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Ein Rucksack, eine Kamera und vier Herzen


 
 
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Lyrika
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Beiträge: 130
Wohnort: Berlin


Liebe einen Inder
L
Beitrag11.03.2014 00:11
Ein Rucksack, eine Kamera und vier Herzen
von Lyrika
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Hallo Smile

Ich hab nach sehr langer Zeit wieder ins Forum und mein erstes Werk wiedergefunden. Einfach mal nur so zum lesen aus der Trivialliteratur. Viel Spaß und wenns gefällt, gibt's mehr, da es sich um eine abgeschlossene Story handelt. Ach ja, Lob und Kritik sind willkommen Wink.
Los geht's:

Verschlafen rieb ich mir meine Augen und brauchte eine Zeit, um zu begreifen, daß ich in einem Flugzeug sitze, was mich nach Indien bringt. Ich habe mich schon so lange darauf gefreut und nun endlich sitze ich neben meiner Freundin Lilly und zahlreichen Indern, die wohl auf dem Heimweg sind. Wer weiß. Ich zuckte unbewußt mit den Schultern und schaute zur Seite, wo Lilly von ihrem Buch aufschaute.
„Ist dir kalt?“
„Nein, warum“ fragte ich und lächelte sie an.
„Weil du eben so komisch mit den Schultern gezuckt hast.“ Sie äffte mich nach und schielte mich dabei an.
„Hey!“ Ich gab ihr einen freundschaftlichen Knuff auf den Oberarm.
„Na das fängt ja schon super zwischen uns beiden an. Wir alleine nach Indien, drei Wochen aufeinander und du haust mich schon im Flugzeug“ Sie legt ihr Buch zur Seite und wollte gerade zum Gegenschlag ausholen, da stand die Flugbegleiterin neben uns und fragte, ob wir noch etwas zu trinken haben wollten. Sie stellte uns Orangensaft hin und ging weiter.
„Wie lange muß ich dich noch neben mir aushalten, bis ich dich in Indien für drei Wochen an der Gepäckaufbewahrung abgeben kann?“ Ich verschluckte mich vor lachen fast am meinem Saft. Lilly war meine beste Freundin. Mit niemand anderem konnte ich so viel Spaß haben und doch so ernste Gespräche führen. Es war wie eine Seelenverwandtschaft und diese wurde durch unsere Reise noch bestärkt. Indien! Ich war so gespannt. Hatte ich schon soviel von diesem faszinierenden Land gelesen, Dokumentationen gesehen und Bilder, die einem den Tag versüßten. Ich wollte dieses Land sehen, erleben, in mir aufsaugen. Wie wird es da wohl riechen? Wie schmeckt das Essen? Wie werden die Inder sein? Und….ach, ich hatte 1000 Fragen. Und alle warteten darauf beantwortet zu werden.
„Ähm, noch sieben Stunden bis zur Landung. Und danke für die nette Bemerkung. Jetzt darf ich mir erstmal den Saft aus dem T-Shirt reiben.“
„Oje, das tut mir leid.“ Schuldbewußt schaute mich Lilly an und zeigte mit ihrem Finger an die Decke des Flugzeugs. „Karo, ich hab noch ein sauberes T-Shirt im Rucksack.“ Ich stand auf, machte die Klappe des Handgepäckfachs auf und holte Lillys Rucksack hervor.
„Bestimmt wieder eins mit so einer großen blöden Blume drauf.“ Als ich den Rucksack auf meinen Platz stellte, sah ich noch, wie Lilly mir die Zunge rausstreckte und ihre Nase wieder in ihr Buch tauchte.
Nachdem ich mich durch Lillys Sachen gewühlt hatte, nahm ich das T-Shirt, klemmte mir es unter den Arm und ging in Richtung Toilette. Hoffentlich war frei. Jetzt erst fiel mir auf, wie viele Leute im Flieger saßen. Doch eine ganze Menge Inder dabei. Karo, du bist echt doof. Wir fliegen ja auch nach Indien. Da ist es nur logisch, daß der größte Teil Inder ist murmelte ich lächelnd vor mich hin. Die Toilette war frei und ich verschwand sogleich darin. Mein Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen, als ich Lillys T-Shirt anzog. Wußte ich es doch. Eine große blöde Blume blickte mich aus dem Spiegel an. Lilly und ihre Vorliebe zu Blumen auf T-Shirts. In der Vase mochte sie sie nicht, aber auf T-Shirts. Vielleicht weil sie dort nicht welken? Ich werde sie mal fragen, was es damit auf sich hat. Trotz der sehr guten Freundschaft, wußte ich auch nicht alles von ihr. Aber egal, Hauptsache ist, ich hatte ein orangensaftfreies T-Shirt an. Ich kam noch dem Ruf der Natur nach, schmiß noch einen prüfenden Blick in den Spiegel und schloß die Tür auf. Es wartete schon ein älterer Herr, der sich kopfschüttelnd an mir vorbeidrängte und etwas zu energisch die Tür hinter sich schloß. Herrje, der hatte es aber eilig, dachte ich mir und steuerte auf meinen Platz zu. Lilly hatte sich ganz ihrem Buch hingegeben und bemerkte nicht, als ich mich neben sie setzte. Ich atmete tief ein. Indien, ich fliege wirklich nach Indien. Vor meinem eigenen Mut überrascht, kroch das Lampenfieber in mir hoch. Meine Hände wurden feucht. Die Dame vom Reisbüro sagte zu uns, wir sollten schon bereit sein, wenn wir dort ankommen, daß wir eine art Kulturschock bekommen könnten, weil es halt nicht so ist, wie man es sieht oder hört. Nun gut, in sieben Stunden werde ich es genauer wissen. Während ich meinen Gedanken hinterherhinkte, bemerkte ich plötzlich einen kurzen, aber heftigen Schmerz an meinen Knien.
„Aua!“, wimmerte ich kurz auf und setzt mich automatisch höher. Durch meinen Aufschrei, sah mich Lilly erschrocken an.
„Was ist passiert?“
„Die Lehne ist mir an die Knie geknallt.“ Ärgerlich zeigte ich auf den Sitz vor mir. „Wie rücksichtsvoll!“, entfuhr es mir in einem ironischen Ton.
„Das war bestimmt keine Absicht.“, äußerte Lilly.
„Ist mir egal. Es hat wehgetan.“ Das Lampenfieber hatte zuviel Hormone hinterlassen und nun das. Ich war den Tränen nahe. Aber warum nur? Vielleicht die ganze Aufregung. Verwirrt schaute ich Lilly an. Gerade wollte sie was erwidern, als sich in diesem Moment die Lehne wieder aufrichtete, meine Knie frei gab und ein Mann sich seitlich von seinem Sitz zu mir herumbeugte. Er schaute mich an und lächelte. Mein Atem stockte und die ganze Wut war verflogen. Ich starrte ihn an. Er lächelte weiter und sagte: „Entschuldigung. Ich wollte ihnen nicht weh tun. Wenn es hier möglich wäre, würde ich sie jetzt als Entschädigung zu einem Essen einladen. Schade nur, daß hier alles inklusive ist. Ich hoffe, sie können mir trotzdem verzeihen?“
Was für ein himmlisches Englisch er sprach! Er schaute mich immer noch an und wartete wohl nicht auf eine Antwort. Statt dessen nickte er mir zu und tat einen Augenaufschlag, der mir durch alle Glieder schoß. Er drehte sich wieder um und ließ mich völlig perplex sitzen. Ich war wie gelähmt und bemerkte wie mein Atem wieder einsetzte und viel zu schnell ging, aber diesmal nicht durch das Lampenfieber. Was ist denn das? Es zuckte in meiner Magengrube wie tausende Gewitter und ich starrte die Lehne vor mir an.

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Lyrika
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Liebe einen Inder
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Beitrag18.03.2014 19:17

von Lyrika
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Es geht weiter Smile....


Nie zuvor hatte ich in solche wunderschönen tiefbraune Augen geblickt. Und diese Augen trafen mich mitten ins Herz. Ach, deshalb dieses Zucken in meinem Magen. Nur wegen einem Blick? Ich verstand mich nicht mehr. Aber was das für ein Blick war! Voller Wärme und Sanftheit, der sagte: Komm lehne dich bei mir an. Ich werde dich beschützen. Ich werde dir die Liebe und Geborgenheit geben, die du zum Leben brauchst. Lehne dich an.
Sein Gesicht wurde von pechschwarzen Haaren umspielt. Mir war auch seine Hand aufgefallen, mit der er sich festhielt, als er sich zu mir herumdrehte. Was hatte dieser Mann mit mir angestellt, daß ich den Wunsch verspürte, von seinen Händen gestreichelt zu werden. Mir wurde bei dem Gedanken ganz warm und ich bemerkte, wie ich ein rotes Gesicht bekam. Die ganze Szene hatte nicht einmal zwei Minuten gedauert, aber ich war mehr als verwundert und mehr als verwirrt. Unruhig rutschte ich auf meinem Sitz herum.
„Karo, was ist denn? Der nette Mann hat sich bei dir entschuldigt und du wirst rot wie ein Feuerwehrauto. Karo? Karooooo!“ Jetzt erst nahm ich das Rütteln an meinem Arm wahr.
„Was? Wie? Ach so, ich hab nur….Ähm, ich wollte....“ Mehr als dieses Gestammel kam nicht über meine Lippen.
„Ich hab ja gleich gesagt, es war eine doofe Idee nach Indien zu fliegen. Du mit deiner riesigen Flugangst. Wir hätten erstmal nach Spanien fliegen sollen. Aber nein, du wolltest dir beweisen, daß du es schaffst, diese lange Strecke auszuhalten. Und nun haben wir den Salat. Fängt jetzt deine Phobie an?“ Lillys Tonfall wechselte vom Strafenden zum Besorgten. Ihre Hand, die mich zuvor gerüttelt hatte, streichelte nun sanft mein Unterarm. Ich bekam eine Gänsehaut bei dem Gedanken daran, daß es sein Streicheln sein könnte. Wie ich mir das wünschte!
„Nein, es ist alles in Ordnung mit mir. Wirklich, du brauchst dir keine Sorgen machen. Ich bin jetzt nur ein bißchen müde.“ Ich nahm Lillys Hand in meine und strich ein paar Mal über ihren Handrücken. „Ich werde noch etwas schlafen.“
„Ok. Aber wenn was ist, dann sag mir sofort bescheid.“
„Klar, mach ich.“ Nachdem ich Lilly eine Schmatzer auf die Wange gedrückt hatte, lehnte ich mich in meinen Sitz zurück und schloß meine Augen. Mehr konnte ich mit Lilly in diesem Moment nicht reden und schob Müdigkeit vor. Mir wurde klar, daß es kein Urlaub wird, so wie ich ihn mir vorstellte.
Ein Gefühl der besonderen Art war in mir aufgestiegen und ließ mich an meinem Verstand zweifeln. Es war nicht von ungefähr, da ich schon öfter spürte, wenn sich etwas anbahnt. Aber dieses Gefühl ließ sich nicht greifen. Und das machte mir Angst und zugleich wärmte es mir mein Innerstes. Am liebsten hätte ich gleich den Rückflug angetreten. Ich bekam Heimweh. Sieben Stunden vor dem Anflug nach Indien. Und alles nur, weil sich ein Mann nett bei mir entschuldigt hat? Nein Karo, das ist jetzt nicht dein Ernst, ermahnte ich mich. Wenn da nicht diese Sehnsucht wäre, in den Armen dieses Mannes zu liegen, seinen Hände meine Rücken zärtlich streichelnd und ich seinen herrliche Duft nach Moschus und Zedern einzuatmen. Der Duft war mir bei unserer kurzen Begegnung aufgefallen. Ein Duft nach Stärke, Männlichkeit und Wildheit. Noch immer strömten zuviele Hormone in meinem Körper und veranstalteten ein Feuerwerk der besonderen Art. Wie gerne würde ich mich anlehnen und der Geborgenheit seiner Augen versinken. Ich merkte nur eins, wie mir Tränen heiß in die Augen schossen.
Auch das noch. Ich hoffte, Lilly würde meine Tränen nicht bemerken, sonst gerät sie in Panik und das konnte ich nun gar nicht gebrauchen. Nachdem ich mich ermahnte, mich zusammenzureißen, fiel ich, ermattet durch den kurzen, aber heftigen Hormonschub in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

„Sehr geehrte Fluggäste! Wir werden in zirka einer Stunde den Flughafen von Mumbai erreichen. Bitte bereiten sie sich auf den Ausstieg vor. Unsere Flugbegleiter werden sie kurz vor dem Landeanflug mit weiteren Hinweisen informieren. Ich danke für ihre Aufmerksamkeit.“
Die Durchsage des Flugkapitäns ließ mich aufschrecken. Wie lange hatte ich denn geschlafen? Diesmal wußte ich gleich wo ich war. Meine Aufregung stieg. Gleich würden wir landen. Ich schaute zu Seite und sah, daß Lilly nur noch wenige Seiten brauchte, ehe sie das Buch durch gelesen hatte.
„Hast du die ganze Zeit gelesen?“
„So wie du den ganzen Flug verpennt hast.“, grinste sie mich an. „Und einen Quatsch hast du im Traum erzählt. Mann oh Mann, wer hat dir denn so den Kopf verdreht?“
Erschrocken schaute ich sie an. „Was hab ich? Ich hab im Traum erzählt? Was war es denn?“ Ich versuchte meinen Tonfall so neutral wie möglich zu halten, damit sie nicht bemerkte, daß es mich brennend interessierte, was mein verwirrter Kopf so von sich gab. Bitte laß es nichts peinliches sein! Bitte! Ich bemerkte, wie die Nervosität mehr Raum einnahm, als ich ihr geben wollte und nestelte an meinen Schuhen herum.
„Von einem großen stattlichen Mann hat unsere Karo geträumt. Wie er sie in seinen starken Armen hält und ihr dabei gesteht, sie sei die Liebe seines Lebens. Das ganze Flugzeug weiß bescheid. Zumindest die Gäste und die Flugbegleitung. Ob`s dem Kapitän gesagt wurde, weiß ich nicht.“ Lilly grinste bereit und hielt zum Schutz ihr Buch vor ihren Oberarm, da sie wußte, gleich gibt es mehr als nur einen Knuff.
„Du bist echt so was von gemein! Jetzt schützt dich der dicke Wälzer vor einer Abreibung, aber nachher ist dein Arm frei und dann gibt’s Saures!“ Mit diesen Sätzen überspielte ich meine Befürchtung, doch etwas Ähnliches im Traum gesagt zu haben. Lillys Ironie zeige mir, daß meine Lippen verschlossen geblieben waren.
„Immer mußt du mich aufziehen. Wenn das nicht aufhört, werde ich während des Urlaubs nicht ein Wort mehr mit dir sprechen!“ Drohend zum Schlag ausholend fuchtelte ich mit meiner Faust vor ihrer Nase herum.
„Schon gut. Es war nicht so gemeint. Es tut mir leid, aber ich liebe deinen entsetzten Gesichtsausdruck.“ Lilly formte zur Versöhnung ihre Lippen zu einem Schmatzer, den sie dann auch geräuschvoll durch die Luft abgab. Daß er lauter war, als sie wollte, bemerkte ich, als sie verlegen an mir vorbeischaute. Ich folgte Lillys Blick und mein Blut floß eiskalt durch meine Adern, als ich wieder in diese wunderschönen Augen sah. Wir waren so mit uns beschäftigt, daß ich nicht mitbekam, wie er aufgestanden war und seinen Rucksack aus dem Handgepäckfach nahm und ihn auf den Sitz stellte.
„Ich fühle mich geehrt, wenn dieser Luftkuß mir galt.“, kommentierte er Lillys Aktion. Dabei zwinkerte er uns zu und lächelte. So fühlt es sich also an, wenn einem richtig schwindelig wird. Obwohl ich saß, drehte es sich in meinem Kopf und diese verdammte Röte schoß in mein Gesicht.
„Oh!“, sagte Lilly mit selbstsicherer Stimme. „Nein, der galt meiner fluchenden Freundin. Jetzt müssen wir uns bei ihnen entschuldigen.“
„Nichts für ungut. Aber wenn ich ehrlich bin, ein wenig hätte ich es mir gewünscht, dieses Luftküßchen.“
Mein Gesicht fühlte sich jetzt an, wie eine überreife Tomate in der Sonne. Der Mann hatte eine Stimme so tief wie ein Baß und sie vibrierte so herrlich, daß sich mein Blick durch meine Tagträume verklärte.
„Verdammt Karo! Was ist denn nun schon wieder? Wir haben es doch gleich geschafft, dann brauchst du deine Gesichtsfarbe nicht alle halbe Stunde zu wechseln wie ein Chamäleon.“ Ärgerlich schob sich Lilly an mir vorbei. „Ich hol mir noch schnell was zu trinken. Du kannst ja in der Zeit den Rucksack runterholen, damit wir die Sachen schon verstauen können. Willst du auch noch was?“
„Nein danke. Ja, die Sachen müssen verstaut werden.“, sagte ich. Kopfschüttelnd ging Lilly in Richtung Getränkebar.
Ich stand langsam auf und spähte vorsichtig über die Lehne vor mir. Zu meinem Erstaunen stand dort nur ein Rucksack. Puh, dachte ich mir. Er ist weg und ich bekomme wieder eine annehmbare Farbe im Gesicht. Hätte er jetzt dort gesessen, wäre ich bestimmt der Länge nach im Gang hingeschlagen.
Ich nahm unseren Rucksack aus dem Fach. Der Einfachheithalber haben wir nur einen Rucksack mitgenommen. Gemütlich verstaute ich eine Sache nach der anderen und stutzte plötzlich.
„Och nö.“, nörgelte ich leise, denn mir fiel auf, daß ich vorhin auf der Toilette mein T-Shirt vergessen hatte. So ein Mist! Hoffentlich lag es noch da. Voller Vertrauen ließ ich den Rucksack einsam auf dem Sitz zurück und machte mich auf den Weg in Richtung Toilette. Na so ein Glück, sie war frei und ich schlüpfte hinein. Ah, na das ist ja mal Glück, jubelte ich mir innerlich zu, als ich mit dem doch von mir ernannten Lieblings T-Shirt meinen Platz ansteuerte. Ich stopfte das T-Shirt in den Rucksack und schloß ihn. Abgelenkt durch den älteren Herren, der sich vorhin an mir vorbei drängelte und sich nun etwas lauter schimpfend über das Personal beschwerte, nahm ich den Rucksack und packte ihn wieder in das Fach zurück. Tief einatmend setzte ich mich und wartete auf Lilly.
Lilly balancierte ihr Getränk durch die Reihen, um es sicher an ihren Platz zu bringen. Ich saß sie von Weiten kommen und schmunzelte. Sie war so konzentriert, daß sie mich nicht wahr nahm. Was ich aber wahr nahm, war er, der hinter ihr auftauchte. Ebenfalls mit einem Getränk in der Hand suchte er seinen Platz. Wie konnte mich der Anblick dieses Mannes so in seinen Bann ziehen? Ich bemerkt, daß ich anfing ihn anzustarren. Karo, ermahnte ich mich, schau weg oder schließ die Augen. Ich wollte nicht schon wieder einen Hormonschub haben. Ich warf meinen Blick schnell auf Lilly, die an mir vorbei lief. Nanu, wo will sie denn hin? Verdutzt drehte ich mich zu ihr herum und sah, daß sie kopfschüttelnd mit ihrer freien Hand den Rucksack vom Sitz nahm und ihn im Fach verstaute. Dann setzte sie sich hin und nippte an ihrem Orangensaft. Als ich den Blick von ihr ließ, stand er vor mir. Atme weiter, einfach ruhig weiter, befahl ich meinem Kopf. Was hatte das zu bedeuten? Wieso steht er dann jetzt hier und schaut mich belustigend an.
„Entschuldigungen sind wohl unser einziger Gesprächsstoff, aber sie sitzen auf meinem Platz.“ Ein Blick mit so vielen Aktionen hatte ich noch nie hinbekommen. In einer Sekunde schaute ich auf den leeren Platz zu meiner Linken, schaute ihn an, schaute nach hinten, sah Lilly, schaute wieder zu ihm und stand ohne Worte auf. Ich drehte mich um meine rechte Achse und hielt mich dabei an der Lehne fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Langsamer als er damit gerechnet hatte, gab ich seinen Sitz frei. Um sich bei setzten abzustützen, benutzte er ebenfalls die Hilfe der Lehne. Ich hielt in meiner Drehung inne und bemerkte die Wärme, die von meiner Hand durch meinen Körper strömte. Es kam ein leichtes Streicheln hinzu, das sich anfühlte, als wenn tausende von Ameisen auf Wanderschaft gingen. Ich schloß die Augen und ließ das Gefühl zu. Ich spürte, daß mein Daumen freigeblieben war und streichelte sanft über einen Finger, der sich zwischen meinem Daumen und meinem Zeigefinger gebettet hatte. Mit dem Gedanken, daß es nie Enden dürfte, streichelte mein Daumen fordernder über den Finger. Ich öffnete die Augen und blickte erschrocken auf meine Hand. Jetzt erst sah ich den Herd, wovon diese wohltuende Wärme aus ging. Seine Hand lag auf meiner! Mit Entsetzen zog ich meine Hand weg, lächelte schief und setzte mich endlich hin. Es war ein sehnsüchtiger Blick, den er mir zuwarf, ehe er sich setzte.
„Mir ist kotzübel!“, brachte ich hervor.
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Lyrika
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Liebe einen Inder
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Beitrag24.07.2014 22:36

von Lyrika
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...weiter geht's....

„Karo, also echt! So langsam gehst du mir auf den Keks! Mal ist dir schlecht, mal kotzübel oder weiß ich noch was! Dann nimm eine Tablette oder kotz endlich!“, fauchte mich Lilly an. Gibt es denn überhaupt eine Tablette für solche einen Zustand, in dem ich mich befand? Wenn ja, ich würde sie nicht nehmen. Ich wollte den Zustand, der mir Übelkeit verursachte lange genug auskosten. Es war keine unangenehme Übelkeit und sie kam auch nicht aus dem Magen. Eher stammte sie aus den Streicheleinheiten, die meine Hand erfahren durfte. Eine Herzübelkeit sozusagen, die mein in Wallung gebrachtes Blut ein noch hinzukommender Schwindel das eben Erlebte in meinem Kopf wie einen Film immer wieder abspielte. Und nach jeder Wiederholung wurde die Anziehung zu diesem fremden Mann stärker.
„Wenn du jetzt schon wieder rot wirst; schreie ich!“
„Lilly.“, ich schaute meine Freundin an. „Das wird ein Urlaub der besonderen Art.“
„Sicher, wir sind in genau einer halben Stunde in Mumbai. Hey, Karo.“, sie beugte sich zu mir und packte mich bei den Schultern. „Aus diesem Urlaub werden wir was ganz Besonderes machen. Du wirst sehen, wir haben ein heiden Spaß und erleben den Kulturschock unseres Lebens. Wieso soll die Frau vom Reisebüro nicht recht haben? Geben wir ihr recht, wenn wir wieder zu Hause sind.“
Kulturschock in Indien? Ich würde die Reise eher als Liebesschock im Flugzeug bezeichnen. Hab ich da eben Liebe erwähnt? Wie einfälltig, Karo, wie einfälltig. Ein Blick, eine Berührung und ich schwafele hier was von Liebe? Nun wurde mir der Gedanke auch zu absurd und mußte, gepaart mit der Aussage von Lilly, lachen.
„So gefällst du mir schon besser. Ah, wir müssen uns anschnallen. Es geht zur Landung. Alles klar bei dir?“
„Alles klar!“ Ich schloß meinen Gurt, erfaßte Lillys Hand und atmete tief ein. Indien wir kommen!

Gegen Mitternacht setzte die Maschine, sanfter als ich angenommen hatte, zur Landung an. Ich dachte immer, die Maschine knallt auf die Landebahn. Was man alles so in 20 Jahren vergessen konnte. Solange ist es ungefähr her, daß ich in einem Flugzeug saß. Und als 12jährige hatte ich den Eindruck, es knallt unter meinem Sitz. Manchmal braucht es eben seine Zeit, bis sich Mißverständnisse aufklären. Also merke Karo, die Maschine landet sanft.
Ich war so angespannt, daß mir nicht einmal ein Lächeln gelang. Ein kurzes Rucken und die Maschine stand still. Man sah durch das Fenster, daß sich die Nacht über Mumbai gelegt hatte. Mich beschlich ein mulmiges Gefühl. Ein unbekanntes Land mit seinen Sitten und Bräuchen und wir kommen nachts an. Daran ließ sich leider nichts ändern, da viele Direktflüge europäischer Airlines meist um Mitternacht landeten. Die Dame vom Reisebüro hatte es uns gesagt, aber die Erwartung war doch eine andere. War die Nacht hier dunkler oder bildete ich mir das nur ein?
Eine Tatsache, die ich mir nicht einbildete war, daß die anwesenden Inder schon auf dem Rollfeld von ihren Sitzen gesprungen waren und zum Ausgang drängten. Welch ein Chaos! Lilly und ich schauten uns erstaunt an. Das wurde uns im Riesebüro nicht erzählt, daß es sich beim Aussteigen um eine Art Wettbewerb handelt. Wer zuerst aus der Maschine fliegt, weil er die Gangway nicht abwarten kann, gewinnt den ersten Preis. Auf den waren weder Lilly noch ich scharf und so blieben wir erst einmal sitzen. Eine junge Stewardeß lief an uns vorbei, lächelte und flüsterte uns zu, daß es immer dies Chaos gäbe, also keinen Grund zur Sorge. Geschäftig eilte sie weiter. So langsam beschlich mich das Gefühl, daß es der Anfang des sogenannten Kulturschocks sein könnte. Der würde aber nicht lange auf sich warten lassen. Als das Chaos abnahm, standen Lilly und ich auf, bedankten uns beim Bordpersonal für die freundliche Bedienung, entließen den Rucksack aus seinem ungemütlichen Gefängnis und steuerten auf den Ausgang zu. Lilly ging vor mir. Mein Herz bekam einen kalten Schlag, als ich mich noch einmal umdrehte, um einen letzten Blick in die wunderschönen tiefbraunen Augen zu erhaschen. Der Platz war leer! Mit übertriebener Hastigkeit reckte ich meinen Kopf und schaute über die Fluggäste hinter und vor mir. Er war nicht mehr zu sehen. Ich senkte meinen Kopf und wurde von einer Traurigkeit beschlichen, die mir die Lust auf diesen Urlaub nahm.
Sowie die Inder vorhin das Chaos veranstaltet haben, dachte ich mir, so veranstalten meine Gefühle das Chaos in mir. Wäre jeder Inder mit einem meiner Gefühle besetzt und wäre der Ausgang mein Herz, würden alle versuchen, gleichzeitig hineinzuströmen, aber keiner ist schneller und keiner ist langsamer. Alle nehmen Rücksicht aufeinander und keiner käme ans Ziel. Und mein Herz bliebe leer und einsam. Und es waren verdammt viele Inder in der Maschine.

Nachdem wir die Gangway verlassen hatten und uns in der riesigen Flughafenhalle wiederfanden, erspähten wir den Schalter, wo wir die Zoll- und Einreiseformalitäten erledigten mußten. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Es war eine Warteschlange soweit das Auge reichte.
„Oh je! Na, wenn wir Glück haben, dann sind wir hier in einer Woche fertig.“, sagte Lilly resigniert, da sie genau wie ich wußte, ohne den formellen Kram würden wir hier keinen Fuß vor die Flughalle setzen dürfen. Während wir auf die Warteschlange zusteuerten, holten wir beide unsere Papiere aus den Brustbeuteln, die wir zur Sicherheit umgemacht hatten. Der Rucksack könnte doch mal schnell wegkommen.
„Ja, wo will den die kleine Karo mit ihrem süßen Brustbeutel hin? Will sie auch noch einen Lolly haben?“, frotzelte Lilly.
„Du siehst auch wie ein Schulkind mit dem Ding aus.“ Hektisch drehte ich Lilly um, Angst, daß wir das Ende der Schlange verpaßten. Sie ließ mich gewähren und widmete sich dem Geschehen der Abfertigung. Jetzt kehrte ein wenig Ruhe in unser Tun ein.
Diese Zeit nutzte ich, um mich in der großen Halle umzuschauen. Sie war schlicht, ein wenig heruntergekommen, aber funktionell eingerichtet. Es gab viele Schalter für die Ein- und Ausreise, Zollschalter und kleinere Einkaufsmöglichkeiten. Sogar Anbieter, wo man sein Geld wechseln konnte. Und auch sonst war ich von dem Anblick überwältigt.
An mir vorbei liefen die indischen Frauen mit ihren bezaubernden Saris und tauschten mein bisheriges Bild gegen ein Reales aus. Sicher waren mir indische Frauen und Saris bekannt. Aber beides zusammen und dann noch vor mir. Eine kleine Gänsehaut huschte über meinen Nacken. Noch immer konnte ich das Ausmaß unserer Reise nicht begreifen. Ich, Karo, bin in Indien und befinde mich auf dem Flughafen von Mumbai. Hatte ich mich nicht gefragt, wie es hier wohl riechen mag? Ich schloß die Augen, um mich ganz meinem Geruchsinn hinzugeben, und sog die Luft tief durch meine Nase ein. Den Duft werde ich nie wieder in meinem Leben vergessen. Es war eine Mischung aus verschiedenen Gewürzen und Räucherstäbchen, die die Inder in ihren Geschäften verbrannten. Der Gestank von Kerosin gesellte sich hinzu; aber nur ganz unterschwellig. Jede Nervenzelle meines Gehirns wurde von diesen ungewohnten Gerüchen gekitzelt. Leider mußte meine Nase ihren Senf dazugeben und riß mich mit einem großen Nießer aus der Welt der Gerüche. Mein Gehirn war noch so mit dem gekitzelt der Nervenzellen beschäftigt, daß es vergaß, meiner Hand zu befehlen, schnell ein Taschentuch aus meiner Jackentasche zu ziehen.
„HATSCHI!“, entfuhr es mir laut aus meinem Rachenraum und echote zu mir zurück.
„Gesundheit!“
„Danke Lilly. Diese Luft bin ich noch nicht gewohnt. Ist aber nicht schlimm, hab ja Zeit mich daran zu gewöhnen.“, schniefte ich ihr mit gesenkten Kopf entgegen, wobei ich wild in meiner Jackentasche nach dem gewünschten Gegenstand wühlte.
„Immer wenn man eins braucht, ist keines zu finden. Oh, das ist aber lieb von dir……“ Ich brach mitten im Satz ab, weil die Hand, die mir das Taschentuch reichte, nicht Lillys war. Ich blickte auf.
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Beitrag27.07.2014 20:55

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...und noch nen Teil... Smile


Ich brauchte nicht lange, um wieder hoch zu schauen und blieb auf halbem Wege an zwei blauen Augen hängen. Wortlos nahm ich das mir angebotene Taschentuch.
„Bitte schön. Ich bin Melanie. Und du? Meine Mama sagt, ich soll immer ein Taschentuch bei mir haben.“
Ich schneuzte mir die Nase und betrachtete das kleine Mädchen, daß von einem auf das andere Bein tänzelnd vor mir stand.
„Karo.“ Durch das Taschentuch wurde mein Mund verdeckt und verschlang meine Antwort. Ich ließ es sinken, um meinen Worten freien Lauf zu lassen.
„Wie?“
„Karo. Ich heiße Karo.“, wiederholte ich.
„Und ich bin schon sieben Jahre alt.“, plapperte sie ungefragt weiter „Ich saß ganz alleine mit meiner Mama im Flugzeug. Bist du auch alleine hier?“
„Nein, ich bin mit meiner Freundin hier. Das war aber sehr aufmerksam mit dem Taschentuch.“
Die Wangen der Kleinen fingen an zu glühen. Sie verschränkte die Arme hinter dem Rücken und wippte auf ihren Füßen hin und her.
„Du hast genossen und ich hatte ein Taschentuch. Sind wir jetzt Freunde?“ Erwartungsvoll, mit immer noch glühenden Wangen, schaute mich Melanie an. Ich hockte mich hin, um mit ihr auf gleicher Augenhöhe zu sein, streckte ihr meine Hand entgegen und erwiderte: „Ja, jetzt sind wir Freunde.“
Lauter als mein Nießer schrie sie entzückt auf, packte meine Hand und rief in die Warteschlange: „Ich hab eine indische Freundin!“
„Da muß ich dich leider enttäuschen. Ich bin keine Inderin.“
„Weiß ich doch.“, gestand mir Melanie „ aber wir haben uns in Indien kennengelernt. Also bist du meine indische Freundin.“
Diese Erklärung erschien mir logisch. Beeindruckt von der Pfiffigkeit dieses Kindes erkämpfte ich meiner Hand die Freiheit zurück und entließ meine Beine die hockende Stellung. Durch das laute Rufen der Kleinen wurden die umstehenden Fluggäste Zuschauer der Szene. Einige lächelten und drehten sich wieder um, andere schauten aus Interesse weiter zu.
„Melanie? Melanie, wo bist du?“ Eine etwas untersetzte Frau mit Dauerwelle und Rollkoffer im Schlepptau jagte mit Panik in den Augen durch die Halle des Flughafens. „Melanie!!!!!“ Ihr Ton ging ins hysterische über.
„Hier herüber!“ Instinktiv packte ich Melanie an der Schulter, damit sie mir nicht entwischte. Bei diesem aufgeweckten Kind könnte das durchaus passieren. Die Frau hatte sofort verstanden, daß sich ihr Nachwuchs bei mir befand und eilte schneller, als es ihre kurzen Beine erlaubten, zu mir herüber. Dabei hätte sie sich beinahe den Rollkoffer in die Hacken gehauen. In der Annahme, daß dies auch gleich geschieht, verzog ich etwas schmerzverzerrt meine Mundwinkel. Mit kurzen Trippelschritten stand mir die Frau auch schon gegenüber.
„Melanie! Was hast du dir dabei gedacht? Ich stehe Todesängste aus. Was hast du der jungen Frau getan?“ Erschrocken schaute sie mich an und sah in meine wohl nicht gerade intelligente Mimik.
„Nichts Mama. Entschuldige bitte.“, gab das Kind kleinlaut von sich. Jetzt erst bemerkte ich, daß sich meine Gesichtszüge immer noch auf dem Stand der Schmerzverzerrung befanden.
„Oh nein, Melanie hat nichts angestellt. Sie war sehr hilfsbereit gewesen.“ Ich zwinkerte der Kleinen zu und sie grinste bereit, als hätten wir einen Pakt geschlossen. Melanis Mutter bekam den Arm ihrer Tochter zufassen und lief mit ihr an das Ende der Schlange, die eine beachtliche Länge erreicht hatte.
„Durch deine Weglaufaktion dürfen wir hier noch länger stehen, als mir lieb ist. Manchmal bist du unmöglich!“ Wütend und ohne Rücksicht auf Melanie dackelte sie fort. Melanie war von der plötzlichen Attacke ihrer Mutter überrascht und mußte sich der Tat hingeben. Ohne murren ließ sie das gezottel gewähren, sah dabei über ihre Schulter und winkte mir mit ihrer freien Hand noch einmal zu. Ich winkte zurück und schaute zu, wie sie das Ende der Schlange erreicht hatten. Einen Augenblick später war mein Herz in meine Hose gerutscht. Mich beobachteten diese wunderschönen braunen Augen.

Er hatte wohl die ganze Aktion mit Melanie mitgekommen und lächelte mir sanft entgegen. Mein Puls schoß in die Höhe und raubte mir die Sinne. Meine Knie fühlten sich an wie Gummi. Ich drohte umzufallen, als ich sah, daß er sich auf mich zu bewegte. Er war ungefähr 1,80 cm und man konnte durch sein Hemd sehen, daß er seinen Körper mit Sport in Form hielt. Seine Schultern und Arme waren von definierten Muskeln gezeichnet. Ich verspürte den innigen Wunsch, mich an seinen Oberkörper zu schmiegen. Je näher er kam, desto stockender ging meine Atem. Er ließ mich nicht aus den Augen und ich merkte, daß mein Gesicht abermals rot anlief. Er fixierte mich regelrecht. Ohne auf die anderen Leute zu achten, die zahlreich in der Flughalle vertreten waren, bahnte er sich seinen Weg durch die Menge. Seine Miene ging vom sanften Lächeln in eine konzentrierte über. Die Distanz zwischen uns wurde geringer und als er fast vor mir stand, konnte ich erkennen, was mir im Flugzeug nicht aufgefallen war. Zu den wunderschönen braunen Augen, die mit langen dichten Wimpern gesegnet waren, gesellte sich ein Mund, den ich so noch nie gesehen hatte. Seine Lippen wiesen eine Fülle auf, die meinem Magen eine wohlige Wärme verliehe, und seine Männlichkeit demonstrierte. Jede Faser meines Körpers schrie nach seinen Lippen. Ich bildete mir ein, seine zarten Küsse in meinem Nacken zu spüren.
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Beitrag30.07.2014 22:22

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...viel Spaß Smile


Im Gedanken versunken und ihn auch immer noch anstarrend entging mir seine Handbewegung. Er zeigte in unsere Richtung. Mit dem Zeigefinger deutete er auf Lilly und mich. Herrje, Lilly! Die hatte ich in diesem ganzen Trubel völlig vergessen. Als ich mich von seinem fixierenden Blick löste und seinen Fingerzeig ignorierte, sah ich direkt auf einen Hinterkopf, der eindeutig zu Lilly gehörte. Was? Ich dachte, wir wären schon vorangekommen und habe sie weiter vorne vermutet. Es hatte sich die letzten 20 Minuten nichts getan. Wir standen immer noch am selben Fleck. Der Fingerzeig bedeutete also nicht, wie ich angenommen hatte, daß er mir damit sagen wollte: Schau mal, deine Freundin ist schon weitergekommen und du trödelst.
„Lilly?“
„Ja?“ Sie drehte sich halb zu mir herum.
„Sag mal, ist hier nichts passiert? Was machen die denn da vorne?“
„Weiß ich auch nicht. Du hast mit Melanie Bekanntschaft gemacht und ich mit langsam arbeitenden Menschen. Das dauert ja ewig!“ Seufzend drehte sie sich wieder herum, um auch ja nicht den Anschluß zu verpassen.
„Du hast das mit Melanie mitbekommen?“
„Ja klar. Meinst du, nur weil ich meine Augen nach vorne gerichtet habe, verschließe ich meine Ohren? Süß, die Kleine.“
Lilly reckte plötzlich ihren Hals in Richtung der Abfertigung für die Zoll- und Einreiseformalitäten, an der um die 50 Menschen vor uns standen.
„Du, meint der uns?“
„Wen meinst du?“, fragte ich erschrocken und versuchte aus den Augenwinkeln ihre Reaktion zu bestimmen. Wenn ihr das mit Melanie nicht entgangen war, was hatte sie zwischen ihm und mir mitbekommen? Ich konnte ihr unmöglich erklären, was in mir vorging, wenn ich es mir selber nicht erklären konnte.
„Na den wild winkenden Mitarbeiter hinter dem Schalter. Karo, ich glaube, wir sollen zu ihm kommen.“ In Lillys Stimme schwang ein Ton Unsicherheit mit. Sie schaute mich jetzt direkt an und dann deutete sie dem Mitarbeiter an, ob wir wirklich gemeint waren, indem sie auf uns zeigte und dann in seine Richtung.
Der Mitarbeiter verstand sofort, nickte bejahend und winkte uns zum Schalter. Wir waren beide so perplex, daß wir uns nur zögerlich auf den Weg machten. Wie auch der Begegnung zwischen Melanie und mir einige aus der Schlange beigewohnt hatten, so stieg die Neugier der Wartenden, warum wir beide aus der Schlange geholt wurden. Lilly hatte den Rucksack auf dem Rücken geschnallt und fummelte ihn vor Aufregung recht unbequem in ihre linke Hand. Mit der rechten Hand faßte sie meine Hand, in der Hoffnung, daß ich ihr dir Kraft gebe, die sie jetzt brauchte. Ich bemerkte, wie verschwitzt Lillys Hand war und sah ihr käseweißes Gesicht.
„Ganz ruhig, Karo. Es ist wohl nur ein Irrtum von dem Mitarbeiter. Vielleicht meint er uns gar nicht. Ganz ruhig, Karo.“
„Was redest du denn da? Ich bin ruhig, was ich von dir nicht behaupten kann. Lilly!“ Ich stoppte abrupt unseren Gang. Dieses veranlaßte Lilly ebenfalls zu stoppen, da sie mich ja noch an der Hand hatte. Nur das sie nicht mehr wegkonnte, da ich jetzt ihre Hand fester hielt, als ihr lieb war.
„AUA! Karo, spinnst du?“ Böse schaute sie mich an. „Wir sind hier in einem fremden Land und ich hab keine Lust in den Knast zu kommen. Wir sollten darauf hören, was sie von uns wollen. Wir dürfen nichts riskieren! Karo, die haben uns, wir sind verloren!“ Leiser als mein Nießer schallte es ein zweites Mal von der Flughafenhalle her. Nicht laut, aber hörbar für die umstehenden Leute. Und die verharrten plötzlich in ihren Handlungen und starrten uns an. Selbst die Mitarbeiter unterbrachen kurz ihr Tun, schauten auf, machten sich aber gleich wieder an die Arbeit.
„Erde an Lilly! Alles wieder normal bei dir? Entschuldige, das ich dir die Ohrfeige verpaßt habe, aber du redest ja völlig wirr und bevor du mir hier durchdrehst, dachte ich mir, es ist das Beste für dich.“ Lillys Gesichtsausdruck war eine Mischung aus Verwirrtheit, Ungläubigkeit und Entsetzten.
„Danke.“, war das Einzige, was sich von sich gab, ehe sie bemerkte, daß ich sie zum Schalter zog. Mir war mulmig zumute. Warum ausgerechnet wir?

