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Wär' ich eine Schnecke


 
 
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somichso
Geschlecht:weiblichErklärbär
S

Alter: 26
Beiträge: 4
Wohnort: Schweiz


S
Beitrag08.04.2016 21:15
Wär' ich eine Schnecke
von somichso
eBook pdf-Datei Antworten mit Zitat

Ich bin ganz neu und hoffe mal, dass ich hier richtig bin. Ich selbst konnte mich bei der Einteilung nicht zwischen Lyrik und Prosa entscheiden. Vielleicht könnt ihr mir helfen. Herzlichen Dank!

Wär' ich eine Schnecke

Manchmal frage ich mich, ob ich verrückt bin. Wahnsinnig. Verrückt. Wahnsinnig. Verrückt.

Manchmal frage ich mich, wie es wäre, eine Schnecke zu sein. Langsam würde ich den Berg hinauf kriechen. Die Vögel kreischen, zirpen, singen ihre Töne, ergänzen ihre Melodien. Sie scheinen fern ab von allem zu sein. Wär‘ ich ein Vogel, erfände ich die schönsten Lieder von allen. Meine Lieder wären Meisterwerke.

Ich krieche ein Stück.

Der Berghang ist karg. Die vielen kleinen Steine liegen im Weg. Sie sind rund, quadratisch, oval, und sie stinken nach Kalk. Es ist mühsam und schwer, sie zu bewegen. Viel zu schwer. Wäre ich ein Vogel, würde ich sie aufpicken und durch die Luft werfen. Meine Freunde würden sie fangen und wir spielten den ganzen Tag lang mit den runden, quadratischen, ovalen Steinchen.

Ich krieche ein Stück.

Sie kitzeln. Sie kitzeln so sehr. Sie kitzeln so, so sehr wenn sie auf mir rum krabbeln. Ich fühle sie auf meinem Körper, sie erklimmen mein Haus, sie inspizieren mich, doch ich lasse sie sein. Ich bin zu langsam, um sie zu inspizieren. Wäre ich ein Vogel, könnte ich sie aufessen. Diese mickrigen Ameisen könnten nicht auf mir rum wandern. Ich schwebe, und sie sind auf der Erde. Wär‘ ich ein Vogel, hätte ich keine Probleme mit ihnen.

Ich krieche ein Stück.

Die Ameisen sind immer noch auf mir, in mir, unter mir, ob mir. Ich fühle einen Tropfen. Plitsch. Platsch. Plitsch. Platsch. Immer schneller und schneller, immer mehr und mehr. Für dich ist es eine Pfütze, für mich ein Meer. Wäre ich ein Vogel, würd‘ ich mir Schutz suchen. Elegant würde ich durch das Nieseln fliegen und die Schönheit der gereinigten Natur beobachten können. Jedes Detail, ich schwebe über sie hinweg in hoher Lüfte. Wär‘ ich ein Vogel, das Meer wär‘ eine Träne.

Ich sehe den Spitz.

Ich sehe das Ende. Ein Kribbeln umhüllt meinen Körper, die Ameisen sind weg, ich fühle mich lustig, der Hang ist nun nicht mehr  so rutschig.

Ich sehe das Ende. Mehr und mehr, ich bin fast da, schneller und schneller, er scheint ganz nah.

Ich sehe das Ende. Doch was ist das, ein Poltern, ist’s der Blitz, ist’s der Donner? Ich höre ein Poltern, wieder und wieder, es wird immer lauter, ach, das Poltern, nun scheint es vertrauter.

Ich sehe das Ende, ich dreh‘ mich um. Ein Ungetüm, und weg ist mein Haus und weg ist meine Seel‘.

Ich sah das Ende.  Wär‘ ich ein Vogel, hätte ich den Mensch kommen sehen. Er hätte mich nicht erdrückt, ich wär‘ noch da, ich wär‘ noch hier, ich wär‘ noch dort. Wär‘ ich ein Vogel, wär‘ alles besser.

Manchmal frage ich mich, ob ich verrückt bin. Wahnsinnig. Verrückt. Doch ich sage, ich sei nur ich. Nur Ich.
Ich bin ich.

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firstoffertio
Geschlecht:weiblichShow-don't-Tellefant


Beiträge: 5854
Wohnort: Irland
Das bronzene Stundenglas Der goldene Spiegel - Lyrik (1)
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Beitrag08.04.2016 23:03

von firstoffertio
Antworten mit Zitat

Gefaellt mir gut.

Auch der Aufbau, mit den immer wieder Pausen, wo Schnecke zum Denken kommt.

"und weg ist mein Haus und weg ist meine Seel‘." ist eine Lieblingsstelle.
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Lilala
Gänsefüßchen
L


Beiträge: 22



L
Beitrag13.04.2016 14:58

von Lilala
Antworten mit Zitat

Der Text gefällt mir sehr.

