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viele nix verstehen the difference


 
 
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Robert_McGee
Geschlecht:männlichSchneckenpost
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Alter: 35
Beiträge: 5
Wohnort: Berlin - Spandau


R
Beitrag20.04.2016 02:11
viele nix verstehen the difference
von Robert_McGee
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Neue Version »

Die Luft schlägt ihnen kalt entgegen, als sie den Freistundenhof betreten.
Jens schaut in den grauen Himmel und zieht fröstelnd die Jacke enger um seinen schmächtigen Körper.
Michael, der Witzbold in der kleinen Clique, fragt den Schließer nach einem Regenschirm.
"Alles Teil der Strafe, Freundchen" kriegt er mit einem schiefen Grinsen zu hören.
Emre lacht.
Die Atmosphäre ist gut hier, man kennt sich.
Weiß vor allem, daß man noch einige Zeit miteinander auskommen muss.
Mindestens bis Montag, bis der nächste Gefangenetransport Platz für die Neuankömmlinge schafft, wahrscheinlich länger.
"Hab gehört, Sandro kommt bald hier durch", bricht Jens das Schweigen, als die drei ihre erste Runde auf dem kleinen Hof beinahe beendet haben.
"Dieser kleine Zigeuner?" fragt Michael, obwohl er genau weiß, von wem die Rede ist.
"Irrer Typ", bemerkt Emre, "bei Verhandlung - sagt: alles subtive Wahrheit, keine Beweise."
"Was du wieder alles weißt", grinst Jens ihn an, dann herrscht wieder einen Moment lang Schweigen.
"Aber das ist eigentlich voll die Idee! Subjektive Wahrheit, da muss man erstmal drauf kommen bei 'ner Verhandlung" grübelt er dann weiter in die Stille.
"Hat's ihm denn was gebracht?" hackt Michael daraufhin nach.
Emre grinst breit.
"Würd' er sonst herkomm'? Vier Zeugen; hilft kein Reden."
Eine wegwerfende Handbewegung unterstreicht die Aussichtslosigkeit, während sie ihre zweite Runde wieder mit Schweigen beginnen.

"Naja," reißt Jens die Anderen aus ihren Gedanken, "aber so Unrecht hat er da ja eigentlich gar nicht."
Mit einer hochgezogenen Augenbraue wirft Michael ihm einen forschenden Blick zu.
"Wie meinst du das? Bei vier Zeugen ist das doch wohl 'ne objektive Tatsache!"
"Nix objetiv  - alles subjetiv!" wirft Emre ein, wofür er einen böhsen Blick kassiert, der ihn sofort verstummen lässt.
"Ach, naja..." nimmt Jens den Faden wieder auf, während er den mit Schotter gestreuten Weg vor sich anstarrt, "im Grunde gibt's ja gar keine objektiven Tatsachen."

Die Clique hat schon ihre dritte Runde zur Hälfte hinter sich, als es Michael zu anstrengend wird, über den Sinn dieser Worte nachzudenken.
"Kannst du dich gefälligst mal verständlich ausdrücken?" fährt er Jens gereizt an.
Ein schalkhaftes Grinsen von Emre ist die Antwort, während Jens noch einen Moment lang weiter den Weg anstarrt, um seine Gedanken zu sortieren.
"Alles, was so gerne als objektive Wahrheit dargestellt wird, ist doch im Grunde nichts Anderes, als subjektive Wahrheit, die von der subjektiven Wahrheit Anderer bestätigt wurde", entgegente er dann.
Diesmal kann man förmlich sehen, wie schwer Michael an diesem Gedanken zu kauen hat.
Erneut senkt sich nachdenkliches Schweigen über die Gruppe, nachdm Jens und Emre ein  wissendes Lächeln und einen schnellen Seitenblick auf ihren Mithäftling geteilt haben.

Bei Beginn der vierten Runde setzt Nieselregen ein und der diensthabende Schließer öffnet die Tür zum Zellenblock, um alle rein zu lassen, die die Freistunde abbrechen wollen.
"Das ist mir zu hoch, Leute", räumt Michael schließlich ein.
"Ich geb' auf und geh' rein", sagt er noch und dreht sich abrupt um.
Jens grinst breit.
"Viele nix verstehen the difference: objektiv – subjektiv..." murmelt Emre und schüttelt geistesabwensend den Kopf.



