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Marlowe, erstes Buch, Intro


 
 
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Frank D. Badenius
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 64
Beiträge: 27
Wohnort: Lindau (Bodensee)


Beitrag12.03.2016 08:29
Marlowe, erstes Buch, Intro
von Frank D. Badenius
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Hi zusammen,

hier mal das Intro (einem jetzt nicht entscheidenden Prolog folgend) für mein neues Buch: "Marlowe". Viel Spaß!



Marlowes kleine dunkle Augen wurden immer größer: Die wunderbare, für alle Zwecke bestens geeignete, weil völlig verwilderte, Liguster-Hecke vor dem Haus Nummer 13 war bis auf einen kläglichen Rest zur Straße hin verschwunden. Und das war beileibe nicht die einzige Veränderung.

Wo vor wenigen Tagen – Marlowe konnte sich nicht genau erinnern, wann er das letzte Mal dies wunderbare Gestrüpp durchstöbert hatte – noch Unkraut wucherte, sich spannende Müllreste (die wunderbaren Weißbrotreste!)  auf dem Grund des Vorgartens verteilten und das vorwitzige Grün längst jeden Winkel bis zur angrenzenden Nummer 15 erobert hatte, war jetzt ein einladender kleiner Vorplatz entstanden. Zur einen Seite luden eine kleine schmiedeeiserne Bank, an den Seiten mit seltsamen Ornamenten aus dunklem Holz verziert, zwei Stühlchen und ein uralter Nähmaschinen-Untersatz, der zu einem Tisch umfunktioniert worden war, zu einer Rast ein.

Der Spatz landete geschmeidig direkt unter dem ungewöhnlichen Tisch, bestaunte dessen fein verzierte metallene Füßchen und sah sich weiter um. Auf der anderen Seite, zur Nummer 11, stand ein weiterer Tisch, auf dem jemand zwei prächtige reich verzierte Vasen, mehrere große und kleine Krüge, farbige Flaschen mit nicht mehr lesbaren Etiketten und eine Kiste mit alten Büchern drapiert hatte.

Unter dem improvisierten Verkaufsstand wartete ein Karton, aus dem weitere Bücher, große, teils bereits leicht vergilbte Bildbände, hervorlugten. Marlowe hüpfte herüber, nahm auf dem Rand des Kartons Platz und musterte den zuvorderst stehenden Band: „Das Reisetagebuch des Colonel James T. Brewster“ stand da in verschnörkelten Lettern geprägt auf dem Einband. Unter dem verheißungsvollen Titel ein gezeichnetes Bild von einem Kamel und seinem Reiter, beide stolz  vor einem spitzen Berg stehend.  

Marlowe hätte zu gerne einen Blick hinein ins Buch geworfen, aber das war für einen gewöhnlichen Spatzen nun mal nicht machbar. Er begnügte sich deshalb vorerst damit, sich das viel versprechende Bild ganz genau einzuprägen, merkte sich das Fernglas und die Dokumentenrolle, die vom Gürtel des Reiters herabhingen, dachte kurz an die Reise, die eigene Reise, die er sich vorgenommen hatte und schaute sich weiter um.
Der Eingang des Hauses lag jetzt frei, die Tür war nicht mehr mit großen Brettern vernagelt, wie noch vor wenigen Tagen. Auch das Schaufenster, links neben der Tür war wieder zugänglich. Marlowe machte einen Satz auf die steinerne Fensterbank und spähte hinein.

Die Auslage war fast leer, sie beherbergte gerade mal einen einzigen Gegenstand: Auf einem dunkelroten Tuch lag eine kleine aufgeklappte glänzende Taschenuhr an einer goldenen Kette, die sich elegant auf dem roten Tuch dahinschlängelte. Als er genau hinsah, konnte Marlowe den Sekundenzeiger der Uhr erkennen, der sich gelassen um seine eigene Achse drehte.

Aber da war noch mehr: Als Marlowe die Uhr mit Ihrer offenen Unruh studierte und sich sein Blick an den Zeigern, den Rädchen, der ganzen Mechanik geradezu festfraß, war es ihm, als ob um ihn herum die Zeit, die ihn doch ohnehin so faszinierte, stillstand. Der Wind, der eben noch ein feines Zischen durch die Straßen geschickt hatte, verstummte. Die Geräusche der Straße verschwanden in einem unsichtbaren Strudel und hätte er darauf geachtet, hätte Marlowe gemerkt, dass sogar sein eigener kleiner rasender Herzschlag aussetzte.

„Die Zeit!“, dachte Marlowe. Über die Zeit und ihre unfassbar weitreichende Macht hatte er sich letztens  viele Gedanken gemacht, Gedanken, die seine Artgenossen so überhaupt nicht nachvollziehen konnten. Worchel etwa hatte auf seine Frage, wer die Zeit eigentlich gemacht hatte, nur gelacht, „Zeit bedeutet gar nichts!“ gerufen und war kichernd zu den anderen geflogen um sich wieder einmal über Marlowes Eigensinn zu amüsieren.

Plötzlich schrak Marlowe auf: Die Tür öffnete sich und ein kleiner alter Mann trat heraus.  

