Ein guter Morgen

[jumpy]

Ein guter Morgen

Es war an einem dieser kalten, grauen Novembertage, als ich wie immer den Weg zur U-Bahn nahm, um in die Arbeit zu fahren. Ein Tag wie jeder andere möchte man meinen. Aber doch verlief er anders als gewöhnlich.
Meine Gedanken drehten sich um das mir bevorstehende Gespräch mit meinem Chef, das ich heute mit ihm führen musste. Das war ein wichtiger Tag. Es ging um mich und um meine berufliche Zukunft. Ich fühlte ein deutliches Unbehagen, nicht nur wegen dieser Kälte an diesem frühen Morgen. „O Gott“ dachte ich mir: Wenn dieser Tag doch schon vorüber wäre.
Schnellen Schrittes eilte ich die Stufen, die mich zur U-Bahn Station führten, hinab und drängte mich in einen der um diese Zeit schon ziemlich gefüllten Abteile. Ich suchte mir einen freien Platz...und schloss die Augen. Einen Augenblick entspannen. Ein wenig Abstand nehmen. Tief durchatmen. Noch ein wenig träumen.
Die Bilder hier waren doch immer wieder die gleichen: Die unausgeschlafenen Gesichter, die griesgrämigen Blicke. Diese Hast, diese Eile. Beinahe wäre ich eingenickt; nur das Rattern des fahrenden Zuges und das metallische häßliche Geräusch auf den Schienen unter mir hielten mich wach.
Aber halt -  Da war es plötzlich. Diese Stimme. Eine Stimme, die aus einer anderen Welt zu kommen schien.
„Vorsicht, die Türen werden geschlossen. Ich wünsche allen neu zugestiegenen Fahrgästen einen wunderschönen guten Morgen“.
„WUMM“ – das saß. Das riß sogar einen Bären aus dem Winterschlaf. Nicht wegen der Lautstärke. Nein, die Stimme war es und das was sie sagte: “Einen wunderschönen guten Morgen“. So etwas hatte ich noch nie gehört. Zumindest nicht hier an diesem Ort. Ich kannte  viele freundliche Fahrer. Aber so einer war mir noch nicht begegnet.
An der nächsten Haltestelle wieder:“ Zum Hauptbahnhof bitte hier aussteigen. Kommen Sie gut zur Arbeit. Auf Wiedersehen“. Verstehen Sie, was diese Worte für eine Wirkung auf mich machten? Das war wie Musik – Musik aus einer anderen Welt. Aber doch real.
Ich beobachtete die Menschen um mich herum. Die ältere Dame mir gegenüber verzog ihr Gesicht zu einem breiten Grinsen. So gefallen Sie mir schon besser, wollte ich sagen. Behielt es aber dann doch für mich. Die meisten unterhielten sich sichtlich amüsiert über diese überaus netten Worte. Ein Fahrgast, der direkt unter einem dieser Lautsprecher stand, rollte mit den Augen nach oben und sein Gesichtsausdruck erweckte den Eindruck, als habe er eben die Stimme eines Außerirdischen vernommen. Ich konnte es kaum erwarten bis der Zug in die nächste Station einfuhr, um die Reaktion der neu einsteigenden Fahrgäste zu beobachten. Und dann kam sie wieder, diese Stimme. Freundlich, ehrlich und angenehm.
Das ging auch so lange weiter, bis ich, am Ziel angekommen, in den kalten Novembermorgen entlassen wurde. Aber er war längst nicht mehr so grau wie vorher. Als ich  auf der Rolltreppe stand und  über das soeben Erlebte nachdachte, wußte ich: Der Tag wird gut werden. Ein Super Tag. Meine Stimmung war deutlich gestiegen und ich lächelte vor mich hin.
Und der Tag wurde auch gut. Das Gespräch verlief zu meinen Gunsten und ich konnte auf die Unterstützung meines Chefs hoffen.  
Den Zugführer habe ich leider nie persönlich kennengelernt und ich habe auch seine Stimme nicht mehr gehört.
Aber dieses kleine Erlebnis hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, einen Tag freudig zu beginnen. Mit positiven Gedanken zu füllen.
„Guten Morgen“....Ein wirklich guter Morgen.

[Enfant Terrible]