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"Freedom is just an other word for nothing left to loose..."
(Janis Joplin)
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schrei.ben.
Wortedrechsler
S


Beiträge: 94



S
Beitrag20.04.2016 08:08

von schrei.ben.
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Hm. Der Text liest sich einigermaßen fehlerfrei und glatt. Aber so richtig packt es mich nicht. Und am Ende bleibe ich rätselnd zurück.

LG Ben
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Saraa
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen
S

Alter: 31
Beiträge: 30
Wohnort: Sauerland


S
Beitrag20.04.2016 08:23

von Saraa
Antworten mit Zitat

Mir gefällt dein Text sehr gut, vor allem die wörtliche Rede, da sie sehr authentisch und real ist. Nichts daran lässt mich zweifeln, dass genau diese Szene im wahren Leben passieren könnte.
Mit deinen gut eingesetzten Adjektiven holst mich schnell ab und ich hab ein bisschen das Gefühl mit den Männern über den Hof zu gehen.

Es gibt schon einige Rechtschreibfehler, ich weiß aber nicht ob du die aufgezählt haben wolltest, deswegen lass ich das erstmal außer Acht.


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"Ein Ausrufezeichen ist wie über seinen eigenen Witz zu lachen" - M.Twain
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Wolfin
Geschlecht:männlichLeseratte


Beiträge: 120
Wohnort: Duisburg


Beitrag20.04.2016 11:04

von Wolfin
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Gefällt mir sehr gut.

_________________
Mir reicht, dass ich weiß, dass ich könnte, wenn ich möchte.
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Lapidar
Geschlecht:weiblichExposéadler

Alter: 61
Beiträge: 2701
Wohnort: in der Diaspora


Beitrag20.04.2016 12:22
Re: viele nix verstehen the difference
von Lapidar
Antworten mit Zitat

Robert_McGee hat Folgendes geschrieben:
Die Luft schlägt ihnen kalt entgegen, als sie den Freistundenhof betreten.
Jens schaut in den grauen Himmel und zieht fröstelnd die Jacke enger um seinen schmächtigen Körper.
Michael, der Witzbold in der kleinen Clique, fragt den Schließer nach einem Regenschirm.
"Alles Teil der Strafe, Freundchen" kriegt er mit einem schiefen Grinsen zu hören.
Emre lacht.
Die Atmosphäre ist gut hier, man kennt sich.
Weiß vor allem, daß man noch einige Zeit miteinander auskommen muss.
Mindestens bis Montag, bis der nächste Gefangenentransport Platz für die Neuankömmlinge schafft, wahrscheinlich länger.
"Hab gehört, Sandro kommt bald hier durch", bricht Jens das Schweigen, als die drei ihre erste Runde auf dem kleinen Hof beinahe beendet haben.
"Dieser kleine Zigeuner?" fragt Michael, obwohl er genau weiß, von wem die Rede ist.
"Irrer Typ", bemerkt Emre, "bei Verhandlung - sagt: alles subtive Wahrheit, keine Beweise."
"Was du wieder alles weißt", grinst Jens ihn an, dann herrscht wieder einen Moment lang Schweigen.
"Aber das ist eigentlich voll die Idee! Subjektive Wahrheit, da muss man erstmal drauf kommen bei 'ner Verhandlung" grübelt er dann weiter in die Stille.
"Hat's ihm denn was gebracht?" hackt/Hacken oder haken? Michael daraufhin nach.
Emre grinst breit.
"Würd' er sonst herkomm'? Vier Zeugen; hilft kein Reden."
Eine wegwerfende Handbewegung unterstreicht die Aussichtslosigkeit, während sie ihre zweite Runde wieder mit Schweigen beginnen.

"Naja," reißt Jens die Anderen aus ihren Gedanken, "aber so Unrecht hat er da ja eigentlich gar nicht."
Mit einer hochgezogenen Augenbraue wirft Michael ihm einen forschenden Blick zu.
"Wie meinst du das? Bei vier Zeugen ist das doch wohl 'ne objektive Tatsache!"
"Nix objetiv  - alles subjetiv!" wirft Emre ein, wofür er einen böhsen Blick kassiert, der ihn sofort verstummen lässt.
"Ach, naja..." nimmt Jens den Faden wieder auf, während er den mit Schotter gestreuten Weg vor sich anstarrt, "im Grunde gibt's ja gar keine objektiven Tatsachen."