Ich zog Lilly wie einen alten Maulesel hinter mir her. Sie machte es mir nicht einfach und ich bekam das Gefühl, daß dadurch die Aufmerksamkeit der anderen noch stärker auf uns gerichtet war. Lilly, verdammt noch mal! Ich drehte mich um meine eigene Achse und hob drohend die Hand.
„Wenn du dich nicht sofort am Riemen reißt, dann hau ich dir wieder eine! Und wenn du fragst warum, dann bekommst du gleich zwei Ohrfeigen verpaßt.“ Wie eine Mutter redete ich auf Lilly ein. Es beharkte mir ganz und gar nicht, meine Freundin so zu behandeln. Aber es blieb mir in diesem Moment nichts anderes übrig.
Wir hatten den Schalter erreicht und ich bemerkte, daß ich wieder Mut gefaßt hatte, mich der Fragen des Mitarbeiters zu stellen. Was zur Hölle wollte er von uns? Wir sind nur zwei harmlose Touristen, die sich Indien anschauen wollen.
„Du hast mich geschlagen.“ Entsetzt schaute ich Lilly an.
„Lilly bitte! Fang jetzt nicht hier eine Diskussion mit mir an. Wir haben augenblicklich andere Probleme.“, erwiderte ich und zeigte auf den Mitarbeiter.
„Du hast mir mitten ins Gesicht geschlagen!“ Lilly war den Tränen nahe. Verzweifelt und entnervt verdrehte ich die Augen, ließ Lilly in ihrem Selbstmitleid schmoren und widmete mich nun endlich dem Mitarbeiter, der auch langsam die Geduld mit uns zu verlieren schien. Und einen Mitarbeiter ohne Geduld wollte ich nun beim besten Willen nicht haben. Nur gut, daß ich ein Jahr vor der Reise mein Englisch poliert hatte. Somit waren eventuelle Sprachprobleme die kleinste Hürde.
„Ja?“ Ich versuchte so wenig Aufregung in meine Stimme zu bringen wie möglich.
„Ich hätte gern ihre Ausweise und die Visen.“, antwortete er in einem freundlichen und gut verständlichen Englisch. Ich holte die geforderten Formalitäten aus meinem Brustbeutel und legte sie ihm hin. Er lächelte und nickte mit dem Kopf zu Lilly.
„Von ihrer Begleitung auch.“
Hatte ich mit meiner Ohrfeige bei Lilly irgendeine Hirnregion ausgeschaltet? Anscheinend! Da sie mich immer noch anstarrte, ging ich ohne zu fragen an ihren Brustbeutel und holte die Papiere heraus.
Manchmal hilft ja auch eine zweite Schelle und es rängt sich das wieder ein, was bei der Ersten ausgerenkt wurde. Gut, dachte ich mir, die zweite bekommt sie zum normal werden im Taxi. Mein altes Selbstbewußtsein stellte sich wieder, da der Mitarbeiter freundlich zu uns war und vielleicht nur einen zweiten Schalter eröffnet hat, bevor die Schlange zu lang wurde. Und wir sind genau in der Mitte gewesen. Ich kenne die Abläufe auf Indischen Flughäfen nicht und somit gab ich mich mit meiner selbstgebastelten Theorie zufrieden. Komisch war nur, daß wir alleine da standen.
Der Mitarbeiter nahm die Papiere und schaute sie gründlich durch. Dabei hob und senkte er den Kopf, um die Paßbilder mit den Originalen zu vergleichen. Er schrieb sich etwas auf einen Zettel und fragte uns, ob wir etwas zu verzollen hätten. Nach kurzer Überlegung verneinte ich seine Frage. Er war mit seiner Arbeit zufrieden und gab uns unsere Papiere zurück.
„Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Aufenthalt in unserem Indien.“ Dabei reckte er sich und gab mir damit zum Ausdruck, wie stolz er auf sein Land war.
„Vielen Dank.“ Lilly, immer noch in ihrem Dämmerzustand verharrend, ließ sich diesmal wie eine Elfe hinter mir herziehen.
„Das war aber jetzt eine recht eigenartige Aktion.“, flüsterte ich ihr zu „Er fertigt keinen anderen mehr ab und ist wieder bei seine Kollegen. Verstehst du das?“ Es war nur eine rhetorische Frage, da ich wußte, Lilly antwortet eh nicht.
Wann hatte ich zuletzt so viel Adrenalin in meinem Körper? Vor mich hinlächelnd gab ich mir innerlich selbst die Antwort. Als ich vor zirka sieben Stunden in die wunderschönen Augen blickte.
„Ich hoffe, ich konnte Ihnen einen Gefallen tun.“ Warum siezt mich Lilly plötzlich? Nun tat sie mir leid und ich wollte mich zu ihr herum drehen, als ich von hinten einen sanften warmen Druck auf meiner Schulter spürte. Ich hielt inne und erinnerte mich, an den Geruch, der seicht an meiner Nase vorbei zog.
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Lotta
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Beitrag04.08.2014 12:22
Re: Ein Rucksack, eine Kamera und vier Herzen
von Lotta
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Hallo Lyrika,

die Idee finde ich nicht schlecht.

Es gibt noch zu feilen, über einige Textstellen sind meine Augen gestolpert.
Du vermischst auch die Zeitformen, was es mir als Leser schwer macht, dem Text zu folgen.

Die Markierungen sind bitte als Vorschläge zu verstehen.

LG., Lotta


Verschlafen rieb ich mir meine Augen und (es) brauchte eine Zeit, um zu begreifen, daß ich in einem Flugzeug sitze, (Hier würde ich einen Punkt setzen.) (was mich nach Indien bringt.) (würde ich weglassen) Ich habe mich schon so lange darauf gefreut und nun endlich sitze ich neben meiner Freundin Lilly und (zahlreichen) , (würde ich weglassen) Indern, (die wohl auf dem Heimweg sind.) (würde ich weglassen)
Wer weiß. Ich zuckte unbewußt (wenn unbewusst, dann tatsächlich unbewusst) mit den Schultern und schaute (zu Lilly, die von ihrem Buch aufschaute) zur Seite, wo Lilly von ihrem Buch aufschaute.
„Ist dir kalt?“
„Nein, warum“ fragte ich und lächelte sie an. (Ich lächelte: "Nein. Warum?)
„Weil du eben so komisch mit den Schultern gezuckt hast. (Du hast mit den Schultern gezuckt.) (Sie äffte mich nach und schielte mich dabei an.) (würde ich weglassen)

„Hey!“ Ich gab ihr einen freundschaftlichen Knuff auf den Oberarm.
„Na das fängt ja schon super zwischen uns beiden an. (Das geht ja schon super los mit uns, noch nicht mal angekommen, und du schlägst mich schon im Flieger.)  Wir alleine (in) nach Indien, drei Wochen lang, aufeinander (miteinander) (Komma) und du haust mich schon im Flugzeug“ Sie legt(e) ihr Buch zur Seite und wollte gerade zum Gegenschlag ausholen, da stand die Flugbegleiterin neben uns ("Möchten Sie noch etwas trinken"?) und fragte, ob wir noch etwas zu trinken haben wollten. Sie stellte uns Orangensaft hin und ging weiter. (Ja gern. Ich hätte gern Orangensaft. Du auch Lilly?" Sie nickte, also zwei mal Orangensaft bitte." Die Stewardess lächelte freundlich und reichte uns die Getränke.)
„Wie lange muß ich dich noch neben mir aushalten, bis ich dich in Indien für drei Wochen an der Gepäckaufbewahrung abgeben kann?“ (Wie lange muss ich dich/das/ mit dir noch ertragen? Wie lange soll ich es mit dir im Flieger noch aushalten? Hoffentlich landet der Flieger bald, dass ich dich an der.... ")
Ich verschluckte mich (vor lachen) (würde ich weglassen) fast am meinem Saft. Lilly war meine beste Freundin. Mit niemand anderem konnte ich so viel Spaß haben und doch so ernste Gespräche führen. Es war wie eine Seelenverwandtschaft (Es war eine Seelenverwandtschaft, die uns verband) (Komma) und diese wurde durch unsere Reise noch bestärkt. Indien! Ich war so gespannt. Hatte ich schon soviel von diesem faszinierenden Land gelesen, Dokumentationen gesehen und Bilder, die einem (mir) den (die) Tag(e) versüßten. Ich wollte dieses Land sehen, erleben, in mir aufsaugen. Wie (mag) wird es da wohl riechen? Wie schmeckt das Essen? (Wie sind die Inder? Wie leben sie?) Wie werden die Inder sein? Und….ach, ich hatte 1000 Fragen. Und alle warteten darauf beantwortet zu werden.
„Ähm, noch sieben Stunden bis zur Landung. Und danke für die nette Bemerkung. (welche nette Bemerkung?) Jetzt darf ich mir erstmal den Saft aus dem T-Shirt reiben.“ (wer war das?)
„Oje, das tut mir leid.“ Schuldbewußt schaute mich Lilly (Ach so, Lilly war das also) an und zeigte mit ihrem Finger an die Decke des Flugzeugs. „Karo, ich hab noch ein sauberes T-Shirt im Rucksack.“ Ich stand auf, machte (öffnete) die Klappe des Handgepäckfachs auf und (schnappte mir Lillys Rucksack) holte Lillys Rucksack hervor.

Und nach vier mal lesen, habe ich endlich verstanden, was es mit dem verkippten Saft auf sich hat. Das sollte unmittelbar geschehen, weil mir der Zusammenhang verloren geht.
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Lyrika
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Liebe einen Inder
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Beitrag27.12.2014 00:07

von Lyrika
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Ich wünsche allen ein frohes Weihnachtsfest Smile

@Lotta, danke für Deine Mühe, die Du Dir gemacht hast. Deine Vorschläge werde ich mir zu Herzen nehmen. Da die Story schon fertig geschrieben ist, wird sie bestimmt das eine oder andere an Veränderungsvorschlägen fordern Wink

Es geht weiter und viel Spaß....


Dieser männlich markante Geruch gehörte eindeutig zu ihm. Ich erkannte seine Finger, die den Druck auf meiner Schulter leicht erhöhten. Ich schloß die Augen und war nahe dran, dem Gefühl nachzugeben, meine Hand auf seine zulegen. Ich wollte seine Berührung gepaart mit der Zärtlichkeit, die mir im Flugzeug widerfahren war. Der Druck auf meiner Schulter ließ nach. Als hätte er meine Gedanken gelesen, streckte er den Zeigefinger aus und streichelte vorsichtig die Seite meines Halses. Ich sackte leicht mit dem Kopf nach vorn und gab so meinen Nacken frei. Wir verstanden uns blind. Wie im Rausch ließ ich ihn gewähren. Die Fläche seiner Berührungen vergrößerte sich, indem er nun mit zwei Fingern seine Liebkosung fortsetzte. Die Zeit stand still. Ich bekam weder Zeit noch Raum mit. Diese Berührungen eines mir völlig fremden Mannes raubten mir die Sinne. Mein Kopf war leer und mein Herz kam vor lauter Sehnsucht, nach ihm, mit dem Schlagen durcheinander. Bitte laß diesen Moment niemals enden, flehte ich.
Ich wäre wohl nie zu mir gekommen, wenn sich die Stimme, die plötzlich dröhnend aus den Lautsprechern erklang, ohne Gnade in meine Gedanken überging. Wie aus der Hypnose erwacht drehte ich meinen Kopf zur Seite. Ich hatte gehofft, daß ich dabei kurz meine Wange an seine Finger schmieden konnte. Aber ich traf nur meine eigene Schulter und es sah so aus, als wenn ich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht streifen wollte.
Nun bewunderte ich sein Gesicht abermals. So nahe war er mir und ich nahm war, daß seine Augen, sein Mund und seine Nase in einem angenehm dunklen Teint erstrahlten.
„Was? Wie? Was…..was meinen Sie mit Gefallen?“, fragte ich erstaunt und stotterte vor Verlegenheit.
„Ich wollte Ihnen die Warterei ersparen und habe...“ Er zeigte auf den Mitarbeiter, der uns abgefertigt hatte. „…meinen guten Freund gebeten, Sie vorzuziehen, damit Sie mehr von meinem bezaubernden Land sehen können“ Er hatte wohl ein Dank erwartet, was statt dessen geschah, war für mich auch völlig überraschend.
„Sie sind wohl nicht mehr ganz dicht im Kopf! Das schlägt ja wohl den Boden aus dem Faß! Uns in so eine Situation zu bringen. Ihretwegen hat mich Karo geschlagen und ich hab mich schon im Knast gesehen. Vollidiot!“ Wild wirbelte Lillys Zeigefinger im Wechsel vom Schalter, auf mich, dann zu ihm. „Und eins sage ich Ihnen, kümmern Sie sich um Ihren eigenen Kram, sonst vergesse ich mich!“ Nun tippte sie mit ihrem Finger gegen seine Brust und sah ihn wütend an. Ein Wunder! Lilly war aus ihrer Erstarrung erwacht und nahm am Leben wieder teil. Und wie sie teilnahm!
„Lilly!“
„Nein, Karo laß mich. Mir fällt noch viel mehr ein. Das kann dieser Kerl ruhig erfahren. Sie, sie hören mir jetzt weiter zu. Sie haben…“ Lilly hörte mit dem tippen auf seiner Brust auf. Ich dachte, sie würde sich beruhigt haben, aber sie wurde noch wütender. „Hören Sie mit dem dämlichen Gegrinse auf!“ Das Tippen setzte wieder ein. Ich verstand sein grinsen sofort und wollte Lilly weitere Peinlichkeiten ersparen.
„Lilly!“
„Was?“ Nun fauchte sie mich an, verärgert darüber, daß ich sie in ihrem Wutausbruch hemmte. Und Lilly in ihrem Ausbruch in die Quere kommen oder sie gar stoppen, hatte immer einen bitteren Beigeschmack. Diesmal müßte ich diesen in Kauf nehmen.
„Lilly, mein Schatz.“, flötete ich ihr mit einem Engelsstimmchen zu „ Lilly, du kannst ihn weiter beschimpfen, aber es wird nichts nützen.“
„Und wieso nicht?“, fragte sie mich patzig.
„Weil er kein deutsch versteht.“ Auch ich konnte mir gerade noch ein Grinsen verkneifen. Das hätte sie mir nie verziehen.
„Das ist mir SCHEISS-E-GAL! Er soll…“ Lilly riß ihre Augen groß auf, entfernte ihren Finger von seiner Brust und starrte ihn weiter wütend an. Anstatt ihren Irrtum einzugestehen und sich zu entschuldigen, verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust und legte ihren Kopf schief.
„Karo, ich kann zwar ganz gut englisch, aber zum beschimpfen reicht es nicht. Übernehme du das und wasche ihm mal ordentlich den Kopf. Wenn er dich auch nicht versteht oder verstehen will, dann sag ihm, trete ich ihm gegen das Schienbein.“ Ich verspürte große Lust meine Freundin in den nächsten Flieger Richtung Heimat zu setzten.

„Ich nehme mal an, Ihre Freundin ist sauer?“, fragte er und fügte kleinlauter hinzu „Ich habe Ihnen damit wohl keinen Gefallen getan. Es tut mir leid und ich möchte Sie einladen, mit mir die nächsten Tage die Stadt zu besichtigen. Als Wiedergutmachung. Ich bin Ihr persönlicher Reiseführer.“ Versöhnlich lächelte er Lilly und mir zu.
„Oh nein, nein….kommt gar nicht in die Tüte. Karo, das laß ich nicht zu.“ Lilly hatte ihre Arme gelöst und benutze sie nun, um ihrer Ablehnung Untermauerung zu verleihen, indem sie eine abwehrende Haltung demonstrierte.
„Eine bescheidene Frage. Welche Worte hast du verstanden und welche nicht?“
„Sauer, Gefallen, Stadt und persönlich. Und das hört sich gar nicht gut an. Karo, laß es! Ich gehe jetzt! Schönen Tag noch!“ Es fehlte nur noch, daß sie ihm die Zunge rausstreckte.
Schnell und mit bestimmenden Schritten marschierte sie zum Ausgang. Eigentlich wollte ich sie laufen lassen. Mir war nicht mehr nach Lilly zumute. Aber wir waren auf uns angewiesen in einer fremden Großstadt, in einem großen Land und außerdem hatte sie den Rucksack in ihrer Gewalt. Sind wir wieder in Deutschland, kündige ich ihr die Freundschaft! Nun stand ich mit ihm alleine. Er sah so enttäuscht aus, hatte er es doch nur gut mit uns gemeint. Bis heute frage ich mich, wie daß passieren konnte. Er war genauso unvorbereitet auf das Folgende wie ich. In einem Anflug von Mitleid umarmte ich ihn und drückte ihm ein Küßchen auf die Wange.
„Es tut mir auch leid, aber ich muß hinterher. Ich nehme ihre Entschuldigung an. Sie wollten nur nett sein. Ich werde dich wahnsinnig vermissen.“ Bei dem letzten Satz, der mir versehentlich mit rausrutschte, erschrak ich so sehr, daß ich mich von ihm löste und so schnell meine Beine mich trugen Lilly hinterherrannte. Ich schaute mich nicht mehr um. Hätte ich es mal getan, dann wären Lilly und mir eine Menge Ärger erspart geblieben.

Lilly hatte die Halle schon verlassen und ich sah durch die Scheibe nur noch unseren wippenden Rucksack. Die Schiebetür gab meinem schnellen Schritt einen Dämpfer, sonst wäre ich gegen sie geknallt. Langsam und gemächlich, wie es anscheinend indische Art war, ging sie auf. Ich trat ein in die magische Welt Mumbais. Und es empfing mich auf unsanfte Weise. Stickig und schwül schlug mir die Wärme, ein Gemisch aus Staub und Abgasen, zur Begrüßung ins Gesicht. Uff, so hatte ich es mir nicht vorgestellt. Aber ich hatte mir auf dieser Reise einiges anders vorgestellt. Zum Beispiel, daß Lilly endlich mal stehen blieb.
„Warte! Lilly, warte doch mal auf mich!“ Wo zum Teufel hatte sie unsere Koffer her? Endlich hatte ich sie eingeholt und stoppte ihren Marsch, indem ich mich vor ihr aufbaute.
„Bleib doch mal stehen! Und wo hast du die Koffer her?“
„Stell dir vor, die verschenken die hier! Old German Koffer! Nicht zu fassen, oder? Da hab ich doch gleich mal welche mitgenommen.“ Sie hielt die Koffer so fest, daß sich das Weiße an ihren Fingerknöcheln abbildete. Oh, Lilly war richtig sauer. Das wußte ich aus vergangen Tagen, wenn sich diese Symptome bei ihr zeigten. Das hatte auch leider der arme Kerl zu spüren bekommen.
„Bitte, sei nicht mehr böse auf mich. Ich wußte doch auch nicht, daß diese Aktion von ihm kam.“ Versöhnlich wollte ich sie in die Arme nehmen, aber sie stemmte sich, immer noch die Koffer haltend, von mir weg.
„Ich bin nicht sauer auf dich. Ich bin sauer auf mich! Diese scheiß Reise verlangt zuviel von mir. Ich hab mich total verschätzt. Erst so lange im Flieger, dann noch dieser blöde Affe und dann hab ich mich noch…“ Sie hielt inne und schüttelte denn Kopf. Sie signalisierte mir, indem sie die Koffer vorschob, daß sie in unserer Hotel wollte.
„Was hast du dich noch?“ Lilly, nun stell doch endlich mal diese schweren Koffer hin! Was hast du noch?“ Sie konnte mir nicht mehr ausweichen, da ich sie jetzt an den Schultern hielt. Ich wollte eine Antwort auf meine Frage haben und das sofort!
„Das kann ich dir auch nicht erklären und außerdem ist es Schwachsinn! So, Schluß mit dem Theater. Ich will in mein Hotelzimmer, duschen und endlich schlafen. Wo steht unser bestelltes Taxi?“ Sie ließ mich stehen wie ein Pudel im Regen. Und ich hatte auch ehrlich gesagt, keine Lust mehr auf Frage- und Antwortspiele. Lilly hatte recht, ab ins Hotel, duschen und schlafen.
Ich hielt nach dem Taxi Ausschau und fand es auch. Ich nahm Lilly meinen Koffer ab. Der Taxifahrer war sehr nett. Er half uns, die Koffer zu verstauen und fuhr ohne Umwege in unser Hotel. Er war sogar so freundlich und schleppte die Koffer bis vor unser Hotelzimmer. Sein eh schon breites Dauergrinsen wurde noch breiter bei dem Anblick des großzügigen Trinkgeldes, was wir ihm in die Hand drückten. Ich hatte während der Taxifahrt Stoßgebete zum Himmel geschickt, daß uns nicht noch das Einchecken ins Hotel irgendwelche Überraschungen bereitstellte. Sie wurden erhört und es lief reibungslos. Zum Glück, sonst wäre Lilly bestimmt im Dreieck gesprungen.
Wir ließen uns gleichzeitig auf das Bett fallen und starrten in einen Deckenventilator, der wie unter Androhung von Demontage seine Arbeit verrichtete. Und wie er seine Arbeit verrichtete! Bei jeder Umdrehung quietschte er und machte sich den Spaß, jeden Moment seine Verankerung in der Decke zu verlassen.
„Man, eiert der vor sich hin. Der tut mir richtig leid. Und es nutzt noch nicht mal was. Es ist trotzdem schwül und heiß.“ Wir konnten nicht mehr vor lachen. Wir wälzten uns auf dem Bett und hielten uns die Bäuche. Und immer wenn wir uns ansahen, pusteten wir von vorne los. Unter Lachkrämpfen zeigt Lilly auf den Ventilator, der beleidigt sein Runden zog. Mir liefen die Tränen. Jetzt erst merkte ich, wie angespannt wir beide waren.
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Lyrika
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Liebe einen Inder
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Beitrag31.12.2014 14:02

von Lyrika
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Ich wünsche Euch allen einen guten Rutsch ins neue Jahr und viel Spaß beim weiterlesen....LG Lyrika


Lilly hatte sich als erste wieder im Griff. Sie rollte sich auf die Seite, stützte sich mit dem Ellenbogen auf das Kissen und legte ihren Kopf auf die Handfläche. Mit der anderen Hand wischte sie sich die letzten Tränen aus den Augen.
„Hach, das tat gut! Alles mal rauslassen. Wie ein Deckeventilator doch lustig sein kann.“ Sie zeigt ein letztes Mal auf ihn, gluckste vor sich hin und nahm dann meine Hand.
„Karo, es ist mir peinlich, daß ich mich so vergessen habe. Entschuldige, aber ich wußte nicht, wie mir geschah, als du mir die Ohrfeige verpaßt hast. Keine Widerworte! Ich brauchte sie einfach. Freunde?“ Sie meinte es ernst, sowie vieles in ihrem Leben. Ich hatte mich ebenfalls auf die Seite gedreht und schaute ihr direkt ins Gesicht. Ich entwand mich ihrer Hand und umarmte sie ganz fest.
„Freunde!“ Ich seufzte tief ein und löste mich aus der Umarmung. „Wollen wir mal unserer neues Heim in Augenschein nehmen?“ Ich zeigte ihr mein Interesse an dem Vorschlag, indem ich mich aus dem Bett schwang.
„Na dann, auf ins Abenteuer Hotelzimmer.“ Sie tat es mir nach und schwang ihre Beine aus dem Bett. Beinahe hätte unser Urlaub ein jähes Ende genommen, denn sie wäre fast über den Rucksack gefallen.
„Dusseliges Ding.“ Sie packte ihn und schmiß ihn unsanft auf das Bett. „Du bist später dran.“
Das Hotelzimmer war sauber, aber spärlich eingerichtet. Ein Doppelbett, zwei Nachtschränkchen, ein Kleiderschrank, zwei Stühle und ein kleiner Tisch. Vom Balkon könnte man etwas von der Innenstadt hören, aber es ließ sich aushalten. Vor den Fenstern waren Vorhänge. Ein kleines Bild hing über dem Bett, das einen Strand und das Meer zeigte.
„So schlecht haben wir es nicht getroffen.“, stellte ich zufrieden fest. Ich ergriff meinen Koffer, drehte ihn auf die Seite und öffnete den Deckel. „Lilly, bei dem Anblick des Bildes ist mir nach duschen zumute.“ Ich wühlte in meinen Sachen, bis ich meine Duschutensilien und frische Sachen gefunden hatte. Mal sehen, wie das Bad aussieht, dachte ich mir und stapfte los.
„Mach das. Ich werde inzwischen den Rucksack und meinen Koffer von ihren Aufgaben befreien. Wenn du fertig bist, dann gehe ich duschen. Und dann, sag ich dir eins, werden wir schön schlafen.“ Bei ihrer letzten Äußerung reckte sie sich und ich bemerkt, wie müde sie war. Ich nickte ihr zu, verschwand im Badezimmer und schloß die Tür hinter mir.
Alles da, stellte ich zufrieden fest. Eine Dusche ohne Badewanne, eine Toilette und ein Handwaschbecken. Die Dusche war besser gesagt ein größerer Wasserhahn, der in der Wand eingelassen war. Hauptsache er funktioniert. Ich zog mich aus und drehte den Hahn auf. Es ist nicht die Gewöhnung von zu Hause, denn es ist ja keine Brause dran, nur der Wasserstrahl in seiner ursprünglichen Form prasselte auf die Fliesen nieder. Ich tastete mit der Hand nach der Temperatur, fügte noch ein wenig kaltes Wasser hinzu und stellte mich unter den Strahl. Genußvoll schloß ich die Augen und gab mich dem Spiel des Wassers hin. Nach einer Weile griff ich nach meinem Duschgel und fing an, meine Haare und meinen Körper einzuseifen. Och nö, war mein Gedanke, als das Spiel mit dem warmen und kalten Wasser anfing. Ok, dann einmal einseifen, dann kaltes Wasser den Vortritt lassen, dann dem warmen Wasser und wieder der Einseifung. Zeit hatte ich ja genug dafür, aber nicht mehr die Geduld. Gerade als ich mich dem kalten Wasser meine Unterlegenheit ankündigen wollte, erschrak ich mich so wahnsinnig, daß ich beinahe ausgerutscht wäre. War das nicht eben Lilly?
Nein, Lilly, was ist mit dir? Hektisch und voller Seife drehte ich beide Hähne gleichzeitig zu, hüllte meine seifigen klitschnassen Haare in ein Handtuch, wie den Rest meines Körpers. Ich trocknete mich nicht ab. Lilly, daß war ihre Stimme. Nur voller Panik! Ich fing an zu zittern. Was ist denn da passiert? Ich hatte Lilly nur einmal so schreien gehört und der Anlaß war eine Spinne an der Wand. Ich erwies mich damals als Retter in der Not und entfernt das Tier. Sollte der Schrei meine Künste, Spinnen zu entfernen ein weiteres Mal auf den Plan rufen. Aber so laut brauchte sie nun auch nicht zu schreien. Dank ihr ist jetzt halb Bombay wach! Ich stapfte aus dem Badezimmer und stand triefend vor dem Bett, auf dem ich sie kauernd sitzend vorfand.
„Wo ist die Spinne und warum hast du so laut geschrieen?“ Ich grinste breit, denn sie wußte, in dem Punkt hatte ich die Oberhand, weil ich keine Angst vor den Tierchen hatte.
„Spinne?“, keuchte sie hysterisch „Spinne? Ja, ich glaube, ich fange gleich an zu spinnen.“
„Was ist denn nun schon wieder?“ Entnervt kam ich ein wenig näher und erkannte, daß sie den Rucksack geöffnet hatte.
„Hier, der Rucksack! Scheiße Karo, riesige Scheiße.“, kreischte sie.
„Äh, was ist mit unserem Rucksack?“, fragte ich sie und wollte in den Rucksack greifen.

„Laß ihn in Ruhe.“, rief sie, stand auf und lief im Zimmer auf und ab. „Karo, ich will nach Hause. Ich hab keinen Bock mehr! Das kotzt mich hier alles an!“ Sie wirbelte um ihre eigene Achse und hielt dabei ihren Arme ausgestreckt von sich. Sie deutete symbolisch damit an, daß sie nicht nur das Zimmer meinte, sondern auch ganz Indien. Und sie kotzte mich langsam an. Ohne auf sie und ihren Anfall zu achten, ergriff ich den Rucksack, der Grund allen Geschreis und schüttete seinen Inhalt auf dem Bett aus.
Als ich auf die Sachen schaute, die sich in ihrer ganzen Pracht präsentierten, weiteten sich meine Augen. Das darf nicht wahr sein! Ich hob die Sachen einzeln in die Höhe und könnte nun Lillys Geschrei völlig verstehen.
„Das sind …“, stotterte ich fassungslos vor mich hin „Das gehört ja gar nicht uns. Wieso….sind da Männerunterhosen, Rasierzeug und…..wo ist unser Geld?“ Nein, ich könnte es nicht fassen und wollte mich Lilly anschließen, durch das Zimmer zu tigern.
„Deswegen ja! Die Unterhosen und das Rasierzeug würden mich ja nicht stören, aber unser ganzes Erspartes ist futsch.“ Nun setzte sie sich auf einen der beiden Stühle, ließ den Kopf auf die Tischplatte knallen und fing an zu weinen. Wie ich diese Ironie des Schicksals haßte! Vor 20 Minuten haben wir lachend im Bett gelegen und nun standen wir vor dem Ende unserer Reise, die noch nicht mal begonnen hatte.
„Wir haben doch ein wenig Geld in den Brustbeuteln und die Pässe sind auch da.“ Ich versuchte Lilly Mut zu machen, aber mehr noch mir. Als Antwort bekam ich einen tiefen Heuler von ihr. Ich bemerkte, daß ich keine Kraft mehr hatte sie zu trösten und setzte mich auf das Bett. Die Sachen lachten mir mit ihrer Anwesenheit ins Gesicht. Wie und wann konnte das passiert sein? Wir hatten den Rucksack nicht aus den Augen gelassen. Aua, was war denn das unter meiner Wade? Ich hatte mich auf irgend etwas gesetzt.

Es war hart und schien groß zu sein. Ich setzte mich ein wenig auf, um den Gegenstand zu greifen, kam aber nicht gleich ran.
Zwischen mir und dem mysteriösen Ding war das Bettlaken. Leicht genervt, da meine Neugier nicht sofort befriedigt wurde, neigte ich den Kopf weiter herunter. Ohne Geräusche und viel Aufwand rutschte mir das Handtuch von meinen Haaren und gab ihnen die Freiheit wieder. Diese dankten es, indem sie mir demonstrativ ins Gesicht schlugen.
„Manno, diese langen Zotteln! Bäh, ich kann es nicht leiden, wenn sie mir naß im schwitzigen Gesicht kleben.“ Ohne Rücksicht auf Verluste griff ich jetzt einfach unter die Bettdecke. Ich wollte endlich wissen, was das für ein Ding war. Eigentlich hatte ich nicht damit gerechnet, so etwas in der Hand zu halten und hielt das Ding stumm in Lillys Richtung. Das Ding strahlte so ein Selbstbewußtsein aus, daß mir unheimlich wurde.
„Lilly, hör mal auf zu flennen. Guck mal, was ich unter der Bettdecke gefunden hab.“ Lilly hob weder ihren Kopf, noch hatte sie irgendwelches Interesse an diesem Ding. Sie knallte als Ablehnung auf meine Forderung nochmals ihre Stirn auf den Tisch.
„Mach ruhig weiter, die Kopfschmerztabletten sind im Rucksack.“
Peinlich berührt von meinem unbedachten Ausspruch wollte ich mich gerade bei ihr entschuldigen, als ich bemerkte, daß sie mich völlig entgeistert anstarrte. Da war sie wieder, die Ironie des Schicksals. Lilly fing langsam an zu kichern, dann gluckste sich vor sich hin, bis sie schließlich neben mir auf dem Bett mit einem erneuerten Lachkrampf zusammenbrach. Diesmal konnte ich nicht mitlachen, weil mir Lillys Verhalten unheimlich vorkam. Ich schüttelte nur den Kopf, wartete, bis sie sich wieder etwas beruhigt hatte und wedelte mit dem Ding in meiner Hand vor ihrer Nase herum.
„Wenn sich dein Zwerchfell mal dazu entschließen könnte, eine Pause einzulegen, damit du dir das hier mal anschauen kannst.“ Sie beendete abrupt ihr lachen und bewunderte das Ding.
„Die ist schön. Ist das deine? Aber nein, du hast so eine nicht. Und wie groß die ist. Scheint recht teuer zu sein. Wo hast du sie her?“ Lilly betrachtete den Gegenstand näher.
„Sie muß aus dem Rucksack gefallen sein, als ich ihn auf dem Bett ausgeschüttet habe. So einen Fotoapparat hab ich noch nie gesehen.“
„Nein, Karo, daß ist kein Fotoapparat. Das ist eine…Kamera.“ Und was für eine. Diese Dinger sind schweineteuer. Ungefähr so viel Wert wie unsere gesamte Reise.“ Mein Mund und meine Augen weiteten sich, so sehr, daß ich das Gefühl hatte, es ging den beiden um eine Wette, wer weiter aufgehen kann.

„Na fein.“ Ich sprang vom Bett und hüpfte durch das Zimmer. „Wir verkaufen die Kamera und unser Urlaub ist gerettet.“
Voller Euphorie auf den kleinen Geldsegen tanzte ich im Kreis und streckte meine Arme in den Himmel. Meine inzwischen feuchten Haare mußten sich meinem Tun ergeben und flogen mit etwas Verzögerung hinter meinen Kopf her. Diesmal störte es mich nicht, daß sie mir dabei ins Gesicht klatschten. Das Zimmer und seine Einrichtung zogen an mir vorbei. Mein Blick streifte auch Lilly und ich sah, daß sie sich eingehender mit der Kamera beschäftigte. Das war mir egal. Ich tanzte weiter und kam ins Schwitzen. Kein Wunder bei der Schwüle. Ich zog eine Runde nach der anderen und summte dabei vor mich hin. Aus der Stille heraus vernahm ich Lillys Stimme, die durch mein Wirbeln verzerrt an mein Ohr drang.
„Sicher…Rezeption…beraten können.“ Wie? Was hatte sie gesagt? Ich stoppte im Zimmer und bemerkte wie sich mein Körper auf diese Tortur rächte. Er zahlte es mir mit aufsteigendem Schwindel heim und zwang mich auf einen der beiden Stühle platz zu nehmen.
„Was hast du eben gesagt? Ich konnte dich nicht richtig verstehen.“
„Ist das ein Wunder bei deinem stürmischen Tänzchen? Ich hab gesagt, daß ist eine ausgezeichnet Idee mit dem Verkaufen. Wir rufen die Rezeption an und fragen, ob sie uns nicht beraten könnten, wer sich für die Kamera interessieren würde.“ Lilly hatte immer so gute Einfälle. Wenn uns die Mitarbeiter des Hotels helfen könnten, um so besser.
„Wollen wir jetzt gleich fragen gehen?“ Der Schwindel ließ nach, hatte sich aber zur Warnung gegen einen erneuten Ausbruch in meine Beine verlagert. So bleib ich noch sitzen und schaute zu Lilly rüber.
„Das ist jetzt nicht dein ernst!“, bemerkte Lilly sarkastisch.
„Stimmt. Es ist vielleicht schon zu spät dafür. Aber morgen sollten wir die Sache erledigt haben.“ Begeistert und voller Vorfreude strahlte ich sie an. Die Hormone der Freude über den baldigen Geldsegen lösten den Schwindel in meinen Beinen ab. Ich stand auf und lief zu Lilly herüber, setzte mich ihr gegenüber auf das Bett und griff nach der Kamera. Mein Griff ging ins Leere, weil Lilly ihre Hand, in der sie die Kamera hielt, wegzog.
„Was soll das? Ich will sie mir noch einmal anschauen, bevor sie den Besitzer wechselt.“, kommentierte ich ärgerlich ihre Reaktion. Sie versteckte ihre Hand hinter ihrem Rücken, so daß mir der direkte Weg zu der Kamera versperrt wurde.
„Ich will dich bloß vor einer Dummheit bewahren.“
„Mich vor einer Dummheit bewahren? Sag mal, was erzählst du denn da?“ Ich packte sie bei den Schultern, mit der kurzen Überlegung einen Überraschungsangriff zu starten, um die Kamera an mich zu reißen.
„Du willst also tatsächlich die Kamera verkaufen?“
„Ja! Du etwa nicht? Lilly, wir haben zu wenig Geld dabei und das wäre, nein, das ist unsere Chance den Urlaub zu retten.“ Ich schaute ihr fest in die Augen und schüttelte sie ein wenig an den Schultern. Sie legte den Kopf schief und hielt meinem Blick stand.
„Karo, du kannst die Kamera nicht verkaufen.“ Ich ließ ihre Schulten los und verschränkte meine Arme vor meiner Brust.
„So? Und wieso nicht? Meinst du, mein Englisch ist nicht gut genug, um eine Kamera unter die Leute zu bringen?“
„Doch.“ Sie sah mich abschätzend an. Ich bekam den Eindruck, daß sie das Geld für die Kamera alleine aushandeln wollte. So hätte ich Lilly nicht eingeschätzt.
„Ja, und warum machst du jetzt hier so einen Aufstand? Wir verkaufen sie und teilen das Geld. Basta!“ Ich streckte meine Nase in den Himmel und schielte sie schief von der Seite an.
„Dein letztes Wort?“
„Hm.“, brummte ich in meiner Stellung verharrend. Lilly stand auf, ging zum Tisch und legte die Kamera ab. Ich schaute ihr nicht nach und spielte weiter die beleidigte Leberwurst. Sollte sie doch machen, was sie wollte. Ich wollte diese Kamera verkaufen.
„Darf ich dich an etwas erinnern?“, fragte sie aus dem Hintergrund. Ich zuckte gleichgültig mit den Schulten. „Ok, auch wenn du mir nicht zuhören willst, ich sage es dir trotzdem. Wir können die Kamera nicht verkaufen. Es gibt da ein kleines Problem.“ Ich drehte mich ein wenig zur Seite.
„Und welches?“
„Wir sind hier nicht in Deutschland. Zur Erinnerung extra für unsere liebe Karo, wir sind hier in IN-DI-EN! Und da kann ich mir gut vorstellen, daß es hier nicht an jeder Ecke einen An- und Verkauf für so exklusive Kameras gibt. Außerdem hab ich Sorge, daß es uns eine Menge Ärger einbringt, wenn zwei Frauen so ein teures Ding verkaufen wollen.“ Sie nahm die Kamera, die der Grund unseres Zankes war und hielt sie mir entgegen. „Ich werde mir wegen dem Ding keinen Stunk an Land ziehen. Wenn du darauf Wert legst, dann bitte!“ Sie trat einen Schritt auf das Bett zu und warf, während sie redete, mir die Kamera in den Rücken. Da sie das Gewicht der Kamera falsch eingeschätzt hatte, legte sie nicht viel Schwung in ihren Wurf. Die Kamera flog auf das Bett und verfehlte ihr Ziel. Statt dessen nutzte sie die Schwerkraft gepaart mit dem noch verbliebenen Schwung, nahm noch die Federung der Matratze mit, um sich mit einem frechen Knallen auf dem Boden des Zimmers aus unserem Zank zu verabschieden.
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Beitrag03.01.2015 23:59

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Ich wünsche Euch allen ein gesundes neues Jahr und viel Spaß beim lesen...LG Lyrika

Erschrocken fuhr ich herum. Lilly blieb wie angewurzelt stehen. Beide sahen wir auf die Kamera, schauten uns an und wieder auf die Kamera.
„Scheiße! Das hab ich nicht gewollt, Karo. Ehrlich nicht!“ Lilly schritt auf die am Boden hilflos liegende Kamera. Ich machte keine Anstalten aufzustehen. Jetzt wurde ich noch wütender. Erst will sie nicht, daß ich sie verkaufe und dann macht sie sie mit Absicht kaputt.
„Klasse! So kann man natürlich auch verhindern, daß aus dem Ding Geld wird. Dann sieh mal zu, was sich da noch machen läßt. Ich glaube dir jedenfalls kein Wort.“ Genußvoll in Unschuld badend lehnte ich mich zurück und verschränkte die Arme im Nacken. Wie ich da so lag, auf die flehenden entschuldigen Worte Lillys wartend, hatte sie die Kamera aufgehoben. Sie ignorierte die Tatsache, daß sich ein selbstherrliches Lächeln auf meinem Gesicht widerspiegelte und setzt sich zu mir auf das Bett.
„Du, ich glaube die hat gar nichts abbekommen.“ Umständlich fummelte sie an allen Knöpfen und drehte sie in alle Richtungen. „Hm, hört sich nicht an, als wenn was abgerochen ist oder ähnliches.“ Zur Sicherheit schüttelte sie das schwere Ding hin und her. Es klapperte nichts. Sie schien den Sturz unbeschadet überstanden zu haben. Sie ließ sie sinken und schaute mich an.
„Karo, ich weiß nicht, wie viele Stunden wir schon auf den Beinen sind. Laß uns morgen weiter streiten.“ Sie lächelte mich an. Mit einem Seufzer, der ihr zeigte, daß sie recht hatte, setze ich mich auf und umarmte sie.
„Ja, laß uns schlafen. Und morgen haben wir mehr Kraft zum zanken. Freunde?“
„Freunde.“ Sie entwand sich meiner Umarmung, stand auf und zog sich ihren Schlafanzug an. Jetzt erst bemerkte ich, daß ich immer noch das Badehandtuch umhatte. Schnell schlüpfte ich auch in meine Schlafsachen. Als wir beide nebeneinander im Bett lagen und das Licht gelöscht hatten, tastete Lilly nach meiner Hand.
„Ich hab dich so lieb, Karo. Schlaf gut.“
„Ich dich auch, Lilly. Träum was Schönes.“ Und so schliefen wir beide Händchenhaltend ein. Diese Nacht würde mir einen Traum bereiten, den ich nie wieder vergessen würde.