Marlowe hätte gegrinst, wenn ihm sein Schnabel ein Grinsen erlaubt hätte. Der Mann sah wirklich etwas merkwürdig aus: Zunächst trug er keine Schuhe, sondern karierte Pantoffeln mit eingearbeiteten Lederschonern an den Zehen und an den Fersen. Die dunkle Hose hing lustlos am schmalen Körper herab, war mindestens zwei, drei Nummern zu groß, wurde aber glücklicherweise von grellroten Hosenträgern erfolgreich vorm Abrutschen gerettet. Das zerknitterte weiße Hemd war kaum zu sehen, der Mann trug darüber einen dunkelbraunen Morgenmantel aus einem dünnen, fast schon fadenscheinigen Stoff, der sich großzügig über den Rest des Körpers verteilte.

Das Alter des Mannes war schwer zu schätzen, erst Recht für einen Spatzen. Marlowe schätzte, dass der Mann, nun ja, alt war, sehr alt, selbst für einen Menschen. Und doch strahlte er etwas Junges aus. Vielleicht war es die kleine vergoldete Lesebrille, die ihm lose auf der langen spitzen Nase herumrutschte, vielleicht auch das versonnene Lächeln. Das kleine runzelige Gesicht war das eines Menschen, der schon viel gesehen und der sich längst daran gewöhnt hatte, dass das Leben immer wieder höchst erstaunliche Überraschungen bereithielt.

„Guten Morgen!“, murmelte der seltsame Mann, als er in den kleinen Vorplatz hinaustrat, sich umsah und dann an den Tisch mit den Vasen und den Büchern trat. Er griff sich die beiden Vasen, murmelte dabei etwas Unverständliches, das so klang wie „Nein, ihr nicht, nicht heute“, drehte sich um und kehrte mit seinen kleinen Trippelschritten wieder ins Haus zurück. Marlowe flog herüber, landete auf dem Tisch und sah ihm nach.

Der Laden war ein mehr oder weniger geordnetes Wirrwarr aus verschiedensten Regalen, Kommoden, Vitrinen und schmalen Tischchen. Aberhunderte Gegenstände, große und kleine, waren wie eine verstreute Armee im Laden verteilt. Der Mann ging langsam an ihnen vorbei, hielt mehrmals inne, ging weiter und platzierte die Vasen schließlich auf einer Kommode, zu beiden Seiten einer mit hölzernen Früchten befüllten Kristallschale.

Er hielt wieder inne, besah sich das Arrangement aufmerksam, rückte die Vasen etwas zurecht, drehte sich um und kam wieder zur Tür. Marlowe flatterte eiligst hinüber auf die schmiedeeiserne Bank. „Beobachten, nicht beobachtet werden“, dachte er.

Als der Mann den Türrahmen erreicht hatte, blieb er stehen und rieb sich langsam und bedächtig die Hände. „Wohl dem Dinge!“, sprach er und nickte mehrmals. Die Stimme war weich, fast zart und jedes Wort wurde sorgfältig akzentuiert: „Wohl dem Dinge!“.  Sein Lächeln war jetzt noch ausgeprägter als eben noch und Marlowe war gespannt, was er jetzt noch vorhatte.

Aus einer vorher noch verborgenen Tasche des Morgenmantels zauberte der kleine, alte Mann eine silberne Taschenuhr hervor, klappte den Deckel auf und studierte die Uhrzeit. „Zeit!“, sagte er und als Marlowe das hörte, lief ihm ein wohliger Schauer den befiederten Rücken hinunter. Das war ein Gleichgesinnter! Oder gar jemand, der ihm etwas über das Wesen der Zeit beibringen  konnte. Marlowe hüpfte aufgeregt auf seinem Platz hin und her.



So bemerkte er zuerst gar nicht, dass sich der Inhaber des kleinen Ladens, denn das war er zweifellos, ihm längst zugewandt hatte.
Als er dann den Blick des Mannes auf sich spürte, erschrak Marlowe und im ersten Reflex wollte er sich schon, wie es die Angewohnheit wohl aller Spatzen war, ausgenommen vielleicht Brummel, aber der war einfach ein wenig zu begriffsstutzig um überhaupt  schnell reagieren zu können, auf und davon machen. Aber irgendetwas ließ ihn dann doch innehalten. Marlowe senkte seinen Kopf, drehte ihn dabei ein klein wenig nach rechts und studierte aufmerksam die alten Augen, die ihn ganz sachte zu durchdringen schienen.

Vielleicht war es die Lesebrille, aber Marlowe hätte schwören können, dass die kleinen dunklen Pupillen von winzigen goldenen Flecken durchdrungen waren.

„Ich wünsche einen guten Tag“, sagte der Mann und nickte wieder einige Male, ganz so, als ob er sich selbst damit bestätigen würde, dass dies genau die richtigen Worte waren, um einen Spatz zu begrüßen. „Ich nehme an, sie sind ein Kunde?“ Der Mann hob die Augenbrauen, blickte fragend. Dann machte er eine einladende Geste. „Schauen Sie sich nur um, es ist bestimmt etwas dabei.“ Der Mann hielt inne, grübelte kurz, als wäre ihm etwas entfallen und nickte wieder.

„Ich habe mich gar nicht vorgestellt: Rigby, mein Name, Charles Colbert Rigby. Ich habe den Laden heute erst geöffnet und Sie mögen die Unordnung verzeihen. Ich bin noch dabei den Dingen ihren Platz geben, ihren richtigen Platz, wissen Sie? Alles muss seine Ordnung haben, da geben Sie mir sicher Recht. Alles muss seine Ordnung haben, das ist wichtig. Das ist viel, er zog das „viel“ ordentlich in die Länge, „viel wichtiger als man gemeinhin denkt.“ Dann nickte er wieder.

„Schauen Sie sich nur um.“, wiederholte er, wandte sich dann ab und kehrte in den Laden zurück.

