) und nicht leer. Du meinst wahrscheinlich „eine leere Zigarettenschachtel“.

Zitat:
Noch immer keine Spur von dem Eingang des La Fayette. Ich frage im Hyriat, eine seltsame Mischung aus Imbissbude und Bäckerei, nach.

besser: „vom2?
besser: „einer“
Es gibt Unmengen von Bäckereien mit Imbiss – was soll an der Mischung also seltsam sein?

Zitat:
Der Laden versprüht den Charme eines ausrangierten Güterwagons.

Klingt originell, kriege ich im Kopf aber nicht zueinander

Zitat:
Vorhin bin ich einfach daran vorbei marschiert, wie hypnotisiert von dieser Straße, die mich flashbackartig zurück in meine Studentenzeit nach Mannheim katapultiert hat.

„hatte“, oder?

Zitat:
Die Keupstraße und die nähere Umgebung sind eine Kopie der Stadtteile Jungbusch und Neckarstadt West, als hätte sie jemand in Mannheim mit Word ausgeschnitten und in Köln-Mülheim wieder eingefügt.

Mit Word – ganz wichtig! Mit Freehand, InDesign oder Illustrator wären es ganz andere Effekte! wink

Zitat:
Konservative Politiker sprechen von Ghettoisierung, Immobilienmakler von einem „Multi-Kulti-Stadtteil“, Mannheimer Studenten von „Klein-Istanbul“ und ich von leckeren Kebap- oder Pidegerichten, von heruntergekommenen Sportwetten-Läden und von der südländischen Kultur, in der sich die Menschen auf dem Treppenabsatz eines blinkenden Internetcafés treffen – Küsschen links, Küsschen rechts – und einfach über Gott, die Welt und alle möglichen Alltagsprobleme quatschen.    
   
Da sind Politiker, Immobilienmakler und Mannheimer Studenten aber deutlich wortgeschickter als der Ich-Erzähler. Wie es sich in der Keuperstraße lebt? Wie in jedem Mult-Kulti-Stadtteil: Bunt. vs. Wie es sich in der Keuperstraße lebt? Wie an jedem Ort mit leckeren Kebap- oder Pidegerichten, heruntergekommenen Sportwetten-Läden und der südländischer Kultur, in der sich die Menschen auf dem Treppenabsatz eines blinkenden Internetcafés treffen – Küsschen links, Küsschen rechts – und einfach über Gott, die Welt und alle möglichen Alltagsprobleme quatschen: Bunt. Nein im Ernst: Die Absicht ist mir schon klar, aber diese Gleichsetzung von „Name“ und „Inhalt“ wirkt schon komisch.

Zitat:
Vor etwas mehr als einem Jahr, in der Nacht zum 04. September, muss der Streit um irgendeine Banalität genau hier, wo ich jetzt stehe, eskaliert sein.

Was soll die Null bei dem Datum??
Wie kommt das LyrIch drauf, dass es um eine Banalität gegangen sein muss?

Zitat:
Völlig unbewusst schaltet sich der Überlebensinstinkt von Sahin K. ein.

Das ist doppelt gemoppelt.
Die Info, dass der Instinkt sich unbewusst einschaltet, wäre nur sinnvoll, wenn sich je ein Instinkt bewusst eingeschaltet hätte. Das aber scheitert schon daran, dass Instinkte gar kein Bewusstsein haben.

Zitat:
Seine Augen reißen wie von selbst auf, die Pupillen erweitern sich, Blut wird in die Beine gepumpt. Gleichzeitig schaltet der Stress im Gehirn den rationalen Verstand runter, die Aufmerksamkeit beginnt sich auf die Gefahr zu fokussieren.

„Rationaler Verstand“ ist in der Sprachebene, in der Zigaretten Kippen heißen, auch doppelt gemoppelt.

Zitat:
Ich betrete den Eingangsbereich des La Fayette mit einem großen Ausfallschritt, als würde die Blutlache noch zu meinen Füßen in die einzelnen Kacheln im Marmorboden sickern.

