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Der Große Oscaré [Stück]

 
 
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Benson
Eselsohr
B


Beiträge: 407



B
Beitrag12.12.2007 20:51
Der Große Oscaré [Stück]
von Benson
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Der Große Oscaré

Vorspiel

Die Blätter sind gefallen und liegen brüchig dar. Es regnet, es weht. Oscaré und Claire stehen vor einer Parkbank. Eine Laterne erhellt den dunklen Platz.

Oscaré: Der Anspruch hoch.
Claire: Die Gefühle anspruchslos.
Im Chor: Ja, ja, das ist die moderne Zeit.
Oscaré: Der Uhr scheint die Zeit gekommen für neue Zeiten.
Claire: Zeiten, die die Uhr schätzen.

Oscaré tritt unter das Laternenlicht.
Oscaré: Geboren wurde ich als Oscar Oscar. Meine Freunde nennen mich Oscaré. Sie dürfen mich ebenfalls bei diesem Namen nennen. Sprechen Sie einfach vom Großen Oscaré lacht.
Oscaré legt sich die Hände auf den Kopf.
Das Fühlen ist verloren, der Wunsch von der Habgier ersetzt, und die Leidenschaft, das charmante Wollen, von ihr ermordet. Wissen Sie, ein zum Tode verurteilter erstickt an einer Erdnuss. Mensch, sagt er an der Himmelspforte, so nen Pech.

Claire tritt unter das Laternenlicht.
Claire: Der Anspruch hoch.
Oscaré: Die Gefühle anspruchslos.
Claire: Meine Gefühle wollen nicht wie ich will.
Oscaré: Will ich?
Claire: Über uns? Wir lieben einander.
Oscaré: Sie müssen wissen, leicht war es nicht immer. Es gab solche und solche Zeiten. Manch sonniger Tag erschien mir grau. Der Trinker würd sagen: Da war ich net blau.
Claire: Ach, jetzt scherz doch nicht. Sag es wies ist: Wir lieben einander.

Claire tritt aus dem Laternenlicht.
Oscaré: Der, der fühlt, ist zum Triebtäter geworden. Nein, vergewaltigen, schänden tut er nicht, er fühlt, das ist sein Verbrechen. Ein zum Tode verurteilter..... Sie kennen die Leier. Was sind das nur für Zeiten? Finstere. Das Fühlen, das ehrliche, aufrichtige, von den Zwängen der Welt unbeeinflusste Fühlen ist fort. Tot scheint es mir. Ach, mir scheint so vieles. Hypothesen sind, Tatsachen scheinen lediglich. Dieses Denken macht es erträglicher. Wir ertragen unser Leid ebenso wie ein Köter schreit, wir ertragen unser Leid ebenso wie die Uhr die Zeit. Wir ertragen viel. Die Fehler suchen wir bei uns. Die Gründe unserer Traurig-keit, sicher haben wir sie zu verantworten. Nicht wahr, meine Damen und Herren?

Oscaré und Claire tauschen die Positionen.
Claire: Sie müssen meinem Herrn Gatten, ach was sag ich denn, meinem zukünftigen Gatten, verzeihen. Gelegentlich neigt er zur Abtreibung. Doch Unrecht hat er ja nicht. Was sind das nur für Zeiten? Finstere. Da hat er schon recht. Finden Sie net? Sagen Sie schon, kommen Sie, trauen Sie sich, nur raus mit der Sprache. Das seltsame am Theater? Die Leute, die einem ein Dorn im Auge sind, schenken einem Beifall. Ironie ist das schon lang nicht mehr. Keine Angst, das war nur Spaß. Unsere Kritik betrifft die großen Übeltäter. Die, deren Namen ungenannt bleiben können, da ein jeder ihre Willkür sieht. Hier zu Lande hocken einige, die Knechte der ganz Mächtigen, unter einer gläsernen Kuppel. Was sie so machen? Na, Geld, das versteht sich ja von selbst.
Der, der es hat, ist glücklich. Sollte jemand das Gegenteil behaupten, dann lügt er, oder lebt in einer anderen Welt. Sie wissen, was ich meine. Geld mache nicht glücklich? Das sagt nur, wer reich ist. Denn Armut, fragen sie die armen, macht sicher nicht glücklicher. Denken Sie an Johanna, denken Sie an Elagabal - Wer war wohl glücklicher? Denken Sie an .... ach, Hauptsache Sie denken. Der reiche, zum Beispiel, sehnt sich nach drei weiteren Millionen, der arme nach einem Groschen.