Die Clique hat schon ihre dritte Runde zur Hälfte hinter sich, als es Michael zu anstrengend wird, über den Sinn dieser Worte nachzudenken.
"Kannst du dich gefälligst mal verständlich ausdrücken?" fährt er Jens gereizt an.
Ein schalkhaftes Grinsen von Emre ist die Antwort, während Jens noch einen Moment lang weiter den Weg anstarrt, um seine Gedanken zu sortieren.
"Alles, was so gerne als objektive Wahrheit dargestellt wird, ist doch im Grunde nichts Anderes, als subjektive Wahrheit, die von der subjektiven Wahrheit Anderer bestätigt wurde", entgegente er dann.
Diesmal kann man förmlich sehen, wie schwer Michael an diesem Gedanken zu kauen hat.
Erneut senkt sich nachdenkliches Schweigen über die Gruppe, nachdm Jens und Emre ein  wissendes Lächeln und einen schnellen Seitenblick auf ihren Mithäftling geteilt haben.

Bei Beginn der vierten Runde setzt Nieselregen ein und der diensthabende Schließer öffnet die Tür zum Zellenblock, um alle rein zu lassen, die die Freistunde abbrechen wollen.
"Das ist mir zu hoch, Leute", räumt Michael schließlich ein.
"Ich geb' auf und geh' rein", sagt er noch und dreht sich abrupt um.
Jens grinst breit.
"Viele nix verstehen the difference: objektiv – subjektiv..." murmelt Emre und schüttelt geistesabwensend den Kopf.

nette kleine Szene. Ich hab ein paar Schreibfehler angemerkt, die mir subjektiv aufgefallen sind, wahrscheinlich sind sie dir durch gerutscht, beim Lesen am Bildschirm (passiert mir auch öfters. ) wink

Was ich noch nicht so ganz verstehe, ist, warum das Gespräch in einem Gefängnis statt findet. Vllt ist es ja ein Teil aus einer größeren Geschichte.
Das Thema selbst, so wie ich es verstehe, zwischen subjektiver und objektiver Wahrnehmung könnte eigentlich überall stattfinden.

LG Lapidar


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Mara
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Beiträge: 140
Wohnort: Linz/Donau


Beitrag20.04.2016 13:39

von Mara
Antworten mit Zitat

Hallo,
das liest sich gut. Die eigene Sprache von Emre ist gut gelungen, bis auf den letzten Satz: Da spricht er "subjektiv" und "objektiv" auf einmal korrekt aus?!
Ich habe geschmunzelt beim Lesen, aber was die Szene jetzt eigentlich bewirken soll, habe ich auch nicht ganz verstanden.

Vielleicht fehlt da noch ein Teil: Weil das so ist mit der subjektiven und objektiven Wahrheit daher ...
... ändert sich was für die Protagonisten?
... versteht einer der Protagonisten jetzt irgendetwas auf einmal?

Oder soll einfach nur gezeigt werden, dass Michael den anderen intellektuell nicht gewachsen ist?

Ich bleibe leicht ratlos zurück ...
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Robert_McGee
Geschlecht:männlichSchneckenpost
R

Alter: 35
Beiträge: 5
Wohnort: Berlin - Spandau


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Beitrag21.04.2016 00:49

von Robert_McGee
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Hallo Ben,
vielen Dank für deine Kritik, die mir sehr gut vor Augen führt, wie du dich nach dem lesen meines Textes gefühlt haben könntest – denn nun stehe ich vor dem Rätsel, was du damit meinst.
Wenn es dir um eine Auflösung der Frage zum Thema subjektive/objektive Wahrheit geht, muss ich dich leider enttäuschen. Eine absolute, abschließende Antwort auf diese Frage kann es m.E.n. erst geben, wenn man sich auf einen der beiden Standpunkte festgelegt hat. Was natürlich zur Folge hat, daß die Antwort, wie auch immer sie aussieht, immer in den Bereich der subjektiven Wahrheit fallen muss wink
Solltest du dich fragen, was der Text im Allgemeinen aussagen soll, wird deine Neugier in meiner Antwort auf Maras Frage Befriedigung finden.

