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1991 Wortedrechsler
Beiträge: 55
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11.09.2016 18:00 Weltende von 1991
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Weltende
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, / in allen Lüften hallt es wie Geschrei. Sie geht schnell, den Kopf gesenkt, sieht ihren abgewetzten Lederboots beim Fortbewegen zu: Schritt für Schritt für Schritt für Schritt. Sie will bei sich sein, jetzt. Will nicht, dass ihr Blick und ihre Gedanken an fremden Passantengesichtern hängenbleiben.
Ob ihr Herz schneller schlägt als sonst? Sie bleibt stehen und horcht in sich hinein.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei / und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Und knickt ein, ganz plötzlich. So, als sei der Asphalt ein Teppich und jemand zöge ihn ihr unter den Füßen weg. Die Straßenkreuzung verschwindet, Autos und Ampellicht werden verschluckt, nur der Straßenlärm bleibt. Sie macht die Augen auf und sieht Himmel, wolkenverhangen, rechts beschnitten durch das Hellgrau einer Häuserfront.
„Alles in Ordnung?“
Ein Gesicht schiebt sich in ihr Blickfeld: ein bisschen zerknittert, besorgt vor allem.
„Ist was passiert?“
Sie denkt nach und weiß keine Antwort. Überraschend fest ist der Griff der alten Frau, als sie ihr aufhilft. Auch andere sind stehengeblieben, das bemerkt sie jetzt, mustern sie.
„Geht es Ihnen gut?“
Sie macht den Mund auf, will etwas sagen. Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen / an Land, um dicke Dämme zu zerdrücken. Schüttelt stattdessen den Kopf und nickt dann und bedankt sich murmelnd, klopft den Staub von ihrer Hose. „Alles okay.“
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Das Bimmeln der Ladenglocke lässt ihn innehalten. Widerwillig hebt er den Kopf. Eine Frau. Jung. Mitte Zwanzig, würde er schätzen. Groß und schlank. Hübsch irgendwie. Oder auch nicht.
Er legt den Bleistift beiseite, einen letzten Blick auf das Medusengesicht werfend. Beim Aufstehen wischt er sich verstohlen die Handinnenflächen am groben Stoff der Jeans trocken.
„Hey, wie kann ich helfen?“
Als sie spricht, versteht er nicht. Das Surren der Nadel aus dem Nebenzimmer vermischt sich mit dem Heavy Metal, den Tom auflegt, wenn der Chef nicht da ist.
Er kommt näher. Sie hat ein Stück Papier aus ihrer Umhängetasche gezogen. Sie faltet es auf, sieht es an, fast so, als sähe sie es zum ersten Mal. Sie hat lange, schmale Finger mit abgekauten Nägeln.
„Das hier. Das hätte ich gern“, sagt sie und reicht ihm den Zettel. Ein Gedicht. „Auf der Schulter, hab ich gedacht?“ Sie zieht die rechte Achsel ans Kinn und deutet auf ihr Schulterblatt. „Also da.“
Die linke Wange, bemerkt er, muss sie sich vor kurzem aufgeschürft haben. Als sie seinen Blick auffängt, senkt er den Kopf, überfliegt die Gedichtzeilen und nickt. Schöne, geschwungene Buchstaben.
„Können wir machen, kein Problem.“ Er geht zum Tisch, zückt Bleistift und Papier. „Soll ich das so übernehmen? Oder willst du eine besondere Schriftart? Wir könnten –“ Weil er aus den Augenwinkeln sieht, dass sie hastig den Kopf schüttelt, unterbricht er sich. „Okay. Soll vielleicht noch was dazu? Schnörkel? Ein Bild?“
„Nein.“ Sie presst die Lippen fest aufeinander. Der Versuch eines Lächelns. „Keine Schnörkel. Kein Bild. Nur den Text bitte.“
„Klar.“
Er lehnt sich an die Tischplatte und lässt den Stift auf der Kuppe seines Daumens rotieren. Stechend blaue Augen hat sie, das macht die abgekauten Nägel wieder wett.
„Dann werd ich die Schablone vorbereiten und wir können uns anschauen, wie das auf deiner Schulter aussieht.“
„Wann soll ich wiederkommen?“
„In zwei Stunden bin ich fertig.“
Sie nickt und verschwindet, löst sich mit dem Bimmeln der Ladenglocke in Luft auf, noch bevor er ein weiteres Wort sagen kann.