Marmorkacheln – na okay. Aber in diese Kacheln sickerte nichts, vor allem kein dickflüssiges Blut, selbst wenn es noch dagewesen wäre.
Und was meinst du „in die einzelnen Kacheln“ sickern? Dass es nicht in die Ritzen dazwischen läuft und auch nicht überall dort, wo es ist, einsickert - sondern eben nur in einzelne Kacheln?

Zitat:
Rechts neben mir befinden sich drei Spielautomaten, an denen eine blondierte Türkin – fettige Haare, übergewichtig, Augenringe, die Kippe in der linken Hand, mit dem rechten Zeigefinger immer wieder monoton auf den Startbutton hämmernd – an einem Exemplar ihr Glück versucht.

„an denen sie an einem ihr Glück versucht“ – klingt komisch. Idee: … drei Spielautomaten. An einem …

Zitat:
Direkt vor mir befindet sich der Tresen, eine halbrunde, heruntergekommene, ehemals weiße, heute eher beige Bar mit etwa sechs gleichfarbigen Barhockern.

Etwa sechs Hocker? Eher 6,1 oder eher 5,8? wink  – Nein im Ernst: Bis sechs kann man ganz schnell zählen. Ich glaube sogar, die meisten Menschen erkennen diese Anzahl bei einigermaßen geeigneter Darbietung der Objekte (nicht zu weit auseinander, nicht zu sehr übereinander) sogar ohne zu zählen auf einen Blick.

Zitat:
Der zweite ist meiner.

Passt für mein Empfinden von Tonfall her nicht richtig zum Kontext.

Zitat:
Ich blicke direkt auf eine Reihe von Ballantines-, Tequila- und Vodka Gorbatschow Flaschen.

Vodka-Gorbatschow-Flaschen

Zitat:
Wieder kommen Erinnerungen an meine Studentenzeit in mir hoch. Hinter mir öffnet sich der Raum sichelförmig von der Bar weg und es stehen fünf alte, mit einem rostbraunen Bezug überzogene Tische und jeweils vier Stühle vor den gekachelten Fenstern, die ich bereits von draußen gesehen hatte und durch die weder ein Blick von außen nach innen noch umgekehrt möglich ist.

Tatsächlich! Gekachelte Fenster – auch von innen! Kein Wunder, dass man da weder raus- noch reinsehen kann. Erstaunlich, dass der Ich-Erzähler überhaupt weiß, dass hinter den Kacheln Fenster sind! (Meinst du, die Fenster bestehen aus Glasbausteinen? Das sind aber keine Kacheln.)
Dreht sich der Ich-Erzähler eigentlich um, um den Raum sehen zu können, oder mutmaßt er nur?

Zitat:
Vor den Fenstern stehen auf einer Fensterbank vielleicht zehn kleine Pflanzen, meine Aufmerksamkeit richtet sich jedoch auf das versiffte Aquarium, in dem ich auf Anhieb drei kleine Findet-Nemo-Goldfische erkenne.

… die armen Pflanzen! Stehen da im Dunkeln! Selbst bei Glasbausteinen kommt kaum genug Licht für Pflanzen durch.
Heißt das, es sind Plastefische im Aquarium? Und: Was denn nun: Findet-Nemo-Fische (also Clownfische) oder Goldfische?

Zitat:
Auf dem Aquarium steht ein detailgetreuer Nachbau eines Handelsschiffes, auf dessen Rumpf zwischen den beiden Segelmasten eine überdimensional große Piratenflagge auf der Backbordseite eigenhändig eingehängt wurde.

Was meinst du mit „eigenhändig eingehängt“?

Zitat:
Jetzt sitze ich hier und passe nicht her.

Wie: „jetzt“? Das bisher war also alles nur Rückblende?

Zitat:
Ich fühle mich fehl am Platze, ein wenig halbgar zurückgelassen, wie ein AfD-Wähler in einer Bibliothek.

Das mit dem halbgar finde ich hübsch, das mit dem AfD-Wähler unpassend (nein, ich bin kein AfD-Wähler oder auch nur Sympathisant).

