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Die Wette


 
 
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Luis Vänster
Geschlecht:männlichSchneckenpost

Alter: 25
Beiträge: 11
Wohnort: Norwegen


Beitrag06.02.2021 23:23
Die Wette
von Luis Vänster
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

„Was ist mit dem Hüttenfenster passiert?“, waren die Worte, mit denen mich mein Vater am nächsten Morgen begrüßte. Und ich kann sagen, meine Laune rutschte gleich einmal tief in den Keller. Verdammte Scheiße!
„Hast du es noch nicht geklärt, Willian?“, stöhnte meine Mutter lauernd.
Ich ließ mich erst einmal gähnend auf meinen Stuhl plumpsen und schenkte mir ein Glas Wasser ein.
„Nej“, murmelte ich und nahm mir ein Knäckebrot. Meine Mutter knallte ihre Kaffeetasse auf den Tisch.
„Ellen, ist gut. Ich hab ihn doch nur etwas gefragt!“, beschwichtigte mein Vater, aber das hatte nur das Gegenteil als Folge.
„Nein!“, brüllte sie, atmete tief durch und wollte mit versucht ruhiger Stimme wissen: „War er gestern zuhause, als du heimkamst?“
Mein Vater warf mir einen Blick zu und schüttelte den Kopf. Ein Fehler wie sich herausstellte.
„Willian! Ich hab dir gesagt, du sollst hier bleiben…“
„Hast du gar nicht!“, empörte ich mich. Meine Mutter hatte das Problem sich immer an irgendwelche Abmachungen und Termine zu erinnern, die nicht ausgemacht waren und die nur sie kannte.
„Weißt du, ich gebe ihm ja schon erst gar keinen Hausarrest, weil er sich ohnehin nicht daran hält und ich es nicht kontrollieren kann. Aber dann kann er doch wenigstens einen Abend zuhause bleiben!“, beschwerte sich meine Mutter und kippte den Kaffee in sich rein. Ich verdrehte die Augen. Was für alberne Vorstellungen!
„Was war denn nun überhaupt?“
Mein Vater sah verwirrt zwischen uns hin und her. Ellen zog die Augenbrauen hoch und deutete auf mich.
Ich zuckte mit den Schultern, biss krachend in das Knäckebrot und meinte mit vollem Mund: „Ich hab mit Eskil Fußball gespielt und die Scheibe eingeschossen.“
Mein Vater musste sich ein Grinsen verkneifen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Ich kaufe ein neues Fenster im Baumarkt heute nach der Arbeit. Vielleicht schaffst du es, wenn du mir das Geld bis spätestens Weihnachten zahlst. Versuch, dass es so schnell nicht noch einmal passiert, sonst wird es eben teuer für dich.“
Ich nickte. Damit war ich einverstanden. Ohne Getöse und Gezicke war das geklärt. Meine Mutter starrte uns entgeistert an. Sie war jedes Mal überrascht, wie wir zwei miteinander auskamen und zwar aus dem einfachen Grund, weil meine Mom und ich es nicht hinbekamen.
Viggo lächelte sie beruhigend an.
„Alles geklärt. Ich muss gehen.“
Er stand auf, drückte meiner Mutter einen Kuss auf die Wange und verschwand mit seinen zwei Taschen in den Flur. Kurz darauf hörte ich wie er mit dem Auto über den Kiesplatz davonfuhr. Wie jeden Tag unter der Woche war er auf dem Weg zur Universität nach Linköping. Er war dort Professor und unterrichtete Skandinavische Literatur und Geschichte. Zum Heulen langweilig, meiner Meinung nach. Aber für ihn war es ein Traumberuf.
„Ich hätte dir Hausarrest gegeben.“, blieb meine Mutter standhaft und vermied es mich über ihre Tasse hinweg anzuschauen.
„Hast du aber nicht.“
Ich fischte nach einem weiteren Knäckebrot.
