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Asiul Erklärbär
A Alter: 28 Beiträge: 2
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A 26.04.2017 14:58 Der letzte Tag von Asiul
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Er wünschte, er wäre zu Hause geblieben.
Nicht, dass dort etwas auf ihn gewartet hätte. Nicht, dass er irgendetwas hatte, auf das er sich freuen konnte, zu Hause. Aber das ging ihm oft so. Verbrachte er Zeit drinnen, wünschte er sich nach draußen. War er dann dort, sehnte er sich wieder nach der Sicherheit, die verschlossene Türen ihm boten.
Sie hörte und hörte nicht auf zu reden, ihre quietschige, ätzende Stimme schallte durch die ganze Straße. Er empfand sie als viel zu unangenehm laut, es war ihm peinlich. Auch mit über 70 verstand er Frauen noch nicht so wirklich. Doch wenigstens hatte er die Kunst perfektioniert, seine Ohren auf Durchzug zu schalten. In seiner eigenen kleinen Welt zu verschwinden, hin und wieder ein wohl platziertes „Ja“, „Mhhh“ oder „Wirklich?“ zu grummeln und ansonsten seinen Gedanken nachzuhängen. Er wünschte, er wäre zu Hause geblieben.
Herrmann schien es genauso zu gehen. Der kleine Dackel trottete lustlos vor ihm her, stieß gelegentlich ein leises Winseln hervor und musste zwischenzeitlich mehr mitgeschleift werden, als dass er sich wirklich bewegte. Auch die kleine, gut frisierte Pudeldame, die Winfrieds Begleiterin an der Leine hatte, wirkte nicht sonderlich glücklich. Herrmann ignorierte all ihre aufdringlichen Kontaktversuche und Winfried fühlte sich seinem Hund plötzlich tief verbunden. Diese Weibsbilder, schienen sie beide zu denken.
Er wusste, dass es keine gute Idee gewesen war, schon als er sein Profil erstellt hatte. Online eine Frau kennenlernen? So ein Quatsch. So richtig etwas abgewinnen konnte Winfried dem Internet noch nie, aber irgendwie war er zu neugierig gewesen, als er eine zufällige Unterhaltung seines Enkels mithörte – bei einer der wenigen Gelegenheiten, bei denen er diesen noch mal zu Gesicht bekam. Erik hatte ziemlich begeistert von einer dieser Plattformen berichtet, und auch wenn ihn die Scham und das schlechte Gewissen auffraßen, hatte Winfried einfach nicht widerstehen können. Wo sonst sollte er denn auch noch Frauen kennenlernen? Zu Hause sicherlich nicht. Da kam die unendliche Weite des Internets ganz richtig. Ohne aus dem Haus zu gehen mit Frauen zu „chatten“, wie das auf neumodisch hieß, sie sich quasi ins Wohnzimmer holen und trotzdem irgendwie anonym zu bleiben. Die Vorstellung gefiel ihm zunächst. Und es hatte geklappt!
Doch nun bereute er es. Wäre lieber wieder allein, als mit dieser Frau zusammen. Sie schlurften durch die Straßen und ihre alten Knochen knarzten. Immerhin das hatten sie gemeinsam. Die Hunde trippelten neben ihnen her, passten sich der Geschwindigkeit an, blieben gelegentlich mal stehen und warteten auf ihre Menschen. Winfried verfluchte seinen verbrauchten Körper.
Sie war viel zu schick und aufgeputzt. Hatte dunkles, rotes Rouge auf den Wangen und trug sündhaft teuer aussehende Perlenohrringe. Das exquisite Restaurant, das sie als Treffpunkt ausgesucht hatte, war nicht wirklich nach Winfrieds Geschmack gewesen. Die Blicke der Kellner, die Löcher in sein heruntergekommenes Outfit bohrten, hatte er das ganze Essen über nicht ignorieren können. Immerhin gezahlt hatte sie, wenn auch nur aus Mitleid, da war er sich sicher. Außerdem wusste sie vermutlich genauso gut wie er, dass es kein zweites Treffen geben würde.
Endlich daheim. Entkräftet ließ er sich auf einen Stuhl am Küchentisch fallen und versuchte nachzuvollziehen, wie er dazu gekommen war, sich mit dieser Frau zu treffen. Worüber hatten sie vorher geschrieben? War er wirklich so verblendet gewesen, zu denken, die beiden wären auch nur annähernd auf derselben Wellenlänge? Sie, gut situiert und schick und er, dem man die Altersarmut auf den ersten Blick ansah? Winfried erinnerte sich nicht und hielt es auch für das Beste, die ganze Sache einfach abzuhaken. Wieder zum grauen Alltag zurückzukehren. Oder nicht?