Oscaré und Claire nehmen Platz auf der Parkbank.
Claire: Oscar, mein Oscar, erzähl mir die Geschichte.
Oscaré: Nenn mich nicht Oscar, nicht vor fremden. Welche Geschichte, Weib?
Claire: Sprich nicht so. Du weisst schon welche, die vom Jaguar.
Oscaré: Die von dem Jaguar?
Claire: Ja, und erzähl sie so wie du sie mir im Bett erzählt hast.
Oscaré: Sie mögen keine Landstaßen, Städte sagen ihnen auch nicht zu und das Calenberger Land finden Sie nicht wundervoll? Was? Ich sage ihnen mal was, Sie könn mich. Für einen Drei-Tage-Ba-Ba-Bart schufte ich einen halben Monat. Ja, ja, ja, ich bin eckiger als Michel Poiccard. Selbstgespräche sind etwas schönes, nicht wahr? Moment, sagte ich, das hier ist kein Selbstgespräch, ich rede ja mit imaginären Idioten. Dass ich der einzige in diesem Wagen, der über die Landstaße fuhr, war, wusste ich. Dort war halt niemand. Aber es ist unsinnig, eine Unterhaltung mit der Luft zu führen, dann soll man sich lieber einige imaginäre Idioten erschaffen. Es war ein weißer Jaguar, wer fährt schon einen weißen Jaguar? Ein Jaguar ist grün. In einer Welt der Diebe, schrieb Thompson, ist Dummheit die einzige unverzeihliche Sünde, und einen Jaguar, solch einen schönen Wagen weiß zu lackieren, ist pure Dummheit. Ist man es dem Wohle der Menschheit nicht schuldig, einem solchen Tyrannen den Wagen zu stehlen? Solch eine Karosse hat einen besseren Besitzer verdient, einen, der sie zu schätzen weiss. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, zählte ich laut.
Claire: Mein Oscar ist ein toller Erzähler, finden Sie nicht? Mein Oscar, ach mein Oscar. Er mag zwar mittellos sein, aber er hat ein großes Herz, so groß wie das eines jeden Diebes. Sehen Sie einen reichen Mann mit einer schönen Frau, dann können Sie sicher sein, dass er ein Lüstling und sie eine Schurkin ist. Lieben, das kann nur der, der an Habgier arm ist.
Oscaré: Schöne Mädchen sieht man nicht selten. Bezaubernde hört man nicht häufig.
Claire: Wer die Liebe versteht, besitzt wahrscheinlich kein Herz und der, der das Glück der Liebe genießt, straft sich damit, zu denken, dass es eine Pflicht sei. Verstehen Sie? Man blickt sich an die Augen, und was bedeutet es?
Oscaré: Na, nichts. Die meisten Menschen sehen in der Leidenschaft die Lust. Was Lust ist, das wissen sie, doch fühlen können sie es nicht.
Wir lieben einander, nicht wahr, mein Honigkuchenpferd?
Claire: Natürlich tun wir das, mein Oscar, aber natürlich tun wir das. Wenn nicht dich, wen sonst?
Oscaré: Na, niemanden. Du gehörst zu mir und ich, ich gehöre zu dir. Wir gehören einander.
Claire: Denkst du, unser Vorhaben wird gelingen, mein Oscar?
Oscaré: Beim großen Karl, mach dir keine Sorgen.
Claire: Bist du dir wirklich sicher?
Oscaré: Beim großen Karl, meine verehrten Brüder und ich werden ein Scheitern zu verhindern wissen. Es wird gelingen. Schließlich steht die Vernunft auf unserer Seite.
Claire: Wag es ja nicht, ohne mich abzutreten. Hörst du?
Oscaré: Mein Honigkuchenpferd, du sorgst zu sehr, deine Bedenken wiegen schwer.
Claire: Ich fürchte.
Oscaré: Furcht ist dumm, in unserer Hölle ist Furcht vollkommen unangebracht. Furcht hat in unseren Seelen nichts zu suchen.
Claire: Du hast ja recht, mein Oscar, du hast ja recht.

Oscaré: Mein Honigkuchenpferd ist eine besondere Frau. Mutige Mädchen sind in unseren Tagen rar. Kennen gelernt haben wir uns, wie man sich halt so kennenlernt. Damals, vor fünf Wochen, ich besuchte einen Freund in der Hauptstadt, ich spazierte den Kurfürstendamm entlang, und dann, ich hörte diese zarte Stimme, haben Sie nen Euro, fragte sie mich. Dieses zarte Gesicht, diese rosanen, halb erfrorenen Grübchen, dieses braune zerfilzte Haar und diese warmen Augen, ach, da wars um mich geschehen. Natürlich gab ich ihr, dieser fremden Schönheit, nen Euro, und als sich unsere Hände einander näherten, riß ich sie an mich heran, und sagte, du kommst mit mir, du gehörst zu mir und ich, ich gehöre zu dir. In dieser Nacht, in dieser schäbigen Absteige, nahm die Erleuchtung Besitz von mir: Der Bettler wird zum Dieb, sagte sie, das ist die moderne Zeit. Nun, nicht ganz sechs Wochen später, sind wir hier, im mittleren Norden. Eine Wohnung haben wir noch nicht gefunden, doch in meinen Hosentaschen trage ich ein stetig wachsendes Bankkonto. Das Dasein eines Diebes muss gelernt sein. Die ersten zwei Wochen kassierte ich viele Niederlagen, und ebenso viel Prügel. Doch allmählich mache ich mich recht gut. Den weißen Jaguar fuhr ich leider zu Schrott, bevor ich ihn in harte Währung verwandeln konnte, aber das war ein Glücksfall, aus Fehlern lernt man ja. Oscaré hält sich nachdenklich das Kinn. Im Laufe meines jungen Lebens lernte ich eine Menge, und nun, nun wird es Zeit, dieses Wissen anzuwenden. Sollte ich noch mehr lernen, auch gut.
Claire: Du siehst die Dinge nie eindeutig. Du siehst sie grau und zur gleichen Zeit in Farbe.
Oscaré: So ist das Leben, mein Honigkuchenpferd. Die, die eine Sache in einer einzigen Farbe sehen, die leben doch nicht, die tun nur so.
Claire: So tun?
Oscaré: Sie täuschen es vor, sie existieren, aber leben, leben tun sie nicht, dazu fehlt ihnen der Mut, die sind feig, so feig, dass es einem ehrlichen Menschen hochkommt.
Claire: Hochkommt, was ist das?
Oscaré: Das Kotzen kriegen. Die Galle breitet sich vor einem aus. Wo hast du nur gelebt?
Claire: Na, auf der Straße.
Oscaré: Ein Mädchen aus der Gosse, eine wahre Prinzessin, doch was hochkommt bedeutet, das weiss sie nicht.