Ich finde es ein interessantes Thema und wie immer wieder auf einzelne Kleinigkeiten eingegangen wird, hat bei mit beim Lesen viele, aussagekräftige Bilder im Kopf erzeugt.

Gut gefällt mir auch die thematische Klammer, wie ganz am Anfang und am Ende erstmal auf den Geisteszustand des Protagonisten eingegangen wird und dazwischen die Erzählung von der Schnecke stattfindet.

Ich weiß leider auch nicht, ob der Text eher unter Lyrik oder Prosa einzuordnen ist. Gefühlsmäßig würde ich sagen, dass du ihn schon im Prosa-bereich richtig gelistet hast, würde mich aber freuen, wenn uns jemand der mehr Ahnung hat aufklärte.
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Gast







Beitrag13.04.2016 15:19

von Gast
Antworten mit Zitat

Hat mich gut unterhalten. Klasse!
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Constantine
Geschlecht:männlichBücherwurm


Beiträge: 3311

Goldener Sturmschaden Weltrettung in Bronze


Beitrag14.04.2016 01:07

von Constantine
Antworten mit Zitat

Hallo somichso,

willkommen im Forum!

Dein Protagonist stellt sich vor, wie es wäre eine Schnecke zu sein. Doch statt dabei zu bleiben, schwenkt er immer wieder dazu über, wie es wäre, ein Vogel zu sein. Paradox und ich komme zum Schluss, er möchte gar keine Schnecke sein, sondern eher ein Vogel. Und ich frage mich, warum er sich dann nicht gleich vorstellt, wie es wäre ein Vogel zu sein, statt der titelgebenenden Schnecke?

Zum Text einige Anmerkungen:
Zitat:
Manchmal frage ich mich, wie es wäre, eine Schnecke zu sein. Langsam würde ich den Berg hinauf kriechen. <-- ich finde, auf das "Langsam" könntest du verzichten, da das "Kriechen" mMn eine langsame Bewegung impliziert. Die Vögel kreischen, zirpen <-- Hier blieb ich hängen. Mit "zirpen" verbinde ich keine Vogellaute, sondern Insektenlaute von z.B. Grillen und Zikaden. Für mich ein falsch gewähltes Verb., singen ihre Töne, ergänzen ihre Melodien. Sie scheinen fern ab von allem zu sein. Wär‘ ich ein Vogel, erfände ich die schönsten Lieder von allen. Meine Lieder wären Meisterwerke.

Bereits hier wird ersichtlich, dass ein Leben als Vogel für ihn interessanter wäre, als das eher langweilige Leben einer Schnecke, und ich frage mich, was den Protagonisten an der Schnecke so fasziniert? Für mich kommt das im Text leider nicht heraus. Immer wieder werden mir die persönlichen Vorteile des Vogeldaseins geschildert, so dass mir die Motivation des Protagonisten, eine Schnecke sein zu wollen, nicht klar wird.

Zitat:
Sie kitzeln. Sie kitzeln so sehr. Sie kitzeln so, so sehr wenn sie auf mir rum krabbeln. Ich fühle sie auf meinem Körper, sie erklimmen mein Haus, sie inspizieren mich, doch ich lasse sie sein. Ich bin zu langsam, um sie zu inspizieren. Wäre ich ein Vogel, könnte ich sie aufessen. Diese mickrigen Ameisen könnten nicht auf mir rum wandern. Ich schwebe, und sie sind auf der Erde. Wär‘ ich ein Vogel, hätte ich keine Probleme mit ihnen.

Hier frage ich mich, warum du aus den Ameisen ein Geheimnis machst und sie im Abschnitt spät erwähnst?


Zitat:
Ich sehe das Ende, ich dreh‘ mich um. Ein Ungetüm, und weg ist mein Haus und weg ist meine Seel‘.

Ich sah das Ende. Wär‘ ich ein Vogel, hätte ich den Mensch kommen sehen. Er hätte mich nicht erdrückt, ich wär‘ noch da, ich wär‘ noch hier, ich wär‘ noch dort. Wär‘ ich ein Vogel, wär‘ alles besser.

Manchmal frage ich mich, ob ich verrückt bin. Wahnsinnig. Verrückt. Doch ich sage, ich sei nur ich. Nur Ich.
Ich bin ich.