Marlowe war verdattert. Nein, mehr als verdattert, er war völlig verwirrt und blickte sich suchend um. Mit wem hatte der alte Mann, dieser Rigby, da gesprochen. Mit ihm? Mit einem Spatz? Wie sollte er antworten, sollte er überhaupt antworten? Oder war das nur ein verwirrter alter Mann, der sich einen Scherz mit ihm erlaubt hatte? Marlowe flog aufgeregt von der Bank auf den Büchertisch, vom Tisch auf den kleinen Zaun zur Nummer 15, vom Zaun auf die Lehne der kleinen Bank und von dort direkt auf die Türschwelle zu Rigbys Laden. Der war nicht mehr zu sehen.

Marlowe hatte noch nie ein Haus betreten. Sicher, in einigen Ruinen hatten Worchel und er schon herumgestöbert, aber in einem bewohnten Haus? Nein, das war undenkbar. Wenn die Tür zufallen würde, er wäre gefangen, niemand würde ihn wieder hinauslassen, er würde in einem Käfig und vielleicht selbst anstelle der Uhr im Schaufenster enden. Nein, hinein zu gehen, das war, das war…

Das war einfach zu verlockend: Vorsichtig hüpfte Marlowe über die Schwelle in das angenehme, leicht dämmerige, Innere des Ladens.

Weitere Werke von Frank D. Badenius:


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Stefanie
Reißwolf


Beiträge: 1741



Beitrag12.03.2016 10:49

von Stefanie
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Der Text gefällt mir gut und macht mich neugierig, wie es weitergeht.

Auch wenn die vielen Beschreibungen hier gut passen, würde ich die Zahl der Adjektive etwas reduzieren.
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Laurids Anders
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 64
Beiträge: 46
Wohnort: In der Nähe von Itzehoe


Beitrag12.03.2016 16:32

von Laurids Anders
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Hallo Frank,

ich finde die Spatzenperspektive ausgesprochen lustig und fragte mich beim Lesen, ob der Widerspruch störe, dass ein Spatz solch menschliche Sicht auf die Dinge und Wissen um die Dinge (z.B. das Uhrwerk) hat, die er garnicht kennen kann.
Nein, das stört nicht, und eröffnet zugleich die Möglichkeit, die Welt einmal mit anderen Augen zu betrachten.
Ich würde auf jeden Fall weiterlesen wollen.

Viele Grüße von Laurids
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Gast







Beitrag12.03.2016 21:03

von Gast
Antworten mit Zitat

Marlowes kleine dunkle Augen wurden immer größer: Die wunderbare, für alle Zwecke bestens geeignete, weil völlig verwilderte, Liguster-Hecke vor dem Haus Nummer 13 war bis auf einen kläglichen Rest zur Straße hin verschwunden. Und das war beileibe nicht die einzige Veränderung.

Wo vor wenigen Tagen – Marlowe konnte sich nicht genau erinnern, wann er das letzte Mal dies wunderbare Gestrüpp durchstöbert hatte – noch Unkraut wucherte, sich spannende Müllreste (die wunderbaren Weißbrotreste!) auf dem Grund des Vorgartens verteilten und das vorwitzige Grün längst jeden Winkel bis zur angrenzenden Nummer 15 erobert hatte, war jetzt ein einladender kleiner Vorplatz entstanden. Zur einen Seite luden eine kleine schmiedeeiserne Bank, an den Seiten mit seltsamen Ornamenten aus dunklem Holz verziert, zwei Stühlchen und ein uralter Nähmaschinen-Untersatz, der zu einem Tisch umfunktioniert worden war, zu einer Rast ein.

Der Spatz landete geschmeidig direkt unter dem ungewöhnlichen Tisch, bestaunte dessen fein verzierte metallene Füßchen und sah sich weiter um. Auf der anderen Seite, zur Nummer 11, stand ein weiterer Tisch, auf dem jemand zwei prächtige reich verzierte (WW)Vasen, mehrere große und kleine Krüge, farbige Flaschen mit nicht mehr lesbaren Etiketten und eine Kiste mit alten Büchern drapiert hatte.

Unter dem improvisierten Verkaufsstand wartete ein Karton, aus dem weitere Bücher, große, teils bereits leicht vergilbte Bildbände, hervorlugten. Marlowe hüpfte herüber, nahm auf dem Rand des Kartons Platz und musterte den zuvorderst stehenden Band: „Das Reisetagebuch des Colonel James T. Brewster“ stand da in verschnörkelten Lettern geprägt auf dem Einband. Unter dem verheißungsvollen (kann man auch streichen, aber denke, das gehört an dieser Stelle zu sehr zu der Stimme des Protagonisten) Titel ein gezeichnetes Bild von einem Kamel und seinem Reiter, beide stolz vor einem spitzen Berg stehend.

Marlowe hätte zu gerne einen Blick hinein ins Buch geworfen, aber das war für einen gewöhnlichen Spatzen nun mal nicht machbar. Er begnügte sich deshalb vorerst damit, sich das viel versprechende Bild ganz genau einzuprägen, merkte sich das Fernglas und die Dokumentenrolle, die vom Gürtel des Reiters herabhingen, dachte kurz an die Reise, die eigene Reise, die er sich vorgenommen hatte und schaute sich weiter um.
Der Eingang des Hauses lag jetzt frei, die Tür war nicht mehr mit großen Brettern vernagelt, wie noch vor wenigen Tagen. Auch das Schaufenster, links neben der Tür KOMMA war wieder zugänglich. Marlowe machte einen Satz auf die steinerne Fensterbank und spähte hinein.