Also setzt er sich wieder an den Arbeitstisch. Er schiebt die Medusa beiseite, nimmt das iPad in die Hand, öffnet das Browserprogramm. Als er die ersten drei Worte in das Suchmaschinenfeld tippt, wird ihm schon ein Wikipedia-Artikel vorgeschlagen: „Weltende (Jakob van Hoddis)“. Er klickt darauf, der Artikel poppt auf.
Ja, das ist es.
Form, Inhalt, Interpretation.
Das Gedicht ist wie sie, denkt er. Irgendwie komisch. Aber passt.
Später erst, als er die Zeilen längst auf das dünne Matritzenpapier übertragen hat und sich wieder dem Schlangenhaar der Medusa widmet: der letzte Vers.
Er faltetet den Zettel auf.
Der letzte Vers fehlt.
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MoL Quelle
Beiträge: 1845 Wohnort: NRW
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12.09.2016 10:01
von MoL
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Ich finde die Eingangsszene unheimlich stark, in der klar wird, wie versunken diese junge Frau in sich und das Gedicht ist. Auch das mit dem Tatoo passt prima, coole Idee.
Nur: Wohin verschwindet die Frau? Und warum fehlt die letzte Zeile des Gedichts? Erschließt sich mir nicht, dafür etwas Punkteabzug.
Schöne Sprache, schöne Beschreibungen!
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halcyonzocalo Einsamer Trancer
Alter: 34 Beiträge: 1202 Wohnort: Irgendwo im Nirgendwo
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12.09.2016 14:16
von halcyonzocalo
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Das ist eine ziemlich interessante Geschichte und sie zählt meiner Meinung nach zu einer der stärksten im Wettbewerb. Insbesondere stilistisch spricht mich der Text an. Irgendwie ist der Text ganz nahe am Geschehen und gleichzeitig sehr distanziert - schwierig zu beschreiben. Der Wechsel der Perspektive nach dem ersten Absatz fügt sich auch sehr gut ein. Die Vorgaben sind in meinen Augen gut umgesetzt worden. Witzigerweise habe ich den Wiki-Artikel zu dem Gedicht aber schon gelesen, bevor davon in der Geschichte die Rede ist. Was mir besonders gefällt, ist auch die Tatsache, dass die Geschichte viel Raum lässt und die Frau irgendwie unnahbar bleibt und ich, wie auch der Tätowierer, wohl gar nicht einschätzen können, was für eine Person sie eigentlich ist. Insgesamt also sehr gelungen und das wird am Ende sicherlich auch entsprechend von meiner Seite aus gewürdigt.
Edit: Nach reiflicher Überlegung bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass dies hier (ganz knapp) meine liebste Geschichte beim diesjährigen Wettbewerb ist, deswegen bekommst du 12 Punkte von mir.
_________________ Die minimaldeterministische Metaphernstruktur mit ihrer mytophoben Phrasierung spiegelt den ideeimmanent abwesenden Bedeutungsraum. |
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Uwe Helmut Grave Opa Schlumpf
Alter: 69 Beiträge: 1016 Wohnort: Wolfenbüttel
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12.09.2016 16:10
von Uwe Helmut Grave
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Für diese Tätowierung braucht man breite Schultern.
_________________ U.H.G. - Freude am Lesen
"Wie sind des Kaisers neue Kleider unvergleichlich!" - "Aber er hat ja gar nichts an!" (Hans Christian Andersen) - Die Welt ist anders(en) als sie es dir erzählen. |
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V.K.B. [Error C7: not in list]
Alter: 51 Beiträge: 6125 Wohnort: Nullraum
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12.09.2016 18:29
von V.K.B.
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Hmmm. Die Geschichte fängt interessant an. Dann weiß ich nicht mehr, was ich am Ende damit anfangen soll. Diese Frau läuft also die Straße entlang, denkt an das Gedicht, dass sie auf die Schulter tätowiert haben will. Stürzt. Gibt den zettel im Studio ab, der letzte Vers (mit den von Brücken fallenden Eisenbahnen) fehlt. Es endet stattdessen mit dem trivialen Schnupfen.
Ist das Meta? Denn mir scheint auch der letzte Vers zu fehlen, nämlich der tiefere Sinn, den ich noch nicht in die Geschichte kriege. Das Medusengesicht? Muss eine Bedeutung haben, so oft wie es erwähnt wird. Aber der Groschen fällt irgendwie nicht, ich stehe auf dem Schlauch. Schade irgendwie. Ist das jetzt zu undeutlich oder bin ich zu doof?