Claire tritt unter das Laternenlicht.
Wie gesagt, aus der Gosse stamme ich. Allzuleicht erschrickt mich nichts. Das Leben, ich lernte es im Dreck lieben. Meine Mutter schob mich ab, da war ich gerade sieben Wochen alt. Das Heim mochte mir nie recht gefallen. So kam es dann, dass ich und einige Freundinnen mit zehn von dort ausbüchsten. Das Betteln wurde unser täglich Brot. Lesen, Schreiben, Rechnen lernte ich von einer in die Jahre gekommenen Hure. Eine nette Frau war sie, irgendwann verloren wir uns jedoch aus den Augen, so ist das halt. Das Theater? Das seltsame daran? Die Leute hören, sie hören aufmerksam, doch verstehen, verstehen können sie es nicht, denn schließlich, schließlich stammen sie nicht aus der Unterschicht. Und die, die es tun, haben wichtigeres im Sinne.

Auftritt vier Männer.
Oscaré: Meine verehrten Brüder, seid gegrüßt. Dieses bezaubernde Geschöpf neben mir ist meine zukünftige Gattin. Claire meine verehrten Brüder, meine verehrten Brüder Claire.
Einer der Männer beschaut Claire prüfend.
Muso: Hätt was besseres erwartet, Oscaré.
Oscaré: Oscaré packt ihm am Arm. Du Sau, halt dein Maul. Von hier bis Panama findest du keine schönere Frau. Deine Arroganz macht dich wohl blind.
Muso: Mein Freund, reg dich nicht auf, ich scherz nur ein wenig herum.
Tipp: Du kennst unseren Muso doch. Immer ne große Schnauze.
Die anderen zwei amüsieren sich über den kleinen Streit.
Oscaré: Was ist denn so witzig?
Rudolf: Nichts außer euch Idioten.
Zunder: Nichts außer euch Idioten.
Muso: Das sagen ja die richtigen zwei.
Oscaré: Kinder, wir haben wichtigeres zu tun.
Tipp: Genau. Genau. Genau.
Zwei Frauen in schicken Abendkleidern gehen vorbei.
Muso: Den Frauen nachblickend. Sie fühlen nichts. Sie existieren. Wer will es ihnen verübeln?
Tipp: Würd ich gern ausrauben, haben bestimmt ne Menge Bares.
Oscaré: Vergiss das mal. Wir haben wichtigeres zu tun.
Claire: Claire blickt betrübt. Diese Kleider, mein Oscar, kaufst du mir auch solche?
Oscaré: Selbst in Lumpen gehüllt, gefällst du mir, mein Honigkuchenpferd.
Claire: Dennoch.
Muso: Ach, die Weiber, denken doch alle an das gleiche.
Claire: Halts Maul. Was weisst du denn schon?
Tipp: Genau. Genau. Genau.
Oscaré: Oscaré wendet sich zu Tipp. Hey Tipp, wo steckt Dutch? Kann man sich denn nie auf diesen Hund verlassen?
Tipp: Kannst dich auf seine Unpünktlichkeit verlassen.
Oscaré: Nun denn, nutzen wir die Zeit, um euch erbärmliche Gestalten dem Publikum vorzustellen.
Oscaré ruft Rudolf an Seite. Das hier ist der ehrenwerte Rudolf. Ein feiner Kerl. Taschendieb. Der beste, den ich kenn. Wo haben wir uns noch einmal kennen gelernt, mein verehrter Bruder?
Rudolf: Rudolf legt den Arm um Oscaré. Im Kinderheim, mein verehrter Bruder.
Oscaré: Oscaré ruft Muso zu sich. Rudolf ab. Und der, der hier heißt Muso. Ein Großmaul, aber ebenfalls ein feiner Kerl. Wo haben wir uns noch einmal kennen gelernt, mein verehrter Bruder?
Muso: Im Kinderheim, mein verehrter Bruder.
Oscaré: Oscaré ruft Tipp an seine Seite. Muso ab. Ach, der Tipp. Ein feiner Kerl. Ein wenig brutal, doch ein feiner Kerl. Sag deinen Text, verehrter Bruder.
Tipp: Im Kinderheim, mein verehrter Bruder.
Oscaré: Oscaré ruft Zunder zu sich. Tipp ab. Auch ein feiner Kerl. Na?
Zunder: Im Kinderheim, mein verehrter Bruder. Ab.
Oscaré: Oscaré nimmt Claire in den Arm.
Gefallen dir meine verehrten Brüder, mein Honigkuchenpferd?
Claire: Aber natürlich, mein Oscar, aber natürlich. Wenn du sie magst, müssen sie gute Menschen sein.
Oscaré: Gut? Ich weiss ja nicht. Gibt bestimmt schlimmere.
Beenden wir dieses Vorspiel.