„Ist ja jetzt abgehakt. Hast du schon gehört...“
Oh nein! Sie geriet in Plauderstimmung.
„Nej. Ich hab geschlafen. Und ich muss es auch nicht unbedingt wissen.“
„Ins gelbe Haus, dort wo die alte Henningson gewohnt hat und letztes Jahr gestorben ist, da sind gestern welche eingezogen.“
Ach ja, der Umzugswagen. Besser ich hielt einfach meine Klappe, dann ging es vielleicht schneller vorbei, das Geschwafel meiner Mutter.
„Ein Ehepaar. Aus Stockholm. Mit einer Tochter. Du könntest als Wiedergutmachung einen Willkommensgruß vorbeibringen.“
„Hä?“
Ich wüsste nicht, was ich den neuen Nachbarn getan hätte, als dass ich mich bei denen schon entschuldigen müsste!
„Dass du dich nicht an den Hausarrest gehalten hast, gestern!“, klärte mich meine Mutter auf.
Sie war doch echt unglaublich! Sie gab es nie auf!
„Okay, okay, okay, okay! Wo ist der Gruß?“
Ich würde es einfach ganz schnell hinter mich bringen.
„Der Korb steht in der Küche. Du bist ein Schatz, Willian.“
Stöhnend und ächzend stolperte ich um den Esstisch und inspizierte den Willkommensgruß. Es war ein riesiger Einkaufskorb gefüllt mit Blumen, Visitenkarten und allerlei leckerer Sachen, die ich am liebsten ausgeräumt und in meinem Zimmer versteckt hätte.
Ich fluchte, stöhnte noch ein bisschen lauter und trottete in den Flur, stieß die Tür auf und blieb auf der obersten Stufe stehen.
Ich trug eine schlabberige Baumwollhose und ein dreckiges, verknittertes T-Shirt. Ebenso verknittert müsste meine Frisur aussehen.
Und was wenn diese neuen Nachbarn eine abartig heiße Tochter hatten?
So konnte ich da nicht auftauchen!
Ich wollte gerade wieder im Haus verschwinden und mich erst frisch machen, als ich meine Mutter durch das Küchenfenster sah, wie sie mich abwartend beobachtete, ein Geschirrtuch in der Hand.
Okay.
Fast fluchtartig trabte ich die wenigen Stufen hinunter und schritt barfuß über die Straße. Der LKW war weg, aber der schwarze Passat parkte vor dem Gartenzaun. Und neben dem Tor saß ein Mädchen auf dem Asphalt und malte Kreide. Sie war höchstens sechs Jahre alt. Sehr gut. So wäre mein Styling sowieso umsonst gewesen.
„Hej hej!“, begrüßte ich die kleine Blonde und stellte den Korb neben meinen nackten Füßen ab.
Das Mädchen legte die Kreide zur Seite und blickte mit großen dunklen Augen zu mir hoch. Ich grinste sie breit an.
Dann fiel mein Blick auf ihr Kunstwerk auf dem Asphalt. Ich hatte kindliches Gekritzel erwartet. Strichmännchen, Blumen, Häuser, verkorkste Bilder.
Aber sie hatte etwas ganz anderes gemalt.
Formeln. Zahlen. Zeichen.
Erinnerte mich äußerst schmerzhaft an meinen Matheunterricht.
Mir fiel die Kinnlade herunter.
„Du schaust witzig.“
Das Mädchen und lachte mich staunend an. Ich nickte. Mein Grinsen fühlte sich inzwischen wie eine verschobene Grimasse an.
„Ist… ist das von dir?“
Sie nickte als wäre ihre Zeichnung das Natürlichste der Welt. Was es sicher nicht war.
„Woher kannst du das? Das hab noch nicht einmal ich in der Schule gelernt!“
„Das sind lineare Gleichungssysteme mit drei Variablen.“
Ich starrte sie perplex an. Das kam aus dem Mund eines kleinen Mädchens! Was zum Teufel ging hier ab? War das versteckte Kamera?
„Hab ich mir selbst beigebracht.“
Sie beobachtete mich mit schief gelegtem Kopf.
„Aha“, war das einzige, was ich herausbrachte. Die haute mich so was von vom Hocker!