Ich träumte, Lilly und ich stehen am Flughafen und die Mitarbeiter nehmen uns fest. Der Grund wird uns nicht gesagt. Wir werden einzeln in verschiedene Zellen geführt. Dort will man uns verhören.
Die Zelle ist naß und kalt. Der Schweiß steht mir auf der Stirn und ich sitze verängstigt auf einem Stuhl in der Mitte. Die Zelle hat kein Fenster und wird notdürftig mit einer kleinen Glühbirne aufgehellt. Die Mitarbeiter sind alle männlich und beschießen mich mit Fragen. Ich verstehe kein Wort. Immer wieder frage ich, ob sie Englisch sprechen. Ich werde zum Schweigen aufgefordert. Meine Angst wächst. Was machen sie gerade mit Lilly? Ich fange an zu weinen und schließe die Augen. Ich merke, wie mir die Tränen heiß die Wangen herunterlaufen. Ich halte die Augen fest verschlossen, in der Hoffnung, der Spuk möge bald vorbei gehen. Ich fange an zu zittern. Ich will nur noch nach Hause. Ich spüre, es ist keiner mehr in der Zelle. Ich bin alleine. Was ist mit Lilly?
„Es geht ihr gut. Keine Sorge.“ Wer redet da mit mir? Ich merke wie mir ein vertrauter Geruch in die Nase steigt. Meine Tränen werden getrocknet durch eine sanfte Berührung in meinem Gesicht. Ich spüre die Wärme und schmiege mich an. Vorsichtig öffne ich die Augen und schaue in seine wunderschönen braunen Augen. Er hat seine Hand auf mein Gesicht gelegt und wischt mit dem Daumen behutsam meine Tränen weg. Ich schmiege mich tiefer in seine Hand und lege meine Hand auf seine. Dabei schaue ich ihn an. Er ist in die Hocke gegangen und nimmt seine andere Hand und legt sie in mein Gesicht. Wie er mein Gesicht in seinen starken warmen Händen hält, komme ich mir beschütz vor.
„Was habt ihr mit uns vor?“, frage ich ihn.
„Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, was ich mit dir vorhabe.“, antwortet er sanft und ruhig. Er schaut mich ernst an und kommt mit seinem Gesicht näher.
„Ich wollte mich für das Küßchen auf dem Flughafen bedanken.“ Er ist jetzt so nahe heran gekommen, daß er mit seinem Mund an meinem Ohr ist. Er raunt mir es so zärtlich zu, daß mir die Sinne schwinden. Er hält mein Gesicht immer noch in seinen Händen.
„Es tut mir leid.“
„Mir aber nicht. Danke.“ Er flüstert es mir so leise ins Ohr, daß es nur noch ein Hauchen ist, das mir eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Er geht mit seinem Kopf zurück und schaut mich nun direkt an. Ich schließe die Augen und bemerke, wie sein heißer Atem immer näher kommt. Seine besinnlichen Lippen pressen sich langsam und vorsichtig auf meine. Dabei streicheln seine Daumen mein Gesicht. Ich atme tief seinen Geruch ein und beginne den Verstand zu verlieren, als er anfängt seine Lippen auf meinen zu bewegen. Ich bin voller Erwartung auf seine weiteren Berührungen. Behutsam will ich auch sein Gesicht streicheln.

„Nee, nicht noch nen Küßchen!. Außerdem fummle mir nicht mit deinen Händen im Gesicht herum. Ich bin auch noch nicht richtig wach. Du hast mich geweckt mit deinem Gestrampel. Meine Güte, was träumst du denn?“ Lilly! Ich schoß wie eine Wahnsinnige hoch. Was hatte ich erzählt und was hatte sie gehört?
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Beitrag09.01.2015 21:41

von Lyrika
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Herrje, was war das denn für ein Traum? Ich ließ mich wieder in die Kissen fallen und starrte an die Decke. Es war ein Traum, aber warum konnte ich denn noch immer seinen heißen Atem spüren? Und die Wärme seiner Lippen? War ich am Ende nicht wach?
„Kneif mich mal.“, bat ich Lilly.
„Nichts lieber als das.“
„AUA! Kneifen und nicht Haut rausreißen meinte ich.“ Der Schmerz kroch in sekundenschnelle in die Winkel meines Gehirns und signalisierte mir: Du bist wach! Enttäuscht über die Realität, die langsam meinen Traum auflöste, drehte ich mich auf die Seite. Sein Gesicht verschwand, aber seine Nähe blieb. Ich schloß die Augen, um die letzten Reste meines Traumes zu erhaschen, bevor er sich ganz im Nebel meines Unterbewußtseins niederläßt. Wie ich da so lag und mich meiner Sehnsucht hingab, bemerkte ich, daß sich Lilly in ihrem Lacken hin und her drehte.
„Kannst du nicht mehr schlafen?“, fragte ich leise und schuldbewußt.
„Na hör mal. Erst streckst du mir deine Lippen entgegen wie ein Fisch, ich gebe dir ein Küßchen und zum Dank willst du mich im Gesicht packen, daß mir Angst und Bange wird. Dann schreckst du hoch wie von der Tarantel gestochen, bittest mich, dich zu kneifen und jetzt fragst du, ob ich nicht mehr schlafen kann? Karo, du hast echt einen Knall.“ Sie gab mir mit ihrer Antwort die Schuld an ihrem unvollendeten Schlaf. Ich hatte immer noch meine Augen geschlossen und ließ die wüsten Anschuldigungen über mich ergehen. Es war ihr gutes Recht, daß sie böse auf mich war. Ich zog es vor zu schweigen.
„Hat jetzt auch keinen Zweck mehr.“, kommentierte sie ihr Aufstehen und setzte sich an den Bettrand. „Wie spät haben wir es eigentlich?“
Ich ließ meinen Arm aus dem Bett baumeln und tastete ohne hinzuschauen nach meinem Handy. Wo war dieses undankbare Stück Telefon schon wieder?
Komisch, dachte ich mir, ich bin, glaube ich die Einzige, deren Handy ein Eigenleben hat. Entweder macht es nicht das, was es soll oder umgekehrt. Obendrein verschwindet es gelegentlich und ich darf dann suchen. Während ich meinen Selbstgesprächen lauschte, fing Lilly laut an zu lachen. Ich brach meine Suche ab, drehte mich zu ihr herum, um den Auslöser für ihr morgendliches Lachen herauszufinden.
„Auch ein schöner Rücken kann entzücken.“, entfuhr es mir, als Lillys Rückenpartie mir den Blick versperrte. Lilly lacht weiter.
„Hast du auch Abdrücke?“
„Abdrücke? Was meinst du damit?“, fragte ich leicht verunsichert. Sie forderte mich mit einem winken auf, zu ihr zu kommen. Ich robbte auf ihre Seite und legte mich auf den Bauch gedreht in die Nähe ihrer Oberschenkel. Sie wartet ab, bis sie meine Aufmerksamkeit hatte und deutete auf einen ihrer Oberschenkel.
„Nach was sieht das aus?“, fragte sie unter kichern. Ich mußte ein Stück zurückrücken, um besser sehen zu können. Aber wie ich auch meinen Kopf drehte, ich kam nicht hinter das Rätsel des Abdrucks auf ihrem Oberschenkel.
„Tut mir leid, aber ich kann beim besten Willen nicht herausfinden, was dir…..“ Ich kam nicht dazu, meinen Satz zu beenden, weil auch ich jetzt lachen mußte und Lilly den Übeltäter des Abdrucks in die Luft hielt.
„Sag jetzt nicht, daß wir auf den…“, versuchte ich unter lachen Lilly zu fragen.
„Doch, wir waren gestern so müde, daß wir die Nacht auf den Sachen geschlafen haben, die aus dem fremden Rucksack stammen. Wir haben sie nicht vom Bett geräumt und siehe da, der Rasierapparat hat sich auf meiner Haut verewigt.“, beantworte sie meine unvollendete Frage und legte den Rasierapparat auf den Nachttisch. Plötzlich erstickte mein Lachen und ich starrte Lilly an. Oh nein, laß es nicht wahr sein!
„Wenn du auf dem Apparat geschlafen hast, auf was hab ich dann geschlafen?“ Ohne Antwort schoß ich auf meine Seite des Bettes und sah auf die Männerunterhosen, die sich unverschämt neben meinem Kopfkissen plaziert hatten.
„Das ist ja super! Ich werd nicht mehr. Ich …..nein, mein Bauch! Karo, dein Gesicht solltest du mal sehen!“ Lilly hatte sich zu mir umgedreht und brüllte nun vor lachen, als sie mich vor den Unterhosen hocken sah. Mit offenem Mund starre ich auf das Kopfteil.
„Ich hoffe nur für dich, die Dinger sind nicht getragen worden.“, brachte sie unter erstickendem Lachen hervor.
In meinem Kopf schwirrten mehrere Gedanken. Der erste war, Lilly den Hals umzudrehen. Der zweite, ihr die Unterhosen um die Ohren zu hauen. Der dritte, einfach aufzustehen und so zu tun, als wenn nichts geschehen wäre. Ich entschied mich für Letzteres, warf ihr ein süffiges Lächeln zu und stieg ohne Worte aus dem Bett.
Lilly lachte so sehr, daß das Bett wackelte. Meine Füße hatten den Boden erreicht und waren bereit, mein nachrückenden Körper zu erwarten. Ich wollte das Wackeln nicht länger aushalten und richtete mich auf, setzte einen Fuß nach vorn und trat auf einen harten Gegenstand. Ich hob aus Reflex sofort den Fuß hoch. Wenn man mich später fragt, wie unsere Reise nach Indien war, kann ich sagen: Du setzt dich ständig auf was Hartes oder du trittst drauf. Was konnte das sein? Ha, mein Handy. Hab ich dich, du Ausreißer. Ich bückte mich, griff nach meinem undankbaren Begleiter und hatte zu meinem erstaunen nicht mein Handy in der Hand. Es war ungefähr genauso lang, wie ein Handy, aber viel wuchtiger.
„Lilly, ich hab was gefunden.“ Ich lief um das Bett auf ihre Seite. Sie hatte sich inzwischen wieder in das Bett gelegt und kugelte sich vor lachen hin und her.
„Ich kann es mir schon vorstellen.“ Sie lachte noch heftiger über ihre eigene Phantasie.
„Quatsch nicht! Schau dir das doch mal an.“ Ich hielt ihr ratlos das ähnlich aussehende Handy entgegen.

Ihr Interesse galt in diesem Moment ausschließlich ihrem Lachkrampf. So sehr ich auch probierte, daß sie sich mit mir diesem handyähnlichen Ding widmete, so sehr scheiterte ich. Ich atmete tief ein und setzte zu einer Gemeinheit an, die sie bis ins Mark treffen würde.
„Liliane Magdalena Wagner!“, überschrie ich ihr Gelächter und wartete auf ihre Reaktion. Wie ich es erwartet hatte verebbte das Lachen sofort. Ihre Augen funkelten mich böse an. Sie war mit einem Schwung aus dem Bett gestiegen und stand in voller Größe von 1,75 cm vor mir. Sie überragte mich um ungefähr einen halben Kopf und ich kam mir in diesem Moment sehr klein vor. Ich verzog keine Miene und hielt ihr meinen Fund unter die Nase.
„Du weißt ganz genau, daß ich meinen vollen Namen zutiefst hasse. Warum nennst du mich dann so?“, zischte sie zwischen ihre Zähne hindurch und blickte auf mich herab. Ihr Gesicht verfärbte sich in einen unangenehmen Rotton und man sah, sie fing vor Wut an zu kochen. Bis zu ihrem Siedepunkt wollte ich nicht warten und auf die Gefahr hin, daß sie dann platzte, stand mir auch nicht der Sinn.
„Reg dich bitte nicht auf. Mir fiel nichts Besseres ein, als dich bei deinem richtigen Namen zu nennen. Sei mir nicht böse.“ Versöhnlich sah ich zu ihr auf. Ich setzte mein Dackelblick auf und hoffte auf Gnade. Lilly konnte mir nie lange sauer sein und spontan grinste sie mich an.
„Schon gut. Zeig mal mit was du mir wieder auf den Geist gehen willst, Karoline Magda Clockmaker.“ Ehe ich mich es versah, riß sie mir das Ding aus der Hand und streckte mir die Zunge raus. Jetzt hatte sie mich an einer empfindlichen Stelle getroffen.
„Nicht so. Mein Nachname ist Uhrmacher.“, entgegnete ich ihr empört und versuchte das Ding wieder in meinen Besitz zu bekommen.
„Deswegen ja in englisch und so schön schrecklich übersetzt. Selber Schuld. Du hast angefangen. Aber Schluß mit den Neckereien. Laß uns mal dein Geheimnis betrachten. Ein Handy?“
Wir standen uns gegenüber und Lilly hielt das Ding in unsere Mitte. Sie drehte es und ich erkannte, um was es sich handelte. Bei ihr schien auch der Groschen gefallen zu sein. Sie lief los, holte die Kamera vom Tisch und kam wieder auf mich zu.
„Du, das ist ein Film aus der Kamera. Der muß gestern bei dem Sturz heraus gefallen sein. Der Film lag unter dem Bett?“ Ich nickte stumm. Sie paßte von außen den Film mit der Kamera ab. „Ja, der paßt da rein. Ist ja interessant. Was da wohl drauf sein mag?“
„Lilly, wenn wir ihn entwickeln lassen, finden wir vielleicht den Eigentümer von dem Rucksack und wir können unseren wieder bekommen.“
„Klar, wir lassen ihn entwickeln und die Erde ist eine Scheibe. Karo, wir sind in Mumbai nur vier Tage. Das werden wir nicht schaffen. Und die anderen Tage sind wir im Land unterwegs. Zum Abflug kommen wir wieder her und sind dann auch gleich im Flieger. Dann nützt es uns auch nichts mehr. Also, sparen wir lieber das Geld.“ Sie war manchmal so verdammt realistisch. Ich ließ nicht locker und nahm ihr den Film aus der Hand.
„Apropos Geld. Welches Geld? Es befindet sich in unserem Rucksack und den will ich wieder haben. Koste es, was es wolle.“ Wild entschlossen meinen Willen durchzusetzen, versteckte ich den Film in meiner Hand hinter meinem Rücken.
„Ach, mach doch was du willst. Ich gehe jetzt duschen.“, winkte sie meinen Einwand ab, schnappte sich aus dem Koffer ihre Duschutensilien und verschwand im Badezimmer.
Ich ließ mich auf dem Bett nieder und betrachte den Film. Warum wollte ich ihn unbedingt entwickeln lassen? Hoffte ich wirklich, dadurch den Besitzer zu finden? Ich zuckte unter meinem Gedanken zusammen. Ja, ich wollte den Besitzer finden, aber nicht um ihm dem Rucksack wieder zu geben. Nein, ich wollte seine wunderschönen Augen auf einem Foto verewigt wissen, welches ich immer bei mir tragen konnte. Inständig schaute ich auf den Film, in der Annahme, daß er mir seinen Inhalt verraten würde. Jetzt erst wurde es mir richtig bewußt. Ich hatte mich verliebt.
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Beitrag16.01.2015 00:10

von Lyrika
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Perspektivwechsel wink


Verdattert blieb er auf der Stelle stehen. Hatte sie eben gesagt, daß sie mich vermissen wird? Er sah ihr nach und lächelte vor sich hin. Sie war ihm gleich im Flugzeug aufgefallen. Eigentlich schon in der Flughalle in Frankfurt. Wie sie mit ihrer Freundin gestritten hat, wie sie dabei ihr Gesicht verzogen hat und als sie ihren Blick über die andern Fluggäste schweifen lassen hat, sah er ihre warmen braungrünen Augen. Er saß nicht allzu weit weg, um sehen zu können, daß ihre Augen nach Antworten auf die Liebe suchten. Wenn nicht die Aufforderung gewesen wäre, daß Flugzeug zu betreten, dann hätte er sie stundenlang beobachtet. Und es wäre ihm nicht langweilig geworden.
Sein Lächeln verzog sich zu einem Grinsen, weil er sich die Situation im Flugzeug vor Augen rief. Vielleicht hatte er die Lehne absichtlich zu weit nach hinten gemacht? Und wenn, manchmal muß man dem Schicksal einen kleinen Schups geben. Mit seinen Gedanken verließ sie die Halle. Hoppla, beinahe wäre sie gegen die Schiebtür geknallt. Sie erreichte ihre Freundin und wieder stritten sie. Ist wohl die deutsche Mentalität? Aber nein, wenn man richtig befreundet ist, dann liebt und streitet man sich. Und das waren sie wohl; richtig befreundet. Das hatte er im Flugzeug bemerkt. Das freute ihn und es freute ihn, daß sie in ein Taxi stiegen und seiner Annahme nach, in ein Hotel fuhren. Dann brauchte er sich keine Sorgen um ihre Sicherheit zu machen.
Mit einem tiefen Seufzer ließ er sie gehen. Wie gerne hätte er ihr die Antworten auf ihre Fragen der Liebe gegeben. Was bilde ich mir eigentliche ein? Ich kenne sie nicht und sie mich nicht. Warum sollte ausgerechnet ich derjenige sein, der das bei ihr dürfte? Ja, da fuhr sie hin und damit auch seine Sehnsucht nach ihr. Was ihm bleib waren seine Berührungen, die sie zu gelassen hatte. Es war ein so vertrautes Gefühl. Er schüttelte den Kopf, in der Hoffnung, daß diese Gedanken den Weg für andere freigeben würden. Es half. Der Gedanke an seine Arbeit gewann die Oberhand.
Er schaute auf die Warteschlange. Sie war noch länger geworden. Wenn er jetzt seinen Freund bitten würde ihn vorzuziehen, dann schaffte er es noch ein wenig zu schlafen. Die Konferenz morgen wird anstrengend. Ihn schüttelte es. Aber wenn er es morgen schafft, seinem Chef von seiner Arbeit zu überzeugen, dann würde er erst einmal eine Woche frei haben. Und dann ausspannen mit allen Schikanen. Ach, wozu hat man Freunde beim Zoll. Auch wenn er den Groll der Wartenden auf sich ziehen würde, winkte er von Weitem seinem Freund zu. Der verstand sofort und winkte ihm zurück, daß er sich bei ihm anstellen könne. Wie erwartet, bewegten sich einige Wartende auch in die Richtung des Freundes. Der jedoch winkte ab und ließ damit durchblicken, daß nur eine bestimmte Person gemeint war. Schon machte sich Unmut breit, der aber schnell wieder verebbte, da es in diesem Moment in der Warteschlange weiter ging. Der Gedanke, wieso hatte sie eigentlich seine Berührungen zugelassen, brachte sich ins Spiel, während er zum Schalter lief.
„Akash, alter Freund. Wie geht es dir? Wie war es in Deutschland?“ Der Freund schlug ihm auf die Schulter und unterstrich seine Wiedersehensfreude mit einem breiten Lächeln. „Na, dann zeig mal deine Formulare und ich schmeiß noch einen Blick in deinen Rucksack. Hast du was zu verzollen?“ Trotz der Freundschaft wurden auf die üblichen Behörden- und Sicherheitsbestimmungen nicht verzichtet.
„Wieso hat sie es zugelassen?“, murmelte er gedankenverloren vor sich hin und stellte dabei den Rucksack vor seinen Freund auf den Tisch.
„Ich versteh nicht. Akash?“ Der Freund wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum und es sah aus, als wenn er damit Erfolg haben würde. Die Frage, die unvermittelt gestellt wurde, blieb unbeantwortet.
„Was? Nein, ich habe nichts zu verzollen, Karan. Der Aufenthalt in Deutschland war kurz.“ Und sehr nachhaltig, fügte er im Gedanken hinzu. „Hier, meine Papiere. Im Rucksack ist nur das Übliche. Die Kamera, Rasierzeug und Kleidung. Und wie geht es dir und der Familie?“ Während des Gespräches öffnete er den Rucksack und wartete, bis Karan mit der Durchsicht seiner Papiere fertig war.
„Die sind in Ordnung. So, einen kleinen Blick werde ich auf deine Sachen noch werfen und dann kannst du gehen. Der Familie geht es gut. Solltest dir auch eine anschaffen. Macht nicht nur Spaß, du hast auch gleich den Wahnsinn bei dir zu Hause. Meine Frau und Großmutter sind sich nur am streiten.“ Karan verdrehte die Augen, die er nur durch einen Blick in den Rucksack zu stehen brachte.
„Und um was streiten sie?“, fragte Akash, in der Hoffnung herauszuhören, um was sich Frauen stritten.
„Ach, es geht um das Kochen, den Haushalt und wer wann welche Aufgaben erledigen will. So ein Schwachsinn!“ Gut, dachte sich er sich grinsend, daß sind wohl nicht die Themen, um die sie sich mit ihrer Freundin gestritten hatte. „Schwachsinn sind allerdings auch die Sachen aus deinem Rucksack.“
„Was ist an einer Kamera schwachsinnig?“
„Akash, hast du jetzt einen anderen Modegeschmack bekommen?“ Er konnte mir der Äußerung des Freundes nichts anfangen. Anderen Modegeschmack bei einer Kamera?
„Was meinst du damit?“ Verständnislos schaute er Karan an und dann auf das T-Shirt, das er aus seinem Rucksack beförderte.
„Das meine ich damit. Hübsches Teil. Doch, das muß man dir lassen, Geschmack hast du.“ Karan hielt sich jetzt die freie Hand vor den Mund, um vor Akash sein aufsteigendes Lachen zu verbergen.
„Nein, was ist denn das?“ Er riß ihm das T-Shirt aus der Hand und faltete es auseinander. Zum Vorschein kam eine große Blume. Es war eindeutig keines seiner T-Shirts. Wer trägt den so ein häßliches Ding? Es sah aus wie ein T-Shirt, welches Frauen bevorzugen. Frauen? Kein Rasierzeug? Keine Kamera? Keine Kamera! Er warf das T-Shirt auf den Tisch und wühlte wie ein Verrückter in dem Rucksack. Akash fand alles Mögliche, aber nicht eines seiner Sachen. Es zuckte wie ein Blitz durch seinen Körper und aktivierte sein Gehirn, was in sekundenschnelle kombinierte. Wenn dies nicht seine Sachen waren, dann war das hier auch nicht sein Rucksack. Sein Gehirn verriet ihm noch ein weiteres Detail seiner Vermutung. Es projizierte die Szene vor seinem geistigen Auge, in dem er sie sah, wie sie ihn auf die Wange küßte und ihre Freundin die Halle verläßt. Und da sah er ihn ganz deutlich: seinen Rucksack auf dem Rücken der Freundin.
„Scheiße!“, rief er Karan entgegen, der sprachlos die Wühlerei beobachtet hatte. „Vielleicht bekomme ich die beiden noch zu fassen.“ Er ließ von dem Rucksack ab und rannte zur Eingangstür der Flughalle.
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Beitrag22.01.2015 22:48

von Lyrika
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Was bildet sich dieser Kerl eigentlich ein? Im Flugzeug diese dämliche Nummer mit der Lehne. Sie hatte sofort durchschaut, daß es eine ganz billige Anmache war.
Ja, natürlich tat er dann ganz unschuldig. Oh je, der älteste Trick der Welt und Karo fällt darauf rein, dachte sich Lilly. Und zur Krönung spielt er an der Zollabfertigung den Samariter. Als wenn er uns damit einen Gefallen getan hätte. Ja, einen Mordsschreck hatte sie bekommen. Der Typ denkt auch nicht für ein Cent mit. Gefallen getan. Päh!
Sie wußte nicht, ob sie über seine Aktionen oder über sich böse war. Wenn ich mal dafür Zeit habe, dann denke ich darüber nach. Leicht schnaubend saß sie im Taxi und wollte nur noch in ihr Hotel. Sie sah, daß Karo neben ihr irgendwelche Gebete Richtung Himmel schickte. Nun, soll sie machen. Äh, der Rucksack stört mich beim sitzen und außerdem ist er unbequem.
Sie drehte sich nach hinten, um den sperrigen Gesellen abzuschnallen und blickte dabei kurz aus der Heckscheibe. Das kann jetzt nicht war sein. Da steht dieser unmögliche Kerl, der selbsternannte Samariter und winkt uns hektisch nach. Wenn du denkst, ich lasse für dich das Taxi anhalten, dann hast du dich geschnitten. Du kannst winken, bis du schwarz wirst. Den Störfaktor Rucksack konnte sie beseitigen und ihn in den Fußraum legen. Was sie nicht beseitigen konnte, war ihr Gefühl, was dieser winkende Kerl ausgelöst hatte. Aber darüber würde sie mit Karo nicht reden, auch nicht über ihre Beobachtung. Hah, wink mal schön, dachte sie und schaute unschuldig aus dem Seitenfenster.

Er hatte Mühe, die Eingangstür zu erreichen, da ihm die zahlreichen anderen Fluggäste im Wege standen. Er mußte aufpassen, daß er keinen umrannte, aber auch, daß er die beiden Frauen noch einholt. Das darf nicht sein. Wenn ich die Kamera nicht zurück bekomme, dann reißt mir der Chef den Kopf ab, dachte er und schob sich durch die Menge. Die Kamera war nicht allzu wichtig. Wichtiger war der Inhalt der Kamera.
Schweißperlen bildeten sich auf seiner Oberlippe, bei dem Gedanken, was passiert, wenn der Film in falsche Hände kommt. Hoppla, da hätte er doch beinah eine Frau mit Kind umgerannt. Waren das nicht Melanie und ihre Mutter? Die Zeit näher hinzuschauen durfte er sich jetzt nicht erlauben. Das letzte Stück zur Schiebetür absolvierte er mit einem kleinen Spurt. Die Schiebetür machte keine Ausnahme und öffnete sich auch für ihn in ihrer schon bekannten Langsamkeit. Verdammt, geh schon auf! Unruhig tänzelte er vor der Tür herum, bis diese seinen Weg freigab.
Na endlich, dachte er, blieb auf dem Gehweg stehen und schaute in die Richtung, wohin die beiden Frauen gelaufen waren. Da, sie steigen in das Taxi. Um auf sich aufmerksam zu machen, rannte er wild winkend dem gerade anfahrenden Taxi hinterher. Motor gegen Mensch. So schnell seine Beine einen weitern Spurt zuließen, soweit mußte er die Erfahrung machen, daß in den selten Fällen der Mensch einen solchen ungleichen Kampf gewinnt. Das Taxi entfernte sich. Es half nur noch weiter zu winken und zu hoffen, daß die Taxiinsassen ihn bemerkten. Er stand auf der Stelle und hüpfte gleichzeitig auf und ab, um sein Vorhaben zu unterstreichen. So wie es aussieht wird es nicht viel helfen. Sie waren schon zu weit weg. Aber was war das? Eine der Frauen dreht sich herum. Zum Glück, sie haben mich bemerkt. In ihm keimte Hoffnung auf, den Rucksack zu bekommen und damit auch die Kamera. Eiskalt zuckte es durch seinen Körper, als er den Blick der Frau empfang. Er war so voller Verachtung und Gehässigkeit, daß er den Arm sinken ließ und sein Vorhaben abbrach. Warum hielt sie nicht das Taxi an? Eine andere Frage beschäftigte ihn noch mehr. Warum war ihr Blick für ihn so voller Haß?

So wie ich auf dem Bett saß, mit dem Film in der Hand und der Erkenntnis, daß ich mich verliebt hatte, tat ich mir unendlich leid. Wie konnte das denn passieren? Oh Karo, welch eine dumme Frage, rügte ich mich selber. So was passiert eben. Egal, wo man ist und wer es ist. Ich starre immer noch auf den Film. Und was ist, wenn etwas auf dem Film ist, was uns gar nicht angeht?
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Unsicher drehte ich den Film in meinen Händen. Aus dem Badezimmer vernahm ich durch Lillys fröhliches Pfeifen, daß sie die Angelegenheit als abgeschlossen betrachtete. Ja, sie schaffte es, eine ganz rationale Einstellung an den Tag zu legen. Für sie gibt es nur Hüh oder Hott. Dazwischen ließ sie nichts gelten. Anfangs war ich fest entschlossen den Film entwickeln zu lassen. Meine Hände fingen leicht zu zittern an. Ich sah mich schon die entwickelten Bilder in der Hand halten, die eindeutig zeigten, daß meine Verliebtheit einem stechenden langanhaltenden Schmerz weichen muß. In meinen Gedanken waren auf den Bildern glückliche Gesichter von zwei Kindern, einer Frau und ihm. Immer mehr steigerte ich mich in die Vorstellung, seine Familie zu sehen. Lachend, spielend, sich umarmend bei einem erholsamen Urlaub. Es schnürte mir die Kehle zu und ich konnte nur mit Mühe den Kloß herunterschlucken, der mir die Tränen in die Augen trieb. Karo, reiß dich zusammen rüttelte ich mich aus meiner Gedankenwelt. Ich wollte diese Reise. Lange hab ich dafür gespart, um unvergeßliche Eindrücke zu erleben. Bis jetzt war alles ein verworrener Brei, der mir nicht schmeckte. Der Flug war eine Qual, dann dieses Zollerlebnis und nun sitze ich auf dem Bett und zermartere mir das Hirn, welches Geheimnis dieser Film verbirgt. Nein, ich wollte Indien in vollen Zügen genießen. Entschlossenheit war gefragt. Fest umklammerte ich den Film und stand auf. Jawohl, ich werde den Film in den Koffer packen und dann in Deutschland entwickeln lassen. Dann ist genug Abstand zwischen ihm und mir. Damit würde mir der Anblick der Bilder nicht so sehr zusetzten. Genauso mache ich das.
„Na, spielst du immer noch mit dem Film herum?“ Erschrocken drehte ich mich zu Lilly herum und schmiß dabei den Film auf das Bett, als hätte ich mich daran verbrannt.
„Nein, ich hab nur gewartet, bis du fertig bist. Kann ich jetzt ins Bad?“, fragte ich rhetorisch und lief um das Bett herum. Lilly rubbelte mit dem Handtuch ihre Haare kopfüber trocken und grinste mich dabei schief an. „Ach Karo, vergiß es. Dummer Zufall mit den Rucksäcken. Ich werde nachher meinen Vater anrufen und der wird uns ein wenig Geld überweisen. Ich hab ja zum Glück die Schecks im Brustbeutel. Wir gehen zur Bank und..schwupps..sind wir wieder flüssig. Und dann machen wir Indien unsicher. Ach, freu ich mich. Ja, du kannst ins Bad.“
Während sie mit mir redete rubbelte sie so kräftig ihre Haare, daß sie mit dem Handtuch ihr Gesicht verdeckte. Meine Duschutensilien lagen noch vom Abend im Bad und so schlängelte ich mich an ihr vorbei. Als sie bemerkte, daß ich mich neben ihr befand, hob sie ihren Kopf. Sie legte das Handtuch zur Seite und stoppte meinen Lauf, indem sie mich am Arm festhielt. Ernst schaute sie mich an.
„Es wird ein schöner unvergeßlicher Urlaub. Und tu mir und dir den Gefallen und streiche ihn dir aus dem Kopf. Er bringt dich nur durcheinander. Du siehst es daran, wie dich dieser Film aus der Bahn geworfen hat. Also, vergiß ihn.“ Ich legte die Stirn in Falten und versuchte Lillys Worten zu folgen. Sie hatte mich aus heiterem Himmel damit überrumpelt. Wütender als ich gewollt hatte, riß ich mich los.
„Mich hat der Film nicht aus der Bahn geworfen! Und dieser Typ erst recht nicht! Ich mache mich jetzt fertig und dann gehen wir durch Bombay.“ Sauer ließ ich sie stehen, ging ins Bad und reagierte meine aufsteigende Wut unter der Dusche ab.

An der Hotelrezeption telefonierte Lilly mit ihrem Vater. Ich wartete und hielt derweilen den Rucksack. Wir hatten aus der Not eine Tugend gemacht und ihn einfach für unsere Zwecke verwendet. Die Brustbeutel trugen wir aber aus Sicherheit unter unseren T-Shirts.
„So“, entgegnete mir Lilly, die aus der Telefonzelle trat „Es geht alles klar. Mein Vater überweißt uns etwas Geld.“
„Das ist sehr nett von ihm. Und, was hat er zu unserem Mißgeschick gesagt?“
„Er hat nur lauthals gelacht und uns noch viel Spaß auf unserer Abenteuerreise gewünscht. Mein Vater eben.“ Lilly hatte Recht. Ihr Vater war mit einer ausrechenden Portion Humor gesegnet worden und sah damit einige Dinge leichter.
Etwas verloren standen wir in der Hotelhalle und schauten uns an.
„Wo wollen wir anfangen? Zuerst einen Besuch auf dem Markt oder ist dir nach Sehenswürdigkeiten?“
„Laß uns einfach loslaufen und dann werden wir sehen, wo wir zum Schluß landen.“ Aufgeregt packte ich Lilly bei der Hand und zog sie aus der Halle. Schwer und ungemütlich umhüllte uns Mumbais Hitze, als wir aus der Tür traten und die Straße herunterliefen. Das Stadtzentrum lag ein gutes Stück zu Fuß vom Hotel entfernt.
„Wir könnten uns ein Taxi nehmen oder den Bus.“, sagte Lilly und schaute sich suchend um.
„Och, wenn wir laufen, sehen wir viel mehr und können später berichten, daß wir nicht nur die Orte gesehen haben, die in den Reiseführern stehen. Ich will Mumbai pur erleben!“
„Du bist unverbesserlich. Zu Hause traust du dich noch nicht einmal auf ein Konzert mit 20.000 Menschen und hier willst du dir 12,4 Millionen auf einen Haufen reinziehen. Also gut, laß uns da lang laufen.“ Sie hackte mich unter und so liefen wir wie ein zwei gute Freundinnen die Straße herunter.