Im Chor:
Beim großen Brecht
Wir sind keunem Knecht.






Zwischenspiel

Das folgende Ereignis geschah einige Jahre zuvor. Unser Freund, Oscaré, der Große Oscaré, wurde zum ersten Mal gekascht. Er war noch ein junger Knabe, kein Häärchen auf der Oberlippe. Das Verhörzimmer, in dem er von einem Inspektor verhört wird, ist wirklich winzig, so winzig, dass einen Hampelmann zu machen schier unmöglich erscheint. Draußen ist es dunkel und windig, drinnen erhellt eine kleine von der Decke hängende Glühbirne den Raum.

Oscaré: Oscaré auf einem Stuhl am Tisch sitzend. Die Gosse weint. Die Köter bellen. Die Bettler werden zu Dieben werden.
Inspektor: Um Oscaré gehend. Wer hat das gesagt?
Oscaré: Na, ich, Herr Inspektor.
Inspektor: Nichts von Goethe, Klugscheißer?
Oscaré: Doch, aber nicht für ihre Ohren.
Inspektor: Hast ne clevere Schnauze. Dat ist dein Problem.
Oscaré: Mein Problem sind Gestalten, die einen armen Jungen wie mich von der Straße reißen und ausfragen.
Inspektor: Arm? Das bist du wohl. Doch gerissen genug, um dir das Geld anderer anzueignen. Deine Sorte ist mir wohl bekannt.
Oscaré: Meine Sorte ist ein Produkt ihrer Habgier.
Inspektor: Komm mir nicht so. Sag mir, was ich hören will.
Oscaré: Dann müsste ich lügen, Herr Oberwachtmeister, und dabei bin ich doch so eine gute Seele.
Inspektor: Sag mir, sag mir einfach, was ich hören will.
Oscaré: Was Sie hören wollen - der Klang jener Worte trägt mich ins Grab.... nicht unbedingt der Klang, doch die Bedeutung.
Inspektor: Zuchthaus oder Grab, mir solls gleich sein.
Oscaré: Ihre verlogenen Hypothesen bereiten mir keine Furcht.
Inspektor: Hypothese? Voraussage.
Oscaré: In Zeiten, in jenen ein jeder für einen Pfennig mordet, ist Wahrsagerei ein harmloses Mittel.
Inspektor: Ich kann auch anders. Hörst du? Ich versohl dir den Hintern, Bubi.
Oscaré: In Zeiten, in jenen ein jeder auf Grund von einem Pfennig ums Leben bangt, ist eine kaputte Fresse ne nette Abwechslung. Wissen Sie Herr Inspektor, der Prophet ist das Produkt seiner Prophezeiung.

Natürlich wurde unser Freund nicht ins Zuchthaus verfrachtet. Der Inspektor spielte lediglich das - Ich drohe, du gibst Antwort - Spiel.













Szene I

Das Laternenlicht ist erloschen. Oscaré und Claire sitzen auf der Parkbank.

