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Markevic Schneckenpost
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Beiträge: 8 Wohnort: Braunschweig
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M 04.02.2016 09:51 Liebe im Kopfbahnhof von Markevic
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Sie standen sich im Zeitungsladen des Bahnhofes gegenüber. „Wieso magst du nicht mit mir zusammen sein?“, fragte sie spielerisch vorwurfsvoll und musterte ihn dabei über den Buchrücken hinweg.
„Weißt du wieso ich dich ausgerechnet hier treffen wollte?“ wich er ihr aus.
„Damit du dir im Notfall Papier vors Gesicht halten und in den nächsten Zug flüchten kannst?“ entgegnete sie spöttisch.
„Nein“ sagt er mit dem Anflug eines traurigen Lächelns. „Die Menschen lieben Ideen und dieser Ort ist voll von ihnen. Sie lesen sie, sie kaufen sie. Sie versuchen sie zu verstehen. Und weißt du, was passiert wenn sie gierig alles in sich aufgesogen und das Gefühl haben, sie hätten sie verstanden?“
„Sie registrieren, dass sie ihren Zug verpasst haben?“.
„Nein. Sie lassen das Papier achtlos liegen und rühren es nie wieder an. Weißt du eigentlich, wieso Menschen Zeitungen kaufen? Der Großteil der Meldungen und Artikel interessiert sie nicht einmal. Aber die scheinbar neuen Ideen darin erregen sie, sie sind sogar süchtig nach ihnen. Sie haben Angst in ihrem kurzen Leben etwas Wichtiges zu verpassen oder nicht gedacht zu haben. Die Menschen lieben Ideen. Und sie jagen der Idee von Ideen hinterher.
„Und was tun sie, wenn sie die Zeitung weggelegt haben?“
„Sie schauen auf die Uhr und berechnen ihren potenziellen Ideeverlust. Sie nehmen ihre Sachen und gehen raus in diese windige Bahnhofshalle, der Kopf voll und berauscht von Ideen: „Wie mag diese Stadt wohl aussehen? Welchen Menschen werde ich dort begegnen? Nimmt mein Leben heute endlich eine Wendung? Treffe ich heute die Liebe meines Lebens?
„Und dann?“
„Dann steigen sie abends wieder in den Zug und kommen nie wieder.“
„Okay… . Und was haben sie gesehen oder gefunden?“ Das Buch hatte sie inzwischen zur Seite gelegt und war näher an ihn herangetreten.
„Nicht mehr als sie ohnehin in ihren Köpfen bereits gefunden hatten.“
„Was für ein Unsinn. Natürlich kommen sie wieder. Jeden Tag sogar.“, widersprach sie ihm.
„Aber nie wieder mit den jungen, unbefleckten Ideen. Jeden Tag sterben sie. Millionenfach.
„Dafür werden aber auch täglich neue geboren!?“ protestierte sie.
„Ist das tatsächlich so? Liest du was in der Welt täglich passiert? Sie erfinden sie nicht neu. Das tun sie äußerst selten. Sie klonen sie nur, bevor sie sie töten. Weil die Menschen den Gedanken ideenlos zu existieren nicht ertragen können. Sie behaupten sogar, das mache sie zu Menschen.“
„Schön. Aber was hat das alles mit mir zu tun? Mit uns? Bin ich etwa für dich auch nur irgendeine Idee?“
„Nein“, entgegnete er. „Menschen lieben sich nicht direkt. Sie haben die Idee der Liebe erfunden und unendlich oft kopiert. Sie lieben die Vorstellung, die sie vom jeweils anderen haben.
„ Also lieben sie sich selbst? Na toll. Das könnte ich auch in einer Psychologiezeitschrift lesen. Sonst noch was?“
„Ja…Du bist nicht irgendeine Idee. Du bist DIE Idee. Und deswegen können wir nicht zusammen sein. Ich will nicht mit ansehen, wie sie stirbt“, flüsterte ihr Traummann und verschwand zwischen den Zeilen des Buches, das sie nie öffnen, geschweige denn lesen wird. Leicht bedauernd stellte sie es ins Regal zu den vielen anderen zurück. Sie durfte nicht ihren Zug verpassen.
Weitere Werke von Markevic:
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Catalano Leseratte
C Alter: 40 Beiträge: 136
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C 04.02.2016 19:38
von Catalano
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Gefiel mir irgendwie ganz gut. Die Sätze sind gut und sauber geschrieben, die Idee der Geschichte ist auch nett, genau so, wie das Ende.
(Habs aber nicht ganz verstanden: War er nur ihre Einbildung? Oder war sie die Einbildung?)
Allerdings scheint mir die Geschichte eher ein Dialog zu sein.