Hermann kam angelaufen und blieb vor dem alten Mann stehen, wollte gestreichelt werden. Winfried hob den Dackel hoch und kraulte ihm die Ohren. „Ach, Hermann. Ich hab den kleinen Hoffnungsschimmer doch irgendwie genossen, verstehst du das? Sie mag eine blöde Ziege gewesen sein, aber sie hat mir Kraft gegeben“, murmelte er gedankenverloren. Der kleine Hund auf seinem Schoß sah aus seinen großen, treuen Augen zu ihm hoch und winselte leise. Er spürte, wenn es seinem Menschen nicht gut ging.
Seufzend erhob dieser sich und setzte Herrmann ab. Dann schlurfte er die Treppen hoch, öffnete die Tür zum abgedunkelten Schlafzimmer und setzte sich behutsam auf die Bettkante. Die alte Frau, die dort lag, schreckte auf, schaute orientierungslos umher. „Wer ist da?“, krächzte sie, Panik und Verwirrung vermischten sich in ihrem schwachen Stimmchen. „Wer sind Sie? Wo bin ich?“
Winfried kniff die Augen zusammen und schluckte, sparte sich die Antwort, die er schon viel zu oft gegeben hatte. Es ergab ja doch keinen Sinn. Er drückte ihre Hand, stand dann auf. Ging zu der Kommode in der anderen Ecke des Raumes. Holte die Pistole heraus. Er war bereit, das Leid zu beenden.
Hermann stand in der Tür und winselte laut, bellte dann, stellte sich vor sein Herrchen. Der Hund schien zu wissen, was passieren würde. Ungeachtet dessen ließ Winfried sich wieder auf dem Bett nieder, nahm die kalte, schrumpelige Hand seiner Frau und drückte sie fest. Tränen liefen ihm über die Wangen. „Oh, Helga“, schluchzte er. Dann hob er den Arm und drückte ab.
Die Stille war ohrenbetäubend. Selbst Herrmann hatte aufgehört zu bellen und lief aus dem Raum, vermutlich um sich irgendwo in einer Ecke einzurollen und zu winseln. Winfried schluchzte so sehr, dass es ihn schüttelte. Aber er wusste, was er zu tun hatte und er musste gefasst sein.
Also wischte er sich über die Wangen und stand auf. Wie mechanisch lief er runter zum Telefon. Wählte 110.
„Notrufzentrale, hallo?“
„Hallo. Sie müssen bitte jemanden bei mir vorbeischicken. Ich habe meine Frau erschossen.“
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Constantine Bücherwurm
Beiträge: 3311
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27.04.2017 01:42
von Constantine
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Hallo Asiul,
willkommen im Forum und danke für deinen ersten Einstand.
Mit der Geheimniskrämerei ist es so eine Sache. Stellt man es geschickt an, sprich: zwar geheimnisvoll, aber perspektivisch und von der Motivation her passend, kann eine Geschichte bis zum pointierten Ende in sich schlüssig sein und funktionieren. Verwechselt man aber geheimnisvoll mit dem Füttern des Lesers mit Fehlinformationen, um am Ende mit einer überraschenden/schockierenden Pointe aufzuwarten, so führt man den Leser an der Nase herum und das aufgebaute Geschichten-Kartenhaus stürzt in sich zusammen. So fühle ich mich am Ende deiner Geschichte: Mit einer Pointe und einem unmotivierten Ende an der Nase herumgeführt.
Das Leid deines Protagonisten Winfried, unter einer dementen Ehefrau zu leiden, kommt für mich leider nicht rüber, auch nicht in den Endpassagen, wo du dem Leser deine Pointe präsentierst. Stattdessen baust du zu Beginn das Bild eines alleinstehenden, grummeligen Rentners auf, der mit einem Online-Profil und Chatten sich daran versucht, eine Partnerin zu finden und das erste Treffen sehr ernüchternd und peinlich ist. Alleinstehend ist er ja nicht, wie man am Ende erfährt. Warum daraus ein Geheimnis gemacht wird, nicht nur das, der Leser wird den Beziehungsstatus Winfrieds betreffend fehlinformiert
(beispielhaft)
Zitat: | Nicht, dass dort etwas auf ihn gewartet hätte. |
Zitat: | Wäre lieber wieder allein, als mit dieser Frau zusammen. |
,bleibt mir unklar.