Oscaré: Da kannt ich mein Honigkuchenpferd noch nicht. Den Horizont, den sah ich tagein tagaus, Wolken konnt ich jedoch keine erkennen. Ich war eine menschenähnliche Gestalt, mit dem Leben zu sehr vertraut, um lebendig sein zu können. Ich war ein Sklave. Heut beschließe ich, mich dieser Fessel zu entledigen. Ich werde auf fünf Erdteilen wandeln.
Oscaré streichelt Claire über den Kopf. Dutch muss bald kommen, und dann teile ich dir die Einzelheiten mit.
Claire: Gut, mein Oscar.
Oscaré: Du bist ein bezauberndes Mädchen.
Claire: Och, Oscar, jetzt wird nicht kitschig.
Oscaré: Hast ja recht, mein Honigkuchenpferd, hast ja recht. Kannst du die Wolken sehen?
Claire: Es ist stockdunkel. Aber wenn man genau hinsieht, und die richtigen Augen hat, dann sieht man sie, ganz klar, ganz deutlich. Sie ziehen ihre Runden und lassen den Horizont hinter ihrer Schönheit verschwinden.
Auftritt Dutch.
Oscaré: Wo bist du bloß gewesen, du Hund? Warte schon ne Ewigkeit.
Dutch: Blickt auf Claire. Wer ist denn das?
Oscaré: Meine Verlobte.
Dutch: Schön, dass man das auch einmal erfährt. lacht.
Oscaré: Wollt dich ja anrufen, mir sind jedoch die Münzen ausgegangen.
Dutch: So, so, die Münzen. Ich denk eher, du hast deinen verehrten Bruder einfach vergessen.
Oscaré: Das könnt ich nie, mach keinen Aufstand.
Dutch: Freut mich für euch beide. Ich hoffe, deine Ehe verläuft besser als die meine.
Oscaré: Du musst wissen, Claire, der Dutch war schon einmal verheiratet. Eine ganze Woche. Ja, ja, der Dutch ist so einer.
Dutch: Welche meiner Sünden wohl am schwersten wiegt?
Oscaré: Was weiß ich, es sind so viele, und sie werden täglich mehr, an der Himmelspforte hat er vergessen, dieser Herr.
Dutch: Ich habe mir die Sache noch einmal durch den Kopf gehen lassen.
Oscaré: Und?
Dutch: Bin mir sicher, dass es hinhaut.
Oscaré. Ich hoffe, dass die Jungs ihre Sache ordentlich machen. Gerade der Tipp, der säuft in letzter Zeit nen bisschen viel.
Dutch: Ich weiss. Um den muss man sich keine Sorgen machen. Selbst als Trinkleiche ist der noch zuverlässig. Muso ist da schon ne andere Sache, wird immer arroganter. Hoffe, sein Ego geht nicht mit ihm durch.
Oscaré: Brüder machen einem nur Sorgen.
Dutch: Ja, ja. Sechs verschollene Mütter, sechs Brüder. lacht.
Oscaré: Aus dem Kinderheim, dort kommen wir her, ja, ja.
Dutch: Hab ich dir schon erzählt, was dieser Idiot Igor mit mir machen wollte? Ausrauben.
Oscaré: Wo denn? Dieser kranke irre.
Dutch: Das war letzten Freitag. Ich habe Schulden bei nen paar Fixern und Huren im Ihme eingetrieben. Und als ich mit neunhundert Lappen durchs Treppenhaus spaziere, springt mir dieser Hurensohn mit ner Klinge vors Gesicht.
Oscaré: Und dann?
Dutch: Hab auf seinen Schädel eingeprügelt und ihm dann die Kehle aufgeschlitzt.
Oscaré: Sie müssen wissen, unter uns Brüdern ist der Dutch der gefährlichste, nicht umsonst hat er sich diesen Namen zugelegt. Wäre er nicht mein Bruder, ich würd ihn fürchten. Seinen ersten Mord beging er mit fünfzehn, es ging um einen Kamm. Unter uns Brüdern mag keiner ein Engel sein, aber Dutch, verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe ihn, ist ein skrupelloser Mörder. Das Töten macht ihm nichts. Diese Kälte ist der Grund, weshalb er von uns das meiste Geld verdient. Ansonsten ist auch er ein feiner Kerl.
Dutch: Hab tierischen Hunger, seit heut morgen nichts mehr gegessen.
Oscaré: Du hast Sorgen. Weisste, was ich mal gehört habe: Der Millionär und der Bettler haben eines gemein - Beide kennen sie keinen Hunger.
Dutch: War noch nie betteln, Oscaré. Hab ich auch nicht vor.
Claire: Claire steht auf. Wieso? Das Betteln bescherte mir mein Leben lang würdevolles Brot.
Dutch: Würdevoll? Sich dem Schicksal beugen, zeugt von vielem, aber gewiss nicht von Würde.
Claire: Was wissen Sie denn schon?
Dutch: Nenn mich du. Ich weiss so einiges.
Claire: Ach ja?
Dutch: Ja.
Oscaré: Kinder, nun streitet nicht. Wir haben wichtigeres zu tun.
Dutch: Die Untat im Sinn, das Geld in der Hand. Ein trauriges Zeugnis, und wir sind noch nicht einmal die schlimmsten auf dieser Welt.
Claire: Oscar, wie gesagt, wage es ja nicht, ohne mich abzutreten.
Oscaré: Ich sags noch einmal, mach dir keine Sorgen. Der Dutch passt schon auf, auf den ist Verlass. Oscaré steht auf. Der Dutch macht seine Sache immer gut. Nicht wahr, Dutch?
Dutch: Frag nicht so dumm, du Hund.
Oscaré: Natürlich macht er das. Hab die Ursel vor nen paar Monaten gesehen.
Dutch: Wo?
Oscaré: Unter dem Tunnel neben dem Bahnhof.
Dutch: Weisst du noch damals? Das war ne Nacht.
Oscaré: Ja, ja, die gute alte Ursel, da war Platz für sechs.
Dutch: In einer Nacht lernten wir sechs sie wirklich kennen.
Oscaré: Damals war sie noch ein nettes Mädchen, ein wenig flatterhaft, aber nett.
Dutch: Und schön war sie.
Oscaré: Schön? Eine Drei plus, mehr aber auch nicht.
Dutch: Ne glatte Zwei.
Oscaré: Zwei minus.
Dutch: Meinetwegen. Kennst du noch das Gedichtchen?
Oscaré: Wie könnt ich es vergessen?