Lese es später nochmal, vielleicht verstehe ich dann mehr.
Edit: Sorry, auch beim zweiten und dritten Lesen will sich mir da nicht mehr erschließen. Auch der erwähnte Wikipedia-Artikel hilft wenig weiter. Der Dichter war wenig später geistig umnachtet, steht da noch. Die Frau auch, weil sie zusammenklappt, in das Gedicht vertieft oder anderer Grund? Vergisst den letzten Vers, oder lässt ihn absichtlich weg? Um den Weg nicht zuende zu gehen? Was sind dann die Eisenbahnen, die jetzt doch nicht von Brücken fallen? Warum will sie das Gedicht tätowiert haben? Die Medusa – ein Hinweis auf griechische Antike. Ist sie Cassandra, eine Prophetin des Untergangs, die nicht gehört wird? Ihre letzte Prophezeiung, den letzten Vers, der Menschheit vorenthält? Was sind die Eisenbahnen? Sorry, nichts als wilde, haltlose Spekulation hier. Sorry.
Edit: Einen Punkt habe ich noch und den kriegst du, weil ich deine Geschichte trotzdem mochte, auch wenn sich der Sinn mir nicht erschließt. Schon allein für die Benutzung eines meiner Lieblingsgedichte.
LG,
Veith
_________________ Let the cosmic muse I summoned forth inspire thee …
Warning: Cthulhu may still occasionally jumpscare people … |
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Lilly_Winter Eselsohr
Alter: 43 Beiträge: 250 Wohnort: Dortmund
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12.09.2016 22:01
von Lilly_Winter
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Hallo Inko,
Weltende
Vorgaben:
Thema »Der fehlende Vers«
Der fehlende Vers in dem Gedicht, das die Frau auf ihrer Schulter tätowiert haben möchte.
Jemand steht an einer Kreuzung und kann sich nicht auf den Beinen halten / während einer Autofahrt kann einer der Insassen nicht sagen, ob der Wagen sich bewegt, oder nicht.
Die Frau bricht zusammen, knickt ein.
Jemand wartet auf ein Ereignis, dessen Eintreffen in zwei Stunden erwartet wird.
Nach zwei Stunden soll sie wiederkommen.
Der Text ist solide geschrieben. Das Thema ist umgesetzt, aber irgendwie tappe ich im Dunkeln. Erfahre zu wenig über die Frau, der Intention, warum sie sich das Gedicht tätowieren lassen möchte. Fehlt der letzte Vers aus einem besonderen Grund?
Ich werde nicht warm mit den Figuren, dennoch hat der Text einen gewissen Charme.
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Oktoberkatze Eselsohr
Alter: 58 Beiträge: 314
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13.09.2016 16:29
von Oktoberkatze
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So ganz hab ich den roten Faden der Geschichte nicht gefunden, dennoch stimmt sie mich nachdenklich.
_________________ Die meisten Denkmäler sind innen hohl |
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Municat Eselsohr
Alter: 56 Beiträge: 353 Wohnort: Zwischen München und Ingolstadt
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14.09.2016 12:33
von Municat
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Hey unbekannter Autor
Das Mädchen ist deutlich erkennbar krank und will sich ein skuriles Gedicht über den Weltuntergang täteowieren lassen - schnörkellos und unverziert ... die entgleisenden Eisenbahnen lässt sie dabei weg.
Sie muss sich konzentrieren, um ihren Weg zu gehen, bei sich zu bleiben, sich nicht ablenken zu lassen ... da frage ich mich, welche Krankheit sie quält. Kämpft sie vielleicht gegen ähnliche Dämonen wie van Hoddis zu seiner Zeit?
Wenn es so ist, bleibt ihr zu wünschen, dass ihr das Tatoo die Kraft gibt, die letzte Zeile ihres (persönlichen) Weltuntergangs zu vermeiden, einen anderen Ausweg aus ihrem Leiden zu finden. Zum Glück lebt sie in einer Zeit, in der ihr das Schicksal des Dichters erspart bleibt.
Die Vorgaben sind hier jedanfalls unauffällig und stimmig umgesetzt
_________________ Gräme dich nicht, weil der Rosenbusch Dornen hat, sondern freue dich, weil der Dornbusch Rosen trägt |
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poetnick Klammeraffe
Alter: 62 Beiträge: 834 Wohnort: nach wie vor
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14.09.2016 15:43
von poetnick
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Ohne Kommentar, um eine Bewertung vergeben zu können.
