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Christof Lais Sperl
Geschlecht:männlichKlammeraffe

Alter: 62
Beiträge: 942
Wohnort: Hangover
Der silberne Roboter


Beitrag18.12.2016 18:22
Vorhersage
von Christof Lais Sperl
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Vorhersage

René sechzig. Egal. Heißt ja nicht, dass mit dem nichts mehr los ist. Ein Schrank von Typ. Ein Schrank mit Tabakgeruch. Wo der hinschlägt, immer die Pfeife im Mundwinkel, wächst kein Gras mehr. Und dann dieser Nachname als Kontrast dazu: Colombe.

Im Hinterhoftreibhaus sind heute so einige zusammengekommen. Ein paar Dutzend aus dem Viertel und auch von weiter her. René kann den Stadtteil am Akzent erkennen. Hier stehen Specksteintiere, hier liegen Rohmaterial und Werkzeuge. Zum Leben Entwürfe für Kloschüsseln und Urinale. Für das Selbst und die Kunst aber: Bären. Die stehen da aus glänzendem Stein und wirken wie Standbilder. Der Film ist nur kurz unterbrochen, und die Muskelpakete wollen sich weiterbewegen. Klettern. Umherstreifen in der Landschaft aus Kloschüsseln.

Gläserklirren. Ein paar Canapés. Solange direkt an ihm dran. Drängt sich zwischen ihn und Viviane, die sie nur die bösartige alte Spinne nennt. Solange ist sehr jung, Mitte zwanzig. Viviane so alt wie René. Oder noch älter. Man kann das nur schwer bestimmen, denn die Augen leuchten klar. Wenn Augen leuchten, blickt man nur zu ihnen hin, kann sich gar nicht abwenden. Ich träume oft von Viviane. Die ist so schön weich. Der Gedanke an den Gegensatz von junger und alter Haut, an eine Affäre mit einer wesentlich älteren Frau fesselt mich seit Jahren. Holt mich täglich immer wieder ein. Aber was denken diese Frauen bloß? Wollen sie allein sein? Und was halten sie von so einem jungen Typen wie mir,  der doch viel mehr zu Solange passen würde? Hätten sie Angst, sich auf die Kraft von einem jungen Kerl einzulassen? Die jungen Frauen interessieren mich nur selten. Die stehen ohnehin meist auf Ältere. Gesetzte. Mächtige. Ich bin gerade mal am Anfang. Unentschieden: Geld verdienen, Wissenschaft, schreiben oder sonst was.

Solange ist Briefträgerin. Wenn ich Spätdienst habe, kommt sie oft mal auf einen Kaffee und eine Zigarette vorbei. Schimpft auf die Post und Viviane. Wann die endlich krepieren würde und sowas. Na ja, schon oft ziemlich hart, diese vormittäglichen Besuche und die Schimpfereien. Können sie sich den Riesen nicht teilen? Auch Solange hat einen schönen Blick. Wasserklar, wie der von Viviane. Sie interessiert sich aber nicht für mich. Ist auch gut so. Das macht unsere Beziehung ganz entspannt.

René hat sich nicht anders gekleidet als sonst. Das ewige weiße Unterhemd, Briten würden es  wife beater nennen, Jeans. Verschwitzt schimmernde Muskeln. Arbeiterhände. Ein verschmiertes Glas Wein. Die ewige Pfeife im Mundwinkel.  

Viviane hat nun diese miese Krankheit. Sie waren im Urlaub im Süden gewesen. Und Viviane auf einmal ganz kraftlos geworden. Sie hatten irgendwo Halt machen müssen. Raststätte oder Parkplatz, hatte René erzählt. Da stand noch ein anderes Auto. Dessen Fahrer hatte Hilfe angeboten und sich die Symptome schildern lassen.

„Ich habe meine Medizin in Algerien gelernt. Das ist schon lange her. Seitdem arbeite ich bei der Krankenversicherung. Aber ich denke Morbus Waldenström.“

Er hatte ihnen noch ein paar Tipps für Untersuchungen und die verbleibenden Urlaubstage gegeben, alles Gute gewünscht. Und hier in der großen Stadt, hat sich die Diagnose nun bestätigt. Viel Zeit wird Viviane nicht mehr bleiben. Es wird zu zu einer ungehemmten Vermehrung von funktionsgestörten Blutzellen kommen. Und  der Körper irgendwann keine Abwehrkräfte mehr haben. Auch der algerische Staatschef Boumedienne war an dieser Krankheit gestorben, genau so wie der alte Pompidou, der hier in der Stadt residiert und regiert hatte. Viviane zittert vor Angst, sobald das Gespräch auf Waldenström kommt. Und möchte trotzdem immer wieder davon anfangen.

Jetzt ist es schon später geworden. Nur noch ein paar Leute sind im von Kerzen beleuchteten Treibhaus. Die meisten haben einen Schwips. So auch der Zauberer, der Viviane heute Abend auf bessere Gedanken bringen soll. Ein richtiger, gut gekleideter, alter Zauberer, der Kaninchen aus dem Hut holen, zerschnittene Seile wieder heil machen, Knoten aus ihnen herausziehen und Münzen im Kragen verschwinden  lassen kann.

René gibt eine lustige Prognose für den Verlauf des Abends, und er wird Recht behalten. Wir essen ausgiebig, auch Viviane hat Appetit. Solange ist nach ein paar Zigaretten schon nach Hause gegangen. So fünf, sechs Leute sind noch beisammen. Nicht im Treibhaus, oben in der Küche. Nach dem Essen Cognac, Kaffee, Wein. Der Zauberer macht ein paar Tricks. Noch mehr Wein. Der Zauberer kann nun keine Täuschungen mehr vorführen: Er weint. Die Arme hängen herab. Tränen rinnen ihm die Wangen entlang und Renés Prophezeiung ist wahr geworden: „Er wird so betrunken sein, dass er flennen wird.“ So ist es gekommen, und so ist es gut. Viviane hat laut gelacht, der Zauberer geheult, ich bin sehr betrunken. Zwar kann ich noch laufen, kein Problem, aber der Alkohol brennt wie Feuer die Speiseröhre hinauf, Zigaretten drängen den Rausch zurück, geben Kraft, unbändiger Durst nach Wasser fühlt sich wie Pfefferminze in meiner Kehle an. Nun drehen sich die Straßenlaternen. Zeit zu schlafen. Vielleicht kommt Solange morgen früh vorbei.



_________________
Lais
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Pudelzucker
Gänsefüßchen

Alter: 36
Beiträge: 41



Beitrag06.02.2017 21:40

von Pudelzucker
Antworten mit Zitat

Nanu, hier hat noch niemand kommentiert?
Ich bin an deiner Geschichte irgendwie hängen geblieben. Sie ruft in mir ziemlich lebhaft das Gefühl hervor, leicht (oder weniger leicht) betrunken auf einer Party herumzulaufen: die Eindrücke kommen bruchstückhaft, man springt von einem Gedanken zum nächsten - oberflächliche Träumereien bis hin zu bewegenden, schwermütigen Gedanken. Und alles scheint irgendwann wahnsinnig absurd.

Naja, vielleicht verrätst du mir kurz was hinter der Geschichte steckt?  (Würde mich interessieren, ich lerne noch wink

Einen konstruktiven Hinweis habe ich auch noch: dein erster Satz kein Verb. wink

Grüße,
Pudelzucker
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