Oscaré und Dutch legen den Arm umeinander und sprechen das Gedicht der Ursel.

Die, die ich liebe, rannte vor einen Bus.
Zeitgleich zeigte ein Kirschbaum
seine ersten Knospen. Es war ein schöner Tag,
und ich muss sagen, bis auf diese eine
unangenehme Sache, war ich wirklich erfreut.

Fünf Erdteile, drei Ehefrauen später
begann ich sie zu vermissen. Und
wünschte folgende Worte in die Vergangenheit:
Falls ein Regiosprinter
unsere Schädel zerquetscht, möcht ich dir
vorher eines sagen: An deiner Seite zu sterben,
welch Freude.

Dutch setzt sich auf die Parkbank.
Dutch: Dabei wurde sie doch niemals vom Bus überfahren, und geliebt haben wir sie auch nicht.
Oscaré: Unterm Tunnel.
Dutch: Wie unterm Tunnel?
Oscaré: Da lag sie, vom Bus überfahren. Als hätten wir es als Kinder vorausgesehen.
Dutch lacht.
Dutch: Sachen gibts.
Oscaré: Kennst du das Frühstuck der Gewinner?
Dutch: Kaffee und Zigaretten?
Oscaré: Nein. Espresso, Scotch und Zigaretten.
Claire: Ich dachte, ihr wolltet den Plan besprechen, stattdessen redet ihr die ganze Zeit Mist.
Oscaré: Haben uns lange nicht mehr gesehen, gönn uns den Spaß. Alles zu seiner Zeit, mein Honigkuchenpferd.
Claire: Wie du meinst, mein Oscar.
Oscaré und Claire setzen sich auf die Parkbank. Dutch pfeilt sich die Nägel, Oscaré beschaut die seinen, und Claire knabbert an ihren.

Auftritt zwei Männer und einer Frau in einem blauen Kleid. Oscaré, Claire und Dutch nehmen sie nur am Rande wahr.
Die Frau in Blau: Ein Stück, ein eingeschobenes, dem man folgen sollte. Ein Stück, das nicht von Pinkel- oder Raucherpausen unterbrochen werden möchte. Ein Stück, das den Rauch riechen will. Ab.

Tulpe: Ich kann den Weg Nachhaus nicht finden. Draußen vor der Tür, du, heiße mich willkommen.
Santiago: Du kennst den Weg.
Tulpe: Ich weiß.
Santiago: Manch einer trägt den Kopf auf einem Stock.
Tulpe: Wieso?
Santiago: Er meint, es würde ja doch keinen Unterschied machen.
Tulpe: Manch einer.
Santiago: Ja, ja. Manch einer.
Tulpe: Wir stemmen uns gegen Zeiger, deren Ziel es scheint, uns zu erdrücken. Mit aller Kraft versuchen wir, ihrer Masse entgegen zu wirken, doch die große Zwölf rückt stetig näher.
Im Nachhinein?
Stück für Stück/ Verspielt ich meine Seele/ Mit jedem Schlück-/chen in der Kehle.
Santiago: Ja,ja. Wenn die Flasche nicht wär, wo befände sich dann der Geist?
Tulpe: Im Nirgendwo. Im Nichts. Im bedeutenden Nichts.
Santiago: Wir verändern alles mit nichts. So heißt es doch, oder?
Tulpe: Ja, ja. So oder so ähnlich. Wenn die Flasche nicht wäre, wäre der Stuhl morgens nicht flüssig.
Santiago: Unsere Weisheiten, wir sprechen sie ins Nichts, ins bedeutende Nichts.
Tulpe: Das tun wir, doch einen Unterschied erkennen tu ich nicht.
Santiago: Ich habe den Sinn vergessen. Ich bin ein Fragezeichen.
Tulpe: Des Lebens?
Santiago: Wessen?
Tulpe: Wir blaßen Trübsal, jedenfalls kommt es mir so vor.
Santiago: Jeder braucht doch ein Hobby.
Tulpe: Wir sind traurige Gestalten. Gestalten ohne Körper, Gestalten ohne Form.
Santiago: Sind die Tage finster oder sind wirs?
Tulpe: Ja, ja. Ich zitiere: Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Santiago: Unser Sein ist einen Pfennig wert, und der Pfennig ist schon längst ersetzt.
Tulpe: Was hat uns bloß so ruiniert?
Santiago: Wir wissens.
Tulpe: Wir wissen so einiges.
Santiago: Das tun wir. Das tun wir. Das tun wir.
Tulpe: Grammatik ist für Leute mit Zeit, wir sind Gehetzte.
Santiago: Ja, ja. Das sind wir.
Tulpe: Wir wissen.
Santiago: Ja, ja. Das tun wir.
Tulpe: Hätten wir mehr Zeit, hätten wir weniger Probleme.
Santiago: Zeit ist zweitrangig, Geld ist die Totgeburt aller Unannehmlichkeiten.
Tulpe: Geld ist nur bedrucktes Papier, und dabei doch so mächtig.
Santiago: Diesmal zitiere ich: Geld ist stets vorhanden, nur die Taschen wechseln.
Tulpe: Rosa, ach, Rosa, fandest des Weges Ende, bevor die Kreuzung in Sichte war.
Santiago: Der Demokratische Sozialismus, ne schöne Sache.
Tulpe: Durchaus.
Santiago: Könnt wärmer sein.
Tulpe: Könnte noch kälter sein.
Santiago: Ja oder wärmer.
Tulpe: Ja. Was man auch hoffen mag, die Realität bleibt unverändert.
Santiago: Wenn ich mal so überlege, dann ist das Wetter recht in Ordnung.
Tulpe: Es geht, es geht.
Santiago: Ja.
Tulpe: Wie lief der Tag?
Santiago: Das Übliche. Man tut, was man nicht lassen kann oder wozu man gezwungen wird.
Tulpe: Sucht und Pflicht, sie sollten sich die Waage halten.
Santiago: Auf welches könnt man wohl eher verzichten?
Tulpe: Hab heut Krapfen gegessen.
Santiago: Und?
Tulpe: Zu trocken, war schon spät.
Santiago: Hatte vor zwei Tagen roten Lachs.
Tulpe: Hat er geschmeckt?
Santiago: Hervorragend.
Tulpe: Hab gestern Steak gegessen.
Santiago: Welchen Teil.
Tulpe: Filet Mignon. Das Blut muss nur so spritzen.
Santiago: Ich esse Steak nur im Restaurant.
Tulpe: Geht mir auch so.
Santiago: Bestelle es immer medium.
Tulpe: Die Langeweile ist eine nette Abwechslung.
Santiago: Das ist sie. Doch wie lange wollen wir hier noch stehen.
Tulpe: So lange wir müssen. Ich habe es satt, mich im Kreis zu drehen.
Santiago: Die Aufgabe des Menschen besteht darin.
Tulpe: Dann will ich kein Mensch sein. Beide lachen.
Santiago: Der Vorhang wird heut nicht mehr fallen. Er wird zerrissen.
Tulpe: In Fetzen soll er ruhen.
Santiago: Das soll er.
Tulpe: Lang genug stand er unserem Blick im Wege.
Santiago: Er soll ruhen.