Würde doch die Geschichte erheblich dazugewinnen, wenn ich als Leser wüsste, dass er daheim eine demente Frau liegen hat und diese Ausgangssituation etwas näher beleuchten, statt mit Dackel Hermann und Enkel Erik von der eigentlichen Geschichte abzuschweifen. Das würde mir deinen Prota und sein Kennenlern-Drama näher bringen.
Zitat: | Entkräftet ließ er sich auf einen Stuhl am Küchentisch fallen und versuchte nachzuvollziehen, wie er dazu gekommen war, sich mit dieser Frau zu treffen. Worüber hatten sie vorher geschrieben? War er wirklich so verblendet gewesen, zu denken, die beiden wären auch nur annähernd auf derselben Wellenlänge? Sie, gut situiert und schick und er, dem man die Altersarmut auf den ersten Blick ansah? Winfried erinnerte sich nicht und hielt es auch für das Beste, die ganze Sache einfach abzuhaken. Wieder zum grauen Alltag zurückzukehren. Oder nicht?
Hermann kam angelaufen und blieb vor dem alten Mann stehen, wollte gestreichelt werden. Winfried hob den Dackel hoch und kraulte ihm die Ohren. „Ach, Hermann. Ich hab den kleinen Hoffnungsschimmer doch irgendwie genossen, verstehst du das? Sie mag eine blöde Ziege gewesen sein, aber sie hat mir Kraft gegeben“, murmelte er gedankenverloren. |
Ich frage mich, was sich Winfried überlegt hatte, sollte die Wellenlänge stimmen und sich nach dem ersten Treffen ein zweites und viele weitere anbahnen. Hätte er sich seiner Frau auch entledigt oder wollte er ein Doppelleben aufbauen?
Abgesehen von diesem Drama, um welches der Text ein großes Geheimnis macht, dass Winfried daheim eine demente Frau hat und aus welchen Gründen auch immer eine Frau kennenlernen möchte und ein erstes Treffen hatte, geschieht danach der Mord sehr unmotiviert.
Zitat: | Er war bereit, das Leid zu beenden. |
Inwiefern hat ihn das peinliche Treffen mit der Online-Bekanntschaft dazu getrieben, seine Frau Helga von ihrem Leid zu erlösen?
Es tut mir leid, mit dem reißerischen Ende machst du für mich die Geschichte dann komplett kaputt.
Insgesamt funktioniert für mich deine Geschichte leider nicht.
LG,
Constantine
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gold Papiertiger
Beiträge: 4943 Wohnort: unter Wasser
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27.04.2017 06:05
von gold
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Hallo Asiul,
herzlich willkommen im Forum.
Zu deiner Geschichte: Bis auf den Schluss gefällt sie mir sehr gut.
Wie bereits Constantine anmerkt, kommt das Ende zu unmotiviert. Ich denke auch, dass eine Hinführung des Lesers notwendig ist, das heißt, dass du die Ehefrau mit ihrer Demenz möglichst bald, im ersten Viertel, einführen solltest. Das muss m. E. nicht detailliert und lang sein. Später, dann zum Schluss zu, würde ich noch mehr auf seine Frau und die Kommunikation mit ihr eingehen.
Ansonsten: Gern gelesen
LG
gold
_________________ es sind die Krähen
die zetern
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Make Tofu Not War (Goshka Macuga)
Es dauert lange, bis man jung wird. (Pablo Picasso) |
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Verena72 Gänsefüßchen
Alter: 52 Beiträge: 17 Wohnort: Köln
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27.04.2017 12:02
von Verena72
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Hallo Asiul,
grundsätzlich mag ich es, wenn man (zumindest zu Beginn) mit "er" und "sie" arbeitet und die Protagonisten nicht direkt mit Namen nennt.
Bei Deiner Geschichte kam ich aber längere Zeit erst mal nicht dahinter, dass "er" der Winfried ist.
Hermann, der Dackel - check, begriffen.
Pudeldame gehört Winfrieds Begleiterin - check begriffen.
Beim Spaziergang der Beiden durch die Straßen war ich mir aber nicht sicher, ob "er" der Winfried ist, oder ob Winfried eine dritte Person ist, die mit "ihm" und der Pudelbesitzerin zusammen spazieren geht.
Dass "er" Winfried sein muss, erschloss sich bei mir erst in dem nächsten Absatz, als es um das erstellte Profil ging.