Hallo Saraa,
vielen Dank für dein tolles Feedback!
Die authentische Sprache als Solches und das Integrieren von wörtlicher Rede, ohne den Lesefluss dabei zu stören, zählen regelmäßig zu meinen größten Sorgen während des Schreibens.

Hallo Wolfin,
vielen Dank für dein Lob smile

Hallo Lapidar,
vielen Dank für deine Korrektur. Einiges ist mir tatsächlich beim Korrekturlesen nicht aufgefallen, weniger wegen dem Lesen am Bildschirm (obwohl das wohl auch einer der Gründe ist), viel eher liegt es daran, daß meine Aufmerksamkeit ziemlich nachlässt, wenn ich den Text Wort für Wort kenne. Bei manchen Worten habe ich generell Schwierigkeiten, mir die richtige Schreibweise zu merken, so z.B. bei dem Wort "böse".
Natürlich hast du Recht damit, daß dieses Thema an jedem beliebigen Ort diskutiert werden könnte, und tatsächlich wird es im Bereich der Erkenntnistheorie und Philosophie ausgiebig seziert. Das Gefängnis habe ich einerseits deswegen als Hintergrund gewählt, weil die Unterscheidung zwischen objektiver und subjektiver Wahrheit bzw. Wahrnehmung gerade für einen Angeklagten vor Gericht eine sehr persönliche Bedeutung bekommen kann, insbesondere dann, wenn es tatsächlich zu einer Verurteilung kommt.
Andererseits schien mir das Gefängnis der geeignete Ort, um Charaktere "an einen Tisch zu bringen", die einander im echten Leben wahrscheinlich eher aus dem Wege gehen würden. In der Antwort auf Maras Frage gehe ich  darauf noch weiter ein.
Bisher steht diese Szene für sich und ist kein Teil einer größeren Geschichte. Möglicherweise wird sie einmal als Grundstein für eine Sammlung ähnlicher Szenen dienen können. Eingebunden in eine Rahmenhandlung, die auch auf die Vorgeschichte der Charaktere und ihr weiteres Schicksal eingeht... Darüber werde ich zu gegebener Zeit nachdenken. Im Moment arbeite ich an einer längeren Geschichte zu einem völlig anderen Thema.

Hallo Mara,
vielen Dank für deine Anregungen!
Die korrekte Aussprache im letzten Satz von Emre sollte eigentlich verdeutlichen, daß er, je öfter er ein fremdes Wort hört, sich die korrekte Aussprache einprägt und dann auch versucht, sie selbst anzuwenden. Vielleicht könnte dies deutlicher werden, wenn ich seine Lernkurve (subtiv-subjetiv-subjektiv) weniger steil anlege und in seinem letzten Satz "objegtiv" und "subjegtiv" verwende. Darüber werde ich mir noch eine Weile Gedanken machen und es ggf. zusammen mit der Rechtschreibkorrektur abändern.
An der Oberfläche soll diese Szene bewirken, daß der Leser gut unterhalten wird. Wie ich zu meiner Freude höre, scheint dies auch gelungen zu sein smile
Unterschwellig soll die Szene dazu anregen, über das Zwischenmenschliche und den Umgang miteinander nachzudenken. Hauptsächlich durch den geschilderten unterschwelligen Rassismus in Michaels Worten und Verhalten. Zum Einen seine abwertend klingende Frage: "der kleine Zigeuner?" (wobei anzumerken ist, daß schon das Wort "Zigeuner" alleine von vielen Sinti und Roma als ernste Beleidigung aufgefasst wird), zum Anderen sein böser Blick gegen Emre, als dieser gerade ansetzt, um ihm die Sache zu erklären, da er es nicht mit seinem Ego vereinbaren kann, von jemandem belehrt zu werden, der kein richtiges Deutsch sprechen kann. Es soll nicht gezeigt werden, daß Michael den Anderen intelektuell unterlegen wäre, sondern daß sein verleugneter Rassismus ihn in dieser Situation vom klaren Denken abhält – was seinem Ego am Ende den Todesstoß versetzt.
Das Gespräch über subjektive und objektive Wahrheit soll während dem Lesen dazu animieren, über die subjektive Wahrheit nachzudenken, an die jeder der Charaktere glauben könnte.
Zu guter Letzt soll diese Szene dem Leser aber auch die Frage über objektive und subjektive Wahrheit mit auf den Weg geben um darüber nachzudenken und für sich selbst eine Antwort darauf zu finden.