Akash konnte die Worte seines Chefs deutlich hören. Es werden wüste Beschimpfungen sein gepaart mit Beleidigungen der schlimmsten Art. Es war ihm selber unverständlich, wie so etwas passieren konnte. Und dabei war dies sein bisher wichtigster Auftrag gewesen. Auf Weitere konnte er nach diesem dummen Mißgeschick bestimmt nicht hoffen.
Der Chef würde ihn in den Innendienst versetzten und da würde er denn die Aufgaben erledigen, die keiner gerne tat. Bei dem Gedanken wurde ihm übel. Wozu hatte er sich all die Jahre abgerackert? Damit er zum Schluß da wieder landet, wo er damals angefangen hat? Nein, das war gewiß nicht sein Ziel. Er mußte diesen Film wieder bekommen. Aber wie? Und die andere Frage war, wann? Zuerst gilt es den Chef zu beruhigen und dann Nachforschungen zu betreiben, wo diese beiden Frauen ihr Hotel haben. Würde es etwas nutzten, Karan zu fragen? Der Zoll hatte Einsicht in die Papiere, aber stand dort auch, um welches Hotel es sich handelt? Ach, fragen kostet nichts und dann werde ich vielleicht schneller den Film in meiner Hand halten, als ich gedacht habe.
Ohne es bemerkt zu haben, war Akash unter seinen Gedanken aufgestanden. Er ging zum Fenster und schaute auf die belebten Straßen von Mumbai. Sein kleines Appartement lag direkt in der Innenstadt. Er liebte diesen Trubel. Überall hupte es, das laute Stimmengewirr drang bis zum dritten Stock herauf und die verschieden Gerüche verirrten sich auch je nach Windrichtung zum ihn. Er atmete tief ein und stütze sich mit den Armen am Fensterbrett ab. Das Leben dieser Stadt hatte einen grausamen Charme. So Reich die eine Region war, so Arm war die andere. Nur selten wollte er die Armut wahrnehmen, sonst hätte es ihm das Herz zerrissen. Seine Eltern hatten dafür gesorgt, daß aus ihm und seinem Bruder etwas Anständiges wird und auf jeden Luxus für sich selber verzichtet. Es hatte etwas genützt. Er war studierter Medienwissenschaftler und sein Bruder arbeitete als Doktor im Institut für Meeresbiologie. Mit Dankbarkeit und tiefer Liebe hatte er den Verzicht seiner Eltern gezollt. Nachher werde ich Mutter anrufen und ihr sagen, daß ich wieder in der Stadt bin, dachte er sich und verließ das Fenster.
Sein kleines Schlafzimmer bot Platz für ein Doppelbett mit Nachtischen und einem Kleiderschrank. Der stumme Diener in der Ecke tat seinem Namen alle Ehre und drohte jeden Moment zusammenzubrechen unter der Last der Kleider, die eigentlich in den Kleiderschrank gehörten. Er gestand sich wieder mal ein, daß er die Begriffe, aufräumen’ und, Ordnung’ aus seinem Wortschatz gestrichen hatte.
„Akash, du bist ein fauler Sack.“, rügte er sich und nahm Kurs auf den stummen Diener. Ok, Gnade für dich, ich werde dich jetzt von deiner Qual befreien. Ein Kleidungsstück nach dem anderen fand den Weg auf das Bett. Der stumme Diener danke es ihm mit einer nie dagewesen Leere.
„Na, ein paar Sachen müssen aber darauf hängen, sonst hast du ja umsonst deinen Namen.“, redete er auf ihn ein und fing an die auf dem Bett liegenden Sachen in drei Kategorien zu unterteilen. Eine Kategorie war die ,noch-zu-waschen, die zweite stand unter dem Motto in-den-Kleiderschrank und die dritte war ab-zurück-auf-den-stummen-Diener.
Während er den Berg Wäsche so abarbeitete, bekam er plötzlich einen roten Kopf. Die Röte entstand aber nicht aus der Hitze in seinem Schlafzimmer, sondern aus Scharm. Scharm darüber, daß ihm jetzt sein Rucksack einfiel und deren Inhalt. Er bestand ja nicht nur aus der Kamera. Er verzog sein Gesicht, bis es einen peinlichen Ausdruck annahm. Wie unangenehm! Wenn die beiden den Rucksack auspackten und seine Kleidung, speziell seine Unterwäsche entdeckten. Bei dem Gedanken wäre er am liebsten im Erdboden versunken. Das ist die Strafe für deine Unachtsamkeit. Falls es zum Austausch der Rucksäcke kam, mußte er wohl unglaubwürdige Blicke über sich ergehen lassen. So spielte es sich in seinem Kopf ab. Auch wenn die beiden Frauen sich über seine Unterwäsche lustig machen werden, er würde es ertragen wie ein Mann. Was gab es an Unterwäsche schon zu lachen? Na und, dachte er und versah sein Gesicht mit einem coolen Ausdruck.
Er blickte zur Seite, um das letzte Kleidungsstück in Kategorie `noch-zu-waschen` zu sortieren und sah sich im Spiegel, der an der anderen Seite der Wand hing. War er nicht ein Prachtkerl? Wie er mit dem coolen Gesichtsausdruck sich anblickte, dann den Blick auf seine Muskeln gleiten ließ und schließlich seinen gesamten Körper wahrnahm.
„Akash“, drohte er sich lachend selber „Wenn ich es nicht schon wäre, dann würde ich mich auf der Stelle in dich verlieben.“ Ja, es ging nichts über ein gesundes Selbstbewußtsein. Aber würde es ihm auch helfen bei dem Gespräch mit seinem Chef? Schlagartig brach bei dem Gedanken all sein Selbstbewußtsein wie ein Kartenhaus zusammen. Er entdeckte im Spiegel seine Wecker und drehte sich herum. Noch zwei Stunden und ich bin geliefert. Bevor es aber soweit ist, mache ich mir noch einen Tee und gehe duschen.
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Lyrika
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Liebe einen Inder
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Beitrag29.01.2015 18:53

von Lyrika
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Vorab schönes Wochenende Wink


Als er aus der Dusche stieg fühlte er sich wie neugeboren. Es ging nichts über einen wohligen Schauer und danach in frische Kleider zu schlüpfen. Suchend schaute er sich um. Da die Begriffe ,Aufräumen’ und ,Ordnung’ aus seinem Wortschatz gestrichen worden waren, hatte das Wort ,Vergeßlichkeit’ nun mehr Platz. Die frische Kleidung lag noch bereitgelegt in seinem Schlafzimmer. Nun gut, Beine wird sie nicht bekommen und ihm im Flur entgegenkommen.
Akash machte sich auf den Weg in das Schlafzimmer und kam an der Küche vorbei. Vor dem Duschen hatte er sich Tee aufgebrüht. Der Sinn stand ihm jetzt nach Tee. Die Kleider konnten warten. Mit dem Handtuch um die Hüften schenkte er sich Tee in ein Glas und versüßte ihn mit Kardamom und braunen Zucker. Er liebte es, wenn der Tee ordentlich süß war. Ich bin ja auch ein Süßer, dachte er sich verschmitzt lächelnd und ging mit dem Glas in der Hand auf das Fenster zu.
Er hatte noch ein wenig Zeit, dem Treiben auf den Straßen zu folgen. Die Jalousie ließ er unten, da er mit nacktem Oberkörper nicht am Fenster erscheinen wollte. Die gute Kinderstube sollte sich ja schließlich ausbezahlen. Und allein der Gedanke, die Frauen würden bei seinem Anblick reihenweise in Ohnmacht fallen.
„Nein Akash, das kannst du nicht verantworten.“, sagte er laut lachend zu sich und prostete sich selber zu. Durch die Lamellen konnte er genug erkennen. Gedankenverloren nippte er an dem heißen Tee. Herrlich, so ein süßer Tee, eine Dusche und dann frische Kleidung. Er fühlte sich wohl in seiner Haut.
Vorsichtig nippte er weiter an dem heißen Tee, aber nicht zu vorsichtig und verbrühte sich die Lippen so sehr, daß diese seine Unachtsamkeit mit einem stechenden Schmerz bestraften. Er spuckte den Tee in das Glas zurück und fuhr sich mit der Hand an seine Lippen. Verdammter Mist, tut das weh! Wie kann man nur so dämlich sein? Verärgert über sein Mißgeschick und um sich etwas Kaltes auf die Lippen legen zu wollen, stellte er das Glas auf das Fensterbrett. Sein Blick fiel unbeabsichtigt durch die Lamellen und er hätte bei dem Gesichteten fast das Glas mit dem heißen Tee über seine nackten Oberschenkel geschüttet.
Das sind doch…nein…das ist ...! Um besser erkennen zu können, daß ihm seine Augen auch keinen Streich spielten, drückte er zwei der Lamellen auseinander. Tatsächlich, es waren die beiden Frauen. Die Frauen, die mit seinem Rucksack durch Mumbais Straßen liefen. Das würde seine Chance sein, die Kamera zurückzubekommen und dem Ärger mit dem Chef aus dem Wege zu gehen. Er ließ die Lamelle zurückschnellen und rannte in das Wohnzimmer, wo er die Balkontür öffnete. Mit der einen Hand hielt er die Tür auf und mit der anderen das Handtuch fest, daß sich durch seinen Sprint in der Wohnung gelockert hatte und mehr von ihm freigeben wollte, als ihm lieb war. Ach herrje, er konnte nicht so auf den Balkon treten und nach den beiden Frauen schreien. Das gehört sich nicht.
In der Hektik ließ er den Balkon auf und rannte in das Schlafzimmer, um sich schnell etwas anzuziehen. Dabei kam er wieder an der Küche vorbei, zog sich das Handtuch weg und warf es unachtsam in eine Ecke der Küche. Das Handtuch enthüllte den Rest seines Körpers und glitt beleidigt zu Boden, wobei es wohl mit purer Absicht das Glas Tee mitnahm. Akash streifte sich ein T-Shirt über, schlüpfte in eine Hose, rannte weiter zur Haustür und nahm drei Treppenstufen auf einmal. Welch ein Irrsinn! Die beiden Frauen würden schon längst weiter gelaufen sein. Aber nicht, wenn es Frauen sind, die schönen Schmuck und Kleider liebten. Der Laden an der Ecke war so einer und galt als Geheimtip. Da würden sie bestimmt stehen bleiben und er könnte den Tausch der Rucksäcke vornehmen.
Aus der Eingangstüre heraus drängelte er sich an den zahlreichen Menschen vorbei. Beim überqueren der Straße mußte er vorsichtig sein, schaffte es auf die andere Seite und spurtete an die Ecke, wo er zu stehen kam. Da standen sie und schauten sich die Geschäftsauslagen an. Völlig außer Atem ging er auf sie zu und legte seine Hand auf ihre Schulter. Die Schulter, die er vor nicht mehr als 24 Stunden schon einmal berührt hatte. War ihm die Kamera wirklich so wichtig? Er erhöhte den Druck und drehte sie um. Aus heiterem Himmel schlug ihm eine mächtige Hand die seine von der Schulter, packte seinen Arm und wirbelte ihn herum, so daß er plötzlich vor einem Mann stand, der ihn umfaßt einen Kopf umrankte.
„Hey, spinnst du? Meine Frau faßt keiner an. Keiner! Verstanden? Und jetzt geh woanders betteln.“ Unsanft wurde sein Arm von dem Fremden ins Leere geschlagen. Die Frau schaute Akash erschrocken an und jetzt bemerkte er nicht nur die Verwechselung, sondern auch, wie er erscheinen mußte. Er hatte durch das Duschen zerzauste Haare, das T-Shirt stammte vom Stapel ´noch-zu-waschen´ und in seiner Eile hatte er keine Schuhe angezogen, was seine Füße mit dem Schmutz der Straße nun ausbaden dürften. Er müßte bei seinem Anblick den Eindruck eines bettelnden Inders abgeben und wartet eine Weile, aber der Erdboden tat sich leider nicht auf, in dem er am liebsten verschwunden wäre.
„Es tut mir wahnsinnig leid. Ich habe Ihre Frau mit jemanden verwechselt.“, entschuldigte er seine Tat und drehte sich zu der Frau herum. „Ich hoffe, Sie können mir verzeihen. Ich wollte Ihnen keinen Schrecken einjagen.“
„Ist schon gut. Ich habe mich nicht erschrocken.“, lächelte die Frau ihm entgegen und sah dann ihren Mann an. „Laß gut sein, Schatz.“ Sie hackte ihn unter, ging mit ihren Mann und der anderen Frau weiter und ließ Akash zurück.
Kopfschüttelnd stand er vor dem Laden und ärgerte sich. Wie komme ich eigentlich dazu, wildfremde Menschen anzusprechen und mir damit vielleicht noch mehr Ärger einzuhandeln, dachte er und lief zu seiner Wohnung zurück. Um was geht es hier? Um die Kamera oder um sie? Er rief sich die Szene auf dem Flughafen ins Gedächtnis und wäre fast von einem Auto überfahren worden, weil sich nicht ihr Gesicht vor seinem geisteigen Auge aufbaute, sondern das von …..Lilly!

Kaum waren wir von der Seitenstraße auf eine Hauptstraße gebogen, erschlug es mich förmlich. So viele Menschen hatte ich noch nie auf einmal gesehen, die dieser Stadt das Leben einhauchten. Ich blieb stehen und ließ die Kulisse auf mich wirken. Lilly ging es anscheinend genauso und so standen wir wie angewurzelt, die Straße entlang starrend, da.
„Wow! Das ist mir heute Nacht gar nicht so aufgefallen, daß das hier so pulsiert.“
„Lilly, mir auch nicht. Es ist ja der Wahnsinn!“ Ich war schon in vielen Ländern der Erde, aber es beschränkte sich auf Europa. Das erste Mal war ich im asiatischen Kontinent unterwegs und die Vorstellung kam der Realität kein bißchen nahe. Ich habe viel gelesen über Indien und unzählige Bilder gesehen, die mir dieses Land näher brachten. Es ist aber ein Unterschied, ob man es nur gesehen hat oder ob man es erlebt. Die Geräusche, die Menschen, die Gerüche und das Leben an sich in diesem Land lösten bei mir den von der Reiseleitung angekündigten Kulturschock aus. Aber ich empfand ihn als äußerst angenehm.
„Komm, laß uns in einen Bus steigen und dann fahren wir erst einmal zum Triumphbogen des Gate of India.“, sagte ich zu Lilly und zeigt auf einen der überfüllten Busse, die in einer Tour an uns vorbei fuhren.
„Bist du verrückt? Da kommen wir weder rein, geschweige denn wieder raus.“ Lilly schüttelte den Kopf und wollte ihren Fußmarsch fortsetzen. Ich zog sie am Ruchsack zurück.
„Nein, wenn ich schon mal hier bin, dann nehme ich alles mit.“, entgegnete ich ihr und reckte mein Kinn hervor, das keine Widerworte zuließ. Sie gab sich angesichts meiner Entschlossenheit geschlagen und schaute leicht verunsichert auf die Straße.
„Also gut. Du läßt ja eh nicht locker. Hm, wie hält man den so einen Bus an? Gibt es hier Haltestellen oder muß man vor den Bus springen, wenn man einsteigen will?“
Ich zuckte mit den Achseln und war schon nahe dran jemanden nach Rat zu fragen, als mir einfiel, daß mir meine Arbeitskollegin ihre Karte des Busnetzes von Mumbai ausgeliehen hat. Sie war vor ein paar Monaten aus Indien wiedergekommen und hatte mir vor unserer Abreise den Busplan versucht zu erklären. Aber das war vergebene Liebesmüh, da ich ja schon mit unserem heimischen Busnetz nicht klar komme. Nun, vielleicht sieht Lilly durch.
„Dreh dich mal um.“ Ohne Abzuwarten stellte ich mich hinter sie, öffnete den Rucksack und fing an, den Busplan zu suchen. Ich hing förmlich an ihr. „Mußt du so groß sein?“, gab ich mit einem Lachen der Suche eine komische Untermalung. Was hatte sie denn da alles hereingepackt? Ich zog einige Dinge heraus und ließ sie auch gleich wieder verschwinden. „Sag mal, hast du unser halbes Gepäck mitgenommen?“ Mir wurde durch die Hochhaltung langsam der Arm lahm und Lilly ungeduldig.
„Bist du bald mal fertig? Durch dein gezottel wird mir noch wärmer. Du ziehst mich ja fast auf den Boden. Was suchst du überhaupt?“
„Ja, warte, ich hab ihn gleich.“
„Karo!“ Lilly schoß ohne Rücksicht auf Verluste zu mir herum und schaute in mein entsetztes Gesicht. Ich stand vor ihr und hielt ihr mein letztes Fundstück aus dem Rucksack unter die Nase. Sie schaute mich verständnislos an.
„Den hast du jetzt gesucht? Karo, ich versteh nicht…“
„Ich allerdings auch nicht.“, rief ich ihr laut entgegen, da sich in diesem Moment ein Bus genau auf unserer Höhe lautstark zu bekennen gab. „Wieso hast du ihn mitgenommen? Lilly, wieso? Hatten wir uns nicht geeinigt, die Sache auf sich beruhen zu lassen?“ Ich atmete tief aus und senkte den Blick zur Seite.
„Nein, wir hatte uns nicht geeinigt. Du hast die ganze Zeit damit rumgespielt und ich will jetzt auch wissen, was auf diesem verdammten Film ist. Deswegen hab ich ihn mitgenommen, um ihn hier entwickeln zu lassen. Vielleicht finden wir am Gate of India eine Entwicklungsbude. So, und nun gib mir dieses Scheißding her oder ich zertrete ihn hier auf der Straße.“ Sie hatte leichtes Spiel mir den Film aus der Hand zu reißen, da ich immer noch enttäuscht zur Seite schaute. Der Film hatte seinen Besitzer abermals gewechselt und lag erwartend in Lillys Hand.
„Pack ihn bitte wieder zurück und dann laß uns weiter gehen. Bitte!“, flehte sie mich an, drückte mir den Film in meine Hand zurück und drehte sich mit dem geöffneten Rucksack zu mir herum. Hatte mich dieser Film eben angegrinst? So kam es mir jedenfalls vor und nun hatte ich nicht übel Lust dazu, ihn auf der Straße zu zertreten.
„Gut.“, gab ich ihr zur Antwort und steckte den Film weg „Wir lassen ihn entwickeln und reden dann nie wieder davon, ok?“ Da wo der Film seinen Platz im Rucksack einnahm, ertaste ich den Busplan und zog ihn heraus. Ich fing an ihn zu entfalten.
„Zumachen!“, lachte Lilly befehlend vor sich hin.
„Zumachen? Aber dann kann ich doch nicht den Busplan….Ach so, entschuldige, ich stand auf der Leitung.“ Ich klemmte mir den Plan unter den Arm und schloß den Rucksack. Mit ausgebreiteten Armen drehte sie sich um.
„Freunde?“
„Freunde.“, sagte ich, umarmte sie und ließ von ihr ab. „So, und nun sehen wir mal nach, ob ich mir etwas von den Erklärungen meiner Arbeitskollegin behalten konnte. Ich sehe schon, ein Esel lernt wohl eher tanzen, als das ich hier durchblicke.“ Augenrollend streckte ich Lilly den Busplan entgegen. „Mach du das, sonst kommen wir bei meiner Navigation am Nordpol an.“ Sie nahm sich dem Busplan an, stieß die Luft aus und nahm ihren Mut zusammen. Was hatte sie denn jetzt vor?
In einem für Lillys annehmbaren Englisch sprach sie einfach einen vorbeigehenden Inder an. Er war sehr freundlich und erklärte uns, welche Busverbindung wir nehmen müßten. Dankend ließen wir ihn weiterziehen und stellten uns an eine nahegelegene Bushaltestelle. Wir mußten noch ungefähr fünf Minuten warten und das Abenteuer konnte weiter seinen Lauf nehmen.
Bis auf den letzten Platz quoll der Bus vor Menschen über. Als er hielt, sprangen ein paar Fahrgäste heraus, aber auch genauso viele wieder rein. Mir war dieser Wechsel unheimlich, ließ mich aber mitreißen, zumal Lilly schon im Bus war. Ich hatte gerade noch Zeit, mich festzuhalten, als der Bus auch schon weiter fuhr. Huch, das ist aber rasant, dachte ich mir und sah den Schaffner auf uns zukommen. Bis heute ist es mir ein Rätsel, wie der Schaffner es schaffte, zu wissen, wer neu dazugestiegen war und wer nicht und das bei der Fülle an Menschen. Lilly lächelte ihm entgegen und gab ihm einen 100 Rupienschein. Sie deutete mit dem Schein in der Hand auf sich und mich. Der Schaffner verstand ihre Geste und gab uns 80 Rupien zurück. Ratternd tat der Bus seine Arbeit und verhalf mir, die Stadt mit anderen Augen zu sehen.

Ich stand direkt an der Bustür, die ihren Namen zu Unrecht hatte. Es fehlten die Türen und ich sah mich bei dem Gedrängel im Bus schon auf der staubigen Straße liegen.
Die Befürchtung wurde durch den Fahrstiel des Busfahrers noch bestärkt. Er fuhr nicht schnell, machte aber die fehlende Geschwindigkeit durch Rücksichtslosigkeit wieder wett. Scharfe Kurven, plötzliches Stoppen, ruckartiges Anfahren. Zu allem Übel stimmte mein Magen in dieses Spiel ein. Was der Bus hin und her warf, tat mein Magen mit hoch und runter. Soviel hatte ich doch gar nicht gefrühstückt, dachte ich und entschied mich für ein zartes Grün in meinem Gesicht, um zum Ausdruck zu bringen, wie ich den Fahrstiel des Busfahrers empfand. Na ganz Klasse! Nun bemerkte ich, wie mir die Kraft aus meinem Arm entschwand. Grün im Gesicht und mit schwindender Kraft; bei der nächsten Kurve lasse ich einfach los und purzle aus dem Bus, war mein letzter Gedanke, bevor mich ein Arm packte und in den eh schon überfüllten Bus riß.
„Mensch Karo, du siehst ja gar nicht gut aus. Wollen wir wieder aussteigen?“ Ein wenig benommen schaute ich Lilly an. Sie stand jetzt da, wo ich gestanden hatte. Langsam begriff ich, daß sie es war, die mich gepackt hatte.
„Nein, geht schon.“, brachte ich würgend hervor und winkte ab.
„Ja sicher, Indien in allen Facetten. Na dann.“, lachte sie hämisch und überließ mich meinem Schicksal. Es schien ihr nicht das Geringste auszumachen, daß sie halb aus dem Bus zu fliegen drohte. Im Gegenteil. Sie lehnte sich mit Absicht noch weiter aus dem Bus heraus. Kunststück, dachte ich, wenn sie fällt, dann fällt sie wenigstens weich auf den Rucksack. Der wippte lustig auf ihrem Rücken herum und hing weit aus dem Bus heraus.

Akash nahm das Hupen des Autos nur aus weiter Ferne wahr. Lilly? Warum dachte er an sie? Er verzehrte sich nach Karo. Im Flugzeug hatte er mit bekommen, wie sie heißen.
Karo. Was für ein Name für eine so wundervolle Frau. Mit geschlossenen Augen stand er auf der belebten Straße und versuchte nun mit Gewalt, sich Karos Gesicht vorzustellen. Verschwommen, nicht greifbar, blitzt ihr Gesicht kurz auf und verschwand sogleich. Durch die geschlossenen Augen bemerkte er die Feuchtigkeit, die sich wagte, seine Wangen herunterzulaufen. Je mehr er sich anstrengte, desto weniger gelang es ihm, Karo zu sehen.
Verärgert ballte er seine Hände so fest zu Fäusten, so daß sich seine Fingernägel erbarmungslos in sein Fleisch bohrten. Ich habe mich in sie verliebt, habe sie berührt, habe sie wieder verloren und nun kann ich mich nicht mal mehr an ihr Gesicht erinnern. Sein Herz erhielt einen Stich von unbekannter Größe. Nein, ich habe mich nicht verliebt. Ich liebe sie. Verzweifelt suchte er hinter den geschlossenen Augen die ihren zu finden. Diese warmen braungrünen Augen, die nach Antworten auf die Liebe suchten. Er wollte sich all ihren Fragen stellen.
Das Schicksal hatte anders entschieden und sie beide wieder auseinandergerissen. Der Schmerz von seinen Händen ausgehend, ließen ihn seine Umgebung wieder wahrnehmen. Er öffnete die Augen und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Seine Kleidung klebte verschwitzt an seinem Körper. Der Wunsch nach einer erneuerten Dusche setzten seine Beine in Bewegung.
Erschöpft lief er die Straße ein kurzes Stück herunter und behielt den Verkehr im Auge, um eine günstige Gelegenheit zum Überqueren abzupassen. Rikschas, Taxis, Mofas, Fahrräder und Busse bahnten sich ihren Weg. Er stoppte und wartete den Verkehr ab.
Einer von vielen rustikalen Bussen nährte sich ihm und bot ihm den überfüllten Anblick, mit dem er aufgewachsen war. Als Kind war er davon fasziniert gewesen, bis es als Erwachsener in die Normalität überging. Er schenkte dem keine Beachtung mehr, schaut aber trotzdem auf, um nicht überfahren zu werden. Sein Blick haftete an dem Bus und verfolgte seine Fahrt. Der Bus kam näher, fuhr an ihm vorbei und entfernte sich wieder. Eine Sache von Sekunden, die aber Akash veranlaßte, erschrocken dem Bus nachzuschauen. Bis er begriff, was er gesehen hatte, bog der Bus um die Ecke und bestimmte ein weiteres Mal sein Schicksal. Aus dem Bus ragte sein Rucksack, der eindeutig an Lilly hing. Sie fahren mit dem Bus. Welche Linie war es nur? Wenn er das wüßte, dann könnte er vielleicht herausfinden, wo sie aufzufinden sind und dann könnten sie die Rücksäcke tauschen. Und er würde Karo seine tiefe Liebe gestehen.

Akash schüttelte seinen Kopf. Warum sollte ausgerechnet das sein Rucksack sein? Es gab viele dieser Art, aber keiner hing an einer Frau, die Lilly so ähnlich sah, dachte er. Der Schock, die Erkenntnis lähmte ihn für den Moment. Diese Zeit nutzte der Bus, um zwischen ihm, Lilly und Karo den Abstand größer werden zu lassen. Eine Verfolgung zu Fuß wäre jetzt ein lustiges Unterfangen, da man durch den Verkehr hechten müßte und sich dabei wie in einem PC-Spiel vorkäme, wo es galt, das nächste Level zu erreichen.
Er glaubte zwar an die Wiedergeburt, wollte diese aber nicht unnötig herausfordern und entschied sich zur Bushaltstelle zu laufen, die ihm Auskunft über die Buslinie geben könnte. Sie sind bestimmt auf dem Weg zum Triumphbogen des Gate of India. Dort fangen die meisten Touristen mit ihrer Sightseeingtour an. Ihm fiel auch spontan kein anderes Gebäude oder anderer Platz ein.
An der Bushalltestelle, die ihm leider nichts Neues verriet, stand er etwas hilflos da. Er hatte zwar vorhin nicht vergessen sich was anzuziehen, aber an Geld hatte er nicht gedacht und damit konnte er das Bus fahren vergessen. Mit der flachen Hand schlug er sich gegen die Stirn. In der Nähe des Gate of India liegt doch das Bürogebäude, in dem er arbeitete. Vielleicht läßt sich einer der Rikschafahrer darauf ein, ihn hinzufahren, zu warten und in der Zeit würde er in sein Büro rennen und etwas Geld holen. Zu Fuß wäre dann der Weg zum Gate nicht mehr weit.
Während dieser Gedankenentwicklung hatte sich sein Arm schon in die winkende Position gebracht und begann auch sogleich mit dem Vorhaben. Akash hatte Mühe, einen Rikschafahrer zu finden, der sich auf seinen Deal einließ. Er stieg ein und der Rikschafahrer fuhr los. Leider war er nicht einer der Schnellsten. Obwohl der Abstand zwischen ihm und dem Bus jetzt mehr als 20 Minuten betragen mußte, war er zuversichtlich. Der Fahrer strengte sich an, durch den dichten Verkehr die beste Zeit herauszuholen. Akash beneidete ihn nicht eine Sekunde um seinen Job. Bei der Hitze mit einem schweren Gefährt im Rücken und das Gewicht der Fahrgäste bedeutete dies doch Knochenarbeit. Nach einer staubigen Fahrt, stieg er vor dem Bürogebäude aus und versprach dem Fahrer gleich wiederzukommen. Der quittierte sein Warten mit einem breiten Grinsen und setzte sich in seine eigene Rikscha.
Am Pförtner vorbei, der ihm einen verwirrten Blick entgegenwarf, hechtete Akash zu den Fahrstühlen. Nun mach schon, dachte er ungeduldig und stürmte auch gleich in die Kabine, als der Fahrstuhl mit einem lauten Ton seine Ankunft prophezeite. Er war allein und drückte den Knopf. Auf seinen Befehl hin schlossen sich die Fahrstuhltüren und er fuhr, ohne anzuhalten, in den vierten Stock. Ein lauter Ton wies ihn an, daß er sein Ziel erreicht hatte. Die Fahrstuhltüren glitten leise auseinander, er trat einen Schritt aus der Kabine und ging geradewegs zu seinem Büro. Als er um die Ecke bog, prallte er mit Dev zusammen.
„Hoppla, was ist denn nun los?“, entgegnete ihm Dev und hielt ihn vor einem eventuellen Sturz an den Schulten fest.
„Hallo Dev.“, begrüßte ihn Akash und wollte sich seinem Griff entziehen.
„Wer sind Sie und was haben Sie mit Akash gemacht? Akash? Akash, bist du das? Tatsache. Was ist denn mit dir passiert?“ Besorgt ließ er ihn los und betrachtete ihn von oben bis unten. Er wußte nicht, ob er über den Aufzug seines Freundes lachen oder weinen sollte. Akash schüttelte über Devs Bemerkung verständnislos den Kopf.
„Was soll schon passiert sein? Ich gehe in mein Büro und dann zur Besprechung zum Chef.“, erwiderte er.
„So?“, lächelte Dev und zeigte nun an ihm herunter. „Du hast keine Schuhe an, keine ordentliche Kleidung. Deine Füße und dein Gesicht sind voller Staub und deine Haare wirbeln zügellos um deinen Kopf. Und wo ist der Rucksack?“
„Scheiße, der Fahrer!“
„Häh, welcher Fahrer?“, fragte ihn Dev nun völlig verwirt. Was zum Teufel ist denn los?“ Da er keine Zeit für lange Erklärungen hatte, ließ er seinen Freund stehen und rannte den Gang zu seinem Büro entlang und rief über seine Schulter, daß er ihm alles später erklären würde. In seinem Büro ging er an die Schreibtischschublade, wo er immer etwas Kleingeld aufbewahrte. Mit dem Geld in der Hand rannte er den Gang zurück, begegnete Dev noch einmal, der immer noch fragend an der Ecke stand.
„Akash!“
„Keine Zeit. Später.“, erstickte er im Keim eine aufsteigende Diskussion und wählte zum Abstieg die Treppe. Er nahm drei auf einmal und stand innerhalb von einer Minute wieder auf der Straße. Er ging zu dem Fahrer, der auf den Lohn seiner Mühe wartete und drückte ihm ein paar Rupien in die Hand. Der Fahrer bedankte sich über die großzügige Entlohnung und wollte schon weiterziehen, als ihn Akash fragte, ob er ihn auch noch zum Gate of India fahren würde. Im Angesicht des jetzigen Lohnes, deutete der Fahrer grinsend auf seine Rikscha und schwang sich auf den Sattel. Akash nahm ebenfalls Platz und hoffte, daß er Karo und Lilly noch rechtzeitig am Gate antreffen würde.
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Lyrika
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Beitrag06.02.2015 23:07

von Lyrika
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Der Bus wippte und wackelte, was mir die Übelkeit noch weiter in den Magen trieb. Wenn nicht gleich ein Wunder geschieht, dann kotze ich in den Bus voll. Die Gerüche, die mir Anfangs auf ihre exotische Weise gefallen hatten, stiegen gefährlich tief in meine Nase. Wenn das bloß nicht so wackeln würde! Mein Unwohlsein wurde noch mit aufsteigenden Hitzewallungen unterstrichen. Jetzt fing ich an, alles doppelt zu sehen. Nein, ich mußte hier raus! Mit letzter Kraft drängelte ich die Leute zur Seite und kämpfte mich zur Bustüre. Halt an, halt doch bloß an, flehte ich innerlich. Wie auf meinen Befehl hin, stoppte der Bus und wieder war der Ansturm groß. Das war mir jetzt ganz egal. Ich wollte nur raus aus diesem Bus. Ich sprang auf die Straße. Der Bus fuhr langsam an und ich konnte noch aus den Augenwinkel entdecken, daß Lilly an der anderen Bustür stand. Scheiße, dachte ich noch und fand mich übergebend am Straßenrand wieder.
„Sag mal, spinnst du total?“ brüllte mich Lilly an. War sie nicht eben noch im Bus? Mir schwirrten die Sinne. Ich hatte Mühe mich auf den Beinen zu halten und zog es vor, mich auf den Bordstein zu setzen, bevor ich der Länge nach hinschlug. Ich senkte meinen Kopf auf meine Knie und ließ meine Arme links und rechts von mir abhängen. Leise kicherte ich vor mich hin. So wie ich da saß, wie ein Affe auf dem Schleifstein.
„Ich möchte mal wissen, was es da zu kichern gibt! Du bist plötzlich weg! Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie ich mich erschrocken habe, als der Bus anfuhr und ich dich hier draußen stehen sehe? Ich dachte, die haben dich aus dem Bus gedrängt. Aber nein, bis ich begriff, daß die liebe Karo den Bus ja freiwillig verlassen hat, konnte ich gerade noch abspringen. Ich hätte mir was brechen können!“ Lilly stand wetternd vor mir und ich hob nicht einmal den Kopf, geschweige, hörte ich, was sie wetterte. Mir war so übel, daß ich nur noch nach Hause wollte. Nicht ins Hotel. Richtig nach Hause. Ich hatte meinen eigenen Mut wohl doch überschätzt.
„Ich will nach Hause!“ brubbelte ich in meinen Schoß.
„Wie bitte?“ fragte Lilly gefährlich scharf „Du willst was?“
„Nach Hause. Nach Deutschland!“ fügte ich kleinlaut hinzu.
„Nein!“ Ohne Gnade packte sie mich am Arm und riß mich mit einem Ruck hoch. Ich war so überrascht über ihre Kraft, die sie unter ihrer aufsteigenden Wut hatte, daß ich keinen Widerstand leistete. Sie schaute mir unvermittelt in die Augen. Immer noch in ihrer Gewalt zog sie mich zu sich heran. Unsere Nasen berührten sich fast. Ich kam mir vor wie in einem Comic, wo sich bei Auseinandersetzungen immer die Nasen berührten.
„Und jetzt hörst du mir mal genau zu! Ich sage es nur einmal! Wir sind hier in Indien und wir werden uns dieses Land anschauen. Zum Schluß machen wir ein paar Tage Erholung auf Goa. Und du machst jetzt nicht schlapp, noch flüchtest du dich in irgendwelche Phobien, noch gibst du mir irgendwelche dämlichen Ausreden, warum du das oder jenes nicht kannst.“ Sie zog mich noch näher an mich heran „Hast du mich verstanden?“ brachte sie zähneknirschend hervor. Mir war ihre aufbrausende Art ja bekannt, aber das ich sie mal auf diese Weise zu spüren bekam, war mir nicht bewußt. Ich konnte die Situation nicht einordnen und versuchte meinen Arm zu retten, der unter Lillys Druck einige Läsionen zurückbehalten würde. Sie bemerkte meinen Befreiungsversuch und ließ meinen Arm los.
„Hast du mir zugehört?“ fragte sie ungeduldig.
„Ja doch! Mir war schlecht und ich hätte beinahe den Bus vollgekotzt. Dann doch besser so, oder?“ Beschämt deutete ich auf den Straßenrand. Lilly folgt meiner Handbewegung und schaute mich an.
„Das tut mir leid! Aber hättest du nicht noch schnell nach mir rufen können? Hätte ich dich nicht noch gesehen, dann wären wir getrennt gewesen. Wir sind hier in Bombay und allein möchte ich hier nicht herumlaufen. Geht es dir denn besser?“ Ihr Tonfall nahm einen sanfteren Ton an.
„Ich konnte wirklich nicht mehr rufen. Außerdem dachte ich, ich hätte die richtige Bustür erwischt. Na, das ist ja noch einmal gut gegangen. Entschuldige bitte.“
„Schon gut, aber das nächste Mal mit Ankündigung.“
„Ich werde es meinem Magen ausrichten.“ grinste ich sie schief an und umarmt sie spontan. Dann ließ ich sie wieder los. „Sei mir nicht böse, aber mir ist immer noch so übel. Ob es dir was ausmacht, wenn wir zum Hotel zurücklaufen?“ fragte ich zögernd. Sie rollte entnervt die Augen, verzog ihre Mundwinkel zu einer Schnute und atmete seufzend ein.
„Also gut. Aber nur für heute. Morgen fahren wir die Stadt ab! Na dann los, laufen wir wieder zurück. Aber das wird ein ordentlicher Fußmarsch werden. Vielleicht finden wir auf dem Weg eine Entwicklungsbude für den Film.“ Ach ja, der Film, fiel es mir wieder ein. Bei dem Gedanken, was er preisgeben würde, wurde ich mit einem Zucken im Magen überrascht. Ob er auf einem der Fotos zu finden sein wird? Die Vorfreude auf des Rätsels Lösung, drehte ich mich um und gab Lilly zu verstehen, daß wir jetzt aufbrechen könnten. Sie lächelte mich an, setzte sich in Bewegung und so liefen wir die Buslinie zu unserem Hotel zurück.