Die Auslage war fast leer, sie beherbergte gerade mal einen einzigen Gegenstand: Auf einem dunkelroten Tuch lag eine kleine (in den Augen eines Spatzes klein?) aufgeklappte glänzende Taschenuhr an einer goldenen Kette, die sich elegant auf dem roten Tuch dahinschlängelte. Als er genau hinsah, konnte Marlowe den Sekundenzeiger der Uhr erkennen, der sich gelassen um seine eigene Achse drehte.

Aber da war noch mehr: Als Marlowe die Uhr mit Ihrer offenen Unruh studierte und sich sein Blick an den Zeigern, den Rädchen, der ganzen Mechanik geradezu festfraß, war es ihm, als ob um ihn herum die Zeit, die ihn doch ohnehin so faszinierte, stillstand. Der Wind, der eben noch ein feines Zischen durch die Straßen geschickt hatte, verstummte. Die Geräusche der Straße (WW)verschwanden in einem unsichtbaren Strudel und hätte er darauf geachtet, hätte (WW) Marlowe gemerkt, dass sogar sein eigener kleiner rasender Herzschlag aussetzte.

„Die Zeit!“, dachte Marlowe. Über die Zeit und ihre unfassbar weitreichende Macht hatte er sich letztens viele Gedanken gemacht, Gedanken, die seine Artgenossen so überhaupt nicht nachvollziehen konnten. Worchel etwa hatte auf seine Frage, wer die Zeit eigentlich gemacht hatte, nur gelacht, „Zeit bedeutet gar nichts!“ gerufen und war kichernd zu den anderen geflogen KOMMA um sich wieder einmal über Marlowes Eigensinn zu amüsieren.

Plötzlich schrak Marlowe auf: Die Tür öffnete sich und ein kleiner (Anscheinend hat der Spatz viel Zeit mit den Menschen verbracht, wenn er selbst schon einschätzt wie einer) alter Mann trat heraus.

Marlowe hätte gegrinst, wenn ihm sein Schnabel ein Grinsen erlaubt hätte. (Wenn die Spatzen schon kichern können ... ?)Der Mann sah wirklich etwas merkwürdig (wieder das Bewerten und Einschätzen wie ein Mensch) aus: Zunächst trug er keine Schuhe, sondern karierte Pantoffeln mit eingearbeiteten Lederschonern an den Zehen und an den Fersen. Die dunkle Hose hing lustlos (eine Hose kann nicht lustlos herunterhängen) am schmalen Körper herab, war mindestens zwei, drei Nummern zu groß, wurde aber glücklicherweise von grellroten Hosenträgern erfolgreich vorm Abrutschen gerettet (bewahrt fänd' ich passender). Das zerknitterte weiße Hemd war kaum zu sehen, der Mann trug darüber einen dunkelbraunen Morgenmantel aus einem dünnen, fast schon fadenscheinigen Stoff, der sich großzügig über den Rest des Körpers verteilte.

Hier stoppe ich - sind mir einfach viel zu viele Beschreibungen. Man muss nicht immer bis ins kleinste Detail beschreiben, wie wer aussieht. Vor allem nicht bei der Kleidung. Ob der eine nun 'ne dunkelbraune/weiße oder hellblaue Hose trägt, ist dem Leser doch völlig schnuppe. Ich blätter' eine Seite weiter und schon kann ich mich nicht mehr erinnern, welche Farbe nun dieses oder jenes Kleidungsstück hat. Warum? Weils vollkommen uninteressant ist.
Wenn man das Aussehen eines Protagonisten beschreibt, sollte man nur die wirklich signifikanten Dinge aufzählen - etwas, was man sich unwillkürlich einprägt. Das kann ein permanent schief hängender Mundwinkel sein, ein gläsernes Auge, Haare, die wie ein Regenbogen gefärbt sind.

Des Weiteren kommt die Fülle an Adjektiven hinzu. Einige habe ich dir angestrichen. Wenn du sie streichst, gewinnt der Satz gleich an Lesefluss und wirkt nicht mehr so langatmig.

Und noch ein Punkt, der mich immens störte:

Die Perspektive des Spatzes:

In deinem Text bewertet, urteilt und schätzt wie ein Mensch ein. Er ist ein Spatz!

Sorry, aber dein Text hat mir leider überhaupt nicht gefallen.

LG
AC
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purpur
Klammeraffe


Beiträge: 964



Beitrag11.05.2016 21:34

von purpur
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Guten Abend Very Happy Frank D Badenius,

Deine eingestellten Gedichte und diese Geschichte haben mich erfreut und gefallen mir! Ich habe mich ganz wunderbar in Deine Welt/die Handlungen hinein versetzen können
und auch der Liebreiz der Zeichnungen hatte Wirkung. Laughing

Bemerkenswert aber ist, dein Avatar kenne ich, frag mich nur nicht, woher Laughing .
Bin selbst verblüfft Rolling Eyes Ich bin auch in das Haus gehüpft:-)
 Kommt noch was?
Herzlich grüßt
PpPia


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Frank D. Badenius
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 64
Beiträge: 27
Wohnort: Lindau (Bodensee)


Beitrag12.05.2016 09:11

von Frank D. Badenius
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Hi PpPia,

freut mich sehr, dass Dir die Texte gefallen. Das auf dem Avatar bin durchaus ich. Mit etwa 15. Vor einigen Jahren hat man meine Brieftasche mit allem Geld und allen Papieren gestohlen. Dazu gehörte auch der Führerschein. Monate später bekamm ich sie per Post von einem Hamburger Kanalreiniger zugeschickt. Die Dokumente waren durch die Zeit in der Kanalisation sehr dünn geworden - und stanken bestialisch. Trotzdem habe ich mich gefreut, meinen alten "Lappen" wiederzusehen - und habe ihn gleich fotografiert.