Zitat:
Am anderen Ende des Tresens sitzt ein kleiner Junge mit einer roten New Yorker Kappe, eine weitere Frau huscht in einem Raum, über dem das Notausgangsschild hängt, hin und her, als ein Mann mit beckenlangen Haaren, die er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat, das La Fayette betritt.

… und bevor der Mann das La Fayette betrat, waren weder Junge noch Frau da?

Zitat:
Er begrüßt den Jungen wie einen Enkel,

Wie unterscheidet sich das von jeder anderen Begrüßung eines kleinen Jungen durch einen ihm nahestehenden Mann?

Zitat:
gibt der Frau, die vorhin noch hin und her gehuscht war und jetzt einen Kräutertee vor sich stehen hat einen Schmatzer auf die Wange und geht hinter den Tresen, wo er auch die Wirtin herzlich begrüßt.

… in dem Raum mit dem Notausgangsschild drüber; auf dem Boden oder auf einem Tisch? (Du bist so detailgenau – da musst du es auch hier sein.) Kann der LyrIch das sehen?
Komma nach „stehen hat“

Zitat:
Josko

… der Mann mit Pferdschwanz vermute ich. Oder?

Zitat:
hat trübsinnige, fast bleiche blaue Augen, schlecht tätowierte Schriftzeichen auf den Unterarmen und seine Stimme ist leise und gebrochen.

Was sind trübsinnige Augen? – Ja, man kann auf die Gefühlsregung so anspielen, aber nicht in dieser Kombination mit der Farbe (oder den anderen sinnlich wahrnehmbaren Fakten).

Zitat:
Ich sage, dass ich überlege, vielleicht in die Gegend zu ziehenKOMMA und frage ihn, wie lange er schon in Deutschland sei.


 
Zitat:
Ob das hier sein Café sei. Ja. Wie das Leben hier in der Gegend sei. Gut. Viele Menschen. Viele Länder. Türkisch, kurdisch, bulgarisch, albanisch, arabisch. Alles.

Hier verwischen sich Fragen und Antworten etwas: Das „Viele Menschen.“ hab ich erst als (ebenfalls komprimierte) Frage gelesen und bin deshalb aus dem Rhythmus geraten.

Zitat:
Ob das denn eine gute Gegend sei.

Das hat LyrIch sinngemäß schon mal gefragt („gute Gegend“ und „Leben in diese Gegend“ unterscheidet sich auf der Sprachebene nur formal. Joskos Antwort zeigt das dann ja auch.)


So. Ich hoffe, ich hab nicht allzu viele Fehler getippt. Und ich hoffe, dass dir dir dies und jenes hilft, den Blick auf den Text noch ein bisschen mehr zu schärfen.

LG,
Ulrike


_________________
Es ist nicht wichtig, was man mitbringt, sondern was man dalässt. (Klaus Klages)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
matzinge
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
M

Alter: 35
Beiträge: 19
Wohnort: Köln


M
Beitrag23.11.2016 20:47

von matzinge
pdf-Datei Antworten mit Zitat

@Jon Erstmal danke, dass du dir die Zeit genommen hast. Ist, soweit ich weiß, das erste Mal, dass ein Redakteur/Lektor einen Text von mir liest. Du bist ein guter Beobachter, denn der Text ist tatsächlich schnell runtergeschrieben worden, weil zwischen Aufgabenstellung und Abgabetermin nicht einmal ein ganzer Tag lag und man musste in der Zeit ja auch noch durch den Stadtteil laufen und sich überlegen, worüber man schreibt.  

Die meisten deiner Anmerkungen sind sehr hilfreich, einige aber auch überzogen (bzw. so nicht richtig).

Alle Komma-/Zeit-/Grammatikfehler hätten mir nicht passieren dürfen. Eigentlich bin ich da besser. Ich würde es ja gerne auf den Zeitfaktor und das "Wald-vor-lauter-Bäume-nicht-mehr-sehen-Phänomen" schieben, aber spätestens als ich den Text hier hochgeladen habe, habe ich ihn nochmals gelesen und da hätte ich den ein oder anderen Fehler wirklich sehen können...