LG - Poetnick
_________________ Wortlos ging er hinein,
schweigend lauschte er der Stille
und kam sprachlos heraus |
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Einar Inperson Reißwolf
Beiträge: 1675 Wohnort: Auf dem Narrenschiff
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14.09.2016 21:37
von Einar Inperson
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die 8
_________________ Traurige Grüße und ein Schmunzeln im Knopfloch
Zitat: "Ich habe nichts zu sagen, deshalb schreibe ich, weil ich nicht malen kann"
Einar Inperson in Anlehnung an Aris Kalaizis
si tu n'es pas là, je ne suis plus le même
"Ehrfurcht vor dem Leben" Albert Schweitzer |
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Heidi Reißwolf
Alter: 42 Beiträge: 1424 Wohnort: Hamburg
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15.09.2016 10:12
von Heidi
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Was soll ich sagen? Die Geschichte ist, was die Atmosphäre betrifft, schon Hammer. Ich bin da mittendrin im Tattoo-Studio, sehe den "Mann vom Fach" vor mir, allein durch den Dialog und sein Handeln. Und auch vorher, draußen, die Frau auf dem Weg dorthin - ihr Schwächeanfall. Ihre angedeutete Angst, vielleicht vor dem, was sie vorhat; oder eher vor dem, was mit der Welt geschieht? Ob sie zu Ende geht? Das Gedicht hast du, bis auf den letzten Vers, gekonnt in den Text "gewoben" und die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den Zeilen und der Tatsache, dass sich die Frau das Gedicht in ihre Haut brennen lassen will, schwebt über der ganzen Geschichte.
Tja, ich bin beeindruckt und frag mich, wie du das auf die Schnelle hinbekommen hast, den Text auch sprachlich so umzusetzen, dass man denkt, du hättest drei Monate dran gefeilt.
12 Punkte.
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hobbes Tretbootliteratin & Verkaufsgenie
Moderatorin
Beiträge: 4279
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17.09.2016 20:23
von hobbes
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Mein Lieblingstext
Das ist natürlich hauptsächlich dieser Figur geschuldet und dem, das ich keine Erklärung(en) bekomme. Was soll das jetzt, warum gerade dieses Gesicht, warum ein Tattoo, usw.
Schlimmstenfalls wäre das einfach eine Frau, die ein Tattoo will und deswegen vielleicht ein wenig aufgeregt ist. Aber glücklicherweise lässt der Text genügend Freiraum und gibt dezente Hinweise, dass dem nicht so ist.
Wie das Gedicht hineingewoben ist, das mag ich auch.
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Kopfkino Eselsohr
Alter: 40 Beiträge: 262 Wohnort: zwischen Fluss und Wald
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17.09.2016 20:28
von Kopfkino
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Irgendwie finde ich die Aussage nicht.
_________________ Lächeln!
____
...
Stop complainig said the farmer
who told you a calf to be?
...
But whoever treasures freedom
like a swallow has learned to fly.
...
(Donna Donna, Zeitlin und Secunda, Übers. Joan Baez) |
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firstoffertio Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5854 Wohnort: Irland
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17.09.2016 23:50
von firstoffertio
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Hier mag ich die Idee, und wie sie ausgeführt wurde.
Am Ende noch der fehlende Vers. Damit wird für mich die Geschichte rund.
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Ithanea Reißwolf
Alter: 33 Beiträge: 1063
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18.09.2016 11:26
von Ithanea
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Ja. Mag ich.
Ich weiß nicht, was das mit den Abbrüchen und Schrägstrichen soll - aber ich ekzeptiere es einfach, ohne mir ein Urteil fdrüber bilden zu müssen. An sowas merke ich, dass ich einem Text glaube.
Edit: Zum Glück bin ich ja nicht ganz blöd und versuche meine fehlende Lyrikkenntnis durch Informationszeitaltererrungenschaften wie Google wieder wettzumachen, um festzustellten: Ja, da hätt ich jetzt auch selbst drauf kommen können, dass die "komischen" Zeilen mit Schrägstichen das Gedicht sind, um das es geht. Ändert nichts an der Tatsache, diesen Text find ich richtig gut, bestärkt vielleicht nur noch den Wunsch, gern zu wissen, wessen Handschrift auf ihrem Zettel das ist und obs derselbe Grund ist, der den Boden unter den Füßen wegzieht.