Das Laufen tat mir gut. Die Übelkeit legte sich und ich fing an, die Geschehnisse um mich herum zu genießen. Der Verkehr auf der Straße nahm nicht ab. Ich hatte den Eindruck, er nahm zu. Es wurde geklingelt, gehupt und gerufen, damit in dem ehe schon herrschendem Chaos, kein Weiteres entstand. Ich bewunderte die anhaltende Geduld der Inder, wie sie das Chaos hinnahmen. Für sie schien es Normalität zu sein. Mich selber erinnernd erschien mir der Verkehr in meiner Heimatstadt auch als Normalität. Ja, so ist es halt, andere Länder, andere Sitten. Wir liefen an vielen kleinen Läden vorbei, die wir aber nicht betraten. Aus jedem Laden strömte einer der exotischen Gerüche. Mal roch es mehr nach Gewürzen, mal mehr nach Räucherstäbchen, mal nach beidem zusammen. Aber immer mischte sich der Staub der Straße frech unter die Gerüche. Die Besitzer forderten uns zwar auf, ihrer Waren zu betrachten, in der Hoffnung, daß wir etwas kauften. In jedem Laden konnte man Saris, Armreifen, Gewürze, Stoffe und kleine Gottheiten erstehen. Die Straße hatte sich nach unserem Eindruck nach ein wenig auf den Tourismus  eingerichtet. Wir hatten uns vor unserer Reise schon abgesprochen, daß wir erst einmal alles anschauten und dann kauften, was uns gefiel. Dankend lehnten wir die Gastfreundlichkeit ab und verwiesen die Besitzer auf ein anderes Mal. Um nicht die Orientierung zu verlieren, liefen wir streng die Buslinie ab. Schließlich bogen wir in die Straße ein, auf der am Ende unser Hotel in Sicht kam. Erschöpft, aber glücklich, ließen wir uns in die Sessel fallen, die in der Eingangshalle standen.
„Puh, das war aber ein Marsch! Nicht noch einmal!“ stöhnte Lilly und schnallte den Rucksack ab. „Och, verdammt, wir haben jetzt gar nicht auf eine Entwicklungsbude geachtet.“ sagte sie, als der Rucksack zwischen ihren Beinen platz nahm.
„Richtig! Der Film! Ich hab auch nicht darauf geachtet. Ich war so von dem Leben auf der Straße fasziniert, da ist mir der Film nicht mehr eingefallen.“ Ich war sauer auf mich, weil es mir unter den Nägeln brannte, den Film endlich entwickeln zu lassen.
„Frau Wagner?“ Aus meinen Gedanken gerissen, schreckte ich hoch.
„Wie? Äh, nein, daß ist meine Freundin.“ stammelte ich und weiß auf Lilly.
„Frau Wagner?“ wiederholte der Mitarbeiter des Hotels. Er sah sehr schick aus, in seinem Anzug und mit seinem Namenschild. Leider stand er seitwärts zu mir und so konnte ich nicht erkennen, wie er hieß.
„Ja, ich bin Liliane Wagner. Was gibt es denn?“ fragte Lilly leicht verunsichert.
„Es ist vorhin ein Einschreiben für sie gekommen. Ich wollte sie so schnell wie möglich davon in Kenntnis setzten.“ antwortete er höflich und gab Lilly mit einer Handbewegung zu verstehen, daß sie ihm folgen sollte. Sie stand auf, warf mir einen ratlosen Blick zu und folgte dem Mitarbeiter, der sich schon in Richtung Rezeption befand. Was das wohl für ein Einschreiben war? Hoffentlich nichts Schlimmes? Nervös beobachtete ich den Wortwechsel, den Lilly mit dem Mitarbeiter führte. Dann unterschreib sie irgend etwas und kam wieder auf mich zu. Sie setze sich und nahm mir mein ungutes Gefühl, indem sie mit dem Durchschlag des eben unterschriebenen Papiers ein breites Grinsen von sich gab.
„Mein Vater, der Goldschatz! Er hat sofort überwiesen. So sind wir wieder startklar und können die Läden leer kaufen.“ Erleichtert sank ich tiefer in den Sessel und wäre am Liebsten eingeschlafen vor Gemütlichkeit.
„Ja, dein Papa ist ne Wucht! Wollen wir was essen?“ fragte ich leicht schlaftrunken.
„Und dann ein wenig schlafen?“ ergänzte Lilly meinen Wunsch.
„Prima Idee. Laß uns in das Restaurant gehen, bevor ich hier im Sessel einschlafe.“ Ich stand auf und sah zur Rezeption. Der Mitarbeiter lächelte mir entgegen. Hübscher Kerl, dachte ich mir und nahm diesmal den Rucksack. Da kam mir ein Gedanke. Ohne Lilly zu informieren, ging ich auf die Rezeption zu und ließ den Mitarbeiter nicht aus den Augen. Der wurde Angesichts meiner Entschlossenheit unsicher und wollte sich zur Ablenkung geschäftig einigen Papieren zuwenden. Ehe er dieses Unterfangen in Angriff nehmen konnte, stand ich vor ihm und legte den Arme lässig auf den Tresen.
„Entschuldigen sie, ich glaube, sie könnten mir weiterhelfen.“ sagte ich. Verdutzt zog er die Augenbrauen hoch und wartet auf mein Anliegen. „Sie kennen sich doch hier aus!“ Er lächelte und rückte seine Krawatte zurecht.
„Ja, ich bin in Bombay aufgewachsen. Womit kann ich ihnen helfen?“
„Ich suche eine Entwicklungsbude!“ Sein Lächeln entwich aus seinem Gesicht und er rückte zum besseren Verständnis etwas an mich heran.
“Eine was bitte? Entwicklungsbude?“
„Ach so, ja! Entschuldigung! Ich suche ein Fotostudio oder etwas Ähnliches, wo ich einen Film entwickeln lassen kann. Sollte aber eins sein, was schnell entwickelt.“
„Ja, jetzt weiß ich, was sie meinen. Ja, geben sie mir den Film und ich werde ihn schnellstmöglich entwickeln lassen.“ antwortete er und streckte mir seine offenen Hand entgegen. Ich war sichtlich verwundert über die Hilfe, die er mir anbot, daß ich ihn einfach nur anschaute. Wirklich hübscher Kerl. Er stand immer noch mit ausgestreckter Hand da und kam sich etwas dumm vor, wie er da so vor mir stand. Um diese Haltung nicht länger aushalten zu müssen, forderte er mich nochmals auf, ihm den Film gegen zu können.
„Ja, der Film. Moment bitte.“ Mit Schwung hob ich den Rucksack auf den Tresen und suchte nach dem Film. Ich fand ihn und drückte ihn in die offenen Hand des Mitarbeiters. Mr. Dutt stand auf seinem Schild geschrieben.
„Danke, Mr. Dutt. Wann wird der Film den fertig sein?“
„In drei bis vier Tagen. Ich werde sie dann informieren. Kann ich sonst noch etwas für sie tun?“ fragend schaute er mir tief in die Augen.
„Oh nein, vielen Dank.“ lächelte ich ihn zuckersüß an, schnallte mir den Rucksack um und lief in Richtung Hotelausgang. Ich trippelte vor mich hin und war so im Gedanken an den tiefen Blick, den ich ebnend bekommen hatte. Kurz vor dem Ausgang nahm ich Lilly war. Sie sah mir mit geöffnetem Mund hinterher und verstand die Welt nicht mehr. Innerhalb der letzten drei Minuten hatte sie mich und eine Szene beobachtet, die sie mir wohl so nicht zugetraut hätte. Ich, allein mit jemand sprechend, den ich nicht kenne und dann noch so mutig durch das Hotel tänzelnd. Das ließ sie verstummen. Hätte ich nicht in diesem Augenblick zur Seite geschaut, hätte ich sie heute zum zweiten Mal einfach stehenlassen, wie einen alten Koffer. Sie war nicht die einzige, die mich beobachtete und ich wurde mir bewußt, daß noch einige andere meinem ungewöhnlich tänzelnden Schritt zuschauten. Selbst Mr. Dutt war von der Partie. Nur jetzt keine Blöße zeigend tänzelte ich kurz vor dem Ausgang halb um mich herum und dann auf Lilly zu. Spiel jetzt bloß mit, flehten meine Augen schon von weitem. Aber Lilly dachte gar nicht dran, als ich nun vor ihr zum stehen kam. Breit grinste ich sie an uns zischelte durch mein grinsen, daß sie sich doch jetzt auf den Weg in das Restaurant machen sollte. Wild funkelten ihre Augen auf. Diesmal packte ich ihren Arm und schritt mit ihr durch die Halle bis zum einem Tisch in dem Restaurant. Wir setzten uns.
„Karo, sei mir nicht böse, aber du hast sie echt nicht mehr alle, oder? Was hast du dem denn gegeben und was hat er getan, daß du mich stehen läßt und aus dem Hotel tänzelst?“ Ich konnte mir eine Antwort zurechtlegen, da in diesem Moment der Ober kam und uns die Karten auf den Tisch legte. Ich nahm eine der Karte, schlug sie auf, hielt sie vor mein Gesicht und fing an zu lachen. Ich konnte nicht mehr aufhören, obwohl ich es wollte, es ging nicht. Mir liefen die Tränen herunter und ich drückte die Karte tiefer an mein Gesicht. Das Lachen durchschüttelte mich so heftig, daß ich langsam Bauchschmerzen bekam. Nach ein paar Minuten legte sich der Lachkrampf und ich ließ die Karte sinken, um sie auch gleich wieder an mein Gesicht zu drücken, weil ein erneuerter Lachkrampf in Anflug war. Beim Sinken der Karte wurde mein Blick auf Lilly freigegeben. Sie saß mit verschränkten Armen, wutroten Wangen und Feuer in den Augen vor mir. Hatte ich da nicht eben Dampf aus ihren Ohren steigen gesehen? Bei dem Gedanken verschluckte ich mich fast vor lachen. So einen Lachkrampf hatte ich noch nie. Das können ja richtige Schmerzen sein! Um den Lachkrampf meines Lebens zu erleben, mußte ich also nach Indien reisen.
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Beitrag13.02.2015 21:34

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Viel Spaß Wink

Der Rikschafahrer strampelte sich durch den dichten Verkehr. Akash saß hinter ihm und beneidete ihn nicht eine Sekunde lang. Nachher würde er ihn ausreichend für seine Dienste honorieren. Obwohl das Gate nicht weit von dem Bürogebäude entfernt war, kam Akash der Weg heute wie ein langgedehntes Gummiband vor. Innerlich betete er, daß er rechtzeitig ankommen würde und Lilly und Karo antreffen würde. Dann könnte er alles aufklären und es würde wieder alles in seinen geregelten Bahnen weitergehen. Aber wollte er nicht auch Karo seine Liebe gestehen? Bei dem Gedanken rutschte er nervös hin und her. Diese Aktivität hatte zur Folge, daß der Rikschafahrer das sich verlagernde Gewicht durch kräftigeres Treten ausgleichen mußte. Er warf Akash einen mißmutigen Blick über die Schulter. Dieser Verstand sofort und verhielt sich den Rest der Fahrt ruhig. Endlich, sie waren vor dem Gate zum stehen gekommen. Akash gab dem Fahrer den Rest seines Geldes und entließ ihn aus seinen Diensten. So, jetzt mußte er nur noch warten. Er hatte gar nicht mehr auf die Uhr geschaut und somit auch nicht die leiseste Ahnung, wie lange der Bus, in dem Lilly und Karo waren brauchen würde. Oder ob sie sich vielleicht erst noch woanders umschauten. Zum Zeitvertreib ging er auf der Straße vor dem Gate auf und ab, schaute auf ankommende Touristen und versuchte niemanden aus den Augen zu lassen, der auch nur im Entferntesten Ähnlichkeit mit den beiden haben könnte. Wenn er jemanden erblickte, auf den die beiden zu treffen könnte, dann bleib er im sichern Abstand, da er nicht noch einmal eine Begegnung mit einem Kleiderschrank erleben mochte, wie es ihn heute morgen passiert war. Er wußte nicht mehr, wie vielen Touristen, Bussen und Rikschas er hinterher geschaut hatte. Erschöpft und hungrig setzte er sich auf die Mauern vor dem Gate, die die Begrenzung für ein Stück Rasen anzeigte. Er rieb sich mit beiden Händen durch das Gesicht und schaute dann direkt auf das Gate. Eigentlich könnte ihm das Gate gestohlen bleiben, aber als er so vor ihm saß, betrachtete er es mit mehr Interesse. Der Triumphbogen des Gateways of India wurde 1911 zur Krönung Georgs V. zum Kaiser von Indien erdacht. Fertig gestellt wurde er allerdings erst 1924. Akash kannte sich mit der Geschichte nicht so aus, hatte aber die wichtigsten Daten und Ereignisse seines Landes im Kopf. Was er jetzt lieber in seinem Kopf hätte, wäre Karo. Er stand auf und ging links am Gate vorbei, wo er auf das offene Meer schauen konnte. Wo bleiben sie denn bloß? Ich kann nicht mehr länger warten. Traurig ließ er seinen Blick am Horizont entlang schweifen. Die Schiffe sahen aus der Entfernung auf den Streifen, an dem sich Himmel und Erde berührten, wie aufgesetzt aus. Der Auftrag, dem ihm der Chef angeboten hatte, war gefährlich, aber auch lukrativ. Sein Ansehen würde steigen und auch sein Honorar. Er brauchte ein wenig mehr Geld, damit er seine Eltern unterstützen konnte. Jetzt war es an der Zeit, ihnen ein schönes Leben zu bereiten. Für sich selber hatte er sich eine Familie ausgemalt. Ein liebende Frau, die er täglich verwöhnen konnte und Kinder. Ja, er wollte Kinder. Am liebsten zwei Jungen und ein Mädchen. Er lächelte bei diesem Gedanken und es zuckte heftig in seinem Magen, als er sich vorstellte, wenn ihm Karo sagen würde, sie erwartet ein Kind von ihm. Er hatte sich den Gedanken mit der Familie öfter vorgestellt, aber noch nie war er so intensiv und brennender in sein Innerstes gedrungen wie an diesem Tag! Wie in diesem Moment! Wie an diesem Ort! Ihn wurde leicht schwindelig und er mußte sich an dem Eisenzaun festhalten, der vor ihn stand. Er kannte viele Frauen, war sich aber immer treu geblieben. Nun hatte das Schicksal für entschieden. Karo war die Frau, mit der er durch das Leben gehen wollte. Aber wie sah es mit ihr aus? Was sag ich ihr, wenn sie beide gleich hier auftauchen? Karo, ich liebe dich. Willst du meine Frau werden? Dieser Ohrfeige konnte er sich sicher sein. Zumal Lilly dabei war und er noch lebhaft das Getippe auf seiner Brust vom Flughafen spürte. Würde sie die Frage mitbekommen, dann bleib es wohl nicht bei dem Getippe. Nein, mit der Tür ins Haus fallen, daß würde alles kaputt machen. Ihr endlich seine Liebe zu gestehen machte ihn noch ungeduldiger, als endlich den Film in der Hand zu halten. Verdammt! Nächste Mal kette ich mir die Sachen an die Hand, dann erspare ich mir vieles an Ärger. Aber so hätte ich nie die Gelegenheit bekommen, sie doch noch einmal zu treffen. Aber warum kamen sie nicht? Was war geschehen? Er konnte nicht mehr länger warten, wandte sein Gesicht vom Horizont ab und lief schweren Herzens wieder zum Büro zurück.

Die Hitze der Stadt machte ihm eigentlich nichts aus, aber an diesem Tag kam sie ihm unerträglich vor. Seitdem er den Auftrag angenommen hatte, lief seiner Meinung nach alles schief. Und der Höhepunkt war der verlorene Film. Er hatte mit Dev gute Arbeit geleistet und mit ihm vereinbart, daß er noch drei Tage länger in Deutschland blieb. Solange konnte der Abschluß des Auftrages noch warten. Durch seinen Beruf als Medienwissenschaftler interessierte ihn, wie andere Länder arbeiteten. Sicher, kommt man mit den Menschen ins Gespräch, aber es ging dabei hauptsächlich um den Beruf. Es ließ sich öfter nicht einrichten, daß er sich Land und Leute für sich entdeckte. Dafür sorgte schon sein Chef. Er bemaß die Zeit der Aufträge immer sehr knapp. Wir müssen schnell und gut arbeiten, aber wenig an Ausgaben haben hallten seine Worte wie im Stereoton in Akashs Ohren. Im Grunde genommen hatte er ja recht, aber wenn man schon mal in der Weltgeschichte umherreist, warum dann nicht ein wenig Kultur genießen? Diesmal konnte er sich durchsetzten und dem Chef drei Tage aus dem Kreuz leiern. Aber keinen Tag länger! Und nur weil ihr gute Arbeit geleistet habt. Bleibt Dev bei dir? Nein, er will zu Hause noch was erledigen. Somit waren es seine Tage in Deutschland. Er hatte mit Dev in Frankfurt ein Hotelzimmer.
„Bleib doch noch.“ sagte Akash, während er aus dem Fenster sah. Sein Freund packte den Koffer und schien in Eile zu sein. „Was hast du denn noch zu erledigen? Und so eilig.“ Er ging auf Dev zu und zwinkerte ihm entgegen. „Da steckt doch eine Frau dahinter. Kenne ich sie? Ist es die Hübsche aus unserem Büro? Die aus der ersten Etage? Wie heißt sie doch gleich?“ belächelte er seine Frage und suchte mit der Hand schwingend in der Luft nach dem Namen der Hübschen. Dev machte die typische Bewegung eines kofferpackenden Menschen. In halbgebückter Haltung vom Schrank zum Koffer, vom Koffer zum Schrank und wieder zurück.
„Nein, es ist nicht die Hübsche aus der ersten Etage. Sie ist ohne Zweifel eine sehr hübsche Frau, aber nicht mein Typ. Im übrigen ist ihr Name Amisha.“ Ohne eine Miene zu verziehen packte er den Koffer weiter voll. Es ärgerte ihn, daß Akash eine sehr feine Ader hatte, was die Empfindungen oder Handlungen eines Menschen betraf. Er konnte förmlich spüren, was in einem vorging. Vielleicht auch nur, weil sie sich schon eine Ewigkeit kannten. Und er ihm nicht mehr so schnell etwas vormachen konnte.
„Komm schon! Wenn es nicht die ist, dann ist es eine andere. Wer ist es?“ Akash hatte sich neben den Koffer auf das Bett gelegt. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen und wartete auf eine Antwort.
„Also gut, du läßt ja eh nicht locker. Ja, es geht um eine Frau. So, bist du nun zufrieden?“ Genervt warf Dev die letzten Kleidungsstücke in den Koffer.
„Nicht ganz.“ grinste Akash zufrieden, mit dem was er gespürte hatte und was sich mal wieder nicht als Irrtum herausstellte. „Wer ist sie?“ fragte er nochmals nachdrücklich und gab damit seinem Freund zu verstehen, daß er nicht aufgeben würde. Dev war in der Zeit in das Badezimmer verschwunden und packte dort weiter.
„Dev! Dev?“ ungeduldig wartete er, bis Dev endlich geknackt war. „Dev!“ Ein mehr als zorniges Gesicht tauchte aus der Tür auf.
„Wenn du nicht gleich aufhörst, verprügle ich dich!“ Das Gesicht verschwand, um gleich darauf wieder mit dem Rest des Körpers durch die Tür auf den Koffer zuschreitend zu erscheinen. Die Kulturtasche entging nicht der Wut, die sich bei Dev aufbaute. Sie wurde zwischen die Kleidung gestopft. Ihre Rache war, daß sie so viel Platz beanspruchte und der Koffer nicht ohne Gewalt zuzukriegen war. Dev setzte sich auf den Koffer und nun mußte die Kulturtasche unter dem Gewicht klein beigeben. Der Koffer schloß sich und Dev blieb auf ihm sitzen. Er hatte den Rücken zu Akash gewandt. Die Hände legte er auf die Knie und rieb sich die Oberschenkel.
„Ja, ich hab eine Frau kennen gelernt.“ Aufmerksam hörte Akash zu. Jetzt würde es interessant werden. Aber irgend etwas störte ihn in dem Tonfall, den Dev anschlug.
„Was ist den mit ihr? Du klingst komisch, wenn du von ihr sprichst. Ist sie vielleicht….?“ Dev winkte den Rest des Satzes ab.
„Nein, mit ihr ist alles in Ordnung. Ich habe sie…..also, wir sind……wie soll ich sagen?“ Er holte tief Luft. „Also, wir haben uns über das Internet kennengelernt. So, jetzt ist es raus.“
„Aha?“ war das einzige, was Akash einfiel.
„Ja, aha! Internet. Mir war eines Abends langweilig und so bin ich durch das Net gesurft, wie es so schön heißt. Ja, und da tauchte sie auf. Natürlich nur schriftlich. Wir haben uns dann auch eine ganze Weile geschrieben und uns immer öfter im Net verabredet. Es macht Spaß!“
„Hast du sie… ich meine, bist du…..hast du sie gerne?“
„Hm, verdammt gerne!“ seufzte Dev und stand auf. „Ich wollte ja mit dir bleiben, aber sie verreist in drei Tagen.“
„Und vorher wolltest du mit ihr noch chatten? Verstehe! Gegen eine Frau kann ich nichts ausrichten. Aber du brauchst doch deswegen nicht so ein gedrückten Ton in deine Stimme bringen. Macht ein ja ganz unsicher. Oder bist du traurig, weil du sie eine Weile nicht sprichst?“ Akash ging wieder zum Fenster und schaute sich schon mal von hier oben an, welche Orte er besichtigen wollte.
„Nein, darüber bin ich nicht traurig. Ich bin verunsichert.“ Dev lief nervös zum Schrank, dann ins Bad, um sicher zu gehen, daß er auch nichts vergessen hatte.
„Wieso verunsichert? Hat sie denn keinen Internetanschluß, da wo sie hin verreist? Hast du Sorge, daß ihr den Kontakt verliert?“ rief er in das Badezimmer, als er sich umdrehte und das Zimmer leer vorfand. „Wohin verreist sie denn eigentlich?“
„Nach Indien!“
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Beitrag15.03.2015 22:02

von Lyrika
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Unbewußt hatte er jedem Bus und jeder Rikscha nachgeschaut. Dadurch reduzierte sich zwar die Langeweile, die sich bei ihm einstellt, wenn er längere Strecken läuft, aber die beiden Frauen hatte er trotzdem nicht entdecken können. Er war so im Gedanken, daß er beinahe an dem Bürogebäude vorbeigelaufen wäre. Diesmal schaute der Pförtner ihn nicht verwirrt an, sondern schüttelte den Kopf und ging auf Akash zu.
„Mein Herr, es tut mir leid, aber sie können nicht so hier herein!“ entgegnete er ihm und wies ihm mit einer Handbewegung der Tür. Guter alter Johnny! Kommt seiner Pflicht wirklich nach.
„Ich bin’s, Akash!“ grinste er aus seinem verlegenen Gesicht heraus. Johnny stutzte, korrigierte seinen Blick und schob dann seine Mütze entschuldigend auf seinem Kopf hin und her.
„Oh, Akash. Ich habe sie nicht gleich erkannt. Ich… sonst sehen sie…..na ja, sie sind so…..“ Hilfesuchend durchwühlte Johnny sein Gehirn nach den passenden Worten für den Anblick, der ihm sich bot.
„Schon gut, Johnny. Ich weiß, ich sehe aus wie ein Ferkel. Entschuldigung, aber ich muß jetzt dringend zum Chef.“ Er klopfte ihm auf die Schulter und lief zum Fahrstuhl.
Der laute Ton, Fahrstuhltür auf und wieder zu, lauter Ton, vierte Etage und er stand mitten im Flur. Nur noch ins Büro, nur noch etwas trinken. Ihm war bewußt, daß er seit dem Morgen nichts mehr gegessen oder getrunken hatte. Sein Kreislauf machte sich auch sogleich an die sträfliche Mißachtung so vernachlässigt zu werden und bescherte ihm nach dem langen Marsch einen sehr trocknen Mund. Auf jeder Etage stand ein Wasserspender. Ach, warum nicht gleich etwas trinken. Akash ging bis zur Ecke, wovon sich die Etage in einen anderen Gang gabelte. Auf dieser Seite lag Dev sein Büro. Erst etwas trinken, dann Dev bescheid geben. Am Wasserspender, der gurgelnd zum Ausdruck brachte, wenn sich einer Seiner bediente, schüttete er mehrere Becher nacheinander seine trockene Kehle herunter. Beim trinken fiel ihm plötzlich auf, daß es auf dem Gang ruhig war. Keiner lief herum, keiner sprach, keiner zu sehen. Wo waren die bloß alle? Sonst tobte hier das Leben. Bei seinem letzten Becher kam es ihm wie ein Geistesblitz und er schmiß den noch halbvollen Becher in den Abwurf. Mist, die Konferenz! Deswegen war das hier so ruhig. Akash rannte bis zum Ende des Ganges, an Dev seinem Büro vorbei und stand vor dem Konferenzraum. Er riß die Tür auf und sah auf seine Kollegen.
Was sollte er sagen? Daß er von Außerirdischen entführt worden war und nun geistesgestört wieder auf dem Planeten Erde aufgetaucht ist? Alle starrten ihn an. Alle 20 Kollegen, Dev und sein Chef. Sie hatten sich herumgedreht und saßen da mit geöffneten Mündern, unfähig bei dem was sie in der Tür sahen etwas zu sagen. Akash schaute sie unvermittelt an und dann erblickte er sich in dem kleinen Spiegel, der an der Konferenztür hing. Der Chef hatte ihn anbringen lassen, damit man sein Äußeres noch einmal überprüfen konnte, ehe man den Saal betritt. Er ließ die Tür los und schwang sie weiter auf, um sich besser sehen zu können. Und was er da sah, erschreckte ihn. Das mit der Entführung würde er jetzt sogar selber glauben. Er hatte mehr als zerzaustes Haar, seine Kleidung war staubig, verschwitzt und zerknittert. Seine Füße standen vor Dreck und sein Bart machte sich auch schon wieder an das Nachwachsen. Wie sehe ich denn aus? Noch nicht einmal nach dem Sport sehe ich so aus. Und was hat mir das jetzt eingebracht? Was habe ich davon? Daß ich das Gesprächsthema der ganzen Etage bin.
„Scheiß Weiber!“ brüllte er in die Runde, knallte die Tür zu und stapfte wütend den Gang zurück in sein Büro. Auch seine Bürotür brachte unter dem Schwung, den sie verpaßt bekam, ein lautes Knallen von sich. In jedem Büro gab es eine kleine Waschecke. Mit Eifer machte er sich daran, wenigstens seine Haare und sein Gesicht zu waschen. Er bückte sich und verschwand mit dem Kopf unter dem Wasserhahn. Das Wasser rauschte über seine Haare und er rubbelte sie kräftig durch.
„Akash?“ vernahm er verschwommen durch das Wasserrauschen und erschrak. Viel zu schnell kam er hoch und prallte unsanft mit dem Wasserhahn zusammen.
„Aua! Ach, was ist das denn heute bloß? Wer ist denn da?“ Verärgert griff er nach dem ihm angebotenen Handtuch und trocknete seine Haare. Er schaute hoch und erblickte Dev. „Ach du bist es. Ich dachte schon, der Chef mit der Kündigung. Was gibt es?“ Akash achtete nicht auf seinen Freund, sondern setzte sich in seinen Bürosessel.
„Bist du komplett bescheuert? Was es gibt? Du tauchst in diesem Zustand auf, beleidigst die Frauen und fragst mich jetzt, was es gibt?“ Kopfschüttelnd tat er es Akash nach und setzte sich in den anderen Bürosessel. Fragend schaute er seinen Freund über den Schreibtisch an.
„Was?“ erwiderte Akash genervt.
„Ich habe dir schon so oft in unserer Freundschaft Prügel angedroht. Es blieb immer bei der Drohung. Wenn du es mir jetzt nicht erzählst, dann wird es diesmal nicht bei der Drohung bleiben. Also, du hast die Wahl. Erzähle!“ Und Akash erzählte von dem Moment an, als er Dev am Flughafen in Frankfurt verabschiedet hatte.

Als Akash seinen letzten Satz gesprochen hatte, trat eine bedrückende Stille in den Raum. Er hatte alles, aber auch alles erzählt. Nun fühlte er sich leer und ausgepumpt. Noch nie hatte er seinem Freund seine tiefsten Gefühle gestanden. Es war ihm aber auch noch nie so ernst mit einer Frau. Dev hatte seine Augen geschlossen und rieb sich mit den Handflächen über das Gesicht.
„Der Film! Unsere Arbeit! Alles Futsch! Wir können einpacken!“ Schwach kamen seine Worte aus dem Wall, den seine Hände vor seinem Mund bildeten.
„Ich werde die Schuld auf mich nehmen. Schließlich hatte ich ihn im Rucksack!“ sprach Akash ihm Mut zu.
„Ja, du hattest ihn auch nur im Rucksack, weil ich ihn in der Nachtischschublade vergessen hatte. Sonst wären die Bilder schon längst im Druck. Scheiße! So eine verdammte Scheiße!“ rief Dev, stand auf und klatschte mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. Akash erschrak und blickte ihn an. Wie verzweifelt war er jetzt, daß er sich so gehen ließe, überlegte er und stand auf.
„Mensch, an der Arbeit hing soviel. Ich will nicht gefeuert werden! Das kann ich mir nicht erlauben!“ Nervös lief er im Büro auf und ab, schlug bei jeder Drehung diesmal mit der Faust auf den Schreibtisch und murmelte verdammt, verdammt.
Akash ließ ihn kurz seine Wut, seine Enttäuschung, seine Verzweiflung ausleben und stoppte ihn dann in seinem Tun.
„So, nun komm mal wieder zu dir! Ich habe gesagt, ich werde alles auf mich nehmen und dabei bleibt es. Dir passiert nichts. Ich werde gleich zum Chef gehen und…..“
„In diesem Aufzug willst du zum Chef? Na, Prost Mahlzeit! Der wird sich aber freuen! Aber auch nur, weil er dich richtig rund machen kann. Mann, Akash, du hast echt den Vogel abgeschossen! Aber auch wenn es so ist! Wir haben beide die Schuld am verschwinden des Filmes. Nein, ich stehe hinter dir!“ Sie standen sich gegenüber, schauten sich in die Augen und umarmten sich. Während sie so standen, seufzte Akash unmerklich auf. Dev löste sich aus der Umarmung.
„Dich hat’s echt erwischt, oder?“
„Wie?“ Unsicher ging Akash zu der Waschecke hin und wußte auch nicht so recht, was er da wollte. „Ich weiß es nicht.“ Du verlogener Mistkerl, dachte er, natürlich weiß du es. Ablenkungsmanöver!
„Hast du sie noch erreicht?“ fragte er mit gefestigter Stimme.
„Wen meinst du? Ach so, ja, du meinst meine Internetbekanntschaft. Ja, sie hat mir noch geschrieben, bevor sie los fuhr. Ich konnte sie leider noch nicht erreichen. Aber sie müßte schon in Indien sein. Vielleicht meldet sie sich, wenn sie an einen Anschluß kommt. Sie hat mir jedenfalls geschrieben, daß sie sich freuen würde, wenn wir uns mal treffen könnten. Aber das wird wohl ein Ding der Unmöglichkeit werden. Ich weiß ja noch nicht einmal ihren Namen.“ Dev schaute lachend Akash an.
„Du weißt nicht, wie sie heißt? Dev! Du chattst mit ihr und weißt nicht, wie sie heißt? Du bist mir ja einer!“
„Na, ihren richtigen Namen kenne ich nicht. Ich hab ihr aber die Adresse von unserem Büro gegeben. Falls sie doch in der Stadt ist und sich mit Begleitung Bombay anschauen möchte.“ Mit geschwollener Brust stand er vor Akash und wußte, daß er als Stadtführer eine gute Figur machen würde.
„Du kennest nicht ihren richtigen Namen? Aha, sie hat also einen Nickname. Sehr suspekt, diese Dame!“ sagte Akash, während er auf die geschwollene Brust seines Freundes klopfte.
„Ja, ihren richtigen Namen würde ich schon gerne wissen. Sie immer mit Clockmaker anzusprechen ist schon komisch.“

Das Flattern wurde immer lauter. Mit jeder Umdrehung des Deckenventilators hatte ich den Eindruck, gleich landet er in unserem Bett. Es war dunkel und von der entfernten Hauptstraße her klang der Lärm des Verkehrs an mein Ohr. Der nimmt wohl nie ab, dachte ich mir und drehte mich auf den Rücken. Ich hatte Muskelkater von meinem Lachkrampf. Zum Glück war es dunkel und so konnte Lilly nicht mein leichtes Lächeln sehen, was sich auf meinem Gesicht abzeichnete bei dem Gedanken an diesen Ausbruch. Sicher, gelacht hatte ich schon immer gerne und viel, aber das im Restaurant übertraf alles. Ich fühlte mich danach so ausgelaugt, aber glücklich. Als hätte ich die letzten fünf Jahre einfach weggelacht. Der Lachkrampf verebbte, ich ließ die Karte sinken und fand einen leeren Stuhl vor. Lilly war nicht mehr da. Schuldbewußt legte ich die Karte auf den Tisch, stand auf und ging in unser Zimmer. Sie hatte sich auf das Bett gelegt und laß ein Buch. Davon hatte sie ja genug mitgenommen. Kein Aufschauen, keine Begrüßung. Was hatte ich von ihr erwartet? Ich an ihrer Stelle hätte wahrscheinlich genauso reagiert. Leise ging ich in das Badezimmer. Ich überlegte, was ich jetzt tun sollte? Sie ansprechen? Dann würde sie mir bestimmt die Haare ausreißen. Sie in Ruhe lassen? Ja, ich entschloß mich sie erst einmal in Ruhe zu lassen und mich später bei ihr zu entschuldigen. Ich erblickte mich im Spiegel. So wie ich aussah, konnte ich mal wieder eine Dusche gebrauchen, obwohl ich heute morgen schon geduscht hatte. Bei den Temperaturen lechzte der Körper nach mehr Abkühlung als sonst. Ich gönnte ihm den Spaß und duschte diesmal länger. Mit dem Handtuch um den Körper geschlungen kam ich aus dem Badezimmer. Nanu, wo war den Lilly hin? Das Bett war leer, das Buch aufgeschlagen auf dem Nachtisch gelegt und ihr Brustbeutel lag nicht mehr auf dem Tisch. An Stelle Seiner lag ein Zettel auf dem stand: Bin im Restaurant. Möchte allein sein. Lilly! Ich ließ den Zettel sinken und setzte mich auf den Stuhl. Völlig geschockt über ihre Zeilen stiegen mir Tränen in die Augen. Es war wie ein Déjà-vu. Hatte ich nicht schon einmal solche ähnlichen Zeilen gelesen, die mir einen Schrecken in den Bauch jagten? Es war vor drei Jahren, als ich zu Hause einen Zettel auf dem Küchentisch vorfand. Er stammte von meinem damaligen Verlobten. Wir waren zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahre zusammen und wollten heiraten. Er wollte allein sein und ich tat ihm den Gefallen. Ein paar Tage später zog er aus, löste unsere Verlobung auf und ich stand vor den Trümmern meiner großen Liebe. Zu diesem Zeitpunkt lernte ich Lilly kennen und wir wurden durch dieses Erlebnis richtig gute Freunde. Und nun? Nun schrieb sie mir solche Zeilen. Ich spürte, wie mein Herz schwer wurde. Mit dem feuchten Handtuch schmiß ich mich bauchlings auf das Bett, steckte mein Gesicht in die Kissen und weinte hemmungslos vor mich hin. Ich merkte nicht, wie ich über das Weinen hinweg einschlief.

Ich rannte die Straße entlang. Immer wieder auf den Verkehr achtend. Busse, Rikschas, Fahrräder und Fußgänger bereiteten mir Angst. Wohin ich wollte, war mir nicht bewußt. Nur weg! Ganz weit weg! Meine Beine rannten wie von selber durch den Verkehr. Ich war plötzlich auf der Straße! Ich hielt den Verkehr auf und zog mit meinem Verhalten die Wut der Inder auf mich. Verschreckt und beschimpft von allen Seiten wirbelte ich herum. Zu schnell, zu oft. Ich fiel hin und spürte den Staub, der sich in meinem Mund ausbreitete. Die Busse hupten und fuhren auf mich zu. Ich war unfähig mich zu bewegen. Der Bus würde mich überrollen. Er hält nicht an. Ich komme nicht weg und schließe die Augen. Es gibt einen Aufprall, ein Hupen und dann Stille. Nur noch Stille! Was war passiert? Zaghaft öffnete ich die Augen. Ich lag in seine Armen. Der Duft von Moschus stieg in meine Nase. Ich lächelte ihn an und hauchte: Danke!
„Du brauchst mir nicht zu danken. Ich danke dir! Ich danke dir von ganzem Herzen, daß es dich gibt.“
„Weiß du eigentlich, daß ich dich liebe?“
„Ja, Karo, ich weiß, daß du mich liebst. Ich wußte es mein ganzes Leben lang.“
Er schaute mir tief in die Augen und drücke mich ganz sanft an sich. Ich merkte, daß wir am Straßenrand lagen und sah den Verkehr an uns vorbeiziehen. Aber der Verkehr machte keine Geräusche mehr. Ich hörte nur noch ein Geräusch. Seinen Atem. Seinen warmen vertrauten Atem. Er drückte mich noch ein wenig fester an sich und ich spürte sein Herz schlagen. Es schlug rhythmisch und vertraut. Seine Wärme zog wie warmer süßer Tee durch meine Adern und ließ mich aufstöhnen. Erschrocken schaute er mich an.
„Tut dir etwas weh? Hast du dich verletzt?“ fragte er voller Besorgnis.
„Ja, ich habe mir etwas verletzt.“
„Wo?“ Suchend schaute er an mir herunter. Ich faßte ihn unter sein Kinn und zog seinen Kopf wieder hoch.
„Nicht am Körper. Im Körper! Und es ist keine Verletzung. Es ist eine Wärme von immerwährender Liebe.“ Er lächelte und vergrub seinen Kopf an meinem Hals. Mit der einen Hand griff er in meinen Nacken und zog sachte meinen Hals zur Seite. Seine Küsse waren so flüchtig und zart, daß es mir die Sinne raubte. Ich drehte meinen Kopf herum. Noch zarter und sanfter als zuvor küßte er meine Lippen. Ein Flattern begann im meinem Kopf. Immer lauter, immer schneller.
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Lyrika
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Liebe einen Inder
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Beitrag28.03.2015 23:52

von Lyrika
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Bis ich wacher wurde und begriff, daß das Flattern in meinem Kopf der Deckenventilator war und es inzwischen dunkel geworden war.