Glasbausteine war tatsächlich das Wort, das mir gefehlt hat. Wenn ich "Glasbausteine + Fenster" google kommen zwar nicht ganz die Bilder von Fenstern, die dieses Café hatte, aber es ist vermutlich besser als von Kacheln oder Verkachelungen zu sprechen. Ansonsten halte ich das aber für sehr wichtig, sodass man das auch zwei Mal im Text aufgreifen kann. Cafés haben normalerweise keine Glasbausteine, durch die man nicht sehen kann. Badezimmer haben Fenster, durch die man nicht sehen kann. Dass dieses Café solche Glasbausteine hat, sagt wirklich sehr viel über die Atmosphäre der Location aus.  

Aus Zeitgründen gehe ich jetzt nur kurz auf einige Dinge ein, die ich anders sehe bzw. verteidige mich für die ein oder andere Aussage:
 
Der Erzähler sucht keine Taube. "Es dauert ein paar Sekunden" impliziert nicht automatisch einen Suchprozess, sondern kann genauso gut bedeuten, dass man einige Sekunden eine Szene ansieht und einem dann plötzlich etwas Groteskes auffällt. Es ist wie mit dem Unterschied zwischen sehen und wahrnehmen. Das Satzfragment "mein Blick fällt auf den Kadaver..." beinhaltet nicht die Empfindung, das der Kadaver dem Ich-Erzähler plötzlich bewusst wird. Diesen Aspekt hätte man aber expliziter herausstellen können, z.B. in dem man einfach "plötzlich" in den Satz eingebaut hätte. Das stimmt sicher.

Dass es schwer vorstellbar ist, dass der Kopf in den Asphalt gedrückt war, ändert nichts an der Tatsache, dass es so war. Ich habe Fotos gemacht, die ich dir schicken kann, um deine Vorstellungskraft anzukurbeln. Dort wo der Kopf hätte sein sollen, sah es aus, wie wenn man einen Kaugummi auf dem Boden platt tritt.

Der Erzähler beschreibt nicht nur die Taube ausführlich, sondern die gesamte Parklücke. Dort gibt es zwei wichtige Dinge: Taube und Müll. Deswegen wird direkt zum Müll rüber geschwenkt, als alles über die Taube berichtet war. Ich hoffe, dass es klar ist, dass es nicht um die Taube und den Müll per sè geht, sondern um die Bedeutungsebene. Es geht darum, die Atmosphäre dieses Stadtteils auf einer Metaebene im Text rüberzubringen. Ich denke die tote Taube funktioniert da ganz gut, vielleicht ist der Müll im Vergleich dazu zu "schwach"...   

Es handelte sich einerseits bei dem Mord um eine Banalität, weil das die Polizei in der Zeitung so gesagt hatte, aber das ist nicht so wichtig. Vor dem Hintergrund, welche Konsequenzen so ein Mord für das Opfer hat, wirkt fast jedes Motiv banal.

Zum Thema rationalem Verstand und Instinkt/Bewusstsein verstehe ich, dass du sehr stark auf der Sprachebene verweilst und vor diesem Hintergrund kann ich die Einwände auch verstehen. Faktisch ist es allerdings falsch. Zwischen Bewusstsein und Instinkten besteht eine Wechselwirkung, Instinkte haben also sehr wohl bewusste Anteile. Auch unser Verstand wird durch unbewusste Prozesse sehr stark beeinflusst. Daher ist rationaler Verstand nicht doppeltgemoppelt, sondern präzise, weil es sich ausschließlich auf den bewussten Aspekt des Verstandes fokussiert.
   