_________________ Verschrieben. Verzettelt. |
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Pudelzucker Gänsefüßchen
Alter: 36 Beiträge: 41
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18.09.2016 21:47
von Pudelzucker
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Tolles Gedicht, auf das du dich beziehst. Nur leider hat dessen letzter Vers keinen sichtbaren Bezug zu deiner Geschichte (ich hoffe ich täusche mich hier nicht, aber mir wird's wirklich nicht klar)
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Michel Bücherwurm
Alter: 52 Beiträge: 3376 Wohnort: bei Freiburg
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19.09.2016 12:46
von Michel
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Sehr eng mit den Vorgaben verknüpft. Sehr eng mit dem Gedicht verknüpft. Sehr ratlos lässt mich der Text zurück.
Das Gedicht: Zwölfte Klasse, sofort zurück auf der zerschabten Schulbank. Hier verknüpft mit den Lederboots, dem Fallen, dem Tattoomenschen, der den fehlenden Vers bemerkt. Könnte eine Geschichte draus werden.
Wird aber nicht, irgendwie. Irgendwie hat das etwas von experimentellem Kino, von scheinbar wahllos aneinandergeschnittenen Szenen. Und nimmt damit das Gedicht auf.
Mich erinnert das an Intrusionen eines Traumapatienten, diese zerfetzten Eindrücke, die sich überfallsartig ins Bewusstsein drängen. Im Gedicht funktioniert das für mich besser als in diesem neuen Prosatext. Da fehlt mir eine Klammer, ein verbindender Gedanke, irgendetwas, das die eigentlich großartigen Szenen zusammenhält. Aber vielleicht bin ich auch einfach nicht empfänglich für Expressionistisches.
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rieka Sucher und Seiteneinsteiger
Beiträge: 818
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19.09.2016 21:54
von rieka
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Hallo unbekannter Dichter. Erst einmal – Respekt, Respekt. Einen brauchbaren Text in zwei Stunden aus dem Nichts zu fertigen ist in meinen Augen eine tolle Leistung.
Bei der Punktevergabe war ich stark zerrissen zwischen meinen Vorlieben und dem Versuch, die Aufgabenstellung korrekt zu beachten. Das wirst du kennen.
Jetzt zum Inhalt:
Du hast lebendig geschrieben, viel Innenleben der Prota sichtbar gemacht, weitere der Geschichte Farbe gebende Bilder eingebaut z.B. durch den Tätowierer. Dazu ein Gedicht mit für mich interessantem Hintergrund (ich hab gegoogelt) herausgekramt. Eine anrührende Geschichte mit vielen Andeutungen ist entstanden.
Und vielen Fragen. Viele Fragen wegen der inneren Widersprüche. Ich habe ein Problem mit der Aussage deiner Geschichte. Verhalten, Gefühlslage und Vorhaben der Prota passen für mich nicht zusammen.
Von wessen Weltende geht hier wer aus?
Steckt das Weltende in dem Mädchen? Warum will es dann noch ausgerechnet diese Zeilen sich tätowieren lassen? Sie will so sehr für sich sein, dass sie kaum den Kontakt der anderen zu ihr erträgt, bricht fast zusammen. Sie will für sich sein und setzt sich dann doch just in diesem Zustand einer solch intimen Prozedur einer Tätowierung mit persönlichen Zeilen, körperlichen Nähe, Hautkontakt aus? Rückzug und Demonstration nach außen stecken in deiner Szenerie in einem Topf.
Und welche Bedeutung hat dann die fehlende Zeile von der von den Brücken fallenden Eisenbahnen?
Sieht sie sich als schwerwiegende Eisenbahn? Fällt sie von einer Brücke? Symbolisch oder hat sie etwas vor?
Sollte sie von einer Brücke fallen wollen, warum dann noch diese Zeilen? Was will sie wem damit sagen? Und warum fehlt gerade diese bestimmte? Wenn sie dann etwas sagen will?
Sieht Prota das Weltende für andere? Fürchtet oder wünscht sie sich das Geschehen für andere? Plant sie Zerstörung? Will sie Rache oder Vergeltung? Eher unwahrscheinlich.
Oder glaubt sie an das Ende der Welt mit all ihren Zusammenbrüchen, fürchtet sie das? Wozu dann die Tätowierung. Auch unwahrscheinlich
Die Vorgaben hast du eingebaut.