„Ich nehme gerade Integralrechnung durch.“, erzählte ich ihr und war stolz auf mich, weil ich das Thema wusste.
„Das ist langweilig. Man hat immer die gleiche Formel.“
Ich konnte sie nur anglotzen.
„Wie alt bist du?“, wollte ich atemlos wissen.
„Fünf“, lautete die schlichte Antwort. Sie warf mir noch einen kurzen kontrollierenden Blick zu und griff wieder nach ihrer Kreide.
Ich schüttelte den Kopf, nahm den Korb und ging auf die Haustür zu. Ich klopfte.
Eine junge Frau mit langen blonden Haaren öffnete und lächelte mich freundlich an. Ich war immer noch etwas durch den Wind und hielt ihr den Willkommensgruß entgegen.
„Hej, välkommen till Loftahamn!“
„Oh! Tack! Das ist doch nicht nötig! Oh! Wie schön! Danke dir.“
Sie war aufrichtig erfreut über das Geschenk.
„Der ist von meiner Mutter. Wir wohnen dort drüben. Wenn du Fragen hast, komm einfach rüber, Ellen kennt sich hier bestens aus.“
Im Moment war ich derjenige, der einen Haufen Fragen hütete, dachte ich mir im Stillen. So eine normale Frau und so eine verrückte Tochter.
„Danke. Das ist wirklich nett, ich werde darauf zurückkommen. Ich bin Gittan.“
„Willian. Also…“
Ich sah unauffällig über ihre Schulter. Im Flur stapelten sich Kisten und Kartons, „ich will dich nicht beim Auspacken aufhalten. Man sieht sich.“
„Ja, man sieht sich. Schöne Ferien noch, Willian. War nett dich kennenzulernen.“
Ich grinste. Das sagten nicht viele. Ich hob grüßend die Hand und ging durch den Garten zurück.
Gittans Tochter malte immer noch Kreide. Allerdings hatte sie sich jetzt schon ein gutes Stückchen weiter die Straße hochgearbeitet. Nicht mehr mit Matheaufgaben, so viel konnte ich erkennen.
„Was ist das jetzt?“, hakte ich nach und wollte die Antwort eigentlich gar nicht hören. Ich fürchtete mich davor.
„Chemische Gleichgewichte.“
Ich hustete geschockt und starrte ihren schmalen Rücken an. Ihre Fußsohlen waren ganz bunt von der Kreide. Sie trug blaue Shorts und ein gelbes Top, ihre Haare lagen als ein dicker Zopf über ihrer Schulter.
„Du kannst Mathe und Chemie. Was kannst du noch?“
„Alles.“, behauptete sie. Ich lachte schnaubend.
„Sicher. Du kannst alles.“, wiederholte ich spöttisch.
„Ja.“, versicherte sie, „ich kann alles.“
„Haha! Wetten, ich finde irgendetwas, was du nicht kannst?“
„Okay. Ich wette, dass du nichts findest.“
Ich lief zu ihr, kniete mich neben sie und reichte ihr die Hand. Sie ergriff sie mit ihren Kreidepfoten und sah mir fest in die Augen.
„Super. Wette gebongt."
„Halt! Um was wetten wir?“
Sie blickte mich abwartend an.
„Äh? Um nichts?“
„Nej, das ist langweilig. Du gibst mir hunderttausend Schwedische Kronen, wenn du verlierst.“
Ich lachte. Dieser Wetteinsatz war zwar wirklich einiges, aber ich würde ja wohl etwas finden, was dieses Mädchen nicht konnte. Alles andere schien mir unmöglich.
„Okay, einverstanden. Du besorgst mir eine Freundin und machst mir meine Mathehausaufgaben nächstes Schuljahr.“
Sie überlegte kurz und nickte dann zustimmend. Wow, ich freute mich jetzt schon!
„Wie lange lassen wir die Wette laufen?“, fragte sie und räumte ihre Kreiden in die Plastikbox zurück.
„Bis die Schule wieder anfängt.“, schlug ich vor. Auch damit war sie einverstanden. Ich richtete mich fröhlich wieder auf. Die Wette konnte witzig werden. Ich freute mich jetzt schon auf die Berge von Matheaufgaben, die ich nicht machen musste. Und auf meine Freundin. Es war mir echt egal, wie sie mir eine besorgen wollte, aber so lautete nun einmal ihr Wetteinsatz.