Das Grinsen was sich in meinem Gesicht ausbreitete, verschwand sofort an die Erinnerung an meinen Traum. Warum hatte ich seit der Begegnung mit ihm ständig diese Träume? Und immer gleich so intensiv! Ich lag auf dem Rücken und dachte über ihn nach. Was hatte er mit mir gemacht, daß ich ihn nicht vergessen konnte? Ich schloß die Augen und ließ den Traum Revue passieren. Es war kein besonderer Traum. Die Straße, der Verkehr, die Menschen und daß ich ihn liebe. Alles wurde vom Vortag verarbeitet. Aber halt! Ich liebe ihn? Ich riß die Augen auf und war über meine Ehrlichkeit in dem Traum so erschrocken, daß ich anfing schneller zu atmen. Ich lag mit aufgerissenen Augen im Bett und starrte in die Dunkelheit. Noch nie hatte ich einem Mann so tief meine Liebe gestanden. Schüchternheit war mir auf den Leib geschrieben und selbst mein damaliger Verlobter hatte diese Worte nicht zu hören bekommen. So sehr ich es auch wollte, diese Worte bekam ich nicht über die Lippen. Und jetzt? Jetzt gestand ich einem Fremden in meinem Traum die Liebe zu ihm. Ich drehte mich auf die rechte Seite und bemerkte, daß Lilly neben mir lag. Sie schlief. Verzweifelt über meine Gefühle atmete ich laut aus. Wie eine Jacke die nicht paßt, dachte ich mir und drehte mich wieder auf den Rücken. Gefühle, die hier nichts zu suchen hatten. Ich wollte mit Lilly Indien erleben und Gefühle eines schönen Urlaubs mit nach Hause nehmen. Mir wurde langsam bewußt, daß dieser Trip eine Wendung nehmen würde, die ich nicht abschätzen könne. Die Jacke wurde noch enger und ich drehte mich auf die linke Seite. Der Deckenventilator raubte mir den letzten Nerv. Ich drehte mich wieder auf den Rücken.
„Kannst du nicht schlafen?“ Erschrocken nahm ich Lillys Frage war. Ich antworte nicht. „Karo, bist du wach?“ fragte sie leise. Mir kamen die Tränen über ihre Fürsorge so plötzlich, daß ich aufseufzte. In der nächsten Sekunde fand ich mich in Karos Armen wieder und weinte innerhalb kürzester Zeit ein zweites Mal hemmungslos.
Wir saßen uns im Bett gegenüber. Sie hatte das kleine Licht auf dem Nachttisch eingeschaltet, nachdem ich mich beruhigt hatte und sie sich aus der Umarmung gelöst hatte. Ich schämte mich. Ich schämte mich so sehr vor meiner besten Freundin. Matt schimmerte das Licht in unserem Hotelzimmer und tauchte es in eine friedliche Atmosphäre. Der Verkehr von der Straße ließ hörbar nach.
„Liebst du ihn so sehr?“ Die Frage traf mich so unvorbereitet, daß ich nur mit Ja antworten konnte. Rot glühten meine Wangen und der Scharm hielt mich davon ab in Lillys Augen zu schauen. Sie rückte näher an mich heran. Wir saßen uns im Schneidersitz gegenüber. Sie faßt mich unter das Kinn und zog mein Kopf nach oben. Ich ging mit der Bewegung mit, mied es aber ihr in die Augen zu schauen. Ihr Kopf rutschte in die Richtung, wo mein Blick hinfiel, in der Hoffnung, daß ich sie doch anblickte. Als sich faßt unsere Blicke trafen, wich ich wieder aus. Ihr Kopf kam hinterher. Der Blick ging auch diesmal ins Leere. Dann ersparte sie sich das Drehen des Kopfes und zog mich soweit am Kinn in ihren Blick, bis ich nachgab und sie anschaute. Sie lächelte, nahm ihre Hand von meinem Kinn und streichelte mir über die Wange.
„Seit wann?“ Ich schaute sie nur traurig an. „Seit dem Flug?“ Ich nickte. Sie ließ die Hand sinken, nahm meine Hand und streichelte diese weiter. „Hast du deswegen die Rucksäcke verwechselt, damit du ihn wiedersiehst?“ Ich schüttelte den Kopf. „Bist du dir sicher?“ Ich schaute sie verwirrt an. Meine Hand erwiderte ihre Streicheinheiten.
„Nein, daß würde ich nie tun. Es war wirklich nur ein dummer Zufall.“
„Ich glaube dir, daß du es nicht mit Absicht getan hast.“ Ich merkte, daß sich die nächsten Tränen auf den Weg machten. Mit der anderen Hand wischte mir Lilly die Tränen von der Wange.
„Meine kleine Karo. Nicht weinen! Ich werde……“ Weiter kam sie nicht, da sich ein erneuerter Weinkrampf an ihrer Schulter entlud. Lilly stemmte mich zurück. Und hielt mich an den Schultern fest.
„Lilly, ich habe es nicht mit Absicht getan. Ich bin doch die Schüchternheit in Person und das wäre auch nicht meine Art. Ich weiß ja selber nicht, wie das passieren konnte. Es tut mir so leid.“ Tief atmete ich ein und schlurzend wieder aus.
„Ist doch gut! Es ist nun mal passiert.“ Sie entwirrte ihre Beine aus dem Schneidersitz, winkelte sie an und schlang ihre Arme herum. Ich schaute sie an und da wurde es mir bewußt.
„Woher weißt du, daß ich ihn liebe?“ Die Frage kam zaghafter als ich beabsichtigt hatte. Sie wippte mit ihren Füßen, was sich auf den Rest ihres Körpers übertrug. Sie legte ihren Kopf schief und blickte mich an.
„Mir wurde es klar, als ich im Restaurant saß. Ich brauchte die kurze Auszeit, um meine Gedanken zu ordnen. Deswegen der Zettel. Ich war verwirrt über deine Gefühlsausbrüche. Erst lachst du wie eine Wahnsinnige, dann weinst du wieder, dann wird dir übel, dann beharrst du auf die Entwicklung des Filmes und das kam mir spanisch vor. Beim Essen sortierte ich alles und kam dann auf das Ergebnis, daß du ihn liebst. Du bist nicht nur verliebt Karo, du liebst ihn wirklich!“ Ungläubig starrte ich Lilly an. Was sie eben gesagt hatte, traf so tief in mein Innerstes, daß ich schlucken mußte. Sie kannte mich besser, als ich mich selber. Ich löste mich von ihrem Blick und stand auf.
„Lilly, ich wollte das nicht. Ich hab…..Er hat…. Mit der Lehne, weißt du….“ Sie war auch aufgestanden und um das Bett gelaufen. Sie legte sich den Zeigefinger auf die Lippen und signalisierte mir, daß ich nicht weitersprechen sollte.
„Psst, es ist in Ordnung. Im Flugzeug hab ich es schon bemerkt, aber noch nicht deuten können. Jetzt ist es so klar, wie ein Bergsee.“ Sie stand vor mir und faßte mich bei den Händen.
„Du hast mir mit dem Zettel einen riesigen Schrecken eingejagt.“
„Wieso?“
„Wegen damals, wegen der Sache zwischen mir und…..“ Wieder unterbrach sie mich.
„Oh, das wollte ich nicht. Ich dummes Huhn, hab nicht daran gedacht. Karo, ich brauchte wirklich nur ein paar Minuten für mich. Und ich lasse dich doch nicht alleine in Indien zurück.“ Sie lachte und deutete mit ihrem Kopf in Richtung Tisch. Ich folgte ihrer Aufforderung und schaute über ihre Schulter. Im Schein des Lichtes erkannte ich einen Teller mit Essen. Ich schaute sie an und lächelte.
„Du hast doch seit dem Morgen nichts mehr gegessen. Ich habe dir etwas mitgebracht. Als ich aber in das Zimmer kam, hast du schon geschlafen. Und gemurmelt hast du was. Konnte ich aber nicht verstehen.“ Sie führte mich an den Tisch und ich setze mich vor den Teller.
„Du bist ein Goldstück!“ Jetzt bemerkte ich, wie hungrig ich war. Lilly leiste mir Gesellschaft und setzt sich mir gegenüber. Ich fing an zu essen. Und während ich aß, erzählte ich Lilly von meinen Träumen.
„Das ist doch ein eindeutiges Zeichen, daß du ihn liebst. Entschuldige, aber ich muß mal wohin.“ Ich entschuldigte ihren Aufbruch mit dem schwingen meiner Gabel in Richtung Badezimmer. Den kurzen Moment, den ich alleine war, dachte ich an gar nichts. Lilly kam zurück und stellte sich hinter meinen Stuhl. Sie legte ihrer Hände auf meine Schultern und fing an mich sanft zu massieren.
„Karo, ich werde dir helfen, deine Liebe zu finden Und wenn ich dafür ganz Indien umkrempeln muß. Ich werde ihn finden!“

Stille! Entsetzliche Stille! Wenn er doch wenigstens brüllen oder irgendwelche Sachen an die Wand knallen würde. Aber nein! Nichts, nur schweigen! Nervös rutsche Akash auf dem Stuhl, der vor dem Schreibtisch des Chefs stand, hin und her. Er war trotz aller Warnungen von Dev in die Höhle des Löwen gegangen. So wie er aussah, konnte der Chef in wenigstens nicht seine schönen Sachen zerfetzten, wenn er dies wirklich vorgehabt hätte. Innerlich sah er seinen Chef, wie er ihn am Kragen packte und durchschüttelte. Dabei stellte sich Akash vor, daß durch das Schütteln der auf ihm lagernde Dreck sich in alle Richtungen des Büros ausgeteilt würde. Und wie der Chef dann noch wütender wurde. Der Gedanke belustigte ihn und er mußte sich so zusammenreißen, daß er nicht anfing zu grinsen. Er wußte, in dieser Situation, ein Grinsen und die Vorstellung von dem Kragen packen würde schnell Realität werden. Der Chef saß ihm gegenüber in seinem großen Bürosessel und schaute Akash an. Er hatte sich die Ausführungen haarklein erzählen lassen sowie die Erklärungsnöte, die Akash als Verteidigung für das Verschwinden des Rucksacks anbrachte. Nachdem er geendet hatte, starrte ihn der Chef an. Wie lange war das jetzt her? Fünf Minuten? 15 Minuten? Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Warum tat er nichts? Brüll doch endlich! Stauch mich zusammen, aber starre mich nicht so an! Und höre endlich auf, den Kugelschreiber in den Händen zu drehen! Akash wurde immer nervöser und ihm war gar nicht Wohl in seiner Haut. Als hätte der Chef seine Gedanken gelesen, legte er den Kugelschreiber auf den Tisch und stand auf. Akash sank ein wenig tiefer in den Stuhl, in der Erwartung eines wütenden Wortschwalls. Der Chef lief um den Stuhl herum, schaute Akash an und wieder weg, atmete tief ein und ging zum Fenster. Mit gekreuzten Armen hinter dem Rücken schaute auf die Stadt, die er so liebte. Alle seine Träume wurden hier erfüllt und er hatte es geschafft ein erfolgreicher Mann in der Medienbranche zu werden. Abermals atmete er tief ein und spielte mit seinen Fingern hinter seinem Rücken. Akash konnte das tiefe Einatmen und das Spiel mit den Fingern nicht deuten. Verunsichert reckte er sich in dem Stuhl höher und wartete auf die Dinge, die nun geschehen werden. Es geschah nichts. Nur Stille. Der Chef starrte aus dem Fenster und spielte mit seinen Fingern. Ob er es bemerkt hätte, wenn Akash aus dem Büro gegangen wäre? So hatte er den Chef noch nie erlebt und das beunruhigte ihn. Er nahm sich vor die Stille zu unterbrechen. Als er gerade zum Sprechen ansetzen wollte, räusperte sich der Chef.
„Du allein trägst die Verantwortung für den Film und das Gelingen des Projekts. Dev wird nichts geschehen. Du hast drei Wochen Zeit, die Sache gerade zu biegen. Mach was daraus, sonst fliegst du im hohen Bogen! Und jetzt mach dich auf die Suche!“ Die Worte drangen ruhig, aber bestimmend an Akash Ohr und er wußte, der Chef meinte es ernst. Sehr ernst! Er hatte sich nicht zu ihm herumgedreht und ihm nicht in die Augen geschaut. Diese beiden Tatsachen und die, daß der Chef tief einatmete und Fingerspiele absolvierte, sagten ihm, es war seine allerletzte Chance. Ohne Widerworte stand Akash auf und verließ das Büro. Er lief den Gang zu seinem Büro herunter und konnte nur noch einen Gedanken fassen. Er mußte die beiden Frauen finden! Und wenn er dafür ganz Indien umkrempeln muß!

Es klopfte. Als keine Antwort kam, betrat Dev das Büro seines Freundes. Er fand Akash in einer sehr eigenartigen Haltung vor.
„Akash? Was machst du da?“ Verwundert trat Dev näher an den Schreibtisch. Es kam keine Regung. Unruhig stellte er sich neben den Stuhl, auf dem Akash vegetierte und rüttelte ihn an der Schulter. Keine Regung! Der Freund saß auf dem Stuhl und hatte seinen Kopf auf die Schreibtischplatte gelegt. Seine Arme baumelten links und rechts seines Körpers ins Leere. Panisch griff Dev beide Schultern Akashs und rüttelte kräftiger als zuvor.
„Akash!“ brüllte Dev „Akash, was hast du getan?“ Keine Regung! Dev rüttelte jetzt so kräftig, sodaß einige Kugelschreiber den Tisch entlang der Kante rutschen und zu Boden fielen.
„Laß mich!“ murmelnd versuchte Akash die Hände von seinen Schultern zu lösen. Erleichtert atmete Dev tief ein. Er schob seine Hände unter die Oberarme des Freundes und zog ihn von dem Tisch in den Sessel nach hinten. Erschrocken wich er mit seinem Kopf zurück. Wie sah Akash, sein lieber Freund Akash bloß aus? Er hatte ihn in all den Jahren noch nie so gesehen. Völlig dreckig und jetzt noch….?
„Sag mal, hast du getrunken?“ fragte er entsetzt und schob sich schräg mit der Hälfte seines Hinterns auf den Schreitisch. „Hast du getrunken?“ Er faßte Akashs Gesicht und zog ihn zu sich. Dieser öffnete nicht die Augen und gab nur einen grunzenden Laut von sich. Oh nein, bitte nicht! Er mußte ihn hier irgendwie rausbekommen. Nach Hause zu ihm und ……Was hatte er gesagt?
„Akash, was hast du gesagt?“ Aufmerksam hörte er hin, um ihn zu verstehen.
„Isch lieeeebe disch, du süße kleine Maus! Duhu bist mein Steeeeern am aaaaaa…..“ rülpsend beendete Akash den Satz. „Und der Chef isssn Ascheloch!“ Dev schlug beide Hände vors Gesicht, wischte sich kurz drüber und hielt dann Akashs Mund zu.
„Pst, bist du verrückt hier so laut rumzuschreien? Komm, ich bringe dich nach Hause. Und dann schläft du erst einmal.“ Er versuchte ihn auf die Beine zu stellen.
„Duhu willst in mein Bettchen?“ Akash schaute Dev an.“ Duhu bist mir aber einer! Dev, du kleiner…“ Er verzog den Mund zu einem Kuß und drückte ihm dann auch einen auf die Wange. „Du bist mein aaaaaaaaaaa…“ Er rülpste Dev genau ins Ohr. Dieser ließ ihn unsanft in den Sessel zurückfallen. Böse schaute er ihn an.
„T´schuldige Dev, ist mir rausgerutscht. Hi Hi, passiert auch nie wieder.“ Unschuldig schaute er ihn an und bildete einen Schmollmund. „Alle sind böse mit mir. Du, der Chef, die Lilly. Alle böööööse mit Akash.“ Er gab sich selber eine Ohrfeige. „Böser Akash, böser.“ Taumelnd versuchte ein zweites Mal sich zu Ohrfeigen, schlug ins Leere und flog mit dem Schwung in einem Satz vom Stuhl und schlug dabei an die Ecke des Schreibtisches. Wie ein zusammengezogenes Fragezeichen lag er zwischen Schreibtisch und Stuhl.
„Verdammte Scheiße, Akash!“ Schnell eilte er ihm zur Hilfe. Mit aller Kraft und ein wenig Hilfe von Akash rappelte er ihn auf den Stuhl zurück. Wie ein nasser Sack plumpste er in den Stuhl. Dev sah hoch und erschrak zu triefst. Über das Gesicht von der Stirn her bildete sich ein Rinnsal aus Blut, das auf das T-Shirt seines Freundes tropfte. Schell rannte er zu der Waschecke und zupfte ein paar Einmalhandtücher aus dem Spender. In drei Schritten stand er vor Akash und drückte ihm die Tücher auf die Wunde. Noch nie hab ich dich so gesehen, dachte Dev und ihm kamen die Tränen über den Anblick, der ihm sich bot. Was hatten sie nicht schon alles mitgemacht? Waren sie nicht durch dick und dünn gegangen? Hatten sie sich nicht die Nächte um die Ohren gehauen, beim Anstellen irgendwelcher Dummheiten? Sie waren zusammen älter geworden. Er tupfte weiter auf die Wunde. Einen Verband, ja, er brauchte jetzt einen Verband. Aber Akash so alleine lassen? Und wenn jemand reinkam? Nein, die Pein wollte er ihm ersparen. Akash hatte sich nach dem Sturz ruhig verhalten und sich der Behandlung von Dev ergeben. Er nahm die Hand von Akash und sagte ihm, daß er weiter drücken sollte. Nun galt es einen Verbündeten zu finden. Dev drückte auf die Taste des hauseigenen Telefons. Gut, daß der Chef alle Mitarbeiter des Hauses verbunden hatte. Man braucht nur auf die entsprechende Taste drücken und schon ist man direkt mit dem gewünschten Mitarbeiter verbunden.
„Amisha?“
„Hallo Dev! Wie schön dich zu hören. Was kann ich dir gutes tun?“ Sie hörte aufmerksam zu und antwortete zum Verständnis mit ein paar `Hm`
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Liebe einen Inder
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Beitrag12.04.2015 21:13

von Lyrika
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„Ich glaube, daß ist groß genug. Mehr braucht er nicht.“ Amisha versorgte die Wunde auf Akashs Stirn und schaute Dev liebevoll in die Augen. „Was hat er bloß getan?“ Dev schaute schüchtern auf den Boden.
„ Er hat sich besoffen.“
„Ja, das hab ich schon gerochen. Aber warum?“ Verlegen hielt sie ihre Hand vor ihren Mund. „Entschuldige, daß geht mich nichts an.“ Sie strich Akash über die Haare. Dieser war inzwischen eingeschlafen und brummte zufrieden Angesichts der Berührung.
„Ist nicht so schlimm. Komm, wir haben einen Plan und müssen sehen, wie wir ihn hier herausbekommen. Alles klar?“ fragte Dev und schaute sie erwartungsvoll an.
„Ok. Es kostet mich zwar meinen Job, wenn ich erwischt werde, aber…“ Sie wischte ihre Bedenken mit der Hand beiseite. „Ach, ist jetzt auch egal. Also los!“
Sie ging voraus und schaute, ob die Luft rein war. Es waren wie zu erwarten einige Mitarbeiter im Gang. Es war nicht weit bis zur Treppe und dann bis zu Devs Auto. Soweit mußte er es schaffen. Sie ging voraus und öffnete die Treppentür. Sie keilte sie mit einem Taschentuch so ein, daß sie von allein offen blieb. Hoffentlich kam jetzt keiner. Offenen Treppentüren waren streng verboten. Zum Glück kam keiner und sie lief schnell zur Ecke, streckte ihren Daumen hoch in Richtung Akashs Büro, wo sich Dev auf die Lauer gelegt hatte. Wie vereinbart wartend auf das Zeichen, verschwand er. Amisha mußte jetzt die Mitarbeiter ablenken. Sie lief den Gang herunter an Akashs seinem Büro vorbei und stoppte am Ende vor der großen Fensterfront. Dort riß sie die Hände in die Höhe und schrie aus Leibeskräften:
„Kommt mal alle schnell her! Schaut doch, was da passiert ist! Oh nein, kommt doch mal alle schnell her!“ Ihre Stimme hallte schrill bis in den letzten Winkel der Abteilung und schon versammelten sich aus der Natur ergebend, die neugierigen Mitarbeiter. Ja, so sind sie, die Menschen, die mit Medien arbeiten. Neugierig! Murmelnd und suchend standen sie nun alle am Fenster und reckten ihre Hälse. Amisha spielte weiter Theater und zeigte in eine Richtung der Stadt und schrie weiter aus Leibeskräften. In der Zeit hatte sich Dev Akash über die Schulter geschwungen und buckelte ihn zum Treppenhaus. Ist der schwer, dachte Dev und fluchte bis er seinen Wagen erreicht hatte. Dort stellte er Akash an seinen Wagen. Der drohte wegzurutschen. Dev fluchte, wie heiß es sei, daß er lieber den Film mitgenommen hätte, bis er seinen Freund auf dem Beifahrersitz plaziert hatte.

Die Stadt war brechend voll. Dev mußte seinen Wagen geschickt durch den Verkehr navigieren. Eigentlich war dies kein Problem für ihn, aber wenn man einen besoffenen, aus vollem Halse singenden Freund auf dem Beifahrersitz hatte, dann ist es eine Belastung. Ja, als eine Belastung empfand er in diesem Moment seinen Freund.
„Bitte, hör doch mal mit dem Gesinge auf! Ich muß mich konzentrieren!“ flehte Dev ihn an und wäre beinahe in einen Rikschafahrer gefahren. Der schüttelte wütend die Faust in Devs Richtung und fluchte. Ja, du kannst mir auch gestohlen bleiben, dachte sich Dev und schwitzte mehr als zuvor. Hatte er sich jemals so konzentrieren müssen?
„Sag mal, wo hast du denn eigentlich den Fusel her? Und wieviel hast du davon getrunken?“ Im Geiste holte er sich Akashs Büro vor die Augen und ließ nachdenklich den Blick schweifen. In seiner Erinnerung konnte er keine Flasche mit Alkohol finden. Er war ja auch mehr auf Akash fixiert, als nach Alkohol zu suchen. Oh je, wenn der Chef das herausbekommt. Was war denn nur in den letzten Tagen passiert? Konnte es eine Erklärung für die Umstände geben, in denen sie sich beide gerade befanden? Was in dem Flieger vorgefallen war, hatte er ja aus im herausgepreßt. Aber die Zeit war zu kurz, ihm die Unterhaltung mit dem Chef aus den Rippen zu ziehen. Zumal…er schaute zur Seite und erschrak. Jetzt erst wurde ihm die Zeitspanne bewußt. Akash hatte nach seinem schrecklichen Auftritt im Konferenzraum sein Büro betreten, dann ist er hinter ihm her, sie hatten geredet und er ging zurück in sein Büro, die Konferenz war zu Ende, Akash zum Chef. Das waren zusammengenommen ungefähr 20 Minuten. Akash konnte auch nur ungefähr 20 Minuten für das Gespräch mit dem Chef gebraucht haben und fünf Minuten später hatte er ihn so in seinem Büro vorgefunden. Also hatte er maximal 25 Minuten Zeit, sich in einen so bedauerlichen Zustand zu katapultieren. Ach du arme Scheiße, wie schafft es ein einzelner Mensch sich in so kurzer Zeit so zu besaufen? Er wußte nicht, ob er wütend oder traurig sein sollte. Der Auslöser mußte in dem Gespräch zwischen ihm und dem Chef liegen. Aber auf die Klärung mußte er warten. Er wurde so unvermittelt aus seinem Gedanken gerissen, daß er das Lenkrad rumzog und ein Stück auf dem Gehweg weiterfuhr, dabei zum Glück niemanden umfuhr und nach einem weiteren Riß am Lenkrad wieder auf der Straße weiterfuhr. Geschockt hielt er am Straßenrand an. Keuchend und zitternd legte er die Arme auf das Lenkrad und ließ seinen Kopf hinterher fallen. Er atmete tief durch. Wie er solche Tage haßte! Mit dem Schreck in den Knochen hob er den Kopf und schaute zu Akash. Was hatte er gerade über Auslöser gedacht? In diesem Fall lag die Lösung direkt vor ihm. Vielmehr vor Akash. Der gesamte Mageninhalt hatte sich in den Fußraum vor Akash ausgebreitet. Er hatte ihm den Wagen vollgekotzt. Nein, nein, ich will nicht mehr! Kurz überlegte er, ob er ihn hier nicht einfach aus dem Wagen stoßen sollte. Soll er doch sehen, wie er klar kommt! Na super, dachte sich Dev, mit der Wärme, die wir heute haben wir das nicht nur stinken.
„Weißt du, daß ich dich hasse?“
„Duhu hssst mich? Mir doch wurrrrrrscht!“ lallte Akash und drehte sich auf dem Sitz zur Seite. Dev beugte sich über ihn, öffnete die Autotür und schrie `Raus`! Mit einem kräftigen Schupps landete Akash auf den staubigen Straßen Bombays. Dev riß die Tür wieder zu und gab Gas. Im Rückspiegel sah er ein Häufchen Elend liegen, fluchte, setzte den Rückwärtsgang ein, buckelte Akash zurück ins Auto und fuhr los.
Es war noch schwerer ihn die Treppen hoch zuwuchten, als runter. Er hatte von Akashs Wohnung einen Schlüssel. Für alle Fälle! Jetzt war so ein Fall. Mit einem Tritt war die Tür auf und er schmiß ihn so wie er war auf sein Bett. Sollte er erst einmal schlafen, egal ob er nach Alkohol und Kotze stinkt. Und nun wollte er ihn nicht mehr sehen und schloß die Schlafzimmertür. In der Küche nahm er sich eine Tasse von dem inzwischen kalten Tee und ging in das Wohnzimmer. Als er es sich gerade vor dem Fernseher gemütlich machen wollte, klingelte das Telefon. Er nahm ab.
„Ja, bitte?“ fragte er etwas genervt.
„Ähm ja, ich…“ stammelte das andere Ende in einem stockenden Englisch vor sich hin.
„Wer ist denn da?“
„Hallo hier spricht Lilly!“

Wortlos starrte sie den Telefonhörer an. Bis sie begriffen hatte, daß der Angerufene, nachdem er ihr in einem wütenden Hindi verständlich gemacht hatte, daß er nicht mit ihr reden wollte. Lilly sprach kein Hindi. Sie konnte sich auch auf die Schnelle nicht mit ihrem schlechten Englisch arrangieren und zog mit ihrem Gestammel wohl noch mehr die Wut des anderen auf sich. Auch ohne Hindi, soviel hatte sie verstanden, es bestand kein Interesse an einem Gespräch. Langsam ließ sie den Hörer auf die Gabel sinken. Mr. Dutt hatte Dienst und schaute kurz von seinem PC auf, lächelte und konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm. Ihre Hand lag noch auf dem abgelegten Hörer. Sie mußte ihre Gedanken und nächsten Schritte überlegen. Karo war duschen gegangen und sie hatte ihr durch die Badezimmertür zugerufen, daß sie an die Rezeption geht, um ihren Vater wegen dem Geld anzurufen. Während sie die Treppen herunterlief, kramte sie den Zettel aus ihrer Hosentasche hervor und betrachtete ihn aufmerksam. Sie hatte Karo versprochen, sie krempelt ganz Indien um, auf der Suche nach ihm. An der Rezeption wies ihr Mr. Dutt ein Telefon zu. Es war eine kleine abgeschirmte Kabine neben dem Tresen. Sie ging hinein, wählte die Nummer auf dem Zettel, handelte sich eine saftige Abfuhr ein und stand nun wie ein begossener Pudel in der Kabine. Scheiß Kerl! Wie sie es schon im Flugzeug vermutet hatte, es handelt sich um einen verdammten Scheißkerl! Immer noch kam ihr die Galle rückwärts hoch, wenn sie an die Samariterdienste dachte, die er in der Flughafenhalle für sie getan hatte. Und dann war ja noch diese blöde Anmache mit der Lehne! Und Karo verknallt sich ihn so einen! Das alles hatte sie mitbekommen und auch mit ihr darüber geredet. Was sie Karo nicht erzählt hatte, daß es ihr nicht entgangen war, wie er sie in der Flughafenhalle berührt hatte. Genervt verdrehte Lilly die Augen und merkte, welchen Verrat sie an Karo beging. Er hatte dem Taxi hinterher gewunken und sie schwieg! Sie hätte nur den Film seinem Besitzer zurückgeben müssen und sie schwieg! Und das Wichtigste, was sie Karo verschwieg war die Tatsache, daß sie in der Kabine stand und seine Adresse und Telefonnummer hatte. Und sie wußte wie er heißt: Akash Basu. Ja, sie hatte seine vollständigen Daten und schwieg! Als sie den Rucksack auf dem Bett ausgeschüttet hatte, purzelte ihr der Zettel aus einer kleinen Seitentasche direkt in den Schoß. In diesem Moment wußte sie, wenn Karo den Zettel entdeckt, wäre ihr Urlaub nur noch eine Liebesgeschichte mit dem Ende eines gebrochenen Herzens. Nein, nicht noch einmal! Wie lange hatte sie gebraucht, um aus Karo wieder einen Menschen zu machen, nachdem dieser feige Kerl sie hat sitzenlassen. Kurzentschlossen nahm sie den Zettel, ließ ihn in ihrer Hosentasche verschwinden und schrie, sodaß Karo aus der Dusche kam. Ja und das mit dem Film war nur ein dummer Zufall. Sie hatte ja nicht wissen können, daß es erstens eine Kamera gab. Zweitens, daß sie noch einen Film enthielt und drittens, daß Karo unbedingt auf seine Entwicklung bestand. Lilly lehnte sich mit dem Rücken an die Scheibe der Kabinentür, legte den Kopf in den Nacken und schloß die Augen. Konnte sie den ahnen, daß Karo ihr Herz verloren hat? Aber wie sollte das enden? Sie in Deutschland, er hier in Indien? Zumal wußte sie nicht, ob er eine Familie besaß. Und nun noch der Verrat an ihrer besten Freundin. Wenn das herauskommt, dann….Ja, was dann? Und wenn sie Akash dann noch einmal erreicht, wie erklärt sie es dann Karo, daß er plötzlich im Hotel vor ihr steht? Verzweifelt schüttelte sie langsam den Kopf hin und her. Sie wollte doch nur Urlaub machen. Stinknormalen Urlaub! Und jetzt wird es ein Trip ohne Gleichen! Konnte sie ihre Freundin auffangen, wenn sie auf den Fotos Akash mit Familie entdeckte? Lilly rieb sich mit beiden Händen durch das Gesicht. Lieber ein Foto mit Familie, als daß sie sich beide noch einmal gegenüberstehen. Das würde Karo erst recht die Beine weghauen. Jetzt ärgerte sie sich, daß sie bei Akash angerufen hatte. Zum Glück hatte dieser kein Gespräch gewollt. Lilly beschloß auch diese Aktion zu verschweigen. Sie stieß sich ab, steckte den Zettel zurück in ihre Hosentasche und öffnete die Kabinentür. Mit schnellen Schritten ging sie an Mr. Dutt vorbei, bedankte sich noch einmal und stieg die Treppen zu ihrem Zimmer hinauf. Wer war dieser Akash eigentlich? Zu allem Übel mußte sie sich eingestehen, daß er sehr attraktiv aussah. Und was er doch für wunderschöne braune Augen hatte! Trotzdem konnte sie das Gefühl ihm gegenüber nicht deuten, als sie ihm auf dem Flughafen auf die Brust tippte. Er hatte ihr direkt in die Augen geschaut und sie mußte innehalten, weil dieser Blick ein komisches Zucken in ihrem im Magen ausgelöst hatte. Verschwieg sie deswegen Karo all die Sachen, weil sie sich…..verliebt hatte? Erschrocken schlug sie ihre Hand vor den Mund.

„In vier Tagen? Ja gut, ich werde es den Damen ausrichten. Vielen Dank. Auf Wiederhören!“ Mr. Dutt legte auf und notierte die Nachricht auf einen Zettel, den er in das Postfach der beiden Frauen aus Deutschland legte. Wenn sie heute abend wiederkämen, wissen sie, daß der Film in vier Tagen entwickelt sein würde.

Als wenn dieser Tag nicht schon ätzend genug war, dachte Dev, nein, da stammelte sich eine Frau am Telefon mit schlechtem Englisch einen zusammen. Er hätte bestimmt etwas verstanden, wenn er geduldiger zugehört hätte. Aber er wollte keine Geduld mehr haben. Wenn es wichtig war, riefe sie noch einmal an. Gereizt setzte er sich vor den Fernseher und schaltete ihn ein. Gelangweilt und ohne Konzentration zappte er die Programme rauf und runter. Er nahm einen Schluck von dem kalten Tee und schüttelte sich. Eines mußte man Akash lassen. In der Teezubereitung war er unschlagbar. Er schmeckte immer. Nur nicht kalt, wie Dev jetzt feststellte und ging in die Küche. In der Küche räumte er das Handtuch, das quer im Raum lag, zur Seite und bereitete sich Tee zu. Ich werde wohl etwas länger bleiben bei Akashs Alkoholkonsum, dachte er sich und schritt vorsichtig mit dem Glas heißen Tee zurück in das Wohnzimmer. Er schaltet den Fernseher aus und erblickte den PC. Um die Zeit nicht nutzlos verstreichen zu lassen, schaltete er den PC ein, um von hier aus einige Dinge zu erledigen. Den Tee stellte er neben sich auf dem Schreibtisch ab und fing an, seine E-Mails abzufragen. Werbung von Telefonanbietern, zahlreiche Anfragen von Presse und Reportern, denen er geschrieben hatte und …hoppla, eine Nachricht von Clockmaker. Neugierig und ein wenig mit Herzklopfen öffnete er die E-Mail und laß:
- Hallo Dev! Wie geht es dir? -
Er stutzte. Warum plötzlich so förmlich? Er kann sich erinnern, daß schon mal mehr Nähe zwischen ihnen war. Wer weiß, was vorgefallen war. Vielleicht hatte sie auch einen solchen Tag wie den heutigen hinter sich. Trotz des Zeitunterschiedes ging er in den Messenger. Ab und zu hatte er sie um die Zeit hier empfangen. Der Messenger wählte sich ein. Jetzt fiel es ihm ein. Er brauchte sich ja gar nicht in den Messenger zu begeben. Sie war doch schon in Indien und da hatte sie bestimmt besseres zu tun, als vor dem PC zu hocken, wenn sie schon einmal in das Internet geht. Der Zeigerfinger wollte gerade auf `Abbrechen` drücken, als er ihre Anwesenheit sah. Verwundert nahm er einen Schluck Tee. In Indien und dann im Messenger, dachte er, na, ich wüßte was anderes. Vielleicht hatte sie vergessen, sich abzumelden. Entschlossen schrieb er ihr. Es kam auch sofort eine Antwort. Dev ging unwillkürlich mit dem Oberkörper zurück. Sie sitzt wirklich am PC.
Clockmaker: Hi, mir geht’s gut. Und Dir?
Dev: Danke gut, aber warum so förmlich?
Clockmaker: Weiß nicht.
Dev: Hey, wir kennen uns doch schon. Nun mal nicht so schüchtern.
Clockmaker: Ich muß dir was sagen, aber es ist mir peinlich.
Dev: Trifft sich gut. Ich muß dich was fragen und du willst mir was sagen? Du findest
Indien nicht spannend.
Clockmaker: Warum sollte ich Indien nicht spannend finden?
Dev: Na, weil du vor dem PC sitz. Also kann Indien für dich nicht spannend sein. Ist
aber nicht so schlimm.
Clockmaker: Ich finde Indien spannend.
Dev: Schön. Habt ihr euch schon viel angeschaut?
Clockmaker: Weiß nicht.
Dev: Moment mal, du findest Indien spannend und weißt nicht, was ihr euch
angeschaut habt?
Clockmaker: Ich muß dir was gestehen.
Dev: Nur nicht so schüchtern. Ich find dich auch sehr nett. Vielleicht fällt es dir dann
 leichter.
Clockmaker: Was meinst du?
Dev. Das ich dich mag.
Clockmaker: Dann wird es Zeit für mein Geständnis
Dev: Du machst es jetzt aber geheimnisvoll.
Clockmaker: Ich bin nicht in Indien.
Dev: Was? Verstehe dich nicht. Du wolltest doch fahren. Bist du krank geworden?
Was ist los?
Clockmaker: Ich hab den Messenger und den Nickname mißbraucht!
Dev: Wie mißbraucht?
Clockmaker: Ich bin in den letzten Tagen mit dem Namen Clockmaker
reingegangen. Aber ich bin nicht Clockmaker.
Dev: Wer bist du dann?
Clockmaker: Ich bin die Schwester von Clockmaker. Und die ist in Indien. Sie weiß
 nicht, daß ich mit dir rede. Es ist mir peinlich, aber du bist so nett. Tut mir leid.
Dev: Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Sei wenigstens so fair und verrate mir
den richtigen Namen deiner Schwester.
Clockmaker: Sie heißt Lilly.
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Lyrika
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Liebe einen Inder
L
Beitrag26.04.2015 21:35

von Lyrika
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Nachdem wir nun schon einen Tag in Bombay verschwendet hatten, schauten wir uns in einem gestrafften Programm Sehenswürdigkeiten dieser pulsierenden Milliarden Metropole an. Das Geld von Lillys Vater hatte den sicheren Weg in unsere Brustbeutel gefunden. Wir fuhren abwechselnd Bus, Rikscha oder nahmen die Bahn. Somit bekamen wir viel von der Stadt mit. Sie war mir auf eine Art unheimlich, auf der anderen Art konnte ich mich nicht satt sehen. Ich hatte Lilly gebeten, daß wir uns nicht die Slums anschauten, weil es mir zu nahe geht. Sie lachte und kam meinem Wunsch entgegen. Du mit deinem überdimensionalen Herzen hatte sie gescherzt. Ja, ich bin ein sehr emotionaler Mensch und ich weiß um die Slums. Es wäre mir unter die Haut gegangen, die Bilder, die ich kannte, laufen zu sehen. Es reichte mir schon, wenn ich bei unserer Sightseeingtour vereinzelt Inder sah, die nicht einmal ein Dach über dem Kopf hatten. Und dann noch die Kinder! Ich kann mich erinnern, daß ich ab und zu eine Träne aus meinem Auge wischte. Weinst du, fragte mich Lilly dann. Es war nur etwas in mein Auge geflogen, antwortet ich dann und sie lächelte. Sie kennt mich zu gut. Die Filmcity besuchten wir nicht, weil uns zum einen die Zeit fehlte und die Studios ein wenig außerhalb der Stadt liegen. Dort sind auch keine Touristen erwünscht, außer man geht mit einem Scooter dort hin. Nachdem wir jeden Abend abgekämpft in unser Zimmer kamen, wo uns treu der quietschende Deckenventilator erwartete, hatte wir doch den Gateway of India, den Chowpatty Beach, das Main Bhawan, den Tower of Silence und das Hanging Gardens besucht. Mal waren wir an den Gebäuden nur außen, mal drinnen oder nur schauend. Im Chowpatty Beach waren wir nur schauend. So eine Brühe lädt nicht zum Baden ein. Ich schlief die Nächte durch, wachte aber immer mit dem Gedanken an ihn auf. Was mir dabei komisch vorkam, er wurde immer mehr Teil von mir. Einen Morgen hatte ich mich dem Duschen hingegeben, zum Ärger von Lilly, die wollte längst los, und ich stand noch mit eingeseiften Haaren und träumenden Gedanken unter der langsam kaltwerdenden Dusche. Eine Tatsache riß mich aus den Gedanken in die Realität. Fragend öffnete ich meine Augen und da war es mir klar: Ich kannte diese wunderschönen braunen Augen! Meiner Erkenntnis könnte ich nicht weiter nachgehen, da sich das Shampoo von meinem Kopf der Schwerkraft folgend über meine Stirn direkt in meine offenen Augen bannte. Ein stechender, brennender Schmerz von meinen Augen in mein Gehirn Region ´Aua Schmerz` ließ mich schnell unter Flüchen das Shampoo entfernen. Lilly faltete dankend die Hände Richtung Himmel, daß ich endlich fertig sei. Wir waren schon zu lange hier, dachte ich mir, wenn sie sich schon einiges bei den Indern abgeschaut hatte. Unseren letzen Tag in Bombay nutzten wir für den Marine Drive, die Promenadestraße von Bombay. Wir schlenderten in einer Gemütlichkeit die Straße hoch und runter. Besahen uns alles, was sich uns bot. Beschlossen hatten wir es nicht, aber das Taraporewalla Aquarium konnte zwei Besucher mehr verzeichnen. Mir brannten die Füße und so setzten wir uns in ein nettes Cafe, bestellten Tee und gaben uns schweigend dem Treiben hin. Lilly unterbrach als Erste unserer trautes Zusammensitzen. Sie mußte mal auf die Toilette und verschwand in dem Cafe. Erschöpft, aber glücklich ließ ich mich nach hinten in den Stuhl fallen und nahm einen großen Schluck von dem herrlich schmeckenden Tee. Ob ich je wieder so guten Tee trinken würde? Ob ich je wieder diese wunderschönen braunen Augen sehen würde? Was ich Lilly nicht sagte und sie nicht spüren ließe, war, daß ich bei jedem unserer Ausflüge auch Ausschau nach ihm hielt. Ich sah ihn nicht, was mich bei der Fülle von Menschen auch nicht sonderlich wunderte. Was ich aber sah, daß die Inder im Schnitt alle klein sind. Ich paßte in die Größenordnung, aber Lilly mußte sich bei ihrer Größe wie eine Riesin vorkommen. Ich grinste still in das Teeglas hinein.
„Was? Hast du ihn endlich entdeckt?“ fragte Lilly mich, als sie sich setzte und ihren Tee nahm.
„Hast du mich erschreckt!“ entgegnete ich beleidigt. „Nein, warum sollte ich ihn entdeckt haben? Ich hab gar nicht an ihn gedacht!“
„Ja, und die Erde ist eine Scheibe!“ entwaffnete sie mich und grinste nun auch in ihr Teeglas. „Meinst du nicht, daß es mir nicht entgangen ist, wie du all die Tage den Kopf mehr als sonst gereckt hast? Und Auslöser waren bestimmt nicht nur die Sehenswürdigkeiten. Vergiß ihn! Vergiß ihn ganz schnell!“ Mir gefiel ihr Ton ihrer letzten beiden Sätze nicht. Sie waren so bestimmend.
„Warum? Weil ich ihn nie wiedersehen werde? Oder warum soll ich ihn vergessen? Weil er….“
„Weil er dich unglücklich machen würde. Darum!“ unterbrach sie mich und trank ihren Tee in einem Zug aus. „Ich will dich nicht wieder leiden sehen, wie vor zwei Jahren. Das hat mir gereicht. Und es hat mir auch sehr weh getan, dich so zu sehen.“
„Du hast mir vor nicht mehr als vier Tagen versprochen, daß du ganz Indien nach ihm umkrempeln wirst. Und nun so eine Wandlung?“ fragte ich verwirrt.
„Ich weiß, was ich dir versprochen habe, aber Karo, es war dir doch auch klar, daß das ein unüberwindbares Anliegen ist. Wir sind hier drei Wochen im Urlaub und ich habe es gesagt, um dir den Schmerz ein wenig leichter zu machen.“
„Welchen Schmerz? Er hat mich nicht verletzt. Er hat…..“
„Doch, er hat dich und mich verletzt! Im Herzen! Und zwar so tief, daß es mehr als schmerzt und es uns zu dem macht, was wir nicht wollen.“ Ich war erschrocken über ihre so heftige Aussage, kam mit dem Oberkörper nach vorne und stützte meine Arme auf dem Tisch ab. Den Tee hielt ich weiter in der Hand.
„Wie meinst du das, er hat dich im Herzen verletzt?“ fragte ich skeptisch nach. Mir wurde heiß und kalt zusammen. Feine Schweißperlen setzten sich auf meine Stirn, die in diesem Moment nicht von der Hitze herstammen. Sollte es sein, daß sich meine beste Freundin in den gleichen Mann…? Nein, ich wollte es nicht glauben. Das wäre wie in einer schlechten Soap. Nervös rutschte ich auf meinem Stuhl zurück. Sie nestelte an dem Teeglas herum, bis sie es fast umgestoßen hätte. Mit meiner freien Hand unterbrach ich ihr Spiel und schaute sie an. Lilly starrte in das leere Teeglas, als wenn sie darin hoffte, die Antworten auf 1000 Fragen zu finden. Ich schwieg, da sie mir noch eine Antwort schuldig war und ließ ihr Teeglas los. Die Minuten verstrichen, die sie mit starren und ich mit schweigen verbrachten.
„Wie hast du das gemeint, daß er dich in deinem Herzen verletzt hat?“ Keine Antwort, nur starren. „Lilly!“ knurrte ich zwischen meinen Zähnen, laut genug für sie, zu leise für die anderen Gäste. Aus ihrem Starren herausgerissen schaute sie in die Menge, dann  zu mir und senkte wieder den Kopf.
„Er hat mein Herz verletzt, weil er dein Herz verletzt hat. Das tut mir mehr weh, als dir. Ich will dich nicht leiden sehen und ich will nicht, daß du dein Leben lang einem Schatten hinterherläufst. Ich will, daß du glücklich wirst. Und das würdest du mit dem täglichen Gedanken an einen Schatten nicht. Darum hat er mich verletzt.“ Meine liebe Lilly! Sie war so besorgt um mich, hatte sie die schlimme Zeit damals nach der Trennung auch hautnahe miterlebt. Und ich unterstelle ihr von einer Sekunde auf die andere durch eine Aussage, daß sie sich in den gleichen Mann verliebt haben könnte, wie ich. Was für eine Freundin bin ich denn nur? Ich legte meine Hand auf ihren Unterarm und drückte leicht zu.
„Du bist so lieb zu mir. Das du ganz Indien nach ihm umkrempeln willst, hab ich dir auch nicht abgenommen. Ich weiß, daß du mir nur beistehen willst. Das Verlangen nach ihm läßt auch mit jedem Tag mehr nach. Es wird schon besser.“ Lilly schaute endlich hoch und schnaubte abschätzend durch die Nase.
„Ja, Karo und die Erde ist immer noch eine Scheibe!“