Die Kreuzung ist da, ein Zusammenbruch, die Bewegungsveränderung, am Ende wartet Prota zwei Stunden darauf, ihr Vorhaben umsetzen lassen zu können.
Hallo Inco. Du hast in zwei Stunden eine lebendige Geschichte geschrieben, in der viele Möglichkeiten stecken. Viel Fantasie und viel Aktion, bildhafte Ausmalungen, die mitgehen lassen. Das muss man erst mal leisten. Ich habe das nicht. Diese Möglichkeiten in deiner Geschichte müssen aber, wenn ich inhaltlich nicht alles falsch verstanden habe, noch sortiert, geschliffen und logisch ausgerichtet werden.
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holg Exposéadler
Moderator
Beiträge: 2394 Wohnort: knapp rechts von links
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20.09.2016 10:24
von holg
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Seltsames Ding.
Das Gedicht ist einfach so, ohne Markierung und Absatz in den Text geschrieben. Das kann zwei Gründe haben. Autor konnte nicht oder Autor wollte nicht.
Falls konnte, ok.
Falls wollte, warum? Sollte es so in den Text fließen, dass Leser an zwei Stellen nicht weiß, ob noch Gedicht oder schon Text?
Der Effekt ist interessant, aber nervig.
Die Geschichte selbst ist sehr schnell erzählt. Frau hat Schwächeanfall. Dan geht sie in Tattoo-Laden und gibt das Gedicht in Auftrag. Sie verabredet Matritzencheck in zwei Stunden.
Alles darum herum ist irgendwie neblig, mysteriös. Was hat es mit dem Schwächeanfall auf sich? Warum dieses Gedicht.
Nach dem Perspektivwechsel sieht Leser ungefähr aus der Sicht des Tätowierers. Er denkt, sie sei wie das Gedicht, macht es aber nur an Äußerlichkeiten fest: frisch aufgeschürfte Wange, abgekaute Fingernägel, blaue Augen, bisschen verhuscht.
Was ich mag, ist dass das keine große Leier mit drei Wendungen und zwei Schicksalsschlägen ist, sondern klein, intim, nicht auserzählt.
Was ich nicht mag, ist, dass mir da ein bisschen was fehlt, das über bloßen Lookismus hinaus geht. Sie sieht so und so aus, also ist sie so und so.
Was ist mit dem fehlenden Vers. Muss ich selbst nachschauen, dass das der mit den Eisenbahnen ist. Und?
Hübsch. Oder auch nicht.
_________________ Why so testerical? |
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Seraiya Mondsüchtig
Beiträge: 924
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20.09.2016 20:19
von Seraiya
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Aufgrund von Zeitmangel muss ich mich auf das Nötigste beschränken.
1 Punkt.
LG,
Seraiya
_________________ "Some people leave footprints on our hearts. Others make us want to leave footprints on their faces." |
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Tjana Reißwolf
Alter: 63 Beiträge: 1791 Wohnort: Inne Peerle
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21.09.2016 16:56
von Tjana
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Sehr schön, in Sprache und Aufbau, Verflechtung mit dem Gedicht.
Viele Sätze und Bilder, die ich mit: gefällt mir besonders zitieren möchte, doch dafür fehlt mehr Zeit.
Bin beeindruckt, so was in nur zwei Stunden erschaffen zu können.
Favorit derzeit
_________________ Wir sehnen uns nicht nach bestimmten Plätzen zurück, sondern nach Gefühlen, die sie ins uns auslösen
In der Mitte von Schwierigkeiten liegen die Möglichkeiten (Albert Einstein) |
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Amaryllis Forenschmetterling
Alter: 38 Beiträge: 1380
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21.09.2016 17:08
von Amaryllis
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Liebe/r Inko,
noch jemand, der einen Gedichttext in seinen Text eingebaut hat. Hast du gut gemacht, finde ich, das fügt sich sehr harmonisch sein. Auch die Vorgaben hast du meiner Meinung nach gut umgesetzt.
Allerdings glaube ich, dass ich deinen Text nicht ganz verstehe. Ich bekomme hier nicht heraus, warum der letzte Vers fehlt.
Ich denke aber, Punkte gibt es trotzdem, allerdings erst, wenn ich mich dem Kommentieren durch bin.
Alles Liebe,
Ama
_________________ Mein Leben ist ein Scherbenhaufen...
Aber ich bin der Fakir. |
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