Das Rätsel und die Pointe, was da die Schnecke "erwischt", versuchst du mit "Ungetüm" noch etwas hinauszuzögern und erst im nächsten Abschnitt aus der Sicht des Vogels deckst du das schwarzhumorige Schuhsohlen-Ende der Schnecke auf. Mir erscheint deine Wortwahl "Ungetüm" nicht passend und ich frage mich, warum kennt eine Schnecke Blitz und Donner, kennt den Unterschied von Pfütze zu Meer, kennt den Geruch von Kalk (Können Schnecken riechen?), aber einen Menschen bezeichnet sie (oder er als Schnecke) als Ungetüm? Hier finde ich das pointierte Ende der Schnecke etwas zu erzwungen und fände "Mensch" anstelle "Ungetüm" passender. Wozu die Geheimniskrämerei, wenn es danach sogleich wieder darum geht, wie es wäre, in der Situation ein Vogel zu sein?


Insgesamt ein unterhaltsamer Text und schöner Einstand. Gerne gelesen.

LG,
Constantine
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Mogmeier
Geschlecht:männlichGrobspalter

Moderator
Alter: 50
Beiträge: 2677
Wohnort: Reutlingen


Beitrag15.04.2016 01:28

von Mogmeier
Antworten mit Zitat

Hallo somichso.

Constantine hat Folgendes geschrieben:
Dein Protagonist stellt sich vor, wie es wäre eine Schnecke zu sein. Doch statt dabei zu bleiben, schwenkt er immer wieder dazu über, wie es wäre, ein Vogel zu sein. Paradox und ich komme zum Schluss, er möchte gar keine Schnecke sein, sondern eher ein Vogel. Und ich frage mich, warum er sich dann nicht gleich vorstellt, wie es wäre ein Vogel zu sein, statt der titelgebenenden Schnecke?

Ja, das war auch so mein erster Gedanke. Aber im Grunde ist nichts daran auszusetzen, sich vorzustellen, eine Schnecke zu sein, die gerne ein Vogel wäre. – Hat ein bisschen was vom ›Simon and Garfunkel‹-Song ›El Condor Pasa‹. love


somichso hat Folgendes geschrieben:
Manchmal frage ich mich, ob ich verrückt bin. Wahnsinnig. Verrückt. Wahnsinnig. Verrückt.

Dieser Einstieg kommt meines Erachtens noch nicht so rüber, wie er rüberkommen soll.
Für meinen Geschmack hätte ich das folgendermaßen realisiert:

Manchmal frage ich mich, ob ich verrückt bin. Verrückt? Wahnsinnig? Wahnsinnig verrückt?

Wobei die Geschichte meines Erachtens diesen Einstieg gar nicht nötig hat, weder so noch so. Ich fände sie gelungener ohne diesen Einstieg.


Trotzdem ein schöner Einstand!
Hat mir gefallen. Und das nicht nur, weil mich die Geschichte dazu bewegte, mir mal wieder die ›Simon and Garfunkel‹-DVD reinzuziehen.

LG Mog


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somichso
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Alter: 26
Beiträge: 4
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S
Beitrag23.04.2016 12:56

von somichso
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Hallo Constantine

Ich kann gut nachvollziehen, was du geschrieben hast und wie du die Geschichte verstanden hast. Ist natürlich immer Ansichtssache. Für mich ist jedoch der springende Punkt, dass sich der Erzähler nicht eine Schnecke nur vorstellt, sondern sich mit ihr identifiziert. (Daher auch die "menschlichen" Eigenschaften und Personifikationen, Kalk riechen etc.) Es ist ein Gleichnis, der Ich-Erzähler sieht sich als Schnecke, der Weg ist lang und anstrengend voll kleiner Hindernisse wie den Ameisen, und stellt sich vor, was besseres zu sein, in diesem Fall einen Vogel.

Das ganze ist an den Gedanken angelehnt, dass man oft Gedanken hat, man wäre lieber ganz anders, so würde doch alles besser sein, aber schlussendlich gibt es noch keinen Zauberspruch, um sich selbst zu ändern, glücklicherweise wohl.

Dennoch danke für deinen  Input!

LG Michelle


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somichso
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Alter: 26
Beiträge: 4
Wohnort: Schweiz


S
Beitrag23.04.2016 13:00

von somichso
pdf-Datei Antworten mit Zitat

Hallo Mogmeier

Auch dir danke für deinen Input. Du hast völlig Recht. Mir gefällt der Einstieg tatsächlich mit Fragenzeichen besser. Den Einstieg habe ich so gewählt, weil ich noch einen "menschlichen" Teil haben wollte und einen Einstieg und Schluss, die als Rahmen für die Geschichte fungieren. Sie sollten die Menschlichkeit betonen und den Leser dazu anregen, ob das nun "normal oder wahnsinnig" ist, sich vorzustellen, eine Schnecke zu sein, die lieber ein Vogel wäre.

Notwendig sind Einstieg und Schluss für den Text bestimmt nicht, jedoch fühle ich mich immer ein wenig hingezogen zu solchen Rahmen. wink

LG Michelle


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