..."Er begrüßt den Jungen wie einen Enkel..." Dieses Satzfragment eignet sich wunderbar, um einen interessanten Gedanken zu verdeutlichen: Ich denke, dass alle Experten (unabhängig ihrer Domäne) ein Problem haben: Sie haben Schwierigkeiten mit Ambivalenzen. Sie beanspruchen quasi die Deutungshoheit aufgrund ihrer Expertise für sich. (Glaub mir, bei Psychologen ist es auch so und über Politiker wollen wir gar nicht erst reden.) Du hast dazu angemerkt, dass sich die Begrüßung zu einem Enkel nicht von einer Begrüßung eines normalen Jungens zu einem ihm nahestehenden Mann unterscheidet. Für dich war also die Begrüßung das entscheidende in diesem Satz. Man kann den Satz aber auch so verstehen, dass der Ich-Erzähler denkt, dass es sich um seinen Enkel handelt. Dann wäre die Begrüßung gar nicht so wichtig. Meiner Meinung nach muss das nicht explizit herauszulesen sein. Selbst wenn Ambivalenzen den Lesefluss manchmal stören sollten, so sind sie häufig genau das, was gute Literatur ausmacht. Sie lösen Suchprozesse im Leser aus, sie machen etwas mit ihm. (Natürlich ist das hier ein schlechtes Beispiel, dafür ist sowohl der Junge als auch die Begrüßung viel zu unwichtig. Ist eher allgemein gemeint.)

Dass man "Viele Menschen" als komprimierte Frage lesen kann, stimmt. Das müsste weg.



Das waren jetzt nur ein paar Punkte, in denen ich nicht ganz deiner Meinung bin oder die man meiner Meinung nach auch anders sehen kann. Es gäbe noch andere. Insgesamt mag ich solche Arbeit am Text aber sehr gerne, weil es einen immer weiterbringt. Es hilft dabei, zukünftig das präziser und schärfer zu formulieren, was als gedankliche Ursuppe im Kopf herumschwappt. Dabei geht aber auch der Blick für das "Große-Ganze" verloren. Du hast zum Beispiel kaum diskutiert, ob der Text dem Leser das Milieu/Menschen oder Besonderheiten dieses Stadtteils irgendwie erleben lässt oder ob er es vermitteln kann. Und darum geht es ja primär.
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
jon
Geschlecht:weiblichEselsohr
J

Alter: 57
Beiträge: 270
Wohnort: Leipzig


J
Beitrag25.11.2016 18:25

von jon
Antworten mit Zitat

Ja: kann man. Also das Milieu erkennen. Angesichts der Kürze der Arbeitszeit sogar gut - mit mehr Zeit wäre wahrscheinlich mehr möglich gewesen; aber das ist wohl fast immer so.

Zur Ergänzung:

"Das Satzfragment "mein Blick fällt auf den Kadaver..." beinhaltet nicht die Empfindung, das der Kadaver dem Ich-Erzähler plötzlich bewusst wird."
Doch, bei dieser Erzählperspektive schon. Der Ich-Erzähler kann ja nur erzählen, was ihm bewusst wird, also beinhaltet die Erwähnung der Taube, dass ihm die Wahrnehmung bewusst wird. Einem Ich-Erzähler kann zwar auch im Nachhinein bewusst werden, was er gesehen hat, ohne es sofort zu "registrieren"  - dann aber müsste der erzählende Text in der Vergangenheitsform stehen.

Vielleicht hilft es, zwischen Taube und Müll zu vermitteln. "Mein Blick wandert weiter" - ist jetzt etwas plump, aber zur Illustration reicht es sicher.

Dass der Instinkt bewusste Anteile hat, mag psychologisch korrekt sein, aber das ist semantisch nicht dasselbe wie "der Instinkt tut etwas (teil)bewusst". Er wägt ja nicht ab, ob er sich zuschaltet - dieser Prozess würde ja gerade die Effektivität des dieses Vorganges behindern. Beim Abschalten ist das etwas anders, da kann das dem Menschen Bewusstwerdende zu einer Entwarnung führen …
(Genau genommen ist "der Instinkt schaltet sich ein" schon nicht korrekt, er ist immer da - er übernimmt an der Stelle nur die Kontrolle, weil er so stark wird, dass er das vorwiegend bewusste Handeln übertönt und Reflexen Raum schafft. Aber das wäre für diesen Text wirklich zu krümelkackerisch. Und eigentlich sollte ich mich mit einem Berufpsychologen darüber auch nicht streiten. *tüdelütütü tüdelütütü Rolling Eyes* )

Bei dem Enkel-Satz liegt das Problem darin, dass du im Text eben das "er ist sein Enkel" aus der Art der Begrüßung ableitest. (Der Ich-Erzähler sagt das explizit: Er nennt es eine besondere Art der Begrüßung. Das steht da nunmal - Interpretation hin oder her.) Und da wäre schon interessant, was das z. B. von „Vater grüßt Sohn“ oder „Onkel grüßt Neffe“ oder so unterscheidet.