Sieh Dich um im Häuschen. Viel Spaß!

Lieben Gruß,
Frank

purpur hat Folgendes geschrieben:
Guten Abend Very Happy Frank D Badenius,

Deine eingestellten Gedichte und diese Geschichte haben mich erfreut und gefallen mir! Ich habe mich ganz wunderbar in Deine Welt/die Handlungen hinein versetzen können
und auch der Liebreiz der Zeichnungen hatte Wirkung. Laughing

Bemerkenswert aber ist, dein Avatar kenne ich, frag mich nur nicht, woher Laughing .
Bin selbst verblüfft Rolling Eyes Ich bin auch in das Haus gehüpft:-)
 Kommt noch was?
Herzlich grüßt
PpPia


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Aikaterini
Geschlecht:weiblichSchneckenpost

Alter: 34
Beiträge: 14



Beitrag12.05.2016 11:43

von Aikaterini
Antworten mit Zitat

Hallo lieber Frank!

Gleich vorab sehr liebevoll skizierte Bilder und mit vielen Details sofern ich das sehen kann.

Gut ist auch, dass du gleich weißt, in welchem Genre du dich bewegst und welche Zielgruppe du anstrebst. Das ist immer wichtig bei einer Verlagsvorstellung, aber auch um Lesern Orientierung zu bieten.

Ich muss Stefanie leider zustimmen, auch mir sind es zu viele Adjektive im Text. Oft sind auch die Sätze verschachtelt, besser die Sätze in mehrere Hauptsätze aufteilen, versuchen einschneidende Nebensätze zu meiden und einfach öfter Mal einen Punkt statt Komma setzen. Wink

Was mir noch so ein bisschen fehlt ist eine offene, der sich wie ein Haken in den Leser festsetzt, der ihn dazu drängt weiterzulesen, bis er die Antwort bekommen hat. Das können Vorausdeutungen sein, Ziele, Vorahnungen.
Um nur ein Beispiel zu nennen: „Marlowe war dieses Mal nicht auf Futtersuche gekommen. Sie hatte ein bestimmtes Ziel.“
„Heute schien ihr irgendetwas anders. Eine bedrohliche Aura lag wie unsichtbarer Nebel in der Luft.“
Um nur eine Richtung zu nennen, du allein weißt natürlich, was den Spannungsbogen im Verlauf deiner Story noch ausmachen Smile

Mir hat die Idee der „Vogelperspektive“ gut gefallen, ich fand sie abwechslungsreich und die Kulisse bildreich gezeichnet. Wünsche dir noch viel Freude beim Schreiben Very Happy
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Taranisa
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Beiträge: 3210
Wohnort: Frankenberg/Eder


Beitrag12.05.2016 17:29

von Taranisa
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Ich fand die Idee mit der Vogelperspektive auch ganz witzig. Manchmal muss du aber mehr in dieser Perspektive bleiben, z.B. was die Größe der Dinge angeht. Oder auch: Betrachtet der Spatz für ihn nützliche Sachen als Müll? Was ist für ihn Müll?
Gehe sparsamer mit Adjektiven um, dann erregen sie mehr Aufmerksamkeit dort, wo sie wichtig sind.

Viele Schreibratgeber geben den Tipp: kürzen, kürzen, kürzen. Schau mal, wie du den Tipp umsetzen kannst.

Aber, die Idee ist gut. Ich hoffe, dass dem Spatz nur etwas widerfährt, wo er am Ende heil wieder rauskommt  Smile
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Willebroer
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Beiträge: 5437
Wohnort: OWL


Beitrag12.05.2016 19:12
Re: Marlowe, erstes Buch, Intro
von Willebroer
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Hallo Frank,

ich hatte etwas Mühe, ganz durchzukommen, aber ich habe es mehrmals versucht.

Der etwas betuliche Stil hat seinen Reiz, er ufert aber etwas aus. Da sind Straffungen angebracht.

Als ich überlegte, worum es eigentlich geht, dachte ich: Aha, Spatz hat Langeweile, weiß nicht genau, was er vorhat, also schaut er sich erst mal um.
Das übertrug sich dann auch auf den Autor: Aha, Autor hat Langeweile, weiß nicht genau, wo er hinwill, also schaut er sich erst mal um. Wink

Das eigentliche Thema "Zeit" taucht zu spät auf. Eine Andeutung etwas eher wäre da nützlich gewesen. Ich würde sogar drüber nachdenken, ob nicht der Absatz über dem zweiten Bildchen an den Anfang könnte:

Frank D. Badenius hat Folgendes geschrieben:

Aus einer vorher noch verborgenen Tasche des Morgenmantels zauberte der kleine, alte Mann eine silberne Taschenuhr hervor, klappte den Deckel auf und studierte die Uhrzeit. „Zeit!“, sagte er und als Marlowe das hörte, lief ihm ein wohliger Schauer den befiederten Rücken hinunter. Das war ein Gleichgesinnter! Oder gar jemand, der ihm etwas über das Wesen der Zeit beibringen  konnte. Marlowe hüpfte aufgeregt auf seinem Platz hin und her.