Ich strich mir durch meine verstrubbelten Haare und blickte in den strahlend blauen Himmel hinauf.
„Wie heißt du überhaupt?“
„Tiffany Dalen. Und du?“
„Ich bin Lian, der Löwe.“
Sie lachte und sah mich bewundernd an. Was ich wirklich nicht nachvollziehen konnte, weil es meiner Meinung nach eigentlich andersherum sein müsste. Sie löste knifflige Matheaufgaben in ihrer Freizeit und ich war mit Pauken und Trompeten gerade so versetzt worden.
„Gut, Tiff. Dann zeig mal, was du so alles draufhast.“
Ich verschränkte die Arme vor der Brust. Ich hatte schon meine Traumfrau vor Augen, die mir Tiffany bald aussuchen würde. Und ich war überzeugt, dass es bald sein würde, denn dieses Mädchen war schließlich fünf Jahre alt. Ich würde im Handumdrehen etwas finden, was sie nicht konnte.
„Alles.“, behauptete sie fest und verschränkte ebenfalls die Arme. Ich blickte sie herausfordernd an, sie hielt meinem Blick frech stand.
„Okay, was ist 15 hoch drei?“, wollte ich wissen und bemerkte sogleich meinen Fehler. Wie sollte ich kontrollieren, ob ihr Ergebnis richtig war? Shit!
„Willst du mich verarschen?“, schoss Tiffany zurück. Ich zuckte zusammen.
„Äh, nein. Ist das zu schwer?“
„Ganz im Gegenteil! Das ist pupsieinfach!“
Sie stand auf und baute sich vor mir auf. Sie reichte mir bis zur Hüfte.
„Dreitausend dreihundert fünfundsiebzig. Richtig?“, sagte sie ohne einmal überlegt zu haben. Ich hustete ablenkend.
„Ähm,…ja?!“, murmelte ich und sog die Luft ein. Ich konnte es immer noch nicht glauben.
Mit Kopfrechnen konnte ich diese Wette nicht gewinnen, so viel wurde mir jetzt schon klar. Aber vielleicht war sie so abnormal, dass sie die schwersten Berechnungen anstellen konnte, aber alles andere, was fünfjährige Mädchen normalerweise konnten, nicht draufhatte. Möglich war es doch.
„Lassen wir Mathe, das kannst du anscheinend wirklich richtig gut. Was ist mit… Handstand?"
Sie sah mich an, als würde sie fragen: Das ist jetzt nicht dein ernst?!
So langsam wuchs die Unsicherheit in mir. Was war, wenn ich nichts fand? Dann hatte ich hunderttausend Kronen Ehrenschulden bei meiner fünfjährigen Nachbarin! Wie sollte ich so viel Geld auftreiben? Ich konnte ja noch nicht einmal die zerschossene Fensterscheibe zahlen!
Aber ich verdrängte den Gedanken sofort. Als ob! Das gab es nicht, ein kleines Mädchen, das wirklich alles konnte.
Tiffany holte mit den Armen Schwung und vergrub ihre Hände im grünen Gras. Federleicht richtete sie sich auf und stand senkrecht in der Luft.
„Kannst du auch laufen? Vorwärts und rückwärts.“
Ich ging in die Knie und neigte den Kopf um ihr ins Gesicht sehen zu können. Sie nickte und tastete sich durch die Wiese. Problemlos balancierte sie sich aus. Langsam lief ihr Kopf rot an und sie verdrehte die Augen, damit sie mich anschauen konnte.
„Fertig?“, keuchte sie. Ich nickte und sie plumpste auf den Boden. Tiffany zupfte sich die Halme von den Beinen, richtete ihren Zopf und sah abwartend zu mir hoch.
„Und jetzt?“
Ehrlich gesagt, war ich nicht gerade der Kreativste. Ich brauchte immer einige Zeit bis mir etwas einfiel.
„Mal überlegen. Wo kommst du noch einmal her?“