Der größte Teil unseres Gepäcks war auf dem Weg in das Zimmer, welches wir in Goa beziehen würden. Nur das Wichtigste machte sich mit uns auf den Inlandsflug nach Delhi. Ich merkte, daß wir uns für unseren ersten Besuch in Indien zuviel vorgenommen hatten. Am Tag der Abreise nach Delhi, eröffnete uns Mr. Dutt, daß der Film leider noch nicht fertig sei. Er versprach, die entwickelten Bilder, wie das Gepäck, uns nach Goa hinterher zu schicken. Dankend verließen wir das Hotel.
„Er wird mir fehlen!“ sagte ich wehmütig und drehte mich noch einmal nach dem Hotel um.
„Wer? Mr. Dutt?“ fragte Lilly verwundert.
„Mr. Dutt? Nein“ lachte ich lauthals „unserer quietschender Deckenventilator.“ Ich hackte Lilly unter und wir stiegen in ein Taxi, welches uns zum Flughafen brachte. Wieder durch den Verkehr und ich hinkte meinen Gedanken hinterher, was mir Indien in den letzten Tagen beschert hatte. Einen verwechselten Rucksack, einen geheimnisvollen Film, Eindrücke, die ich nicht vergessen werde und nicht deuten konnte, die mein Herz im innersten bewegten, Menschen anderer Lebensweisen, die sich mit keiner unserer vergleichen läßt. Einfachste Lebensbedingungen, aber sie schienen nichts zu vermissen; sie schienen glücklich. Leider konnte ich mich nicht näher mit ihnen unterhalten, was auch meiner Schüchternheit zuzuschreiben war. Alles erschien mir exotisch und ich merkte, daß war es auch: Exotisch! Ob es die Menschen selber waren, die Bauwerke, die Nahrung, das Wetter, die Lebenseinstellungen: Alles exotisch! Gelegentlich mischte sich ein Hauch Westlichkeit unter diese Exotik, die aber doch immer die Oberhand behielt. Ich war bis unter den Scheitel voll mit diesen Eindrücken und konnte sie noch nicht verarbeiten. Ich sammelte und würde sie zu Hause erst begreifen können. Das Taxi schaukelte so herrlich im Takt der Schlaglöcher, daß ich kurz über meinem Gedanken wegnickte und einen Aufschrei von Weiten wahrnahm. Er streckte die Hand nach mir aus und schrie: Karo, fahre nicht! Bleibe bei mir! Ich brauche dich! Ich zuckte zusammen und rief laut in das Taxi: Ich bleibe! Ich werde dich nie verlassen!
„Das finde ich aber nett von dir! Weil so alleine in Indien finde ich jetzt nicht so spannend.“ entgegnete mir Lilly und schaute resigniert aus dem Fenster. Ich wurde richtig wach und bemerkte nun, daß ich kurz eingenickt war.
„Hab ich was gesagt?“
„Ja, du wirst mich nie verlassen. Dabei denke ich, du meinst ihn.“ Gleichgültig hatte sie mir geantwortet und mich nicht angeschaut. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Sie kann es bestimmt nicht mehr hören, dachte ich mir. Ohne weiter auf meinen Sekundentraum einzugehen, kuschelte ich mich an ihre Schulter.
„Du bist das Beste, was mir passieren konnte. Danke, daß du mitgekommen bist!“
„Für das ich Anfangs nicht wollte, bin ich jetzt schwer beeindruckt.“ Sie nahm meine Hand und drückte sie sachte.
„Ach“ sagte sie und versuchte mich anzuschauen. Sie verdrehte die Augen und schielte in meine „ich hab vergessen dem Inder bescheid zu geben, daß ich schon in Bombay bin.“
„Den du im Internet kennengelernt hast? Ist mir aber auch entfallen. Wann hast du ihn denn das letzte Mal geschrieben?“
„Vor unserer Abeise. Mir ist in der Aufregung aber kein Gedanke an ihn gekommen.“
„Ich denke, du magst ihn?“ fragte ich sie vorsichtig.
„Ja schon, als Internetbekanntschaft mag ich ihn. Aber ihm dann gegenüberzustehen? Ich weiß nicht. Vielleicht hab ich deswegen nicht an ihn gedacht.“ Sie zuckte mit den Schultern und mein Kopf folgte ihrer Bewegung. Sie atmete tief und langsam ein.
„Wie heißt er eigentlich?“ fragte ich neugierig nach.
„Er nennt sich Bombay. Seinen richtigen Namen kenne ich gar nicht. Na ja, ist vielleicht auch besser so. Nachher geht es mir so wie dir. Träume über Träume und schreiend im Taxi sitzen.“ Sie kicherte und schaute wieder aus dem Fenster. Ich antworte nicht ihn Worten, drückte aber zum Verständnis ihre Hand und kicherte ebenfalls.
Wir rannten im wahrsten Sinne des Wortes durch Delhi. Auf unserer Liste standen das National Museum, das Rote Fort und der Bahai Tempel. Abgesehen von den Märkten und dem Treiben schauten wir uns Schulen und Moscheen an, die uns nachhaltig durch ihre architektonische Art beeindruckten. Mitten in dem Marathon sagte Lilly zu mir, daß man gar nicht soviel Augen und Zeit haben kann, um sich alles anzuschauen.
Und dann sah ich es: das Taj Mahal. Wir waren von Delhi aus mit dem Zug bis Agra gefahren. In Deutschland stritten wir eine ganze Weile über unsere Indienroute. Lilly wollte nicht zum Taj Mahal; ich hatte darauf bestanden. Vor dem Bauwerk packte sie meine Hand und hauchte nur `Danke!`, ohne die Augen von dem Mausoleum zu wenden. Mit dem Zug ging es auch am gleichen Tag zurück nach Delhi und gegen abend mit dem Flieger Richtung Goa. Ich sank in meinen Sitz und gab mich meiner langsam auftretenden Verwirrtheit über dieses Land hin. Mein Körper nahm sich was er brauchte und bescherte mir einen tiefen, traumlosen Schlaf bis wir in Goa aufsetzen und ich zufrieden die Palmen von dem Fenster aus sah. Nun konnte unsere letzte Station beginnen: erholsamer Urlaub.

Endlich! Ich lag am Strand von Goa und ließ mir die Sonne auf den Rücken scheinen. So aufregend die kurze Tour durch Indien war, so sehr hatte ich auf diesen Moment gewartet. Ausspannen! Und dazu gehörte für mich das Liegen am Strand, viel essen und schlafen, lange Spaziergänge und mich mit den Indern über ihr Leben unterhalten. Für den Anfang reichte mir das Gesehene und ich konnte auch jetzt schon besser abschätzen, wo und wie wir die nächste Tour planen könnten. Nun wollte ich nur Sonne tanken und meinen Gedanken nachhängen. Das Rauschen der Wellen, die Ruhe und der sanfte Wind trugen mich in eine Stimmung, die mich leicht werden ließ. So mußte das Paradies sein. Nein, das hier ist das Paradies. Und obwohl ich noch nie weit gereist war, war ich mir sicher: das hier ist für mich das Paradies. Wir waren einen Tag hier und es kam mir wie meine wiedergefundene Heimat vor. In diesem Paradies würde mir nie etwas widerfahren. Hier war ich behütet vor den Angriffen des Lebens. Tief und zufrieden seufzte ich und drehte mich auf den Bauch. Ich öffnete die Augen und sah auf unsere kleine Hütte. Wir wollten nicht in ein Hotelzimmer und hatten vor unserer Reise vor Entzückung in die Hände geklatscht, als uns die Reiseleiterin die kleinen Hütten zeigte. Es standen ungefähr 40 Hütten, gebaut aus Stein und Stroh, nicht Delux, aber komfortabel zusammen. Sie standen direkt am Strand. Für mich ein phantastischer Gedanke, am Morgen aufzuwachen und gleich in das Meer sehen zu können. Diese kleinen Hütten waren nicht nur bewohnt. Eine war ausgestattet als Strandbad, die andere diente als kleine Einkaufsmöglichkeit und eine dritte war der gemeinsame Treffpunkt der Sippe, wie sie von Lilly liebevoll getauft wurde. In der Tat kam man sich näher und wir schlossen am Morgen unserer Ankunft auch gleich Kontakt zu den schon Wohnenden. Es vermittelte mir das Gefühl eines Ferienlagers. Nur ohne Erzieher. Am Strand lagen kleine Boote, die mich an Nußschalen erinnerten, die wir als Kinder immer im Fluß auf reisen geschickt hatten. Eingebettet in einem Meer aus Kokospalmen waren wir unter uns. Ich schätze unsere Sippe 100 Mann stark. Nach meinem Geschmack genau ausreichend zum entspannen und erleben. Ich legte den Kopf zur Seite. Wo Lilly war, wußte ich nicht. Sie wollte das kleine Hüttendörfchen erkunden meinte sie lachend und sagte, sie sei in 10 Minuten wieder da. Wie herrlich gegensätzlich unserer Reise war. Langsam schlich sich eine wohlige Mattigkeit über meine Gedanken. Das Rauschen des Meeres trug mich rhythmisch in den Zauber des Schlafes hinüber. Jäh wurde ich zurückgerissen und zuckt zusammen.
„Klasse, unserer Hüttendörfchen. Alles was du brauchst. Karo, ich liebe dich! Nochmals danke für deine Sturheit!“ Umständlich ließ sich Lilly neben mir im Sand nieder. Sie strich sich diesen von den Händen. „Ach heute abend zeigen sie am Strand so einen Bollystreifen. Na ja, nicht so mein Ding, aber hier lasse ich es mir gefallen.“ Ich gähnte ihr ungeniert entgegen.
„Och schön! Ich liebe diese Filme. Ja, ich weiß, alles nur Schmalz. Aber das ist doch gerade der Knaller an diesen Filmen. Herzschmerz und Leiden ohne Ende! Ich freu mich.“ Die Vorstellung unter freiem Sternenhimmel mit Meeresrauschen einen Bollystreifen mit 100 anderen zu schauen zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht.
„Ist unserer Gepäck schon da?“ fragte ich und setzte mich auf.
„Ja, es ist gestern eingetroffen.“ Ich schaute zu Lilly und dann auf das offene Meer.
„Nein, die Bilder sind noch nicht dabei.“
„Wie?“
„Das wolltest du mich bestimmt als nächstes fragen. Ob die Bilder schon da sind.“
„Du bist doof!“ antworte ich ihr, stand abrupt auf, streckte ihr die Zunge heraus und bewarf sie mit etwas Sand. „Doof wie Bohnenstroh bist du! So lang, wie doof!“ Lachend tanzte ich um sie herum, warf nochmals eine kleine Ladung Sand auf sie und rannte in die Wellen des Meeres.
„Oh! Na warte, wenn ich dich zwischen die Finger bekomme, dann bekommst du eine Abreibung!“ Sie war auch wieder aufgestanden, schüttelte den Sand aus ihren Haaren und folgte mir lachend in das Meer. Es dauerte eine Weile, bis sie mich zwischen ihren Fingern hatte. Gegenseitig spritzen wir uns naß, tauchten uns unter, zogen uns an den Armen und Beinen in die Fluten und lachten ausgelassen in den Abend hinein.
Bevor die Sonne der Nacht Platz machte, zeigte sie sich als glühender Feuerball am Horizont und hinterließ als letzen Gruß einen grellen Schein über das Meer huschen. Die Sonnenstrahlen spielten mit den Wogen des Meeres und tauchten unser kleines Hüttendörfchen 15 Minuten später in eine angenehme Dämmerung, die sich Angesichts der Stärke der Nacht auch nur 15 Minuten halten konnte. Nach unserem ausgiebigen Toben am Strand, was noch von Einkriege im Sand mit anschließendem Lachkrampf gekrönt wurde, hatten wir uns in der kleinen Hütte geduscht. Ich wollte hier nie wieder weg, sagte ich zu Lilly und sie stimmte mit ein. Wir gehen hier nicht mehr weg, sang sie mir fröhlich ins Ohr. Ich zog mir eine frische kurze Jeans und eine hellblaue Sommerbluse an. Und ich zog es vor barfuß zu gehen. Der Sand lud einfach dazu ein. Lilly, wie allzu häufig, zog eines ihrer heißgeliebten mit Blumen bedruckten T-Shirts an. Der Wind hielt die Blätter der Kokospalmen in einer unermüdlichen Bewegung und diese wiegten sich mit leichtem Rauschen in den Sog eines Karibikfeelings. Lilly schmiß ihre Schuhe in die Ecke und tat es mir nach barfuß zu gehen. So gingen wir aus der Hütte heraus, um ungefähr 100 Schritte weiter in die nächste Hütte zu gelangen, die an diesem Abend der Treffpunkt für das Hüttendörfchen wurde. Es verging nicht mal eine halbe Stunde und ich war mit einem Inder ins Gespräch gekommen. Endlich konnte ich meine Fragen über das Land und die Leute stellen, so wie sie es sehen. Er war auch sehr gesprächig und es schien ihm nicht im geringsten etwas auszumachen, alle meine Fragen zu beantworten. Lilly saß ein wenig gelangweilt auf ihrem Stuhl und schaute auf das in Schwarz getauchte Meer. Sie verstand nicht so gut englisch und konnte demzufolge dem Gespräch nur die Hälfte entnehmen. Als sie auf ihre Uhr blickte, erinnerte sie mich an den Film, den wir schauten wollten. Was wir herausgefunden hatten war, daß sie hier jeden abend einen Film zeigten. Augenrollend hatte Lilly dieses zur Kenntnis genommen und meinte, dies scheint damit das totale Eldorado für mich zu sein. Jeden Abend so einen Schinken, war ihr Kommentar nach einem Blick in meine begeisterten Augen nach dieser Eröffnung. Ich bedankte mich bei dem Inder und erfuhr, daß er auch länger in unserem Hüttendörfchen bleiben würde. Wenn ich noch Fragen hätte, würde es ihm eine Freude sein, sie mir zu beantworten. Für den Film hatten sie einfach ein riesiges Leinentuch über eine Schnur in Strandnähe gespannt und als wir ankamen, saßen auf der einen Seite schon eine kleine Menge begeisterter Zuschauer.
„Wie kann man sich diese Dinger nur mit einer solchen Wohllust reinziehen?“ fragte Lilly mich, schüttelte den Kopf und setzte sich mit mir in die hinterste Reihe. Der Sand war auch in der Nacht noch angenehm warm. Ich atmete tief die salzige Luft des Meeres ein und bekam eine kleine Gänsehaut. Das hier ist zweifellos die schönste Nacht in meinem Leben. Das Glücksgefühl entbrannte aus der Mitte meines Magens, strömte mir in die Arme und Beine, lösten in meinem Kopf einen Klick aus, der mich spontan Lilly umarmen ließ.
„Huch! Was ist denn nun los?“ grinste sie verschmitzt angesichts des plötzlichen Überfalls.
„Ich bin einfach nur glücklich!“ Ich ließ sie los und deutete mit dem Kopf auf das Leinentuch, daß der Film jetzt los ginge. Manche Hüttendörfchenbewohner kamen noch mitten im Film, andere verließen ihn noch vor dem Ende. Wie im Ferienlager, dachte ich. Lilly schien von dem Film begeistert zu sein. Konzentriert folgte sie dem Geschehen und ich schaute mich in der kleinen Menge um. Ich kniff die Augen zusammen, um besser in dem Schein des Filmes sehen zu können, was ich bei meinem kurzen Rundblick entdeckt hatte. Das konnte nicht sein. Ich schaute abwechselnd mit aufgerissenen und zusammengekniffenen Augen, um mir ganz sicher zu sein. Es konnte unmöglich sein. Hatte das Schicksal es wirklich so gewollt? Der Schrecken fuhr mir so gnadenlos in die Glieder, daß das Glücksgefühl einer Übelkeit wich, die nicht unangenehm war. Ich begriff langsam, daß mir meine Augen keinen Streich spielten und mir zeigten, was ich nicht glauben wollte. Ich starrte in das Profil, was eindeutig ihn zeigte. Er saß in der ersten Reihe und schaute den Film! Er war auf Goa; in unserem Hüttedörfchen!
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Liebe einen Inder
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Beitrag14.05.2015 22:11

von Lyrika
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„Lilly, er ist da! Er sitzt dort in der ersten Reihe. Schau doch!“ flüsterte ich leise in ihr Ohr. Keinesfalls wollte ich die Aufmerksamkeit auf mich ziehen und ihn damit wohlmöglich verschrecken.
„Karo“ vernahm ich leise meinen Namen. Dann ein leichtes Streicheln an meiner Wange. „Karo, der Film ist gleich zu Ende.“ Ohne es bemerkt zu haben, hatte ich bei meinem Rundblick die Augen so zusammengekniffen, daß ich eingeschlafen war. Mein Kopf lehnte an Lillys Schulter. Sie streichelte nochmals meine Wange und schaute mich von der Seite an, ob ich wach war.
„Du bist in der Mitte des Filmes eingenickt. Er ist gleich zu Ende. Laß uns gehen! Du bist ja hundemüde.“ Ich setzte mich grade hin und war gleich darauf hellwach. Lilly machte die Anstalt zum Aufstehen, aber weit kam sie nicht, da ich sie am Arm festhielt und in den Sand drückte. Verwirrt schaute sie mich an und ich konnte im Licht des Filmes sehen, daß sie ihre Stirn in Runzeln gelegt hatte.
„Was ist?“ fragte sie ärgerlich und fuchtelte ihren Arm frei. „Warum zerrst du mich so grob am Arm?“ Ich antworte nicht und zog ihren Kopf vorsichtig an mich heran und als sie auf der Höhe meiner Blickrichtung war, streckte ich meine Hand aus und raunte:
„Schau doch, da sitzt er. Lilly, er ist hier!“ teilte ich ihr freudig meine Entdeckung mit. Sie starrte in die von mir gezeigte Richtung, entwand ihren Kopf aus meinem Griff, schaute mich an und stand wortlos auf. Sie bannte sich ihren Weg durch die anderen im Sand sitzenden Zuschauer und wurde von der Dunkelheit verschluckt. Verwundert über ihre Reaktion begriff ich zu spät, was eben geschehen war. Sie ließ mich einfach sitzen! Aber warum nur? Schnell stand ich auf, bannte mir ebenfalls meinem Weg durch die Zuschauer und tauchte in die Dunkelheit ein, bis ich Lillys Gestalt in dem Schein der Lichter unseres Hüttendörfchens sah. Sie stapfte wütend auf unsere Hütte zu. An ihrem Gang erkannte ich, daß sie sehr in Rage war. Aber was hatte sie so aufgeregt? Um sie einzuholen, mußte ich einen kleinen Spurt hinlegen. Auf der Höhe der Strandbar befand ich mich auf ihrer Höhe und versuchte sie zu stoppen. Ich packte sie am Oberarm, aber sie entriß sich mit aller Kraft meines Versuchs und stapfte weiter, ohne sich umzudrehen, wer sie da eigentlich packen wollte. Ich stand an dem Punkt, wo ich versucht hatte sie zu stoppen und war durch ihre Aktion so verwirrt, daß sich der Abstand zwischen uns abermals vergrößerte. Wieder ein kleiner Spurt, den ich beendete, als ich mich diesmal vor Lilly postierte. So stand ich genau in ihrer Laufbahn. Sie schaute kurz hoch und lief einfach um mich herum. Jetzt verstand ich die Welt nicht mehr. Ich drehte mich um, verschränkte meine Arme vor meiner Brust, verlagerte mein Gewicht auf ein Bein und legte den Kopf schief.
„Was ist los?“ rief ich lauter als ich wollte hinter ihr her. Sie reagierte nicht und stapfte weiter.
„Was ist los?“ rief ich diesmal lauter. Sie war schon so weit weg, daß ich nur noch ihre stapfenden Schritte wahrnahm. Dieses Verhalten fing an mich wütend zu machen. Zumal ich mir keiner Schuld bewußt war.
„Lilly!“ schrie ich, ohne Rücksicht, in die Dunkelheit hinein. Die Schritte verhallten, kurze Stille, die Schritte setzten wieder ein und wurden auf den angelegten Steinweg lauter. Sie kam auf mich zu. Die Dunkelheit spuckte sie aus und sie erschien mir größer, als ich sie je wahrgenommen hatte. Mit einigen schnellen Schritten stand sie vor mir. Unsere Begegnung wurde nur durch die Lichter der anderen Hütten beleuchtet, sodaß ich trotz der Dämmerung der Lichter in ihren Augen Zorn und Wut erkannte und mir unwohl wurde. Sie stemmte ihre Arme in die Seiten und baute sich so vor mir auf.
„Du! Du fragst mich, was los ist? Du schreist hinter mir her? Du…“ Zähneknirschend kam sie mit ihrem Gesicht meinem gefährlich nahe. So hatte ich sie noch nie erlebt, was mir bei unserer Tour schon öfter passierte, Lilly in unbekannten Situationen erleben zu dürfen. Aber so? Nein, jetzt wurde sie mir unheimlich und ich ging unbewußt ein paar Schritte zurück. Ich ließ meine Arme sinken.
„Du fragst mich echt noch, was los ist?“ Völlig fassungslos ging sie in die Senkrechte, fuchtelte mit ihren Armen in der Luft herum, blickte in die Dunkelheit und dann wieder zu mir.
„Ich habe dir geglaubt! Ich habe dir auch vertraut! Und was machst du? Du trittst es mit Füßen! Eine schöne Freundin bist du! Danke Karo! Vielen Dank auch dafür!“ Ich wollte diese Anschuldigungen nicht auf mir sitzen lassen und fuchtelte meinerseits mit den Armen in der Luft herum.
„Bitte, was zum Geier hab ich denn getan? Ich habe dein Vertrauen mit Füßen getreten? Wann denn?“ Ich blickte sie entgeistert an.
„Eben! Du hast es eben vor 10 Minuten getreten!“ Sie reizte mich mit ihrer Antwort.
„Wir haben den Film geschaut. Was ist daran ein Vertrauensbruch? Kannst du dich einmal bitte etwas klarer äußern? Ich habe keine Lust auf deine Hirngespinste!“ warf ich ihr genervt entgegen.
„Hirngespinste? Ja, genau das ist das richtige Wort von der richtigen Person. Du mit deinen Hirngespinsten! Und das willst du mir jetzt unterschieben? Oh nein, Karo, so nicht!“ Wild fuchtelte sie jetzt mit ihrem Zeigefinger vor meinem Gesicht herum.
„Ich habe viel Verständnis für dich und deine Gefühle zu diesem Mann gezeigt. Im Flugzeug, in Bombay, deine Träume, dein Geheule, deine Blicke und dein Suchen. Ich habe alles ertragen und das warst du mir auch wert! Aber als wir in Delhi waren, haben wir noch einmal darüber gesprochen und du hast mir versprochen, daß auf Goa damit Schluß ist. In Delhi hast du jeden zweiten Inder für deinen Inder gehalten. Karo, ich kann und will es nicht mehr hören! Ich kann nicht mehr! Und war froh, daß wir hier ausspannen könnten, ohne dein Phantom. Und was machst du? Präsentierst mir aufgewärmt gleich am ersten Abend dein Phantom, was angeblich in der ersten Reihe sitzt. Das meinte ich mit Vertrauensbruch. Es kotzt mich so an!“ All ihre angestaute Wut platze aus ihr heraus und mir bitter entgegen. Es war, als hätte sie mir einen Rammbock in meine Magengrube geschlagen. Ihre Worte trafen mich so hart, daß ich anfing zu zittern. Ich hatte das Gefühl, meine beste Freundin zu verlieren. Wenn ich sie nicht schon verloren hatte. Mir stiegen die Tränen heiß in die Augen. Sie stand immer noch mit erhobenen Zeigefinger vor mir und atmete schwer ein und aus. Ihre Augen sendeten eine Botschaft aus Haß, Wut und Verzweiflung.
„Ich habe mein Versprechen gehalten. Ich habe ihn wirklich gesehen. Bitte glaube mir doch!“ flehte ich sie an. Ich kam mir so klein und wehrlos in ihren Fängen vor. Sie senkte den Zeigefinger und senkt den Blick.
„Karo, bitte, ich will es nicht mehr hören!“ antwortete sie mir kraftlos.
„Er hat dort gesessen!“ erwiderte ich mit tränenerstickender Stimme. Der Kloß in meinem Hals ließ sich nicht mehr lange aufhalten.
„Du bist eingenickt und da hat er für dich gesessen. Aber nicht in der Realität! Das war alles. Kapiere es doch endlich!“ erklärte sie mir erschöpft und wandte sich zum gehen „Mach was du willst! Ich bin es leid, dir auch nur noch eine Minuten meines Lebens zuzuhören, wenn es um dein Phantom geht. Ich gehe ins Bett. Gute Nacht!“
„Aber Lilly…“
„Gute Nacht Karo!“ sagte sie zu mir, ehe sie die Dunkelheit umhüllte.

Ich weiß nicht mehr, wie lange ich dort stand. Der Film war inzwischen zu Ende und die Menge strömte auseinander. Einige von ihnen liefen an mir vorbei, ohne von mir Notiz zu nehmen. Jetzt kam mir das Hüttendörfchen unheimlich vor. Der zarte Lichtkegel, der die Dunkelheit in diesem Punkt seine gespenstische Macht nahm, umhüllte mich. Sie hat mich einfach stehen gelassen! Sie hat mich einfach stehen gelassen, dröhnte meine innere Stimme in meinem Kopf. Hin und her gerissen, ihr zu folgen, sackte ich in mir zusammen. Ein begossener Pudel war gar nichts gegen mich. Soweit kannte ich Lilly, daß es jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, mit ihr eine Aussprache zu wollen. Es hätte in einem Streit geendet, den wir beide bitter bereut hätten. Und alles nur wegen einem Mann! Wegen einem, wie sagte Lilly; wegen einem Phantom. Langsam richtete sich mein Oberkörper auf. Ich bemerkte, wie ich sauer wurde. Je mehr ich meine Gedanken der letzten Tage in mein Gedächtnis rief, desto wütender wurde ich. Ich wurde wütend auf Indien, auf Lilly, auf mich und auf ihn. Ja, er war doch an allem Schuld! Mit einem Schwung drehte ich mich um und lief in die Richtung, wo die Leinwand am Strand gespannt war. Nur nicht in die Hütte, dachte ich mir. Das Gelächter der anderen nahm ich nicht war. Dazu war mir die Wut im Bauch um so näher. Wie konnte dieser Mann sich nur in mein Leben schleichen und alles durcheinander bringen? Mit Lilly wollte ich dieses Land erleben. Und nun? Mit einem Tritt bekam ein kleiner Stein die sich aufstauende Wut ab. Beleidigt trullerte er in die nächste Sandmulde und blieb dort stecken, in der Hoffnung, daß ich von ihm ablasse. Ich entfernte mich von der Strandbar, vorbei an der Stelle, wo die Leinwand gespannt war und gelangte an die Stelle, wo ich tagsüber mit Lilly getobt hatte. Die Wellen, die sachte am Stand ihr immerwerdendes Rauschen erklingen ließen, luden mich ein, Platz zu nehmen. Ich setzte mich und schaute in die Nacht hinein, die mich völlig umhüllte. Hier hatte ich mit ihr getobt und nun sitz ich hier. Voller Wut auf sie! Mit angezogenen Knien ließ ich mich gehen und fluchte leise wie ein Rohrspatz vor mich hin. Meinem Kinn machte ich es auf meinen Knien gemütlich. Ich hatte ihn gesehen und sie glaubte mir nicht. Was war sie denn für eine Freundin? Entweder sie kümmert es, was ich sehe oder nicht. Und wie ich eben zu spüren bekommen hatte, kümmerte es sie nicht. Auf Lilly kann ich verzichten, sagte ich lauter in die Nacht hinein. Wenigstens das Meer hört mir zu. Eine leichte Brise ließ mich erschaudern. Als hätte das Meer geantwortet. Ja, das Meer versteht mich und Lilly? In Zukunft werde ich ihr auch nicht mehr zuhören! Soll sie doch sehen, wo sie bleibt! Auch wenn sie mich jetzt suchen kommt, werde ich auf stur schalten. So schnell bekommt sie mich nicht herum! Da muß sie jetzt schon tiefer in ihre Trickkiste greifen. Mir einfach nicht zu glauben, daß er dort saß. Bei diesem Gedanken legte sich meine Wut und schwang in Überlegtheit über. Und wenn er dort wirklich nicht saß? Wie oft hatte ich ihn schon gesehen? Wie oft hatte ich Lilly von meinen Träumen erzählt? Ich fing zu zweifeln an. Ob er das heute war? Und wenn Lilly recht hatte? Meine Wut war ganz verraucht und ich spürte eine unendliche Traurigkeit aufsteigen. Mit jeder Welle des Meeres breitete sich die Traurigkeit in meinem Körper aus. Oh ja, was hatte ich Lilly all die Tage zugemutet. Und wie hatte sie all die Phantasien und Träume ertragen? Sie hatte mir zugehört und sie hatte mir beruhigend zugeredet, wenn ich weinend aus einem Traum erwachte. Sie war immer für mich da! So wie das Meer sanft seine Wellen schlug, so sanft schlugen mir die Tränen in die Augen. Ich hatte ihr das alles zugemutet und ich hatte sie immer an meiner Seite. Und nun zeigte ich mich undankbar. Mein Verspechen! Ja, sie hatte recht, ich hatte mein Versprechen gebrochen. Wer will schon eine Reise machen, die von einem Phantom verfolgt wird? Heiß rannen mir die Tränen über die Wangen, über die Knie und tropften in den Sand. Meine liebe Lilly! Ich war an allem Schuld. Ich war diejenige, die dem Phantom Raum gab. Nicht sie und nicht er! Nur ich war schuld. Hemmungslos und unbeobachtet weinte ich mich aus. Völlig erschöpft, aber zuversichtlich wollte ich aufstehen, als ich ein Knacken hinter mir wahrnahm. Was war das? Ich schreckte auf. In meiner Wut hatte ich auf Nichts und Niemanden geachtet. War mir jemand gefolgt? Die Erschöpfung war augenblicklich einem Unbehagen gewichen. Angst machte sich breit. Ich stand auf und befand mich in einer Situation, der ich nicht gewachsen war. Nicht nur, das ich schüchtern war, nein, ich war auch ängstlich.
„Ist da jemand? Lilly, bist du das?“ rief ich leise in Richtung aus der das Knacken kam. Keine Antwort! In meinem Kopf tobte ein Krieg aus Unentschlossenheit, Angst, Hoffnung und aller Horrorfilme, die ich je gesehen hatte. Ich war Meister in ´sich selber Angst machen´ und das tat ich jetzt. Schweiß bildet sich auf meiner Stirn. Hatte ich da ein Knacken gehört oder war das nur wieder ein Streich meines Unterbewußtseins? Langsam ging ich am Strand lag. Die Lichter des Hüttendörfchens konnte ich von hier aus sehen. Aber ob ich sie auch schnell genug erreichen könnte? Da, wieder ein Knacken. Die Angst machte einer Panik platz. Ich atmete schneller und meine Beine liefen unbewußt schneller. Verdammt, warum bin ich nur hierher gegangen? Ich hätte doch an der Strandbar bleiben können. Das Rauschen des Meeres beschleunigte seltsamer Weise meine Panik. Ich lief weiter. Da, jetzt waren es eindeutig Schritte im Sand. Mir gefror das Blut in meinen Adern. Laß dir nichts anmerken, Karo, lauf einfach weiter. Wenn doch nur mal ein verliebtes Pärchen am Strand liegen würde. In meinen Augen stiegen die Tränen der Verzweiflung auf. Die Lichter schienen einfach nicht näher zu kommen. Wie in einem Traum, indem man auf der Stelle rennt und nicht weiterkommt. Wie konnte ich nur so dumm sein und mich so weit vom Hüttendörfchen entfernen! Es war so stockdunkel! Meine Füße wurden von den ankommenden Wellen umspült, was das Laufen leichter machte. Da, ein Huschen hinter mir. Unbewußt drehte ich meinen Kopf und bemerkte die Anwesenheit des unbekannten. Plötzlich kam mir eine Idee. Ich stoppte, drehte mich ganz herum und rief mit halbgefestigter Stimme:
„Lilly! Lilly, du kannst jetzt rauskommen. Ich weiß deine Scherze zu schätzen, aber nun ist Schluß! Lilly!“ Keine Antwort! Ich wurde stutzig. Lilly wußte, daß ich leicht Angst bekam.
„Lilly, du weißt doch, daß ich mich schnell ängstige. Du hattest deinen Spaß und deine Rache. Zeig dich!“ Keine Antwort. Mein Atem ging stockend. Spätestens jetzt hätte sich Lilly gezeigt und wäre mir entgegen gekommen. Ich schluckte schwer und meine Zunge klebte sich zäh an meinen Gaumen. Mich beschlicht die Befürchtung, daß dieser Unbekannte nicht Lilly war. Dreht dich langsam und cool um und lauf los, ermahnte ich mich. Noch heute wache ich schweißgebadet auf, wenn ich an das nun Folgende denke, was sich nach meinem Umdrehen ereignete.
Ich drehte mich um und lief ganz langsam weiter. Ich spürte ein Schnaufen hinter mir und ehe ich begriff was geschah, fand ich mich im Sand wieder. Der Unbekannt hatte mich von hinten gepackt und zu Boden gerissen. Ich lag auf dem Bauch und er hielt mir die Arme schmerzhaft verdreht auf dem Rücken fest. Zu schreien war mir nicht möglich, da er mir den Mund zuhielt. Sein schwerer Atem kam näher an mein Gesicht. Es war dunkel und ich konnte ihn nur riechen. Er roch nach Schweiß und leicht nach Alkohol. Er hockte über mir und stemmte mir sein Knie zur Sicherheit in den Rücken. Ich konnte keinen klaren Gedanken fassen und wimmerte vor mich hin. Ich wand mich unbewußt gegen diese Gewalt, was zur Folge hatte, daß er seine Knebelungen verstärkte. Ich fing an zu weinen, was ihn nicht beeindruckte.
„Wer ist Lilly?“ sprach er mir scharf ins Ohr. Er redete ein schlimmes Englisch. Dann begriff er, daß ich mit zugehaltenem Mund nicht reden konnte. Er lockerte seine Hand, sodaß ich einen Spalt zum reden hatte.
„Warum?“ antwortete ich ihm im verständlichen Englisch. Er drückte sein Knie tiefer in meinen Rücken.
„Wer ist Lilly?“ knurrte er ungeduldig. „Wer?“
„Sie ist meine Freundin.“ antwortete ich Angesichts meiner Lage.
„Und Du?“ Hart drückte er mir die Arme Richtung Nacken. Ich schrie auf, was er auch gleich mit seiner Hand erstickte.
„Ich bin Karo.“ gab ich mit zitternder Stimme von mir.
„Wo wohnt ihr?“ Ich konnte ihm die Antwort nicht geben, da sich plötzlich seine Griffe lockerten und ich auch meinen Mund wieder in Freiheit wußte. Es gab einen harten Schlag, der die Nacht erschütterte. Da, noch eine Schlag. Aber wo war der Fremde? Und warum war ich plötzlich frei? Ich rappelte mich auf und saß im nassen Sand. Es waren immer wieder diese harten Einschläge, die ich vernahm, aber nicht begreifen konnte, was da geschah. Ich hörte schweres Atmen und daß sich mal was im Wasser befand und dann wieder nicht. Dann noch ein harter Schlag, ein Aufschrei und dann war Stille. Die Nacht gab mir keine Chance auch nur Umrisse wahrzunehmen. Was war…..jetzt begriff ich, was passiert war! Es war ein zweiter Unbekannter aufgetaucht, der den Fremden mit einem Schlag von mir befördert hatte. Sie hatten gekämpft. Aber wer hatte gewonnen? Es war nicht zu überhören, daß sich einer von beiden am Boden vor Schmerzen wand. Aber wer? Es packte mich eine Hand am Oberarm und ich schrie aus Panik auf. Ich schlug nach der Hand und robbte im sitzen nach hinten. Die Hand griff weiter nach mir und hielt mich schließlich fest. Unbewußt bemerkte ich, daß von diesem Fremden keine Gefahr ausging. Die zweite Hand packte mich am anderen Oberarm, zog mich auf die Beine und schob mich in Richtung Hüttendörfchen. Ich sträubte mich nicht und begriff, was der Unbekannte wollte. Ich lief langsam los, dann immer schneller, bis ich zum Spurt ansetzte und völlig außer Atem an unserer Hütte ankam. Ich riß die Tür auf und sah Lilly auf dem Bett sitzen.
Sie schaute hoch und erschrak so sehr, daß sie sofort aufstand und mich in die Arme nahm.
„Lilly, es war schrecklich“ weinte ich an ihrer Schulter.
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Lyrika
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Liebe einen Inder
L
Beitrag13.06.2015 20:15