Aber das nur als Ergänzung in Sachen Text-Präzision (ein Faible von mir *hüstel*).
Ich glaube sowieso, dass du am meisten darauf achten solltest, nicht zur sehr zwischen den Sprachebene zu switchen. In dem Fall war das schwierig, weil auf der einen Seite die konkrete Faktenaufnahme stand (den Ort erkunden) und auf der anderen eine klanglich adäquate Wiedergabe. Das gleichzeitig in einen Text zu packen, ist nicht trivial.


_________________
Es ist nicht wichtig, was man mitbringt, sondern was man dalässt. (Klaus Klages)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Selanna
Geschlecht:weiblichReißwolf


Beiträge: 1146
Wohnort: Süddeutschland


Beitrag25.11.2016 22:11
:)
von Selanna
Antworten mit Zitat

Hallo,

hier noch ein paar kleine Anmerkungen von mir:
"Ich bin verwirrt, zwei Männer lachen irgendwo lautstark."
--> Das finde ich verwirrend. Das klingt für mich so, als würden zwei Männer lachen, weil der Protagonist verwirrt ist - Du meinst aber wahrscheinlich, dass der Protagonist wegen des eventuell geschlossenen Cafés verwirrt ist, oder? Die zwei lachenden Männer würde ich in einen neuen Satz unterbringen. Und ich würde vllt. noch schreiben, wie das Lachen auf mich wirkt: weit entfernt und somit nur ein Hintergrundgeräusch oder so nah, dass es sich auf die Gefühlswelt des Protagonisten auswirkt (peinlich, beängstigend etc.).

Du beschreibst dann den Boden. Da liegt eine Taube, dort Müll. Aber es wäre ganz nett, wenn der Leser den Grund für die Musterung des Bodens oder aber, wenn es keinen Grund gibt, die Folgen der Musterung erfährt. Ein Grund könnte sein, dass der Blick von der toten Taube angezogen wird, weil es so eklig aussieht. Oder der Protagonist fällt der Gestank auf und bemerkt erst dann die Taube, später noch den Müll. Oder ihm ist langweilig, er findet den Café-Eingang nicht und sieht sich deswegen ein wenig um. - Die Folgen könnten sein: Er erkennt, dass das Viertel seinem Ruf gerecht/nicht gerecht wird. Dass er schnell weitergehen will. Dass er sich jetzt die Leute genauer ansieht, die um ihn herum stehen, und er sich fragt, wer den Müll einfach so wegwarf.

"Noch immer keine Spur von dem Eingang des La Fayette. "
--> Diesen Satz finde ich komisch. Wenn sich der Protagonist nicht bewegt, warum sollte der Eingang plötzlich auftauchen. Du könntest davor einfügen, dass er ein paar Meter nach links und rechts geht, dann würde der Satz mehr Sinn ergeben.

"mit Word ausgeschnitten "
--> Ich kenn mich da nicht aus, aber ich fände an dieser Stelle ein Bildbearbeitungsprogramm, zB ACDSee (ich glaube, so heißt es), passender
Den Wechsel von Umgebungsbeschreibung zu einer Mordszene finde ich zu übergangslos. Erst beschreibst Du ruhig und detailreich das Umfeld und dann folgt in abgehackten Stakkato-Sätzen ein Mord. Vllt ist der Bruch stilistisch gewollt, aber mir - ganz persönlich - geht das zu abrupt. Das reißt diesen kurzen Text in zwei unzusammenhängende Teile. Kannst Du durch eine Überleitung versuchen, den Leser an den Bruch hinzuführen oder den Bruch vorher zu erklären? Was soll die Mordschilderung überhaupt in der Geschichte? Hat der Protagonist vor, Nachforschungen zu dem Mord anzustellen? Kannte er Opfer oder Täter? Wenn er in die Gegend ziehen will, warum erkundigt er sich ausgerechnet nach diesem Café?