„Aus Stockholm. Wohnst du schon immer hier?“
„Yep. Mein Geburtshaus. Und das von meiner Mutter.“
Ich deutete auf unser rotes Haus hinter mir, „warum seid ihr umgezogen?“
„Wegen mir.“
Hätte ich das gesagt, hätte es ironisch geklungen (und wäre es auch gewesen), aber Tiffany meinte es ernst.
„Äh? Warum das?“
Ich hatte absolut kein schlechtes Gewissen, weil ich so neugierig war.
„Sag ich dir nicht.“, wehrte sie ab und funkelte mich herausfordernd an.
Ich bekam eine Ahnung, was ich vor mir hatte. Die Göre war starrköpfig, damit das gesagt war.
„Und deine Eltern haben das einfach hingenommen? Wie ist das mit arbeiten?“
„Mein Papa findet überall einen Job. Er ist Polizist.“, erklärte sie, nicht ohne Stolz.
Scheiße! Die Polizei höchstpersönlich als Nachbar! Na klasse!
„Und deine Mama?“
Nebenbei überlegte ich mir weitere Herausforderungen für sie.
„Die arbeitet nicht. Sie ist immer zuhause.“
„Hast du keine Geschwister?“
„Nein. Und du?“
Ich schüttelte den Kopf. Ich war Einzelkind und das war gut so.
„Hej. Mir ist was eingefallen! Kannst du Französisch?“
Ha! Jetzt hatte ich bestimmt meine Freundin und meine gemachten Hausaufgaben sicher!
„Bonjour. Je m’appelle Tiffany. Et tu?“, plauderte sie munter und grinste mich amüsiert an, als ihr Blick auf meinen verkorksten Gesichtsausdruck fiel. Ich sah sicherlich aus, als hätte man mir gerade ein grünes Monster mit fünfzehn blauen Armen vor die Nase gehalten.
Mir sackten die Schultern nach unten.
„Du bist witzig. Du hast echt geglaubt, dass das ganz schnell geht. Stimmt’s?!“, ertappte sie mich. Ich nickte kaum merklich. Die Gesamtsituation erfasste mich wie ein kalter Eimer Wasser und überzog mich mit Gänsehaut. Ich hockte neben meiner fünfjährigen Nachbarin, die ich vor einer Viertelstunde kennengelernt hatte, im Gras und hatte schon eine Wette mit dem Einsatz von hunderttausend Kronen geschlossen. War ich eigentlich noch ganz dicht? Das war ja nahezu lebensmüde! Shit, verdammt!
Tiffany lachte mich doch tatsächlich aus.
„Bereust du es schon?“, sie krümmte sich vor Kichern, „man sollte nichts in seinem Leben bereuen, Löwe!“
Ich konnte nur sprachlos den Kopf schütteln. Wo sammelte man in fünf Lebensjahren so viel Lebensweisheit? Und ich checkte nach siebzehn Jahren immer noch nicht, wie ich selbst tickte?! Ich ließ mich von einer Fünfjährigen an der Nase herumführen!
Toll hingekriegt, Lian!
„Ich schlage dich schon noch, wart’s ab! Die Wette läuft. Und ich werde gewinnen.“
„Jaja, träum weiter! Ich werde der Sieger sein, ganz sicher!“
Ich zog eine Grimasse.
„Kannst ja schon mal die Wahrscheinlichkeit ausrechnen, wie wahrscheinlich es ist, dass du gewinnst. Ich muss jetzt auf jeden Fall mal wieder zurück. Ich überlege mir noch eine Taktik, wie ich dich aus dem Rennen nehme.“, versicherte ich ihr. Tiffany lachte immer noch.
„Okay. Dann geh ich rein und pack meine Kisten aus. Kommst du nachher vorbei?“
„Ja, bis nachher, Tiff. Und denk dran, ich mach dich platt!“
Ich hob den Zeigefinger und drohte ihr grinsend. Sie kicherte amüsiert, total kirre. Irgendwie war sie ja schon recht süß. Ich zwinkerte und zupfte an ihren blonden Haaren. Ich lief die Einfahrt hinunter und wandte mich am Gartentor noch einmal zu ihr um. Ich winkte zum Abschied.
„Hej då, Löwe!“, rief Tiffany mir hinterher und wedelte mit beiden Händen hin und her.