von Lyrika
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Lilly hielt mich wortlos fest und wartete darauf, daß ich mich ein wenig beruhigte. Das Schlurzen vibrierte durch meinen ganzen Körper und schien kein Ende zu finden. Als die Anspannung nachließ, fand sich mein Körper gnädig und ließ mich zur Ruhe kommen. Lilly streichelte mir über den Rücken und wiegte mich wie ein Kind in ihren Armen. Sie ließ von mir ab und schaute mich an.
„Wollen wir uns auf das Bett setzen?“ Ich nickte und ließ mich an der Hand von ihr zu dem Bett führen. Wir setzen uns gegenüber und sie hielt meine Hand weiter fest. Sie sagte kein Wort. Traurig starrte sie auf meine Hand, die sie in der Zwischenzeit angefangen hatte, durchzukneten. Ich seufzte nochmals auf und atmete tief durch. Sie knetete jetzt so heftig, daß es mir begann weh zu tun. Soweit kannte ich Lilly, um zu wissen, daß sie um Fassung rang.
„Dieses Schwein! Ich drehe dem den Hals um! Aus dem mache ich Kleinholz!“ Sie lief aufgeregt in unserer Hütte auf und ab, als ich zu Ende erzählt hatte, was nach unserer Trennung passierte war. Wie ein Häufchen Elend saß ich auf dem Bett und schaute ihr nach. Sie trat den Rucksack, drehte sich um, lief zurück, trat gegen das Bett, drehte sich, trat wieder gegen den Rucksack.
„Dieses Arschloch! Oh, ich platze vor Wut!“ knurrte sie zwischen ihren Zähnen und ballte dabei ihre Hände zu Fäusten.
„Lilly, es ist gut. Reg dich nicht so auf.“ gab ich mit schwacher Stimme von mir. Ich wollte nur noch schlafen. Es hatte mir zuviel Kraft gekostet und ich hatte keine mehr für Lilly. Mit schlechtem Gewissen senkte ich den Kopf. Sie ist immer für mich da, hämmerte es in meinem Kopf. Nehme dich wenigstens jetzt zusammen, ermahnte mich mein innerer Schweinhund. Ich hob den Kopf und lächelte sie an.
„Ich soll mich nicht aufregen?“ schrie sie in den Raum. „Meiner besten Freundin ist was schreckliches Widerfahren und sie sagt ich soll mich nicht aufregen?“ Sie redete mit einer imaginären Person. „Ich werde da jetzt rausgehen und dem so eine auf die Glocke hauen, daß es bis nach Afrika scheppert! Der wird mich kennenlernen! Ich soll mich nicht aufregen! Ich rege mich aber auf! Karo,“ sie schaute mich zornig an „ich werde zu diesem Typen gehen!“ Ich konnte sie gerade noch am Arm wieder in die Hütte ziehen und die Tür schließen. Sie riß sich los und schob mich beiseite. Bevor sie die Tür erneuert aufreißen konnte, stellte ich mich davor und streckte meine Arme aus, was ihr signalisierte, daß sie hier nicht rauskäme. Ihre Augen glichen zwei glühenden Kohlen und ihr Gesicht war schweißig und puterrot. Sie kämpfte mit sich, ob sie mich wegschieben oder mich gewähren lassen sollte. Sie atmete schnell und unregelmäßig. Mein einziger Gedanke war in diesem Moment, daß ich noch nie einen Menschen habe platzen sehen. Lilly wäre der Erste. Der Gedanke nahm in meinem Kopf Gestalt an und ich sah Lilly geplatzt und in 1000 Teile verstreut in der Hütte liegen. Als der Gedanke zu einem Bild wurde, lächelte ich erst zaghaft, dann krabbelte das Bild zu meinen Lachmuskeln und kitzelte mich vorsichtig, sodaß ich anfing zu grinsen. Aus dem Grinsen wurde ein giggeln, das sich schließlich nicht mehr aufhalten ließ und mit einem großen Lacher aus meinem Mund herauskam. Ich stand in der Tür und lachte wie eine Irre. Verwirrt blickte mich Lilly an. Sie deutete die Situation aber richtig, weil sie mich sofort in den Arme nahm, um mich aufzufangen, da ich unter lachen in mich zusammen sank. Aus dem Lachen wurde ein erneuertes Weinen. Ich bemerkte unter meinem Weinen, daß es nicht mein Körper war, der bebte. Nein, Lilly bebte. Was war denn nun los? Der Fluß der Tränen stoppte und ich drückte Lilly von mir weg, die inzwischen das doppelte wog. Sie gab sich ganz ihrem Weinen hin. Sie weinte! Das wollte ich nicht. Es war mir doch passiert, nicht ihr.
„Lilly?“ brachte ich unter Anstrengung hervor, als ich sie versuchte, aus meinem Schoß hochzustemmen. „Lilly, warum weinst du?“ Nun wollte ich für sie da sein und wischte mir schnell die Tränen aus dem Gesicht. Sie kam hoch und schaute mich hilflos an.
„Ich bin daran schuld, daß dir was passiert ist. Wenn ich dir geglaubt hätte, dann hätten wir uns nicht gestritten und dann wärst du nicht…oh, Karo!“ Sie brach erneuert in meinem Schoß zusammen. Ich streichelte ihr durch die Haare. Wie schön ihre Haare doch waren. Dick und glänzend. Nußbraun, betonte sie immer wieder. Ich spielte mit ihren Locken, beteuerte ihr, daß sie nicht Schuld sei und wartete bis sie sich gesammelt hatte. Was murmelte sie da? Zum besseren Verständnis, hob ich ihren Kopf ein wenig an.
„Was hast du gesagt?“ flüsterte ich beruhigend auf sie ein. Sie rappelte sich hoch und setzt sich mir gegenüber.
„Ich hab gesagt, daß ich mir das Schwein kaufe!“ sagte sie und rammte ihre Faust in die Handfläche der andern Hand. Ich atmete tief ein und stand auf. Meine Hand lud sie ein, es mir gleich zu tun. Sie ergriff sie und stand auf.
„Ich will mich duschen und mir frische Klamotten anziehen.“
„Ja, mach das.“ sagte sie lauernd.
„Nein Lilly, bleib bitte hier! Geh nicht! Laß mich nicht alleine!“ flehte ich. Sie nickte, lief zum Tisch und gab mir meine Kulturtasche. Während ich duschte, überlegte ich, wie es weitergehen sollte. Ich mußte den Vorfall melden, damit sie den Kerl fassen. Mir wurde übel. Was ist wenn sie ihn nicht fassen? Und, wird man mir überhaupt glauben? Und wie reagiert man hier auf solche Ereignisse? Ich wußte nichts mehr. Das Wasser prasselte im Einklang mit meinen Gedanken. Lilly wollte ich nicht einspannen, da ich bemerkt hatte, wie nahe ihr das Ganze ging. Aber aufhalten konnte ich sie sowie so nicht. Mit frischen Klamotten und nassem Haar setzte ich mich hinter zu ihr auf das Bett. Verwundert schaute ich ihr über die Schulter.
„Nanu, warum hypnotisierst du den Rucksack so?“ fragte ich und deutete auf ihn, der zwischen ihren Oberschenkeln stand.
„Hast du heute was aus dem Rucksack genommen?“
„Nein, warum?“ fragte ich. Sie stutze, wendete den Blick von dem Rucksack und schaute sich in unserer Hütte um. Ich folgte ihrem Blick.
„Was schaust du denn?“ Unsicherheit kroch mir den Rücken hoch.
„Ich glaube, wir hatten Besuch. Schau dich mal um! Unsere Sachen liegen nicht mehr dort, wo wir sie hingelegt haben.“ Tatsächlich fiel es mir jetzt auf, daß es sehr zerwühlt aussah. Mein Herz schlug schneller. „Was hat das zu bedeuten?“
„Ich weiß es auch nicht!“ sagte sie in einem ruhigen Ton „Wir waren beide sehr aufgebracht, um es gleich zu bemerken. Ich bin vorhin wutentbrannt rein und hab mich auf das Bett gesetzt. Und du bist aufgelöst hereingekommen. Wir hatte beide nicht den Blick für die Unordnung.“ Sie sprach so ruhig und gefaßt. Ja, es stimmte, wir waren beide aufgebracht gewesen.
„Meinst du, sie haben was geklaut?“ fragte ich sie.
„Laß uns nachschauen.“ Wir sprangen beide vom Bett auf und untersuchten unsere Hütte bis in den letzten Winkel. Nach dieser Aktion setzten wir uns wieder nebeneinander auf das Bett. Wir waren beide so verwundert darüber, daß nichts gestohlen worden war, daß wir uns kurze Zeit anschwiegen. Jede hing ihrem Gedanken nach.
„Was hat das zu bedeuten?“ unterbrach sie die Stille.
„Ich kann es mir auch nicht erklären. Wer durchwühlt eine Hütte und nimmt nichts mit? Unsere Brustbeutel liegen im Rucksack und das Geld auch. Es ist aber alles da.“ erwiderte ich verwirrt.
„Es muß passiert sein, als wir beim Film waren. Die Zeit wäre sonst zu kurz. Und später bist du….“ Sie brach ab. Verzweifelt nahm sie den Rucksack auf ihren Schoß.
„Ist schon gut. Aber warte mal! Der Typ hatte mich gefragt, wie wir beide heißen und wo wir wohnen. Ob der damit etwas zu tun hat?“
„Ich weiß es nicht. Könnte schon ein Zusammenhang bestehen.“ meinte sie und wühlte im Rucksack herum. Ich wunderte mich über mich selber. Obwohl dieses Ereignis am Strand noch nicht einmal zwei Stunden her war, wandelte sich mein Gefühl der Hilflosigkeit in ein Gefühl der Rache. Ich wollte diesem Kerl die Stirn bieten! Ich bäumte mich auf und schaute zu Lilly herüber.
„Was suchst du denn da?“ fragte ich neugierig.
„Ne Zigarette!“
„Darf ich dich daran erinnern, daß du vor drei Jahren aufgehört hast. Und außerdem sind da keine drin.“ Grummelnd stellte sie die Wühlerei ein.
„Lilly, ich hab eine Idee! Einer der beiden oder beide müßten verletzt sein oder Blessuren haben. Die Schläge waren sehr hart gewesen. Wenn wir morgen jemanden sehen, der verprügelt aussieht, dann haben wir ihn.“ sagte ich mit etwas Begeisterung in meiner Stimme.
„Ja, wäre möglich, aber es sind viele Leute hier. Wie willst du ihn finden, wenn er uns vielleicht beobachtet und uns aus dem Weg geht?“ fragte sie zweifelnd. Ich wollte mich nicht abbringen lassen, von der Idee, ihn zu finden.
„Laß es uns probieren! Bitte!“ Flehend schaute ich sie an. Sie seufzte.
„Also meinetwegen. Obwohl ich ja der Meinung bin, wir sollten es melden.“
„Bitte laß es uns einen Tag ausprobieren. Dann melde wir es, falls es uns nicht gelingt.“ bettelte ich sie an.
„Ok, nur einen Tag. Sind denn hier wirklich keine Zigaretten drinnen?“ willigte sie in meinen Vorschlag ein und wühlte wieder im Rucksack herum.
„Nein, Lilly, keine Zigaretten drinnen.“ antwortete ich gehässig.
„Scheiß Urlaub!“ Und schon flog der Rucksack quer durch die Hütte und bleib verknautscht am Schrank liegen.


Er hätte sie fast gehabt. Dann kam ihm dieser Typ in die Quere. Sein Chef hatte ihm drei Wochen Zeit gegeben den Film zu besorgen. Bis nach Goa ist er den beiden Frauen gefolgt und hatte sein Ziel noch nicht erreicht. In der Hütte der beiden war nichts zu finden gewesen. Sie mußten den Film aber bei sich haben! Und er mußte ihn haben! Es stand verdammt viel auf dem Spiel. Es war ihm von Anfang an nicht entgangen, wie hübsch sie war und am Strand in der Nacht…Schmerzverzerrt betrachtet er sein Spiegelbild, was ihm ohne Verschönerung die Spuren des Kampfes zeigte. Mit Alkohol tupfte er sich die Wunde ab, die sich mit Ausdruck auf seiner Wange bildete. Er schwor sich, den Typen das nächste Mal fertig zu machen. Ihm sollte keiner ungeschoren entkommen. Auch nicht die beiden Frauen. Der Alkohol, den er immer bei sich hatte, tat seine Wirkung. Brennend zog er sich in die offene Wunde herein. Fluchend wartete er ab, daß die Blutung aufhörte und verpflasterte sie. Wenn ihn einer fragt, dann ist er auf einer seiner Rauschzustände ausgerutscht und habe sich dabei das Gesicht aufgeschlagen. Er hatte sie in der Nacht überwältigt und sie würde ihn am Tage nicht erkennen. Zumal er sich im Hintergrund halten würde. Außerdem hatte er schlechtes Englisch angewandt und sie gefragt, wo sie wohnt, damit sie keinen Verdacht schöpft. Und es wäre ihm auch gelungen, wenn er nicht gestört worden wäre. Scheiß Job, dachte er sich und wand sich der anderen Seite seines Gesichtes zu. Dort hatte sich ein blauer Fleck unter dem Auge gebildet. Der Typ war nicht gerade fein mit ihm umgegangen. Und hatte er ihn doch auch nicht bemerkt, sonst hätte er ihm gleich anders kommen können. Er stützte beide Hände auf das Waschbecken und betrachtete sich eine Weile. War es der Job wirklich wert? War es wirklich soviel wert, daß er solche Maßnahmen ergriff, um an sein Ziel zu kommen? Und wie komme ich an den Film heran? Ja, es war es wert! Es war es wert, daß er so reagierte, weil es sein Job ist. Die Gedanken in seinem Kopf schwirrten oder war es der Alkohol? Er atmete so tief ein, daß seine Lunge schmerzte. Wie sollte es weitergehen? Hart stieß er sich vom Handwaschbecken ab, schritt durch den kleinen Raum in seiner Hütte und legte sich auf das Bett. Er verschränkte die Arme hinter seinen Kopf und überlegte, wie sein nächster Plan aussehen könnte, um an den Film zu kommen. Die Wunde fing unter dem Verband an zu pochen. Ein Cocktail aus Schmerz, Wut und Müdigkeit überlagerten sein Planspiel und wenig später befreite ihn ein tiefer Schlaf von diesem wenig schmackhaften Cocktail.




Ich hatte nur wenig geschlafen und schlüpfte leise aus dem Bett. Es war inzwischen heller geworden. Die Sonne ließ sich aber noch blicken. Ich schaute auf Lilly, die verschnörkelt im Bett lag und sich noch im Land der Träume befand. Es war frisch und ich zog mir eine leichte Strickjacke an. So ausgestattet trat ich vor unsere Hütte und setzte mich auf einen der Stühle. Es war keine Menschenseele zu erblicken. Die frische Luft weckte meine Lebensgeister und ich schaute auf das Meer hinaus. Jetzt, in dem seichten Licht, was der Himmel spendete, sah alles so friedlich aus. War es mir in der letzten Nacht wirklich widerfahren? Das Meer war ruhig und glich einem Spiegel. Ich lächelte, weil mir der Gedanke kam, daß das Meer nie schliefe. Es war zu allen Zeiten der Erde existent und tat unermüdlich seine Arbeit. Ach ja, was waren das denn wieder für Gedanken? So lief es schon mein ganzes Leben lang. Immer stellte ich mir die unmöglichsten Fragen und verfiel dabei in Träumereien. Wie oft hatten mich die anderen anbrüllen müssen, bevor ich wieder in die reale Welt zurückkehrte. Zurückkehrte! Ich schauderte. Ob er auch wieder zurückkehrte, um unsere Hütte zu durchwühlen oder mich zu überfallen? Oder Lilly? Hatte er es auf mich abgesehen oder war es nur Zufall? Was ist, wenn Lilly gestern Nacht losgelaufen wäre? Ich rieb mir über die Oberarme. Dieser Gedanke an diesen Kerl machte mir Angst. Ich wunderte mich immer noch über mich, daß ich diesen Vorfall so einfach wegsteckte. Vielleicht wirkte meine Gegenstrategie, mich nicht unterkriegen zu lassen. Ohne Rücksicht auf meine Gedanken stieg die Sonne am Horizont auf. Ich beobachtete, wie sie sich Minute um Minute das Recht nahm, den neuen Tag anzukündigen. Wie schnell sie ist, dachte ich und erfreute mich über dieses Naturschauspiel. Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter. Ich erschrak so heftig, daß ich beinahe von Stuhl gefallen wäre.
„Gott, Lilly, bist du denn verrückt, mich so zu erschrecken?“ Ich griff mir an mein Herz, um es zu beruhigen. Diese dusselige Kuh!
„Morgen Karo. Entschuldige, ich wußte nicht, daß du wieder so im Gedanken bist. Darf ich mich zu dir setzten?“ Entschuldigend blickte sie mich an.
„Na klar! Setzt dich! Den Sonnenaufgang hast du verpaßt. Er war einfach überwältigend. Hast du gut geschlafen?“
„Ging so. Nach dem Erlebnis heute Nacht bist du aber recht fit.“ entgegnete sie mir skeptisch. „Geht es dir wirklich gut?“
„Ja, keine Sorge. Wenn was ist, dann sage ich dir bescheid. Wie sieht es aus? Wollen wir die Hütte auf Vordermann bringen und dann schön an der Strandbar frühstücken?“ Sie gähnte aus vollem Halse und schüttelte sich.
„Du bist echt nicht normal! In aller Herrgottsfrühe ans Aufräumen zu denken. Anderer Vorschlag. Du räumst auf, ich pack mich noch mal ins Bett und dann gehen wir gemeinsam frühstücken?“ Abermals gähnte sie herzhaft und streckte sich. Dann stand sie auf, grinste mich an und weg war sie. Lilly, du bist unmöglich! Ich ließ sie ziehen und stand auch auf. Nun waren schon einige Urlauber unterwegs und ich machte mich an das Aufräumen.
Bei jedem Gegenstand den ich wegräumte, kam mir der Gedanke, daß hat er auch angefaßt und die Wut auf diesen Kerl wuchs. Ich werde heute die Augen offen halten und wenn ich ihn sehe, dann wird er seine gerechte Strafe bekommen. Und man konnte ihm nur Glück wünschen, daß er nicht Lilly in die Arme gerät. Sie würde ihn ohne zu fragen unangespritzt in den Boden rammen. Meine Lilly! Was sie nicht alles für mich tun würde. Ich habe sie lieb, wie man nur eine Freundin lieb haben kann. Aber kann man denn einen so schnarchenden Menschen lieb haben? Grinsend stand ich vor ihrem Bett und betrachtet meine beste Freundin. Sie war so schön braun geworden. Das, so sagt sie, passiert schnell. Und ich brauchte mehr als nur einen Sommer für einen Hauch von Bräune. Wie ungerecht! Wie ungerecht, daß sie jetzt hier noch so schnarchend liegt, während sich vor unserer Hütte das Leben abspielte. Mit einem Griff hatte ich ihre Nase gepackt und hielt sie zu. Aus dem Schnarchen wurde ein Grunzen, dann ein verzweifelter Akt, die Nase frei zu bekommen, indem sie lauter grunzte. Ich fing leise an zu lachen. Jetzt registrierte ihr Körper, daß die Luft knapper wurde und sie wand sich unter meinem Griff. Nun schlug sie mit dem Kopf hin und her. Ich ließ ihre Nase los und setzte mich auf das Bett. Ich nährte mich ihrem Ohr, was zu verlockend frei lag und blies hinein. Ein entnervtes Knurren war ihre Antwort auf meine Stänkerei. Muffelig drehte sie sich auf die andere Seite. Jetzt hatte ich Gefallen an meiner Stänkerei gefunden, stand auf und riß ihr mit einem Ruck die Bettdecke weg und brüllte:
„Ene mene meck, nun ist die Bettdecke weg!“ Nun mußte ich schnell sein, da Lilly mit ungeöffneten Augen nach meiner Bettdecke angelte.
„Oh nein, so haben wir nicht gewettet“ lachte ich und schmiß mich quer über Lilly auf das Bett und hielt meine Bettdecke fest.
„Geht runter von mir! Du bist zu fett!“
„Oh, na warte. Das wirst du mir büßen!“ Ich stand auf, ging in das Badezimmer und kam mit einem Zahnputzbecher, der bis zum Rand mit kaltem Wasser gefüllt war, zurück. Sie hatte immer noch ihrer Augen geschlossen und hatte keine Chance meiner Rache zu entkommen. Mit einem Schwung ergoß sich der Zahnbecher über ihrem Kopf. Es gibt Menschen mit einer schnellen Reaktion. Lilly zählte zu ihnen. Ich habe sie selten so schnell wach werden sehen. Sie saß aufrecht im Bett und das Wasser tropfte ihr über die Nase. Entsetzt schaute sie mich an und prustete sich das Wasser aus dem Mund.
„Sag mal, hast du einen…Oh, jetzt verstehe ich. Du willst Krieg? Den kannste haben!“ lachte sie und sprang aus dem Bett. Ich rannte kreischend um das Bett und sprang hinauf.
„Das war die Rache dafür, daß ich zu fett bin! Wer ist jetzt hier fett? Krieg mich doch!“ alberte ich herum und versuchte mich nicht fangen zu lassen. Unser Einkriege endete lachend und sich gegenseitig abkitzelnd auf dem Bett.
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Lyrika
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Beiträge: 130
Wohnort: Berlin


Liebe einen Inder
L
Beitrag02.08.2015 21:56

von Lyrika
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Wir saßen an der Strandbar und ließen uns das Frühstück schmecken. Lilly schaute mich komisch an.
„Was ist?“ fragte ich mit vollem Mund. Sie nickte auf meine Handgelenke.
„Sag mal tun dir die nicht weh? Du hast ja richtige Abdrücke! Ist mir bis jetzt nicht aufgefallen.“ Erst als sie es aussprach und ich mir bewußt wurde, daß sich der harte Griff des Typen in Form von blauen Flecken an meinen Handgelenken für eine Zeit verewigt hatte. Ich ließ das Brötchen sinken und betrachtete mir meine Handgelenke näher. An einigen Stellen konnte man die Finger von diesem Typen erkennen. Mir wurde schlecht und die letzte Nacht kam wie eine Welle über mich gerollt. Ich schob meinen Teller zur Seite und stützte meine Ellenbogen auf dem Tisch ab. Die Welle brachte erst die Angst und dann stärker, als ich erwartete, die Wut.
„Lilly, schau dir das an! Dieses Schwein werde ich so fertig machen!“ sagte ich leise und sehr bestimmend. „Der wird mich in seinem Leben nicht vergessen!“ Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Es herrschte neben mir Ruhe. Verwundert blickte ich zur Seite und sah, wie Lilly ihr Brötchen in der Luft hielt und mich anstarrte.
„Karo, ich hab dich noch nie so erlebt. Du machst mir ein wenig Angst. Sonst bist du doch die Ängstliche.“ sagte sie mit einem Unterton der Verunsicherung und biß im Zeitraffer von ihrem Brötchen ab, ohne mich aus den Augen zu lassen. Ich straffte meinen Körper.
„Tja, manchmal geschehen halt Zeichen und Wunder. Und ein solches Wunder wird dieser Kerl auch erleben. Aber zuerst lege ich mich an den Strand. Ich will ein wenig allein sein. Also, genieße weiter das Frühstück. Sei mir nicht böse.“ antwortete ich ihr, sprang vom Stuhl, drückte ihr ein Küßchen auf die Wange und ging zu unserer Hütte, um meine Badesachen zu holen. Lilly hatte vergessen weiterzukauen und blieb verdattert mit ihrem in der Luft schwebenden Brötchen alleine zurück.
Mit einer mir nicht erklärbaren guten Laune schlenderte ich zum Strand. Wie ein Vogel auf der Suche nach einem guten Nistplatz, lief ich am Strand ein wenig auf und ab, ehe ich den schönsten Platz für mich gefunden hatte. Es war einiges los am Strand. Die Windsurfer waren wegen dem aufgezogenen stärkeren Wind nicht auf den Wellen unterwegs. Einige spazierten herum und andere hatten, wie ich ihr Lacken unter sich ausgebreitet. Ich wußte, daß Lilly meinen Wunsch respektierte und würde mich die nächsten Stunden in Ruhe lassen. Wohlig entspannt räkelte ich mich auf dem Lacken in eine bequeme Leseposition. Ich hatte mir ein Buch von Lilly geliehen und fing an zu lesen. Die Minuten verstrichen, wurden zu Stunden, in denen ich zahlreich meine Positionen wechselte. Das Buch war spannend und ich war völlig auf die Geschichte konzentriert. Nichts um mich herum nahm ich wahr. Der Wind war etwas stärker, aber nicht unangenehm geworden. Ich genoß die Sonne und die frische Luft. Das dies ein reiner Abenteuerurlaub geworden ist, verdanke ich nicht nur der Begegnung mir ihm und dem Erlebnis der ersten Nacht auf Goa, sondern auch mit dem folgendem Erlebnis, daß anscheinend nur auf mich gewartet hatte. Ich laß Kapitel um Kapitel und hatte meine letzte Liegeposition auf dem Bauch bezogen. Mein Gesicht hatte ich in die Sonne gestreckt und schaute, wenn ich das Buch wegnahm, auf das offene Meer hinaus. Die Wellen stiegen und sanken durch die Kraft des Windes. Jetzt wollte bestimmt keiner mehr hinaus auf dieses tosende Meer. Ich vernahm beim Lesen eine Art Schrei, ignorierte ihn aber, weil sich mittlerweile mehr Menschen am Strand befanden. Da wird halt mal geschrieen, dachte ich mir und versuchte mich wieder auf das Buch zu konzentrieren. Wieder drang dieser erstickende Schrei an meine Ohren. Karo, ignoriere ihn, daß sind die Kinder am Strand, ermahnte ich mich. Langsam konnte ich durch diesen erstickenden Schrei die Zusammenhänge in dem Buch nicht mehr folgen. Dieser eigenartige Schrei kam und ging. Mal war er lauter, dann wieder leiser. Was war denn das bloß? Verwundert und genervt versuchte ich nun doch die Quelle des Schreiens zu orten. Da war es wieder! Lauter, leiser, lauter, leiser. Wie die Wellen des Meeres. Wie die Wellen des Meeres? Ich legte das Buch zu Seite und schloß die Augen, um das Schreien besser wahrnehmen zu können. Lauter, Welle, leiser, Welle, lauter. Scheiße, das kam vom Meer her, schoß es mir wie ein Blitz durch den Kopf und ich riß die Augen auf. Ich stand auf und ging näher an das Meer heran und da sah ich es. Ein kleines Boot, eines dieser Nußschalen, die immer am Strand standen war zum Spielball der Wellen geworden. Und derjenige, der in der Nußschale war, schrie aus Leibeskräften. Ohne nachzudenken rannte ich in das unruhige Meer hinein. Meine Beine konnten sich meinem Willen schneller zu rennen nicht unterwerfen, da sich die Gewalt des Meeres sein Recht nahm und mich langsamer und schwerer laufen ließ. Ich kämpfte mich durch die mehr als drei Meter hohen Wellen und spürte bei der nächsten Welle keinen Boden mehr unter meinen Füßen. Ich fing an zu schwimmen. Ich wußte, daß die Natur sich mit Mächten ausgestattet hatte, um sich der Stellung der Ordnung zu beweißen, was sie mich jetzt auch spüren ließ. Es war ein Kampf David gegen Goliat, wobei ich eindeutig der David war. Ich schwamm und hörte bei jeder Welle einen Schrei und wenn ich auf einer Welle oben schwamm, sah ich die kleine Nußschale in einer Senke der Welle. Es dauerte eine Ewigkeit, bis ich nur in die Nähe der Nußschale war. Mein Kopf sendete mir nur die Botschaft: schwimm! Und ich schwamm. Das Wasser, was ich schluckte verursachte mir Übelkeit, aber ich schwamm. Meine Arme brannten wie Feuer unter der Anstrengung. Irgendwann muß ich doch mal ankommen, dachte ich und dann sitzen zwei im Boot und schreien, weil ich keine Kraft mehr hatte, die Nußschale an den Strand zu bringen. Nicht denken Karo, schwimmen, ermahnte ich mich. Ich kann von Glück reden, daß mich im nächsten Moment nicht die Nußschale am Kopf traf. Ich sah sie im letzten Augenblick und streckte meine Arme nach dem Rand des Bootes aus. Es war einfach leichtsinnig, die Arme nicht zum schwimmen zu gebrauchen, sondern den verzweifelten Versuch zu unternehmen, das Boot zu fassen zu bekommen. Nach dem dritten Anlauf gelang es mir und ich hielt mich am Rand fest. Die Arme kamen ein wenig zur Ruhe und brachten die Kraft auf, mich ein wenig über den Rand zu ziehen, um in das Boot zu schauen. Hätte ich mich nicht mit den Armen an dem Rand verschränkt, was mich daran hinderte, nicht in das Meer zurückzugleiten, wäre ich in diesem Augenblick Fischfutter geworden oder wäre als Meerjungfrau geendet. Ich schaute über den Rand und mein erster Blick traf genau in die wunderschönen braunen Augen. Sein Gesicht war durch die Sonne gebräunt und seine nassen Haare klebten an seinem Kopf. Es zuckte so heftig in meinem Magen, daß mir die Luft zu atmen fehlte. Er war es! Und er hang auf der anderen Seite der Nußschale. Ich starrte ihn an und begriff nicht, warum mir mein Innerstes in diesem Moment einen so übleren Streich spielte. Er blickte mich so tief in die Augen, daß ich beinahe zurück ins Meer glitt. Er lächelte nur und versuchte mir etwas zusagen. Ich hörte ihn nicht und schrie über das Boot hinweg, daß er doch lauter reden sollte. Er lachte und sagte dann:
„Karo, der Wind hat sich ein wenig gelegt. Du kannst ruhig leiser reden. Ich versteh dich, aber ich habe versehentlich Hindi mit dir geredete.“ Ich lief rot an und versetze mein gerade sich beruhigendes Herz in ein erneutes Klopfen.
„Entschuldige, aber wir müßten das Boot an den Strand bringen?“ antwortete ich ihm und bemerkte, daß er recht hatte. Der Wind hatte sich ein wenig gelegt, sodaß die hohen Wellen nachließen. Es war wie ein Wunder! Mit dieser Begegnung hatte ich nicht gerechnet und schaute verwirrt.
„Hast du geschrieen?“ fragte ich.
„Nein, ich habe das Schreien vom Strand her gehört.“
„Wenn du nicht geschrieen hast, wer war es dann?“ Verdutzt, das er nicht der Quell des Schreiens war ließ ich den Blick von ihm ab und schaute in das Boot. Mir gefror das Blut zu Eis. Wen ich dort erblickte war noch größer in seiner Wirkung, als sein Erscheinen. Er folgte meinem Blick und aus einer Kehle riefen wir:
„Melanie!“


Ich traute meinen Augen nicht. Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht, daß sich Melanie in der Nußschale befand. Am Flughafen war mir ja schon aufgefallen, wie pfiffig die Kleine war. Sollte es etwa wahr sein, daß sie sich das Boot genommen hatte? Aber soviel Kraft hatte sie nicht, es aus dem Sand in das Meer zu ziehen. Nun schoß es mir durch den Kopf, daß sie vielleicht mit ihrer Mutter unterwegs war und das diese etwa….Oh nein!
„Melanie! Melanie, mein Schatz, ich bin es! Deine indische Freundin vom Flughafen. Erinnerst du dich?“ rief ich ihr sanft zu und schaute auf das kleine Häufchen Elend, was in embryonaler Stellung am Boden der Nußschale kauerte. Sie wimmerte leise vor sich hin und hielt die Augen fest geschlossen. Das Boot war zu breit, um das ich sie berühren hätte können. Sie reagierte nicht. Mir stiegen die Tränen in die Augen bei dem Anblick und dem Gedanken, daß vielleicht ihrer Mutter was passiert ist. War sie bei dem hohen Wellengang über Bord gegangen und nun…? Ich kleidete den Gedanken nicht weiter aus. Er schnürte mir die Kehle zu und ich leckte mir über meine Lippen. War es das salzige Wasser aus dem Meer oder meine Tränen, die ich schmeckte?
„Melanie, schau mich an! Ich bin da, um dir zu helfen. Bitte, schau mich an!“ flehte ich sie an. Sie zitterte so stark, daß sich ihre Lippen blau färbten. Mir hilflosen Blick suchte ich seine Augen. Er blickte auf und schien genauso hilflos.
„Klettere in das Boot und beruhige sie.“ rief er mir zu.
„Nein, wenn ich in das Boot steige, dann schaffen wir es nicht an den Strand. Wir brauchen uns beide.“
„Ja Karo, wir brauchen uns beide. Wir brauchen einander.“ Entgeistert schaute ich ihn an.
„Was meinst du?“ fragte ich und winkte ab. „Ist jetzt auch egal. Ich bleibe am Rand und wir schwimmen los.“ Ich gab ihm ein Zeichen, er lächelte und so versuchten wir mit vereinten Kräften in Richtung Strand zu gelangen. Die Wellen machten sich einen Spaß daraus, uns nach einigen Metern, auch wieder einige Meter zurückzuerobern. Mein Arm, der schwamm, fing an, an Kraft zu verlieren. Prustend spornte ich mich an, durchzuhalten. Wir mußten es einfach schaffen! Eine Weile später, der Strand war ein wenig näher gerückt, hielt ich mit dem Schwimmen inne und zog mich mit dem anderen Arm an den Rand des Bootes hoch.
„Hallo“ rief ich. Ich kannte noch nicht einmal seinen Namen. Er reagierte sofort und schaute mich fragend an.
„Könnten wir mal die Seiten wechseln? Mein Arm stirbt gleich ab.“
„Ja sicher. Schwimme um das Boot und ich komme auf die andere Seite.“ willigte er ein und zeigte mir, in welche Richtung er schwimmen würde. Ich nickte und taste mich um das Boot herum. Hand um Hand gelangte ich an die Spitze des Bootes und umrundete sie. Nach der Umrundung blickten wir uns in die Augen. Er tastet sich weiter und ich kam ihm entgegen. Nun waren wir nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Sein durchtrainierter Körper glitt über meinen und hielt an. Er deckte mit seinem starken Oberkörper mein Rücken ab. Ich spürte seine Wärme und schloß genußvoll die Augen, als seine Lippen zärtlich über meinen Nacken wanderten. Ich legte den Kopf in den Nacken und gab so meinen Hals frei. Er übersäte ihn mit kleinen Küssen. Seine Hände hatte er über meine gelegt und er drückte mich fester an das Boot. Mein Herz klopfte wie wild. Ich kämpfte meine Hände frei und drehte mich herum. Einen kurzen Moment war ich ohne Halt in dem offenen Meer und er packte mich mit einer Hand an der Taille. Ich umarmte ihn. Unsere Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Ich schaute ihn an und nährte mich langsam seine Lippen. Er zog mich an der Taille fester an sich heran und hauchte mir sanft und zärtlich einen Kuß auf meinen Mund. Wie ein fehlendes Puzzelteil reihte er sich in mein Leben. In Indien. In Goa. Auf dem offenen Meer, er mit einer Hand an einer Nußschale hängend, füllte sich die Leere in mir, die ich ein Leben lang wie einen Kropf mit mir herumtrug. Ich umarmte ihn stärker und erwiderte zärtlich seinen Kuß.
„Wie im Märchen!“ Erschrocken fuhren wir auseinander.
„Melanie!“ Mein Verklangen nach ihm erlösch sofort und widmete sich der Kleinen. Er streichelte mir kurz über meine Taille, ehe er mir half, wieder an dem Boot Halt zu finden. Ich sah nur die blauen Augen von Melanie über den Rand spähen. Mehr hatte sie sich zum Glück nicht getraut.
„Bringt ihr mich nach Hause?“ fragte sie neugierig.
„Ja, klettere wieder zurück. Wir sind gleich am Strand.“ gab ich ihr zu verstehen, blickte noch schnell auf die andere Seite herüber, an der er Stellung bezogen hatte und schwamm los. Irritiert von dem Kuß und den Berührungen, nahm ich die Schmerzen in meinem Arm nicht wahr. Inzwischen waren auch einige andere Urlauber auf uns aufmerksam geworden und kamen uns auf halben Weg entgegengeschwommen. Auch eine andere Nußschale wippte auf uns zu. Kurz vor dem Strand sagte er zu mir, daß ich zu Melanie in das Boot steigen sollte. Ich stemmte mich mit letzter Kraft in das Boot und plumpste wie ein nasser Sack neben Melanie. Sie kuschelte sich gleich an mich heran. Was für ein tapferes Mädchen, dachte ich mir und ließ mich von der Sonne aufwärmen. Wie aber sollte ich ihr das mit ihrer Mutter erklären, wenn es wirklich so sein sollte, was ich mir ausmalte. Ich umarmte den kleinen Körper und seufzte.
„Liebst du den Mann?“ unterbrach sie meinen Gedanken.
„Wie kommst du denn darauf?“ entgegnete ich mit einer gewissen Reserviertheit.
„Du hast ihn schon am Flughafen geliebt und eben hast du ihn geküßt.“ sagte sie naseweiß zu mir.
„Er hat mich geküßt.“
„Weil er dich auch liebt.“ stellte sie zufrieden fest und kuschelte sich noch fester an mich heran. Ich war so erschöpft und verwirrt wegen Melanies Feststellung, daß mir die Sprache wegblieb, bis wir an den Strand gezogen wurden. Ich löste mich aus Melanies Umarmung und stand auf. Es hatte sich jetzt eine kleine Traube gebildet, die uns in Empfang nahm. Einer reichte mir seine Hand und ich stieg aus dem Boot aus. Endlich wieder fester Boden unter den Füßen. Mir schwirrte der Kopf. Die Erschöpfung fuhr mir in die Glieder und ich setzte mich in den warmen Sand. Melanie wurde aus dem Boot gehoben und mit einem Handtuch versorgt.
„Gott, Karo!“ Ich wurde stürmisch von Lilly begrüßt. „Ich war ja ganz krank vor Angst. Als ich begriff, was da auf dem offenen Meer passiert, sind schon die Ersten los. Mich hielt man am Strand fest.“ sagte sie beleidigt und stand so, daß ihr Schatten mir die Möglichkeit gab, sie anzuschauen. Sie ging in die Hocke und hielt sich an meinen verschränkten Armen fest.
„Geht es dir gut?“ fragte sie besorgt.
„Ja. Er hat mir geholfen oder ich ihm. Aber wir waren beide am Boot und…“
„Pst.“ machte Lilly und schaute mich an. „Erzähle es mir später. Jetzt brauchst du Ruhe. Dir bleibt aber auch nichts erspart.“ lachte sie mir verzweifelt entgegen. Sie stand auf und rechte mir die Hand. Ich zog mich an ihr hoch und stand auf puddinggefüllten Beinen. Ich wollte nur in die Hütte und schlafen. Sie hackte mich unter und wollte gerade loslaufen, als sie stockte. Die zweite Nußschale hatte den Strand erreicht. Es waren noch viele Leute versammelt und gestikulierten in den unterschiedlichsten Sprachen über das Geschen. Ich sah ihn zwischen den andern stehen und erzählend, was passiert war. Ich glaube, in diesem Moment sahen wir beide dasselbe und dachten auch dasselbe. Mit der Schnelligkeit, in der sich Lilly aushackte und auf ihn zulief, hatte ich keine Möglichkeit den folgenden Akt aufzuhalten. Es kam nur noch ein erstickender Schrei aus meinem Mund, als ich sah, was sich nun ereignete. Lilly schritt mit geballten Fäusten auf ihn zu, stammte die um ihn Herumstehenden zur Seite und rammte ihm mit einem gezielten Schlag die Faust ins Gesicht. Er taumelte und ging zu Boden. Die anderen stoben erschrocken auseinander.
„Du verdammtes Arschloch! Erst überfällst du sie die Nacht und nun spielst du hier den Helden. Du gottverdammtes Arschloch!“ brüllte sie ihn über ihm stehend an. Dann ließ sie von ihm ab, kam auf mich zu, schnappte sich meine Hand und zog mich in Richtung Hütte an ihm vorbei. Ich sah, wie er sich schon wieder aufgesetzt hatte. Mir wich schlagartig jede Farbe aus dem Gesicht. Was mir in der Aufregung auf dem offenen Meer entgangen war, war daß er im Gesicht ein Pflaster zu kleben hatte und ein Auge blau unterlaufen war. Die Spuren eines frischen Kampfes!
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