"wie ein AfD-Wähler in einer Bibliothek"
--> mag sein, aber finde ich ein wenig plump, à la: mal ganz schnell und nebenbei nach rechts ausgeteilt und dann weiter im Text.

Was mir wirklich gut gefiel, war der Stil, solange er einheitlich blieb. Mir gefiel sowohl die Mordschilderung, die Hektik, das Abgehackte, die Schnelligkeit der Geschehnisse, ohne Gefühl und Ausschmückung. - Daneben gefiel mir auch die bedächtige, detaillierte Schilderung des Umfelds, die ruhige Begegnung mit den Menschen, nur würde ich die Wertung völlig heraushalten.
Ich hoffe, die Kritik war hilfreich.
Herzliche Grüße
Selanna


_________________
Nur ein mittelmäßiger Mensch ist immer in Hochform. - William Somerset Maugham
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
sleepless_lives
Geschlecht:männlichSchall und Wahn

Administrator
Alter: 58
Beiträge: 6477
Wohnort: München
DSFo-Sponsor Pokapro und Lezepo 2014
Pokapro VI Weltrettung in Gold


Beitrag27.11.2016 16:34

von sleepless_lives
Antworten mit Zitat

An dem Text gibt es sicher einige Kleinigkeiten zu verbessern, zum Beispiel Wortwiederholungen zu vermeiden und Stellen, an denen es holpert, zu glätten, aber insgesamt hat mir das gefallen und der Text mich sozusagen weitergetragen, ohne auf Handlung und Dramatik (im Sinne von Spannung) angewiesen zu sein. Du profitierst natürlich von der Aufgabenstellung. Zum einen, weil sie dich gezwungen hat, treffende Beschreibung zu kreieren und die liest man im Forum nicht allzu oft und dadurch sticht der Text heraus. Zum anderen, weil sie dir mit der Gegend das Material für detaillierten 'Realismus' gegeben hat und das zeigt auch gleich wieder die Kraft der Genauigkeit, eine Plastizität, die aus dem direkt Wahrgenommen und Erfahrenen entsteht und so viel schwieriger zu erreichen ist, wenn man Schauplätze und Handlungen frei erfindet oder erfinden muss.

Es gibt eine wahrscheinlich nicht bewusst beabsichtigte Parallele zwischen der überfahrenen Taube und dem getöteten Menschen, die die Schilderung des letzteren noch eindringlicher werden lassen. Dass mit der Taube ein Friedenssymbol ausgelöscht wird, wäre schon zu offensichtliche und sentimentale Symbolik, wenn es nicht so nebenbei daherkäme.

Einzelheiten betreffend ist es sicherlich problematisch, wenn der Bezug oder die Assoziation fehlgeleitet wird oder die Beschreibung einfach sachlich nicht richtig ist. Vieles wurde oben schon angesprochen und man könnte noch die "die einzelnen Kacheln im Marmorboden " hinzufügen, die natürlich Fliesen sein müssten und richtiger Marmor ist auch eher unwahrscheinlich. Weiter oben wurden aber auch Dinge angekreidet, in denen ignoriert wird, wie natürliche Sprache funktioniert und dass eine Erzählstimme keine Sachberichtserstattung ist. Der Begriff des "Instinkts" wird auf der wissenschaftlichen Seite weder in der Psychologie noch in der Ethologie noch viel benutzt (außer historisch), das heißt aber nicht, dass der Erzähler ihn nicht einsetzen kann und dass Instinkt nicht aktiv werden kann. Sonst müsste man jede Metapher und jede Personifizierung unterlassen. Wenn T. Mann im "Zauberberg" schreibt "Die Zeit schlich, die Frist schien endlos" kommt auch niemand mit Konzepten der Physik an und weist daraufhin, dass die Zeit kein agierendes Wesen sei und keine Gliedmaßen zur Fortbewegung habe. Auch eine Gebäude kann einen anspringen und, wenn man mit der Tür ins Haus fällt, muss man danach die Tür genauso wenig wieder einhängen wie bei einem Wolkenbruch Wolken in Stücke brechen.