In einem Satz stimmt die Zeit nicht:
Zitat: | „Nein“ sagt er mit dem Anflug eines traurigen Lächelns. |
da hast du wohl das e vergessen.
Und ich würde nach einer wörtlichen Rede öfter schlicht "sagte er, sagte sie" benutzen, anstatt "entgegnete er, widersprach sie" usw.
Aber insgesamt sehr angenehm zu lesen gewesen.
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Katha1 Gänsefüßchen
Beiträge: 23 Wohnort: Bayern
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21.02.2016 18:21
von Katha1
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Sehr schön geschrieben. Bis zum Schluss ist mir nicht klar, ob sie geträumt hat. Darüber denkt man nach dem Lesen nach.
mir ist nur hier und da aufgefallen, dass du nach den ... das Leerzeichen vergisst. Aber das ist ja Nebensache.
Liebe Grüße,
Katha
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Rinie Schneckenpost
R Alter: 33 Beiträge: 8 Wohnort: Süddeutschland
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R 23.02.2016 17:43
von Rinie
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Hallo Markevic,
die Idee (hihi) der Geschichte gefällt mir sehr gut. Da werde ich noch ein Weilchen drüber nachdenken müssen. Und ich liebe es, wenn Texte nachklingen und man sie nicht sofort vergisst. Deine Interpretation der Tatsache, dass Menschen immer von Neuem Zeitungen und Bücher kaufen, finde ich einleuchtend.
Ich habe nur einen kleinen Kritikpunkt. Obwohl mir klar ist, dass das Absicht ist, ist mir persönlich der Text ein kleines bisschen zu dunkel. Dunkel im Sinne von schwer aufzulösen. Vielleicht habe ich ja gerade nur ein Brett vor dem Kopf, aber eigentlich müsste nach der Logik des bisherigen Textes doch der Traummann ihre Idee sein und nicht sie seine, oder? Also er ist ja auch in deinem Text ihre Idee, aber mir ist die Tatsache, dass ihre Idee sie dann wiederum als seine Idee deklariert, eine Idee zu viel. Oder ich verstehe es nicht ganz. Aber ich fände die Geschichte runder und weniger "dunkel", wenn die "Die-Idee-erklärt-sie-selbst-zu-seiner-Idee-Ebene" wegfällt.
Das ist auch schon alles =). Stilistisch und sprachlich finde ich den Text stimmig.
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nebenfluss Show-don't-Tellefant
Beiträge: 5976 Wohnort: mittendrin, ganz weit draußen
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23.02.2016 20:01
von nebenfluss
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Das Thema dieses Textes ist offenbar, warum Menschen lesen: Bücher, oder vielmehr Zeitungen. Nach Auffassung des Erzählers suchen die Leser in Texten Anregungen für eigene Ideen, die sie irgendwie auch selbst hätten haben können. Ebenso irgendwie scheinen sie daraus aber nichts zu machen. Als symbolischer Ort wurde - sorry, ziemlich ausgelutscht, m. E. - ein Bahnhof gewählt. Abends fahren alle wieder heim, die Ideen sterben in den Köpfen und werden am nächsten Morgen durch neue aus der neuen Tageszeitung ersetzt. Dann geht das ganze sinnlose Spiel von vorne los.
So ungefähr habe ich mir das jedenfalls zusammengereimt.
Naja, etwas dürftig/oberflächlich in meiner Lesart. Hätte man mehr draus machen können.
Was mir überhaupt nicht einleuchtet: warum es nötig sein sollte, diese Überlegungen in ein Pseudo-Gespräch eines vermeintlichen potentiellen Liebespaars zu verpacken. Sie fungiert nur als Stichwortgeberin, damit es wie ein Dialog anmutet, dem Inhalt nach aber handelt es sich um einen Monolog bzw. - wie das Ende wohl aufdecken soll? - um ein Selbstgespräch. Die Erkenntnisse gewinnt sie aus einem Buch, das sie aus einem Regal in dieser Buchhandlung geholt, aber gar nicht aufgeschlagen hat. Hat sie nun beschlossen, dem Lesen abzuschwören und stattdessen ihre Ideen selbstständig zu entwickeln? Könnte man meinen, aber wozu brauchte sie dafür diesen geträumten Mann als Selbst-Gegenüber? (ich gehe mal davon aus, dass "Traummann" hier nicht im positiven Sinne wie "Märchenprinz" zu verstehen ist, denn wer will schon so einen Schwätzer ).
Titel gefällt mir und passt - wenn man Liebe als Liebe zur eigenen Kreativität/Schaffenskraft auffasst?
Regt in Maßen zum Nachdenken an, ist mir aber insgesamt nicht prägnant und nachvollziehbar genug.
_________________ "You can't use reason to convince anyone out of an argument that they didn't use reason to get into" (Neil deGrasse Tyson) |
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