Vielen Dank nochmal für eure großartigen Reaktionen und liebe Grüße,
euer Robert


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Robert_McGee
Geschlecht:männlichSchneckenpost
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Alter: 35
Beiträge: 5
Wohnort: Berlin - Spandau


R
Beitrag22.04.2016 18:57
überarbeitete und erweiterte Version
von Robert_McGee
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Die Luft schlägt ihnen kalt entgegen, als sie den Freistundenhof betreten.
Jens schaut in den grauen Himmel und zieht fröstelnd die Jacke enger um seinen schmächtigen Körper.
Michael, der Witzbold in der kleinen Clique, fragt den Schließer nach einem Regenschirm.
"Alles Teil der Strafe, Freundchen" kriegt er mit einem schiefen Grinsen zu hören.
Emre lacht.
Die Atmosphäre ist gut hier, man kennt sich.
Weiß vor allem, daß man noch einige Zeit miteinander auskommen muss.
Mindestens bis Montag, bis der nächste Gefangenentransport Platz für die Neuankömmlinge schafft.
Wahrscheinlich länger.

"Hab gehört, Sandro kommt bald hier durch", bricht Jens das Schweigen, als die drei ihre erste Runde auf dem kleinen Hof beinahe beendet haben.
"Dieser kleine Zigeuner?" fragt Michael, obwohl er genau weiß, von wem die Rede ist.
"Irrer Typ", bemerkt Emre, "bei Verhandlung - sagt: alles subtive Wahrheit, keine Beweise."
"Was du wieder alles weißt", grinst Jens ihn an, dann herrscht wieder einen Moment lang Schweigen.
"Aber das ist eigentlich voll die Idee! Subjektive Wahrheit, da muss man erstmal drauf kommen bei 'ner Verhandlung" grübelt er dann weiter in die Stille.
"Hat's ihm denn was gebracht?" hakt Michael daraufhin nach.
Emre grinst breit.
"Würd' er sonst herkomm'? Vier Zeugen; hilft kein Reden."
Eine wegwerfende Handbewegung unterstreicht die Aussichtslosigkeit, während sie ihre zweite Runde wieder mit Schweigen beginnen.

"Naja," reißt Jens die Anderen aus ihren Gedanken, "aber so Unrecht hat er da ja eigentlich gar nicht."
Mit einer hochgezogenen Augenbraue wirft Michael ihm einen forschenden Blick zu.
"Wie meinst du das? Bei vier Zeugen ist das doch wohl 'ne objektive Tatsache!"
"Nix objetiv  - alles subjetiv!" wirft Emre ein, wofür er einen bösen Blick kassiert, der ihn sofort verstummen lässt.
"Ach, naja..." nimmt Jens den Faden wieder auf, während er den mit Schotter gestreuten Weg vor sich anstarrt, "im Grunde gibt's ja gar keine objektiven Tatsachen."

Die Clique hat schon ihre dritte Runde zur Hälfte hinter sich, als es Michael zu anstrengend wird, über den Sinn dieser Worte nachzudenken.
"Kannst du dich gefälligst mal verständlich ausdrücken?" fährt er Jens gereizt an.
Ein schalkhaftes Grinsen von Emre ist die Antwort, während Jens noch einen Moment lang weiter den Weg anstarrt, um seine Gedanken zu sortieren.
"Alles, was so gerne als objektive Wahrheit dargestellt wird, ist doch im Grunde nichts Anderes, als subjektive Wahrheit, die von der subjektiven Wahrheit Anderer bestätigt wurde", entgegnet er dann.
Diesmal kann man förmlich sehen, wie schwer Michael an diesem Gedanken zu kauen hat.
Erneut senkt sich nachdenkliches Schweigen über die Gruppe, nachdem Jens und Emre ein  wissendes Lächeln und einen schnellen Seitenblick auf ihren Mithäftling geteilt haben.

Bei Beginn der vierten Runde setzt Nieselregen ein und der diensthabende Schließer öffnet die Tür zum Zellenblock, um alle rein zu lassen, die die Freistunde abbrechen wollen.
"Das ist mir zu hoch, Leute", räumt Michael schließlich ein.
"Ich geb' auf und geh' rein", sagt er noch und dreht sich abrupt um.
Jens grinst breit.
"Viele nix verstehn the difference: objegtiv – subjegtiv..." murmelt Emre und schüttelt geistesabwesend den Kopf, bevor sie ihre Runden fortsetzen.