Auftritt Frau in Blau.
Die Frau in Blau: Sonne, Mond und Sterne aß er gerne. Er erkundigte sich nach der Revolution. Was mache sie in diesem Land? Ginge es voran? Im Rest des Kontinents, sagte er, sehe es nicht gut aus. Er trug ein ausgewaschenes blaues Hemd, Feinripp schimmerte durch den Ausschnitt, und staubbedeckte Schuhe umhüllten seine müden, glücklichen Füße. Der Bleistift, so meinte er, sei in diesen Tagen nützlicher als das Gewehr. Er trug einen Haufen Manuskripte und einige Bücher über den spanischen Bürgerkrieg in seiner Aktentasche. Er schwärmte von Stein, Braque, Dos Passos und Fitzgerald. Hemingway und Picasso mochte er nicht. Vor seiner Abreise gab ich ihm einige Adressen von Genossen. Das Letzte, was ich von ihm hörte, war noch nicht an meine Ohren herangetreten. Ab.

Santiago: Der Herr, sofern seiner Existenz, mag unseren bigotten Seelen und unseren flüchtenden Augen gnädig sein.
Tulpe: Wir tanzen in einem grauen Loch. Und Gott, Gott soll sich ja nicht anmaßen, uns Ethik zu lehren. Gott, Gott sieht alles und handelt niemals. Hier wartet keiner mehr auf Godot.
Santiago: Sodom und Gomorra sollen meiner heimisch werden.
Tulpe: Wir scheinen Gehetzte. Wir sind Gehetzte. So muss es sich fühlen. Anders lässt sich nicht mehr fühlen.
Santiago: Wer nicht fühlt, ist tot, heißt es. Beide lachen.
Tulpe: Wer nicht fühlt, war lediglich einst ein anständiger Mensch.
Santiago: Niemand, der uns Auskunft gibt, denn die Tür ist geschlossen. Und selbst, wenn sie offen stünde, hinter ihr befindet sich nur das Gewusste. Keine Lüge, keine neue Wahrheit.
Was zum Henker machen wir hier eigentlich?
Tulpe: Ist besser als warten. Wir warten nicht. Warten tut der, der das nicht Existierende sucht.
Santiago: Ja. Wir wissen.
Tulpe: Wenn der Zweifel keine Kritik am Glauben, sondern Kritik am Verständnis übt, ist die Gewissheit nicht fern.
Santiago: Das Pech ist unser aller Begleiter und so oft wir es auch verteufeln mögen, stets bleibt es uns treu. Es ist ein guter Freund. Es belügt uns niemals.
Tulpe: Ja. Wir wissen.
Santiago: Ein Asket legt/ Vor die Türe ein Paket/ Er überlegt/ Er spricht ein stummes Gebet.
Tulpe: Sie scheinen den Verstand zu verlieren, mein Gefährte.
Santiago: Leider nicht, ich scherze, er will mich einfach nicht verlassen.
Tulpe: Und die Vernunft, sie will nicht verloren gehen. Ich habe es Marie getauft.
Santiago: Es?
Tulpe: Na, das Pech. Beide lachen ein Lachen, das manisch beginnt und in leiser Depression endet.  
Santiago: Wir haben gefressen, getrunken, gestochert, gekotzt, und nun? Wir haben gelacht, gelitten, geheult, gekotzt, und nun?
Was ist nun?
Tulpe: Heute denke ich, früher hätte ich folgendermaßen denken sollen: Ich nehme alles mit, jede Winzigkeit stopfe ich vor der Abreise in meinen Koffer, nur die Erinnerung, sie bleibt zurück.
Santiago: Die Sprache der Liebe hinterließ mir nackte Depression. Eine dümmliche Leidenschaft trieb mich ins Exil.
Tulpe: Schöne Mädchen schaufeln Gräber. Doch, doch. Ach, verurteile die Gläubigen und nicht den Teufel. Der arme Schlucker kann nichts für seine Haut.