Fortsetzung folgt...

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psi
Leseratte


Beiträge: 116



Beitrag07.02.2021 16:13

von psi
Antworten mit Zitat

Hallo Luis,

ich habe deinen Text gerne gelesen, da waren viele Dinge drin, die mir gut gefallen haben: die Persönlichkeit des Protagonisten, das Setting in Schweden(?) die erfrischende Abwesenheit von unnötigen Adjektiven und Füllwörtern, die Lebendigkeit und das hohe Tempo durch die vielen Dialoge.

Besonders gefallen hat mir der kleine "Twist", dass ich, als Leser, genauso wie Willan/Lian gedachte habe: oh, jetzt sieht die Nachbarin bestimmt supergut aus, das alte Klischee, weiß man ja, wie das läuft – aber nein, dann bekommen wir das 5 Jahre alte Genie – toll!
Ich finde auch den Umgang der beiden miteinander richtig schön und die Wette ist süß (mehr dazu unten).

Etwas, was mir aufgefallen ist, weil es als typischer Anfängerfehler gilt: die übertrieben auf Abwechslung getrimmten Inquit-Formeln (die zum Teil gar keine sind):
Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:

„Was ist mit dem Hüttenfenster passiert?“, waren die Worte, mit denen mich mein Vater am nächsten Morgen begrüßte. Und ich kann sagen, meine Laune rutschte gleich einmal tief in den Keller. Verdammte Scheiße!
„Hast du es noch nicht geklärt, Willian?“, stöhnte meine Mutter lauernd.
Ich ließ mich erst einmal gähnend auf meinen Stuhl plumpsen und schenkte mir ein Glas Wasser ein.
„Nej“, murmelte ich und nahm mir ein Knäckebrot. Meine Mutter knallte ihre Kaffeetasse auf den Tisch.
„Ellen, ist gut. Ich hab ihn doch nur etwas gefragt!“, beschwichtigte mein Vater, aber das hatte nur das Gegenteil als Folge.
„Nein!“, brüllte sie, atmete tief durch und wollte mit versucht ruhiger Stimme wissen: „War er gestern zuhause, als du heimkamst?“
Mein Vater warf mir einen Blick zu und schüttelte den Kopf. Ein Fehler wie sich herausstellte.
„Willian! Ich hab dir gesagt, du sollst hier bleiben…“
„Hast du gar nicht!“, empörte ich mich. Meine Mutter hatte das Problem sich immer an irgendwelche Abmachungen und Termine zu erinnern, die nicht ausgemacht waren und die nur sie kannte.
„Weißt du, ich gebe ihm ja schon erst gar keinen Hausarrest, weil er sich ohnehin nicht daran hält und ich es nicht kontrollieren kann. Aber dann kann er doch wenigstens einen Abend zuhause bleiben!“, beschwerte sich meine Mutter und kippte den Kaffee in sich rein. Ich verdrehte die Augen. Was für alberne Vorstellungen!

Ich weiß, man bekommt in der Schule immer eingebläut, dass man da Abwechslung reinbringen soll, aber das ist ziemlicher Unsinn. Lieber wohldosiert verwenden an Stellen, an denen die Art, wie etwas gesagt wird, tatsächlich wichtig ist und nicht aus dem Gesagten selbst hervorgeht.