Das Geräusch eines sich öffnenden Fensters lässt Jens aufschauen.
"Schau ihn dir an..." sagt er beiläufig und beobachtet nachdenklich den dunklen Schatten im Fenster.
"Wie er uns anstarrt."
Emre folgt flüchtig seinem Blick.
"Seine Augen... viel Hass."
"Hab's gesehen," entgegnet Jens, "als du's ihm erklären wolltest."
"Ich frage mich, wann er merkt, daß es dafür keine Lösung gibt", fügt er einen Moment später mehr an sich selbst gewandt hinzu.
Emre fixiert prüfend den Blick des Anderen.
"Wenn Hass aufhört; er versteht."

"Eiiiiiinrücken!" ruft der Schließer einige Zeit später über den Platz.
Ohne Eile beenden die Häftlinge ihre Runden und strömen zur Tür.
"Wahrscheinlich hast du Recht..." sagt Jens mit zweifelndem Blick auf seinen Freund, bevor er als Letztes den Zellenblock betritt.


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Sonnenstunde
Geschlecht:weiblichGänsefüßchen

Alter: 39
Beiträge: 15
Wohnort: Nordrhein-Westfalen


Beitrag10.05.2016 23:09

von Sonnenstunde
Antworten mit Zitat

Hallo Robert_McGee,
ich mag deine Geschichte, besonders die zweite Version.
Der nachgeschobene Gesprächsteil hilft (mir) dabei, zu verstehen, dass die eigentliche Aussage gar nicht so sehr in der Subjektiv-Objektiv-Sache liegt, sondern vor allem in der Figur Michaels.
Natürlich kann es sein, dass meine Einschätzung der zweiten Version nun etwas verzerrt ist, weil ich ja vorher schon deine Anmerkungen zu der Geschichte gelesen habe.

Ich muss ehrlich gestehen, den unterschwelligen Rassismus bei Michael habe ich nicht erkannt. Den bösen Blick könnte Emre ja auch kassiert haben, weil er Michael widersprochen und korrigiert hat. Es soll ja Leute geben, die auf so was sehr empfindlich reagieren...
Und auch dem "kleinen Zigeuner" habe ich nicht all zu viel Bedeutung beigemessen, weil ja nur einige Zeilen darüber herausgestrichen wurde, dass Michael so ein Witzbold ist. Ich dachte, das sei so ein frotzelnder Spruch von ihm.

Da hilft der letzte Teil dann doch, spätestens, wenn das Wort "Hass" fällt.
Dazu habe ich aber auch eine Anregung für dich:
Der allerletzte Absatz plätschert so dahin und transportiert eigentlich nichts mehr. Das ist schade. Wie wäre es, wenn der Befehl zum Einrücken schon etwas früher fällt, so dass Emre im Hineingehen sprechen kann. Wirkungsvoll fände ich als letzten Satz
Zitat:
"Wenn Hass aufhört; er versteht."


Viele Grüße, Sonnenstunde
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Fhenael
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Beiträge: 3
Wohnort: Straßburg


F
Beitrag11.05.2016 15:51

von Fhenael
Antworten mit Zitat

Hallo,
finde den Text bis jetzt ganz nett, obwohl ich mir noch nicht so richtig vorstellen kann, worauf das Ganze hinauslaufen wird.

Was mir, scheinbar im Gegensatz zu den meisten anderen, negativ aufgefallen ist, ist die Art und Weise wie Emre spricht. Das liest sich für mich eher wie Meister Yoda und nicht wie ein Türke, der der deutschen Sprache nicht ganz mächtig ist.
Wenn du wirklich aus Spandau kommst, wundert mich das allerdings nicht wirklich. Razz
Fahr doch mal in Wedding und setz' dich für ein paar Stunden in nen Döner oder zu nem türkischen Friseur. Wir sprechen so wirklich nicht.

Vor allem das "viele nix verstehen the difference" und "wenn Hass aufhört, er versteht" klingen für mich ganz schräg. Vielleicht findest du da ja noch was besseres. Auch Leute, die gebrochenes Deutsch sprechen, verstehen, dass wir Artikel benutzen, sie benutzen vielleicht einfach nur nicht zwangsweise die richtigen.
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