Santiago: Wir waren Jungen ohne Hang zur Konvention/ Ein böser Blick reichte uns als Lohn.
Tulpe: Ihre nassen Mäntel lagen auf dem alten Ofen und rochen nach Köter - so wie nasse Mäntel halt riechen.
Santiago: Wovon redest du?
Tulpe: Du?
Santiago: Wenn ich das nur wüsste.
Tulpe: Ja, ja. In unserer selbst auferlegten Allwissenheit scheinen wir doch so ahnungslos zu sein.
Santiago: Wissen? Was ist das schon? Man weiß so einiges. Man weiß, wie lang ein Ei kochen muss, man weiß, wie lange Wasser trinkbar ist, man weiß so einiges, doch Wissen, was ist das schon? Ich weiß, dass eine Frau Brüste hat und ich ein Glied, ich weiß, dass eine Perücke für Haarlose da ist, ich weiß, dass ein Kreis rund ist, und ein Quadrat Ecken hat. Eine Ecke ist nicht rund.
Tulpe: Wir wissen so einiges. Wir wissen, dass wir wissen, dass wir wissen, dass wir wissen. Ja, ja. Wir wissen so einiges. Mit Handtüchern trocknet man sich ab, Wasser ist feucht, und Wackelpudding wackelt, und dunkle Schokolade ist dunkler als helle. Wir wissen so einiges. Ein Hund ist ein Hund, ein Baum ein Baum, ein Helm ein Helm, ein Schelm ein Schelm.
Santiago: Ich mag den grünen am liebsten.
Tulpe: Die anderen Farben schmecken nicht.
Santiago: Danke.
Tulpe: Über den Dächern der Stadt tanzten wir. Über den Dächern der Stadt suchten wir unsere Venen. In den kleinen Bars, mit Jazzern auf ihrer kleinen Bühne, tranken wir Scotch, und rauchten im Rhythmus. Wir waren Gefangene unseres Leides, Säuglinge unseres Glückes. Wir lasen Hem, Fitzgerald, Brecht, Stein, Dos Passos. Wir lasen und lasen. Es ging nicht darum, die Tinte auf dem Papier wahrzunehmen, wir wollten verstehen. Wir schauten Filme, besuchten das Theater, wir wollten verstehen.
Santiago: Gibt es denn zu wissen, gibt es denn zu verstehen?
Tulpe: Doch, doch. Ja, ja. Wir wissen. Verstehen wir?
Santiago: Doch, doch. Teilweise. Erneut lachen sie. Ein ehrliches Lachen, ein glückliches.

Tulpe und Santiago legen sich die Hände auf den Kopf.
Tulpe: Einst kreisten wir. Heut sind stehn wir geblieben, und bewegen uns endlich einmal vorwärts.
Santiago: Einst zogen wir monotone Bahnen. Wir waren Kreise, die im Kreis rollten. Heut stehn wir, und endlich wissen wir einmal.
Tulpe: Wir wissen so einiges. Doch Wissen ist niemals absolut, es ist lediglich eine bestätigte Vermutung.
Santiago: Wir hörten, was man uns vorkaute, und ließen unsere Gedanken verstummen. Wir zensierten uns. Wir verschenkten unsere Würde.
Tulpe: Doch heut sind wir stehn geblieben. Jetze diktiern wir. Aber maßen wir uns an, andere zum Mitschreiben zu nötigen? Nein. Es hätte keinen Sinn.
Santiago: Nichts mehr zu sagen und doch so vieles.
Tulpe: Wir haben gesagt. Mit Nichts verkündeten wir unsere Meinung. Ab.

Die Laterne spendet wieder Licht. Oscaré steht auf und tritt unter dieses.

Oscaré: War zwar anders gedacht, aber das wars schon.

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Benson
Eselsohr
B


Beiträge: 407



B
Beitrag22.12.2007 20:33

von Benson
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überarbeitet.
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