Ich finde, das wäre ein guter Einstieg, der Absatz müßte nicht mal groß verändert werden. Während des Dialogs mit dem Ladenbesitzer könnte der Spatz sich umsehen und die Umgebung beschreiben.

Danach könnte man noch ein paar Dinge ausbügeln. Z. B. mit der Perspektive: "Seine Augen wurden größer" - paßt nicht zur Spatzperspektive.

Auch der Müll (wurde bereits erwähnt) ist aus Spatzsicht kein Müll. Man braucht nur zu sagen, was er findet (Weißbrot). Die Deutung ergibt sich für den Leser von selbst.

So weit ein paar Beispiele ...

Gruß
Wil.
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Mara
Geschlecht:weiblichLeseratte


Beiträge: 140
Wohnort: Linz/Donau


Beitrag12.05.2016 19:44

von Mara
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Hallo Frank,

ein paar Kleinigkeiten auch von mir zu deinem Text:

Die ersten Worte "Marlowes kleine dunkle Augen ..." würde ich in diesem Fall stehen lassen. Den genau das "kleine" hat mich als Leserin stutzig gemacht, und war für mich der erste Hinweis, dass es sich nicht um einen Menschen handelt.

Das Durchstöbern des Gestrüpps hat mich dann allerdings auf eine falsche Fährte geführt (beabsichtigt?) und ich dachte an eine Maus oder Ratte.

Leider kommt dann in meinen Augen am Beginn des dritten Absatzes ein richtiger Infodump: "Der Spatz ..." . Das hat mir persönlich nicht gefallen, da ich ja offenbar als Leser aufgrund deiner Beschreibung herausfinden soll, um welches Tier es sich handelt. Daher würde ich hier noch bei  Andeutungen bleiben. Zum Beispiel: "...plusterte sich auf ... " oder schon ziemlich eindeutig "... flog/segelte vom Baum herab ..."

Das Wort "Spatz" fällt später - in meinen Augen viel passender - sowieso: "....aber das war für einen gewöhnlichen Spatzen nun mal nicht machbar ..."

Mir war der Text zu langatmig - da steckt noch etliches an Kürzungpotenzial drinnen. Brauchst du wirklich so viele Beschreibungen, um den Leser in deine Welt zu entführen? Ich glaube, dass geht knackiger. Und wichtig scheint ja schlussendlich die Begegnung mit dem Mann zu sein. Spielt die Uhr und seine Überlegungen zur Zeit eine Rolle für den Roman? Wenn nicht - dann würde ich das z. B. weglassen (vor allem seine philosophischen Gedanken).

Ich habe gestutzt: Ein Spatz der lesen kann? Sich tiefschürfende Gedanken macht? Das passt nicht zu meiner Vorstellung von einem Spatz, den ich als drolligen, frechen, gewitzten Vogel sehe und nicht weise und gebildet wie eine Eule. Wenn er das aber ist, sollte herauskommen, dass er anders ist als Spatzen gemeinhin sind. Oder aber: Dass die Menschen immer schon ein falsches Bild von Spatzen hatten ...

Sehr spannend finde ich dein Ende. Das macht wirklich Lust weiterzulesen!

Viele Grüße,
Mara
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Frank D. Badenius
Geschlecht:männlichGänsefüßchen

Alter: 64
Beiträge: 27
Wohnort: Lindau (Bodensee)


Beitrag01.06.2016 11:47

von Frank D. Badenius
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Ich habe das Intro mal nach Euren Tipps entschlackt und etwas gekürzt. Wer mag kann gerne vergleichen. Vielen Dank an alle!

==== Marlowe ====

Marlowe staunte nicht schlecht: Die verwilderte Liguster-Hecke vor Haus Nummer 13 war bis auf einen kläglichen Rest zur Straße hin verschwunden. Und das war beileibe nicht die einzige Veränderung.

Wo das vorwitzige Grün eben noch jeden Winkel bis zur angrenzenden Nummer 15 erobert hatte, war jetzt ein einladender kleiner Vorplatz entstanden. Eine kleine schmiedeeiserne Bank, zwei Stühlchen und ein alter Nähmaschinen-Untersatz, zum Tisch umfunktioniert, luden zu einer Rast ein.

Er landete unter dem ungewöhnlichen Tisch und sah sich um. Auf der gegenüber liegenden Seite des Vorplatzes stand ein weiterer Tisch, auf dem jemand zwei re Vasen, große und kleine Krüge, farbige Flaschen mit nicht mehr lesbaren Etiketten und eine Kiste mit alten Büchern drapiert hatte.

Unter diesem improvisierten Verkaufsstand wartete ein Karton, aus dem große, teils leicht vergilbte Bildbände, hervorlugten. Marlowe hüpfte herüber und musterte den zuvorderst stehenden Band: „Das Reisetagebuch des Colonel James T. Brewster“. Unter dem verheißungsvollen Titel die Zeichnung eines Kamels und seines Reiters, beide stolz  vor einem spitzen Berg stehend.   

Marlowe hätte zu gerne einen Blick ins Buch geworfen, aber das war für einen gewöhnlichen Haussperling nun mal nicht machbar. Er begnügte sich deshalb damit, sich das viel versprechende Bild einzuprägen und schaute sich weiter um.
Der Eingang lag jetzt frei, die Tür war nicht mehr mit Brettern vernagelt. Auch das Schaufenster, links neben der Tür, war wieder zugänglich. Marlowe machte einen Satz auf die steinerne Fensterbank und spähte hinein.