Was wichtig bleibt ist, dass die Erzählstimme konsistent bleibt, und da sehe ich auch eine paar kleinere Probleme (z. B. "Thorax" und "versifft" passen nicht so recht zusammen), aber im großen Ganzen ist die kleine Episode für mich nachvollziehbar mit allen Gedanken des Erzählers. Für meinen Geschmack könnte es noch mehr die Technik des Bewusstseinsstroms benutzen, aber das ist wohl subjektiv.


_________________
Es sollte endlich Klarheit darüber bestehen, dass es uns nicht zukommt, Wirklichkeit zu liefern, sondern Anspielungen auf ein Denkbares zu erfinden, das nicht dargestellt werden kann. (Jean-François Lyotard)

If you had a million Shakespeares, could they write like a monkey? (Steven Wright)
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
matzinge
Geschlecht:männlichGänsefüßchen
M

Alter: 35
Beiträge: 19
Wohnort: Köln


M
Beitrag28.11.2016 16:55

von matzinge
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Erst einmal danke für das weitere Feedback!

Ich hatte außerdem vergessen zu erwähnen, dass der Text auch von der Länge her begrenzt war. Es durften nicht mehr als 3 Dina 4 Seiten sein. Ich war bereits an der Grenze und für jeden zusätzlichen Satz hätte quasi ein anderer gestrichen werden müssen. Das erklärt die harten Übergänge. Jetzt gilt diese Regel natürlich nicht mehr. Es geht nur noch darum, für mich etwas daraus zu ziehen und mein Schreiben zu verbessern. Jetzt kann ich die Übergänge viel fließender gestalten und dann wird der Text insgesamt weniger "sprunghaft" wirken. Dafür werde ich die Verbesserungsvorschläge zu Rate ziehen, also ist das sehr hilfreich! Das Problem, nicht immer das passende Wort verfügbar zu haben (z.B. Marmorkacheln/Fließen etc.), habe ich bei mir schon häufiger beobachtet und das ist für den hier angestrebten "Realismus" natürlich nicht gerade förderlich. Deswegen kann ich damit auch viel anfangen.

Liebe Grüße
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen
Seite 1 von 1

Deutsches Schriftstellerforum Foren-Übersicht -> Prosa -> Einstand
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst Deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht teilnehmen.
In diesem Forum darfst Du keine Ereignisse posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht posten
Du kannst Dateien in diesem Forum nicht herunterladen
 Foren-Übersicht Gehe zu:  


Ähnliche Beiträge
Thema Autor Forum Antworten Verfasst am
Keine neuen Beiträge Feedback
Immer diese einsamen Tage
von Hera Klit
Hera Klit Feedback 3 04.04.2024 11:14 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Rund ums Buch, Diskussionen, Lesegewohnheiten, Vorlieben
Gute Webseiten für Lyrik im Netz
von Nina
Nina Rund ums Buch, Diskussionen, Lesegewohnheiten, Vorlieben 3 26.02.2024 12:31 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Trash
Drabble »Gegen das Böse«
von nebenfluss
nebenfluss Trash 15 19.01.2024 14:18 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Trash
Was für eine gute und hochintelligen...
von Günter Wendt
Günter Wendt Trash 39 14.09.2023 09:32 Letzten Beitrag anzeigen
Keine neuen Beiträge Feedback
Das Es, das Ich und der böse Wolf
von wunderkerze
wunderkerze Feedback 14 31.08.2023 12:58 Letzten Beitrag anzeigen

EmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlungEmpfehlung

von Ralphie

von Jocelyn

von Schmierfink

von Rufina

von czil

von sleepless_lives

von Schmierfink

von Violet_Pixie

von Constantine

von Rufina

Impressum Datenschutz Marketing AGBs Links
Du hast noch keinen Account? Klicke hier um Dich jetzt kostenlos zu registrieren!