Bis dahin habe ich den Anfang dreimal gelesen, um zu versuchen, die beteiligten Protagonisten auf die Reihe zu bekommen.
Mir persönlich hätte es geholfen, wenn Du Deine Geschichte mit "Winfried wünschte, er wäre zuhause geblieben." begonnen hättest. Dann wären alle (beiden) Beteiligten direkt klar gewesen, auch wenn Du Winfried danach weiter erst mal nur mit "er" bezeichnet hättest.
So richtig habe ich auch nicht verstanden, was Winfrieds Intention gewesen sein sollte, eine andere Frau kennen zu lernen. Da ging es mir genauso wie Constantine.
Zumal Du auch den "kleinen Hoffnungsschimmer" erwähnt hast, den er genossen hat. Da kam mir direkt die Frage: Hoffnung auf was? Hoffnung ist ja ein innerlicher flehender Wunsch (zumindest für mich), dass sich (m)eine Situation/Umstand zum Besseren wendet. Dass etwas Gutes passiert, was bisher nicht (ausreichend) gut genug ist.
Als Du die Frau eine "blöde Ziege" genannt hast, habe ich sofort gedacht " Mooooment....DAS hat sie doch gar nicht verdient, so genannt zu werden!"
Dass sie viel geredet hat (vielleicht ihre Unsicherheit, vielleicht auch nur froh darüber mit jemandem reden zu können), eine schreckliche Stimme hat (dafür kann sie nichts), zu schick war, für seinen Geschmack zu viel geschminkt war und es sich anscheinend leisten konnte, teure Ohrringe zu tragen, macht sie für mich nicht zu einer "blöden Ziege". Wenn sie ihn hätte spüren lassen, dass er in einer anderen niedrigeren Liga spielt, ihm etwas Abschätziges oder Überhebliches entgegengebracht hätte, dann wäre sie eine Ziege. Aber das hat sie anscheinend ja nicht.
So fühlte es sich für mich ein bisschen so an, als ob Winfried ein wenig neidisch auf ihren Status gewesen war.
Im letzten Teil, als Winfrieds Frau Helga ins Spiel kommt, fehlt mir die Beschreibung des "Leids". Seines, sowohl als ihres. Diese Beschreibung hätte ich persönlich dringend gebraucht, um die Situation emotional mitempfinden zu können. Und es muss ja eine Menge Leid gewesen sein, wenn ihn das Leid sogar dazu bringt, seine Frau, mit der er anscheinend schon sehr lange zusammen ist, zu erschießen. Bis man soweit ist, einen geliebten Menschen zu erschießen (und er scheint sie ja sehr tief zu lieben, weil er sich "behutsam" neben sie setzt und auch "Oh, Helga" schluchzt), dann kann man einfach nicht mehr. Nicht mehr so weiterleben, nicht mehr die emotionale Last ertragen, nicht weiter für den anderen mitfühlen, weil einfach die Kraft nicht mehr da ist.
Und da ist dann für mich der Widerspruch. Er liebt seine Frau, er leidet (mit ihr)... aber er hat auch "Lust drauf" sich mit einer anderen Frau zu treffen und Hoffnung auf irgend eine geartete Zukunft mit einer neuen Partnerin.
Was bei mir auch Fragezeichen hat aufkommen lassen, ist das abgedunkelte Zimmer und in dem Zusammenhang der genaue Gesundheitszustand von Helga.
Warum war das Zimmer abgedunkelt? Sie scheint ja nur dement zu sein?
Wenn man dement ist, liegt man ja nicht automatisch im Bett. Das Gedächtnis leidet, man ist geistig verwirrt, aber der Körper ist fit.
Oder hatte sie zusätzlich eine andere schwere Erkrankung, die sie ans Bett gefesselt hat, die ein abgedunkeltes Zimmer erforderlich macht, von der Du nichts geschrieben hast? Die vielleicht auch ein bisschen mehr sein und ihr Leid erklären würde.
(Krebs im Endstadium würde mir z.B. eher die Bettlägerigkeit und dunkles Zimmer, sowie "richtiges" Leid erklären, aber nicht eine "normale" Demenz)
Ich habe die Geschichte gerne gelesen und das Thema gefällt mir.
_________________ Denn am besten wärmeln... Pullover mit zwei Ärmeln (Altes Klabautergesetz) |
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Asiul Erklärbär
A Alter: 28 Beiträge: 2
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