Auf einem dunkelroten Tuch lag eine aufgeklappte Taschenuhr an einer goldenen Kette, die sich elegant auf dem Tuch dahinschlängelte. Als er genau hinsah, konnte Marlowe den Sekundenzeiger der Uhr erkennen, der sich gelassen um seine eigene Achse drehte.

Marlowe studierte fasziniert die offene Unruh der Uhr. Sein Blick fraß sich an den Zeigern, den Rädchen, der ganzen Mechanik, fest. Ihm war, als ob die Zeit stillstand. Und das tat sie. Der leichte Wind verstummte. Die Geräusche der Straße verschwanden in einem unsichtbaren Strudel und hätte er darauf geachtet, hätte Marlowe gemerkt, dass sogar sein eigener rasender Herzschlag aussetzte.

„Die Zeit!“, dachte Marlowe. Über die Zeit und ihre unfassbar weitreichende Macht hatte er sich schon viele Gedanken gemacht, Gedanken, die seine Artgenossen so gar nicht nachvollziehen konnten. Worchel etwa hatte auf seine Frage, wer die Zeit eigentlich gemacht hatte, nur gelacht, „Zeit bedeutet gar nichts!“ gerufen und war kichernd zu den anderen geflogen um sich wieder einmal über Marlowes Eigensinn zu amüsieren.

Plötzlich schrak Marlowe auf: Die Tür öffnete sich und ein kleiner alter Mann trat heraus.   

Marlowe hätte gegrinst, wenn ihm sein Schnabel ein Grinsen erlaubt hätte. Der Mann sah merkwürdig aus: Zunächst trug er buntkarierte Pantoffeln mit eingearbeiteten Lederschonern an den Zehen und an den Fersen. Die Hose hing lustlos am schmalen Körper herab, war mindestens zwei, drei Nummern zu groß und wurde nur von grellroten Hosenträgern vorm Abrutschen gerettet. Darüber trug der Mann einen dunkelbraunen Morgenmantel aus einem dünnen, fast schon fadenscheinigen Stoff, der sich über den Rest des Körpers verteilte.

Marlowe schätzte, dass der Mann, nun ja, alt war, sehr alt, selbst für einen Menschen. Und doch strahlte er etwas Jungenhaftes aus. Vielleicht war es die kleine Lesebrille, die ihm auf der langen spitzen Nase herumrutschte, vielleicht auch das versonnene Lächeln. Das runzelige Gesicht war das eines Menschen, der schon viel gesehen und der sich längst daran gewöhnt hatte, dass das Leben immer wieder Überraschungen bereithielt.

„Guten Morgen!“, murmelte der seltsame Mann, als er auf den kleinen Vorplatz hinaustrat, sich umsah und dann zum Tisch mit den Vasen und den Büchern ging. Er griff sich die beiden Vasen, murmelte dabei etwas, das so klang wie „Nein, ihr nicht, nicht heute“, drehte sich um und kehrte mit kleinen Trippelschritten wieder ins Haus zurück. Marlowe flog herüber, landete auf dem Tisch und sah ihm nach.

Der Laden schien ihm ein Wirrwarr aus unterschiedlichsten Regalen, Kommoden, Vitrinen und schmalen Tischchen. Aberhunderte Gegenstände waren als verstreute Armee im Laden verteilt. Der Mann platzierte die Vasen schließlich auf einer der Kommoden, zu beiden Seiten einer mit hölzernen Früchten befüllten Kristallschale.

Er hielt inne, besah sich das Arrangement, rückte die Vasen zurecht, drehte sich um und kam wieder zur Tür. Marlowe flatterte eiligst hinüber auf die schmiedeeiserne Bank. „Beobachten, nicht beobachtet werden“, dachte er.

Als der Mann den Türrahmen erreicht hatte, blieb er stehen und rieb sich die Hände. „Wohl dem Dinge!“, sprach er und nickte. Die Stimme war weich, fast zart und jedes Wort wurde sorgfältig akzentuiert: „Wohl dem Dinge!“.  Sein Lächeln war jetzt noch ausgeprägter als kurz zuvor. Marlowe war gespannt, was als nächstes passieren würde.

Aus einer verborgenen Tasche seines Morgenmantels zauberte der alte Mann eine silberne Taschenuhr hervor, klappte den Deckel auf und studierte die Uhrzeit. „Zeit!“, sagte er und als Marlowe das hörte, lief ihm ein wohliger Schauer den befiederten Rücken hinunter. Ein Gleichgesinnter! Oder gar jemand, der ihm etwas über das Wesen der Zeit beibringen konnte. Marlowe hüpfte aufgeregt auf seinem Platz hin und her.

So bemerkte er nicht, dass sich der Inhaber des kleinen Ladens, denn das war er zweifellos, ihm längst zugewandt hatte. Als er dann den Blick des Mannes auf sich spürte, erschrak Marlowe. Im ersten Reflex wollte er sich auf und davon machen. Aber etwas ließ ihn innehalten. Marlowe senkte seinen Kopf, drehte ihn dabei ein klein wenig nach rechts und studierte aufmerksam die alten Augen, die ihn ganz sachte zu durchdringen schienen. Vielleicht war es die Lesebrille, aber Marlowe hätte schwören können, dass die Pupillen von winzigen goldenen Flecken durchdrungen waren.