Dann, der größte Knackpunkt: Was ist das hier? Ein Romananfang? Eine Erzählung? Du hast beides getaggt.
Und vor allem: Ist es Fantasy? Denn sonst hast du bei der Umsetzung ein großes Problem, denke ich.

Wenn es realistisch sein soll, was ich angesichts der Darstellung des jungen Genies nicht wirklich glauben kann (intelligente Menschen sind keine allwissenden, alleskönnenden Taschenrechner), kann Luis die Wette theoretisch in wenigen Sekunden gewinnen:
Wikipedia hat Folgendes geschrieben:

Weltweit gibt es heute etwa 6500 Sprachen, die sich in fast 300 genetische Einheiten – 180 eigentliche Sprachfamilien mit mehr als einer Sprache und 120 isolierte Sprachen – einteilen lassen.

Keine Fünfjährige wird all diese Sprachen beherrschen --> Wette gewonnen

Wenn es Fantasy ist, und das Mädchen tatsächlich ein übernatürliches, allwissendes Genie ist, dann würde ich das dem Leser schon früher deutlich machen (entweder durch Andeutungen im Text oder klare Angabe des Genres).
Dazu passt dann allerdings diese Aussage des Mädchens nicht:
Luis Vänster hat Folgendes geschrieben:

„Ich nehme gerade Integralrechnung durch.“, erzählte ich ihr und war stolz auf mich, weil ich das Thema wusste.
„Das ist langweilig. Man hat immer die gleiche Formel.“

Da konnte ich nur kurz und freudlos lachen. Auf die Integral- und Differentialrechnung in der Schule mag das zutreffen, das ist tatsächlich ziemlich stumpf, auch im ersten Semester Mathematik muss man sich hauptsächlich tausend verschiedene Formeln und Tricks zum Umformen einprägen und ein Gefühl dafür entwickeln, wann man was gewinnbringend einsetzen kann, aber alles darüber hinaus? Doktorarbeiten, die über ein einziges Integral geschrieben werden, das sich bisher nur numerisch und nicht analytisch lösen lässt? Wohl das Gegenteil von "Langweilig. Man hat immer nur die gleiche Formel."
TLDR: So eine Aussage würde ich eigentlich nur von einem unwissenden Neuntklässler erwarten, der sich selbst für ziemlich klug hält, nicht von einem übernatürlichen Genie.

Ich hoffe, da war etwas bei, das dir weiterhilft.
Und die Fragen oben waren aus ehrlichem Interesse gestellt, es würde mich wirklich interessieren zu erfahren, welches Genre/welche Textart das ist und in welche Richtung du Feedback haben möchtest.

Danke für deinen unterhaltsamen Text :)

Liebe Grüße,
Ψ
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marinaheartsnyc
Geschlecht:weiblichLeseratte

Alter: 31
Beiträge: 137



Beitrag10.02.2021 14:34

von marinaheartsnyc
Antworten mit Zitat

Hallo Luis,

ich habe deinen Text auch gerne gelesen, fand ihn sehr erfrischend (altmodisches Wort, trifft es aber irgendwie am besten Laughing ) und ab dem Zeitpunkt, wo das Mädchen auftaucht, auch sehr kurzweilig und originell. Die Sache mit dem Genre und den Inquits hat mein Vorgänger schon angemerkt. Ich habe zusätzlich noch den Kritikpunkt, dass mir der Text an manchen Stellen ein bisschen zu wordy ist, da kann noch ein bisschen was an Füllwörtern oder einzelnen Satzteilen/Sätzen raus, finde ich. Nicht wahnsinnig viel, aber der Text würde dadurch noch ein bisschen straffer und besser lesbarer werden, finde ich. Habe mal im folgenden Absatz ein paar Dinge markiert:

Zitat:
Ich zuckte mit den Schultern, biss krachend in das Knäckebrot und meinte mit vollem Mund: „Ich hab mit Eskil Fußball gespielt und die Scheibe eingeschossen.“
Mein Vater musste sich ein Grinsen verkneifen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
„Ich kaufe ein neues Fenster im Baumarkt heute nach der Arbeit. Vielleicht schaffst du es, wenn du mir das Geld bis spätestens Weihnachten zahlst. Versuch, dass es so schnell nicht noch einmal passiert, sonst wird es eben teuer für dich.“
Ich nickte. Damit war ich einverstanden. Ohne Getöse und Gezicke war das geklärt. Meine Mutter starrte uns entgeistert an. Sie war jedes Mal überrascht, wie wir zwei miteinander auskamen und zwar aus dem einfachen Grund, weil meine Mom und ich es nicht hinbekamen -> das wird durch den bisherigen Dialog eh schon ziemlich deutlich .
Viggo lächelte sie beruhigend an.
„Alles geklärt. Ich muss gehen.“
Er stand auf, drückte meiner Mutter einen Kuss auf die Wange und verschwand mit seinen zwei Taschen in den Flur. Kurz darauf hörte ich wie er mit dem Auto über den Kiesplatz davonfuhr. Wie jeden Tag unter der Woche war er auf dem Weg zur Universität nach Linköping. Er war dort Professor und unterrichtete Skandinavische Literatur und Geschichte. Zum Heulen langweilig, meiner Meinung nach. Aber für ihn war es ein Traumberuf.
„Ich hätte dir Hausarrest gegeben.“, blieb meine Mutter standhaft und vermied es mich über ihre Tasse hinweg anzuschauen.
„Hast du aber nicht.“
Ich fischte nach einem weiteren Knäckebrot.
„Ist ja jetzt abgehakt. Hast du schon gehört...“
Oh nein! Sie geriet in Plauderstimmung.
„Nej. Ich hab geschlafen. Und ich muss es auch nicht unbedingt wissen.“
„Ins gelbe Haus, dort wo die alte Henningson gewohnt hat und letztes Jahr gestorben ist -> die Info macht den Satz ein bisschen lang und kann mMn raus, da sind gestern welche eingezogen.“
Ach ja, der Umzugswagen. Besser ich hielt einfach meine Klappe, dann ging es vielleicht schneller vorbei, das Geschwafel meiner Mutter.
„Ein Ehepaar. Aus Stockholm. Mit einer Tochter. Du könntest als Wiedergutmachung einen Willkommensgruß vorbeibringen.“
„Hä?“
Ich wüsste nicht, was ich den neuen Nachbarn getan hätte, als dass ich mich bei denen schon entschuldigen müsste!
„Dass du dich nicht an den Hausarrest gehalten hast, gestern!“, klärte mich meine Mutter auf.
Sie war doch echt unglaublich! Sie gab es nie auf! -> Auch das ist schon klar/mMn überflüssig
„Okay, okay, okay, okay! Wo ist der Gruß?“
Ich würde es einfach ganz schnell hinter mich bringen.
„Der Korb steht in der Küche. Du bist ein Schatz, Willian.“
Stöhnend und ächzend stolperte ich um den Esstisch und inspizierte den Willkommensgruß. Es war ein riesiger Einkaufskorb gefüllt mit Blumen, Visitenkarten und allerlei leckerer Sachen, die ich am liebsten ausgeräumt und in meinem Zimmer versteckt hätte.


Und ich fände es irgendwie cooler, wenn sich die Stärke des Mädchens auf rein intellektuelle/geistige Dinge beschränkt, also nichts körperliches wie z.B. Handstand. Würde es meiner Meinung nach noch ein bisschen spezifischer und glaubwürdiger (auch wenn es Fantasy sein soll) machen. Aber das ist bestimmt Geschmackssache und nur meine ganz persönliche Meinung smile

Insgesamt gerne gelesen!

Liebe Grüße
Marina


_________________
Yesterday I was clever, so I wanted to change the world. Today I am wise, so I am changing myself.

- Rumi
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