„Ich wünsche einen guten Tag“, sagte der Mann und nickte wieder. Ganz so, als ob er sich selbst bestätigen würde, dass dies genau die richtigen Worte waren, um einen Spatz zu begrüßen. „Ich nehme an, sie sind ein Kunde?“ Er hob die Augenbrauen, blickte fragend. Dann machte er eine einladende Geste. „Schauen Sie sich nur um, es ist bestimmt etwas dabei.“ Der Mann hielt inne, grübelte kurz, als wäre ihm etwas entfallen und nickte wieder.

„Ich habe mich gar nicht vorgestellt: Rigby, mein Name, Charles Colbert Rigby. Ich habe den Laden heute erst geöffnet und Sie mögen die Unordnung verzeihen. Ich bin noch dabei den Dingen ihren Platz zu geben, ihren richtigen Platz, wissen Sie? Alles muss seine Ordnung haben, da geben Sie mir sicher Recht. Alles muss seine Ordnung haben, das ist wichtig. Das ist viel…“, er zog das „viel“ ordentlich in die Länge, „viel wichtiger als man gemeinhin denkt.“ Dann nickte er wieder.

„Schauen Sie sich nur um.“, wiederholte er, wandte sich dann ab und kehrte in den Laden zurück.

Marlowe war verdattert. Nein, mehr als verdattert, er war völlig verwirrt und blickte sich suchend um. Mit wem hatte der alte Mann, dieser Rigby, da gesprochen. Mit ihm? Mit einem Spatz? Wie sollte er antworten, sollte er überhaupt antworten? Oder war das nur ein verwirrter alter Mann, der sich einen Scherz mit ihm erlaubt hatte? Marlowe flog aufgeregt von der Bank auf den Büchertisch, vom Tisch auf den kleinen Zaun zur Nummer 15, vom Zaun auf die Lehne der kleinen Bank und von dort direkt auf die Türschwelle zu Rigbys Laden. Rigby selbst war nicht mehr zu sehen.

Marlowe hatte noch nie ein Haus betreten. Sicher, in einigen Ruinen hatten Worchel und er schon herumgestöbert, aber in einem bewohnten Haus? Nein, das war undenkbar. Wenn die Tür zufallen würde: Er wäre gefangen, niemand würde ihn wieder hinauslassen, er würde in einem Käfig und vielleicht selbst anstelle der Uhr im Schaufenster enden. Nein, hinein zu gehen, das war, das war…

Das war einfach zu verlockend: Vorsichtig hüpfte Marlowe über die Schwelle in das angenehme, leicht dämmerige, Innere des Ladens.


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Ajanoli
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Beiträge: 16



Beitrag04.06.2016 18:01

von Ajanoli
Antworten mit Zitat

Hallo Frank,

dein erster Satz hat mich direkt an Harry Potter erinnert (Die dursleys im Ligusterweg Nummer 4), da musste ich direkt schmunzeln.

Ich finde, die zweite Version hat sehr viel gewonnen und lässt sich deutlich leichter und besser lesen. Ich finde zwar immer noch, dass ein paar Adjektive noch wegfallen könnte, aber ich bin da selbst jemand, der sich an ihnen viel zu viel bedient Wink

Folgende Sachen sind mir noch aufgefallen:

Zitat:
Marlowe hüpfte herüber und musterte den zuvorderst stehenden Band: „Das Reisetagebuch des Colonel James T. Brewster“. Unter dem verheißungsvollen Titel die Zeichnung eines Kamels und seines Reiters, beide stolz vor einem spitzen Berg stehend.


Ich finde die Perspektive des Spatzes sehr gut, dass er den Menschen versteht ist natürlich für die Geschichte sehr wichtig. Aber bedeutet dass dann auch gleich, dass er lesen kann? Mich hat das etwas irritiert.

Zitat:
Worchel etwa hatte auf seine Frage, wer die Zeit eigentlich gemacht hatte, nur gelacht, „Zeit bedeutet gar nichts!“ gerufen und war kichernd zu den anderen geflogen um sich wieder einmal über Marlowes Eigensinn zu amüsieren.

Hier finde ich, solltest du zwei Sätze draus machen.
Worchel etwa hatte auf seine Frage, wer die Zeit eigentlich gemacht hatte, nur gelacht. "Zeit bedeutet gar nichts!“, hatte er gerufen und war kichernd zu den anderen geflogen um sich wieder einmal über Marlowes Eigensinn zu amüsieren.

Zitat:
Marlowe hätte gegrinst, wenn ihm sein Schnabel ein Grinsen erlaubt hätte.

Hm, sicher geschmackssache, ich finde das zu "vermenschlicht"

Ich bin gespannt, wie es weitergeht Smile
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jon
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J

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Beiträge: 270
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J
Beitrag10.06.2016 09:24

von jon
Antworten mit Zitat

Mir ist der Spatz noch zu menschlich. Dass er die menschliche Sprache versteht, jung und alt und sogar "jung trotz alt" erkennt, dass er viele der Objekte (die er aus Erfahrungen kennt) benennt - alles okay. Aber: Wieso kann er lesen? Warum will er ins Buch schauen - woher nimmt er die Erfahrung, dass was für ihn Interessantes drin sein könnte? Wieso lässt seine Spatzen-Ästhetik zu, dass er einen als Menschen merkwürdig gekleidet empfindet? Woher kennt er Nähmaschinen? … All das würde ich mir eventuell gefallen lassen, wenn Marlowe eben kein gewöhnlicher Spatz wäre. Aber so fühle ich mich veralbert. Bzw. ich warte jeden Moment drauf, zu lesen, dass Marlowe eigentlich ein verzauberter Mensch ist.

PS: Ich lese grade die Einordnung „Jugendliche ab 14“. Im Ernst????


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